Der Begriff des freien Willens in der Geschichte - Esther Fischer ...
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Clio Medica, Vol. 6, pp. 121-137, 1971.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> traumatischen Neurose*<br />
ESTHER FISCHER-HOMBERGER<br />
Die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> traumatischen Neurose, <strong>der</strong> Neurose nach e<strong>in</strong>em Trauma und<br />
im Zusammenhang mit diesem, hat damit begonnen, dass <strong>in</strong> England Eisenbahngesellschaften<br />
für die Folgen ihrer Unfälle haftbar wurden. Da kamen nun plötzlich zahlreiche<br />
Verunfallte zu den Aerzten, klagten über Schwäche, Schw<strong>in</strong>del, Verstimmungen,<br />
Sensibilitätsstörungen und an<strong>der</strong>e Symptome, die sie auf ihren Unfall zurückführten,<br />
und verlangten Entschädigung von <strong>der</strong> betreffenden Eisenbahngesellschaft. Die Aerzte<br />
bezogen diese Klagen dann auf e<strong>in</strong>e “Erschütterung <strong>des</strong> Rückenmarks”, sie sprachen<br />
gelegentlich von <strong>der</strong> typischen “Railway Sp<strong>in</strong>e” als Unfallfolge und vertraten dementsprechend<br />
die Entschädigungsansprüche ihrer Patienten auch vor Gericht. 1 Als<br />
Eisenbahnen und Versicherungen auch <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>gerichtet wurden, verbreitete<br />
sich die “Railway Sp<strong>in</strong>e”, beziehungsweise die Rückenmarkserschütterung, auch dort.<br />
Was das Substrat <strong>des</strong> Leidens betraf, wurde man allerd<strong>in</strong>gs allmählich unsicher,<br />
man begann von “Railway Bra<strong>in</strong>” o<strong>der</strong> traumatischer Hysterie, beziehungsweise<br />
Neurasthenie 2 , zu sprechen, womit man sich lokalisatorisch noch weniger festlegte.<br />
Mit dem Neurologen Hermann Oppenheim (1858-1919) sprach man endlich e<strong>in</strong>fach<br />
von “traumatischer Neurose”. 3 Als Grundlage dieses Leidens betrachtete man anfangs<br />
durchwegs irgendwelche materielle Störungen <strong>des</strong> Nervengewebes, vielfach wurden<br />
Läsionen auf molekularer Ebene angenommen. 4<br />
Neben diese somatisch-mediz<strong>in</strong>ische Auffassung trat aber bald die psychologische,<br />
im Rahmen <strong>der</strong>er die ursächliche Störung bei <strong>der</strong> Neurose im Bereich <strong>des</strong><br />
“Seelischen” lag. Damit war nicht mehr so sehr die physische Erschütterung durch den<br />
Unfall das krankmachende Ereignis, als vielmehr das Erlebnis <strong>des</strong> Schrecks. 5 Aber auch<br />
das Erlebnis <strong>des</strong> Entschädigtwerdens, <strong>der</strong> Wunsch nach Geld, die Struempellschen<br />
“Begehrungs-Vorstellungen” 6 konnten das Bild <strong>der</strong> traumatischen Neurose hervorrufen.<br />
So begann man nun auch von “Begehrungsneurose” zu sprechen und später von<br />
Renten-, Versicherungs- und Wunschneurose. 7 Wenn man die traumatische Neurose so<br />
betrachtete, wurde man natürlich mit <strong>der</strong> Gewährung von Entschädigungen zurückhaltend.<br />
Denn wenn man dieses Leiden auf krankhafte Wünsche zurückführte, so war es<br />
nicht rational, diese durch ungesun<strong>des</strong> Entgegenkommen noch zu unterhalten.<br />
Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Erste Weltkrieg verhalf <strong>der</strong> Ansicht, die traumatische Neurose<br />
sei e<strong>in</strong>e Wunschkrankheit, zum Durchbruch. In jenem Kriege wurde ja die traumatische<br />
Neurose <strong>in</strong> Form <strong>der</strong> “Kriegsneurose”, beziehungsweise <strong>der</strong> “Kriegshysterie”,<br />
epidemisch. Die Kriegsneurose äusserte sich vorwiegend <strong>in</strong> Zittern. Sie wurde<br />
anfangs noch häufig auf das Trauma von Granatexplosionen zurückgeführt<br />
* Ger<strong>in</strong>gfügige Verän<strong>der</strong>ungen gegenüber dem Orig<strong>in</strong>al
122<br />
<strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger<br />
und die Betroffenen wurden entsprechend dienstentlassen und mit Renten versorgt.<br />
Bald aber wurde es offensichtlich, dass nicht die Granatexplosion, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Wunsch<br />
nach Dienstfreiheit die hauptsächliche Ursache <strong>der</strong> Kriegshysterie sei. Entsprechend<br />
wurde nun e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Art von Behandlung <strong>der</strong> Kriegszitterer üblich: Dienstentlassung<br />
und Entschädigung kamen nicht mehr <strong>in</strong> Frage, die rationale Therapie war nun<br />
Austreibung <strong>der</strong> pathogenen Rückzugswünsche und Stärkung <strong>des</strong> Kampfwillens. Wir<br />
werden weiter unten hierauf zurückkommen.<br />
So s<strong>in</strong>d den traumatischen Neurotikern durch den Krieg die Vorteile wie<strong>der</strong><br />
entzogen worden, die ihnen die Eisenbahnunfall-Haftpflicht gebracht hatte. Im<br />
Zusammenhang damit war nach dem Ersten Weltkrieg die traumatische Neurose nicht<br />
mehr so häufig und nicht mehr so vieldiskutiert wie vorher. Sie war nun auch, da sie<br />
eher als soziologisches denn als mediz<strong>in</strong>isches Phänomen aufgefasst wurde, nicht<br />
mehr so sehr e<strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>isches, als vielmehr e<strong>in</strong> juristisches, versicherungstechnisches<br />
und soziologisches Problem. In e<strong>in</strong>em gewissen S<strong>in</strong>ne war ihre <strong>Geschichte</strong> um<br />
1930 abgeschlossen.<br />
Es soll nun hier speziell über die Rolle <strong>des</strong> <strong>Begriff</strong>s <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> traumatischen Neurose berichtet werden.<br />
Die Frage nach <strong>der</strong> <strong>Willens</strong>freiheit wird heute seltener gestellt als zur Blütezeit<br />
<strong>der</strong> traumatischen Neurose. Wohl steht sie noch immer h<strong>in</strong>ter vielen Diskussionen<br />
über Krankhaftigkeit, Schuldhaftigkeit, Verantwortlichkeit <strong>des</strong> Verhaltens psychiatrischer<br />
Patienten, wohl taucht sie noch heute, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Spannungssituationen,<br />
bei Angehörigen, Mitpatienten, Pflegepersonal und auch bei Aerzten immer wie<strong>der</strong> –<br />
meist gleichzeitig mit Strafimpulsen – auf: ist <strong>der</strong> Patient vielleicht gar nicht krank?<br />
Macht er alles absichtlich? Fehlt ihm nichts als <strong>der</strong> gute Wille? Von <strong>der</strong> Praxis losgelöst<br />
und pr<strong>in</strong>zipiell wird die Frage nach <strong>der</strong> ursächlichen Beteiligung <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong><br />
an psychiatrischen Krankheitsbil<strong>der</strong>n heute aber nicht mehr häufig diskutiert. Sie gilt<br />
vielfach als theoretisch unlösbar, unwichtig o<strong>der</strong> falsch gestellt.<br />
Zur Blütezeit <strong>der</strong> traumatischen Neurose war das ganz an<strong>der</strong>s. Gerade von <strong>der</strong> Mitte<br />
<strong>des</strong> 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts an bis <strong>in</strong> die 1930er Jahre war die menschliche <strong>Willens</strong>freiheit<br />
ganz generell e<strong>in</strong> sehr häufig und äusserst <strong>in</strong>tensiv diskutiertes Thema. Schon Kant<br />
und Schopenhauer hatten die Frage, ob und <strong>in</strong>wieweit <strong>der</strong> Mensch willensfrei sei,<br />
für ihre Zeit neu belebt. Zwischen etwa 1880 und dem Ersten Weltkrieg aber wurde<br />
e<strong>in</strong>e nie vorher und auch seither nicht mehr gesehene Menge von Literatur über<br />
diese Frage publiziert. Das 19. und <strong>der</strong> Anfang <strong>des</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts waren von <strong>der</strong><br />
Idee <strong>des</strong> Determ<strong>in</strong>ismus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ausmass, von dem wir uns heute kaum mehr e<strong>in</strong>e<br />
Vorstellung machen, fasz<strong>in</strong>iert. Nicht nur physikalisches und chemisches Geschehen<br />
sollte fest determ<strong>in</strong>iert se<strong>in</strong>, auch h<strong>in</strong>ter biologischen und historischen, ja überhaupt<br />
h<strong>in</strong>ter allen Phänomenen witterte man nun unausweichliche Naturgesetze. Es war die<br />
Zeit <strong>der</strong> Darw<strong>in</strong>schen Evolutionslehre, <strong>des</strong> physiologischen Determ<strong>in</strong>ismus von Claude
<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> 123<br />
Bernard (1813-1878) und Hermann Helmholtz (1821-1894) und <strong>des</strong> historischen<br />
Determ<strong>in</strong>ismus von Karl Marx (1818-1883).<br />
Auch die Psychologie stand im Banne <strong>des</strong> Determ<strong>in</strong>ismus. Schon J. F. Herbart<br />
(1776-1841) hatte gesagt: “Die Gesetzmässigkeit im menschlichen Geiste gleicht<br />
vollkommen <strong>der</strong> am Sternenhimmel”, 8 so suchte auch Sigmund Freud (1856-1939),<br />
<strong>der</strong> von Haus aus Physiologe war, nach den vorausberechenbaren Bahnen, <strong>in</strong> denen<br />
sich Psychisches bewegt. Im Rahmen e<strong>in</strong>er determ<strong>in</strong>istischen Psychologie galt <strong>der</strong><br />
Wille vielfach als e<strong>in</strong> Epiphänomen – “Die Illusion <strong>der</strong> <strong>Willens</strong>freiheit …” ist e<strong>in</strong><br />
typischer Buchtitel jener Zeit. 9<br />
An Gegengewichten fehlte es freilich nicht: auch <strong>der</strong> Indeterm<strong>in</strong>ismus feierte<br />
damals neue Triumphe. Gegen Ende <strong>des</strong> Jahrhun<strong>der</strong>ts kam <strong>der</strong> Voluntarismus <strong>in</strong> allen<br />
se<strong>in</strong>en Schattierungen <strong>in</strong>s allgeme<strong>in</strong>e Gespräch 10 , um dieselbe Zeit begann auch<br />
Émile Coués (1857-1926) <strong>Willens</strong>kult aufzukommen. 11<br />
