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Arcana Festival Programmbuch - Regionale10

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FESTIVAL FÜR NEUE MUSIK<br />

28. JULI – 8. AUGUST 2010<br />

www.arcanafestival.at Im Rahmen der regionale10


2 3<br />

Umschlag: Ödstein im Abendlicht<br />

Musik | 22 Konzerte Neuer Musik<br />

Musikvermittlung | Kreatives Projekt, Workshopkonzerte, Einführungen<br />

und Klangpromenade<br />

Laboratorium <strong>Arcana</strong> | Neue Musik und Neurowissenschaft<br />

Bildende Kunst | Ausstellung, Installationen, Kunst im öffentlichen Raum<br />

28. Juli – 8. August<br />

www.arcanafestival.at


4 Panorama<br />

Panorama<br />

5<br />

Panorama<br />

28.7 Winterreise | Klangforum Wien. Emilio Pomárico. Daniel Kirch: Zender<br />

29.7 Weisslich 36, Kopfhörer | Installation: Ablinger<br />

29.7 Zipangu | Wroclawska Orkiestra Kameralna Leopoldinum. Ernst Kovacic:<br />

Furrer – Rihm – Scelsi – Vivier<br />

29.7 Assonances | Robyn Schulkowsky. Ernst Kovacic: Jarrell – Staud – Xenakis<br />

30.7 Satt sehen – Vom Essen in der Kunst | Ausstellung: Eröffnung<br />

30.7 Pulsare | Schlagquartett Köln. Robyn Schulkowsky. Björn Wilker.<br />

Adam Weisman. Martin Homann: Varèse – Grisey<br />

31.7 Performance Ernst Kovacic | Kovacic: Werke für Solo Violine<br />

– Improvisation<br />

31.7 Madrigale | Neue Vocalsolisten Stuttgart: Ronchetti – Sciarrino<br />

01.8 Laboratorium <strong>Arcana</strong> | Symposium Neue Musik und Neurowissenschaften:<br />

Eröffnung<br />

01.8 …miramondo multiplo… | Installation: Neuwirth<br />

Hochtorgruppe<br />

01.8 Von Sternen, Nebeln und Galaxien … | MitarbeiterInnen Georg Fischer.<br />

Schlagquartett Köln. Robyn Schulkowsky. Björn Wilker. Adam Weisman:<br />

Kreatives Musikprojekt Xenakis<br />

02.8 Action Music | Marino Formenti: Scelsi – Lang<br />

02.8 Rothko Chapel | Arnold Schoenberg Chor. Erwin Ortner. Steven Dann.<br />

Martin Homann. Mathilde Hoursiangou: Scelsi – Cerha – Ligeti – Feldman<br />

02.8 Notturno | Marino Formenti: Feldman<br />

03.8 Abrumado | Marino Formenti: Feldman<br />

03.8 Lecture Concert | Peter Ablinger: Performance<br />

03.8 Solo pour trois | Uwe Dierksen. Ernesto Molinari. Marcus Weiss:<br />

Grisey – Rihm – Aperghis<br />

03.8 Abîme – Abgrund | ensemble recherche. Nicolas Hodges:<br />

Ligeti – Cho – Parra – Grisey<br />

04.8 Schwarzer Peter / Klangpromenade | Uwe Dierksen. Donna Molinari.<br />

Ernesto Molinari. Marcus Weiss: Kyburz – Staud – Gander – Furrer<br />

04.8 Canti Notturni | ensemble recherche. Nicolas Hodges: Parra –<br />

Sciarrino – Pomárico – Murail<br />

04.8 Trilogy of the Americas (La Selva/Buildings/Wind) | Francisco Lopez:<br />

Lopez<br />

05.8 Dal niente al dente | Ernesto Molinari: Surprise!<br />

06.8 Spuren | Kammerensemble Neue Musik Berlin. Beat Furrer:<br />

Neuwirth – Furrer – Andre – Ustwolskaja<br />

06.8 Jam Session | Uwe Dierksen. Robyn Schulkowsky. Ernesto Molinari:<br />

Improvisation<br />

07.8 Clouds | Zebra Trio: Cerha – Schönberg – Xenakis – Srnka<br />

08.8 Finale Furioso | Uwe Dierksen. Dieter Flury. Ernesto Molinari.<br />

Robyn Schulkowsky: Improvisationen – Varèse – Holliger – Huber –<br />

Lachenmann – Cerha – Staud – Zappa – …


6 arcana<br />

SPonSoren<br />

7<br />

Intendant | Peter Oswald<br />

Leitung Musikvermittlung | Annemarie Mitterbäck<br />

Geschäftsführer | Erich Mitterbäck<br />

<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse.<br />

<strong>Festival</strong> für Neue Musik.<br />

info@arcanafestival.at<br />

T + 43 3632 77 14 11<br />

F + 43 3632 77 14 10<br />

Partner<br />

Im Rahmen der regionale10<br />

UBS Kulturstiftung<br />

Medienpartner<br />

Regionale Partner<br />

Naturpark Steirische Eisenwurzen | GeoLine | Regional Entwicklung Gesäuse<br />

Nationalpark Gesäuse | Wasserspielpark Eisenwurzen | <strong>Festival</strong> St.Gallen


