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Tiergestützte Therapie: Die geschichtliche Entwicklung - Freiburger ...

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1 <strong>Die</strong> Frühzeit<br />

<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Der Beginn der tiergestützten Arbeit kann<br />

nicht genau datiert werden. <strong>Die</strong> ersten<br />

Zeugnisse der positiven Wirkung von Mensch-<br />

Tier-Beziehungen stammen aus Gheel in<br />

Belgien, wo bereits im 9. Jahrhundert Tiere<br />

zum Wohlbefinden von Menschen mit<br />

psychischen Schwierigkeiten beitrugen. In<br />

Gheel, Belgien, setzte man eine „therapie<br />

naturelle“ ein, die vor allem sozioökonomisch<br />

benachteiligten Menschen eine bessere<br />

Lebensbasis und –zufriedenheit geben sollte.<br />

Dazu zählten die Landarbeit und die<br />

Versorgung von Tieren (Bustad, 1995).<br />

Ähnliche Erfahrungen wiederholten sich im<br />

18. und 19. Jahrhundert in angelsächsischen<br />

und deutschen Krankenhäusern Literatur<br />

unterschiedlich dargestellt. Ein Beispiel ist die<br />

Psychiatrie York Retreat, die 1792 von der<br />

Society of Friends einer englischen Quäker<br />

Gruppe mit ihrem Leiter William Tuke<br />

gegründet wurde (Serpell, 1990).<br />

Es sollte ein Ort geschaffen werden, in dem<br />

psychisch kranke Menschen respektiert und<br />

wertgeschätzt werden. <strong>Die</strong> Bewohner wurde<br />

ein möglichst selbstständiges Leben ermöglich<br />

und sie bekamen die Möglichkeit, sich um<br />

Gartenanlagen und Tiere zu kümmern. Durch<br />

das Leben in der Natur mit den Tieren sollten<br />

ihre Selbstheilungskräfte gestärkt werden.<br />

Um 1860 setzte auch Florence Nightingale<br />

Tiere ein: „a small pet animal is often an<br />

excellent companion for the sick˝ (Johnson,<br />

2002, S. 317)<br />

Rainer Wohlfarth<br />

Ein weiteres Beispiel für die Integration von<br />

Tieren in den Heilungsprozess ist die 1867<br />

gegründete Heil- und Pflegeanstalt für<br />

Menschen mit Epilepsie in Bethel bei<br />

Bielefeld. <strong>Die</strong> Heilanstalt wurde auf einem<br />

Hofgut errichtet, sodass die Menschen mit<br />

Epilepsie im Umgang mit den Tieren von ihrer<br />

Erkrankung abgelenkt wurden und dadurch<br />

Heilung erfahren sollten.<br />

1947 gründete die Familie Ross auf einer Farm<br />

in der Nähe von New York „Green Chimneys”,<br />

ein Internat für verhaltensgestörte,<br />

behinderte und missbrauchte Kinder, die im<br />

Umgang mit Tieren und deren Pflege<br />

emotionale Gesundheit, Wohlbefinden und<br />

Selbstständigkeit erlangen sollen. <strong>Die</strong>se<br />

Institution hat sich bis heute als erfolgreiches<br />

Langzeitprojekt bewährt.<br />

Anfangs wurden Tiere also eher unbewusst<br />

eingesetzt und man begnügte sich mit der<br />

Alltagsbeobachtung, dass die Anwesenheit<br />

von Tieren kranken Menschen Ablenkung und<br />

Freude brachte. Dabei standen nicht konkrete<br />

therapeutische Zielsetzungen im Vordergrund,<br />

sondern die allgemeinen Wirkungen, die auch<br />

ein Haustier besitzt. Durch die Tiere wurde<br />

den Patienten das Gefühl vermittelt, trotz<br />

ihrer Beeinträchtigungen und Benachteiligun-<br />

gen eine Aufgabe zu haben und gebraucht zu<br />

werden.<br />

1942 wurde in New York das Army Air Force<br />

Convalescent Hospital gegründet, das aus dem<br />

Krieg heimgekehrten traumatisierten Soldaten<br />

Möglichkeiten für die Aufarbeitung ihrer<br />

Kriegserlebnisse bot. Das Zusammenleben mit


<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

den Tieren und deren Versorgung war ebenso<br />

Teil der <strong>Therapie</strong> wie wissenschaftlich<br />

anerkannte <strong>Therapie</strong>formen.<br />

Man kann festhalten, dass alle diese Ansätze<br />

aus heutiger Sicht keine tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

im engeren Sinne darstellen, sondern der<br />

Umgang mit Haus- bzw. Nutztieren wurde<br />

genutzt, um Menschen zu beschäftigen, zu<br />

beruhigen und so das allgemeine<br />

Wohlbefinden zu erhöhen. Heute würde man<br />

eher von „Farmtherapie“ oder „Green<br />

Therapy“ sprechen.<br />

2 <strong>Die</strong> ersten wissenschaftlichen Arbeiten<br />

“The use of animals to assist human<br />

therapeutic activities has a long history, but<br />

extensive, documented, and organized use is<br />

relatively new” (Fine, 2000, S.22). Erst Mitte<br />

des vergangenen Jahrhunderts wurde<br />

begonnen, die Wirkungen von Tieren auf<br />

Menschen systematisch zu dokumentieren.<br />

Einer der ersten wissenschaftlichen Artikel, in<br />

dem mögliche therapeutische Wirkungen von<br />

Tiere für den Menschen beschrieben wurden,<br />

stammt von Arline Siegel aus dem Jahr 1962.<br />

Der Titel ihres Artikels lautete: „Reaching the<br />

Serverly Withdrawn through pets“. Zwar war<br />

zu dieser Zeit die positiven Wirkungen von<br />

Hunden, Katzen oder anderen Tieren schon<br />

bekannt, doch lagen bis zu diesem Zeitpunkt<br />

keine systematischen empirischen Arbeiten<br />

dazu vor. So verweist auch Siegel auf die<br />

Erfahrungen im Heim York Retreat. Sie<br />

beschreibt aber auch, dass seit einigen Jahren<br />

im Speyer Hospital for Animals in New York,<br />

einer Tierklinik und einem Tierheim, die<br />

positiven Wirkung von Tieren auf Menschen<br />

mit körperlichen und psychischen Krankheiten<br />

aufgefallen seien. Besonders bei Menschen,<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