Auf diesem polarisierten H<strong>in</strong>tergrund, <strong>in</strong> diesem Spannungsfeld zwischen<br />
Determ<strong>in</strong>ismus und Indeterm<strong>in</strong>ismus haben die Diskussionen um die ursächliche<br />
Beteiligung <strong>des</strong> <strong>Willens</strong> an <strong>der</strong> traumatischen Neurose stattgefunden. Es gab auch<br />
da e<strong>in</strong>e Polarisation.<br />
Auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite standen die Aerzte, welche glaubten, es stehe h<strong>in</strong>ter allzuvielen<br />
Bil<strong>der</strong>n von traumatischen Neurosen ke<strong>in</strong>erlei Naturgesetz, son<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> Wille <strong>der</strong> Klagenden, krank zu ersche<strong>in</strong>en. Und dieser Wille sei nicht kausal<br />
determ<strong>in</strong>iert, son<strong>der</strong>n zweckbed<strong>in</strong>gt: 12 die Klagenden wollten <strong>in</strong> den Genuss von<br />
Entschädigungsgel<strong>der</strong>n kommen. Diese Aerzte fanden unter den Patienten, die<br />
nach Traumen neurotische Störungen zeigten, bis zu 50% Simulanten. 13<br />
<strong>Der</strong> erste, <strong>der</strong> nachdrücklich auf die Häufigkeit <strong>der</strong> Simulation von Unfallnervenkrankheiten<br />
h<strong>in</strong>wies, war Johannes Rigler (geb. 1839), nicht zufällig e<strong>in</strong><br />
Eisen-bahnarzt. 14<br />
Auch <strong>der</strong> als praktischer Neurologe tätige Adolf Seeligmüller (1837-1912) fand<br />
unter den Unfallpatienten, die er wegen traumatischer Neurose zu begutachten<br />
hatte, e<strong>in</strong> Viertel Simulanten.<br />
Dass die Simulation e<strong>in</strong> Produkt <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> war, wurde dabei<br />
kaum gesagt – es verstand sich von selbst. Es wurde erst dann gesagt, wenn<br />
etwa die Simulation gegen die unwissentliche o<strong>der</strong> unwillentliche hysterische<br />
Krankheitsvorspiegelung abgegrenzt werden musste, 15 o<strong>der</strong> wenn jemand den<br />
deliktischen Willen selbst für determ<strong>in</strong>iert und den Del<strong>in</strong>quenten <strong>des</strong>halb für<br />
nichtverantwortlich erklären wollte. 16 Es wurde dann weniger naturwissenschaftlich<br />
als soziologisch und juristisch argumentiert. “Woh<strong>in</strong> würde es führen”,<br />
sagte <strong>in</strong> ähnlichem Zusammenhang Adolf Struempell (1853-1923), <strong>der</strong> Schöpfer<br />
<strong>des</strong> <strong>Begriff</strong>s <strong>der</strong> “Begehrungsvorstellungen” – “wenn man alle nach Unfällen entstehenden<br />
psychogenen Störungen ohne Weiteres als … Folgen <strong>des</strong> Unfalls ansehen<br />
wollte?” 17 “Wir s<strong>in</strong>d so sehr gewöhnt, <strong>der</strong> Krankheit <strong>in</strong> ihre entferntesten<br />
Ursachen nachzugehen”, schreibt <strong>der</strong> Leipziger Polikl<strong>in</strong>iker Alb<strong>in</strong> Hoffmann (1843-<br />
1924) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aufsatz über die traumatische Neurose, “dass wir stets darüber<br />
die Schuld <strong>des</strong> Kranken vergessen … Und doch ist e<strong>in</strong> Staatswesen nicht möglich,
124 <strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger<br />
wenn die Staatsbürger nicht … tief durchdrungen s<strong>in</strong>d, von <strong>der</strong> … Wahrheit, dass<br />
ihnen e<strong>in</strong> freier Wille gegeben ist …”. 18<br />
E<strong>in</strong>e Schwierigkeit stand <strong>der</strong> <strong>in</strong>determ<strong>in</strong>istischen Interpretation <strong>der</strong> traumatischen<br />
Neurose immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Gestalt von Symptomen entgegen, die nicht als willensabhängig<br />
gelten konnten. Diese Schwierigkeit wurde <strong>in</strong> verschiedener Weise<br />
gelöst. Man führte solche Symptome zum Beispiel auf e<strong>in</strong>e neben <strong>der</strong> Simulation<br />
bestehende echte Krankheit zurück o<strong>der</strong> man schrieb sie <strong>der</strong> Gewissensangst <strong>der</strong><br />
Simulanten zu – wie zum Beispiel Friedrich Schultze (1848-1934), <strong>der</strong> mit den 30<br />
bis 50% Simulanten, die er unter den traumatischen Neurotikern fand, akademischer<br />
Hauptopponent Oppenheims war. 19<br />
Den Indeterm<strong>in</strong>isten unter den Aerzten standen die Aerzte gegenüber, die<br />
kaum je e<strong>in</strong>e simulierte Unfallneurose fanden. Sie hielten dieses Krankheitsbild<br />
für determ<strong>in</strong>iert. Selbst e<strong>in</strong>e allfällige Neigung <strong>der</strong> Unfallneurotiker zu Krankheits-<br />
Vorspiegelung hielten sie für e<strong>in</strong> regelrechtes Krankheitszeichen und notwendige<br />
Folge <strong>des</strong> Unfalles. 20<br />
Doch gab es zweierlei Typen von solchen Determ<strong>in</strong>isten: die e<strong>in</strong>en dachten<br />
somatisch-mediz<strong>in</strong>isch, die an<strong>der</strong>en psychologisch. Zu den Somatikern gehörte<br />
<strong>der</strong> bereits genannte Neurologe Hermann Oppenheim. Oppenheim hielt die von<br />
ihm so genannte traumatische Neurose für e<strong>in</strong> mit <strong>der</strong> Neurasthenie und <strong>der</strong><br />
Hysterie verwandtes, aber nicht identisches Leiden. 21 Von J. M. Charcot (1825-<br />
1893) und Karl Westphal (1833-1890) bee<strong>in</strong>flusst, 22 war er überzeugt, dass ihr<br />
e<strong>in</strong> alteriertes Nervengewebe zugrunde liege. Bei <strong>der</strong> hystero-traumatischen<br />
Lähmung zum Beispiel dachte er an “moleculare Umlagerung” “im peripherischen<br />
Nervenapparat”. 23 Auch bei <strong>der</strong> Hysterie nahm Oppenheim Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Nervenstruktur an. Es sei schwer, schreibt er, sich die Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong> Hysterie<br />
zu erklären, die “so ganz unter dem E<strong>in</strong>flusse <strong>der</strong> Willkür zu stehen sche<strong>in</strong>en …<br />
Sehr verbreitet ist denn auch noch unter Aerzten und Laien die Vorstellung, welche<br />
<strong>in</strong> dem Symptomenbild <strong>der</strong> Hysterie e<strong>in</strong> Product <strong>der</strong> Simulation erblickt …<br />
Auch <strong>der</strong> vorsichtige Arzt wird diesen Ersche<strong>in</strong>ungen gegenüber immer wie<strong>der</strong><br />
von Zweifeln ergriffen und kann beim Anblick e<strong>in</strong>es an hysterischen Lähmungs-<br />
o<strong>der</strong> Krampfzuständen leidenden Individuums zuweilen die Erwägung nicht unterdrücken:<br />
‘Wenn du an<strong>der</strong>s wolltest, du könntest an<strong>der</strong>s’.” Nichts<strong>des</strong>toweniger<br />
seien die Symptome <strong>der</strong> Hysterie reell, wahrsche<strong>in</strong>lich liege ihnen e<strong>in</strong>e “erhöhte<br />
Labilität, e<strong>in</strong>e verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te ‘<strong>in</strong>nere Reibung’ <strong>der</strong> Molecule … durch welche<br />
Erregungen leichter ausgelöst werden”, zugrunde. <strong>Der</strong> Hysteriker könne eben<br />
nicht mehr wollen. “Die hysterische Lähmung ist e<strong>in</strong>e echte Lähmung, dort, wo<br />
<strong>der</strong> Wille auf die motorische Sphäre übergreift, muss e<strong>in</strong> Leitungsh<strong>in</strong><strong>der</strong>niss und<br />
zwar nach unserer Vorstellung e<strong>in</strong> moelculares (e<strong>in</strong>e moeculare Umlagerung?)<br />
vorliegen ...”. 24 Für Oppenheim war also, was an<strong>der</strong>en als Produkt e<strong>in</strong>es betrügerischen<br />
<strong>Willens</strong>aktes erschien, notwendige Folge körperlicher Gegebenheiten.<br />
Entsprechend fand er unter se<strong>in</strong>en traumatischen Neurotikern kaum je e<strong>in</strong>en<br />
Simulanten. Er setzte sich damit bewusst <strong>in</strong> Gegensatz zum Bahnarzt Rigler und<br />
allen an<strong>der</strong>en Autoren, die hohe Prozentsätze von Simulation konstatierten. 25 Er
<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> 125<br />
geriet damit auch <strong>in</strong> heftigen Streit mit Adolf Seeligmüller, welcher ihm gerade<br />
dies als “bedauerliche Lücke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Erfahrungen und … nicht zu verschweigenden<br />
Mangel se<strong>in</strong>es Buches” brandmarkte. 26<br />
Man musste die Symptome <strong>der</strong> traumatischen Neurose aber nicht unbed<strong>in</strong>gt<br />
auf somatische Verän<strong>der</strong>ungen zurückführen, um sie als notwendige Folgen e<strong>in</strong>es<br />
Traumas auffassen zu können. Man konnte sie auch für psychologisch determ<strong>in</strong>iert<br />
ansehen. Dies tat zum Beispiel Paul Julius Moebius (1853-1907). Moebius, <strong>der</strong> ursprünglich<br />
Theologie und Philosophie studiert hatte und bei Struempell Assistent<br />
gewesen war, 27 stand also auf an<strong>der</strong>en theoretischen Grundlagen als Oppenheim,<br />
aber doch auf Oppenheims Seite. Für ihn war die traumatische Neurose ganz<br />
e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e traumatische Hysterie. Die Hysterie aber war für ihn e<strong>in</strong>e seelische<br />
Krankheit. Ihre Ursachen waren für ihn nicht somatisch-mediz<strong>in</strong>isch, son<strong>der</strong>n<br />
nur psychologisch erfassbar. “Hysterisch”, so lautet se<strong>in</strong>e berühmt gewordene<br />
Def<strong>in</strong>ition, “s<strong>in</strong>d alle diejenigen krankhaften Verän<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> Körpers, welche<br />
durch Vorstellungen verursacht s<strong>in</strong>d.” 28 Damit alle<strong>in</strong> wäre den hysterischen<br />
Neurotikern die Verantwortlichkeit für ihr Krankheitsbild allerd<strong>in</strong>gs noch nicht<br />
abgenommen gewesen. Denn s<strong>in</strong>d “Vorstellungen” nicht durch den bewussten<br />
