Textkritisches zu Origenes' Contra Celsum - Books and ...
Textkritisches zu Origenes' Contra Celsum - Books and ...
Textkritisches zu Origenes' Contra Celsum - Books and ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Vigiliae<br />
Christianae<br />
Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73 brill.nl/vc<br />
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong><br />
Johannes Arnold<br />
Philosophisch-Th eologische Hochschule Sankt Georgen,<br />
Off enbacher L<strong>and</strong>strasse 224, 60599 Frankfurt am Main, Germany<br />
arnold@sankt-georgen.de<br />
Abstract<br />
In spite of the eff orts of prominent scholars there still remain a considerable number<br />
of textually disputed passages in Origen’s <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong>. In the paper fi ve of these are<br />
discussed, with proposals of new emendations: CC 1.57, 2.28, 3.16, 4.91, Celsus fr.<br />
VIII 28.<br />
Keywords<br />
conjectures, Greek idiom, manuscript tradition, Origen, punctuation<br />
Die Überlieferung von Origenes’ Spätwerk <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> (= CC) 1 beruht<br />
auf einer sehr schmalen H<strong>and</strong>schriften-Basis. Der vollständige Text ist ausschließlich<br />
durch Codex Vaticanus Graecus 386 (= Ms A) erhalten. 2 Da<br />
dieser Kodex an vielen Stellen fehlerhaft ist, 3 werden in der neuesten Edition<br />
des Werkes unzählige Emendationen vorgeschlagen. 4 Dennoch bleibt<br />
1) Kritische Editionen: P. Koetschau, Origenes, Buch I-VIII gegen Celsus (GCS 2-3; Leipzig<br />
1899); M. Borret, Origène, Contre Celse (SC 132, 136, 147, 150, 227; Paris 1967-1976);<br />
M. Marcovich, Origenes: <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> libri VIII (SVigChr 54; Leiden—Boston—Köln<br />
2001).<br />
2) Von Ms A sind alle weiteren bekannten H<strong>and</strong>schriften, die den gesamten Text enthalten,<br />
abhängig (s. ed. Koetschau [GCS 2] LXVIII u. LX; ed. Borret [SC 132] 23f; ed. Marcovich<br />
IX). Teile von CC finden sich auch in der Philocalia. Die 1941 in Tura entdeckte Abbreviation<br />
bezieht sich nur auf die beiden ersten der acht Bücher gegen Celsus (ed. J. Scherer,<br />
Extraits des livres I et II du Contre Celse d’Origène d’après le papyrus N o 88747 du Musée de<br />
Caire [Kairo 1956]).<br />
3) Vgl. ed. Borret (SC 132) 43-46; ed. Marcovich IX und XIV.<br />
4) ed. Marcovich, bes. XIV. Wenn nicht <strong>and</strong>ers angegeben, beziehen sich Stellenangaben <strong>zu</strong><br />
CC im folgenden stets auf diese Edition.<br />
© Koninklijke Brill NV, Leiden, 2010 DOI: 10.1163/004260310X12584264873969
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 55<br />
der ursprüngliche Wortlaut in einigen Fällen strittig 5 bzw. weiter klärungsbedürftig.<br />
Fünf Textstellen sollen hier diskutiert werden.<br />
1. Wer wird Jesus widerlegen? (CC I 57)<br />
In CC I 57 greift Origenes eine Aussage auf, die der Philosoph Celsus in<br />
seinem gegen die Christen gerichteten Alethes Logos einem fiktiven ‚Juden‘<br />
in den Mund legt. Ziel dieser Aussage ist <strong>zu</strong> bestreiten, dass gewisse prophetische<br />
Ankündigungen sich speziell auf Jesus beziehen. In den vorliegenden<br />
kritischen Editionen hat der Satz folgenden Wortlaut:<br />
Τινὲς δὲ καὶ ἐλέγξουσιν, ὥς φησιν ὁ παρὰ Κέλσῳ ᾽Ιουδαῖος, μυρίοι τὸν ᾽Ιησοῦν<br />
φάσκοντες περὶ ἑαυτῶν ταῦτα εἰρῆσθαι, ἅπερ περὶ ἐκείνου ἐπροφητεύετο. 6<br />
Eine wörtliche Überset<strong>zu</strong>ng der Textstelle wird besonders durch das<br />
Nebenein<strong>and</strong>er von Τινές („Irgendwelche“, „Gewisse“) und μυρίοι („Unzählige“)<br />
erschwert. Aus diesem Grund schlug Paul Koetschau vor, ein ἤ<br />
ein<strong>zu</strong>fügen:<br />
Einige aber— ‚Unzählige‘, wie Celsus seinen Juden sprechen lässt—werden<br />
dann auch gegen Jesus mit der Behauptung auftreten, dass die Weissagungen,<br />
die auf ihn bezogen würden, über sie ausgesprochen wären. 7<br />
Koetschaus Änderungsvorschlag wurde mehrfach <strong>zu</strong>rückgewiesen. 8 Dennoch<br />
bleibt fraglich, ob der griechische Text an der hier untersuchten Stelle<br />
fehlerfrei überliefert wurde. Nicht in Betracht gezogen wurde bisher,<br />
5) Vgl. bereits P. Ressa, Note al testo del Contro Celso (VetChr 40 [2003] 159-166).<br />
6) ed. Koetschau (GCS 2) 108,12-15; ed. Borret (SC 132) 232,11-14; ed. Marcovich<br />
58,10-12.<br />
7) 2/1 Des Origenes acht Bücher gegen Celsus, Bd. 1 (BKV 52; München 1926) 78f mit Anm.<br />
6. In Koetschaus Edition erscheint die Konjektur noch nicht.<br />
8) R. Bader, Der ΑΛΗΘΗΣ ΛΟΓΟΣ des Kelsos (TBAW 33; Stuttgart—Berlin 1940) 56<br />
Anm. 3 u. 4; vgl. H. Chadwick, Origen, <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> (Cambridge 1953) 52 Anm. 4.<br />
Nach H.O. Schröder (Der Alethes Logos des Celsus. Untersuchungen <strong>zu</strong>m Werk und seinem<br />
Verfasser mit einer Wiederherstellung des griechischen Textes und Kommentar [Hab. (masch.);<br />
Gießen 1938] 104f) gebraucht Celsus μυρίοι in der Art einer Apposition <strong>zu</strong> τινές: „Zu<br />
verstehen ist: und zwar in sehr grosser Zahl.“ Vgl. G. Lanata, Celso, Il discorso vero (Milano<br />
1987/ 21994) 67: « Taluni, e in gr<strong>and</strong>issimo numero . . . ».
56 J. Arnold / Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73<br />
dass am Anfang des Satzes ursprünglich Τίνες statt Τινές gest<strong>and</strong>en<br />
haben könnte:<br />
Der vorliegende Satz findet sich nur in der Textüberlieferung, die auf<br />
Ms A <strong>zu</strong>rückgeht; ein Vergleich mit H<strong>and</strong>schriften der Philocalia und mit<br />
dem Tura-Papyrus erübrigt sich also. 9 Weiterführend erscheint dagegen<br />
eine Untersuchung des origenischen Sprachgebrauchs.<br />
Die Wendung τινὲς δὲ καί („irgendwelche / gewisse aber auch“) kommt<br />
in Origenes’ Schriften zwar mehrfach vor, allerdings—bis auf eine Ausnahme—stets<br />
im Satz-Inneren. 10 Daneben fi nden sich Wendungen wie<br />
Τίς δὲ καί . . .;, Τί δὲ καί . . .;, Τίνες δὲ καί . . .; etc. (wörtlich: „Wer aber<br />
auch . . .?“, „Was aber auch . . .?“, „Welche aber auch . . .?“), die naturgemäß<br />
am Satzanfang stehen. Allein in CC gebraucht Origenes derartige Formeln<br />
an elf Stellen. 11 Die so eingeleiteten—direkten oder indirekten—Fragen<br />
beziehen sich dort stets auf bestimmte Aspekte von Behauptungen des<br />
Celsus. Einige dieser Behauptungen sind schon <strong>zu</strong>vor zitiert worden und<br />
werden nun erneut angesprochen, wobei nur einzelne Elemente nochmals<br />
wörtlich aufgegriff en werden.<br />
So fragt in fr. II 9 der von Celsus eingeführte ‚Jude‘: „Wie hätten wir den für einen<br />
Gott halten sollen, der im übrigen, wie man hörte, keines von den Werken vorwies,<br />
die er ankündigte (ἐπηγγέλλετο) . . .?“ 12 In CC II 10 kommt Origenes, nachdem<br />
er einige <strong>and</strong>ere Punkte durchgenommen hat, auch auf den eben zitierten<br />
Satz <strong>zu</strong>rück: „Und ferner: was (Τί δὲ καί) Jesus ‚ankündigte‘ (ἐπηγγείλατο) und<br />
