Tierheimzeitung 2_2010 - Tierheim Paderborn
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<strong>Tierheim</strong> Zeitung <strong>Paderborn</strong> Ausgabe 2/<strong>2010</strong><br />
Seite 4<br />
die Suchmeldung sich wie ein flächendeckendes Netz im<br />
ganzen Land verbreitet hatte, gab es von nirgendwo ein<br />
Lebenszeichen.<br />
Die Zeit verging und jeder Gedanke blieb vage Vermutung.<br />
Die Angst um Cymes grub sich mit jeder Stunde<br />
tiefer in mein Bewusstsein. Vielleicht war er ja doch vor<br />
ein Auto gelaufen. Auch wenn nirgendwo ein überfahrener<br />
Hund gefunden worden war, die Wahrscheinlichkeit dass<br />
er angefahren wurde und sich verletzt in ein Versteck zurückgezogen<br />
haben könnte, war groß. Durch das Gebiet,<br />
in dem er entlaufen war, verlief eine stark befahrene Bundestraße.<br />
Aber genauso gut konnte es sein, dass er von einem Jäger<br />
angeschossen worden war. Nur zu gut wusste ich, wie<br />
gern die Grünröcke ihrem Hobby frönen. Vielleicht war er<br />
längst tot. Vielleicht aber schleppte er sich auch irgendwo<br />
schwer verletzt durch den Wald.<br />
Ich fühlte mich hilflos und warf mir vor, untätig zuzusehen,<br />
wie die Dinge ihren Lauf nahmen. Andererseits wusste ich<br />
auch nicht, was ich noch anderes hätte tun können. Selbst<br />
wenn ich tagelang mit Rucksack durch die Wälder Istrups<br />
gewandert wäre, ich hätte ihn nicht finden können. Das<br />
war mir mittlerweile klar geworden. Denn was immer auch<br />
passiert war, entweder wollte Cymes keinen Kontakt mehr<br />
zu den Menschen und versteckte sich absichtlich vor ihnen,<br />
oder er hatte die Gegend um Istrup längst verlassen.<br />
Es war gut möglich, dass er in den letzten Tagen unzählige<br />
Kilometer gelaufen war. Und wer weiß, vielleicht war<br />
er längst von einer liebevollen Familie aufgenommen worden,<br />
oder er hatte in dieser ländlichen Gegend auf einem<br />
Bauernhof Zuflucht gefunden, möglicherweise ohne das<br />
Wissen des Bauern. Scheunen sind oft zugänglich und<br />
Futter könnte er in jedem Trog finden.<br />
So saß ich also wieder da und ließ zu, dass mich das<br />
Zwiegespräch meiner Gedanken zermürbte. Am unerträglichsten<br />
empfand ich die Befürchtung, vielleicht nie wieder<br />
etwas von Cymes zu hören. Niemals zu erfahren, was aus<br />
ihm geworden ist. Aber damit wollte ich mich nicht abfinden.<br />
So durfte seine Geschichte nicht enden.<br />
Zwei weitere Tage der Angst und des Wartens vergingen.<br />
Die <strong>Tierheim</strong>leiterin des <strong>Tierheim</strong>s <strong>Paderborn</strong> hatte sich<br />
inzwischen auf meine Bitte hin mit einem Tierschutzkollegen<br />
aus Koblenz, Frank Weißkirchen, in Verbindung gesetzt.<br />
Ein Mann, der sich in den letzten Jahren auf das<br />
Einfangen entlaufener Hunde spezialisiert hatte, und auf<br />
dessen Kompetenz ich meine letzte Hoffnung setzte. Aber<br />
leider hatte er den Fall nicht mehr angenommen, da viel<br />
zu viel Zeit seit Cymes‘ Verschwinden vergangen war. Er<br />
hatte der <strong>Tierheim</strong>leiterin erklärt, dass man nach einer<br />
Woche nicht mehr viel tun könne, und sie zu lange gewartet<br />
habe, sich bei ihm zu melden. Die Spur sei für einen<br />
Suchhund schon zu „kalt“, und es bliebe uns momentan<br />
nichts anderes mehr übrig, als den Fall so weit wie möglich<br />
bekannt und öffentlich zu machen, um zunächst eine<br />
Sichtung von Cymes zu bekommen.<br />
Das aber hatte ich ja nun längst getan. Tierschützer im<br />
ganzen Land kannten mittlerweile Cymes‘ Geschichte und<br />