Willen, den doch gerade die Psychologie als e<strong>in</strong>e unreduzierbare Grösse anerkennen<br />
muss, modifizierbar? Ist überhaupt e<strong>in</strong>e psychologische Kausalreihe denkbar,<br />
die mit Notwendigkeit von e<strong>in</strong>er Vorstellung zu e<strong>in</strong>em Symptom führt?<br />
E<strong>in</strong>e solche Kausalreihe ist allerd<strong>in</strong>gs denkbar – falls sie ihren Weg durch<br />
e<strong>in</strong>en psychischen Bereich nimmt, <strong>der</strong> dem Zugriff <strong>des</strong> Bewusstse<strong>in</strong>s und damit<br />
<strong>des</strong> bewussten <strong>Willens</strong> entzogen ist: falls sie durch das “Unbewusste” führt.<br />
So schrieb auch Moebius, se<strong>in</strong>e Ansicht präzisierend: “<strong>Der</strong> Vorgang, durch welchen<br />
die Vorstellung die Lähmung o<strong>der</strong> was sonst bewirkt, liegt ausserhalb <strong>des</strong><br />
Bewusstse<strong>in</strong>s.” Die hysterischen Ersche<strong>in</strong>ungen werden “vom Kranken nicht absichtlich<br />
hervorgerufen”. 29<br />
Dass Moebius die traumatische Neurose als e<strong>in</strong>e Form von Hysterie betrachtete,<br />
war <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne alles an<strong>der</strong>e als e<strong>in</strong>e zufällige term<strong>in</strong>ologische E<strong>in</strong>zelheit.<br />
Die Hysterie ist ja bekanntlich gerade <strong>in</strong> den letzten beiden Jahrzehnten <strong>des</strong><br />
19. Jahrhun<strong>der</strong>ts zum Paradigma e<strong>in</strong>es Krankheitsbil<strong>des</strong> geworden, bei <strong>des</strong>sen<br />
Entstehung unbewusst Psychisches e<strong>in</strong>e zentrale Rolle spielte. 30 Nicht zufällig hat<br />
Pierre Janet (1859-1947) sich für die Hysterie speziell <strong>in</strong>teressiert. Im Studium<br />
<strong>der</strong> Hysterie haben ja auch Charcot, Joseph Breuer (1842-1925) und Sigmund<br />
Freud (1856-1939) ihre Konzeptionen von e<strong>in</strong>em Unbewussten entwickelt. 31 Die<br />
Hysterie war zur Zeit, da Moebius arbeitete, e<strong>in</strong> psychisches Leiden, das vom<br />
<strong>freien</strong> Willen <strong>des</strong> Betroffenen ganz wesentlich unabhängig war. Dies wurde 1893<br />
durch Freud und Breuers <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> hysterischen Gegenwillens 32 noch unterstrichen.<br />
So konnte Moebius, wiewohl er über die Natur <strong>der</strong> traumatischen Neurose<br />
ganz an<strong>der</strong>s dachte als Oppenheim, sich genau wie dieser <strong>in</strong> Gegensatz zu den<br />
Simulantenjägern stellen. Tatsächlich hat er 1890 und 1891 zwei Artikel gegen<br />
Seeligmüller verfasst. 33 Die meisten Patienten, die für Simulanten erklärt würden,
126 <strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger<br />
seien <strong>in</strong> Wirklichkeit Hysteriker, schrieb er da. Nun könne zwar bei Hysterie, wegen<br />
ihrer Abhängigkeit von Seelischem, “<strong>der</strong> Ansche<strong>in</strong> <strong>der</strong> Willkür entstehen”, doch<br />
seien “die Symptome <strong>der</strong> Hysterie von e<strong>in</strong>er so strengen Gesetzmässigkeit … wie<br />
irgendwelche Symptome”. 34 Aber Seeligmüller, wie alle Autoren, die erklärten, die<br />
Simulation sei häufig, verstehe eben nichts von Hysterie. Er verstehe, liess Moebius<br />
sogar durchblicken, überhaupt nichts von Psychiatrie. “Die Worte Kuehn’s, <strong>der</strong>en<br />
Schärfe Verfasser selbst vertreten mag, lauten: ‘Die Zahl <strong>der</strong> Simulanten, welche <strong>der</strong><br />
Arzt beobachtet haben will, steht gewöhnlich <strong>in</strong> umgekehrtem Verhältnisse mit dem<br />
psychiatrischen Wissen <strong>des</strong> Beobachters’”. 35 Dieser Satz ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge sehr berühmt<br />
und oft zitiert worden.<br />
Die Kontroverse zwischen Leuten wie Seeligmüller e<strong>in</strong>erseits, Oppenheim und<br />
Moebius andrerseits, waren ke<strong>in</strong>eswegs re<strong>in</strong> akademisch. Es g<strong>in</strong>g dabei vielmehr<br />
um sehr reale, praktische D<strong>in</strong>ge. Wurde das Krankheitsbild <strong>der</strong> traumatischen<br />
Neurose nämlich im S<strong>in</strong>ne Seeligmüllers auf den <strong>freien</strong> Willen <strong>des</strong> Klagenden zurückgeführt,<br />
dieser also als Simulant betrachtet, so konnte von Kuraufenthalten und<br />
Entschädigung natürlich ke<strong>in</strong>e Rede mehr se<strong>in</strong>. Im Gegensteil: Erziehung und Strafe<br />
schienen dann die angemessene Behandlung zu se<strong>in</strong>. So schlug denn Seeligmüller<br />
auch vor, e<strong>in</strong> Gesetz e<strong>in</strong>zuführen, “welches die Simulation direkt als strafbar h<strong>in</strong>stellte<br />
… Die Strafen hätten zu bestehen: 1. <strong>in</strong> Rückzahlung <strong>der</strong> Unkosten … 2. <strong>in</strong><br />
Gefängnisstrafe mit Zwangsarbeit, 3. <strong>in</strong> Verlust <strong>der</strong> bürgerlichen Ehrenrechte, 4. <strong>in</strong><br />
öffentlicher Bekanntmachung <strong>des</strong> Vergehens und <strong>der</strong> Strafen durch die gelesensten<br />
Zeitungen”. 36<br />
So haben andrerseits Oppenheim und Moebius weniger aus theoretischen<br />
als aus praktisch-ethischen Gründen gegen Seeligmüller, Schultze und an<strong>der</strong>e<br />
Simulantenentlarver Stellung genommen. So schrieb zum Beispiel Oppenheim, er<br />
kritisiere Schultzes Ansichten, “weil sie, wenn anerkannt …, e<strong>in</strong>en … Rückschritt<br />
bedeuten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis und Würdigung von Krankheitszuständen, <strong>der</strong>en<br />
Beurtheilung nicht etwa e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> wissenschaftliches Interesse bietet, son<strong>der</strong>n entscheidend<br />
ist für das Geschick … unglücklicher Individuen”. “Die enorme forensische<br />
Wichtigkeit dieser Fragen” veranlasse ihn zu se<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>s raschen und heftigen<br />
Stellungnahme. 37 Auch gegen Seeligmüller führte Oppenheim im Laufe se<strong>in</strong>es<br />
Streites das ethische Argument <strong>in</strong>s Feld. Er würde sich <strong>in</strong> diesen Streit nicht e<strong>in</strong>lassen,<br />
schrieb er, wenn er <strong>in</strong> Seeligmüller nicht e<strong>in</strong>e Gefahr zu bekämpfen hätte, “die<br />
Gefahr nämlich, dass <strong>der</strong> praktische Arzt … e<strong>in</strong> krankes Individuum <strong>der</strong> Simulation<br />
beschuldige”. 38 Ganz ähnlich bezichtigt Moebius Seeligmüller “e<strong>in</strong>er objectiv <strong>in</strong>humanen<br />
Behandlung mancher Kranken”. 39<br />
Die <strong>Begriff</strong>e <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> e<strong>in</strong>erseits, <strong>der</strong> somatischen Grundlage und<br />
<strong>des</strong> Unbewussten andrerseits waren also nicht nur für die Neurosetheorie wichtig.<br />
Sie waren auch von fundamentaler praktischer Bedeutung. Ernst Kretschmer<br />
(1888-1964) schrieb <strong>des</strong>halb später, dass <strong>in</strong> praktischer H<strong>in</strong>sicht “die ‘organische’<br />
Theorie und die Theorie <strong>des</strong> Unbewussten trotz äusserster Unähnlichkeit ihrer<br />
Voraussetzungen <strong>in</strong> dem Schutz <strong>des</strong> Hysterikers vor strenger Verantwortung e<strong>in</strong><br />
Stück weit zusammentreffen”. 40
<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> 127<br />
Bis zum Ersten Weltkrieg wurde nun die Frage <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> bei traumatischen<br />
Neurosen e<strong>in</strong>igermassen im Oppenheim-Moebiusschen S<strong>in</strong>ne gelöst.<br />
Es spielte sich e<strong>in</strong>e zwar wenig e<strong>in</strong>heitliche aber im ganzen grosszügige<br />
Begutachtungspraxis e<strong>in</strong>. Oppenheims Buch galt als ziemlich autoritativ. Die<br />
Entlarvung von Simulanten galt dank dem Kuehn-Moebiusschen Satz nicht mehr<br />
für fe<strong>in</strong>.<br />
Da brach aber 1914 <strong>der</strong> Krieg und mit ihm die erwähnte furchtbare<br />
Kriegsneurosen-Epidemie aus. Scharenweise, zu Tausenden kamen nun plötzlich die<br />
sogenannten “Kriegszitterer” <strong>in</strong> ärztliche Behandlung und verlangten, als traumatische<br />
Neurotiker <strong>in</strong>folge von Granatexplosionen und Ähnlichem dienstentlassen und<br />
entschädigt zu werden. Die deutsche Armee wäre, befürchtete man, rasch auf wenig<br />
zusammengeschmolzen und die F<strong>in</strong>anzkraft Deutschlands wäre bald erschöpft<br />
gewesen, wenn unter diesen Umständen die Lehren von Oppenheim und Moebius<br />
weiter gegolten hätten. Man konnte im Interesse <strong>des</strong> Vaterlan<strong>des</strong> die Symptome <strong>der</strong><br />
Kriegsneurose nicht mehr als determ<strong>in</strong>iert betrachten – man musste die Soldaten<br />
mit ihrem <strong>freien</strong> Willen für sie haftbar machen. Kurzentschlossen stellte man nun<br />
wie<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>determ<strong>in</strong>istische Theorie um: man führte, bald naturwissenschaftlich,<br />
bald offen pragmatistisch argumentierend, den <strong>freien</strong> Willen wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>.<br />
Es “wird uns”, schrieb Kretschmer <strong>in</strong> diesem Zusammenhang, “die bittere soziale<br />
Notwendigkeit zw<strong>in</strong>gen, diesen Neubau aufzurichten. Denn <strong>der</strong> jetzige Zustand <strong>der</strong><br />
Unklarheit …, <strong>der</strong> aus dem Gebiet <strong>der</strong> Theorie <strong>in</strong> ärztliche Begutachtungsfragen<br />
von grösster sozialer Tragweite h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>greift, ist … unerfreulich … Es ist vor allem<br />
