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Handout Anorra.pdf

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"Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und<br />

nackte Wahrheit. - Die glaubt niemand! " (Max Frisch)<br />

MAX FRISCH - ANDORRA<br />

Max Frisch (1911 – 1991) schrieb neben dem Drama „Andorra“ u.a. „Homo Faber“<br />

(Roman), „Biedemann und die Brandstifter“ (Drama), „Mein Name sei Gantenbein“<br />

(Roman), Stiller (Roman),… Stets strebte er in seinen Werken nach einer<br />

menschenwürdigeren Welt, ließ aber auch viel Privates – so z.B. die Beziehung zu<br />

Ingeborg Bachmann – mit einfließen. Er hatte regen Kontakt zu Bert Brecht, der ihn<br />

zeitlebens sehr prägte.<br />

Die Vorstellungen, welche Menschen von ihrer Umwelt haben oder sich machen, zieht<br />

sich wie ein roter Faden durch Frischs Werk. Diese Thematik ist eng verknüpft mit<br />

Frischs Vorstellung von Wirklichkeit. Das, was ein Mensch für wahr hält, kann erst zur<br />

Wirklichkeit werden, wenn es die Vorstellung von Wirklichkeit erfüllt. Übertragen auf<br />

die Parabel Andorra bedeutet das, dass die Andorraner Andri nicht aus ihren<br />

Begegnungen mit ihm an sich bewerten, sondern aus ihren Vorstellungen, sie sie über die<br />

Wirklichkeit dieser Begegnungen haben. Es ist nicht, was nicht sein darf. Andorra führt<br />

dem Zuschauer vor, welches Bild sich das Individuum von sich selber, von seinen<br />

Mitmenschen, seinem Heimatland, seinen Nachbarn und seinen Zeitgenossen macht und<br />

wie es geprägt wird. Wirklichkeit und Wahrheit sind Zufallsprodukte.<br />

Oberflächlich zeigt sich das Stück als Kritik an der Judenverfolgung im Dritten Reich.<br />

Schaut man jedoch genauer hin, kann man das Stück im Ganzen als ein Symbol sehen.<br />

Dies fängt damit an, dass der Schauplatz des Stückes keinesfalls real ist. Andorra steht<br />

für die Allgemeingültigkeit der Geschehnisse. Die Geschichte könnt sich in jedem<br />

Winkel dieser Erde so oder in anderer Form abspielen. Auch die Problematik des<br />

Antisemitismus dient als Metapher für die spezifischen Verhaltensweisen der Menschen<br />

untereinander. Das Ganze kann als ein Symbol der Missachtung der individuellen<br />

menschlichen Persönlichkeit gelesen werden. Das bedeutet, dass der Antisemitismus<br />

überall dort schon anfängt, wo ein Mensch nicht er selbst sein kann, ohne von seinen<br />

nächsten Mitmenschen unterdrückt, verfolgt und nicht akzeptiert zu werden.<br />

Form und Struktur<br />

Wenn Frisch den Begriff der Bilder benutzt, so sieht er sich ganz offensichtlich in der<br />

Tradition Brechts. Seine Parabel (= Lehrstück) besteht aus zwölf dieser Bilder und einem<br />

1


weiteren Bild, welches eigentlich nur auf der Bühne existiert und die so genannte<br />

Zeugenschranke darstellt. Nach dem 1., 2., 3., 6., 7., 9., und 11. Bild treten die Bewohner<br />

an diese Schranke im Vordergrund der Bühne und rechtfertigen sich für das Geschehene.<br />

Das erste Bild stellt die Exposition dar und stellt die Personen vor: Barblin, Peider, Pater,<br />

Lehrer, Tischler, Wirt, Andri. Der Zuschauer wird gleich in das Grundthema eingeführt:<br />

das „schneeweiße“ Andorra, das eigentlich blutrot ist (Farbsymbolik), die ständige<br />

