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Essay Faust und Geld

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Universität Karlruhe (TH)<br />

Institut für Literaturwissenschaften<br />

Hauptseminar: Die Geschichte des <strong>Faust</strong>-Stoffes (I)<br />

Dozent: Prof. Dr. Andreas Böhn<br />

WS 2005/2006<br />

„Da seht nur her, ist das wohl <strong>Geld</strong>es wert?“<br />

Florian Schneider<br />

Matrikelnummer: 1112467<br />

Germanistik (M.A.)<br />

2. Fachsemester<br />

Klauprechtstr. 20<br />

76137 Karlsruhe<br />

Tel.: 0721-8203628<br />

florischneider@web.de<br />

Ein <strong>Essay</strong> über „Zauberblätter“, Kapitalismus<br />

<strong>und</strong> Unternehmertum in Goethes <strong>Faust</strong>


1<br />

Auch wenn die Entstehung von Goethes <strong>Faust</strong> I <strong>und</strong> <strong>Faust</strong> II nunmehr r<strong>und</strong> zwei<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte zurückliegt, sind beide Werke von besonderer Aktualität. Insbesondere im<br />

zweiten Teil der Tragödie lassen sich Analogien in Bezug auf wirtschaftliche <strong>und</strong> dadurch<br />

bedingte gesellschaftliche Ordnungen erkennen. Natürlich konnte Goethe seinerzeit die<br />

Entwicklung nicht eindeutig voraussehen, dennoch sind die Beschreibungen in<br />

beeindruckender Art <strong>und</strong> Weise in die Wirklichkeit übertragen worden. Goethes Kritik an der<br />

wirtschaftlichen Entwicklung, deren Auswirkungen auf soziale, gesellschaftliche <strong>und</strong><br />

technische Veränderungen, sind damals wie heute von prägnanter Aktualität. Auf Basis des<br />

<strong>Faust</strong>stoffes werden die Entwicklung der industriellen Revolution <strong>und</strong> die Etablierung<br />

kapitalistischen Wirtschaftens deutlich dargestellt. Goethe, der die Anfänge dieser<br />

Entwicklung selbst miterlebt hat – insbesondere auch als Geheimer Rat am Weimarer Hof, wo<br />

er mit wirtschaftlichen Fragen betraut war –, versetzt sie mit den beiden <strong>Faust</strong>-Dramen ins<br />

Reich der Magie, der Zauberei <strong>und</strong> der Alchemie.<br />

Bereits im ersten Teil spielen Reichtum <strong>und</strong> Gold eine besondere Rolle. Der Wissenschaftler<br />

<strong>Faust</strong> geht, getrieben von unbändigem Forschungsdrang, den Pakt mit dem Teufel ein. Von da<br />

an geschieht alles mit Hilfe von Hexerei, denn es ist Mephistopheles, der die Ereignisse<br />

hervorruft <strong>und</strong> alles möglich macht: <strong>Faust</strong> wird verjüngt <strong>und</strong> verliebt sich in die unschuldige<br />

Margarethe, die er mit Mephistos Hilfe verführt <strong>und</strong> schließlich in den Tod treibt.<br />

Auslösendes Moment für die todbringende Liaison zwischen beiden sind Schmuck, Gold <strong>und</strong><br />

Reichtum, denn <strong>Faust</strong> fordert bereits nach der ersten Begegnung mit dem Mädchen Mephisto<br />

auf, ihm ein Geschenk für sie zu besorgen (Vgl. V.2672ff.). Margarethe findet daraufhin ein<br />

Schmuckkästchen in ihrem Zimmer <strong>und</strong> erliegt sogleich der Versuchung: „Nach Golde drängt,<br />

/ Am Golde hängt / Doch alles. […]“ (V.2803ff.).<br />

<strong>Faust</strong>s Verlangen nach Gretchen ist freilich nicht nur ehrbarer Natur; vielmehr ist es die Lust<br />