das Simulationsproblem <strong>der</strong> wunde Punkt, an dem die hergebrachte Art <strong>der</strong> neurologischen<br />
Begutachtung bisher … versagt hat”. 41 Man wollte zwar nicht wie<strong>der</strong> von<br />
Simulation und Simulanten sprechen, aber man nannte nun alle Kriegsneurotiker<br />
Hysteriker und führte den <strong>freien</strong> Willen <strong>in</strong> die Aetiologie <strong>der</strong> Hysterie e<strong>in</strong>. Mit<br />
dieser Entwicklung eng verwoben war das S<strong>in</strong>ken <strong>des</strong> “Krankheitswerts” 42 <strong>der</strong><br />
Hysterie, wie überhaupt die <strong>Begriff</strong>e <strong>des</strong> “<strong>freien</strong> <strong>Willens</strong>” und <strong>der</strong> “Krankheit” sich<br />
im Bezug auf ihre praktisch-soziologische Bedeutung oft kontrapunktisch bewegen.<br />
43 Mayer-Gross konnte daher 1919 kritisch bemerken: “Zwei <strong>Begriff</strong>e s<strong>in</strong>d …<br />
bei den Erwägungen über die hysterische Reaktion stark mit Wertungen durchsetzt<br />
… Zunächst <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Krankheit … <strong>Der</strong> 2. noch erheblich vieldeutigere<br />
<strong>Begriff</strong> … ist <strong>der</strong> freie Wille”. 44 Man sprach nun davon, dass die Kriegsneurose<br />
“nur auf e<strong>in</strong>er gestörten <strong>Willens</strong>tätigkeit” (Struempell), 45 auf “<strong>Willens</strong>versagung”<br />
(Weygandt), “<strong>Willens</strong>hemmung” (Boettiger), “<strong>Willens</strong>sperrung” (Holzmann), 46<br />
“Wille zur Krankheit” 47 beruhe und me<strong>in</strong>te damit, die Kriegsneurotiker seien für ihr<br />
Krankheitsbild selbst verantwortlich. “<strong>Der</strong> … Arzt …”, schreibt Mart<strong>in</strong> Reichardt 1916<br />
<strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne, “möge … nicht stets von ‘Nervenschwäche’ sprechen, wenn e<strong>in</strong>e<br />
ganz gewöhnliche … <strong>Willens</strong>schwäche vorliegt”, 48 <strong>der</strong> Schweizer Otto Nägeli (1871-<br />
1938) 1917: “Also die Leute … wollen nicht”. 49 “Die Hauptschuld bei <strong>der</strong> Entstehung<br />
<strong>der</strong> traumatischen Neurosen … fällt auf den Unfallpatienten selbst. Ihm gebricht<br />
es vielfach am guten Willen, gesund zu werden”. 50 “Das <strong>Willens</strong>problem ersche<strong>in</strong>t<br />
mir … nach den Kriegserfahrungen das wesentlichste” schreibt Karl Poenitz <strong>in</strong>
128 <strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger<br />
e<strong>in</strong>er Broschüre: “Die kl<strong>in</strong>ische Neuorientierung zum Hysterieproblem unter dem<br />
E<strong>in</strong>flusse <strong>der</strong> Kriegserfahrungen” (1921). 51<br />
Den Grund zu dieser Neuorientierung hatte schon 1911 Karl Bonhoeffer<br />
(1868-1948) gelegt. “Was dem hysterischen Typus se<strong>in</strong>e charakteristische Farbe<br />
verleiht”, hatte er geschrieben, “ist, dass die Abspaltung <strong>der</strong> psychischen Komplexe<br />
unter dem E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haltlich bestimmt gearteten <strong>Willens</strong>richtung geschieht.<br />
Das Durchsche<strong>in</strong>en dieser <strong>Willens</strong>richtung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankheitsdarstellung ist das,<br />
was uns speziell als hysterisch imponiert. Die häufigste Form <strong>der</strong> hysterischen<br />
<strong>Willens</strong>richtung ist <strong>der</strong> Wille zur Krankheit. Ich glaube nicht, dass man bei dem<br />
Hysteriebegriff um die E<strong>in</strong>stellung e<strong>in</strong>es solchen <strong>Willens</strong>moments herumkommt”. 52<br />
Bei den Unfallneurosen ist es <strong>der</strong> Wunsch nach Entschädigung, <strong>der</strong> dem hysterischen<br />
Willen se<strong>in</strong>e Richtung gibt.<br />
<strong>Der</strong> Krieg verhalf den Bonhoefferschen Ansichten zur Anerkennung. Plötzlich<br />
schien es nun ganz klar, dass den hysterischen Ersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong> zweckgerichteter<br />
Wille zugrunde liege: <strong>der</strong> Wille, zu überleben.<br />
Die genauere Begründung dieser Auffassung lieferte <strong>der</strong> damals 29-jährige<br />
Ernst Kretschmer. In zwei Aufsätzen legte er die theoretischen Grundlagen für die<br />
E<strong>in</strong>führung <strong>des</strong> <strong>Begriff</strong>s <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> <strong>in</strong> die Praxis <strong>der</strong> Hysterikerbehandlung.<br />
1917 schrieb er: “Hysterische Erkrankung und hysterische Gewöhnung”. 53 “Es<br />
soll hier”, so leitete er diesen Aufsatz e<strong>in</strong>, “das Grenzgebiet zwischen ‘Hysterie’<br />
und ‘Aggravation’, zwischen Nichtkönnen und Nichtwollen behandelt werden, wo<br />
es dem Arzte obliegt, den Teil e<strong>in</strong>es Symptombil<strong>des</strong>, <strong>der</strong> dem <strong>freien</strong> Willen <strong>des</strong><br />
Patienten erreichbar ist, abzuschätzen gegen den an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong>, eigentlich krankhaft,<br />
als automatischer Nervenvorgang abläuft”. 54 Dieses Grenzgebiet umschloss<br />
nun eben vor allem die “hysterische Gewöhnung”, <strong>der</strong>en Wesen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eigenartigen<br />
“Verschwisterung von bewusstem Willen und nervöser Selbsttätigkeit”<br />
bestand. Als “hysterische Gewöhnung” bezeichnete Kretschmer “alle Anomalien,<br />
die bei subjektiver Krankheitsüberzeugung objektiv … dem direkten Willen zugänglich<br />
s<strong>in</strong>d”. Es gibt zweierlei Arten hysterischer Gewöhnung: die primäre und<br />
die sekundäre. Die primäre hat “ihre Entstehung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Willens</strong>sphäre”, sekundäre<br />
hysterische Gewöhnung entsteht auf dem Boden e<strong>in</strong>er echten “hysterischen<br />
Erkrankung”. 55 Denn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Arbeit über die hysterische Gewöhnung konzedierte<br />
Kretschmer noch, dass es Fälle von echter hysterischer Erkrankung gebe, die<br />
ohne Vermittlung <strong>des</strong> bewussten <strong>Willens</strong> entstehen könnten. Die Symptome, “die<br />
nachweisbar den Bereich willkürlicher Innervationsmöglichkeiten überschreiten”,<br />
56 rechnete er den Hysterikern damals noch nicht als eigene Schuld zu. E<strong>in</strong><br />
Jahr später, 1918, revidierte er se<strong>in</strong> Konzept <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht. Je<strong>des</strong> hysterische<br />
Zustandsbild sollte nun gewollt se<strong>in</strong>. Die Arbeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kretschmer dies nachwies,<br />
trug den Titel: “Die Gesetze <strong>der</strong> willkürlichen Reflexverstärkung <strong>in</strong> ihrer<br />
Bedeutung für das Hysterie- und Simulationsproblem”. 57 Es war ihm nun klar, dass<br />
auch bei hysterischen Erkrankungen die primäre <strong>Willens</strong>beteiligung nicht fehle.<br />
Er nannte es nun e<strong>in</strong>en “Tatbestand …, dass wir e<strong>in</strong>e <strong>Willens</strong>beteiligung bei <strong>der</strong><br />
Entstehung solcher Störungen zu vermuten gezwungen s<strong>in</strong>d, <strong>der</strong>en Ausdrucks-
<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> 129<br />
formen gar nicht im Willkürbereich liegen”. Auch Reflexe, die an sich gänzlich willensunabhängig<br />
s<strong>in</strong>d, galten nun als “Gewohnheiten”: “Nicht grobe zielbewusste<br />
Simulation ist es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie, was den Reflexvorgang erhält …, son<strong>der</strong>n … das<br />
H<strong>in</strong>zugeben schwacher, diffuser <strong>Willens</strong>reize. Und diese … <strong>Willens</strong>impulse”, fährt<br />
Kretschmer fort, “können … sich … für das Subjekt fast bis zur Unkenntlichkeit verwischen”.<br />
Auch wenn die Kriegshysteriker sich <strong>der</strong> eigenen Verantwortlichkeit für<br />
ihr Krankheitsbild <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise bewusst waren, war solche Verantwortlichkeit<br />
also anzunehmen. “Es wäre <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat auffallend, wenn <strong>der</strong> Zitterer den psychologischen<br />
Verwischungsvorgang, <strong>der</strong> die Selbstwahrnahme <strong>der</strong> willkürlichen Reflexverstärkung<br />
<strong>in</strong> gesetzmässiger Weise begeleitet, sich nicht … zu se<strong>in</strong>er Selbstentlastung<br />
… zunutze machte”. 58 Auch Nichtbewusstes konnte also nicht-determ<strong>in</strong>iert<br />
se<strong>in</strong>. Nichtbewusstes unterlag dem E<strong>in</strong>fluss <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> nun genau so wie<br />
Bewusstes.<br />
Damit war nun also die ursächliche <strong>Willens</strong>beteiligung, die von Oppenheim<br />
und Moebius aus <strong>der</strong> Lehre von <strong>der</strong> traumatischen Neurose verbannt worden war,<br />
<strong>in</strong> diese Lehre wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geführt. <strong>Der</strong> Wille galt nun geradezu als die spezifische<br />
Ursache <strong>der</strong> Kriegshysterie. Dass unter diesen Umständen die Lehre von <strong>der</strong> materiellen<br />
Ursache <strong>der</strong> traumatischen Neurose verfemt wurde und <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong><br />
Unbewussten sich ke<strong>in</strong>er Beliebtheit mehr erfreuen konnte, ist begreiflich.<br />
Die materielle Natur <strong>der</strong> traumatischen Neurose wurde vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Person<br />
ihres prom<strong>in</strong>entesten Verfechters Oppenheim bekämpft. Während Oppenheim<br />
bis dah<strong>in</strong> gelegentlich kritisiert, se<strong>in</strong> Standpunkt aber als solcher geachtet worden<br />
war, fiel nach Kriegsanfang plötzlich je<strong>der</strong>mann über ihn her. Oppenheims<br />