Bedrohung durch die Schwarzen, der Tod durch die Hinrichtung (Pfählung als Hinweis<br />

auf das Ende), die Verachtung und die haltlosen Vorurteile gegenüber Juden und die<br />

Liebe zwischen Andri und Barblin.<br />

Das zweite Bild vervollständigt die Thematik mit der Suche nach der Identität. „Es gibt<br />

Menschen, die verflucht sind, und man kann mit ihnen machen, was man will, ein Blick<br />

genügt, plötzlich bist du so, wie sie sagen.“<br />

Die Reihenfolge der zwölf Bilder lässt sich in zwei Bereiche aufteilen: Die ersten sechs<br />

zeigen, wie Andri seine vorgestellte Lebensgeschichte zu verwirklichen versucht,<br />

nämlich einen Beruf zu erlernen und Barblin zu heiraten. Diese Zukunftsvorstellungen<br />

sind normal und versetzen Andri in einen Zustand höchsten Glücks, doch stehen ihm die<br />

Andorraner und sein Vater im Weg. Sie zeigen, wie Andri als Jude den Vorurteilen der<br />

Menschen ausgesetzt ist, wobei das fünfte Bild sicherlich herausfällt. Das Tun der<br />

Andorraner ist dabei nicht eigentliches Handeln, es ist viel mehr Denken, Geisteshaltung,<br />

Sozialisation. Ihr Benehmen ist für sie normal und man kann ihnen direkt auch keine<br />

Böswilligkeit vorwerfen, auch wenn sie Andri gegenüber ihre Machtposition schamlos<br />

ausnutzen. Dazu kommen noch private Interessen: Peider will Barblin; der Tischler<br />

erhofft sich mehr Umsatz durch Andri; der Wirt braucht einen Sündenbock für den Mord;<br />

der Jemand steht für all diejenigen, die diese allgemeine Gewalt tolerieren und nicht<br />

sehen wollen oder einfach zu gleichgültig sind.<br />

Im siebenten Bild kippt schließlich die Entwicklung der Geschichte von der<br />

Selbstbeobachtung Andris und seiner Auflehnung gegen die Tragik seines Lebens zu<br />

einer vollständigen Anerkennung, der von außen an ihn herangetragenen Identität des<br />

Juden: „Ich versteh schon, dass niemand mich mag. Ich mag mich selbst nicht, wenn ich<br />

an mich selbst denke.“<br />

In den restlichen Bildern (zweiter Bereich) zeigt Max Frisch die Reaktion und den Hass<br />

seines Helden gegen die Umwelt und gegen sich selbst. Sie finden vor allem Ausdruck in<br />

seiner Provokation im achten Bild, in seiner Weigerung die Anerkennung seiner<br />

2


jüdischen Identität rückgängig zu machen oder seine Weigerung vor dem drohenden<br />

Abgrund zu fliehen.<br />

Im neunten Bild finden wir das retardierende – verzögernde – Element: Die Senora<br />

schenkt Andri ihren wertvollen Ring und alles deutet daraufhin, dass der katastrophale<br />

Lauf der Dinge noch aufgehalten werden könnte. Dies wird auch durch die Euphorie<br />

bestärkt, mit der Andri hinterher mit dem Pater spricht, kehrt sich aber durch den Mord<br />

an der Senora ins Gegenteil um. Andri beharrt auf seiner akzeptierten Identität und sagt<br />

zum Pater: „Jetzt ist es an Euch, Hochwürden, Euren Juden anzunehmen.“<br />

Doch es ist nicht nur die aufgezwungene Identität, die Andri annimmt, es ist auch sein<br />

