Umbruch in Berlin? - Kreishandwerkerschaft Rhein-Westerwald
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Brennpunkt Handwerk 3/2005 Rhe<strong>in</strong>-<strong>Westerwald</strong> Seite 3<br />
Forderung an Berl<strong>in</strong>: Handwerks<strong>in</strong>teressen beachten<br />
Brennpunkt Handwerk im Interview mit Vorsitzendem Kreishandwerksmeister Kurt Krautscheid<br />
Brennpunkt Handwerk im Interview<br />
mit dem Vorsitzenden Kreishandwerksmeister<br />
der <strong>Kreishandwerkerschaft</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>-<strong>Westerwald</strong>, Herrn<br />
Dachdeckermeister Kurt Krautscheid,<br />
zu allgeme<strong>in</strong>en Fragen der<br />
Handwerkspolitik.<br />
Brennpunkt Handwerk: Herr Krautscheid,<br />
der ZDH diskutiert derzeit über<br />
Strukturfragen der Handwerksorganisation.<br />
Diskutiert wird auch über den Aufgabenbereich<br />
und die Notwendigkeit<br />
von Innungen und <strong>Kreishandwerkerschaft</strong>en.<br />
Wie ist Ihre Me<strong>in</strong>ung hierzu?<br />
Krautscheid: Innungen und <strong>Kreishandwerkerschaft</strong><br />
s<strong>in</strong>d für die Handwerksorganisation<br />
unverzichtbar. Sie s<strong>in</strong>d<br />
der Garant dafür, dass die regionale<br />
B<strong>in</strong>dung zwischen Handwerk, Wirtschaft,<br />
Verwaltung und Politik funktioniert.<br />
Während die Innung sich hier<br />
besonders mit fachlichen D<strong>in</strong>gen und<br />
der Berufsausbildung befasst, hat die<br />
<strong>Kreishandwerkerschaft</strong> die Gesamt<strong>in</strong>teressenvertretung<br />
wahrzunehmen.<br />
An was denken Sie da besonders?<br />
Krautscheid: Die Aufgabe der <strong>Kreishandwerkerschaft</strong><br />
ist es, an den Stellen<br />
präsent zu se<strong>in</strong> und den Kontakt<br />
zu halten, bei denen der e<strong>in</strong>zelne<br />
Handwerker entweder ke<strong>in</strong> Gehör f<strong>in</strong>det<br />
oder ke<strong>in</strong>e Zeit dafür aufbr<strong>in</strong>gen<br />
kann. Wer sonst hält den Kontakt zu<br />
Landrat, Kreis-, Stadt- und Verbandsgeme<strong>in</strong>deverwaltungen?<br />
Wer sonst<br />
hält den direkten Kontakt zum Arbeitsamt,<br />
den Banken und Sparkassen, zu<br />
den Architekten bis h<strong>in</strong> zum F<strong>in</strong>anzamt?<br />
Hier ist nach e<strong>in</strong>er starken Handwerksorganisation<br />
gefragt. Denn der<br />
persönliche Kontakt zählt mehr als e<strong>in</strong>e<br />
noch so moderne Bürokommunikation<br />
per Internet und E-Mail. Die <strong>Kreishandwerkerschaft</strong><br />
ist neben der Innung<br />
erster Ansprechpartner für den Handwerker,<br />
um bei regionalen Problemen<br />
zu helfen.<br />
Die Meisterprüfung als Zugangsvoraussetzung<br />
zur Selbständigkeit im<br />
Handwerk ist <strong>in</strong> vielen Berufen weggefallen.<br />
S<strong>in</strong>d hier schon Veränderungen<br />
spürbar?<br />
Krautscheid: Aber sicher! Jetzt wird<br />
deutlich, wovor das Handwerk von Anfang<br />
an gewarnt hat. Der Wegfall der<br />
Meisterprüfung führt zu e<strong>in</strong>er Dequalifizierungs-Spirale.<br />
Sie vernichtet<br />
Arbeitsplätze im Handwerk und fördert<br />
die Sche<strong>in</strong>selbständigkeit sowie die<br />
Billiglohn-Konkurrenz aus dem Ausland.<br />
Können Sie e<strong>in</strong> Beispiel nennen?<br />
Krautscheid: Besonders deutlich wird<br />
dies im Fliesenleger-Handwerk. Hier<br />
ist die Zahl der neu abgeschlossenen<br />
Ausbildungsverträge um rund 20%<br />
gesunken, dies, obwohl sich die Zahl<br />
der Betriebe alle<strong>in</strong> 2004 von ca. 12.000<br />
auf 25.000 mehr als verdoppelt hat.<br />
Hier rächt sich, dass rund 80% der<br />
Gründer über ke<strong>in</strong>e betriebs- oder<br />
fachspezifische Ausbildung verfügen.<br />
Wer selbst nicht ausgebildet ist, kann<br />
auch nicht ausbilden.<br />
Ist Hilfe <strong>in</strong> Sicht?<br />