8 Inhalt<br />

Inhalt<br />

9<br />

Inhalt<br />

Vorwort 10<br />

Musikvermittlung 14<br />

Laboratorium 18<br />

Musikprogramm 28<br />

Uraufführungen 142<br />

Bildende Kunst 144<br />

Biographien der KomponistInnen und KünstlerInnen 158<br />

Biographien der InterpretInnen und Ensembles 178<br />

Aufführungsorte 190<br />

Anreise 194<br />

Tickets 198<br />

Das Gesäuse 202<br />

Kontakt/Team 208<br />

Inserate 210<br />

Impressum 225<br />

Musikprogramm<br />

Winterreise 30<br />

Weisslich 36, Kopfhörer 40<br />

Zipangu 42<br />

Assonances 48<br />

Pulsare 52<br />

Performance Ernst Kovacic 56<br />

Madrigale 58<br />

Von Sternen, Nebeln und Galaxien … 68<br />

Action Music 74<br />

Rothko Chapel 78<br />

Notturno 90<br />

Abrumado 94<br />

Lecture Concert 98<br />

Solo pour trois 102<br />

Abîme – Abgrund 106<br />

Schwarzer Peter / Klangpromenade 112<br />

Canti Notturni 116<br />

Trilogy of the Americas (La Selva/Buildings/Wind) 122<br />

Dal niente al dente 126<br />

Spuren 128<br />

Jam Session 134<br />

Clouds 136<br />

Finale Furioso 140


10 Vorwort<br />

Vorwort 11<br />

Vorwort<br />

Von Peter Oswald<br />

Am Peternpfad<br />

Im Zusammenhang mit <strong>Arcana</strong> kann man von Transformation sprechen (von<br />

Veränderung, von Aufbruch). Aber es geht weniger um Alchemie als um heftige<br />

Vulkanausbrüche in der Nacht. Hier ist der Ätna gleichermaßen symbolisch wie<br />

der Prometheus. Er ist sogar sein Doppelgänger. Es handelt sich durchaus um die<br />

prometheische Versuchung, den Kosmos in den Klängen und durch die Klänge<br />

zu besitzen.<br />

Fernand Quellette, Biograph von Edgar Varèse<br />

Ein neues <strong>Festival</strong> entsteht. In einer der magischsten Regionen Europas findet ab<br />

2010 jährlich ein 12-tägiger Energiestrom zwischen KomponistInnen, InterpretInnen,<br />

WissenschaftlerInnen und Publikum statt.<br />

Warum das Gesäuse? Die Reflexionen des Rauschens sind schon den Außenseitern<br />

des 19. Jahrhunderts aufgefallen, die hier ihre Zuflucht gefunden haben.<br />

Exemplarisch der Schwarze Peter. Der illegal operierende und legitim wirkende<br />

Wilderer hatte einen Durchschlupf durch die scheinbar unüberwindlichen Nordwände<br />

gefunden. Daraufhin hat er sich konspirativ mit den von kaiserlichen Banden<br />

ausgebeuteten Bauern von Johnsbach verbündet.<br />

Auch der Name des <strong>Festival</strong>s ist Programm. <strong>Arcana</strong> ist eines der beiden Orchesterstücke<br />

von Edgar Varèse, der in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mit<br />

seinen auch heute noch bestürzenden Innovationen dem pragmatischen neoklassizistischen<br />

und später faschistischen Ungeist kraftvolle künstlerische Positionen<br />

entgegen gesetzt hatte. Das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> bezieht gegenüber Klischees, Neue<br />

Musik sei schwierig zu vermitteln eine klare Position. In seinem kommunikativen<br />

Handeln ist für das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> die Vermittlung Neuer Musik unverzichtbar. Es<br />

kommuniziert mit allen gesellschaftlichen Schichten. Durch sein Handeln entsteht jene<br />

Weltoffenheit, die vergleichbare populistische Klischees nicht einmal ignoriert.<br />

<strong>Arcana</strong> fühlt sich seinem Namensgeber noch in einer anderen Hinsicht verpflichtet.<br />

Edgar Varèse hatte vor 90 Jahren – visionär wie kein anderer Komponist – die<br />

Zusammenführung von künstlerischen und wissenschaftlichen Inhalten gefordert.<br />

Diesem Imperativ folgend definiert das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> das neuronale Lustzentrum<br />

Neuer Musik als „temporalen, physischen Code, der dem Menschen die Rückverwandlung<br />

in eine Kreatur ermöglicht“. In Peter Weibels fulminantem Auto-Interview<br />

müssen neuronaler Zeittakt und Musiktakt „quertakten“, um eine psychische Immanenz<br />

(eben keine metaphysische Transzendenz) zu erreichen. Diese exemplarische<br />

philosophische Definition einer Zeitgenossenschaft koinzidiert mit Wolf Singers<br />

Reflexionen zur Emergenz kreativer Prozesse: kein Dualismus mehr, sondern die<br />

Zusammenführung von kognitiven (wissenschaftlichen) und künstlerisch-kreativen


12 Vorwort<br />

Vorwort 13<br />

Prozessen. Damit folgt das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> der neurowissenschaftlichen Einsicht<br />

führender Kognitionswissenschaftler, dass kognitive, emotionale und körperliche<br />

Prozesse untrennbar verbunden sind (vgl. Eric Kandel, Wolf Singer und António<br />

Damásio).<br />

Das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> ist kein Uraufführungsfestival, aber es verzichtet nicht auf die<br />