Annahme organisch-molekularer Verän<strong>der</strong>ungen, die bis dah<strong>in</strong> <strong>der</strong> Annahme psychischer<br />
Verän<strong>der</strong>ungen bei den Unfallsneurosen nicht zu wi<strong>der</strong>sprechen geschienen<br />
hatte, wurde nun plötzlich zugunsten <strong>der</strong> psychologischen Interpretation als<br />
falsch abgelehnt. “Es muss mit Nachdruck den Bestrebungen Oppenheims entgegengetreten<br />
werden, die Fälle von traumatischer Neurose, Hysterie etc. den organischen<br />
Fällen anzunähern” schrieb Lewandowsky 1915. Diese Fälle seien ganz<br />
und gar psychisch bed<strong>in</strong>gt. 59 Max Nonne (1861-1959) führte als “Beweis” für die<br />
psychische und gegen die organische Natur <strong>der</strong> Kriegsneurose die therapeutischen<br />
Erfolge <strong>der</strong> Hypnose an. 60<br />
Schon bald nach Kriegsausbruch wurde man sich darüber e<strong>in</strong>ig, dass die<br />
Erfahrungen <strong>des</strong> Krieges die Oppenheimschen Ideen von e<strong>in</strong>em materiellen<br />
Substrat <strong>der</strong> traumatischen Neurosen wi<strong>der</strong>legt hätten. Oppenheims eigentlicher<br />
“Sturz” erfolgte aber erst 1916, an <strong>der</strong> Jahresversammlung <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
Deutscher Nervenärzte <strong>in</strong> München, an <strong>der</strong> sogenannten “Kriegstagung”. An den<br />
“Sturz” e<strong>in</strong>es Machthabers er<strong>in</strong>nert jenes Ereignis tatsächlich. Oppenheim versuchte,<br />
se<strong>in</strong>en somatisch-mediz<strong>in</strong>ischen Standpunkt tapfer noch zu verteidigen,<br />
musste sich schliesslich aber geschlagen geben. 61 “Die Diskussion war gigantisch”<br />
berichtet Nonne, “34 Redner kamen zu Wort, nur 3 konnten sich Oppenheim’s<br />
Auffassung e<strong>in</strong>es organisch bed<strong>in</strong>gten, abgeschlossenen, charakteristischen<br />
Krankheitsbil<strong>des</strong> anschliessen … Ich habe <strong>in</strong> den mehr als 60 Jahren, die ich jetzt
130 <strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger<br />
Neurologe b<strong>in</strong>, so erregte wissenschaftliche Verhandlungen nie wie<strong>der</strong> erlebt, aber<br />
<strong>der</strong> Erfolg war <strong>der</strong> Mühe wert. Schon wenige Tage nach <strong>der</strong> Münchener Versammlung<br />
erklärte Oppenheim se<strong>in</strong>en Rücktritt als Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft mit<br />
<strong>der</strong> Begründung: ‘Wenn e<strong>in</strong>e überwältigende Majorität me<strong>in</strong>e wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse ablehnt, kann ich Vertrauen nicht mehr beanspruchen”. Oppenheim<br />
ist aus se<strong>in</strong>em Depressionszustand nie mehr ganz herausgekommen”. 62 Oppenheim<br />
ist 1919 gestorben.<br />
Natürlich g<strong>in</strong>g es auch bei diesem Kampf gegen Oppenheims Lehre ke<strong>in</strong>eswegs<br />
nur um e<strong>in</strong> theoretisches Problem. Auch hier g<strong>in</strong>g es um etwas sehr Konkretes: um<br />
das Vaterland.<br />
Ewald Stier (geb. 1874)schrieb 1916 über Oppenheims Annahme organischmaterieller<br />
Verän<strong>der</strong>ungen bei traumatischen Nervenleiden, sie sei “geradezu<br />
verhängnisvoll <strong>in</strong> praktisch-materieller Beziehung”. 63 “Es muss mit Nachdruck<br />
den Bestrebungen Oppenheims entgegengetreten werden, die Fälle von traumatischer<br />
Neurose, Hysterie etc. den organischen Fällen anzunähern”, schrieb auch<br />
Max Lewandowsky (1876–1918) 1915. “Es liegt mir ebenso wie allen an<strong>der</strong>en<br />
Neurologen durchaus fern, die hysterisch Erkrankten o<strong>der</strong> die traumatischen<br />
Neurosen vom moralischen Standpunkt aus irgendwie zu kennzeichnen ... Für<br />
e<strong>in</strong>en Gesichtspunkt ist aber doch die Auffassung dieser D<strong>in</strong>ge als re<strong>in</strong> psychisch<br />
bed<strong>in</strong>gter Erkrankungen ausserordentlich wichtig, und zwar für die Bemessung<br />
<strong>der</strong> Entschädigungsansprüche durch Dienstbeschädigung. Ich b<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ansicht,<br />
dass man bei den funktionellen Erkrankungen die Rente sehr ger<strong>in</strong>g festsetzen<br />
muss ...”. 64 Aehnlich äusserten sich Nonne 65 und Alfred Saenger (1860–1921).<br />
“<strong>Der</strong> jetzt wie<strong>der</strong> ausgebrochene Streit unter den Neurologen ... muss bald ausgefochten<br />
werden, damit nicht wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> solcher Zustand e<strong>in</strong>tritt, wie wir ihn<br />
nach Ersche<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Oppenheimschen Schrift ‘Die traumatischen Neurosen’ erlebt<br />
haben. Tausende von Unfallneurotikern s<strong>in</strong>d ... viel zu weichlich, mitleidig<br />
und prognostisch falsch beurteilt worden” schrieb Saenger, und er schloss: “Es<br />
besteht ... die Gefahr, die im Kriege erworbenen Neurosen falsch zu bezeichnen...<br />
Dies schliesst ... e<strong>in</strong>e grosse wirtschaftliche Schädigung unseres Vaterlan<strong>des</strong> <strong>in</strong><br />
sich”. 66<br />
Auch die Theorie von <strong>der</strong> <strong>Willens</strong>abhängigkeit <strong>der</strong> Kriegshysterie war nicht<br />
grau und blutleer. Sie hatte auch ihre blutigen Konsequenzen. Sie rechtfertigte<br />
e<strong>in</strong>e willenskräftigende Therapie (die auch “psychische Behandlung” 67 genannt<br />
wurde) durch “kalte Duschen, kalte Packungen usw.”, 68 Isolierkuren,<br />
Urlaubsverweigerung, 69 scharfe Marschübungen und Exerzieren, 70 heilsamen<br />
Schützengraben- und Frontdienst 71 und durch die beliebte Applikation schmerzhafter<br />
elektrischer Ströme nach Kaufmann, 72 e<strong>in</strong>e Therapie, die sich fundamental von<br />
<strong>der</strong> Ruhe- und Erholungstherapie <strong>der</strong> Vorkriegszeit unterschied. Für Kretschmer<br />
rechtfertigte die Theorie von <strong>der</strong> <strong>Willens</strong>abhängigkeit <strong>der</strong> Kriegsneurose vor allem<br />
die Ausschliessung <strong>der</strong> Kriegshysteriker aus dem ärztlichen Gesichtsfeld und<br />
Tätigkeitsbereich. Er sprach denn auch lieber von “physiologischer <strong>Willens</strong>übung” 73
<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> 131<br />
und “durchfahrende[r] Pädagogik” 74 als von Therapie. “Denn dies ist klar”, schreibt<br />
Kretschmer, “es gibt e<strong>in</strong>e Grenze, wo das Recht <strong>des</strong> Hysterikers, speziell <strong>des</strong> Gewohnheitshysterikers,<br />
auf Behandlung e<strong>in</strong> Ende f<strong>in</strong>det. Nicht je<strong>der</strong> Dysbatiker, dem<br />
<strong>der</strong> schlechte Wille auf <strong>der</strong> Stirn geschrieben steht, kann verlangen, dass sich die ersten<br />
fachärztlichen Autoritäten um ihn bemühen...”. 75<br />
Die Lehre von <strong>der</strong> Psychogenie <strong>der</strong> traumatischen Neurosen hatte sich mith<strong>in</strong><br />
durchgesetzt. Psychogenie hiess aber zugleich: <strong>Willens</strong>abhängigkeit. Hätte man mit<br />
dem <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Psychogenie die Idee eigengesetzlicher unbewusster Vorgänge verbunden,<br />
wäre <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>n <strong>der</strong> neuen Lehre verloren gewesen.<br />
Man wendete sich nun also nicht nur gegen die somatisch-mediz<strong>in</strong>ische<br />
Erschütterungstheorie, son<strong>der</strong>n auch gegen die Theorie vom Unbewussten. Dies tat<br />
charakteristischerweise wie<strong>der</strong>um vor allem Ernst Kretschmer. Schon 1917 schrieb<br />
er, er halte “die Annahme unterbewusster Vorgänge, soweit es sich nicht um klare<br />
hysterische Krankheiten, das heisst um willensmässig unerklärbare D<strong>in</strong>ge handelt,<br />
für e<strong>in</strong>e überflüssige Hilfsvorstellung, nur geeignet, das feste Urteil, das wir zur<br />
Behandlung und Begutachtung <strong>des</strong> Hysterikers so notwendig brauchen, zu verwirren”.<br />
76 Und 1918, <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Arbeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er feststellt, die organische Theorie und<br />
die Theorie <strong>des</strong> Unbewussten träfen <strong>in</strong> praktischer H<strong>in</strong>sicht zusammen, schreibt<br />
er, die Psychologen seien unter sich une<strong>in</strong>s. “Die e<strong>in</strong>e Partei sucht möglichst ohne<br />
Umschweif bewusste <strong>Willens</strong>vorgänge <strong>in</strong> weitem Umfang als Hauptschuldige h<strong>in</strong>ter<br />
den hysterischen Ersche<strong>in</strong>ungsformen zu entlarven, diese letzteren also möglichst<br />
nahe an die Simulation heranzurücken... Die an<strong>der</strong>e Partei sucht dagegen umgekehrt<br />
von <strong>der</strong> Annahme unbewusster Seelenvorgänge, die auf komplizierten Bahnen ihr<br />
Erfolgsorgan bee<strong>in</strong>flussen, möglichst ausgiebigen Gebrauch zu machen und so die<br />
Verantwortung für se<strong>in</strong>e Symptome <strong>in</strong> demselben Mass dem Hysteriker abzunehmen,<br />
wie jene an<strong>der</strong>e sie ihm zuschiebt. Diese Gedankenrichtung nährt sich vor allem aus<br />
den theoretischen Anschauungen <strong>der</strong> psychoanalytischen Schule”. 77 “Wir haben”,<br />
schreibt <strong>der</strong> <strong>Willens</strong>theoretiker darauf, “alle ... Kausalketten pünktlich durchgesehen<br />
– und ke<strong>in</strong>e Lücke gefunden ... E<strong>in</strong> hypothetisches X ist nirgends <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rechnung<br />
aufgetreten. We<strong>der</strong> organisch bed<strong>in</strong>gte Umlagerungen und Reizvorgänge mussten<br />
zur Erklärung herangezogen werden, noch unverantwortliche Wirkungen aus den<br />
Tiefen e<strong>in</strong>es abgesperrten Unterbewusstse<strong>in</strong>s”. 78 1919 publizierte Kretschmer dann<br />