<strong>und</strong> der sexuelle Trieb, die das junge Mädchen für ihn interessant machen. Und so ist bereits<br />

im <strong>Faust</strong> I die Verknüpfung von Reichtum <strong>und</strong> Sexualität ein prägendes Leitmotiv, dass sich<br />

durch den gesamten ersten Teil zieht. Dass diese beiden Bereiche dem teuflischen <strong>und</strong><br />

hexerischen Treiben zugerechnet werden müssen, <strong>und</strong> es auch seinerzeit (sowohl zu<br />

Lebzeiten des echten Doktor <strong>Faust</strong>us als auch zu Goethes Zeit) noch wurden, kann alleine<br />

schon mit der Verdammnis von Wollust <strong>und</strong> Habgier als Todsünde durch die Kirche erklärt<br />

werden. Sex <strong>und</strong> <strong>Geld</strong>gier sind demnach im Teuflischen, im Dunklen <strong>und</strong> Geheimen<br />

angesiedelt, so dass <strong>Faust</strong> ihnen auf seinem Weg mit Mephisto zwangsläufig begegnen muss.<br />

Ist das Motiv in der Gretchenszene noch dezent, so tritt es schließlich umso heftiger in der<br />

Walpurgisnacht <strong>und</strong> insbesondere in den Paralipomena auf, wo Sexualtrieb <strong>und</strong> die Gier nach


2<br />

Gold klar thematisiert werden, denn hier sagt Satan zuerst zum männlichen Teil des Chors: „<br />

Euch gibt es zwei Dinge / So herrlich <strong>und</strong> groß: / Das glänzende Gold / <strong>und</strong> der weibliche<br />

Schoß. / Das eine verschaffet, / das andre verschlingt; / Drum glücklich, wer beide /<br />

Zusammen erringt!“ Und an die Frauen gerichtet fährt er fort: „Für Euch sind zwei Dinge /<br />

Von köstlichem Glanz: / Das leuchtende Gold / <strong>und</strong> ein glänzender Schwanz. / Drum wißt<br />

euch, ihr Weiber, / am Gold zu ergetzen / <strong>und</strong> mehr als das Gold / Noch die Schwänze zu<br />

schätzen!“ (Paralipomena 52).<br />

Und weil <strong>Faust</strong> ja auf der Suche danach ist, „[…]was die Welt / im Innersten<br />

zusammenhält“ (V. 382f.), begegnet er eben auch auf diese drastische Weise dem<br />

Motivkomplex <strong>Geld</strong> <strong>und</strong> Sexualität, der, bedingt durch Mephistos Stellung in der Welt, wie er<br />

im Prolog im Himmel erörtert wird, als Teil des Menschsein verstanden werden muss, <strong>und</strong><br />

damit also als tiefste Natur des menschlichen Lebens.<br />

In <strong>Faust</strong> II schließlich wird das <strong>Geld</strong> ein über weite Teile bestimmendes Motiv. Losgelöst von<br />

der sexuellen Komponente, eröffnet Goethe hier eine weitere, der Gesellschaft, der<br />

Industrialisierung <strong>und</strong> dem Kapitalismus zugewandte Dimension. Diese Verlagerung, die zu<br />

Zeiten der Entstehung des Werkes auch in der europäischen Entwicklung vollzogen wurde, ist<br />

deutlich bemerkbar.<br />

Zu Beginn des zweiten Teils beklagen sich am Hof des noch jungen Kaisers dessen Berater<br />

über den desolaten Zustand des Reiches; die Welt, die hier skizziert wird, – <strong>und</strong> das macht die<br />

eingangs erwähnte Aktualität des <strong>Faust</strong>stoffes auch heute noch aus – ist aus den Fugen<br />

geraten: Der Kanzler fragt nach der Sicherheit im Land <strong>und</strong> beschreibt treffend eine<br />

vorrevolutionäre Situation, die, wie man im vierten Akt erfahren wird, in einem Bürgerkrieg<br />

endet. „Wenns fieberhaft durchaus im Staate wütet / Und Übel sich in Übel überbrütet? […]<br />