nicht ausführte, das mag Celsus darlegen und aufweisen.“ 13<br />
9) S.o. Anm. 2.<br />
10) CC I 50 (51,25); II 3 (79,7); CC VII 63 (513,29). Ausnahme: ComRm 1,6 (= fr. 1<br />
Ramsbotham = Philocalia 25).<br />
11) CC I 43 (44,8); II 7 (82,14); II 10 (86,15); II 34 (109,26f); CC II 70 (142,7); III 76<br />
(213,1); III 81 (216,10); CC IV 34 (248,13); VII 41 (494,3 und 18); VII 54 (506,3).<br />
12) Fr. II 9 (84,5-7). Die Zählung der Fragmente folgt derjenigen der Kapitel von CC, in<br />
denen sie als Zitat erscheinen.<br />
13) CC II 10 (86,15f). Ähnlich CC III 76 (213,1f)—„Und ferner: welche ‚Nüchternen‘<br />
wir . . . ‚schlechtreden‘ (Τίνας δὲ καί νήφοντας κακηγοροῦμεν), soll Celsus sagen!“—als<br />
Rückgriff auf fr. III 76 (212,26-28): der christliche Lehrer h<strong>and</strong>le „ähnlich, wenn ein<br />
Betrunkener . . . die Nüchternen schlechtredet (κακηγορεῖ τοὺς νήφοντας)“. Vgl. auch CC<br />
VII 41 (494,4-6): „Er (sc. Celsus) verweist uns an, wie er sagt, gottbegeisterte Dichter und<br />
Weise Philosophen (ποιητὰς καὶ σοφοὺς φιλοσόφους) . . .“ und CC VII 41<br />
(494,18f): „Und ferner: Wer sind die Weisen und (Ms A: oder) die Philosophen (Τίνες δὲ<br />
καὶ οἱ σοφοὶ καὶ [Ms A: ἢ] οἱ φιλόσοφοι) . . .?“
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 57<br />
Wie nun <strong>zu</strong> zeigen ist, dürfte der gleiche Sachverhalt in CC I 57 vorliegen.<br />
Die relevante Passage ist Teil eines Textabschnitts, der von der Vorausverkündigung<br />
Jesu h<strong>and</strong>elt. In CC I 49 und 50 hatte Origenes drei Aussagen<br />
von Celsus’ ‚Juden‘ gegen Jesus angeführt:<br />
Fr. I 49: Aber es sagte mein Prophet in Jerusalem einst, dass ein Sohn Gottes<br />
kommen werde, der die Frommen richtet und die Ungerechten<br />
bestraft. 14<br />
Fr. I 50a: Warum (sollst) eher du (es sein) als unzählige <strong>and</strong>ere (ἄλλοι μυρίοι), die<br />
nach der (genannten) Prophezeiung geboren worden sind, über die<br />
diese Dinge prophezeit wurden? 15<br />
Fr. I 50b: Dass als Gottes von oben gekommen seien, erklären<br />
die einen, weil sie gottbegeistert sind, die <strong>and</strong>ern, weil sie betteln. 16<br />
Auf diese drei Aussagen des ‚Juden‘ geht Origenes im folgenden näher ein.<br />
Von CC I 50 an legt er dar, dass es neben der Verheißung eines kommenden<br />
Richters noch <strong>and</strong>ere Prophezeiungen—und zwar vonseiten vieler<br />
Propheten—gibt, die speziell auf Jesus <strong>zu</strong>treff en (so die der Geburt in<br />
Bethlehem [CC I 51], die eines Herrschers aus Juda [CC I 53], die seiner<br />
Leiden [CC I 54]). Anschließend (CC I 55) erinnert sich Origenes an<br />
einen Disput mit Juden über diese Weissagungen, besonders an seine Fragen<br />
<strong>zu</strong>r Deutung einzelner Verse aus Jesaja 53. 17 Unter nochmaliger Be<strong>zu</strong>gnahme<br />
auf den Disput erklärt Origenes, dass die Weissagungen über Jesus<br />
sich auf dessen zweifache Ankunft (ἐπιδημίας)—einmal in menschlicher<br />
Schwäche, einmal in göttlicher Art—beziehen (CC I 56).<br />
In CC I 50 bis I 56 listet Origenes also <strong>zu</strong>r Widerlegung von fr. I 49<br />
einige relevante Weissagungen auf, stellt gegen fr. I 50a fest, dass bestimm te<br />
Weissagungen sich auf Jesus Christus beziehen müssen, und erläutert<br />
schließlich das von Celsus in fr. I 50b aufgeworfene Th ema der ‚Ankunft‘.<br />
Auf die in fr. I 49 und fr. I 50b angesprochene ‚Gottessohnschaft‘ geht<br />
14) 50,24f.<br />
15) 51,17-19.<br />
16) 51,21f. Zur Konjektur „Söhne“ (υἱοί) statt „Sohn“ (υἱόν) s. A. Wifstr<strong>and</strong>, Die wahre<br />
Lehre des Kelsos, Bulletin de la société royale des lettres de Lund 1941-1942, 1-41 bzw. 391-<br />
431, hier 28 bzw. 428.<br />
17) Hier (bzw. schon hier) geht es speziell darum, wer jeweils gemeint ist: „Ich fragte, wessen<br />
(τίνος) Person es wohl sei, die spricht: ‚Dieser trägt unsere Sünden und leidet unseretwegen<br />
Schmerzen‘ . . ., und wessen (τίνος) Person es war, die sagte: ‚Durch seine Striemen wurden<br />
wir geheilt.‘ (. . .) Und wer (Τίς δ’) ist jener, wenn nicht Jesus Christus, durch dessen ‚Striemen‘<br />
wir geheilt wurden . . .?‘“: CC I 55 (56,11-15 und 23).
58 J. Arnold / Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73<br />
Origenes dann in CC I 57 ein, nachdem er ein weiteres Celsus-Fragment<br />
zitiert hat. 18<br />
Damit sind fast alle Th emen beh<strong>and</strong>elt, die Celsus’ ‚Jude‘ in den Fragmenten<br />
I 49, 50a und 50b anschnitt. Noch nicht geklärt ist allerdings, wer<br />
die in fr. I 50a erwähnten „unzähligen“ Personen sein sollen, denen die<br />
Prophezeiung vom Kommen des richtenden Gottessohnes ebenfalls gelten<br />
könnte. Da Origenes sich verpfl ichtet fühlt, dem Auftrag seines Patrons<br />
Ambrosius entsprechend alle Einwände des Celsus <strong>zu</strong> widerlegen, 19 ist es<br />
nur konsequent, wenn er <strong>zu</strong>m Schluss—so<strong>zu</strong>sagen in einem Nachtrag—<br />
auch auf diesen Punkt eingeht und ironisch fragt:<br />
Und ferner: Welche (Τίνες δὲ καί) ‚Unzähligen‘, wie der Jude bei Celsus sagt,<br />
werden Jesus widerlegen, indem sie behaupten, über sie selbst sei ausgesagt, was<br />
über jenen prophezeit wurde?<br />
Im Anschluss sucht Origenes selbst nach einer Antwort. Er nennt Th eudas,<br />
Judas aus Galiläa, Dositheus und den Zauberer Simon aus Samaria—<br />
Personen, die „Ähnliches wie Jesus vollbringen und sich selbst für ‚Söhne<br />
Gottes‘ oder ‚Gottes Kraft‘ erklären wollten“: durch das Scheitern ihrer<br />
Lehren und Unternehmungen sei ihr Anspruch widerlegt und erwiesen,<br />
dass sie mit der Verheißung nichts <strong>zu</strong> tun hatten. 20 Auf die rhetorische<br />
Frage, „welche ‚Unzähligen‘ “ (Τίνες . . . μυρίοι) das über Jesus Prophezeite<br />
auch für sich beanspruchen könnten, war die Aufzählung der genannten<br />
vier Personen (und die Beschreibung ihrer geringen Wirkung) eine entwaff<br />
nende Antwort.<br />
Fazit: Der Sprachgebrauch des Origenes und der Kontext der untersuchten<br />
Stelle lassen darauf schließen, dass in CC I 57 ursprünglich nicht<br />
Τινὲς δὲ καί, sondern Τίνες δὲ καί <strong>zu</strong> lesen war. Triff t dies <strong>zu</strong>, liegt an der<br />
untersuchten Stelle kein neues Celsus-Fragment vor, sondern ein bloßer<br />
Rückverweis auf fr. I 50a. Abgesehen von dem nochmals ausdrücklich<br />
zitierten Wort „Unzählige“ hat Origenes dann die Aussage des Celsus für<br />
seine eigenen Zwecke umgestaltet und inhaltlich erweitert. Im Alethes<br />
18) Fr. I 57 (58,1-3): „Wenn du sagst, dass jeder Mensch, der nach göttlicher Vorsehung<br />
entst<strong>and</strong>en ist, ein Sohn Gottes sei, worin könntest du dich von einem <strong>and</strong>ern unterscheiden?“<br />
Origenes entgegnet mit dem Hinweis auf unterschiedliche Arten der Gottessohnschaft:<br />
CC I 57 (58,3-9).<br />
19) CC Pr. 3 (2,26-29); vgl. I 28 (30,6f), VII 1 (459,3f) u.ö.<br />
20) CC I 57 (58,12-59,12); vgl. Apg 5,36-39 und 8,10. Zu den genannten Personen s.a.<br />
CC VI 11 (388,18-389,7).
