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Gedenkjahr - Landesschulrat Steiermark

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GESPRÄCH<br />

Dr. Ursula Grohs ist Klinische<br />

Psychologin, Gesundheitspsychologin<br />

und Psychotherapeutin.<br />

Analytikerin und<br />

Kinder- und Jugendlichen-<br />

Analytikerin im Österreichischen<br />

Verein für<br />

Individualpsychologie und<br />

u. a. Leiterin von drei psychotherapeutischen<br />

Ambulanzen<br />

in der <strong>Steiermark</strong><br />

Lebewesen sind von der<br />

Natur zum Überleben und<br />

Fortpflanzen konzipiert.<br />

Bei der Spezies Mensch kommen<br />

noch weitere sehr wesentliche<br />

Aspekte hinzu.<br />

Dr. Ursula Grohs: Das gilt auch<br />

noch für den Menschen. Man<br />

hat die Ernährung und die Verdauung<br />

des Menschen mit den<br />

Schimpansen untersucht und<br />

hat herausgefunden, dass der<br />

Mensch und der Schimpanse<br />

sich hinsichtlich der Aufnahme,<br />

der Verwertung und der<br />

Verdauung nicht unterscheiden.<br />

Weiters haben wir Reaktionen<br />

in uns, die erst gar nicht<br />

an das „denkende“ Gehirn<br />

kommen. Wenn sich etwas auf<br />

uns zu bewegt, z. B. ein heranrasendes<br />

Auto, so erhalten<br />

unsere Muskeln den Befehl<br />

„wegspringen“ und wir sind<br />

schon weg, bevor uns die Knie<br />

zittern und uns bewusst wird,<br />

dass wir gerade unser Leben<br />

gerettet haben. Bei der Fortpflanzung<br />

haben wir auch<br />

genaue genetische Vorgaben,<br />

die Hormone aktivieren, die<br />

unser sexuelles Verhalten steuern.<br />

Wir haben aber als Mensch<br />

noch eine andere wichtige<br />

Fähigkeit mitbekommen. Wir<br />

können mit unserem Verstand,<br />

unseren Handlungen und unseren<br />

Gedanken unsere „Innere<br />

Bilderwelt“ aktiv beeinflussen.<br />

Diese Fähigkeiten entwickeln<br />

sich aber nur, wenn wir diese<br />

auch in Anspruch nehmen.<br />

Dem Ambiente, in dem ein<br />

Kind zum erwachsenen Menschen<br />

heranwächst, kommt<br />

sehr große Bedeutung zu?<br />

Dr. Ursula Grohs: Unsere<br />

Gefühle und Gedanken werden<br />

SCHULE<br />

www.dieschule-stmk.com<br />

„Der Gatsch zwischen den<br />

Zehen …“<br />

von unseren Inneren Bildern,<br />

von den akustischen Verhältnissen,<br />

von den Lichtverhältnissen<br />

unserer Umgebung und<br />

von den Nahrungsmitteln, die<br />

wir zu uns nehmen, und dem<br />

was wir spüren und wie wir<br />

uns bewegen, gesteuert. Nach<br />

diesem individuellen Kräfteverhältnis<br />

gestalte ich meinen<br />

ganz individuellen Lebensstil<br />

und gestalte danach mein<br />

Leben. Dieser Lebensstil ist<br />

uns Menschen zum größten Teil<br />

nicht bewusst. Wir Menschen<br />

erleben aber unser Leben mit<br />

der Brille dieses Lebensstils.<br />

Wir erleben die Welt ganz individuell,<br />

je nach unserem Herkunftsmilieu.<br />

Wenn ein<br />

Mensch z. B. daran gewöhnt<br />

ist, Gewalt zu erleben, so wird<br />

eine spontane Berührung bei<br />

diesem Menschen eher eine<br />

Abwehrreaktion auslösen<br />

anstelle eines guten Gefühles.<br />

Die Bedeutung von Architektur<br />

– sei es nun der einzelne<br />

Hausbau oder die<br />

Landschafts- und Städteplanung<br />

insgesamt – trägt<br />

wesentlich zur Entwicklung<br />

von Menschen bei, beeinflussen<br />

doch Architekten durch<br />

ihre „Produkte“, ob soziale<br />

Kompetenzen und Beziehungen<br />

wachsen können oder verkümmern.<br />

Dr. Ursula Grohs: Meine<br />

Gefühle und Gedanken beeinflussen<br />

wesentlich, ob ich positive<br />

Kontakte in meinem Leben<br />

habe und ob ich mich vielfältig<br />

entwickle. Der Mensch und<br />

einige Tiere sind mit der Fähigkeit<br />

ausgestattet, die aktivierten<br />

Gehirnzentren der anderen<br />

Person wahrzunehmen. Man<br />

hat Versuchspersonen Bilder<br />

gezeigt, die unterschiedliche<br />

Stimmungen zeigten. In der<br />

Architektur sollte berücksichtigt<br />

werden, dass Menschen die<br />

Farben der Natur brauchen,<br />

um einen „glücksbringenden“<br />

Hormonhaushalt im Körper<br />

aufrecht erhalten zu können.<br />

Menschen brauchen auch<br />

Licht, um körpereigene<br />

Schmerzkiller und die „innere<br />

Uhr“ überhaupt in Gang hal-<br />

4<br />

Nr. 167<br />

JUNI<br />

2005<br />

