Fachhochschule Mainz University of Applied Sciences

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20.01.2013 Aufrufe

B2B in Theorie und Praxis bei der Deutschen Lufthansa AG Diplom-Wirtschaftsinformatiker Gerold Carl | Gerold Carl | Diplom-Wirtschaftsinformatiker, Leiter e-Purchasing, Deutsche Lufthansa AG, Frankfurt Abb. 1: Entwicklung des e-Business in Deutschland (Quelle: Gartner Research and Advisory Services/ FAZ vom 18.10.2001) Jahrbuch Wirtschaftswissenschaften | FH Mainz | 2002 Was ist eigentlich neuerdings in der Wirtschaft los? Kurzbegriffe wie B2B, B2C oder B2G, die der englischsprachigen Subkultur entsprungen scheinen und einen an Popmusik und die einschlägige Szene denken lassen, machen sich in der seriösen Wirtschaftsliteratur und im Sprachgebrauch des Managements breit. Ausdruck eines Jugendlichkeitswahns oder eine dieser Moden, die uns die Beraterbranche so häufig aufgezwungen hat und die so rasch verglühen wie Sylvesterraketen? Beileibe nicht. Wir beobachten vielmehr einen tiefgreifenden Wandel in der Wirtschaftsstruktur und im Zusammenarbeiten von Unternehmen, indem die Vorzüge und Potenziale des Internet Einzug in die Unternehmensprozesse und in deren Vernetzung mit der Umwelt halten. Business-to-Business (B2B), und Business-to-Consumer (B2C) stehen dabei für die Veränderungen der Beschaffungs- und Absatzmärkte durch den Einsatz elektronischer Tools zur Unterstützung der Prozesse des sogenannten Supply-chain Managements (SCM). Die Veränderungen im Rahmen der Einbindung der öffentlichen Administration werden unter dem Begriff Business-to-Government (B2G) zusammengefasst. Wo stehen wir heute? Mitte der 90er Jahre entstand eine Bewegung, die unter dem Begriff „new economy“ unzählige neue Unternehmen rund um das Internet wie Pilze aus dem Boden schießen ließ. Vielen dieser Unternehmen war gemein, dass sie mit phantastischen Visionen Kapi- | Unternehmensfocus | 65 talanleger überzeugen konnten. Die Gesetze der Betriebswirtschaft schienen für die dotcoms, wie die Unternehmen in Anspielung auf ihre Internetadressen genannt werden, außer Kraft gesetzt. Der Höhepunkt dieses Hype mit seinen überzogenen Erwartungen war 1999 erreicht, als AOL Time-Warner übernahm. Viele der neuen Unternehmen hatten Börsenkapitalisierungen erreicht, die um ein Vielfaches über denen etablierter Unternehmen der „old economy“ lagen, ohne jemals einen Gewinn geschrieben zu haben geschweige denn eine Aussicht auf Gewinn in absehbaren Zeiträumen zu repräsentieren. 2000 platzte die Seifenblase und ließ überwiegend Verlierer auf der Anlegerseite auf dem Neuen Markt wie auch auf der Mitarbeiterseite zurück. Der Hysterie folgte die Desillusionierung der Investoren und der Unternehmen. Der beschriebene Verlauf, dass einer Phase der Überschwänglichkeit eine Phase der Ernüchterung folgt, ist in vielen Prozessen zu beobachten und macht Mut. Die meisten Projekte kennen derartige Verläufe. Bei erfolgreichen Projekten folgt auf die Phase der Ernüchterung meist eine Phase der Besinnung und der nachhaltigen Konsolidierung und Rentabilität. Der Kaiser ist tot, es lebe der Kaiser. Zur Zeit befinden wir uns am Ausgang des „Tals der Tränen“ mit deutlichen Tendenzen der Besinnung und Konsolidierung. Vielen Visionen der dot-coms liegen Ideen zugrunde, deren Umsetzung unter Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Maßstäbe erfolgversprechend sind, zumal sich der Markt und die Kundenwahrnehmung in den letzten Jahren entsprechend weiterentwickelt haben. Zu diesem Wandel haben auch wesentlich die erfolgreichen dot-coms beigetragen – beispielhaft seien hier ebay und Amazon genannt. Das Gartner Institute geht in seiner Analyse des e-Business in der deutschen Wirtschaft davon aus, dass sich die Durchdringung auf der Vertriebs- und Beschaffungsseite in den nächsten Jahren rapide durchsetzen wird (s. Abb. 1). Die zweite Generation des e-Business basiert allerdings auf nachhaltigeren, realistischeren Geschäftsmodellen mit stärkerer Effizienzorientierung. Obwohl die Relevanz des e-Business nach einer Umfrage von Cap Gemini Ernst & Young von dreiviertel der befragten Unternehmen gesehen wird, ver-