Neugier, nicht auf das Andere. Gleichzeitig entwirft <strong>Arcana</strong> ein Panorama kompromissloser,<br />

also freier Persönlichkeiten.<br />

Ein Stern ist höher als alle anderen. Es ist der Stern der Apokalypse; der zweite<br />

Stern ist der des Aszendenten, der dritte ist der der Elemente, und deren sind ihrer<br />

vier, sodass sechs Sterne feststehen. Neben diesem gibt es noch einen weiteren<br />

Stern, die Phantasie, die einen neuen Stern erschafft.<br />

Edgar Varèse in der Partitur zu <strong>Arcana</strong><br />

<strong>Arcana</strong> steht in vielen europäischen Sprachen für das Geheime, für Elixiere, für<br />

das Dunkle, das Mysteriöse, das Verborgene.


14 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung 15<br />

Musikvermittlung | Education<br />

Von Annemarie Mitterbäck<br />

Entdecken und Erforschen<br />

Berührungspunkte<br />

Wissensdurst<br />

Klangpromenade<br />

Bausteine<br />

Die Education-Angebote und Aktivitäten bilden einen grundlegenden Bestandteil<br />

des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s mit der Intention, der Bevölkerung der Region sowie dem<br />

Publikum durch innovative Zugänge und die phantasievolle, praktische und schöpferische<br />

Auseinandersetzung die Lust auf Neue Musik zu wecken sowie diese zu<br />

vertiefen.<br />

Das Gesäuse und der es durchringende Fluss, die Enns stehen für eine Region mit<br />

starker Identität und Ausdruckskraft. Die Suche nach dieser Vereinbarkeit spiegeln<br />

zentrale Ansätze der Neuen Musik wider, welche uns wiederum auf emotionaler<br />

Ebene über die körperliche und sinnliche Wahrnehmung, unvorhergesehene,<br />

möglicherweise sogar verwirrende Emotionen im Körper eröffnen und neue Gedankengänge<br />

entstehen lassen.<br />

Wir möchten mit dem Vermittlungsprogramm des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s die Bevölkerung<br />

der Region sowie das ins Gesäuse angereiste Publikum auf diesen Weg und diese<br />

Suche mitnehmen und laden im Rahmen der Angebote Berührungspunkte, (Workshopkonzerte<br />

in sozialen Institutionen für die Bewohner und die Bevölkerung der<br />

Gemeinde), Bausteine (Dialogworkshops in den Schulen der Region), Wissensdurst<br />

(öffentlich zugänglichen KomponistInnen-Gespräche und Einführungsveranstaltungen<br />

zu ausgewählten Konzertprogrammen), sowie der Klangpromenade (eine<br />

musikalische Wanderung für Familien und Kinder zum Haindlkar) zu dieser Öffnung<br />

und zu diesem Teilen ein. Wichtig ist dabei: Es gibt kein Richtung oder Falsch – jede<br />

gefühlte Äußerung steht für sich, besitzt Bedeutung und erhält Raum.<br />

Entdecken und Erforschen, Kreatives Musikprojekt: „Von Sternen, Nebeln und<br />

Galaxien…“ Im Rahmen dieses Projekts zu Iannis Xenakis Pléïades, welches als<br />

Thema das astronomische Phänomen der Plejaden (Siebengestirn), ein Sternhaufen<br />

mit ca. 400 Sternen im Sternzeichen des Stiers behandelt, begeben sich MitarbeiterInnen<br />

der Firma Georg Fischer mit der Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky<br />

sowie den Schlagzeugern Björn Wilker und Adam Weisman über einen Zeitraum<br />

von vierzehn Tagen auf die Entdeckungsreise und die Erforschung neuer Klänge<br />

und Ausdrucksmöglichkeiten und entwickeln ein neues, eigenes Werk. Es geht<br />

darum, Parallelen und Ebenen zu den jeweiligen Realitäten und Horizonten des<br />

Einzelnen zu schaffen, diese zu bereichern und zu erweitern sowie die vorangehende<br />

implizierte Selbstdefinition des eigenen, individuellen Leuchtsterns und<br />

dessen Wirkungsradius zu ergründen. Wie stellt sich das Neue in uns dar? Welche<br />

Facetten in uns sind noch unergründet und drängen zum Ausbruch? Welche<br />

Möglichkeiten eröffnen sich durch das kreative Tun und Schaffen? Das Ergebnis<br />

der vierzehntägigen Projektphase wird in der Versandhalle der Firma am 1. August<br />

öffentlich präsentiert.