die depressiv und sogar suizidal waren, hätten<br />

sich beachtliche Effekte gezeigt. Siegel<br />

schreibt, dies habe dazu geführt, dass Ärzte<br />

ihren Patienten empfehlen ein Tier aus diesem<br />

Tierheim aufzunehmen, um das sie sich dann<br />

kümmern können<br />

Siegel vermutete, dass die Tiere vor allem<br />

dadurch wirken, dass sie vorurteilsfrei auf die<br />

Menschen zugehen: “The animal does judge<br />

but offers a feeling of intense loyality to<br />

persons who need that feeling. It is not<br />

frightening or demanding, nor does it expose<br />

its master to the ugly strain of constant<br />

criticism. It provides its owner with the chance<br />

to feel important knowing that the pet`s<br />

dependency is on himnot” (Siegel, 1962,<br />

S.1046).<br />

<strong>Die</strong>ser von Siegel in den sechziger Jahren<br />

postulierte Wirkmechanismus, wird heute<br />

noch häufig zur Erklärung der förderlichen<br />

Wirkungen des Mensch-Tier-Kontaktes heran-<br />

gezogen. Durch die Reaktion des Gegenübers,<br />

hier des Tieres, erfährt der Mensch ein Gefühl<br />

des Angenommenwerdens, was frei ist von<br />

Ich- bezogenen Zweifeln und Ängsten (Olbrich,<br />

2003, S. 65ff).<br />

3 Der Beginn der modernen tiergestützten<br />

<strong>Therapie</strong><br />

Der Beginn der modernen tiergestützten<br />

<strong>Therapie</strong> kann auf das Jahr 1962 datiert<br />

werden. Damals erschien das Buch „The dog<br />

as a Co-Therapist“ („Der Hund als Co-<br />

Therapeut“). Autor war der amerikanische<br />

Kinderpsychotherapeut Boris Levinson.<br />

Levinson, der heute als Pionier der<br />

tiergestützten <strong>Therapie</strong> gilt, entdeckte per<br />

Zufall, dass ein Tier ein Katalysator für<br />

menschliche Interaktionen sein kann. Um zu


verdeutlichen wie ein Tier einen<br />

<strong>Therapie</strong>prozess unterstützen kann, wird<br />

folgende Schlüsselgeschichte von Levinson in<br />

seinem Buch berichtet:<br />

„<strong>Die</strong> Eltern eines Jungen, der lange Zeit<br />

erfolglos behandelt wurde, baten Levinson, die<br />

Behandlung ihres Sohnes zu übernehmen.<br />

Daraufhin lud er sie zu einem Gespräch in<br />

seine Praxis ein. <strong>Die</strong> völlig verzweifelten Eltern<br />

erschienen bereits eine Stunde vor dem<br />

verabredeten Termin. Zu dieser Zeit war<br />

zufällig Levinsons Hund Jingles in der Praxis.<br />

Auf die stürmische Begrüßung durch Jingles<br />

reagierte der Junge nicht ängstlich, sondern<br />

drückte und streichelte das Tier. Nach einer<br />

Weile fragte das Kind, ob wohl alle Kinder, die<br />

in seine Praxis kamen, mit dem Hund spielen<br />

dürften. Auf die zustimmende Antwort des<br />

Psychologen erklärte der Junge, dann auch<br />

wiederkommen zu wollen, um mit dem Hund<br />

zu spielen. <strong>Die</strong>s tat er dann einige Sitzungen<br />

lang, ohne Levinson selbst Beachtung zu<br />

schenken. Allmählich wurde dieser aber in das<br />

Spiel mit einbezogen. Langsam entwickelten<br />

die beiden eine gute Arbeitsbeziehung, an<br />

deren Ende die Rehabilitation des Jungen<br />

stand“ (Levinson, 1962, S.105).<br />

Nach dieser Erfahrung setzte Levinson nun<br />

auch bei seinen anderen Patienten Jingles als<br />

„Eisbrecher“ ein und erreichte so, dass sich die<br />

Kinder ihm mehr als je zuvor öffneten, ihre<br />

Reserviertheit und Feindseligkeit ihm<br />

gegenüber aufgaben. Doch Levinson wies auch<br />

darauf hin, dass Tiere nicht nur auf psychisch<br />

labile Kinder, sondern auch auf eine gesunde<br />

emotionale <strong>Entwicklung</strong> im Kindesalter<br />

positive Auswirkungen haben kann<br />

Boris Levinson wählte dann 1969 den<br />

Terminus „Heimtiertherapie“ („pet therapy“),<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