Krautscheid: Konkret leider nicht. Wir<br />
können es nur nachdrücklich<br />
begrüßen, dass e<strong>in</strong>ige führende Unionsvertreter<br />
über e<strong>in</strong>e Korrektur der<br />
Handwerksordnung nachdenken. Das<br />
Handwerk ist gerne bereit, an Nachbesserungen<br />
mitzuarbeiten, die auf<br />
mehr Qualifizierung bei den Betriebs<strong>in</strong>habern<br />
und mehr Ausbildung abzielen.<br />
Auch die „E<strong>in</strong>-Euro-Jobs“ stehen<br />
immer wieder <strong>in</strong> der Kritik. Zu recht?<br />
Krautscheid: Ja! Bei den „E<strong>in</strong>-Euro-<br />
Jobs“ brechen alle Dämme. Ihre Zahl<br />
ist auf weit über 200.000 gestiegen.<br />
Die Bundesregierung will diese sogar<br />
auf 600.000 steigern.<br />
Was läuft Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach falsch?<br />
Krautscheid: Die Kommunen setzen<br />
die Arbeitslosen oft da e<strong>in</strong>, wo sie bis<br />
vor kurzem noch Handwerksfirmen<br />
beauftragt haben. Das führt zu dem<br />
berüchtigten „Drehtür-Effekt“ – die<br />
Jobber verdrängen regulär Beschäftigte,<br />
die dann ebenfalls <strong>in</strong> der Arbeitslosigkeit<br />
landen. Auch gibt es vielerorts<br />
immer noch ke<strong>in</strong>e wirksame Kontrolle,<br />
der E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> handwerklichen<br />
Tätigkeiten wird dabei gerne fantasievoll<br />
umschrieben.<br />
Führen Sie das bitte aus.<br />
Krautscheid: Die meist kommunalen<br />
oder geme<strong>in</strong>nützigen Beschäftigungsgesellschaften<br />
verstecken solche<br />
Tätigkeiten oft h<strong>in</strong>ter Bezeichnungen<br />
wie „Praktikum“, „Qualifizierung“<br />
oder „Vermittlung von Grundfertigkeiten“.<br />
Das geht weit an der<br />
„Idee“ vorbei.<br />
Auch hier die Frage: Wird sich <strong>in</strong> naher<br />
Zukunft etwas ändern?<br />
Krautscheid: Das Bekenntnis, dass<br />
e<strong>in</strong>e Regierung von Union und FDP<br />
„E<strong>in</strong>-Euro-Jobs“ nur <strong>in</strong> wenigen Fällen<br />
zulassen werde, wird von mir ausdrücklich<br />
begrüßt. Das spart Milliarden.<br />
Welche Forderungen stellen Sie an<br />
e<strong>in</strong>e neue bzw. alte Regierung?<br />
Krautscheid: Ich denke, es muss e<strong>in</strong><br />
breites Reformkonzept auf den Tisch<br />
und auch unpopuläre D<strong>in</strong>ge müssen<br />
angepackt werden.<br />
Kurt Krautscheid (rechts), Vorsitzender<br />
Kreishandwerksmeister. Auf den<br />
Dächern zu Hause! (Foto: HWK)<br />
Und das wären, z.B. <strong>in</strong> der Sozialpolitik?<br />
Krautscheid: Auch wenn ich mich auf<br />
die Sozialpolitik beschränken würde,<br />
kann ich hier nur Stichworte nennen:<br />
So müssen versicherungsfremde Leistungen<br />
aus der Krankenversicherung<br />
raus und ausschließlich über Steuern<br />
f<strong>in</strong>anziert werden. E<strong>in</strong>e kostenbewusste<br />
Inanspruchnahme der Leistungen<br />
muss gefördert und der Versicherungsbeitrag<br />
auf lange Sicht vom Lohn<br />
abgekoppelt werden. Die Arbeitslosenversicherung<br />
und damit die Agenturen<br />
für Arbeit müssen auf ihre Kernaufgaben<br />
begrenzt werden, nämlich<br />
Vermittlung und Versicherung. Die Ich-<br />
AG´s müssen wegfallen. Nicht zu vergessen,<br />
auch der Leistungskatalog der<br />
Rentenversicherung muss neu überdacht<br />
werden. Ich kann hier leider nicht<br />
alles nennen, wichtig wäre auch, dass<br />
die überlangen Kündigungsfristen<br />
gekürzt werden und befristete E<strong>in</strong>stellungen<br />
erleichtert werden. Denn<br />
besser befristet, als gar ke<strong>in</strong> Arbeitsplatz.<br />
Auf den Prüfstand müssen auch die<br />
Berufsgenossenschaften, bei denen<br />
<strong>in</strong> jedem Fall die Wegeunfälle sowie<br />
die ausschließlich arbeitgeberf<strong>in</strong>anzierten<br />
Insolvenzumlagen abgeschafft<br />
werden müssen.<br />
Herr Krautscheid, vielen Dank für das<br />
Gespräch!