halfen, die Suchmeldung zu verbreiten. Selbst aus der<br />
Toskana und aus der Schweiz erreichten mich inzwischen<br />
besorgte Zuschriften.<br />
Ich setzte mich also noch einmal selbst mit Frank Weißkirchen<br />
in Verbindung. Ich erzählte ihm von Cymes‘ Vorgeschichte,<br />
seinem bisherigen erbärmlichen Leben und der<br />
beschwerlichen Befreiung aus dem unwürdigen Dasein,<br />
das ihm von seinem früheren Menschen aufgezwungen<br />
wurde. Ich versuchte, ihm noch einmal deutlich zu machen,<br />
wie sehr wir auf seine Hilfe angewiesen waren, um<br />
die Geschichte von Cymes nicht an dieser Stelle enden<br />
lassen zu müssen. Er erklärte aber auch mir noch einmal,<br />
dass er ohne eine erneute Sichtung wirklich nichts<br />
tun könne und jedes andere Versprechen unehrlich wäre.<br />
Aber er versprach, er wolle noch einmal über alles nachdenken<br />
und sich gegebenenfalls wieder melden.<br />
Am Abend desselben Tages rief er zurück: „Ich werde<br />
Ihnen helfen. Ich weiß nicht genau warum, aber diese<br />
Geschichte geht mir irgendwie nah.“ Wir haben dann an<br />
diesem Abend eine ganze Weile geredet und gemeinsam<br />
über die uns verbleibenden Möglichkeiten, Cymes wiederzufinden,<br />
nachgedacht. Aber was immer wir uns auch<br />
überlegten, alles lief darauf hinaus, dass wir zunächst den<br />
Aufenthaltsort des Hundes lokalisieren mussten.<br />
Am nächsten Morgen rief ich beim Westfälischen Volksblatt<br />
in <strong>Paderborn</strong> an. Ich wusste natürlich, dass Tageszeitungen<br />
sich recht schwer damit tun, Suchmeldungen für<br />
verschwundene Haustiere zu veröffentlichen, aber einen<br />
Versuch musste ich wagen.<br />
Der Redakteur konnte sich an meinen Namen erinnern. Er<br />
hatte im letzten Sommer einen Artikel über meine Buchprojekte<br />
geschrieben. Ich berichtete ihm also von meinem<br />
Anliegen. Aber leider konnte er nichts für mich tun. Brakel-<br />
Istrup, der Ort an dem Cymes entlaufen war, läge nicht<br />
mehr in seinem Zuständigkeitsbereich erklärte er mir, und<br />
ich müsse mich direkt an die Redaktion in Brakel wenden.<br />
Da er dort aber mal gearbeitet habe, könne er mir die<br />
Nummer eines ihm gut bekannten Kollegen geben.<br />
Eine halbe Stunde später telefonierte ich bereits mit dem<br />
Kollegen in Brakel. Herr Köster war sehr freundlich und<br />
hörte mir aufmerksam zu. Trotzdem konnte ich sein Kopfschütteln<br />
regelrecht sehen, nachdem ich ihm von einem<br />
entlaufenen Hund erzählt hatte, und dass es darum gehe,<br />
diesen Hund zu finden. Solche „Suchanzeigen“ könne er<br />
nicht schreiben, erklärte er mir, ich müsse das verstehen,<br />
da hätte die Zeitung viel zu tun. Wenn man einmal damit<br />
anfinge, käme jeden Tag einer vorbei, dem die Katze<br />
oder der Hund entlaufen sei. Ich nickte, nicht weil ich<br />
dafür Verständnis hatte, sondern weil ich nichts anderes<br />
tun konnte, als diese eindeutige Aussage zu akzeptieren.<br />
Aber Cymes war halt nicht irgendein Hund. Cymes hatte<br />
eine Geschichte. Eine, die nahe ging und eine, die nicht<br />
an dieser Stelle enden sollte. Und diese Geschichte erzählte<br />
ich dem Redakteur. Ich wusste, dass er sie nicht<br />
unbedingt hören wollte, und dass er das Gespräch an dieser<br />
Stelle genauso gern beendet hätte. Aber davon ließ<br />
ich mich in diesem Moment nicht beirren. Herr Köster und<br />
das Westfalenblatt, wie die Zeitung sich in dieser Region<br />
nun nannte, waren momentan Cymes‘ einzige und letzte<br />
Chance. Die Aushänge, die in Brakel und Umgebung<br />
längst alle Straßenzüge, Läden und Arztpraxen tapezier-