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 59<br />
Logos des Celsus endete der vorliegende Textabschnitt in fr. I 57 mit der<br />
Feststellung, dass Jesus nur ein Mensch gewesen sei.<br />
2. Lügen die Christen? (CC II 28)<br />
In CC II 28 fi ndet sich eine Passage, deren Verständnis Schwierigkeiten<br />
bereitet. Nach den Editionen Koetschaus, Borrets und Marcovichs:<br />
᾽Επεὶ δὲ μετὰ ταῦτα καὶ τὸ προφήταις χρῆσθαι Χριστιανοὺς προκηρύξασι τὰ<br />
περὶ ᾽Ιησοῦ ὀνειδίζει ὁ παρὰ τῷ Κέλσῳ ᾽Ιουδαῖος, φήσομεν πρὸς τοῖς ἀνωτέρω<br />
εἰς τοῦτο λελεγμένοις καὶ ὅτι ἐχρῆν αὐτόν, ὥς φησι, φειδόμενον ἀνθρώπων,<br />
αὐτὰς ἐκθέσθαι τὰς προφητείας καὶ συναγορεύσαντα ταῖς πιθανότησιν αὐτῶν<br />
τὴν φαινομένην αὐτῷ ἀνατροπὴν τῆς χρήσεως τῶν προφητικῶν ἐκθέσθαι. 21<br />
Erklärungsbedürftig sind hier die Worte φειδόμενον ἀνθρώπων („Menschen<br />
schonend / sparend“). Bis heute werden sie in der Regel als ursprünglich<br />
angesehen. So lautet die Passage in einer jüngst erschienenen Überset<strong>zu</strong>ng:<br />
Da aber anschließend der Jude bei Celsus auch tadelt, dass ‚sich die Christen auf<br />
Propheten beriefen, die die Ereignisse des Lebens Jesus vorhergesagt hätten‘, so<br />
wollen wir dem, was oben (1,47-59) schon darauf entgegnet worden ist, noch<br />
folgendes hin<strong>zu</strong>fügen. Wenn er auf die Menschen Rücksicht nimmt, wie er<br />
behauptet, dann hätte er die Prophetien selbst anführen und, nachdem er ihre<br />
glaubwürdigen Züge anerkannt hatte, eine ihm geeignet erscheinende Widerlegung<br />
des Gebrauchs vorweisen müssen, den die Christen von den Prophetien<br />
machten. 22<br />
Während die meisten Interpreten unter den „Menschen“, auf die Celsus<br />
„Rücksicht nehmen“ wolle, dessen Leser oder Hörer verstehen, sind nach<br />
21) ed. Koetschau (GCS 2) 156,14-20; ed. Borret (SC 136) 356,1-7; ed. Marcovich 105,13-<br />
18. Hervorh.—auch im folgenden—von J.A.<br />
22) M. Fiedrowicz, Christen und Heiden. Quellentexte <strong>zu</strong> ihrer Ausein<strong>and</strong>erset<strong>zu</strong>ng in der<br />
Antike (Darmstadt 2004) 548 (Nr. 443). Ähnlich schon Koetschau, Übers., 142; ferner<br />
z.B. Chadwick, Übers., 91, Borret, Übers. (SC 132) 357. In der Mehrzahl der versuchten<br />
Rekonstruktionen des Alethes Logos wird die Wendung φειδόμενον ἀνθρώπων nicht<br />
berücksichtigt, also auch nicht als eigenständiges Celsus-Fragment gesehen; s. Th . Keim,<br />
Celsus’ Wahres Wort (Zürich 1873) 23f; O. Glöckner, Celsi ΑΛΗΘΗΣ ΛΟΓΟΣ (Bonn<br />
1924) 10; Schröder, Der Alethes Logos, 14; Lanata, Celso, Il discorso vero, 74. Anders Bader,<br />
Der ΑΛΗΘΗΣ ΛΟΓΟΣ, 70, und—von ihm abhängig—S. Rizzo, Celso, Il discorso della<br />
verità (Milano 1989/ 3 1997) 100.
60 J. Arnold / Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73<br />
Salvatore Rizzo eher die Verfasser der prophetischen Texte gemeint. 23 Die<br />
Korrektheit des griechischen Textes wird auch von ihm nicht angezweifelt.<br />
Ist dieses Vertrauen in die Überlieferung gerechtfertigt?<br />
Zunächst stellt sich die Frage, auf welche früheren Aussagen Origenes in<br />
CC II 28 verweist. Die hier erwähnten eigenen Bemerkungen des Origenes<br />
<strong>zu</strong>m Thema der Vorausverkündigung Jesu durch die jüdischen Propheten<br />
finden sich zweifellos in CC I 49-57. Für die Aussage des Celsus,<br />
dass er Rücksicht auf die Menschen nehme, verweisen zahlreiche Editoren<br />
und Übersetzer auf fr. II 13. 24 Dort erscheint—als Aussage des bereits<br />
erwähnten fi ktiven ‚Juden‘—allerdings nur die Feststellung:<br />
Obwohl ich über die Geschehnisse, die Jesus betreff en, viele Dinge sagen könnte,<br />
und zwar solche, die wahr sind und denen nicht gleich, die von Jesu Jüngern<br />
geschrieben wurden, lasse ich sie absichtlich beiseite (ἑκὼν ἐκεῖνα παραλείπω). 25<br />
Abgesehen davon, dass in fr. II 13 von einer „Rücksicht“ oder „Schonung“<br />
nicht ausdrücklich die Rede ist, geht es dort, <strong>and</strong>ers als in II 28, nicht um<br />
Weissagungen der Propheten, sondern—und zwar nur in den Ausführungen<br />
des Origenes, nicht in denen des Celsus—um das, was Jesus selbst<br />
über sich vorausgesagt hat. Schon von daher ist fraglich, ob Origenes in<br />
CC II 28 auf fr. II 13 <strong>zu</strong>rückverweisen wollte. Meinte er also eine <strong>and</strong>ere<br />
Stelle, an der Celsus wichtige Aspekte unberücksichtigt lässt? 26 Oder ging<br />
es ihm ursprünglich um etwas <strong>and</strong>eres als darum, dass Celsus seine Leser<br />
durch das Aussparen bestimmter Inhalte schonen will?<br />
23) Rizzo (101) übersetzt φειδόμενον ἀνθρώπων durch « lasciare stare gli autori ». Vgl. ebd.<br />
Anm. 61: « Il testo dice: per risparmiare gli uomini e comunemente si intende per uomini i<br />
lettori. Ci sembra però perlomeno altrettanto probabile che con uomini Celso voglia intendere<br />
gli autori delle profezie, i profeti. Quindi è possibile intendere: Per non citare i singoli<br />
profeti. »<br />
24) So Koetschau (Edition [GCS 2] 156 App. <strong>zu</strong> Z. 17; Übers., 142 Anm. 3), Bader<br />
(70 Anm. 2 <strong>zu</strong> c. 28), Borret (SC 132: 357 Anm. 4), Marcovich (105 App. <strong>zu</strong> Z. 16). Vgl.<br />
auch H. Lona, Die ‚Wahre Lehre‘ des Kelsos (KfA.E 1; Freiburg—Basel—Wien 2005) 141.<br />
25) Fr. II 13 (90,20-23).<br />
26) Vgl. etwa CC I 49 (50,15-17), wo Origenes kritisiert, Celsus gehe absichtlich nicht<br />
näher darauf ein, dass Jesus von den jüdischen Propheten prophezeit worden ist: Μετὰ<br />
ταῦτ’ οὐκ οἶδ’ ὅπως τὸ μέγιστον περὶ τῆς συστάσεως τοῦ ᾽Ιησοῦ κεφάλαιον, [ὡς] ὅτι<br />
ἐπροφητεύθη ὑπὸ τῶν παρὰ ᾽Ιουδαίοις προφητῶν, Μωυσέως καὶ τῶν μετ’ αὐτὸν ἢ καὶ<br />
πρὸ Μωυσέως, παραπίπτει (M2: παραρρίπτει) ἑκών. Hier liegt allerdings keine Absichtserklärung<br />
des Celsus, sondern nur eine Unterstellung des Origenes vor.