um den Einsatz von Tieren bei der Behandlung<br />

von psychischen Störungen bei Kindern zu<br />

beschreiben. Von vielen seiner Fachkollegen<br />

wurde Levinson zunächst belächelt oder sogar<br />

heftig verspottet.<br />

So schreibt Fine (2000): “However, his<br />

promotion of ‘pet-therapy’ or ‘pet-oriented<br />

child psychotherapy’ or ‘human/ companion<br />

animal therapy’ (all terms that he coined for<br />

his work) was met with cynicism and disdain<br />

by many colleagues. It was reported that one<br />

member of a professional audience to which<br />

Levinson presented his thesis asked: ‘Do you<br />

share your fee with the dog?’ (Fine, 2000;<br />

S.xxviii).<br />

In seinem Buch über “pet-oriented child<br />

psychotherapy” aus dem Jahr 1969 konstatiert<br />

Levinson: „It has by no means been the<br />

intention of this writer to indicate that pets<br />

are a panacea for all the ills of society or for<br />

the pain involved in growing up and growing<br />

old. However, pets are both an aid to and a<br />

sign of the rehumanization of society. They are<br />

an aid in that they help to fill needs which are<br />

not being met in other, perhaps better ways,<br />

because society makes inadequate provision<br />

for meeting them. In the meantime, animals<br />

can provide some relief, give much pleasure<br />

and remind us of our origins” (p.3).<br />

Durch Levinson rücken die Tiere als<br />

therapeutische Begleiter in das wissenschaft-<br />

liche Bewusstsein verschiedenster Disziplinen.<br />

Erste wissenschaftliche Abhandlungen und<br />

Studien sind in der Folge durch die<br />

Psychologen Sam und Elisabeth Corson, die<br />

Soziologin Erika Friedmann und den Mediziner<br />

Aaron H. Katcher durchgeführt worden.<br />

In den 1970iger Jahren bauten Sam und<br />

Elizabeth O’Leary Corson an der Psychiatri-


<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

schen Klinik der Ohio State University ein<br />

Tierversuchslabor auf, in dem sie das<br />

Verhalten von Hunden in unterschiedlichen<br />

Settings beobachten wollten. Sie hatten die<br />

Vorstellung, dass das Verhalten der Hunde<br />

ihnen einen Einblick in das Verhalten von<br />

Kindern und Jugendlichen erlauben würde. Da<br />

der Zwinger, in dem die Hunde gehalten<br />

wurden, nicht lärmgeschützt war, hörten die<br />

Patienten in der Jugendlichen-Abteilung die<br />

Hunde bellen. Schon bald fragten Jugendliche,<br />

die bisher schweigsam waren und sich in sich<br />

zurückgezogen hatten, ob sie bei der<br />

Versorgung der Hunde mithelfen könnten und<br />

ob sie sich nicht intensiver um die Hunde<br />

kümmern dürften.<br />

<strong>Die</strong> Reaktion der Jugendlichen auf die Hunde<br />

regten die Corsons an ein Forschungsprojekt<br />

zu starten, das zeigen sollte, welche Effekte<br />

Hunde auf psychiatrische Patienten haben<br />

können. Ausgewählt wurden vor allem solche<br />

Patienten, die bisher nicht auf die<br />

herkömmlichen Behandlungsmethoden<br />

angesprochen hatten. Das fast unglaubliche<br />

Ergebnis dieser Pilotstudie war eine<br />

dramatische Verbesserung bei 28 von 47<br />

Patienten (Corson, Corson & Gwynne, 1974):<br />

„ ...most of the patients became less with-<br />

drawn, answering a therapist’s questions<br />

sooner and more fully. Subjectively, the<br />

patients appeared happier…” (Beck, 2000,<br />

S.24)<br />

Das Forscherehepaar kam zu dem Schluss:<br />

„This assumption of responsibility for the<br />

safety and care of the dogs serves to develop<br />

self-confidence in the patients and gradually<br />

transformed them from irresponsible,<br />

dependant psychologic invalids into self-<br />

respecting responsible individuals” (Corson et<br />

al., 1977, S. 65). Sie schlussfolgerten, dass sich<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