66 | Unternehmensfocus | fügt erst knapp die Hälfte der Unternehmen über eine geeignete e-Business-Strategie; knapp 80% der Unternehmen sehen sich sogar erst in der Initiierungs- und Aufbauphase. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die flächendeckende Durchdringung noch einiger Jahre bedarf. Der Deutschen Lufthansa AG ist es bereits gelungen, einen großen Teil dieses Veränderungsprozesses zu antizipieren. Im Rahmen einer Studie des Bundesverbandes für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) zum Stand der Nutzung von e-Commerce in den unterschiedlichen Unternehmensprozessen wurde die Deutsche Lufthansa AG in diesem Jahr als am besten ausgerüstetes der untersuchten Unternehmen in der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet. Wo geht die Reise hin? Die Weiterentwicklung des e-Business wird von fünf Marktplatztypen geprägt, die als Ablösung und Weiterentwicklung des elektronischen Datenaustausches auf Basis EDI (Electronic Data Interchange) zu sehen sind. Die Klassifizierung dieser Marktplatztypen erfolgt nach ihrer Reichweite und ihrem Informationsgehalt bzw. ihrem Abdeckungsgrad der in Frage kommenden Prozesskette (s. Abb. 2). Dabei ist festzustellen, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Typen Abb. 2: Marktplatztypen oftmals fließend sind. Gerade diese fließenden Übergange zwischen den einzelnen Marktplatztypen bieten die Wachstums- und Konsolidierungsperspektiven, die Anlass zur Hoffnung geben, dass der Entwicklungsprozess am Ende auch dauerhafte Rentabilität generiert. Prozessintegration durch Private Exchanges Private Exchanges dienen Großunternehmen meist als eigene Lösungen zur Optimierung der Wertschöpfung mit ausgewählten Partnern entlang festgelegter Prozessketten. Ein interessantes Beispiel eines Private Exchange Marktplatzes ist die Plattform DECS (Defense Electronic Commerce System) des britischen Verteidigungsministeriums. DECS ist dabei nicht nur eine Plattform für die Lieferanten des Verteidigungsministeriums, sondern bindet auch weitere Marktplätze und Ministerien ein. Die Vorteile dieses Marktplatztyps liegen vor allem in der optimalen Einbindung der teilnehmenden Partner in die Prozesskette und dem damit verbundenen Informationsaustausch. Diese Vorteile erkauft man sich allerdings mit einem Flexibilitätsverlust, da ein Austausch von Partnern sowie eine Ausweitung in der Regel mit hohen Investitionen in die vorhandene IT-Infrastruktur verbunden ist. Additive Dienstleistungen durch e-Service-Exchanges Das Ermöglichen von Flexibilität sowie die Verringerung von Markteintrittsbarrieren haben sich die Anbieter zum Ziel gesetzt, die zum Kreis der e-Service-Exchange-Anbieter gezählt werden. In der Regel bieten diese Unternehmen keine kompletten e-Commerce-Lösungen, sondern decken nur bestimmte Teilprozesse ab. Beispielhaft sei hier das Unternehmen Coface genannt, das mit einer Reihe von e-Services wie Kreditprüfung (@rating Services), Zertifizierung eines Unternehmens (@rating quality labels) oder Versicherung von B2B-Transaktionen gegen Zahlungsausfall (@rating Protection) andere Marktplatzbetreiber unterstützt. Bei den angebotenen Services handelt es sich in der Regel um Leistungen, deren individuelle Bereitstellung durch die einzelnen Marktplätze wirtschaftlich nicht sinnvoll ist oder die eine Ergänzung außerhalb der Kernkompetenz des jeweiligen Marktplatzes darstellen (Add-on Services). Kollaborative Beschaffung durch Vertikale Marktplätze Vertikale Marktplätze stellen gewissermaßen die Weiterentwicklung der Private Exchanges hin zu offenen Plattformen dar, die die Wertschöpfung entlang des Beschaffungsprozesses optimieren und die Fähigkeit zur kollaborativen Beschaffung mit Partnern ermöglichen sollen. Ein erfolgreicher Vertikaler Marktplatz ist Covisint in der Automobilbranche, der die Prozesse von der gemeinsamen Produktentwicklung über Ausschreibung, Kontrahierung, Bestellung bis hin zu Disposition und begleitende Services abdeckt. Mit der Auktionierung des Chassis für die Mercedes M-Klasse zu einem Volumen von 3,5 Mrd. EUR wurde die bisher größte einzelne Auktion auf einem Marktplatz über Covisint abgewickelt. Die Deutsche Lufthansa AG selbst ist an drei Vertikalen Marktplätzen beteiligt – Jet-A.com, Aeroxchange und eLSG. Der Marktplatz Jet-A.com ist ein Portal für den Treibstoffeinkauf, das gemeinsam von fünf führenden Mineralölgesellschaften und 23 Fluggesellschaften gegründet wurde. Der Fokus dieses Portals ist nicht der Treibstoffhandel an sich, der an den bekannten Spotmärkten erfolgt, sondern die erforderlichen Dienstleistungen. Ziel ist die Steigerung der Jahrbuch Wirtschaftswissenschaften | FH Mainz | 2002