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 61<br />
Unbefriedigend ist bei allen genannten Deutungsversuchen, dass an der<br />
untersuchten Textstelle der allgemeine Terminus „Menschen“ gewählt worden<br />
sein soll, wenn speziell „Leser“ (bzw. „Hörer“) oder auch „Autoren“<br />
gemeint waren. 27 Zudem erscheint das Verb φείδεσθαι sonst weder bei<br />
Celsus noch bei Origenes, wenn sie ausdrücken wollen, bestimmte Inhalte<br />
würden „übergangen“. 28 Das Wort φειδόμενον („schonend“, „sparend“)<br />
irritierte schon Elie Bouhéreau, der stattdessen κηδόμενον („Sorge tragend<br />
[für jem<strong>and</strong>en]“, „sich kümmernd [um jem<strong>and</strong>en]“) las. 29 Auch wenn dieser<br />
Vorschlag sich nicht durchsetzte, 30 bleibt es fraglich, ob der heute vorliegende<br />
Text die ursprüngliche Lesart enthält.<br />
Der Wortlaut der interessierenden Passage ist letztlich wieder nur durch<br />
Ms A bezeugt. 31 Speziell an der vorliegenden Stelle ist schon von erster<br />
H<strong>and</strong> (A 1 ) eine Ergän<strong>zu</strong>ng oder Korrektur vorgenommen worden. In der<br />
27) Dagegen erwähnt Origenes in CC I 18 (20,15f) ausdrücklich „die Hörer“ (τοὺς<br />
ἀκούοντας) bzw. „den Zuhörer“ (τὸν ἀκροατήν) von—off enbar vorgelesenen—Buch-Texten,<br />
in CC III 50 (193,3-14) das Vorgelesene und die „Hörer“ (193,8: ἀκροατάς) der<br />
heiligen Schriften. Vgl. CC VI 23 (401,4): Die Inhalte der jüdischen und christlichen<br />
Bücher haben nach Origenes nicht „irgendwelche törichten Zuhörer“ (μωρῶν τινων<br />
ἀκροατῶν) nötig, wie Celsus meint. In CC IV 13 (226,26f) bezeichnet Origenes die<br />
Adressaten seiner Schrift als „die Zuhörer“ (τοὺς ἀκροατάς); vgl. auch CC IV 21 (234,24)<br />
und CC VI 46 (425,16). Schon CC Pr. 6 (4,30) wird der (<strong>zu</strong>künftige) „Leser“<br />
(ὁ ἀναγνωσόμενος) des Werkes gegen Celsus genannt.<br />
28) Auf Auslassungen wird direkt hingewiesen, z.B. durch das Verb παραλείπειν („beiseitelassen“):<br />
bei Celsus in fr. II 13 (90,23; in Verbindung mit ἑκών) und fr. V 52 (365,2), bei<br />
Origenes in CC I 55 (56,26f), III 34 (178,4; mit ἑκών), VII 68 (517,11). Origenes<br />
gebraucht <strong>zu</strong>dem παρέρχεσθαι („übergehen“; s. CC V 1 [319,4], V 34 [348,20] und<br />
VII 1 [459,4]) bzw. ὑπερβαίνειν („übergehen“; s. CC I 41 [42,1], II 46 [117,17f], V 53<br />
[365,23], VI 39 [415,23]). Das Verb φείδεσθαι erscheint in den Celsus-Fragmenten<br />
außerhalb von II 28 nicht. Zum Gebrauch von φείδεσθαι bei Origenes s. CC Pr. 6 (5,6):<br />
φειδομένοις χρόνου („Zeit sparend“), ferner CC II 64 (135,27), II 67 (137,27), V 39<br />
(354,22f), VIII 42 (557,11), VIII 43 (558,7) u.ö.: φείδεσθαι im Sinn von „(das Leben)<br />
schonen“. Eine derart existentielle Bedeutung kann die Lesart φειδόμενον ἀνθρώπων im<br />
Kontext von II 28 nicht haben.<br />
29) Notae et Conjecturae ad Textum Origenis contra <strong>Celsum</strong>, 374 (im Anhang von Bouhéreaus<br />
Überset<strong>zu</strong>ng Traité d’Origène contre Celse. Ou défence de la Religion Chrétienne contre les<br />
accusations des Païens [Amsterdam 1700] 365-452). Vgl. J. Röhm, Des Kirchenschriftstellers<br />
Origenes acht Bücher gegen Celsus, Bd. 1 (BKV 1 39; Kempten 1876) 205: „Da er (sc.<br />
Celsus) für die Menschen Sorge trägt . . .“<br />
30) Bei C.H.E. Lommatzsch (Origenis <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> librorum Pars I [Origenis opera XVIII;<br />
Berlin 1845] 181 Anm. 3) und Koetschau (Edition [GCS 2] 156 <strong>zu</strong> Z. 17) fi ndet sich noch<br />
eine Erwähnung im Apparat, bei Borret (SC 132: 356) und Marcovich (105) nicht mehr.<br />
31) Hier f. 44v.
62 J. Arnold / Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73<br />
H<strong>and</strong>schrift zeigt sich—wie Koetschau im kritischen Apparat seiner Edition<br />
<strong>zu</strong>treff end angibt—folgendes Schriftbild:<br />
φει<br />
φησι δόμενον<br />
In Anbetracht des Sachverhalts, dass hier bereits ein Abschreiber des 13.<br />
Jahrhunderts nach der korrekten Lesart suchte, stellt sich noch einmal<br />
mehr die Frage, ob der tradierte Wortlaut auch der ursprüngliche ist. Hier<br />
sei eine neue Konjektur vorgeschlagen. Möglicherweise hieß es<br />
nicht ΦΕΙ∆ΟΜΕΝΟΝ ΑΝΘΡΩΠΩΝ („Menschen schonend“),<br />
sondern ΨΕΥ∆ΟΜΕΝΩΝ ΑΝΘΡΩΠΩΝ („lügender Menschen“).<br />
Dass an der untersuchten Stelle tatsächlich ΨΕΥ∆ΟΜΕΝΩΝ die ursprüngliche<br />
Lesart ist, legt der Kontext nahe. Kurz <strong>zu</strong>vor zitiert Origenes fr. II 26:<br />
Ferner sagt der Jude bei Celsus <strong>zu</strong> den Jüngern Jesu, als ob sie diese Dinge ‚erdichtet‘<br />
hätten: ‚Nicht einmal durch Lügen (οὐδὲ ψευδόμενοι) konntet ihr eure<br />
Erdichtungen glaubwürdig (πιθανῶς) verhüllen‘. 32<br />
Hier liegt nach Origenes ein Widerspruch in der Argumentation des Celsus<br />
vor. Wenn die Jünger selbst sich nach Celsus „in be<strong>zu</strong>g auf Jesus in<br />
einer Täuschung bef<strong>and</strong>en“, da sie glaubten, dass er Gott und von den<br />
Propheten angekündigt ist, so haben sie nichts erdichtet 33 und somit nicht<br />
gelogen, als sie dies über ihn aussagten:<br />
Entweder erdichteten sie also (sc. die genannten Dinge) nicht, sondern dachten<br />
so und schrieben (sie) auf, ohne <strong>zu</strong> lügen (οὐ ψευδόμενοι), oder sie logen<br />
(ἢ ψευσάμενοι), als sie diese Dinge aufschrieben, und dachten sie nicht und hielten<br />
ihn auch nicht aufgrund einer Täuschung für Gott. 34<br />
Die Th ese des Celsus, Jesu Jünger würden sich auf Lug und Trug stützen,<br />
wird von Origenes also gleich in CC II 26 aufgegriff en. Dass er in CC II<br />
28 nochmals darauf anspielt, ist umso wahrscheinlicher, als dort auch das<br />
32) CC II 26 (104,19-21).<br />
33) CC II 26 (104,25-27). Zur behaupteten „Täuschung“ der Christen vgl. fr. II 1 (75,13f<br />
und 77,3-5) und fr. II 8 (82,1f).<br />
34) CC II 26 (104,27-30).
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 63<br />
Th ema der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft weitere Male angesprochen<br />
wird: Die Rede ist einmal von der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit<br />
bzw. Plausibilität (ταῖς πιθανότησιν) der Prophezeiungen, 35 dreimal<br />
von Celsus’ Behauptung, die Prophezeiungen könnten auf unzählige<br />
<strong>and</strong>ere Personen „viel glaubwürdiger“ (πολὺ πιθανώτερον) als auf Jesus<br />
bezogen werden, 36 und schließlich davon, aus wessen Mund diese Behauptung,<br />
wenn überhaupt, „glaubwürdig“ (πιθανόν) wäre. 37<br />
Der Kontext spricht also dafür, dass Origenes in CC II 28 auf Celsus’<br />
Einschät<strong>zu</strong>ng der Christen als „lügnerischer (ψευδομένων) Menschen“<br />
<strong>zu</strong>rückkam und so an fr. II 26 erinnerte. Missverständnisse und Korrekturversuche<br />
der Abschreiber (φησι δόμενον bzw. φειδόμενον) könnten<br />
darauf <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>führen sein, dass in einer früheren Phase der Textüberlieferung<br />
nach ΕΧΡΗΝ ΑΥΤΟΝ der Artikel ΤΩΝ ausfi el. Als ursprünglichen<br />
Text dürfte man in diesem Fall annehmen: ἐχρῆν αὐτὸν , ὥς φησι,<br />
ἀνθρώπων αὐτὰς ἐκθέσθαι τὰς προφητείας („er [sc. Celsus]<br />
hätte die Prophezeiungen , wie er sagt, Menschen als<br />
solche anführen müssen“). 38<br />
Ist die hier vorgeschlagene Konjektur ψευδομένων <strong>zu</strong>treff end, lässt sich<br />
als Fazit festhalten: Erstens zitiert Origenes dieses Wort in CC II 28 aus<br />
derselben Passage, die er schon in CC II 26 angeführt hatte, das heißt: es<br />
liegt weder ein neues, eigenständiges Celsus-Fragment noch ein Rückgriff<br />
auf das Celsus-Wort in CC II 13 vor. Zweitens sind unter den in CC II 28<br />
erwähnten „Menschen“ weder die Leser des Celsus noch die Autoren prophetischer<br />
Schriften <strong>zu</strong> verstehen, sondern die Christen, die die Prophezeiungen<br />
der jüdischen Propheten auf Jesus Christus beziehen. Drittens ergibt<br />
35) CC II 28 (105,17).<br />
36) CC II 28 (105,19-106,2).<br />
37) CC II 28 (105,24-26). Auf die Glaubwürdigkeit bzw. Plausibilität von Aussagen der<br />
Christen wird nochmals in CC II 30 (106,19f) angespielt (εἴ τι πιθανὸν ἐδόκει λέγειν ὁ<br />
Χριστιανός . . .). Vgl. auch CC IV 2 (218,24-219,2), wo Origenes erneut auf die Prophezeiungen<br />
der Ankunft des Messias <strong>zu</strong>rückkommt und im gleichen Wortlaut wie in II 28<br />
feststellt, Celsus hätte diese Prophezeiungen als solche anführen müssen.<br />
38) Zwar betont Celsus’ ‚Jude‘, dass die Prophezeiungen nicht auf Christen <strong>zu</strong>rückgehen,<br />
sondern jüdischen Ursprungs sind (z.B. fr. II 4 [80,14-17]: „Wenn euch . . . jem<strong>and</strong><br />
voraussagte, dass der Sohn Gottes <strong>zu</strong> den Menschen kommen wird, so war dies unser<br />
Prophet und der Prophet unseres Gottes“—οὗτος ἡμέτερος ἦν ὁ προφήτης καὶ τοῦ<br />
ἡμετέρου θεοῦ, vgl. fr. I 49 [50,24f]: ᾽Αλλ’ εἶπεν ἐμὸς προφήτης ἐν ῾Ιεροσολύμοις ποτὲ<br />
ὅτι ἥξει θεοῦ υἱός . . .). Bei Origenes aber können Mose und <strong>and</strong>ere durchaus als „unsere<br />
Propheten“ bezeichnet werden (CC VI 21 [398,21f]: ἀρχαιότατος ἡμῶν προφήτης,<br />
CC VI 23 [401,10]: ἡμῶν οἱ προφῆται).
