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Fachhochschule Mainz University of Applied Sciences

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46 | Forschungsvorhaben und Projekte |<br />

Ein Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsmarktpolitik in Russland<br />

Pr<strong>of</strong>. Dr. Ulrich Schüle<br />

| Pr<strong>of</strong>. Dr. Ulrich Schüle |<br />

<strong>Fachhochschule</strong> <strong>Mainz</strong><br />

Die Transformation des sowjetischen Wirtschaftsmodells<br />

zu einer funktionierenden<br />

Marktwirtschaft war und ist die zentrale<br />

Aufgabe der Wirtschaftspolitik in Osteuropa.<br />

Folgt man der Berichterstattung in westlichen<br />

Medien, so könnte man glauben, diese<br />

Transformation habe nur zu Chaos, Gesetzlosigkeit<br />

und der Herrschaft der Mafia geführt.<br />

In Wirklichkeit ist das Bild sehr viel differenzierter.<br />

Demokratiedefizite und unklare<br />

Rechtsverhältnisse sind nur eine Seite der<br />

Medaille; die andere zeigt einen erstaunlichen<br />

Fortschritt beim Aufbau staatlicher<br />

und privater Institutionen, ohne die eine<br />

Marktwirtschaft nicht funktionieren kann.<br />

Der für den Einzelnen wohl wichtigste Markt<br />

ist der Arbeitsmarkt. Auf diesem Markt entscheidet<br />

sich, wer wo wie viel Einkommen<br />

erzielen kann, welche Position im sozialen<br />

Gefüge einer Gesellschaft eine Person oder<br />

Familie einnimmt, welche sozialen Chancen<br />

die heranwachsenden Kinder haben. Daher<br />

hat die russische Regierung von Beginn des<br />

Transformationsprozesses an versucht, den<br />

Arbeitsmärkten auf föderaler und regionaler<br />

Ebene eine rechtliche und politische Struktur<br />

zu geben, die möglichst vielen Menschen<br />

hilft, sich dem Wandel von der alten Kommando-<br />

zu einer modernen Marktwirtschaft<br />

anzupassen, sich zurechtzufinden, neue Fertigkeiten<br />

zu erlernen, den Mut zur Mobilität<br />

aufzubringen. Hierzu bedarf es klarer rechtlicher<br />

Regelungen und funktionierender<br />

Arbeitsämter, die nicht nur Arbeitslose registrieren,<br />

zählen und verwalten, sondern auf<br />

föderaler und regionaler Ebene arbeitsmarktpolitische<br />

Programme initiieren und implementieren.<br />

Eine im Rahmen eines TACIS-Projektes (siehe<br />

Kasten) durchgeführte Studie in den Regionen<br />

Moskau, Wolgograd, Smolensk und Perm<br />

zeigte, dass der Aufbau funktionierender<br />

Arbeitsämter nicht nur in den Großstädten,<br />

sondern auch in den ländlichen Regionen<br />

gelungen ist. Während der Schwerpunkt der<br />

Arbeitsmarktpolitik bisher eher auf den „passiven“<br />

Maßnahmen, die nur auf die Entwicklung<br />

auf den Arbeitsmärkten reagiert,<br />

lag, bemüht sich das Arbeitsministerium der<br />

russischen Föderation jetzt um eine aktive<br />

Arbeitsmarktpolitik, die gestaltend in die<br />

Arbeitsmärkte eingreift. In den expandierenden<br />

Dienstleistungszentren wie St. Petersburg<br />

und Moskau bereitet sie zum Beispiel<br />

mit modernen Schulungskonzepten Arbeitskräfte<br />

auf die bisher nicht bekannten Tätigkeitsfelder<br />

in Versicherungen, Banken und<br />

anderen Service-Bereichen und auf neue<br />

Arbeitstechniken von der rechnergesteuerten<br />

Fertigung bis zur Buchführung nach US-<br />