Der raubt sich Herde, der ein Weib, / Kelch, Kreuz <strong>und</strong> Leuchter vom Altare, […] Indessen<br />

wogt in grimmigem Schwalle / Des Aufruhrs wachsendes Gewühl.“ (V.4780ff.). Und der<br />

Heermeister berichtet weiter: „Das Reich […] / Es liegt geplündert <strong>und</strong> verheert.“ (V.4825f.)<br />

In dieser prekären Situation erscheint Mephisto als Narr gekleidet dem Kaiser <strong>und</strong> seinem<br />

Hofstaat <strong>und</strong> weiß prompt Abhilfe: „Wo fehlts nicht irgendwo auf dieser Welt? / Dem dies,<br />

dem das, hier aber fehlt das <strong>Geld</strong>. / […] In Bergesadern, Mauergründen / Ist Gold gemünzt<br />

<strong>und</strong> ungemünzt zu finden, / Und fragt mich, wer es zutage schafft: / Begabten Manns Natur<strong>und</strong><br />

Geisteskraft.“ (V.4889ff.). „Natur- <strong>und</strong> Geisteskraft“ sind natürlich die Bereiche, die für<br />

<strong>Faust</strong> prädestiniert sind, <strong>und</strong> die beim Kaiser auf empörte Ablehnung stoßen müssen: „Natur<br />

ist Sünde, Geist ist Teufel.“ (V.4900). In den folgenden Versen wird dann ein Gr<strong>und</strong>prinzip<br />

des freien Wirtschaftens von Mephistopheles thematisiert, das dem Kaiser, aufgewachsen in


3<br />

einem feudalen System, natürlich nicht erschließbar ist. Der nämlich fordert ungeduldig den<br />

Narren-Teufel auf, unverzüglich die Bodenschätze zu fördern. Mephisto jedoch erwidert:<br />

„Nimm Hack <strong>und</strong> Spaten, grabe selber, / Die Bauernarbeit macht dich groß, [...] / Wie sich<br />

Verdienst <strong>und</strong> Glück verketten, / Das fällt den Toren niemals ein; / Wenn sie den Stein der<br />

Weisen hätten, / Der Weise mangelte dem Stein.“ (V.5039ff.) Mit der Referenz auf den Stein<br />

der Weisen wird hier auf den Einfluss der Alchemie, insbesondere bei der Erstellung von<br />

Gold <strong>und</strong> Reichtum, verwiesen. Wichtiger ist im Moment jedoch, dass der Teufel hier von<br />

Arbeit spricht, der Mensch aber (<strong>und</strong> dessen Wesen), dargestellt durch den Kaiser, sieht nur<br />

den schnellen <strong>und</strong> einfachen Reichtum <strong>und</strong> fordert die Schätze.<br />

Die Szene am Kaiserhof wird nun von buntem, karnevaleskem Treiben <strong>und</strong> zauberhaftem<br />

Maskenspiel unterbrochen. Hier tritt nun auch <strong>Faust</strong> auf den Plan, allerdings verkleidet in<br />

Form des Gottes Plutus, der der Gott des Reichtums, aber auch des Todes ist. Begleitet wird<br />

er vom Knaben Lenker, der die Poesie <strong>und</strong> damit den geistigen Reichtum symbolisieren soll.<br />

Beide verteilen von ihrem Wagen herab „goldne Spangen“ <strong>und</strong> „Krönchen“ (V.5585f.) sowie<br />

Perlen <strong>und</strong> Juwelen im Überfluss. „Reicher Geist <strong>und</strong> Geist des Reichtums stehen hier im<br />

Wechselspiel; auf Plutus bezogen ist <strong>Faust</strong> der Geist, der als Wissen vom Sinn <strong>und</strong> Wesen des<br />

Reichtums seiner Allegorie innewohnt.“ 1 Mephistopheles selbst zieht sich in diesem Karneval<br />

die Maske des Geizes über <strong>und</strong> bringt erneut, indem er das Gold „Wie feuchten Ton<br />

