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Charcot und die Ätiologie der Neurosen - Esther Fischer-Homberger

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gen sein, <strong>die</strong> pathogen wirkten? Sollte Suggestion an <strong>der</strong> hysterischen Symptombildung<br />

beteiligt sein? Der Gedanke war naheliegend. Schon historisch waren<br />

Zusammenhänge zwischen Hysterie <strong>und</strong> Hypnose gegeben. Viele hergebrachterweise<br />

zur Hysterie gehörige Phänomene hätten so plausibel durchleuchtet werden<br />

können. CHARCOT selbst kannte das Phänomen <strong>der</strong> hysterischen Epidemien<br />

<strong>und</strong> fand in <strong>der</strong> Isolierung ein adäquates therapeutisches Mittel gegen<br />

Hysterie 20 . Wäre so nicht auch <strong>die</strong> traditionelle Ansicht, <strong>die</strong> Hysterie könne<br />

jede Form annehmen, verständlich geworden?<br />

Aber das war gerade einer von den Punkten, <strong>die</strong> CHARCOT daran hin<strong>der</strong>n<br />

muß ten, Vorstellungen, Gefühlen, Strebungen in <strong>der</strong> ganzen Hysterielehre<br />

ursächli che Bedeutung zuzumessen, <strong>die</strong> Suggestion zum allgemeinen Mechanismus<br />

in <strong>der</strong> Hysterieentstehung zu machen. CHARCOT hatte ja <strong>die</strong> Proteushaftigkeit<br />

<strong>der</strong> Hysterie eben gerade nicht gef<strong>und</strong>en, er kannte ja eben gerade<br />

ihre ganz be stimmte, von Ort, Zeit <strong>und</strong> Umständen unabhängige Symptomatik,<br />

ihren Ver lauf. Er hatte zwar <strong>die</strong> Läsionen, <strong>die</strong> ihr zugr<strong>und</strong>e lagen, nie gesehen,<br />

aber er wußte sie zu lokalisieren wie <strong>die</strong> <strong>der</strong> multiplen Sklerose o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er<br />

neurologi scher Krankheiten. Die Annahme pathogener Vorstellungen hätte in<br />

<strong>die</strong>sem Sy stem nur störend gewirkt.<br />

Zweitens wäre es im Rahmen von CHARCOTS Konzept nötig gewesen, daß bei<br />

Hysterie irgendwelche spontane hypnotische Zustände aufgetreten wären, damit<br />

<strong>die</strong> Suggestion bei ihr hätte wirksam werden können. FREUD <strong>und</strong> BREUER<br />

haben später tatsächlich das Auftreten von «hypnoide[n] Zustände[n]» als ein<br />

«Gr<strong>und</strong> phänomen» <strong>der</strong> hysterischen Neurose angenommen 21 . CHARCOT entschloß<br />

sich zu einem solchen Umbau seiner Hysterielehre nicht.<br />

Ein Drittes mag CHARCOT neben Prestige- <strong>und</strong> Verbissenheitsgründen<br />

noch davon abgehalten haben, <strong>die</strong> Lehren <strong>der</strong> Hypnose zur Säule seiner<br />

Hyste rielehre zu machen: er war nicht Psychologe <strong>und</strong> wollte keiner<br />

sein. Nun be trachtete er zwar <strong>die</strong> Hypnose als eine Neurose, Nervenkrankheit<br />

sine mate ria, <strong>und</strong> deutete <strong>die</strong> suggestiven Worte, Bewegungen, Empfindungen<br />

nicht als psychologische, son<strong>der</strong>n als physische Agentien <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

dadurch hervor gerufenen Vorstellungen <strong>und</strong> Gefühle physiologisch. Trotzdem<br />

waren <strong>die</strong> Größen, mit denen er da umging, psychologische, nicht nur,<br />

20 Ebenda, S. 235 ff., <strong>und</strong>: JEAN-MARTIN CHARCOT, Poliklinische Vorträge, Band 1, Schuljahr<br />

1887/88, Übersetzt von SIGMUND FREUD, Leipzig/Wien 1892, S. 137.<br />

21 SIGMUND FREUD, Sammlung kleiner Schriften zur <strong>Neurosen</strong>lehre aus den Jahren 1893-1906,<br />

2. Auflage, Leipzig/Wien 1911, S. 22-24.<br />

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