16 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung 17<br />

Projekte und Angebote<br />

Entdecken und Erforschen<br />

Kreatives Musikprojekt: Von Sternen, Nebeln und Galaxien …<br />

Im Rahmen des kreativen Projekts „Von Sternen, Nebeln und Galaxien …“ zu Iannis<br />

Xenakis Pléïades. begeben sich MitarbeiterInnen der Firma Georg Fischer mit<br />

der Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky und den Schlagzeugern Björn Wilker und<br />

Adam Weisman über einen Zeitraum von vierzehn Tagen auf die Entdeckungsreise<br />

und die Erforschung neuer Klänge und Ausdrucksmöglichkeiten und entwickeln ein<br />

eigenes Werk (mehr im Programmtext zum Konzert).<br />

Termin der Aufführung<br />

Sonntag, 1. August um 19:30 Uhr in der Versandhalle der Firma Georg Fischer<br />

Automotive - Von Sternen, Nebeln und Galaxien …<br />

Projektdauer: 19. Juli – 1. August 2010<br />

Anna Furtmüller<br />

Berührungspunkte<br />

Workshopkonzerte zu Konzerten des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> in den Kinder- und Jugendwohngruppen<br />

der Pro Juventute in Johnsbach und Landl für die Bewohner der<br />

Einrichtung, der Gemeinde und Interessierte.<br />

Wissensdurst<br />

Öffentlich zugängliche KomponistInnen-Gespräche und Einführungsveranstaltungen<br />

zu ausgewählten Konzertprogrammen. Termine und Ort für die Gespräche wer-<br />

den auf der Website <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s bekanntgegeben und liegen in der <strong>Arcana</strong><br />

<strong>Festival</strong> Zentrale auf.<br />

Klangpromenade<br />

Eine musikalische Wanderung für Familien und Kinder zum Haindlkar. Musik- und<br />

Rätselspielstationen erleichtern den Aufstieg. Den Abschluss bildet das Konzert<br />

Schwarzer Peter.<br />

Termin | Treffpunkt<br />

Mittwoch, 4. August 2010, 08.30 Uhr, Haindlkarparkplatz<br />

(Ersatztermin bei Schlechtwetter entnehmen Sie bitte der Website)<br />

Anmeldung erbeten bis 31. Juli 2010<br />

via e-mail: education@arcanafestival.at<br />

oder telefonisch in der <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale: T+ 43 3632 7714 11<br />

Bausteine<br />

Im Rahmen von Dialogworkshops wurde in der ersten Juliwoche zu Schulschluss<br />

in verschiedenen Volks– , Hauptschulen der gesamten Region zu Werken des<br />

<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s gearbeitet. Die teilnehmenden SchülerInnen erarbeiteten kleine<br />

musikalische Stücke in Anknüpfung an die Werke Pléïades von Iannis Xenakis und<br />

Le noir de l´étoile von Gérard Grisey. Unter Anleitung der Schlagzeugerin Robyn<br />

Schulkowsky sowie der Musikvermittlerin Annemarie Mitterbäck entwickelten die<br />

SchülerInnen kleine musikalische Einheiten und Zellen inspiriert von Sternen, Nebeln<br />

und Galaxien. Chromatische Skalen und kleine Rhythmuselemente wurden<br />

mit den Bausteinen verflochten und als kleine Kompositionen in Form einer kleinen<br />

Aufführung ihren Mitschülern präsentiert.<br />

SchülerInnen der Volksschule Weissenbach/Enns beim Erforschen und Erkunden verschiedener Klänge<br />

anhand von Bauteilen der Firma Georg Fischer Automotive | Anna Furtmüller


18 laboratorIum<br />

laboratorIum 19<br />

Neue Musik und Neurowissenschaft<br />

Zum Laboratorium <strong>Arcana</strong><br />

Von Peter Oswald<br />

Dauer: 1. August 2010 – 8. August 2010<br />

Moderation: Rubina Möhring und Stefan Koelsch<br />

Termine und Ort für die öffentlichen Diskussionen werden auf der Website <strong>Arcana</strong><br />

<strong>Festival</strong>s bekanntgegeben und liegen in der <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale auf. Texte<br />

zum Symposium und Protokolle werden nach dem Symposium auf der Website<br />

veröffentlicht.<br />

www.arcanafestival.at<br />

Am Dachl<br />

Ein neues Forschungsgebiet. In den letzten 15 Jahren ist die Beziehung von<br />

Neurowissenschaften zu musikalischen Phänomenen immer virulenter geworden.<br />

Standen in den späten 90er Jahren noch überwiegend neurologische Aspekte im<br />

Vordergrund, so haben sich in den letzten Jahren die Forschungsschwerpunkte<br />

immer mehr auf das „gesunde“ Gehirn und seine neuronalen Erregungsmuster<br />

beim Hören anspruchsvoller Musik verlagert 1 .<br />

Oliver Sacks fokussiert in seinem Buch Der einarmige Pianist 2 primär auf neurologische<br />

Fallstudien und zitiert im letzten Abschnitt bekannte Kreativitätsprozesse<br />

von Richard Wagner, Hector Berlioz und Igor Strawinsky. Sehr viele in jüngster Zeit<br />

durchgeführte experimentelle Versuche mittels fMRT und EEG, den modernsten<br />

bildgebenden Verfahren für Gehirnaktivitäten, gehen noch von der Hypothese aus,<br />

dass insbesondere limbische, also subkortikale Systeme, dem Muster Spannung-<br />

Entspannung folgen.<br />

Hier sei die Hypothese formuliert, dass ein Neuroimaging bereits des Tristan-<br />

Akkordes und seiner bei Wagner nicht konzipierten Auflösung (die Dissonanz bleibt<br />

als Chiffre des Begehrens, als kompositorische Formel des Verlangens ständig<br />

stehen), im Falle einer fiktive Auflösung nach A-Dur oder a-Moll, beim Publikum<br />

zu einer Irritation, wenn nicht zu einem Gelächter ob der Banalität einer derartigen<br />