aufgrund der Anwesenheit der Hunde auf der<br />

Station, es den Jugendlichen leichter falle,<br />

soziale Kontakte zu knüpfen. Auch breite sich<br />

durch die Interaktion zwischen Patienten,<br />

Hunden und Therapeuten ein „erweiternder<br />

Kreis aus Wärme und Zustimmung” aus<br />

(Corson et al., 1977, S. 65).<br />

<strong>Die</strong> Verbesserungen, welche durch den<br />

Umgang mit den Hunden erzielt wurden,<br />

erklärten Elisabeth und Samuel Corson damit,<br />

dass sich Kinder und Jugendliche zu Tieren<br />

hingezogen fühlen, unabhängig davon, ob sie<br />

in der Lage sind, zu Erwachsenen eine<br />

Beziehung aufzubauen. Jugendliche seien<br />

bereit, so die Corsons, Tieren Vertrauen<br />

entgegenzubringen, da sie entweder noch<br />

keine Erfahrungen mit ihnen gemacht haben<br />

oder sogar positive. Viele Kinder und<br />

Jugendliche fühlten beim Umgang mit den<br />

Hunden Sicherheit, da die Tiere einen<br />

untergeordneten Status haben (Corson et al.,<br />

1977, S. 64f)<br />

1975 wechselte das Ehepaar Corson mit ihrem<br />

Projekt zur tiergestützten <strong>Therapie</strong> in ein<br />

Altenpflegeheim. Auch dort konnten sie Tiere<br />

erfolgreich einsetzen. Erst in dieser Zeit<br />

begannen die Corsons systematisch die<br />

körperlichen, psychologischen und sozialen<br />

Wirkungen von Tieren zu beschreiben. <strong>Die</strong><br />

Vorstellung, dass tiergestützte <strong>Therapie</strong> als<br />

therapeutische Intervention ähnlich der<br />

Musik- oder Kunsttherapie genutzt werden<br />

sollte, hat in dieser Arbeit der Corsons ihre<br />

Wurzeln.<br />

Fast zeitgleich erschien ein Aufsatz „Ein<br />

Kaninchen auf Rezept“ von Marina Doyles, der<br />

die positive Wirkung eines Kaninchens in einer<br />

psychiatrischen Klinik aufzeigte. Durch die<br />

Anwesenheit des Tieres wurde die


Atmosphäre entspannter, es gab mehr<br />

Gespräche und die Patienten bauten eine<br />

Beziehung zum Tier auf, welche zugleich eine<br />

Verbindung zur äußeren Realität war.<br />

4 <strong>Die</strong> wissenschaftliche Erforschung beginnt<br />

Damit hatten mehrere Therapeuten<br />

übereinstimmend von wachsendem<br />

Selbstwertgefühl, stärkere körperliche und<br />

geistige Aktivität, steigender Verantwortungs-<br />

bewusstsein und sozialer Kompetenz durch<br />

Kontakt mit Tieren berichtet. Jedoch sind<br />

diese Befunde nicht auf andere Situationen<br />

übertragbar. <strong>Die</strong> Fallstudien und Beobachtun-<br />

gen aus den frühen sechziger und siebziger<br />

Jahre, die oft zitiert wurden, besitzen zwar viel<br />

Plausibilität, jedoch fehlt ihnen eine<br />

wissenschaftlich empirische Evidenz. <strong>Die</strong><br />

Levinson wie das Ehepaar Corson haben<br />

darauf hingewiesen, dass mehr Forschung<br />

notwendig ist, um das Phänomen, wie Tiere<br />

Menschen in therapeutischen Situationen<br />

positiv beeinflussen können, notwendig sind.<br />

Bei einer Untersuchung darüber, welche<br />

Faktoren die Prognose bei Herzinfarktpatien-<br />

ten positiv beeinflussen, stellte die Soziologin<br />

Erika Friedmann in den 1980er Jahren zu<br />

ihrem eigenen Erstaunen fest, dass den<br />

entschieden günstigsten Einfluss der Besitz<br />

eines Haustieres darstellte.<br />

Erika Friedmann und Mitarbeiter führten<br />

Erhebungen bei 96 Patienten durch, die einen<br />

Herzinfarkt erlitten hatten oder an einer<br />

Angina pectoris erkrankt waren, durch. Ziel<br />

der Arbeit war, Faktoren zu ermitteln, die<br />

Auskunft über die Überlebensrate nach der<br />

Krankenhausentlassung geben. Erika Fried-<br />

mann widmete sich bei ihrer Erhebung<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