GAAP vor. In Regionen mit akutem Arbeitsplatzmangel<br />

arbeitet sie eng mit den regionalen<br />

Behörden zusammen, um die Ansiedlung<br />

neuer Industrien und Existenzgründungen<br />

zu fördern.<br />

Viele dieser Politiken könnten noch effektiver<br />

gestaltet werden. Dazu bedarf es einer Reihe<br />

von Korrekturen im Management der Arbeitsämter<br />

und vor allem einer systematischen<br />

Evaluierung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.<br />

So misst in Russland bis heute noch<br />

niemand, ob die arbeitsmarktpolitischen Ziele<br />

auch wirklich erreicht werden, ob tatsächlich<br />

diejenigen Arbeitskräfte teilnehmen, für die<br />

eine Fortbildung oder eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme<br />

(ABM) gedacht war, und ob<br />

nicht Verdrängungseffekte die Effizienz beeinträchtigen<br />

– zum Beispiel, wenn ABM dazu<br />

führen, dass Kommunen und Wohlfahrtsverbände<br />

ihre regulären Stellen abbauen.<br />

Damit steht Russland allerdings nicht allein.<br />

Auch in manchen EU-Ländern steckt die Evaluierung<br />

von Arbeitsmarktpolitik noch in den<br />

Kinderschuhen. Deutschland zum Beispiel<br />

steht erst ganz am Anfang einer systematischen<br />

Evaluierung seiner Arbeitsmarkt- und<br />

Beschäftigungspolitik. Δ<br />

Die Europäische Union fördert den<br />

Umbau der Gesellschaft in der früheren<br />

Sowjetunion im Rahmen ihres TACIS-<br />

Programms (Technical Assistance to<br />

the Commonwealth <strong>of</strong> Independent<br />

States). Westliche Experten arbeiten in<br />

sich über Jahre erstreckenden „longterm<br />

missions“ und in von dreitägigen<br />

bis zu vier Wochen dauernden<br />

„short-term missions“ eng mit ihren<br />

russischen Kollegen zusammen,<br />

erteilen Rat, organisieren Seminare<br />

und bilden die einheimischen Experten<br />

fort, die dann wieder ihre Mitarbeiter<br />

schulen („train-the-trainers“).<br />

Während die Langzeitexperten sich aus<br />

pr<strong>of</strong>essionellen Consultants rekrutieren,<br />

kommen die Kurzzeitexperten häufig<br />

aus Hochschulen, Kammern und<br />

Industrieverbänden der EU-Staaten.<br />

Die Ergebnisse des TACIS-Projekts<br />

erscheinen Ende 2002 als Buch. Pr<strong>of</strong>.<br />

Dr. Schüle schrieb zusammen mit Paolo<br />

Verme und Irina Malakha die Kapitel<br />

zum Management und zur Evaluation<br />

aktiver Arbeitsmarktpolitik in Russland.<br />

Bisherige Veröffentlichungen zum<br />

Arbeitsmarkt in Ländern der ehemaligen<br />

Sowjetunion:<br />

• Lepper, Bernd, Schüle Ulrich, Multinationals’<br />

Recruitment Policy in Transition<br />

Economies and its Impact on<br />

Local Labour Markets: The Case <strong>of</strong><br />

Moscow, in: The Third International<br />

Conference on ‘Enterprise in Transition’,<br />

<strong>University</strong> <strong>of</strong> Split, Croatia, Papers<br />

& Proceedings, Split 1999.<br />

• Schüle, Ulrich, Labour Market<br />

Policies in Post-Soviet Economies: The<br />

Case <strong>of</strong> Azerbaijan, in: MOCT/Most.<br />

Journal for Economic Policy in<br />

Transitional Economies , Kluwer<br />

Academic Publishers 1999, pp. 153-170.<br />

Jahrbuch Wirtschaftswissenschaften | FH <strong>Mainz</strong> | 2002

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