e<strong>in</strong>e zusammenfassende Arbeit “Zur Kritik <strong>des</strong> Unbewussten”. 79 “Noch nie hat e<strong>in</strong><br />
theoretisch konstruierter Hilfsbegriff so sehr praktisches Handeln tyrannisch beherrscht,<br />
wie dieses Unbewusste o<strong>der</strong> Unterbewusste, noch nie ist e<strong>in</strong> solcher so<br />
mit dem vollen Kurswert e<strong>in</strong>er längsterkannten Wahrheit beliehen von Hand zu<br />
Hand gegangen”, schreibt er da e<strong>in</strong>leitend. Am Anfang habe die Hypothese vom<br />
Unbewussten auf die Neurosenlehre befruchtend gewirkt, fährt er fort. “Verfolgt<br />
man nun aber die Entwicklung <strong>der</strong> Theorie <strong>des</strong> Unbewussten weiter, so ergibt<br />
sich, dass sie das typische Schicksal dieser Gedankend<strong>in</strong>ge erlitt. Sie wurde aus<br />
e<strong>in</strong>er Arbeitshypothese zu e<strong>in</strong>em Schuldogma. Je mehr ihr von allen Seiten fester<br />
Wahrheitswert beigelegt wurde, <strong>des</strong>to weniger zeigte sie sich mehr heuristisch<br />
produktiv. Ueberschlagen wir jetzt am Kriegsende, was uns gegenüber den riesi-
132 <strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger<br />
gen Massen von hysterischem Krankenmaterial die Hypothese <strong>des</strong> Unbewussten<br />
zur Lösung drängendster alter und neuer Fragen heuristisch genützt hat, so muss<br />
das Urteil vernichtend ausfallen. Sie hat uns nicht nur nichts genützt, vielmehr<br />
hat sie unsere diagnostische und therapeutische Tatkraft lahmgelegt und <strong>in</strong><br />
schiefe Bahnen gelenkt, idem wir uns auch den handgreiflichsten und naivsten<br />
Augenblickssimulationen gegenüber nicht mehr von <strong>der</strong> Zwangsvorstellung freimachen<br />
konnten, es könnte doch vielleicht etwas ‘Unbewusstes’ dah<strong>in</strong>ter stecken.<br />
So wurde die Begutachtung zur Unfruchtbarkeit verdammt...”. 80 Man kann <strong>in</strong><strong>des</strong>sen<br />
sehr gut ohne die Alternative Bewusst-Unbewusst, ohne den <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong><br />
Unbewussten arbeiten. “Man sagt herkömmlicherweise: Die Umsetzung <strong>des</strong> <strong>Willens</strong><br />
zur Krankheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Schütteltremor erfolgt beim Hysteriker im Unbewussten.<br />
Wir haben also den Ausdruck ‘das Unbewusste’ e<strong>in</strong>gesetzt zwischen e<strong>in</strong>en<br />
<strong>Willens</strong>vorgang und e<strong>in</strong>en Reflexvorgang, <strong>der</strong>en Korrelation wir nicht verstehen.<br />
... Glaubt man nun wirklich, dass wir sie für unsere Erkenntnis erhellen, wenn<br />
wir sie mit dem leeren Wort: ‘das Unbewusste’ überkleben? Wir suggerieren uns<br />
durch die Mystik unserer Ausdrucksweise, dass wir etwas wüssten, was wir nicht<br />
wissen. Es gibt aber nichts, was dem Wissen abträglicher ist, als die Me<strong>in</strong>ung zu<br />
wissen. Somit wäre es <strong>in</strong> unserem Fall besser zu sagen: e<strong>in</strong> Bewusstes (<strong>der</strong> Wille)<br />
wirkt auf e<strong>in</strong> Ausserbewusstes (den Reflex)...”. Die Hysterie lässt sich ohne “das<br />
Unbewusste” verstehen, sie entsteht aus dem “vielverschlungenen Wechselspiel<br />
zwischen Wille und Reflex”. “Das alle<strong>in</strong> Wesentliche an <strong>der</strong> Hysterie liegt nicht <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Gruppe von Phänomenen, die man herkömmlicherweise als das Unbewusste<br />
zusammenfasst. ... Die Hysterie liegt: im Willen und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Verhältnis zum psychophysischen<br />
Reflexapparat”. 81<br />
So zeigt die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> traumatischen Neurose <strong>in</strong> Deutschland, dass es<br />
zwischen praktischen Situationen und theoretischen Ansichten Zusammenhänge<br />
geben kann. Diese Zusammenhänge können kompliziert se<strong>in</strong>, sie können aber<br />
auch relativ e<strong>in</strong>fache Formen annehmen. So wurde <strong>in</strong> unserem Falle während <strong>des</strong><br />
Ersten Weltkriegs die wissenschaftliche Erkenntnis sehr weitgehend zur Diener<strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> aktuellen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedürfnisse. Diese<br />
Zusammenhänge können unbemerkt bestehen, ja geleugnet werden, o<strong>der</strong> im<br />
Rahmen e<strong>in</strong>es pragmatischen Denkens Anerkennung und För<strong>der</strong>ung f<strong>in</strong>den, wie<br />
<strong>in</strong> unserem Falle etwa durch Kretschmer. Kretschmer schrieb 1919: “Wir müssen<br />
uns die <strong>in</strong>nere Freiheit wahren, e<strong>in</strong>e Theorie je<strong>der</strong>zeit wie e<strong>in</strong> altes Kleid abzulegen,<br />
wenn sie aufgehört hat, uns zu nützen”. 82 Es wird dann zu e<strong>in</strong>er Frage <strong>der</strong><br />
Zielsetzung, was man als wissenschaftliche Wahrheit anerkennt und was nicht. 83<br />
Entsprechend hat Kretschmer se<strong>in</strong>e <strong>Willens</strong>theorie <strong>der</strong> Hysterie und se<strong>in</strong>e<br />
Ablehnung <strong>des</strong> “Unbewussten”, die er im Ersten Weltkrieg u.a. als beson<strong>der</strong>s<br />
nützlich angepriesen hatte, <strong>in</strong> späteren Jahren modifiziert: 1926 machte er die<br />
Symptome <strong>der</strong> Hysterie nicht mehr direkt von dem bewussten zweckgerichteten<br />
Willen <strong>der</strong> Patienten abhängig son<strong>der</strong>n von phylogenetisch älteren und tieferen<br />
Sphären, <strong>in</strong> denen “hypobulische” und “hyponoische” Mechanismen nach ihren
<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> 133<br />
“eigenen geschlossenen Gesetzmässigkeiten” funktionierten. 84 Entsprechend hat<br />
Kretschmer später auch se<strong>in</strong>e Theorie vom alten Kleid abgelegt. 1943 sagte er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Rede, die er als Dekan <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Fakultät <strong>in</strong> Marburg hielt: “Die Wissenschaft<br />
... ist ke<strong>in</strong> Schauspiel ... Für sie gibt es ke<strong>in</strong>e pathetische Wahrheit, die man heute bejubelt<br />
und morgen verwirft. Für sie gibt es nur die e<strong>in</strong>e klare Frage: richtig o<strong>der</strong> falsch.<br />
H<strong>in</strong>ter dieser Frage steht <strong>der</strong> Verzicht auf alle Attrappen und hohlen Worte, <strong>der</strong> unerbittliche<br />
Verzicht auf die bequemen Denkformen <strong>der</strong> Tagesme<strong>in</strong>ung, die unendliche<br />
Mühsal <strong>des</strong> Suchens und die schlichte Treue <strong>der</strong> Beobachtung und <strong>des</strong> Urteils”. 85<br />
<strong>Der</strong> junge Kretschmer hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit gelebt, die es als fortschrittlich empfand,<br />
wenn ihre Mediz<strong>in</strong> weniger nach wissenschaftlicher Erkenntnis und dem Wohl <strong>des</strong><br />
E<strong>in</strong>zelnen fragte als nach dem sozialen Ganzen. <strong>Der</strong> ältere Kretschmer hatte das Dritte<br />
Reich gesehen und daraus se<strong>in</strong>e Konsequenzen gezogen.<br />
ANMERKUNGEN<br />
1. Vgl. ERICHSEN, JOHN ERIC, On railway and other <strong>in</strong>juries of the nervous system. London 1866, S. 1–9.<br />
2. Diese Entwicklung knüpft sich an die Namen HERBERT PAGE, G. L. WALTON, JAMES THOMSEN.<br />
Vgl. ELLENBERGER, H. F., La conférence de Freud sur l’hystérie mascul<strong>in</strong>e. Inform. psychiat. XLIV (1968), S.<br />
922–923;<br />
FISCHER-HOMBERGER, ESTHER, Ursachen <strong>der</strong> traumatischen Neurose von <strong>der</strong> “Railway sp<strong>in</strong>e” bis nach dem<br />
Ersten Weltkrieg. Noch unpubliziert [1975 herausgekommen als: Die traumatische Neurose. Vom somatischen<br />
zum sozialen Leiden, Bern-Stuttgart-Wien; Neuauflage Giessen 2004].<br />
3. OPPENHEIM, HERMANN, Wie s<strong>in</strong>d die Erkrankungen <strong>des</strong> Nervensystems aufzufassen, welche sich nach<br />
Erschütterung <strong>des</strong> Rückenmarkes, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Eisenbahnunfällen, entwickeln? Berl. kl<strong>in</strong>. Wschr. (1888), S.<br />
170 (Referat: Wie s<strong>in</strong>d diejenigen Fälle von Neurasthenie aufzufassen...? Dtsche med. Wschr. XIV [1888]);<br />
OPPENHEIM, HERMANN, Die traumatischen Neurosen nach den <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nervenkl<strong>in</strong>ik <strong>der</strong> Charité <strong>in</strong> den letzten<br />
5 Jahren gesammelten Beobachtungen. Berl<strong>in</strong> 1889.<br />
4. Vgl. LEYDEN, ERNST VON, Kl<strong>in</strong>ik <strong>der</strong> Rückenmarks-Krankheiten. Bd 2, Berl<strong>in</strong> 1875, S. 93;<br />
ERB, WILHELM, Krankheiten <strong>des</strong> Rückenmarks (=Handbuch <strong>der</strong> speciellen Pathologie und Therapie, hrsg. v. H.<br />
v. ZIEMSSEN, Bd 11, 2. Hlfte). 2. Aufl., Leipzig 1878, S. 368;<br />
OPPENHEIM (1889) Die traumatischen Neurosen..., S. 125.<br />
5. Diese Entwicklung knüpft sich an die Namen HERBERT PAGE, KARL MOELI, HERMANN OPPENHEIM, ADOLF<br />
STRUEMPELL und EMIL KRAEPELIN.<br />
6. STRUEMPELL, ADOLF, Ueber die Untersuchung, Beurtheilung und Behandlung von Unfallkranken. Münch.<br />
med. Wschr. XLII (1895), S. 1137.<br />
7. NAEGELI, OTTO, Unfalls- und Begehrungsneurosen (=Neue Deutsche Chirurgie, Bd 22). Stuttgart 1917;<br />
STIER, EWALD, Die traumatischen Neurosen (=Spezielle Pathologie und Therapie <strong>in</strong>nerer Krankheiten, hrsg. v.<br />
F. KRAUS und TH. BRUGSCH, Bd 10, 3. Teil). Berl<strong>in</strong>-Wien 1924, S. 295;<br />
PICCARD, P., Versicherungsneurosen. In: LAUBER, W., Praxis <strong>des</strong> sozialen Unfallversicherungsrechts <strong>der</strong><br />
Schweiz, Bern 1928, S. 309.