besonders zwei Faktoren: Der sozialen<br />

Isolation und dem Nutzen von Kontakten und<br />

Partnerschaft für eine Genesung der<br />

Infarktpatienten. <strong>Die</strong> Auswertung der Daten<br />

erbrachte jedoch ein erstaunliches Ergebnis:<br />

<strong>Die</strong> meisten der Patienten, die überlebt<br />

hatten, besaßen ein Haustier. Weitere<br />

Analysen zeigten, dass keine Rolle spielte, um<br />

welche Tierart es sich handelt.<br />

“Only 5.7% of the 53 pet owners compared<br />

with 28.2% of the 39 patients who did not own<br />

pets died within 1 year of discharge from a<br />

coronary care unit (p >.05). The effect of pet<br />

ownership on survival was independent of the<br />

severity of the cardiovascular disease”<br />

(Friedmann, 2000, S.42).<br />

<strong>Die</strong>se und andere Studien regten die Wissen-<br />

schaft an, sich intensiver mit der Frage zu be-<br />

schäftigen, warum und wodurch Tiere eine<br />

positive Wirkung das körperliche und seeli-<br />

sche Wohlbefinden des Menschen haben<br />

können.<br />

Alan Beck, Direktor des Center for Applied<br />

Ethology and Human-Interaction am Veterina-<br />

rian Centre at Purdue University und Aaron<br />

Katcher, Psychiater und Dozent an der Univer-<br />

sity of Pennsylvania, trugen ebenso maßgeb-<br />

lich zum Verständnis der Mensch-Tier-<br />

Beziehung bei. So postulierten Beck und Kat-<br />

cher 1983, dass Tiere die körperliche und psy-<br />

chische Gesundheit fördern können, als tägli-<br />

cher Begleiter des Menschen soziale Unter-<br />

stützung bieten und auch therapeutisch wir-<br />

ken können. In der zweiten Auflage ihres Bu-<br />

ches im Jahr 1996 belegten sie mit zahlreichen<br />

Forschungsarbeiten ihre Vorstellung, dass Tie-<br />

re nicht für uns notwendige Begleiter sind,<br />

sondern dass sie auch einfach in die psycho-


<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

therapeutische Arbeit mit Menschen integriert<br />

werden können (Beck & Katcher, 1996).<br />

In Deutschland war Prof. Bergler und die For-<br />

schungsgruppe Psychologie der Mensch-Tier-<br />

Beziehung wesentlich an der wissenschaftli-<br />

chen Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung<br />

beteiligt. <strong>Die</strong> bisherigen theoretischen wie<br />

empirischen Forschungsergebnisse wurden<br />

seit 1986 in zahlreichen Monographien, Zeit-<br />

schriftenartikeln und Kongressbeiträgen publi-<br />

ziert. So erschien zum Beispiel 1986 das Buch<br />

„Mensch und Hund“. Dabei wurden jedoch<br />

mehr die Wirkungen von Haustieren auf ihre<br />

Bezugspersonen und die Familienmitglieder,<br />

mit denen sie lebten, untersucht, als die Wir-<br />

kungen spezifischer therapeutischer oder pä-<br />

dagogischer Interventionen.<br />

5 Erste Organisationen entstehen<br />

Ende der 70er Jahre gründeten Mediziner,<br />

Psychologen, Gerontologen, Psychotherapeu-<br />

ten und Verhaltensforscher aus den USA und<br />

England eine Organisation, - die „Human Ani-<br />

mal Companion Bond“ – welche die Erfor-<br />

schung der Mensch-Tier-Beziehung zur Aufga-<br />

be hat. Aus diesen Anfängen bildete sich im<br />

Laufe der Jahrzehnte eine große Anzahl von<br />

Institutionen, die sich mit der Mensch-Tier-<br />

Beziehung befassen:<br />

1977 gründete sich in Portland/Oregon die<br />

Stiftung „Delta Socitey“, die mit ihrem soge-<br />

nannten »Pet Partner Programm „Pet facili-<br />

tated Therapy“« flächendeckend in den USA<br />

verbreitete. In 2012, Delta Society changed its<br />

name to Pet Partners in order to convey more<br />

clearly its mission. Nach über 35 Jahren änder-<br />

te die Delta Society 2012 ihren Namen in »Pet<br />

Partners«. Wichtigstes Ziel der Organisation<br />

ist weiterhin die Verbesserung der Gesundheit<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

von Menschen durch die positive Interaktion<br />

mit <strong>Therapie</strong>-, Service- und Haustieren (eng-<br />

lisch: therapy, service and companion ani-<br />

mals).<br />

1990 wurde die internationale Dachorganisa-<br />

tion „International Association of Human-<br />

Animal Interaction Organizations“ (IAHAIO)<br />

mit Hauptsitz in Renton (Washington, D.C.)<br />

gegründet. Als Folge des internationalen Zu-<br />

sammenschlusses aller Institutionen, die sich<br />

mit dem Thema Mensch-Tier-Beziehung be-<br />

schäftigen, ist die IAHAIO in Organisationen<br />

weltweit untergliedert, z. B. in Großbritannien<br />

(z.B. Society für Companion Animal Studies), in<br />

Deutschland (z.B. Forschungskreis Heimtiere<br />

in der Gesellschaft, Hamburg), in Japan (z.B.<br />

Society for the Study of Human Animal Relati-<br />

ons).<br />

<strong>Die</strong> IAHIO hat in verschiedenen Deklarationen<br />

zum Thema tiergestützte <strong>Therapie</strong> Stellung<br />

genommen 1 .<br />

IAHAIO Geneva Declaration 1995<br />

Preamble<br />

Recent research is demonstrating the various<br />

benefits of companion animals to people's<br />

well-being, personal growth, and quality of<br />

life.<br />

In order to enable their presence and ensure<br />

the harmonious companionship of animals in<br />

our lives, owners, and governments both have<br />

duties and responsibilities.<br />

IAHAIO members have adopted five funda-<br />

mental resolutions at their General Assembly,<br />

held in Geneva on 5 September 1995. IAHAIO<br />

urges all international bodies concerned and<br />

1 http://iahaio.org/pages/declarations/declarations.php


all national governments to consider and acti-<br />

vate the following resolutions.<br />

Resolutions<br />

1. To acknowledge the universal non-dis-<br />

criminatory right to pet ownership in all<br />

places and reasonable circumstances, if the<br />

pet if properly cared for and does not con-<br />

travene the rights of non-pet owners.<br />

2. To take appropriate steps to ensure that the<br />

human environment is planned and de-<br />

signed to take the special needs and cha-<br />

acteristics of pets and their owners into ac-<br />

count.<br />

3. To encourage the regulated presence of<br />

companion animals in schools and school<br />

curricula, and to work to convince teachers<br />

and educators of the benefits of this pres-<br />

ence through appropriate training pro-<br />

grammes.<br />

4. To ensure regulated companion animals<br />

access into hospitals, retirement and nurs-<br />

ing homes, and other centres for the care<br />

of people of all ages who are in need of<br />

such contact.<br />

5. To officially recognize as valid therapeutic<br />

interventions those animals that are specif-<br />

ically trained to help people overcome the<br />

limitations of disabilities; to foster the de-<br />

velopment of programs to produce such<br />

animals; and to ensure that education<br />

about the range of capabilities of these an-<br />

imals is included in the basic training of the<br />

health and social service professions.<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Prague Declaration 1998<br />