64 J. Arnold / Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73<br />
sich als Argument des Origenes: Wenn der bei Celsus auftretende ‚Jude‘<br />
selbst grundsätzlich <strong>zu</strong>stimmt, dass den Prophezeiungen über den Messias<br />
jeweils <strong>zu</strong> glauben ist, 39 können die Christen, die sich auf dieselben Prophezeiungen<br />
stützen, nur noch insofern „lügnerische“ oder „betrügerische<br />
Menschen“ sein, als sie (absichtlich) einen ungerechtfertigten Gebrauch<br />
davon machen. Dies aber hätte Celsus (bzw. sein ‚Jude‘) anh<strong>and</strong> der einzelnen<br />
Prophezeiungen nachweisen müssen.<br />
3. Falsch verst<strong>and</strong>ene Inhalte? (CC III 16)<br />
Nun <strong>zu</strong> einer Stelle, die als crux interpretum bezeichnet wurde. 40 In CC III<br />
16 liest man:<br />
(a) Ποῖα δὲ παντοδαπὰ ἐπισπώμεθα ἢ τίνα συμπλάσσομεν δείματα, ὡς<br />
ἀναποδείκτως γράφει ὁ Κέλσος, παραστησάτω ὁ βουλόμενος. 41<br />
[Was für Dinge aller Art wir aber heranziehen oder welche Schreckmittel wir<br />
<strong>zu</strong>sammendichten, wie Kelsos ohne Beweis schreibt, soll darlegen, wer will.]<br />
Kurz darauf heißt es:<br />
(b) Ποῖα οὖν δείματα . . . συμπλάττοντες ἐπισπώμεθα τοὺς ἀνθρώπους; 42<br />
[Was für Schreckmittel nun . . . <strong>zu</strong>sammendichtend, ziehen wir die Menschen<br />
heran?]<br />
Es erscheint durchaus möglich, dass diese beiden Sätze auf dieselbe Aussage<br />
des Celsus <strong>zu</strong>rückgehen: In beiden ist von „Schreckmitteln“ (δείματα)<br />
die Rede, die die Christen angeblich „<strong>zu</strong>sammendichten“ (συμπλάσσειν<br />
bzw. συμπλάττειν). 43 Schwer vereinbar sind (a) und (b) aber, wenn sich das<br />
Verb „wir ziehen heran“ (ἐπισπώμεθα) im ersten Fall auf irgendwelche<br />
Dinge „aller Art“ (παντοδαπά) beziehen soll, im zweiten auf „die Menschen“<br />
(τοὺς ἀνθρώπους), wobei es im ersten Fall die Verwendung, im zweiten die<br />
39) CC II 28 (105,16f): συναγορεύσαντα ταῖς πιθανότησιν αὐτῶν.<br />
40) Schröder, Der Alethes Logos, 113. Vgl. Lona, Die ‚Wahre Lehre‘, 184.<br />
41) ed. Koetschau (GCS 2) 214,22-24; ed. Borret (SC 136) 42,1-4. Zu ed. Marcovich s.u.<br />
bei Anm. 48.<br />
42) ed. Koetschau (GCS 2) 215,3-5; ed. Borret (SC 136) 42,11-13; ed. Marcovich 163,27-<br />
164,1.<br />
43) Vgl. auch III 16 (42,6f): δείματα . . . συμπεπλασμένα.
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 65<br />
Attraktion <strong>zu</strong>m Ausdruck bringen würde. Daher ist παντοδαπά jüngst als<br />
pejorative Bezeichnung für ‚Menschen aller Art‘ interpretiert worden. 44<br />
Mehrfach wurde versucht, (a) und (b) durch Konjekturen vereinbar <strong>zu</strong><br />
machen. So lesen Koetschau, Bader und Rizzo:<br />
Ποῖα δὲ παντοδαπὰ ἐπισπώμεθα τοὺς ἢ τίνα<br />
συμπλάσσομεν δείματα, ὡς ἀναποδείκτως γράφει ὁ Κέλσος, παραστησάτω ὁ<br />
βουλόμενος. 45<br />
[Von welcher Art aber ‚die allerh<strong>and</strong> Mittel‘ sind, die wir anwenden, ‚um die Menschen<br />
an uns <strong>zu</strong> ziehen‘, wie Celsus ohne allen Beweis schreibt, oder was für<br />
‚Schreckbilder wir <strong>zu</strong>sammenformen‘, das mag darlegen, wer es will.] 46<br />
Diese Konjekturen stießen bereits 1938 auf die Kritik Schröders, der den<br />
Satz unverändert lassen will. 47 Marcovich nimmt wiederum eine lacuna<br />
nach παντοδαπά an, ohne aber einen Vorschlag <strong>zu</strong> machen, wie sie <strong>zu</strong> füllen<br />
sei. 48<br />
Bei allen bisher vertretenen Lesarten wird hingenommen, dass die<br />
Menschen von den Christen ausgerechnet durch schreckenerregende Dinge<br />
„herangezogen“ würden. Zu fragen ist, ob der Text gerade an dieser<br />
Stelle falsch überliefert wurde. Unmittelbar im Anschluß an (b) heißt<br />
es nämlich:<br />
(c) Aber auch, wenn er (sc. Celsus) sagt, dass wir die Dinge, die wir vom alten<br />
Logos falsch verst<strong>and</strong>en haben, <strong>zu</strong>sammendichten (συμπλάττοντες) und damit<br />
die Menschen (τοὺς ἀνθρώπους) im voraus 49 befl öten und beschallen—<br />
wie diejenigen, die die Empfänger korybantischer Weihen mit Gesumm<br />
umgeben—so entgegnen wir ihm: . . . 50<br />
τοὺς ἀνθρώπους könnte von (c) aus nachträglich in (b) eingedrungen sein,<br />
weil ein Abschreiber ein Objekt <strong>zu</strong> ἐπισπώμεθα vermisste. Demnach wären<br />
44) Fiedrowicz, Christen und Heiden, 513f (Nr. 410): „Was für ‚Gesindel wir anziehen und<br />
welche Schreckbilder wir erfi nden‘, wie Celsus ohne Beweis schreibt, soll nachweisen, wer<br />
will. (. . .) . . . welche Schreckbilder erfi nden wir . . ., um die Menschen an uns <strong>zu</strong> ziehen?“<br />
45) Koetschau, Übers., 222 Anm. 1; Bader, Der ΑΛΗΘΗΣ ΛΟΓΟΣ, 87; Rizzo, Celso, Il<br />
discorso della verità, 122.<br />
46) Koetschau, Übers., 222. Entsprechend Chadwick, Übers., 137; vgl. auch Rizzo 123.<br />
47) Der Alethes Logos, 113.<br />
48) ed. 163,19.<br />
49) Gemeint ist: vor der Mysterien-Einweihung.<br />
50) III 16 (164,1-4).
66 J. Arnold / Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73<br />
in (b) ursprünglich nicht „die Menschen“, sondern die „schreckenerregenden<br />
Dinge“ das Objekt von „heranziehen“; der Satz hätte also den Wortlaut:<br />
Ποῖα οὖν δείματα, . . . συμπλάττοντες ἐπισπώμεθα . . . („Was für<br />
Schreckmittel ziehen wir nun heran, indem wir sie <strong>zu</strong>sammendichten?“)<br />
Auch in (a) könnte sich ἐπισπώμεθα auf δείματα beziehen, sofern in<br />
Origenes’ Aussage eine bewusste Sperrung zwischen παντοδαπά und<br />
δείματα vorläge. Seine Frage wäre, „was für Schreckmittel aller Art wir<br />
heranziehen oder welche wir <strong>zu</strong>sammendichten . . .“ (Ποῖα δὲ παντοδαπὰ<br />
ἐπισπώμεθα ἢ τίνα συμπλάσσομεν δείματα . . .). Dies würde darauf hindeuten,<br />
dass Celsus im Alethes Logos sagte, die Christen würden „Schreckmittel<br />
aller Art heranziehen, indem sie sie <strong>zu</strong>sammendichten“ (παντοδαπὰ<br />
δείματα συμπλάττοντες ἐπισπῶνται). 51<br />
Anstelle eines Hyperbatons in Origenes’ indirekter Frage (a) könnten<br />
allerdings auch weitere Überlieferungsfehler vorliegen. St<strong>and</strong> nach παντοδαπά<br />
doch noch ein eigenes Be<strong>zu</strong>gswort, wie Marcovich annimmt? Oder<br />
gebrauchte Celsus überhaupt ein <strong>and</strong>eres Wort als παντοδαπά? In Erwägung<br />
gezogen wurde etwa der Terminus φάσματα, der in fr. IV 10 neben<br />
δείματα erscheint. 52<br />
Wahrscheinlicher ist u.E. eine <strong>and</strong>ere Lesart. Es fällt auf, dass Origenes<br />
das Wort παντοδαπά trotz seiner exponierten Stellung—am Beginn der<br />
indirekten Fragen von CC III 16—nicht mehr explizit aufgreift. Mit den<br />
δείματα dagegen, die im selben Kontext genannt wurden, befasst er sich<br />
anschließend noch zweimal. 53 Unmittelbar danach setzt er sich nun auch<br />
und genauso intensiv mit „falsch verst<strong>and</strong>enen Inhalten“ (παρακούσματα)<br />
ausein<strong>and</strong>er, die Celsus seinen Gegnern ebenfalls unterstellt hat. 54 War<br />
ursprünglich παρακούσματα statt παντοδαπά <strong>zu</strong> lesen, stellte Origenes in<br />
CC III 16 <strong>zu</strong>nächst die beiden indirekten Fragen, „was für falsch verst<strong>and</strong>ene<br />
Inhalte wir heranziehen oder welche Schreckmittel wir <strong>zu</strong>sammendichten“<br />
(Ποῖα δὲ ἐπισπώμεθα ἢ τίνα συμπλάσσομεν<br />
51) Schon Schröder (113) hält es für möglich, dass παντοδαπά sich auf δείματα bezieht,<br />
vermutet für diesen Fall aber als ursprüngliche Aussage des Celsus: παντοδαπὰ δείματα<br />
συμπλάττοντες ἐπισπῶνται τοὺς ἀνθρώπους.<br />
52) Fr. IV 10 (224,31-225,2): ἐξομοιοῖ ἡμᾶς τοῖς ἐν ταῖς Βακχικαῖς τελεταῖς τὰ φάσματα<br />
καὶ τὰ δείματα προεισάγουσι. Vgl. Schröder 113: „Ob man aber aus jener Stelle (sc. IV<br />
10; Anm. J.A.) das vorliegende παντοδαπὰ in φάσματα ändern oder dieses Substantiv<br />
hinter παντοδαπὰ ergänzen darf, bleibt ungewiss.“<br />
53) CC III 16 (163,23.28).<br />
54) CC III 16 (164,2.5.8).
