Quartier-Anzeiger Archiv - Quartier-Anzeiger für Witikon und ...
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«Wir hätten gerne mehr Witiker in der Zunft <strong>Witikon</strong>»<br />
Heinz Graf ist nach sechs Jahren<br />
von seinem Amt als Zunftmeister<br />
zurückgetreten. Sein Nachfolger<br />
wurde Andreas Bihrer, der Sohn<br />
des ersten Witiker Zunftmeisters.<br />
Bihrer ist Rechtsanwalt, im Gespräch offen<br />
<strong>und</strong> umgänglich, scheint eine Frohnatur<br />
ohne militärische Allüren, bezeichnet<br />
sich als Teamplayer <strong>und</strong> ist zufrieden<br />
– mit sich <strong>und</strong> seiner Zunft. Das macht<br />
er beim Treffen in der Kanzlei am Paradeplatz,<br />
zusammen mit Heinz Graf, bald<br />
einmal klar: «Der Laden funktioniert,<br />
wir haben eine super Stimmung, die<br />
Leute kommen gerne in die Zunft <strong>und</strong><br />
sind begeisterungsfähig. Wir haben keine<br />
Querschläger <strong>und</strong> können uns auf unsere<br />
Kernaufgaben konzentrieren.» Das<br />
seien Fre<strong>und</strong>schaften,<br />
Gemütlichkeit,<br />
Kameradschaft <strong>und</strong><br />
schöne Anlässe. Das<br />
zöiftige Leben eben.<br />
Den Unterschied zu<br />
anderen Männerklubs<br />
sieht er vor allem<br />
im Pflegen von<br />
Traditionen <strong>und</strong><br />
Bräuchen bis hin<br />
zur Anrede des<br />
Zunftmeisters. Auch<br />
das Aufrechterhalten<br />
einer gewissen<br />
Gesinnung halte<br />
mehr zusammen als<br />
das gemeinsame<br />
Feiern. «Wir sind<br />
nicht nur eine Festgemeinde.»<br />
«Besoffene Reiter sind Geschichte»<br />
Bihrer ist Husar, ein erfahrener Reiter,<br />
der auch unter dem Jahr im Sattel sitzt.<br />
So wie alle Witiker Husaren. Heute wüssten<br />
die Reiterchefs um die Gefahr, die<br />
immer bestehe, ergänzt Graf. «Früher<br />
gab es auch besoffene Reiter, die man<br />
dann eben in die Mitte nahm, doch das<br />
ist Geschichte.»<br />
Wer meint, der neue Zunftmeister steige<br />
am Sechseläuten vom Pferd <strong>und</strong> gehe<br />
mit seinen Ehrengästen künftig zu Fuss,<br />
der täuscht sich. «Ich reite weiter», sagt<br />
er bestimmt. Die Ehrengäste seien bei<br />
den Alt-Zunftmeistern in guten Händen.<br />
«Weshalb soll ich diesen den Platz wegnehmen»,<br />
schmunzelt er, «so kommen<br />
sie besser zur Geltung.» Zudem würden<br />
ihn die Reiterkollegen nicht verstehen.<br />
Da er als Zeichen seiner Würde einzig<br />
die Kette umgehängt hat, während der<br />
Statthalter den Zunftbecher tragen muss,<br />
hat er auch die Hände frei – zum Grüssen<br />
oder Blumen halten. Denn ab jetzt<br />
reitet er nicht mehr im Karree hinter,<br />
sondern von weitem sichtbar vorne neben<br />
dem Reiterchef.<br />
Beim Bild der feierlichen Amtsübergabe<br />
im Zunftsaal des Restaurant Elefant fallen<br />
zwei Unterschiede auf: die Grösse<br />
<strong>und</strong> das Alter. Dass er sich strecken<br />
musste, hat auch Graf gemerkt, aber das<br />
Alter? Er kennt seinen Nachfolger, seit<br />
die beiden Söhne des verstorbenen ersten<br />
Witiker Zunftmeisters Rudolf Bihrer<br />
als Jungzünfter mitliefen <strong>und</strong> es vor<br />
dem Kinderumzug immer allgemeinen<br />
Streit gegeben habe, wer das Witiker<br />
Banner tragen dürfe. Bihrer sei schon<br />
lange in der Vorsteherschaft, als Zweitjüngster,<br />
er habe letztes Jahr intensiv mit<br />
ihm als Stellvertreter zusammengearbeitet,<br />
<strong>und</strong> ohnehin spiele das Alter bei diesem<br />
Amt keine Rolle: «Entweder einer<br />
ist reif oder nicht.»<br />
Was empfand Andreas Bihrer in jenem<br />
Moment, als er das Gewicht der Kette<br />
Die «Krönung» mit der Kette des Zunftmeisters. Die Freude des Andreas Bihrer.<br />
spürte? «Lässig, jetzt ist es soweit»,<br />
kommt die spontane Antwort. Dann fügt<br />
er an: «Es war beides: Verantwortung<br />
<strong>und</strong> Freude», <strong>und</strong> fast wie zu sich, «ich<br />