Auflösung führen würde.<br />

Ziel des Symposiums ist es, nun darin KomponistInnen und NeurowissenschafterInnen<br />

so zusammen zu bringen, dass in einer zwanglosen, dialogintensiven und<br />

nicht durch starre Zeitpläne reglementierten Form neue und perspektivenreiche<br />

Fragestellungen entwickelt werden können. Es ist das naheliegende Ziel des Symposiums,<br />

dass die in diesem Prozess formulierten Arbeitshypothesen Eingang in<br />

avancierte Vermittlungskonzepte Neuer Musik finden werden und eine Basis für<br />

weitere Diskussionen und Veranstaltungen dieser Art bilden.<br />

Zur Untrennbarkeit von kognitiven und emotionalen Prozessen. Die Erkenntnis<br />

der Neurowissenschaften, dass alles auf neuronalen Prozessen im Gehirn<br />

beruht, ist bisher widerspruchsfrei geblieben. Es ist immer wieder gelungen, für<br />

eine definierte kognitive Funktion die entsprechende neuronale Repräsentation<br />

zu identifizieren.<br />

1 | Vgl. Lutz Jäncke. Macht Musik schlau? Stefan Kölsch div. Essays<br />

2 | Vgl. Oliver Sacks. Der einarmige Pianist – Über Musik und das Gehirn


20 laboratorIum<br />

laboratorIum 21<br />

Allerdings: Es gibt kein Konvergenz-Zentrum 3 . Alles, was in der Philosophiegeschichte<br />

immer wieder postuliert worden ist (Descartes, Kant, Hegel), findet kein<br />

neuronales Korrelat . Wir haben es vielmehr mit einer hochkomplexen, sich selbst<br />

organisierenden Struktur unterschiedlichster Zell-Ensembles zu tun.<br />

Unser Gehirn ist also aufgrund seiner Komplexität und nichtlinearen Dynamik radikal<br />

offen. Es kann völlig neue, bisher noch nicht aufgesuchte Orte in einem hochdimensionalen<br />

Zustandsraum besetzen. Diese werden dann als kreative Akte erfahrbar,<br />

im Kontext unseres Symposiums als große Augenblicke der Neuen Musik.<br />

Komplexität und Iteration in neuronalen Ensembles. Es gibt im Gehirn also keine<br />

Zentrale, eine allen Subprozessen übergeordnete Instanz. Wie kann das Gehirn<br />

als Ganzes dann stabile Aktivitätsmuster ausbilden? Wie können die verteilten<br />

Verarbeitungsprozesse zur Grundlage kohärenter Wahrnehmungen koordiniert<br />

werden? Wie findet ein so distributiv organisiertes System zu Entscheidungen?<br />

Wie wissen wir, wann die verteilten Arbeitsprozesse ein Ergebnis erzielt haben,<br />

das die Menschen als geglückte und gelingende Erfahrung Neuer Musik erleben?<br />

Irgendwie müssen die verteilten sensorischen Prozesse zusammengebunden<br />

werden, weil unsere wahrgenommenen Eindrücke kohärent und nicht fragmentiert<br />

sind. Das in den Neurowissenschaften diskutierte Bindungsproblem hat in den<br />

vergangenen Jahren zu aufschlussreichen wissenschaftlichen Resultaten geführt.<br />

In diesem Kontext kommt der Synchronisierungs-Organisation unserer neuronalen<br />

Ensembles eine zentrale Rolle zu.<br />

Komplexität und Neue Musik. Die Wahrnehmung komplexer dynamischer<br />

Strukturen wie Sprache oder Musik beruht auf einer Abfolge komplexer sich<br />

ständig wandelnder Erregungsmuster. Es handelt sich keinesfalls um isomorphe<br />

Abbildungen, denn Tonhöhen werden nicht einfach in neuronale Schwingungen<br />

unterschiedlicher Frequenz umgesetzt. Die hoch nichtlineare Dynamik erzeugt<br />

eine Komplexität, die angemessen auf die Komplexität gesellschaftlicher und<br />

künstlerischer Vorgänge reagiert. Wir haben es also damit zu tun, dass in der<br />

wechselnden neuronalen Ausbildung prinzipiell unvorhersehbarer Muster, die<br />

Fähigkeit sich selbst zu organisieren und ohne den koordinierenden Einfluss<br />

einer übergeordneten Instanz, hochgeordnete metastabile Zustände einzunehmen,<br />

erzeugt wird. Ein Diskussionspunkt bezieht sich auch auf die Offenheit<br />

3 | Vgl. Wolf Singer. Der Beobachter im Gehirn<br />

4 | Vgl. Gerhard Roth. Das Gehirn und seine Wirklichkeit und Singer (siehe oben)<br />

hinsichtlich der Entwicklungs-Trajektorien. Ebenso die Fragestellung nach der<br />

Kreativität eines nichtlinearen Systems sowie die kompositorische Erfahrung der<br />

Unumkehrbarkeit der Zeit (die erst seit der frühen Moderne, in substantiellen Ansätzen<br />

beim späten Beethoven schon erfahrbar wird), die sich aus der Erfahrung<br />

dieser Trajektorien ableitet.<br />

Wir haben es also mit hochdimensionalen Zustandsräumen zu tun, die von<br />

niedrigdimensionalen Signalen beliefert werden. Wir haben keine Einsicht in die<br />

hochdimensionalen und nichtlinearen Prozesse, auf denen unsere kognitiven<br />

Leistungen beruhen. Wir haben kein Sensorium für die im Gehirn ablaufenden<br />

Vorgänge und es gibt auch kein Sensorium für einen vierten, fünften und sechsten,<br />

gar zehnten Raum, den StringtheoretikerInnen in der Theoretischen Physik<br />

beschreiben, um in einer Theorie der Quantengravitation, Relativitätstheorie und<br />