[…]“ (V5782) in „einen Phallus wandelt“ 2 , die Motive Reichtum <strong>und</strong> Sexualität aus <strong>Faust</strong> I<br />

miteinander in Verbindung. Damit stehen diese drei Figuren allegorisch für die guten als auch<br />

die schlechten Auswirkungen, die <strong>Geld</strong> <strong>und</strong> Kapital auf die Gesellschaft haben wird. Im<br />

wilden Treiben entwickelt sich die Szenerie zu einem förmlichen Goldrausch: „Nun ist es Zeit,<br />

die Schätze zu entfesseln!“ (V. 5709) heizt Plutus die Menge an, die daraufhin schreit: „Seht<br />

her, seht hin! Wie’s reichlich quillt, / Die Kiste bis zum Rande füllt! - / Gefäße, goldne<br />

schmelzen sich, / Gemünzte Rollen wälzen sich. - / Dukaten hüpfen wie geprägt, / O wie mir<br />

das den Busen regt! - / Wie schau ich alle mein Begehr! / Da kollern sie am Boden her. - /<br />

Man bietets euch, benutzts nur gleich / Und bückt euch nur <strong>und</strong> werdet reich! - / Wir andern,<br />

rüstig wie der Blitz, / Wir nehmen den Koffer in Besitz.“ (V.5715ff.)<br />

Kaum ist der turbulente Mummenschanz vorbei, sehen der Kaiser <strong>und</strong> seine Berater alle<br />

Verbindlichkeiten des Landes getilgt, die Wirtschaft floriert <strong>und</strong> alle Menschen sind im<br />

Freudentaumel, denn Mephisto hat für den Kaiser das Papiergeld erf<strong>und</strong>en. „Zu wissen sei es<br />

jedem, ders begehrt: / Der Zettel hier ist tausend Kronen wert. / Ihm liegt gesichert als<br />

gewisses Pfand / Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland. […]“ (V.6057ff.) Hier wird nun<br />

1 Dorothea Lohmeyer: <strong>Faust</strong> <strong>und</strong> die Welt. München 1975. S. 99.<br />

2 Ebd. S. 100


4<br />

deutlich, auf welcher Gr<strong>und</strong>lage diese Wechsel basieren. Es ist nämlich nur ein „gewisses<br />

Pfand“, das da im Boden ruhen soll, verb<strong>und</strong>en mit der Legalisierung durch des Kaisers<br />

Unterschrift; eine äußerst dubiose Gewähr, wenn man nicht weiß, wie viel es wirklich ist. Es<br />

ist ein vorgetäuschter Reichtum, der nun – im wahrsten Wortsinne – zum Schein geworden ist.<br />

Zwar zweifelt der Kaiser kurz an der Wirksamkeit des Papiergeldes, wird aber schnell davon<br />

überzeugt, dass er damit seinem Volk zu Wohlstand verholfen hat: „So sehr michs w<strong>und</strong>ert,<br />

muß ichs gelten lassen.“ (V.6085) Dennoch muss man bedenken, dass es Teufelswerk war,<br />

durch das das Papiergeld eingeführt wurde, denn es ist natürlich Zauberei beziehungsweise<br />

eine Art der Alchemie, die hier zum Tragen kam. Denn „für das eigentliche Anliegen der<br />

Alchemie im Sinne der Reichtumsvermehrung ist es ja nicht entscheiden, daß tatsächlich Blei<br />

in Gold transmutiert wird, sondern lediglich, daß sich eine wertlose Substanz in eine<br />

wertvollere verwandelt[…]“ 3 . Die Folgen <strong>und</strong> auch die Risiken dieser „Fortsetzung der<br />

Alchemie mit anderen Mitteln“ 4 , die damit verb<strong>und</strong>en sind, werden zynischerweise sogar von<br />