Preamble<br />

There is much research now available to prove<br />

that companion animals can add to the Quali-<br />

ty of Life of the humans to whom they may<br />

provide practical assistance or therapy.<br />

IAHAIO members believe that those who train<br />

animals and deliver the service to others must<br />

ensure the Quality of Life of the animals in-<br />

volved. Programmes offering animal-assisted<br />

activities or animal-assisted therapy for the<br />

benefit of others should be governed by basic<br />

standards, regularly monitored, and be staffed<br />

by appropriately trained personnel.<br />

IAHAIO members have therefore adopted four<br />

fundamental guidelines at their General As-<br />

sembly held in Prague in September, 1998.<br />

IAHAIO urges all persons and organizations<br />

involved in animal-assisted activities and/or<br />

animal-assisted therapy, and all bodies gov-<br />

erning the presence of such programmes in<br />

their facilities to consider and abide by the<br />

following points.<br />

Guidelines<br />

1. Only domestic animals which have been<br />

trained using techniques of positive rein-<br />

forcement, and which have been, and will<br />

continue to be, properly housed and cared<br />

for, are involved.<br />

2. Safeguards are in place to prevent adverse<br />

effects on the animals involved.<br />

3. The involvement of assistance and/or ther-<br />

apy animals is potentially beneficial in each<br />

case.<br />

4. Basic standards are in place to ensure safe-<br />

ty, risk management, physical and emo-<br />

tional security, health, basic trust and free-


<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

dom of choice, personal space, appropriate<br />

allocation of programme resources, appro-<br />

priate workload clearly defined roles, con-<br />

fidentiality, communication systems and<br />

training provision for all persons involved.<br />

The IAHAIO Rio Declaration 2001 on<br />

Pets in Schools<br />

Given the strong evidence that has accumu-<br />

lated in recent years demonstrating the value,<br />

to children and juveniles, of social relation-<br />

ships with companion animals it is important<br />

that children be taught proper and safe be-<br />

haviour towards those animals and the correct<br />

care, handling and treatment of the various<br />

companion animal species.<br />

Realising that companion animals in school<br />

curricula encourage the moral, spiritual and<br />

personal development of each child, bring so-<br />

cial benefits to the school community and en-<br />

hance opportunities for learning in many dif-<br />

ferent areas of the school curriculum, IAHAIO<br />

members have adopted fundamental guide-<br />

lines on pets in schools at their General As-<br />

sembly, held in Rio de Janeiro in September<br />

2001.<br />

IAHAIO urges all school authorities and teach-<br />

ers, as well as all persons and organisations<br />

involved in pet programmes for schools, to<br />

consider and abide by the following guide-<br />

lines:<br />

1. Programmes about companion animals<br />

should, at some point, allow personal con-<br />

tact with such animals in the classroom<br />

setting. Depending on school regulations<br />

and facilities, these animals will:<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

a) be kept, under suitable conditions, on<br />

the premises, or<br />

b) be brought to school by the teacher, or<br />

c) come to visit, in the context of a visiting<br />

programme, together with their own-<br />

ers, or<br />

d) accompany, as a service dog, a child with<br />

special needs.<br />

2. Any programme involving personal contact<br />

between children and companion animals<br />

must ensure:<br />

a) that the animals involved are<br />

- safe (specially selected and/or<br />

trained),<br />

- healthy (as attested by a veterinarian),<br />

- prepared for the school environment<br />

(e.g. socialized to children, adjusted<br />

to travel in the case of visiting ani-<br />

mals),<br />

- properly housed (either in the class-<br />

room or while at home), and<br />

- always under supervision of a knowl-<br />

edgeable adult (either the teacher or<br />

the owner);<br />

b) that safety, health and feelings of each<br />

child in the class are respected.<br />

3. Prior to the acquisition of classroom ani-<br />

mals or visitation of the class by pro-<br />

gramme personnel with companion ani-<br />

mals that meet the above criteria, both<br />

school authorities and parents must be in-<br />

formed and convinced of the value of such<br />

encounters.<br />

4. Precise learning objectives must be defined<br />

and should include:


a) enhancement of knowledge and learning<br />

motivation in various areas of the<br />

school curriculum<br />

b) encouragement of respect and of a<br />

sense of responsibility for other life<br />

forms<br />

c) consideration of each child’s expressive<br />

potential and involvement.<br />

5. The safety and well-being of the animals<br />

involved must be guaranteed at all times<br />

Der von der Delta Society (heute Pet Partners)<br />

ausgelösten Boom vor allem Hunde in Thera-<br />

pien aber auch im Rahmen von Besuchsdiens-<br />

ten in den USA einzusetzen, führte auch im<br />

deutschsprachigen Raum zur Gründung unter-<br />

schiedlichster Organisationen. Angelehnt an<br />

dir Vorgaben und das Vorgehen der Delta<br />

Society organisierten sich zunächst kleine<br />

Gruppen von Interessierten.<br />

In Österreich organisierte 1985 die Biologin<br />

Dr. Gerda Wittmann erste Initiativen zur tier-<br />

gestützten <strong>Therapie</strong>. Frau Wittmann hatte<br />

während ihres langjährigen Aufenthaltes in<br />

Australien die Gelegenheit gehabt, die tierge-<br />

stützte <strong>Therapie</strong> kennenzulernen. Nach ihrer<br />

Rückkehr setzte sie es sich zum Ziel, diese<br />

auch in Österreich einzuführen. Frau Witt-<br />

mann und einige freiwillige Helferinnen, die<br />

von ihrer Idee überzeugt waren, gelang es -<br />

allen Schwierigkeiten zum Trotz - ein Tierbe-<br />

suchsprogramm im Gartenareal des Pflege-<br />

heims Lainz, dem heutigen Geriatriezentrum<br />

am Wienerwald, einzuführen. 1991 wurde<br />

dann der Verein Tiere als <strong>Therapie</strong> gegründet.<br />

Der Verein initiierte Studien über tiergestützte<br />

<strong>Therapie</strong> am Geriatriezentrum am Wiener-<br />

wald unter der Leitung von Prim. Dr. Eva<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Fuchswans und am psychiatrischen Kranken-<br />