Quantenmechanik zusammenzuführen.<br />

Zum Symposium. Das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> bietet die einmalige Chance, ein Projekt<br />

zu entwickeln, von dessen Bedeutung für die modernen Wissenschaften und<br />

für künstlerische Entwicklungen wir überzeugt sind. Im Kontext dieses Projekts<br />

sollen führende KomponistInnen gemeinsam mit NeurowissenschaftlerInnen und<br />

WissenschaftlerInnen sowie Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen an<br />

Fragestellungen arbeiten. Das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> bietet die Möglichkeit in einer<br />

großartigen Landschaft Netzwerke zu bilden und Fragestellungen (bzw. Antworten)<br />

kommunikationsfähig zu entwickeln. Fragestellungen, die weit über den engeren<br />

Bereich des Komponierens heute hinausgehen.<br />

WissenschaftlerInnen aus den Bereichen Neurowissenschaft, Philosophie, Kunsttheorie,<br />

Komplexitätsforschung, Kunstwissenschaft, Kunsttheorie, Typosophie,<br />

Semiotik und theoretische Physik werden am Symposium teilnehmen.


22 laboratorIum<br />

laboratorIum 23<br />

Neurowissenschaften<br />

W. Tecumseh Fitch, Ph.D.<br />

Tecumseh Fitch ist Evolutionsbiologe und Kognitions- und Neurowissenschaftler.<br />

Gemeinsam mit Marc Hauser (Harvard University) und Noam Chomsky (MIT)<br />

hat er eine vergleichende Perspektive auf die Evolution von Sprache maßgeblich<br />

mitbegründet.<br />

Er lehrt und forscht am Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien.<br />

Forschungsinteressen<br />

Evolution und neuronale Grundlagen der Wahrnehmung und Kommunikation<br />

Biolinguistik und Bioakustik<br />

Theoretische Biologie<br />

Auditive Darstellung von Daten<br />

Ästhetik<br />

Biomusikologie<br />

Prof. Dr. Stefan Koelsch<br />

Stefan Koelsch lehrt und forscht in der Musikpsychologie am Cluster of Excellence<br />

„Languages of Emotion“ und am Institut für Erziehungswissenschaft und Psychologie<br />

an der Freien Universität Berlin. Stefan Koelsch ist ausgebildeter Musiker.<br />

Forschungsinteressen<br />

Neurokognition und Musik<br />

Emotionen und Musik<br />

Neuronale Zusammenhänge in der Musikwahrnehmung und in der Musikausübung<br />

Musiktherapie<br />

Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Verarbeitung von Musik und Sprache<br />

Neuronale Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung, Aktion und Emotion<br />

Emotionale Persönlichkeit und „unaware mind“<br />

Klaus R. Scherer, Ph.D.<br />

Klaus Scherer studierte Ökonomie, Sozialwissenschaften und Psychologie.<br />

Er ist Professor am Institut für Psychologie an der Universität Genf und ist Vorsitzender<br />

der „Geneva Emotion Research Group“. Sein Lehr- und Forschungsgebiet<br />

erstreckt sich auf mehrere Bereiche der experimentellen und angewandten Psychologie,<br />

u.a. Emotion, Stress, Persönlichkeit, und Kommunikation. Im Mittelpunkt<br />

seiner Forschungsarbeiten stehen zum einen Untersuchungen über die kognitive<br />

Bewertung von emotionsauslösenden Ereignissen, zum anderen Studien zum Ausdruck<br />

von Emotionen in Gesicht und Stimme. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt<br />

betrifft die emotionale Wirkung der Musik. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten<br />

wurden in zahlreichen Monographien und Aufsätzen in internationalen Zeitschriften<br />

veröffentlicht.<br />

Forschungsinteressen<br />

Emotionsforschung (Component Process Model of Emotion - CPM)<br />

Emotionen und Sprache<br />

Emotionale Wirkung von Musik<br />

Dr. Katie Overy<br />

Einer ihrer zentralen Forschungsschwerpunkte ist Musik und Dyslexie (Probleme<br />

mit dem Lesen und Verstehen von Wörtern oder Texten bei normalem Seh- und<br />

Hörvermögen der betroffenen Person). Sie war beteiligt am Aufbau des Institute<br />

for Music in Human and Social Development in Edinburgh.<br />

Katie Overy unterrichtet und forscht am Institut für Musik des Dep. School of Arts,<br />

Culture & Environment an der University of Edingburgh.<br />

Forschungsinteressen<br />

Kognitions- und Neurowissenschaft in der Musik<br />

Psychologie der Musik<br />

Musik in der Erziehung<br />

Musik und Dyslexie<br />

Mödlingerhütte | E. Kren


24 laboratorIum<br />

laboratorIum 25<br />

Philosophie, Kunsttheorie<br />

Prof. Peter Weibel<br />

Peter Weibel ist Künstler, Ausstellungskurator, Kunst- und Medientheoretiker. Sein<br />

