Der Begriff des freien Willens in der Geschichte - Esther Fischer ...
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<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> 123<br />
Bernard (1813-1878) und Hermann Helmholtz (1821-1894) und <strong>des</strong> historischen<br />
Determ<strong>in</strong>ismus von Karl Marx (1818-1883).<br />
Auch die Psychologie stand im Banne <strong>des</strong> Determ<strong>in</strong>ismus. Schon J. F. Herbart<br />
(1776-1841) hatte gesagt: “Die Gesetzmässigkeit im menschlichen Geiste gleicht<br />
vollkommen <strong>der</strong> am Sternenhimmel”, 8 so suchte auch Sigmund Freud (1856-1939),<br />
<strong>der</strong> von Haus aus Physiologe war, nach den vorausberechenbaren Bahnen, <strong>in</strong> denen<br />
sich Psychisches bewegt. Im Rahmen e<strong>in</strong>er determ<strong>in</strong>istischen Psychologie galt <strong>der</strong><br />
Wille vielfach als e<strong>in</strong> Epiphänomen – “Die Illusion <strong>der</strong> <strong>Willens</strong>freiheit …” ist e<strong>in</strong><br />
typischer Buchtitel jener Zeit. 9<br />
An Gegengewichten fehlte es freilich nicht: auch <strong>der</strong> Indeterm<strong>in</strong>ismus feierte<br />
damals neue Triumphe. Gegen Ende <strong>des</strong> Jahrhun<strong>der</strong>ts kam <strong>der</strong> Voluntarismus <strong>in</strong> allen<br />
se<strong>in</strong>en Schattierungen <strong>in</strong>s allgeme<strong>in</strong>e Gespräch 10 , um dieselbe Zeit begann auch<br />
Émile Coués (1857-1926) <strong>Willens</strong>kult aufzukommen. 11<br />
Auf diesem polarisierten H<strong>in</strong>tergrund, <strong>in</strong> diesem Spannungsfeld zwischen<br />
Determ<strong>in</strong>ismus und Indeterm<strong>in</strong>ismus haben die Diskussionen um die ursächliche<br />
Beteiligung <strong>des</strong> <strong>Willens</strong> an <strong>der</strong> traumatischen Neurose stattgefunden. Es gab auch<br />
da e<strong>in</strong>e Polarisation.<br />
Auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite standen die Aerzte, welche glaubten, es stehe h<strong>in</strong>ter allzuvielen<br />
Bil<strong>der</strong>n von traumatischen Neurosen ke<strong>in</strong>erlei Naturgesetz, son<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> Wille <strong>der</strong> Klagenden, krank zu ersche<strong>in</strong>en. Und dieser Wille sei nicht kausal<br />
determ<strong>in</strong>iert, son<strong>der</strong>n zweckbed<strong>in</strong>gt: 12 die Klagenden wollten <strong>in</strong> den Genuss von<br />
Entschädigungsgel<strong>der</strong>n kommen. Diese Aerzte fanden unter den Patienten, die<br />
nach Traumen neurotische Störungen zeigten, bis zu 50% Simulanten. 13<br />
<strong>Der</strong> erste, <strong>der</strong> nachdrücklich auf die Häufigkeit <strong>der</strong> Simulation von Unfallnervenkrankheiten<br />
h<strong>in</strong>wies, war Johannes Rigler (geb. 1839), nicht zufällig e<strong>in</strong><br />
Eisen-bahnarzt. 14<br />
Auch <strong>der</strong> als praktischer Neurologe tätige Adolf Seeligmüller (1837-1912) fand<br />
unter den Unfallpatienten, die er wegen traumatischer Neurose zu begutachten<br />
hatte, e<strong>in</strong> Viertel Simulanten.<br />
Dass die Simulation e<strong>in</strong> Produkt <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> war, wurde dabei<br />
kaum gesagt – es verstand sich von selbst. Es wurde erst dann gesagt, wenn<br />
etwa die Simulation gegen die unwissentliche o<strong>der</strong> unwillentliche hysterische<br />
Krankheitsvorspiegelung abgegrenzt werden musste, 15 o<strong>der</strong> wenn jemand den<br />
deliktischen Willen selbst für determ<strong>in</strong>iert und den Del<strong>in</strong>quenten <strong>des</strong>halb für<br />
nichtverantwortlich erklären wollte. 16 Es wurde dann weniger naturwissenschaftlich<br />
als soziologisch und juristisch argumentiert. “Woh<strong>in</strong> würde es führen”,<br />
sagte <strong>in</strong> ähnlichem Zusammenhang Adolf Struempell (1853-1923), <strong>der</strong> Schöpfer<br />
<strong>des</strong> <strong>Begriff</strong>s <strong>der</strong> “Begehrungsvorstellungen” – “wenn man alle nach Unfällen entstehenden<br />
psychogenen Störungen ohne Weiteres als … Folgen <strong>des</strong> Unfalls ansehen<br />
wollte?” 17 “Wir s<strong>in</strong>d so sehr gewöhnt, <strong>der</strong> Krankheit <strong>in</strong> ihre entferntesten<br />
Ursachen nachzugehen”, schreibt <strong>der</strong> Leipziger Polikl<strong>in</strong>iker Alb<strong>in</strong> Hoffmann (1843-<br />
1924) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aufsatz über die traumatische Neurose, “dass wir stets darüber<br />
die Schuld <strong>des</strong> Kranken vergessen … Und doch ist e<strong>in</strong> Staatswesen nicht möglich,