haus Baumgartner Höhe von Prim. Dr. Tölk,<br />

Frau Dr. Djalilian und Prof. Hermann Bubna-<br />

Littitz.<br />

Seit August 1997 hat der Verein seinen Sitz an<br />

der Veterinärmedizinischen Universität Wien<br />

mit dem Ziel, seine Intentionen einem größe-<br />

ren Personenkreis zugänglich und bekannt zu<br />

machen. Um die Qualität der Arbeit des Ver-<br />

eins weiter zu verbessern, wurden ab diesem<br />

Zeitpunkt spezielle Ausbildungskurse für The-<br />

rapiebegleithunde, die einen großen Teil der<br />

<strong>Therapie</strong>begleittiere stellen, entwickelt und<br />

abgehalten.<br />

In Deutschland wurde 1987 der Verein "Tiere<br />

helfen Menschen e.V." gegründet. Initiatorin<br />

war die Tierärztin Dr. Brigitte von Rechenberg.<br />

Sie brachte die Idee aus den Vereinigten Staa-<br />

ten von Amerika mit.<br />

Nachfolgend entstanden vielfältige Organisa-<br />

tionen, Vereine und Initiativen, die sich mit<br />

tiergestützter <strong>Therapie</strong> im weitesten Sinne<br />

beschäftigten. In der Schweiz war es der Ver-<br />

ein <strong>Therapie</strong>hunde Schweiz, in Österreich un-<br />

ter anderem die Vereine Tiere als <strong>Therapie</strong><br />

und Tiere helfen Leben. In Deutschland war<br />

der Verein Tiere helfen Menschen maßgeblich<br />

an der <strong>Entwicklung</strong> beteiligt. Während sich vor<br />

allem in Österreich sehr schnell eine gut orga-<br />

nisierte Struktur entwickelte, zersplitterte in<br />

Deutschland die Bewegung in sehr viele unter-<br />

schiedlichste Vereine, Verbände und Interes-<br />

sengemeinschaften<br />

Während die Initiativen zunächst den Schwer-<br />

punkt ihrer Tätigkeit in der praktischen Um-<br />

setzung sahen, zeigte sich bald, dass ohne die<br />

<strong>Entwicklung</strong> von systematischen Aus- und<br />

Weiterbildungen sowie der Einführung zumin-<br />

dest von minimalen Qualitätsstandards eine


<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Weiterentwicklung nicht möglich war. Daher<br />