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 67<br />
δείματα), und ging anschließend in umgekehrter Reihenfolge auf beide<br />
Aspekte ein.<br />
Dass Origenes in den beiden einleitenden Fragen ursprünglich παρακούσματα<br />
und δείματα verknüpfte, lassen auch seine weiteren Reaktionen<br />
auf die Aussagen des Celsus vermuten. Demnach unterstellte Celsus den<br />
Christen ein „Zusammendichten“ von παρακούσματα 55 ebenso wie von<br />
δείματα. 56 Sofern unsere Konjekturen <strong>zu</strong>treff en, behauptete er außerdem<br />
ein „Heranziehen“ nicht nur von falsch verst<strong>and</strong>enen Inhalten, 57 sondern<br />
auch von „Schreckmitteln“. 58 Dass die Begriff e παρακούσματα und<br />
δείματα im vorliegenden Kontext für dieselben Inhalte stehen und insofern<br />
gegenein<strong>and</strong>er ausgetauscht werden können, ergibt sich aus Origenes’<br />
Referat von Celsus-Worten in (c): Zumindest sinngemäß muss Celsus<br />
gesagt haben, dass Christen (und Juden) falsch verst<strong>and</strong>ene Inhalte<br />
(παρακούσματα) des ‚alten Logos‘ <strong>zu</strong>sammendichten und „durch diese“<br />
(τούτοις) die Menschen „befl öten und beschallen“ und so in Schrecken<br />
versetzen. Die παρακούσματα werden also <strong>zu</strong> δείματα.<br />
Dies entspricht dem Inhalt weiterer Aussagen des Alethes Logos: Laut<br />
CC IV 11 will Celsus aufzeigen, dass die Christen über eine (Welt-)Überfl<br />
utung oder einen (Welt-)Br<strong>and</strong> (περὶ κατακλυσμοῦ ἢ ἐκπυρώσεως) nichts<br />
Neues (μηδὲ καινόν) sagen. Vielmehr hätten sie falsch verst<strong>and</strong>en<br />
(παρακούσαντας), was bei Griechen und Barbaren über diese Dinge gesagt<br />
wird. 59 Im selben Zusammenhang kritisiert Celsus aufs schärfste die christliche<br />
Rede von Gott als Richter im irdischen Bereich 60 und vergleicht die<br />
Christen wegen ihrer Drohungen für die Sünder mit Personen, die „im<br />
Rahmen der bakchischen Weihen die ‚Erscheinungen‘ (φάσματα) und die<br />
55) III 16 (164,1f): τὰ τοῦ παλαιοῦ λόγου παρακούσματα συμπλάττοντες.<br />
56) III 16 (163,19f.23f.28): συμπλάσσομεν δείματα / δείματα . . . συμπεπλασμένα /<br />
δείματα . . . συμπλάττοντες.<br />
57) CC III 16 (163,19): Ποῖα δὲ ἐπισπώμεθα . . .<br />
58) CC III 16 (163,27-164,1): Ποῖα οὖν δείματα . . . ἐπισπώμεθα . . .;<br />
59) 225,11-14. Wörtlich meint Celsus (fr. IV 11 [225,11-14]): „Es kam ihnen (sc. den<br />
Christen) auch dies in den Sinn, da sie jene Dinge falsch verst<strong>and</strong>en (παρακούσασιν), dass<br />
nämlich jeweils nach Zyklen langer Zeiträume und je nach ‚Wiederkehr‘ und ‚Zusammentreff<br />
en‘ (Konjunktion) von Gestirnen sich Weltbrände und -überfl utungen ereignen und<br />
dass der Kreislauf—entsprechend dem im All (herrschenden) Wechsel—nach der Vollendung<br />
der Überfl utung unter Deukalion (als nächstes) einen Weltbr<strong>and</strong> fordert. Dies veranlasste<br />
sie aufgrund irriger Meinung <strong>zu</strong> sagen, Gott werde herabsteigen und in der Art eines<br />
Folterknechts Feuer bringen.“<br />
60) Fr. IV 10 (224,28f); vgl. fr. IV 2 (218,9-12).
68 J. Arnold / Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73<br />
‚Schreckmittel‘ (δείματα) vorneweg hineintragen“. 61 Die Christen entwickeln<br />
demnach aus falsch verst<strong>and</strong>enen Inhalten (παρακούσματα) überlieferter<br />
Kosmologie (also Elementen des παλαιὸς λόγος) einfältige Aussagen<br />
über den vermeintlich strafenden Gott—Aussagen, die die Wirkung von<br />
δείματα haben. Diese Kritik bzw. Polemik deutet Celsus in fr. III 16 nur<br />
an. 62 Die Andeutungen genügen aber (und haben u.E. die Aufgabe), die<br />
Leser auf die späteren Ausführungen <strong>zu</strong>r christlichen Lehre von göttlichen<br />
Strafen vor<strong>zu</strong>bereiten.<br />
Fazit: Sowohl der engere als auch der weitere Zusammenhang von<br />
CC III 16 deuten darauf hin, dass in (a) fälschlich παντοδαπά an die Stelle<br />
von παρακούσματα getreten ist und in (b) τοὺς ἀνθρώπους nach ἐπισπώμεθα<br />
eingefügt wurde. Ursprünglich dürfte Origenes also gesagt haben:<br />
und<br />
Ποῖα δὲ ἐπισπώμεθα ἢ τίνα συμπλάσσομεν δείματα, ὡς<br />
ἀναποδείκτως γράφει ὁ Κέλσος, παραστησάτω ὁ βουλόμενος.<br />
[Was für wir heranziehen oder welche Schreckmittel<br />
wir <strong>zu</strong>sammendichten, wie Celsus ohne Beweis schreibt, soll darlegen, wer will.]<br />
Ποῖα οὖν δείματα . . . συμπλάττοντες ἐπισπώμεθα [];<br />
[Was für Schreckmittel . . . ziehen wir also heran, indem wir sie <strong>zu</strong>sammendichten?]<br />
4. Weissagungen unter Vögeln? (CC IV 91)<br />
In CC IV 91 wird ein neuer Abschnitt eingeleitet mit den Worten:<br />
᾽Αλλὰ καὶ εἴπερ οἰωνοὶ οἰωνοῖς μάχονται , ὥς φησιν ὁ Κέλσος, θείαν<br />
φύσιν ἔχοντες οἱ μαντικοὶ ὄρνεις καὶ τὰ ἄλλα ἄλογα ζῷα καὶ ἐννοίας τοῦ<br />
θείου καὶ πρόγνωσιν περὶ μελλόντων τὰ τοιαῦτα ἑτέροις προεδήλουν· οὐτ’ ἂν<br />
ἡ καθ’ ῞Ομηρον στρουθὸς ἐνόσσευσεν ὅπου δράκων ἔμελλεν αὐτὴν καὶ τὰ<br />
61) CC IV 10 (224,31-225,2).<br />
62) Nach Origenes schreibt Celsus hier „ohne Beweis“ (CC III 16 [163,20]: ἀναποδείκτως).<br />
So stelle sich die Frage, was er als „<strong>zu</strong>sammengedichtete Schreckmittel“ (δείματα . . .<br />
συμπεπλασμένα) bezeichne, wenn nicht die christlichen Lehren „von Gott als Richter“<br />
bzw. „von der Strafe“ (163,21-164,1). Unklar bleibt für Origenes in CC III 16 (164,4f)<br />
auch, „Missverständnisse welcher alten Lehre“ (ποίου παλαιοῦ λόγου παρακούσματα)<br />
gemeint sind (164,6).