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fügt erst knapp die Hälfte der Unternehmen<br />

über eine geeignete e-Business-Strategie;<br />

knapp 80% der Unternehmen sehen sich<br />

sogar erst in der Initiierungs- und Aufbauphase.<br />

Deshalb ist es nicht verwunderlich,<br />

dass die flächendeckende Durchdringung<br />

noch einiger Jahre bedarf.<br />

Der Deutschen Lufthansa AG ist es bereits<br />

gelungen, einen großen Teil dieses Veränderungsprozesses<br />

zu antizipieren. Im Rahmen<br />

einer Studie des Bundesverbandes für Materialwirtschaft,<br />

Einkauf und Logistik (BME)<br />

zum Stand der Nutzung von e-Commerce in<br />

den unterschiedlichen Unternehmensprozessen<br />

wurde die Deutsche Lufthansa AG in<br />

diesem Jahr als am besten ausgerüstetes der<br />

untersuchten Unternehmen in der deutschen<br />

Wirtschaft ausgezeichnet.<br />

Wo geht die Reise hin?<br />

Die Weiterentwicklung des e-Business wird<br />

von fünf Marktplatztypen geprägt, die als<br />

Ablösung und Weiterentwicklung des elektronischen<br />

Datenaustausches auf Basis EDI<br />

(Electronic Data Interchange) zu sehen sind.<br />

Die Klassifizierung dieser Marktplatztypen<br />

erfolgt nach ihrer Reichweite und ihrem<br />

Informationsgehalt bzw. ihrem Abdeckungsgrad<br />

der in Frage kommenden Prozesskette<br />

(s. Abb. 2). Dabei ist festzustellen, dass<br />

die Grenzen zwischen den einzelnen Typen<br />

Abb. 2: Marktplatztypen<br />

<strong>of</strong>tmals fließend sind. Gerade diese fließenden<br />

Übergange zwischen den einzelnen<br />

Marktplatztypen bieten die Wachstums- und<br />

Konsolidierungsperspektiven, die Anlass zur<br />

H<strong>of</strong>fnung geben, dass der Entwicklungsprozess<br />

am Ende auch dauerhafte Rentabilität<br />

generiert.<br />

Prozessintegration durch<br />

Private Exchanges<br />

Private Exchanges dienen Großunternehmen<br />

meist als eigene Lösungen zur Optimierung<br />

der Wertschöpfung mit ausgewählten Partnern<br />

entlang festgelegter Prozessketten. Ein<br />

interessantes Beispiel eines Private Exchange<br />

Marktplatzes ist die Plattform DECS (Defense<br />

Electronic Commerce System) des britischen<br />

Verteidigungsministeriums. DECS ist dabei<br />

nicht nur eine Plattform für die Lieferanten<br />

des Verteidigungsministeriums, sondern bindet<br />

auch weitere Marktplätze und Ministerien<br />

ein. Die Vorteile dieses Marktplatztyps liegen<br />

vor allem in der optimalen Einbindung der<br />

teilnehmenden Partner in die Prozesskette<br />

und dem damit verbundenen Informationsaustausch.<br />

Diese Vorteile erkauft man sich<br />

allerdings mit einem Flexibilitätsverlust, da<br />

ein Austausch von Partnern sowie eine Ausweitung<br />