wurden nach und nach Ausbildungsinstitute<br />

geschaffen, welche eine fundierte Aus- und<br />

Weiterbildung gewährleisten sollten. Aber<br />

auch hier findet sich vor allem in Deutschland<br />

eine kaum übersehbare Vielfalt mit unter-<br />

schiedlichsten Ausbildungsstandards und Qua-<br />

litätsansprüchen.<br />

Im Oktober 2004 wurde ESAAT - European<br />

Society for Animal Assisted Therapy - Verein<br />

zur Erforschung und Förderung der therapeu-<br />

tischen, pädagogischen und salutogenetischen<br />

Wirkung der Mensch/Tier-Beziehung mit Sitz<br />

in Wien an der Veterinärmedizinischen Uni-<br />

versität Wien gegründet. <strong>Die</strong> Hauptaufgaben<br />

der ESAAT sind die Erforschung und Förderung<br />

der tiergestützten <strong>Therapie</strong> sowie die Ausbil-<br />

dung auf dem Gebiet der tiergestützten The-<br />

rapie einheitlicher zu gestalten und EU-weit zu<br />

vereinheitlichen. Ein weiteres Anliegen der<br />

ESAAT ist die Erreichung der Anerkennung der<br />

tiergestützten <strong>Therapie</strong> als anerkannte Thera-<br />

pieform sowie die Schaffung eines eigenen<br />

Berufsbildes.<br />

Jedoch kam es bald zu Unstimmigkeiten über<br />

die Qualitätsstandards und vor allem über die<br />

Ausbildung der <strong>Therapie</strong>begleittiere. Darauf-<br />

hin spaltete sich die International Society of<br />

Animal Assisted Therapy (ISAAT) ab, so dass<br />

derzeit zwei (konkurrierende) Organisationen<br />

bestehen.<br />

Erst 2005 kam es zu einer ersten gemeinsa-<br />

men Tagung von Wissenschaftlern und Prakti-<br />

kern unter der Federführung des Forschungs-<br />

kreises „Heimtiere in der Gesellschaft“. Weite-<br />

re Tagungen folgten.<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

6 Stand heute?!<br />

Man kann also festhalten, dass das Feld der<br />

tiergestützten Interventionen aus der Praxis<br />

entstanden und durch sie wesentlich geprägt<br />

ist (Fine 2010; Greiffenhagen& Buck-Werner<br />

2007; Olbrich& Otterstedt 2003). Der bisheri-<br />

ge <strong>Entwicklung</strong>sverlauf zeigt den typischen<br />

Verlauf einer sogenannten ‚Graswurzelbewe-<br />

gung‘. <strong>Die</strong>s hat dazu geführt, dass das Feld der<br />

tiergestützten Interventionen zumindest in<br />

Deutschland durch eine ausgeprägte Hetero-<br />

genität der Angebote, der Strukturen und der<br />

Akteure gekennzeichnet ist.<br />

Hieraus resultiert eine seit vielen Jahren an-<br />

dauernde und kontrovers geführte Diskussion<br />

um den Bedarf, die Zielgruppen, die Inhalte,<br />

die Methodik und die Wirksamkeit der Maß-<br />

nahmen. So ist umstritten, ob eine Haustier-<br />

haltung, wenn etwa ein selbstunsicherer Ju-<br />

gendlicher einen Hund bekommt, eine tierge-<br />

stützte Intervention darstellt. Auch ist nicht<br />

festgelegt, ab wann beispielsweise bei der<br />

Mitarbeit eines delinquenten Jugendlichen auf<br />

einem Bauernhof von tiergestützter Pädagogik<br />

gesprochen werden kann. Ebenso umstritten<br />

ist die Frage, ob Tiere für alle Arten der tierge-<br />

stützten Interventionen speziell ausgebildet<br />

sein müssen (Vernooij & Schneider 2008;<br />

Saumweber 2009; Wohlfarth, 2012).<br />

Es darf dabei nicht vergessen werden, dass die<br />

ersten Jahrzehnte tiergestützter <strong>Therapie</strong><br />

meist aus unprofessionellen Versuchen be-<br />

stand, Tiere bei meist sonst als „untherapier-<br />

baren“ geltenden Patienten einzusetzen. „Im<br />

Mittelpunkt standen stets die Menschen, de-<br />

nen geholfen werden sollte, die Tiere waren<br />

allein ein Mittel zum Zweck, das ausgetauscht<br />

werden konnte, wenn es eben diesen Zweck<br />

nicht zufriedenstellend erfüllte. <strong>Die</strong> Entschei-


dung darüber, welche Tiere man einsetzte,<br />

[beruhte] häufig weniger auf gezielten Überle-<br />

gungen hinsichtlich einer Passung zwischen<br />

Tier und dem Klienten oder Patienten, bei wel-<br />

chem das Tier zum Einsatz kommen sollte,<br />

sondern vielmehr auf räumlichen, organisato-<br />

rischen, finanziellen und/ oder personellen Ge-<br />

gebenheiten“ (Niepel 1998; S.60).<br />

Zudem fehlen einige weitere Voraussetzungen<br />

für die Akzeptanz wirkungsvoller tiergestütz-<br />

ter Intervention wie ein überdisziplinäres<br />

Grundverständnis, eine konzeptionelle Fun-<br />

dierung, die strukturelle Verankerung des Be-<br />

reichs und die Erprobung und Evidenzbasie-<br />

rung von Interventionen (Saumweber 2009).<br />

Obwohl einige Versuche unternommen wur-<br />

den, wenigsten einen Teil dieser Mängel zu<br />

beseitigen (Schwarzkopf & Olbrich 2008; Ver-<br />

nooij & Schneider 2008; Otterstedt 2007;<br />

Saumweber 2009), haben diese Versuche nur<br />

begrenzt Eingang in die Praxis gefunden. <strong>Die</strong><br />

aktuelle Praxis ist der Theorie weit voraus, was<br />

dazu führt, dass der therapeutische Einsatz<br />

von Tieren nicht empirisch fundiert ist.<br />

Dadurch werden in der Praxis Tiere häufig als<br />

„Wundermittel“ angesehen, jedoch muss kon-<br />

statiert werden, dass die Möglichkeiten und<br />

Chancen wie auch die allgemeine Wirksamkeit<br />

von vielen sehr enthusiastischen Praktikern<br />

wahrscheinlich überschätzt wird. Zudem wer-<br />

den positive Wirkungen, welche durch Heim-<br />

tiere im täglichen Kontakt mit ihren Bezugs-<br />

personen entfalten, unkritisch auf die spezielle<br />

Situation der tiergestützten <strong>Therapie</strong> übertra-<br />

gen (Wohlfarth, Mutschler & Bitzer, in Vorb.).<br />

Ein weiterer Aspekt ist festzuhalten. In den<br />

Anfangsjahren der tiergestützten <strong>Therapie</strong><br />

wurden Tiere noch häufig funktionalisiert und<br />

instrumentalisiert. Sie wurden gleichsam als<br />

Pille oder <strong>Therapie</strong>material betrachtet. Erst<br />

© <strong>Freiburger</strong> Institut für tiergestützte <strong>Therapie</strong><br />

<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

nach und nach setzte sich sowohl bei Prakti-<br />

kern wie Wissenschaftlern die Erkenntnis<br />

durch, dass Tiere in der <strong>Therapie</strong> als Partner<br />

angesehen werden müssen und nicht als<br />

Werkzeug, das nur ausgebeutet wird (Zamir,<br />

2006).<br />

Auch heute gilt, dass trotz aller Versuche im-<br />

mer noch keine ausreichende empirische Basis<br />

und praktische Grundlage für tiergestützte<br />

<strong>Therapie</strong> geschaffen wurde: „Zum einen<br />

herrscht ein Mangel an klar durchstrukturier-<br />

ten Arbeitskonzepten, in denen das Fachwis-<br />

sen verschiedenster Professionen gebündelt<br />

wird zu eindeutigen Handlungsanleitungen für<br />

den Einsatz von Tieren/Hunden in den je spezi-<br />

fischen Institutionen mit je spezifischen Klien-<br />

tel. Zum anderen [werden] ethische und tier-<br />

schutzrechtliche Fragen nicht nur nicht beant-<br />

wortet, sondern meist erst gar nicht gestellt“<br />

(Niepel 1998; S.71).<br />

Noch fehlt also ein umfassendes Qualitätsma-<br />

nagement, welches tierethische Überlegungen<br />

berücksichtigt (Wohlfarth, Mutschler & Bitzer,<br />

2011).<br />

Trotz aller Erfolge muss abschließend festge-<br />

halten werden, „insgesamt dominieren im<br />

deutschen Sprachraum gegenwärtig noch im-<br />

mer die individuellen Handlungsansätze, mit<br />

der Konsequenz mangelnder Informationswei-<br />

tergabe, mangelnden fachlichen Austausch,<br />

mangelnder Bündelung von Ressourcen und<br />

Potentialen, in der Folge auch einer entspre-<br />

chend geringen politischen Durchsetzungs-<br />

kraft. Erst in jüngerer Zeit gibt es gemeinsame<br />

Symposien, die den fachlichen Austausch in<br />

Gang setzen wollen” (Beetz, 2000; S.9).<br />

Und dies ist heute im Jahr 2011 nicht anders<br />

als im Jahr 2000 als Andrea Beetz dieses<br />

Statement formulierte.


<strong>Tiergestützte</strong> <strong>Therapie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>geschichtliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

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