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 69<br />
τέκνα ἀφανίσειν, οὔτ’ ἂν ὁ κατὰ τὸν αὐτὸν ποιητὴν δράκων οὐκ ἐφυλάξατο<br />
ὑπὸ τοῦ ἀετοῦ ληφθῆναι. 63<br />
Koetschau übersetzt:<br />
Aber wenn wirklich auch weissagende Vögel mit ihresgleichen kämpfen ,<br />
wie Celsus sagt, ‚die für Weissagung begabten Vögel und die <strong>and</strong>ern unvernünftigen<br />
Tiere‘, die eine göttliche Natur und ‚Vorstellungen‘ von dem Göttlichen<br />
und eine Kenntnis ‚der Zukunft‘ besitzen, solche Dinge <strong>and</strong>ern ‚vorher mitteilten‘,<br />
so hätte weder die Sperlingsmutter, von der Homer erzählt, da genistet,<br />
wo sie mit ihren Jungen einer Schlange <strong>zu</strong>r Beute werden sollte, noch auch hätte<br />
die Schlange, von welcher derselbe Dichter spricht, sich von dem Adler fangen<br />
lassen. 64<br />
Diese Aussage findet sich außer in Ms A auch in den H<strong>and</strong>schriften der<br />
Philocalia, 65 was dafür spricht, dass sie spätestens im vierten Jahrhundert<br />
in ihrer heutigen Gestalt vor<strong>zu</strong>fi nden war. Dennoch ist der Wortlaut <strong>zu</strong><br />
Beginn des Satzes in mehrfacher Hinsicht fragwürdig:<br />
Erstens beziehen sich die genannten Beispiele aus der Ilias auf Ausein<strong>and</strong>erset<strong>zu</strong>ngen<br />
zwischen Vögeln und Schlangen. Dass dagegen (weissagende)<br />
Vögel (οἰωνοῖ) unterein<strong>and</strong>er kämpfen, wie die in CC IV 91<br />
überlieferten Worte εἴπερ οἰωνοὶ οἰωνοῖς μάχονται suggerieren, wird durch<br />
die Homer-Zitate nicht belegt oder veranschaulicht. Marcovich ersetzt in<br />
der oben zitierten Aussage οἰωνοῖς durch ἑρπετοῖς („Kriechtiere“), 66 löst<br />
damit aber nicht alle Probleme.<br />
Denn zweitens kann gar nicht in beiden Fällen von „Kämpfen“ die Rede<br />
sein: Während in den von Origenes zitierten Versen Ilias XII 200-209 die<br />
Schlange dem Adler tatsächlich Gegenwehr leistet, werden die Sperlinge in<br />
der ersten Textpassage völlig kampflos von der Schlange verschlungen.<br />
Drittens legt der Zusammenhang des Textes nahe, die Sperlingsmutter<br />
zwar als potentielle Empfängerin von Weissagungen der μαντικοὶ ὄρνεις <strong>zu</strong><br />
63) ed. Koetschau (GCS 2) 363,11-17; ed. Borret (SC 136) 410,1-7. Konjektur nach<br />
Codex Venetus Marcianus 45 (14. Jh.). Zu ed. Marcovich s.u. bei Anm. 66. Die angesprochenen<br />
Passagen Ilias II 308-321 und XII 200-209 werden in CC IV 91 (307,11-309,6)<br />
wörtlich zitiert.<br />
64) Koetschau, Übers., 417; vgl. Übers. Chadwick 256, und Borret (SC 136) 411.<br />
65) 20,18 (ed. J.A. Robinson [Cambridge 1893] 142,19; dort statt ).<br />
66) ed. 307,8.
70 J. Arnold / Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73<br />
verstehen, doch nicht selbst unter die weissagenden Vögel (οἰωνοί) <strong>zu</strong><br />
rechnen. 67<br />
Viertens besteht kein Grund, daran <strong>zu</strong> zweifeln, dass Vögel—selbst solche,<br />
denen die Fähigkeit <strong>zu</strong>r Mantik <strong>zu</strong>geschrieben wird—mitein<strong>and</strong>er<br />
kämpfen können. 68 Auch von daher ist der Konditionalsatz „wenn wirklich<br />
weissagende Vögel mit ihresgleichen kämpfen“ (εἴπερ οἰωνοὶ οἰωνοῖς<br />
μάχονται) problematisch.<br />
Sinnvoller ist die Aussage, wenn ursprünglich anstelle von μάχονται<br />
eine Form des Verbs μαντεύεσθαι („weissagen“) erschien, das Origenes<br />
bereits kurz <strong>zu</strong>vor gebraucht. 69 In diesem Fall untersucht er hier die Möglichkeit<br />
gegenseitiger Weissagungen unter Vögeln, 70 was sich gut in den<br />
Kontext einfügt: In fr. IV 88 bestreitet Celsus den Vorrang der Menschen<br />
vor den Tieren. 71 Hinsichtlich der Kunst der Weissagung verhalte es sich<br />
sogar so, dass diejenigen Menschen, die als μαντικοί gelten, von den weissagenden<br />
Tieren abhängig seien. 72 Die Fähigkeit der Tiere, die Zukunft<br />
(τὰ μέλλοντα) „im voraus <strong>zu</strong> erkennen“ (προγινώσκειν) und „im voraus<br />
<strong>zu</strong> off enbaren“ (προδηλοῦν), sei Beweis für das Göttliche (auch) in den<br />
Tieren. 73<br />
Origenes entgegnet <strong>zu</strong>nächst in CC IV 90:<br />
. . . wenn wirklich (εἴπερ) irgendeine göttliche Natur (θεία φύσις) in ihnen wäre,<br />
die die Zukunft im voraus erkennen ließe (τῶν μελλόντων προγνωστική), und zwar<br />
in solcher Fülle, dass sie aus ihrem Überfl uss auch jedem beliebigen Menschen<br />
off enbaren könnten, was sein wird (δηλοῦν τὰ ἐσόμενα), dann ist klar, dass sie<br />
67) Sie gehört <strong>zu</strong> den in CC IV 91 genannten „<strong>and</strong>eren“ (ἑτέροις) Tieren, denen die der<br />
Weissagung fähigen Tiere gegebenenfalls die Zukunft voraussagen könnten (προεδήλουν).<br />
In dieser Rolle ist sie „jedem beliebigen Menschen“ (τῷ βουλομένῳ τῶν ἀνθρώπων) vergleichbar,<br />
dem nach Celsus weissagende Tiere die Zukunft off enbaren (δηλοῦν τὰ ἐσόμενα):<br />
CC IV 90 (306,20f); vgl. fr. IV 88 (303,15-304,4).<br />
68) Vgl. fr. VI 74 (451,4) Celsus’ Bemerkung über „Wachtelkämpfe“ (die freilich von Menschen<br />
inszeniert werden).<br />
69) CC IV 89 (305,2f): Die „<strong>zu</strong>m Weissagen“ (πρὸς τὸ μαντεύσασθαι) dienenden Bewegungen<br />
der Tiere würden, wie manche sagten, von Daimonen oder Göttern bewirkt. Der<br />
Wortstamm μαντ- erscheint in <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> nirgendwo häufi ger als in IV 88-95. Celsus<br />
selbst zählt die Vögel in fr. IV 88 (303,20) unter die ζῷα μαντικά.<br />
70) Zur Annahme eines ‚Informationsaustauschs‘ der Vögel vgl. bereits Bouhéraus Konjektur<br />
διαλέγονται (Notae, 388). Röhm (BKV1 39: 553) übersetzte: „Würden die prophetischen<br />
Vögel . . . mitein<strong>and</strong>er sich besprechen . . .“<br />
71) 303,12-304,7.<br />
72) Fr. IV 88 (303,17f u. 19f).<br />
73) Fr. IV 88 (303,16).