glaube, es gibt kein Amt, in dem man als<br />
Chef <strong>und</strong> Einzelperson mehr im Zentrum<br />
ist als ein Zunftmeister.» Gesucht<br />
habe er den Job nicht, jedenfalls war es<br />
nie sein Ziel. «Als ich in vielen Gesprächen<br />
merkte, dass man mir diese<br />
Aufgabe zutraut, kam eben der Moment,<br />
in dem man der Gemeinschaft auch etwas<br />
gibt <strong>und</strong> nicht nur nimmt.»<br />
Und wann war <strong>für</strong> Graf, der aufmerksam<br />
zuhört, Bihrer als Nachfolger klar? Die<br />
Antwort lässt erahnen, was – nicht nur<br />
bei den Witikern – hinter zöiftigen Kulissen<br />
manchmal hinter vorgehaltenen<br />
Händen vorgeht: «Eine der wichtigsten<br />
ungeschriebenen Aufgaben des Zunftmeisters<br />
ist eine saubere Nachfolgeregelung.»<br />
Deshalb habe er früh begonnen<br />
die Leute zu beobachten. «Man kann<br />
dieses Amt nicht üben, genau so wenig<br />
wie die Pensionierung», flachst er. Er<br />
selber habe jedenfalls keine Entzugs -<br />
erscheinungen nach den sechs intensiven<br />
Jahren an der Spitze der Zunft. Im Gegenteil.<br />
«Ich habe zum ersten Mal meine<br />
Winterferien in den Bergen in aller Ruhe<br />
genossen, weil ich nicht an Reden herumstudieren<br />
musste.»<br />
Dass der Nachfolger Bihrer heisst,<br />
kommt nicht von ungefähr, ist er doch<br />
seit Kindsbeinen eng mit dem Zunftwesen<br />
verb<strong>und</strong>en. «Als ich angefragt wurde<br />
merkte ich, dass es mir Spass machen<br />
würde.» Für Graf ist die Herkunft, das<br />
«Aufnehmen des Zöiftigen quasi mit der<br />
Muttermilch» enorm wichtig. Er selber<br />
gehörte damals zwar zu den Gründungsmitgliedern<br />
der Zunft <strong>Witikon</strong>, doch in<br />
seiner Jugend war ihm das Sechseläuten<br />
völlig fremd, <strong>und</strong> zur Zunftmeisterehre<br />
kam der einstige Quereinsteiger «wie die<br />
Jungfrau zum Kind» <strong>und</strong> musste sich<br />
das nötige Netzwerk zuerst noch erarbeiten.<br />
«Alle diese Nachteile hat mein<br />
Nachfolger nicht.»<br />
Die Wahl symbolisiert<br />
auch den nötigenGenerationenwechsel,<br />
denn mit<br />
58 Jahren ist das<br />
Durchschnittsalter in<br />
der Zunft <strong>Witikon</strong><br />
v e r g l e i c h s w e i s e<br />
hoch. So waren von<br />
den heute 83 Zünftern<br />
27 schon bei der<br />
Gründung dabei. Bei<br />
der Verjüngung<br />
wünschte sich Bihrer,<br />
dass das <strong>Quartier</strong><br />
wieder eine grössere<br />
Rolle spielte als bisher:<br />
«Wir sind die<br />
Zunft <strong>Witikon</strong>, <strong>und</strong><br />
ich hätte gerne,<br />
wenn sich mehr Witiker <strong>für</strong> das Zunftwesen<br />
interessieren würden.» Eine Zunft<br />
sei zwar eine Familienangelegenheit<br />
zwischen Vätern, Söhnen <strong>und</strong> allenfalls<br />
Schwiegersöhnen. Das sei auch richtig<br />
so. «Aber wir haben keine 650jährige<br />
Tradition <strong>und</strong> sind offen auch <strong>für</strong> Externe,<br />
die zu uns passen.»<br />
Frauenzunft polarisiert weiter<br />
Graf steuert einen interessanten Gedanken<br />
bei: «Aus dem heterogenen Gründungshaufen<br />
damals wurde mit grossen<br />
Anstrengungen eine Zunft, in der<br />
schliesslich alles reibungslos funktionierte,<br />
man gemeinsam alt wurde <strong>und</strong><br />
niemand an das Vakuum dachte, das hinter<br />
uns entstand.» Ein Problem war<br />
auch, dass sich wegen «Führungsfehlern»<br />
weniger Jungzünfter als erwartet<br />
<strong>für</strong> eine Aufnahme interessierten.<br />
Bleibt die Standardfrage nach der Frauenzunft.<br />
Unglaublich, wie viel Energie<br />
das Thema noch immer frei setzt. Drei<br />
Bemerkungen zum Schluss: Die Frauenzunft<br />
will nur noch im Umzug mitlaufen,<br />
aber nicht aufgenommen werden.<br />
2010 stimmen alle Zünfte basisdemokratisch<br />
ab. Der Witiker Zunftmeister redet<br />
dazu viel <strong>und</strong> sagt (noch) nichts. (ee)<br />
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