Werk lässt sich mehrheitlich in Kategorien der Konzeptkunst, der Performance, des<br />

Experimentalfilms, der Videokunst, Computerkunst und allgemein der Medienkunst<br />

fassen.<br />

In seinen zahlreichen Vorträgen und Artikeln publiziert Weibel über zeitgenössische<br />

Kunst, Mediengeschichte, Medientheorie, Film, Videokunst und Philosophie. Als<br />

Theoretiker und Kurator setzt er sich für eine Kunst und eine Kunstgeschichtsschreibung<br />

ein, die Technikgeschichte und Wissenschaftsgeschichte berücksichtigt.<br />

1984 erhält er die Professur für visuelle Mediengestaltung (Vismed) an der Universität<br />

für Angewandte Kunst in Wien, die er bis heute innehat.<br />

Seit Januar 1999 ist er Vorstand des ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie<br />

Karlsruhe.<br />

Komplexitätsforschung<br />

Prof. Dr. Klaus Mainzer<br />

Klaus Mainzer ist ein deutscher Philosoph, Komplexitätsforscher und Wissenschaftstheoretiker.<br />

Seit 2008 hat er den neuen Lehrstuhl für Philosophie und<br />

Wissenschaftstheorie an der Technischen Universität München inne, weiters ist er<br />

Direktor der Carl von Linde-Akademie.<br />

Forschungsinteressen<br />

Mathematisierung und Computer Modelling<br />

Komplexe dynamische Systeme<br />

Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft<br />

Chaostheorie<br />

Künstliches Leben und künstliche Intelligenz<br />

Raum, Zeit und Materie<br />

Kosmologie und Evolution<br />

Multimedia Society<br />

Theoretische Physik<br />

Lisa Randall, Ph.D.<br />

Lisa Randall ist eine amerikanische Professorin für theoretische Physik an der Harvard<br />

Universität in Cambridge, Massachusetts. Sie gilt als eine führende theoretische<br />

Physikerin und Expertin für Teilchenphysik, Stringtheorie und Kosmologie. Sie gilt<br />

als eine der meistzitierten Hochenergiephysikerin der Welt. Eine ihrer bisher bedeutendsten<br />

Arbeiten ist das Randall-Sundrum-Modell, welches sie 1999 zusammen mit<br />

Raman Sundrum publizierte. Basierend auf ihrem Gedankengebäude erarbeitete<br />

sie ein Libretto für Hèctor Parras Oper Hypermusic Prologue, A Projective Opera<br />

In Seven Planes. Seit 2001 hat sie den Lehrstuhl für theoretische Physik an der<br />

Harvard University inne.<br />

Forschungsinteressen<br />

Weiterentwicklung der zwei konkurrierenden Modelle der Stringtheorie<br />

Zusammenführung von Relativität, Quantenmechanik, Gravitation und der erweiterten<br />

Stringtheorie<br />

Kunstwissenschaft, Kunsttheorie<br />

Prof. Dr. Raphael Rosenberg<br />

Studierte Kunstgeschichte, Geschichte, klassische Archäologie und Ägyptologie.<br />

Arbeit an der Universität Freiburg im Breisgau, am Collège de France in Paris,<br />

Universität Heidelberg und am Wissenschaftskolleg zu Berlin Seit September 2009<br />

Professur für mittlere und neuere Kunstgeschichte am Institut für Kunstgeschichte<br />

der Universität Wien.<br />

Forschungsinteressen<br />

Kunst der italienischen Renaissance<br />

Malerei, Graphik und Karikatur des 19. Jahrhunderts<br />

Abstrakte Kunst und ihre Voraussetzungen<br />

Architektur im Nationalsozialismus<br />

Geschichte der Kunstliteratur<br />

Geschichte und Psychophysiologie der Kunstrezeption


26 laboratorIum<br />

laboratorIum 27<br />

Typosophie, Semiotik<br />

Ecke Bonk<br />

Ecke Bonk beschäftigt sich mit Zeichensystemen als interdisziplinärem Ausdruck von<br />

Kunst, Naturwissenschaft, Typografie und Philosophie, um damit die Bedingungen<br />

und Zusammenhänge kultureller Leistungen zu reflektieren.<br />

Bonk studierte Wissenschaftsgeschichte und Philosophie, Malerei und Typographie.<br />

In zahlreichen Ausstellungen (darunter zwei documentas und Biennale Viennale)<br />

sowie Publikationen tritt er als Typograph, Künstler und Theoretiker hervor.<br />

1988 arbeitete er mit der NASA in Houston als Berater für Fragen der Beschriftung<br />

des Command Modules der Spaceshuttle-Mission.<br />

Architektur<br />

Wolf D. Prix<br />

Wolf D. Prix ist einer der weltweit führenden Architekten.<br />

Er gehört zu den Vertretern des Dekonstruktivismus. Zusammen mit Helmut Swiczinsky<br />

und Michael Holzer gründete er 1968 die Wiener Architektengruppe COOP<br />

HIMMELB(L)AU.<br />

Wolf Prix und COOP HIMMELB(L)AU sind weltweit tätig, zu ihren aktuelle Projekten<br />

gehören u.a. der Pavillon 21 (Mini Opera Space) in München, die europäische<br />