Mephisto erläutert: „Man wird sich nicht mit Börs <strong>und</strong> Beutel plagen, / Ein Blättchen ist im<br />

Busen leicht zu tragen, / Mit Liebesbriefen paarts bequem sich hier. / Der Priester trägts<br />

andächtig im Brevier, / Und der Soldat, um rascher sich zu wenden, /Erleichtert schnell den<br />

Gürtel seiner Lenden. / […] Ein solch Papier an Gold <strong>und</strong> Perlen Statt, / Ist so bequem, man<br />

weiß doch, was man hat; / Man braucht nicht erst zu markten <strong>und</strong> zu tauschen, / Kann sich<br />

nach Lust <strong>und</strong> Lieb <strong>und</strong> Wein berauschen / […] So bleibt von nun an allen Kaiserlanden / An<br />

Kleinod, Gold, Papier genug vorhanden.“ (V.6103ff.)<br />

Es sind „Zauberblätter“ (V.6157), die nun durch des Kaisers Reich <strong>und</strong> Lande gehen. Es ist<br />

„falscher Reichtum“ (V.10245) <strong>und</strong> leichtes <strong>Geld</strong>, <strong>und</strong> damit auch leicht auszugeben, <strong>und</strong><br />

genau so entzieht es sich der Kontrolle seiner Nutzer. „Unmöglich wärs, die Flüchtigen<br />

einzufassen; / Mit Blitzeswink zerstreute sichs im Lauf.“ (V. 6086f.). Man kann hier ohne<br />

weiteres Kritik am Papiergeld erkennen, denn es ist auf diese Art in ganz besonderer Weise<br />

natürlich der Inflation ausgesetzt. Bereits vor <strong>und</strong> zu Goethes Zeiten waren viele Menschen<br />

skeptisch, was die Einführung dieses Zahlungsmittels anging, dem als ‚fliegendes <strong>Geld</strong>’ die<br />

Aura von Hexerei anhing. Verschiedene Versuche der Papiergeldeinführung, wie<br />

beispielsweise von John Law Anfang des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts in Frankreich, scheiterten.<br />

Ironischerweise ist es im Drama lediglich der Narr, der in dieser Szene die Folgen des<br />

Zettelgeldes hinterfragt: „Da seht nur her, ist das wohl <strong>Geld</strong>es wert?“ (V.6159) Stattdessen<br />

will er lieber in Immobilien anlagen, eine Möglichkeit, die sich noch Jahrh<strong>und</strong>erte später als<br />

3 Hans Christoph Binswanger: <strong>Geld</strong> <strong>und</strong> Magie. Stuttgart 1985. S. 21f.<br />

4 Gabriele Hesse-Belasi: Signifikationsprozesse in Goethes ‚<strong>Faust</strong>’ Zweiter Teil. Frankfurt am Main 1992. S. 73.


5<br />

sinnvoll herausgestellt hat, wie selbst Mephisto abschließend zugesteht (Vgl. V.6173), denn<br />

schließlich wird so das Papier wiederum in einen tatsächlichen Wertgegenstand materialisiert.<br />

Selbst <strong>Faust</strong> kommt später im vierten Akt zu dieser Erkenntnis, wenn er sagt: „Herrschaft<br />

gewinn ich, Eigentum! / Die Tat ist alles, nichts der Ruhm.“ (V.10187f.) Hier spricht aus<br />

<strong>Faust</strong> der wahre Unternehmer, der erkennt, dass Eigentum zu Macht <strong>und</strong> Reichtum verhilft,<br />

<strong>und</strong> dass man gleichzeitig – so wie es Mephisto auch im ersten Akt bereits verlangt hat –<br />

Leistung bringen muss, um zu bestehen. Und so fordert denn <strong>Faust</strong>, nachdem er mit Hilfe des<br />

Teufels den Bürgeraufstand niedergeschlagen hat, vom Kaiser ein Stück brachliegendes Land<br />

am Meer als Lohn für seine Dienste. Hier will <strong>Faust</strong> unternehmerisch tätig werden, will die<br />