134 <strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger<br />
8. HERBART, JOHANN FRIEDRICH, Lehrbuch zur Psychologie. Königsberg-Leipzig 1816, S. 108.<br />
9. HEGNER, R., Die Illusion <strong>der</strong> <strong>Willens</strong>freiheit und das Bewusstse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Verantwortlichkeit, (o. O.) 1903.<br />
10. Vgl. EISLER, RUDOLF, Wörterbuch <strong>der</strong> philosophischen <strong>Begriff</strong>e. 4. Aufl., Bd 3, Berl<strong>in</strong> 1930, “Voluntarismus”,<br />
“<strong>der</strong> Ausdruck ‘voluntaristisch’ stammt von TÖNNIES, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 1883; wurde von<br />
PAULSEN aufgegriffen (E<strong>in</strong>l. i. d. Phil., 1892, S. 116 ff.) und ist seitdem <strong>in</strong> Gebrauch...”.<br />
11. ÉMILE COUÉs Buch, das <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Uebersetzung Die Selbstmeisterung durch bewusste<br />
Autosuggestion hiess, kam im französischen Orig<strong>in</strong>al erstmals 1913 heraus.<br />
12. Vgl. EISENLOHR, C., Bemerkungen über die traumatische Neurose. Berl. kl<strong>in</strong>. Wschr. XXVI (1889), S. 1129;<br />
EISENLOHR spricht von e<strong>in</strong>er “Intentions-Neurose”;<br />
CIMBAL, WALTER, Die Zweck- und Abwehrneurosen als sozialpsychologische Entwicklungsformen <strong>der</strong><br />
Nervosität. Ztschr. f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie XXXVII (1917), S. 399–419.<br />
13. Vgl. BRUNS, LUDWIG, Neuere Arbeiten über die ‘traumatischen Neurosen’. Schmidt’s Jahrbücher CCXXX<br />
(1891), S. 84; REICHARDT, MARTIN, E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Unfall- und Invaliditätsbegutachtung. Jena<br />
1916, S. 370; POMETTA, D., Leitsätze für die ärztliche Unfallpraxis. Publikation <strong>der</strong> Schweizerischen<br />
Unfallversicherungsanstalt <strong>in</strong> Luzern, ca. 1918, S. 205.<br />
14. RIGLER, JOHANNES, Ueber die Folgen <strong>der</strong> Verletzungen auf Eisenbahnen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Verletzungen<br />
<strong>des</strong> Rückenmarks. Mit H<strong>in</strong>blick auf das Haftpflichtgesetz dargestellt. Berl<strong>in</strong> 1879.<br />
Vgl. BLOCH, ERNST, Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> traumatischen Neurose. Med. Kl<strong>in</strong>. II (1906), S. 1167.<br />
15. Vgl. etwa STRUEMPELL (1895), S. 1139-1140.<br />
16. So spricht sich z.B. HORN dagegen aus, dass man Simulation e<strong>in</strong>fach nur als Produkt e<strong>in</strong>er neuropathi-<br />
schen <strong>Willens</strong>schwäche entschuldige. S. HORN, PAUL, Die Simulation bei Unfallverletzten und Invaliden.<br />
Aerztliche Sachverständigen-Ztg XIX (1913), S. 227.<br />
17. STRUEMPELL (1895), S. 1166.<br />
18. HOFFMANN, ALBIN, Die traumatische Neurose und das Unfallversicherungs-Gesetz (= Samml. kl<strong>in</strong>.<br />
Vorträge, n. F. No. 17 [Innere Med. No. 7]). Leipzig 1891, S. 175-176.<br />
19. SCHULTZE, FRIEDRICH, Bemerkungen über die traumatische Neurose. (Referat) Neurol. Centralbl. VIII<br />
(1889), S. 402;<br />
BRUNS, LUDWIG, Die traumatischen Neurosen, Unfallsneurosen (=Specielle Pathologie und Therapie, hrsg.<br />
v. H. NOTHNAGEL, Bd 12, 1. Teil, 4. Abt.). Wien 1901, S. 78–79. (Vgl. auch Fussnote 13).<br />
20. Vgl. KRAEPELIN, EMIL, Psychiatrie. 3. Aufl., Leipzig 1889, S. 432-433;<br />
SEELIGMUELLER, ADOLF, Weitere Beiträge zur Frage <strong>der</strong> traumatischen Neurose und <strong>der</strong> Simulation bei<br />
Unfallverletzten. Dtsche med. Wschr. XVII (1891), S. 982;<br />
JOLLY, FRIEDRICH (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion “Ueber die traumatischen Neurosen” am Congress für <strong>in</strong>nere Mediz<strong>in</strong>,<br />
Wiesbaden 1893). Verhandlungen <strong>des</strong> Congresses für <strong>in</strong>nere Mediz<strong>in</strong>, Wiesbaden 1893, Bd 12, S. 157;<br />
LEPPMANN, FRIEDRICH, Simulation von Nervenkrankheiten. In: Die Simulation von Krankheiten und ihre<br />
Beurteilung. Hrsg. v. L. BECKER, Leipzig 1908. S. 189 zitiert LEPPMANN den Satz von LASÈGUE: “On ne<br />
simule bien que ce qu’on a”.<br />
21. Vgl. OPPENHEIM (1888) Wie s<strong>in</strong>d die Erkrankungen...; OPPENHEIM (1889), Die traumatischen Neurosen...,<br />
S. 1–7.<br />
22. Vgl. WESTPHAL, CARL, E<strong>in</strong>ige Fälle von Erkrankung <strong>des</strong> Nervensystems nach Verletzung auf Eisenbahnen.<br />
Charité-Annalen V (1878) S. 379-394;<br />
FISCHER-HOMBERGER, ESTHER, Charcot und die Aetiologie <strong>der</strong> Neurosen. Gesnerus XXVIII (1971), S.<br />
40–42.