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 71<br />
noch viel eher das, was sie selbst betriff t, erkennen würden. Würden sie aber das, was<br />
sie selbst betriff t, erkennen, so würden sie sich wohl hüten, gerade <strong>zu</strong> dem Ort<br />
hin<strong>zu</strong>fl iegen, an dem Menschen Schlingen und Netze für sie aufgestellt haben . . . 74<br />
In CC IV 91 setzt sich Origenes’ Argumentation fort. Die Einleitung des<br />
hier untersuchten Abschnitts—᾽Αλλὰ καὶ εἴπερ . . . („Aber auch, wenn<br />
wirklich . . .“)—greift die der eben zitierten Passage in CC IV 90—<br />
εἴπερ . . .—auf. In CC IV 91 folgte also eine ergänzende Aussage. Geht es<br />
in CC IV 90 um den Nutzen, den tatsächlich weissagende Tiere für sich<br />
selbst aus ihrer Vorkenntnis der Zukunft ziehen müssten, 75 so wird in CC<br />
IV 91 durchgespielt, welche Folgen es haben müsste, wenn weissagende<br />
Tiere auch „<strong>and</strong>eren“ (ἑτέροις) die Zukunft „im voraus off enbarten“<br />
(προεδήλουν). Ob weissagende Vögel mitein<strong>and</strong>er „kämpfen“ (μάχονται),<br />
ist in diesem Kontext nicht relevant, wohl aber, ob sie ein<strong>and</strong>er „weissagen“<br />
(μαντεύονται / ἐμαντεύοντο). 76 Indem Origenes anh<strong>and</strong> der Homerzitate<br />
aufzeigt, dass unter den Tieren selbst keine Weissagung stattfi ndet,<br />
führt er die Vorstellung, es gebe Tiere, die „<strong>zu</strong>r Weissagung begabt“<br />
(μαντικοί) und dadurch den Menschen überlegen wären, ad absurdum.<br />
5. Warum auf den Genuss des Fleisches aller Tiere verzichten?<br />
(Celsus, fr. VIII 28)<br />
In fr. VIII 28 kritisiert Celsus Inkonsequenzen im Verzicht der Christen<br />
auf den Genuss von Götzenopferfl eisch. Nach den Editionen von Koetschau,<br />
Borret und Marcovich heißt es hier:<br />
Εἰ μὲν δὴ κατά τι πάτριον ἱερείων τινῶν ἀπέχονται τῶν τοιῶνδε,<br />
πάντως ἀφεκτέον καὶ ζῴων ἁπάντων βρώσεως·<br />
ᾗπερ καὶ Πυθαγόρᾳ δοκεῖ, ψυχὴν τιμῶντι καὶ τὰ ταύτης ὄργανα. 77<br />
74) 306,18-23.<br />
75) 306,18-307,7; s.v.a. 306,21f: γινώσκειν τὰ περὶ ἑαυτῶν.<br />
76) Präsens oder Imperfekt? In Analogie <strong>zu</strong> CC IV 90 (306,18f)—εἴπερ . . . ἦν—wäre<br />
Imperfekt <strong>zu</strong> erwarten; dies noch mehr, wenn nach der gesuchten Form von μαντεύεσθαι<br />
tatsächlich ein καί <strong>zu</strong> ergänzen ist (vgl. oben Anm. 63), das dieses Verb mit προεδήλουν<br />
verbinden würde. Die u.E. falsche Lesart μάχονται erklärt sich dagegen leichter, wenn<br />
ursprünglich μαντεύονται im Text st<strong>and</strong>. Zur Konstruktion εἴπερ + Indikativ Präsens vgl.<br />
CC IV 94 (311,1f): Εἴπερ δὲ θεία ἐστὶν ἡ τῶν ὀρνίθων ψυχὴ διὰ τὸ δι’ αὐτῶν προλέγεσθαι<br />
τὰ μέλλοντα . . .<br />
77) ed. Koetschau (GCS 3) 243,23-26; ed. Borret (SC 150) 234,2-5; ed. Marcovich 543,23-26.
72 J. Arnold / Vigiliae Christianae 64 (2010) 54-73<br />
Horacio Lona übersetzt in seinem unlängst erschienenen Kommentar <strong>zu</strong>m<br />
Alethes Logos:<br />
Wenn sie sich nun nach einem von den Vätern übernommenen Brauchtum<br />
von bestimmten Opfertieren enthalten, mögen sie sich ganz vom Verzehr aller<br />
Tiere fernhalten, wie es die Ansicht des Pythagoras ist, der die Seele und ihre<br />
Organe ehrt. 78<br />
Genauer <strong>zu</strong> untersuchen ist der erste Teil des Satzes, speziell die Worte<br />
τινῶν und τῶν τοιῶνδε, die auch in den übrigen uns vorliegenden Überset<strong>zu</strong>ngen<br />
nicht getrennt gesehen, sondern mitein<strong>and</strong>er verknüpft oder<br />
verschmolzen werden. 79 Diese Vorgehensweise wird durch die in Ms A<br />
gegebene und von den Editoren übernommene Interpunktion—Komma<br />
nach τῶν τοιῶνδε—nahegelegt, wenn nicht erzwungen. Ist diese Interpunktion<br />
aber <strong>zu</strong>treff end? Hier sei der Vorschlag gemacht, das Komma<br />
schon vor τῶν τοιῶνδε <strong>zu</strong> setzen:<br />
Εἰ μὲν δὴ κατά τι πάτριον ἱερείων τινῶν ἀπέχονται,<br />
τῶν τοιῶνδε πάντως ἀφεκτέον<br />
καὶ ζῴων ἁπάντων βρώσεως·<br />
ᾗπερ καὶ Πυθαγόρᾳ δοκεῖ, ψυχὴν τιμῶντι καὶ τὰ ταύτης ὄργανα.<br />
[Wenn es also nach einem von den Vätern übernommenen Brauch (πάτριον)<br />
geschieht, dass sie (sc. die Christen) sich irgendwelcher Opfertiere enthalten<br />
(ἱερείων τινῶν ἀπέχονται), müssen sie sich solcher (sc. Tiere) (τῶν τοιῶνδε) gänzlich<br />
enthalten—und (überhaupt) des Genusses aller Tiere, wie es auch Pythagoras<br />
richtig erscheint, da er die Seele und ihre Organe ehrt.]<br />
Die in Ms A sowie bei Koetschau, Borret und Marcovich vorliegende<br />
Interpunktion dürfte durch den Kommentar des Origenes beeinfl usst sein.<br />
Schon er hatte off enbar Schwierigkeiten, der Aussage seines Gegners einen<br />
vernünftigen Sinn ab<strong>zu</strong>gewinnen:<br />
Ich weiß nicht, wie er in diesen (Darlegungen) <strong>zu</strong> der Annahme kam, dass<br />
diejenigen sich des Genusses aller Tiere enthalten müssten, die sich, wie er es<br />
78) A.O. 438.<br />
79) Z.B. Koetschau 763: „Wenn sie sich nun einiger solcher Opfertiere . . . enthalten . . .“;<br />
Chadwick 471: “ . . . from particular sacrifi cial victims . . .”; Borret (SC 150) 235: « . . . de<br />
victimes de ce genre . . . »; Lanata 150f: « . . . da talune di queste vittime . . . »; Rizzo 267:<br />
« . . . di quelle certe vittime . . . ».
<strong>Textkritisches</strong> <strong>zu</strong> Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> 73<br />
nannte, nach einer von den Vätern übernommenen Sitte irgendwelcher Opfertiere<br />
enthalten. 80<br />
Hier wird der Zwischenschritt der Argumentation des Celsus übergangen.<br />
Was Celsus tatsächlich sagen will, können seine Ausführungen in fr. V 34<br />
verdeutlichen: Es sei völlig gerecht, dass alle Völker ihren je eigenen<br />
Gebräuchen religiöse Ehrfurcht entgegenbringen (οὐδὲν ἄδικον ἑκάστους<br />
τὰ σφέτερα νόμιμα θρησκεύειν). 81 So „enthalten sich“ (ἀπέχονται) die einzelnen<br />
Völker unterschiedlicher Arten von Tieren, weil sie sie entweder als<br />
heilig anbeten oder aber ihnen mit Abscheu begegnen. 82 Auch hier kann<br />
man von πάτρια sprechen. 83 Diese von den Vätern übernommenen Bräuche<br />
gelten aber nicht nur unter bestimmten Bedingungen—etwa wenn ein<br />
Tier geopfert worden ist—, sondern innerhalb der jeweiligen Völker bzw.<br />
Regionen ganz grundsätzlich. 84 Würden die Christen sich also—wie die<br />
einzelnen Völker—„entsprechend einem πάτριον“ irgendwelcher Tiere<br />
enthalten, so müsste sich dieser angestammte Brauch grundsätzlich auf alle<br />
Tiere der betreff enden Gattung beziehen (τῶν τοιῶνδε πάντως ἀφεκτέον),<br />
nicht speziell auf geopferte. Daraus ist weiter ab<strong>zu</strong>leiten: Wenn die Christen<br />
sich aller geopferten Tiere enthalten, welcher Gattung auch immer sie<br />
angehören, 85 müssten sie sich—sofern dieses Verhalten auf ein πάτριον<br />
<strong>zu</strong>rückginge—grundsätzlich des Genusses aller Tiere enthalten. Diesen<br />
Überlegungen entsprechend wäre das Komma in fr. VIII 28 vor statt nach<br />
τῶν τοιῶνδε <strong>zu</strong> setzen.<br />
Resümee: Aus der großen Zahl unklarer und umstrittener Textstellen in<br />
Origenes’ <strong>Contra</strong> <strong>Celsum</strong> wurden fünf einer näheren Untersuchung unterzogen.<br />
Aufgrund der Analyse von Sprachgebrauch und Kontext konnten<br />
Lesarten vorgeschlagen werden, die den Text stringenter erscheinen lassen<br />
als nach herkömmlichem Verständnis. Außerdem erlauben sie eine präzisere<br />
Zuordnung einzelner Aussagen an Origenes oder Celsus.<br />
80) CC VIII 28 (544,3-5): Οὐκ οἶδ’ ὅπως ἐν τούτοις ἔδοξεν αὐτῷ ἀκολουθεῖν δεῖν<br />
ἀπέχεσθαι πάντων ζῴων βρώσεως τοὺς, οὓς ὠνόμασε κατά τι πάτριον ἔθος ἱερείων<br />
τινῶν ἀπεχομένους.<br />
81) 349,6f.<br />
82) 349,14-16.<br />
83) Siehe fr. V 25 und die Schlussfolgerung des Origenes in CC V 35 (350,13f): ∆ιὰ τούτων<br />
δέ ὁδεύειν δοκεῖ τῷ Κέλσῳ ὁ λόγος ἐπὶ τὸ δεῖν πάντας ἀνθρώπους κατὰ τὰ πάτρια ζῆν.<br />
84) Nach fr. V 34 müssen die Bewohner von Apis und Marea wie alle Ägypter uneingeschränkt<br />
auf den Genuss von Rindfl eisch verzichten, weil ihr Gebiet nach der Defi nition<br />
Amuns <strong>zu</strong> Ägypten gehört.<br />
85) Vgl. die völlig unspezifi sche Wendung ἱερείων τινῶν (CC VIII 28 [543,23f]).