Mag. Heidrun Gollesch führte das<br />

folgende, aus Platzgründen gekürzte<br />

Gespräch mit der Psychologin Dr. Ursla<br />

Grohs.<br />

ten zu können. Wir brauchen<br />

Wege in unseren Wohnräumen,<br />

die auch zufällige soziale Kontakte<br />

möglich machen, und vieles<br />

mehr. Wir brauchen Bewegung,<br />

Licht, Farben Gerüche,<br />

Geräusche und entsprechend<br />

glücksbringende und befriedigende<br />

soziale Kontakte, um<br />

uns nach außen wenden und<br />

Erfüllung spüren zu können.<br />

Das wäre oft mit ganz einfachen<br />

Mitteln zu erzielen. Wir<br />

haben in der Natur eigentlich<br />

vieles, was wir brauchen.<br />

In einem Jahrtausend, in dem<br />

alles messbar und sehr schnell<br />

ablaufen soll – und „für etwas<br />

gut“ sein soll – erscheinen viele<br />

Kinderspiele als sinnlos.<br />

„Gatsch“ zwischen den Zehen<br />

ist doch nicht messbar?<br />

Dr. Ursula Grohs: In unserer<br />

westlichen Welt ist es wichtig,<br />

alles messen zu können. Dieser<br />

Ausdruck in Zahlen bildet<br />

dann die Basis für eine Bewertung.<br />

„Du bist schlecht“, „du<br />

bist dumm“ – das sind wir<br />

durch unser Denksystem schon<br />

gewohnt. Eine Zahl drückt aus,<br />

wie eine Person ist, welche<br />

Eigenschaften sie hat. Gatsch<br />

kann man nicht messen. Beobachten<br />

Sie ein Baby oder<br />

Kleinkind beim Spinatessen,<br />

mit welcher Freude es mit dem<br />

Essen spielt, es anfasst, es auf<br />

den Tisch und den Boden wirft.<br />

Das Kind erkennt dabei, dass<br />

es etwas bewirken kann, dass<br />

es etwas erzeugen kann, in der<br />

Wahrnehmung des Kindes leistet<br />

es etwas. Es gestaltet. Es<br />

sieht, dass es mit seinem Tun<br />

ein Werk schafft. In unserer<br />

Kultur ist es aber Usus, dass<br />

bei solchem Tun nur<br />

geschimpft, gestoppt und<br />

gestraft wird. Wenn wir aber<br />

als Bezugspersonen die Freude<br />

und die Neugier des Kindes<br />

auch erkennen könnten, wäre<br />

etwas von Anerkennung für<br />

das Selbstbild des Kindes zur<br />

Verfügung!<br />

Wir werden sehr oft schon viel<br />

zu früh beschränkt und das<br />

passiert eigentlich unser ganzes<br />

Leben lang. Wir hören viel<br />

zu oft negative Beurteilungen.<br />

Ein „sehr gut“ in der Schule ist<br />

zwar fein, ein „nicht genügend“<br />

wiegt aber länger und<br />

viel schwerer. Eine einfache<br />

Lösung: keinen weißen Teppich<br />

auflegen, wenn das Baby<br />

anfängt zu gestalten und Freude<br />

an den eigenen Werken hat.<br />

Gerade bei Kinderspielen oder<br />

wenn Kinder anfangen, auf<br />

diese spielerische Art ihr<br />

Umfeld zu erkunden, werden<br />

der Geist und der Körper und<br />

die Seele geschult. Es geht<br />

nicht immer nur um bewertbare<br />

Leistung.<br />

„Faule und schlimme Kinder<br />

gibt es nicht“ ist der Titel<br />

eines Filmes, den Sie 1992<br />

gedreht haben?<br />

Dr. Ursula Grohs: Ja, der Titel<br />

heißt „Faule und schlimme<br />

Kinder gibt es nicht: Mögliche<br />

Störungen der Konzentration“.<br />

Faule und schlimme Kinder<br />

gibt es nicht war ein großer<br />

Erfolg. Ich habe meine Ausbildung<br />

im österreichischen Verein<br />

für Individualpsychologie<br />

gemacht. Ich habe in diesem<br />

Verein meine Ausbildung zur<br />

Kinder- und Jugendlichen-<br />

Analytikerin ergänzt. Im Zuge<br />

dieser Ausbildung hatte ich<br />

Lehrer wie Gertrude Bogyi,<br />

Marianne Stockert, Erwin Ringel,<br />

Max Friedrich. Die Kindertherapieszene<br />

fand damals<br />

vor allem in Wien statt. Ich<br />

habe mir in dieser Zeit in den<br />

Kopf gesetzt, dass es doch<br />

möglich sein muss, die individuelle<br />

Entwicklung von Kindern<br />

und ihre Auffälligkeiten<br />

liebevoll und wertfrei, ohne die<br />

Kinder zu pathologisieren, als<br />

Auftrag an die Eltern und<br />

Lehrpersonen zu erteilen. Ich<br />

habe den Film sehr lebensnah<br />

gestaltet mit vielen Beispielen<br />

und so dem Kind einen deutlichen<br />

Platz gegeben. Jahrelang<br />

hat der Film dann große Verbreitung<br />

bei Elternabenden<br />

und schulischen Veranstaltungen<br />

gefunden. Ich freue mich<br />

sehr, dass mir die Vermittlung<br />

der Entwicklung des Kindes<br />

dabei so gut gelungen ist.<br />

Danke für das Gespräch.

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