<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> 135<br />
23. OPPENHEIM, HERMANN, Ueber e<strong>in</strong>en sich an Kopfverletzungen und allgeme<strong>in</strong>e Körpererschütterung anschliessen-<br />
den cerebralen Symptomenkomplex. Berl. kl<strong>in</strong>. Wschr. XXI (1884), S. 725;<br />
OPPENHEIM, HERMANN, Weitere Mitteilungen über die sich an Kopfverletzungen und Erschütterungen (<strong>in</strong> specie:<br />
Eisenbahnunfälle) anschliessenden Erkrankungen <strong>des</strong> Nervensystems. Arch. f. Psychiatrie XVI (1885), S. 774–775;<br />
OPPENHEIM (1888), Wie s<strong>in</strong>d die Erkrankungen..., S. 170;<br />
OPPENHEIM (1889), Die traumatischen Neurosen..., S. 125.<br />
24. OPPENHEIM, HERMANN, Thatsächliches und Hypothetisches über das Wesen <strong>der</strong> Hysterie. Berl. kl<strong>in</strong>. Wschr. XXVII<br />
(1890), S. 553-555.<br />
25. OPPENHEIM (1889), Die traumatischen Neurosen…, S. 138–139.<br />
26. SEELIGMUELLER, ADOLF, (Kritik von OPPENHEIMs Die traumatischen Neurosen) Ztschr. f. kl<strong>in</strong>. Med. XV (1889), S.<br />
562.<br />
27. STRUEMPELL, ADOLF, Aus dem Leben e<strong>in</strong>es deutschen Kl<strong>in</strong>ikers. 2. Aufl. Leipzig 1925, S. 138.<br />
28. MOEBIUS, PAUL JULIUS, Ueber den <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Hysterie. Centralbl. f. Nervenheilkunde (etc.) XI (1888), S. 66.<br />
29. Id., S. 68–69.<br />
30. Vgl. ELLENBERGER, HENRI F., The discovery of the unconscious. New York 1970, S. 141-145.<br />
31. Vgl. FISCHER-HOMBERGER, Charcot und die Aetiologie <strong>der</strong> Neurosen... FISCHER-HOMBERGER, ESTHER,<br />
Hypochondrie. Bern 1970, S. 108–112.<br />
32. BREUER, JOSEF, und FREUD, SIGMUND, Ueber den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene. Neurol.<br />
Centralbl. XII (1893), S. 6.<br />
33. MOEBIUS, PAUL JULIUS, Bemerkungen über Simulation bei Unfall-Nervenkranken. Münch. med. Wschr. XXXVII<br />
(1890), S. 887–888; MOEBIUS, PAUL JULIUS, Weitere Bemerkungen über Simulation bei Unfall-Nervenkranken.<br />
Münch. med. Wschr. XXXVIII (1891), S. 677–680.<br />
34. MOEBIUS (1890), S. 887.<br />
35. MOEBIUS (1891), S. 680. MOEBIUS bezieht sich auf: KUEHN, ADOLF, Ueber die Geisteskrankheiten <strong>der</strong> Corrigenden.<br />
Arch. f. Psychiatrie XXII (1891), S. 649.<br />
36. SEELIGMUELLER, ADOLF, Erfahrungen und Gedanken zur Frage <strong>der</strong> Simulation bei Unfallverletzten. Dtsche med.<br />
Wschr. XVI (1890), S. 664.<br />
37. OPPENHEIM, HERMANN, Zur Beurtheilung <strong>der</strong> traumatischen Neurose. Neurol. Centralbl. VIII (1889), S. 471 und<br />
473. OPPENHEIM bezieht sich auf SCHULTZE (1889).<br />
38. OPPENHEIM, HERMANN (Entgegnung auf: SEELIGMUELLER, ADOLF, Zur Frage <strong>der</strong> Simulation von Nervenleiden<br />
nach Traumen. Neurol. Centralbl. VIII (1889), S. 570–572, 612.<br />
39. MOEBIUS (1891), S. 679.<br />
40. KRETSCHMER, ERNST, Die Gesetze <strong>der</strong> willkürlichen Reflexverstärkung <strong>in</strong> ihrer Bedeutung für das Hysterie- und<br />
Simulationsproblem. Ztschr. f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie XIL (1918), S. 358.<br />
41. Ibid.<br />
42. KRETSCHMER, ERNST, Hysterische Erkrankung und hysterische Gewöhnung. Ztschr. f. d. ges. Neurologie und<br />
Psychiatrie XXXVII (1917), S. 66–77.<br />
43. Vgl. FISCHER-HOMBERGER, ESTHER, <strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> “Krankheit” als Funktion aussermediz<strong>in</strong>ischer Gegebenheiten.<br />
Sudhoffs Archiv LIV (1970), S. 225–241.<br />
44. MAYER-GROSS, WILLY, Neuere Ansichten zur Frage Hysterie o<strong>der</strong> Simulation. Münch. med. Wschr. LXVI (1919), S.<br />
1067.<br />
45. STRUEMPELL, ADOLF, Die Schädigungen <strong>der</strong> Nerven und <strong>des</strong> geistigen Lebens durch den Krieg. Leipzig 1917, S. 17.<br />
46. Alle zit. n. CIMBAL, WALTER, Die Zweck- und Abwehrneurosen als sozialpsychologische Entwicklungformen <strong>der</strong>
136 <strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger<br />
Nervosität. Ztschr. f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie XXXVII (1917), S. 400.<br />
47. BONHOEFFER, KARL, Wie weit kommen psychogene Krankheitszustände und Krankheitprozesse vor, die nicht<br />
<strong>der</strong> Hysterie zuzurechnen s<strong>in</strong>d? Allg. Ztschr. f. Psychiatrie LXVIII (1911), S. 373.<br />
Vgl. auch GAUPP, ROBERT, Neurosen nach Kriegsverletzungen. (Vortrag, gehalten an <strong>der</strong> 8. Jahresversammlung<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft deutscher Nervenärzte [“Kriegstagung”], München 1916) Verhandlungen <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
deutscher Nervenärzte, 8. Jahresversammlung, S. 140.<br />
48. REICHARDT (1916), S. 358.<br />
49. NAEGELI (1917), S.8.<br />
50. Id., S. 52, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fussnote gibt NAEGELI daselbst auch e<strong>in</strong>en Ausspruch von PAUL HORN (1916) wie<strong>der</strong>: “Die<br />
grösste Zahl <strong>der</strong> Unfallsneurotiker trägt selbst die Schuld an ihrer sozialen Schädigung. Dabei liegt zweifellos<br />
böser Wille vor...”.<br />
51. POENITZ, KARL, Die kl<strong>in</strong>ische Neuorientierung zum Hysterieproblem unter dem E<strong>in</strong>flusse <strong>der</strong><br />
Kriegserfahrungen. Berl<strong>in</strong> 1821, Vorwort.<br />
52. BONHOEFFER (1911), S. 373.<br />
53. KRETSCHMER (1917), Ztschr.f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie XXXVII (1917), S. 64–91.<br />
54. Id., S. 64.<br />
55. Id., S. 66, 69 u. 77-79.<br />
56. Id., S. 91.<br />
57. KRETSCHMER (1918), Ztschr. f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie XIL (1918), S. 354–385.<br />
58. Id., S. 359-363.<br />
59. LEWANDOWSKY, MAX, Erfahrungen über die Behandlung nervenverletzter und nervenkranker Soldaten.<br />
Dtsche med. Wschr. XLI (1915), S. 1566.<br />
60. NONNE, MAX, Zur therapeutischen Verwendung <strong>der</strong> Hypnose bei Fällen von Kriegshysterie. Neurol. Centralbl.<br />
XXXV (1916), S. 136.<br />
61. (Diskussion an <strong>der</strong> “Kriegstagung”). Verhandlungen (1916), S. 150–184 und 191–214.<br />
62. NONNE, MAX, In memoriam Hermann Oppenheim und Ludwig Bruns anlässlich <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kehr ihres 100.<br />
Geburtstages. In: 50 Jahre Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Lübeck (1957), S. 30–31.<br />
63. STIER, EWALD (Rezension zu:) H. OPPENHEIM, Die Neurosen <strong>in</strong>folge von Kriegsverletzungen. Berl<strong>in</strong> 1916.<br />
Dtsche med. Wschr. XLII (1916), S. 647.<br />
64. LEWANDOWSKY (1915), S. 1566.<br />
65. NONNE (1916), S. 136–138.<br />
66. (Diskussion zu:) NONNE (1916), Neurol. Centralbl. XXXV (1916), S. 264–265.<br />
67. MOHR (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion an <strong>der</strong> “Kriegstagung”), Verhandlungen (1916), S. 201;<br />
Vgl. auch NONNE (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion an <strong>der</strong> “Kriegstagung”), Verhandlungen (1916), S. 210;<br />
WAGNER, Die Dienstbeschädigung bei nerven- und geisteskranken Soldaten. Ztschr. d. ges. Neurologie u.<br />
Psychiatrie XXXVII (1917), S. 234 ff.; KEHRER, Die Indikation zur aktiven Behandlung <strong>der</strong> Kriegsneurosen. In:<br />
Dienstbeschädigung und Rentenversorgung, hrsg. v. C. ADAM, Jena 1919, S. 65.<br />
68. FORSTER, E., Hysterische Reaktion und Simulation. Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie XLII (1917), S. 317.<br />
69. FOERSTER, O. (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion an <strong>der</strong> “Kriegstagung”), Verhandlungen (1916), S. 167; KRETSCHMER (1918), S. 372.<br />
70. WAGNER (1917), S. 235;<br />
KEHRER, Die Indikation zur aktiven Behandlung <strong>der</strong> Kriegsneurosen. In: Dienstbeschädigung und Rentenver-<br />
sorgung, hrsg. v. C. ADAM, Jena 1919, S. 59;<br />
POENITZ (1921), S. 26–27.
<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>des</strong> <strong>freien</strong> <strong>Willens</strong> 137<br />
71. NAEGELI (1917), S. 154–155; LILIENSTEIN (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion an <strong>der</strong> “Kriegstagung”), Verhandlungen (1916),<br />
S. 178 und 182; POENITZ (1921), S. 24.<br />
72. KAUFMANN, FRITZ, Die planmässige Heilung komplizierter psychogener Bewegungsstörungen bei Soldaten <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Sitzung. Feldärztliche Beilage zur Münch. med. Wschr. LXIII (1916), S. 802(354)–804(356);<br />
Vgl. auch FORSTER (1917), S. 317:<br />
WAGNER (1917), S. 234–235;<br />
CIMBAL, op. cit., S. 417–418.<br />
KAUFMANN nannte se<strong>in</strong>e Therapie auch: “militärische <strong>Willens</strong>überwältigung” (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion an <strong>der</strong><br />
“Kriegstagung”), Verhandlungen (1916) S. 161.<br />
73. KRETSCHMER (1917), S. 90.<br />
74. KRETSCHMER (1918), S. 384.<br />
75. KRETSCHMER (1917), S. 86.<br />
76. Id., S. 79.<br />
77. KRETSCHMER (1918), S. 358.<br />
78. Id., S. 378.<br />
79. KRETSCHMER, ERNST, Zur Kritik <strong>des</strong> Unbewussten. Ztschr. f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie XLVI (1919), S.<br />
368–387.<br />
Vgl. auch BUMKE, OSWALD, Das Unterbewusstse<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Kritik. Berl<strong>in</strong> 1926, S. 49: “Für uns Aerzte ist dieser ...<br />
Fragenkreis während <strong>des</strong> Krieges angesichts <strong>der</strong> zahlreichen Kriegshysteriker wie<strong>der</strong> aktuell geworden.”<br />
80. KRETSCHMER (1919), S. 368–369.<br />
81. Id., S. 374–375, 384 und 386–387.<br />
82. Id., S. 372.<br />
83. Vgl. TEMKIN, OWSEI, Historical reflections on the scientist’s virtue. Isis LX (1969), S. 427–438, beson<strong>der</strong>s S.<br />
434.<br />
84. KRETSCHMER, ERNST, Mediz<strong>in</strong>ische Psychologie. 3. Aufl., Leipzig 1926, S. 117–120, 187–188, 191–192 und<br />
212 ff.<br />
85. KRETSCHMER, ERNST, Gestalten und Gedanken. Stuttgart 1963, S. 163.