in der Regel mit hohen Investitionen<br />

in die vorhandene IT-Infrastruktur verbunden<br />

ist.<br />

Additive Dienstleistungen durch<br />

e-Service-Exchanges<br />

Das Ermöglichen von Flexibilität sowie die Verringerung<br />

von Markteintrittsbarrieren haben<br />

sich die Anbieter zum Ziel gesetzt, die zum<br />

Kreis der e-Service-Exchange-Anbieter gezählt<br />

werden. In der Regel bieten diese Unternehmen<br />

keine kompletten e-Commerce-Lösungen,<br />

sondern decken nur bestimmte Teilprozesse<br />

ab. Beispielhaft sei hier das Unternehmen<br />

C<strong>of</strong>ace genannt, das mit einer Reihe<br />

von e-Services wie Kreditprüfung (@rating<br />

Services), Zertifizierung eines Unternehmens<br />

(@rating quality labels) oder Versicherung<br />

von B2B-Transaktionen gegen Zahlungsausfall<br />

(@rating Protection) andere Marktplatzbetreiber<br />

unterstützt. Bei den angebotenen<br />

Services handelt es sich in der Regel um<br />

Leistungen, deren individuelle Bereitstellung<br />

durch die einzelnen Marktplätze wirtschaftlich<br />

nicht sinnvoll ist oder die eine Ergänzung<br />

außerhalb der Kernkompetenz des jeweiligen<br />

Marktplatzes darstellen (Add-on Services).<br />

Kollaborative Beschaffung durch<br />

Vertikale Marktplätze<br />

Vertikale Marktplätze stellen gewissermaßen<br />

die Weiterentwicklung der Private Exchanges<br />

hin zu <strong>of</strong>fenen Plattformen dar, die die<br />

Wertschöpfung entlang des Beschaffungsprozesses<br />

optimieren und die Fähigkeit zur kollaborativen<br />

Beschaffung mit Partnern ermöglichen<br />

sollen. Ein erfolgreicher Vertikaler<br />

Marktplatz ist Covisint in der Automobilbranche,<br />

der die Prozesse von der gemeinsamen<br />

Produktentwicklung über Ausschreibung,<br />

Kontrahierung, Bestellung bis hin zu<br />

Disposition und begleitende Services abdeckt.<br />

Mit der Auktionierung des Chassis für die<br />

Mercedes M-Klasse zu einem Volumen von 3,5<br />

Mrd. EUR wurde die bisher größte einzelne<br />

Auktion auf einem Marktplatz über Covisint<br />

abgewickelt.<br />

Die Deutsche Lufthansa AG selbst ist an drei<br />

Vertikalen Marktplätzen beteiligt – Jet-A.com,<br />

Aeroxchange und eLSG.<br />

Der Marktplatz Jet-A.com ist ein Portal für<br />

den Treibst<strong>of</strong>feinkauf, das gemeinsam von<br />

fünf führenden Mineralölgesellschaften und<br />

23 Fluggesellschaften gegründet wurde. Der<br />

Fokus dieses Portals ist nicht der Treibst<strong>of</strong>fhandel<br />

an sich, der an den bekannten Spotmärkten<br />

erfolgt, sondern die erforderlichen<br />

Dienstleistungen. Ziel ist die Steigerung der<br />

Jahrbuch Wirtschaftswissenschaften | FH <strong>Mainz</strong> | 2002

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