Schicksal, das er akzeptiert, die Hoffnungslosigkeit und sein Ende. „Meine Trauer erhebt<br />

mich über Euch alle, und so werde ich stürzen. Meine Augen sind groß von Schwermut,<br />

mein Blut weiß alles, und ich möchte tot sein. Mir graut vor dem Sterben. Es gibt mir<br />

keine Gnade.“<br />

Symbole im Werk<br />

Die Symbolik eines Stückes ist oft eng mit der Sprache verbunden. Die Symbolik geht<br />

jedoch häufig einen Schritt weiter als die Sprache. Meist weist sie über einen Sachverhalt<br />

hinaus oder beleuchtet diesen intensiver. Viele Symbole werden auch erst im Nachhinein<br />

verstanden bzw. als Symbol erkannt.<br />

z.B. Das „Weißeln“ als Symbol des Reinwaschens, die Bürger befreien ihre Häuser<br />

dadurch von Schuld und Sühne. „Ich weißle, ich weißle, auf dass wir ein weißes Andorra<br />

haben, ihr Mörder, ein schneeweißes Andorra, ich weißle euch alle – alle“.<br />

Die schwarzen Tücher als Symbol für die Verhüllung der Wahrheit, wegschauen,<br />

anonym bleiben.<br />

Gewalt wird vor allem durch den Soldaten symbolisiert, er entlädt seine Gewalt sowohl<br />

Barblin als auch Andri gegenüber.<br />

Biblische Symbole im Text sind u.a. die Stein-Symbolik (Stein wird zum Symbol<br />

verlogener Selbstgerechtigkeit => „Wer unter euch ohne Sünde ist, werde den ersten<br />

Stein auf sie!“), die Pfahl-Symbolik (Pfahl existiert nur als Gerücht, bis der betrunkene<br />

Lehrer wirklich über einen Pfahl spricht) als – nicht nachgewiesene – Parallele zum<br />

Kreuz, auf das Jesus genagelt wurde, das Verrätermotiv (Hahnkrähen!! Andris Vater<br />

und seine Mutter verraten ihn dreimal an einem Tag, auch der Geselle des Tischlers<br />

verrät ihn).<br />

3


Max Frisch, „Andorra“ – Arbeitsaufgaben<br />

1. Was erfährt man über das Leben des Lehrers und sein Verhalten?<br />

2. Zeige die Gemeinsamkeiten zwischen dem 1. und dem 12. Bild auf!<br />

3. Erläutere die Bedeutung des 7. Bildes für Andris Identitätsfindung!<br />

4. Vergleiche das Verhalten Andris gegenüber Barblin im 2. und im 11. Bild!<br />

5. Weise anhand einiger Textstellen das SELBSTBILD und das FREMDBILD der Andorraner nach!<br />

(Sprich: Wie sehen sie sich selbst und wie sehen sie „Fremde“, „Nicht-Andorraner“?)!<br />

6. Andri werden alle negativen Eigenschaften angedichtet, die die Andorraner selbst haben. Belege<br />

dies an Beispielen!<br />

7. Verfasse eine lineare Erörterung mit Literaturbezug zu folgendem Thema: Wie gefährlich sind<br />

Vorurteile? 400 Wörter Minimum – ordentliche Gliederung sowie Stoffsammlung sind<br />

selbstverständlich!<br />

Mögliche Fragen als Hilfestellung<br />

• Was versteht man unter Vorurteilen?<br />

• Welche Vorurteile gibt es (Beispiele)?<br />

• Welche Vorurteile hast du selbst?<br />

• Wodurch entstehen Vorurteile?<br />

• Was bewirken Vorurteile?<br />

• Wie kann man gegen Vorurteile verhindern?<br />

• Welche literarischen, geschichtlichen, persönlichen Beispiele kannst du zur Untermauerung der<br />

Gefährlichkeit von Vorurteilen angeben?<br />

Ordentliche Beantwortung der Fragen, Anführung von Seitenzahlen bei<br />

den Zitaten, Abgabetermin spätestens 9. Mai 2008 (ins Fach legen lassen,<br />

per Email schicken, persönlich übergeben). Kein Joker möglich!<br />

4

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