Natur <strong>und</strong> ihre Kräfte gewinnbringend einsetzen. Es ist die Vision des neuen industriellen<br />

Zeitalters, die <strong>Faust</strong> hier anspricht, indem er die Naturkräfte bezwingen, <strong>und</strong> so zu<br />

Wertschöpfung ohne direkte körperliche Arbeit kommen will: „Was zur Verzweiflung mich<br />

beängstigen könnte: / Zwecklose Kraft unbändiger Elemente! / Da wagt mein Geist, sich<br />

selbst zu überfliegen; / Hier möchte ich kämpfen, dies möcht ich besiegen!“ (V.10218ff.) Und<br />

später argumentiert er nochmals unternehmerisch, wenn er sagt: „Auf strenges Ordnen,<br />

raschen Fleiß / Erfolgt der allerschönste Preis; / Daß sich das größte Werk vollende, / genügt<br />

ein Geist für tausend Hände.“ (V.11506ff.) Es ist das redliche Schaffen, die Tüchtigkeit <strong>und</strong><br />

der Fleiß, die zum Erfolg führen sollen. Mephisto weiß jedoch, dass <strong>Faust</strong> hier etwas<br />

blauäugig argumentiert, denn mit diesen eher hehren Vorstellungen allein erreicht man nicht<br />

das – wohlgemerkt – kapitalistische Ziel. Vielmehr weist der Teufel schon vorher auf die<br />

eigentliche Komponente im erfolgreichen Unternehmertum hin: „Man hat Gewalt, so hat man<br />

Recht. / Man fragt ums Was <strong>und</strong> nicht ums Wie!“ (V.11183f.) Und so kommt es auch, dass<br />

<strong>Faust</strong> seine Skrupel ablegt. Denn auf seinem Land lebt das Ehepaar Philemon <strong>und</strong> Baucis,<br />

deren Haus seine Expansionsvorhaben stören. „Die Alten droben sollten weichen, / Die<br />

Linden wünscht ich mir zum Sitz, / Die wenig Bäume, nicht mein eigen, / Verderben mir den<br />

Weltbesitz.“ (V.11239ff.) Hier treffen mit dem Ehepaar <strong>und</strong> <strong>Faust</strong> die alte <strong>und</strong> neue Welt<br />

allegorisch aufeinander, wobei die beiden Alten zwangsläufig als Opfer enden müssen, als<br />

ihnen von Mephisto das Dach über dem Kopf angezündet wird. Die dargestellte Brutalität<br />

verstärkt die Kritik am reduzierenden Menschenbild <strong>und</strong> an der Aufhebung alteingesessener<br />

Rechte: Die Welt der beiden Alten, die lediglich für sich selbst in Form von<br />

Subsistenzwirtschaft arbeiteten, steht dem durch Reichtum <strong>und</strong> Kapitalismus erzeugtem<br />

technischen Fortschritt <strong>und</strong> wirtschaftlichem Gewinnstreben diametral gegenüber. Für<br />

Philemon <strong>und</strong> Baucis ist in der ‚neuen’ Welt, die <strong>Faust</strong> <strong>und</strong> Mephisto erschaffen haben, so<br />

kein Platz mehr.


6<br />

Und trotzdem erkennt <strong>Faust</strong> am Ende, was aus seinem Leben <strong>und</strong> der Welt, die er mit<br />

verändert hat, geworden ist. Er wollte wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ <strong>und</strong><br />

wollte versuchen, sie besser zu machen. Stattdessen hat er aber neue Probleme geschaffen.<br />

Seine Fortschrittsphantasien, sein übertriebenes Streben nach Allwissenheit haben ihn blind<br />

für die realen Umstände seiner Lebenswelt gemacht. Und weil er dies schlussendlich erkennt,<br />

schwört er auch der Magie <strong>und</strong> den Zauberkräften ab: „Könnt ich Magie von meinem Pfad<br />

entfernen, / Die Zaubersprüche ganz <strong>und</strong> gar verlernen, / Stünd ich, Natur, vor dir ein Mann<br />

allein, / Da wärs der Mühe wert, ein Mensch zu sein!“ (V.11404 ff.). Und er stellt weiter fest:<br />

„Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm. / Was braucht er in die Ewigkeit zu<br />

schweifen!“ (V. 11446f.)<br />

Sein abschließendes Bekenntnis schließlich weist nicht zurück auf die Jahre mit<br />

Mephistopheles, sondern richtet sich in die Zukunft. Und deshalb, obwohl bereits das Grab<br />

für <strong>Faust</strong> ausgehoben wird <strong>und</strong> sich der Teufel dieser Seele sicher ist, wird <strong>Faust</strong> schließlich<br />

errettet. In einer Vision sieht sich der Sterbende nun als Schöpfer einer neuen Welt, einer<br />

neuen, der liberalen <strong>und</strong> freien Gesellschaft zur Verfügung stehenden Wirtschaftsordnung:<br />

„Solch ein Gewimmel möchte ich sehn, / Auf freiem Gr<strong>und</strong> mit freiem Volke stehn! / Zum<br />

Augenblicke dürft ich sagen: ‚Verweile doch, du bist so schön! / Es kann die Spur von meinen<br />

Erdentagen / Nicht in Äonen untergehn.’ –“ (V.11579ff.)<br />

Und so ist es doch bemerkenswert, dass „[d]ie wirtschaftliche Tat <strong>Faust</strong> den höchsten<br />

Augenblick vermittelt [hat], den ihm die Liebe nicht zu verschaffen vermochte.“ 5 So<br />

betrachtet ist <strong>Faust</strong> II wie eingangs erwähnt ein Drama, das auch in Zeiten der Globalisierung<br />

an Aktualität nichts eingebüßt hat.<br />

Ich versichere, die vorliegende Arbeit selbständig verfasst <strong>und</strong> alle von mir benutzten Hilfsmittel <strong>und</strong> Quellen<br />

angegeben zu haben. Ich bin mir bewusst, dass ein nachgewiesener Täuschungsversuch rechtliche Konsequenzen<br />

haben kann.<br />

5 Hans Christoph Binswanger: <strong>Geld</strong> <strong>und</strong> Magie. Stuttgart 1985. S. 18.


7<br />

Literaturverzeichnis<br />

Arens, Hans: Kommentar zu Goethes <strong>Faust</strong> II. Heidelberg: Winter 1989.<br />

( = Beiträge zur neueren Literaturgeschichte: Folge 3; Band 86).<br />

Binswanger, Hans Christoph: <strong>Geld</strong> <strong>und</strong> Magie. Deutung <strong>und</strong> Kritik der modernen Wirtschaft<br />

anhand von Goethes <strong>Faust</strong>. Mit einem Nachwort von Iring Fetscher. Thienemanns Verlag:<br />

Stuttgart 1985.<br />

Emrich, Wilhelm: Die Symbolik von <strong>Faust</strong> II. Sinn <strong>und</strong> Vorformen. Athenäum: Frankfurt am<br />

Main 1957.<br />

Goethe, Johann Wolfgang: Meisterwerke. Die großen Dramen. Bd. 4. M<strong>und</strong>us Verlag: ohne<br />

Ort 1999<br />

Hesse-Belasi, Gabriele: Signifikationsprozesse in Goethes ‚<strong>Faust</strong>’ Zweiter Teil.<br />

Mythologische Figur <strong>und</strong> poetisches Verfahren. Peter Lang: Frankfurt am Main u.a. 1992.<br />

Zugleich Universität Konstanz, Diss., 1991. ( = Europäische Hochschulschriften; 1339).<br />

Lohmeyer, Dorothea: <strong>Faust</strong> <strong>und</strong> die Welt. Der zweite Teil der Dichtung. Eine Anleitung zum<br />

Lesen des Textes. C.H.Beck: München 1975.

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