Zentralbank in Frankfurt, das Haus der Musik in Aalborg, Dänemark oder das Museum<br />

of contemporary art and planning exhibition in Shenzhen, China. Seit 2003<br />

ist er Vorstand am Institut für Architektur, Leiter des Studio Prix und Vizerektor der<br />

Universität für angewandte Kunst.<br />

Panorama am Grabnerstein


28 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 29<br />

Musikprogramm<br />

Texte von Magdalena Zorn<br />

Blick in die Voralpen<br />

28.7 Winterreise | Klangforum Wien. Emilio Pomárico. Daniel Kirch<br />

29.7 Weisslich 36, Kopfhörer | Installation<br />

29.7 Zipangu | Wroclawska Orkiestra Kameralna Leopoldinum. Ernst Kovacic<br />

29.7 Assonances | Robyn Schulkowsky. Ernst Kovacic<br />

30.7 Pulsare | MitarbeiterInnen Georg Fischer. Schlagquartett Köln.<br />

Robyn Schulkowsky. Björn Wilker. Adam Weisman. Martin Homann<br />

31.7 Performance Ernst Kovacic | Kovacic<br />

31.7 Madrigale | Neue Vocalsolisten Stuttgart<br />

01.8 Von Sternen, Nebeln und Galaxien … | Schlagquartett Köln. Robyn<br />

Schulkowsky. Björn Wilker. Adam Weisman<br />

02.8 Action Music | Marino Formenti<br />

02.8 Rothko Chapel | Arnold Schoenberg Chor. Erwin Ortner. Steven Dann.<br />

Martin Homann. Mathilde Hoursiangou<br />

02.8 Notturno | Marino Formenti<br />

03.8 Abrumado | Marino Formenti<br />

03.8 Lecture Concert | Peter Ablinger<br />

03.8 Solo pour trois | Uwe Dierksen. Ernesto Molinari. Marcus Weiss<br />

03.8 Abîme – Abgrund | ensemble recherche. Nicolas Hodges<br />

04.8 Schwarzer Peter / Klangpromenade | Uwe Dierksen. Donna Molinari.<br />

Ernesto Molinari. Marcus Weiss<br />

04.8 Canti Notturni | ensemble recherche. Nicolas Hodges<br />

04.8 Trilogy of the Americas (La Selva/Buildings/Wind) | Francisco Lopez<br />

05.8 Dal niente al dente | Ernesto Molinari<br />

06.8 Spuren | Kammerensemble Neue Musik Berlin. Beat Furrer<br />

06.8 Jam Session | Uwe Dierksen. Robyn Schulkowsky. Ernesto Molinari<br />

07.8 Clouds | Zebra Trio<br />

08.8 Finale Furioso | Uwe Dierksen. Dieter Flury. Ernesto Molinari.<br />

Robyn Schulkowsky


30 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 31<br />

Winterreise<br />

Hans Zender (*1936)<br />

Schuberts „Winterreise“. Eine komponierte Interpretation (1993)<br />

für Tenor und kleines Orchester<br />

Klangforum Wien<br />

Daniel Kirch, Tenor<br />

Emilio Pomárico, Leitung<br />

Vera Fischer, Flöten<br />

Doris Nicoletti, Flöten<br />

Markus Deuter, Oboe<br />

Martin Jelev, Oboe<br />

Olivier Vivarès, Klarinetten<br />

Horia Dumitrache Klarinetten, Saxophon<br />

Maria Gstättner, Fagott<br />

Alban Wesly, Fagott, Kontraforte<br />

Christoph Walder, Horn<br />

Anders Nyqvist, Trompete<br />

Andreas Eberle, Posaune<br />

Annette Bik, Violine<br />

Gunde Jäch-Micko, Violine<br />

Andrew Jezek, Viola<br />

Petra Ackermann, Viola<br />

Andreas Lindenbaum, Violoncello<br />

Michael Seifried, Kontrabass<br />

Christopher Brandt, Gitarre<br />

Virginie Tarrête, Harfe<br />

Krassimir Sterev, Akkordeon<br />

Lukas Schiske, Schlagwerk<br />

Berndt Thurner, Schlagwerk<br />

Làszlò Csabai, Schlagwerk<br />

Martin Homann, Schlagwerk<br />

Peter Böhm, Sounddesign<br />

Florian Bogner, Sounddesign<br />

28. Juli 2010, 20:30 Uhr<br />

Fabrikhalle Palfinger Systems, Weng<br />

Die neue Musik wandert in die Welt hinaus<br />

Sie war nicht mehr nur mit Abbrechen und Einreißen beschäftigt, sondern entdeckte<br />

das Moment des Brückenschlagenden wieder –, das war das Neue an der neuen<br />

Musik des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Nicht wenige aus dem ehemaligen<br />

Kreis der Serialisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg die komponierende Flucht<br />

nach vorne ergriffen hatten, lenkten den Blick seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />

wieder zunehmend zurück auf die musikgeschichtliche Vergangenheit<br />

und erkannten das kommunikative Potential, das in der abendländischen Musiktradition<br />

schlummerte. Komponisten dachten sich das Vergangene als zur Zukunft<br />

hin offen und wollten umgekehrt die neue Musik in Richtung Tradition transparent<br />

machen. Die von den unterschiedlichsten ästhetischen Prämissen ausgehenden,<br />

komponierten Re-Visionen brachten Erinnerungen, – unvollkommene Schönheiten<br />

ans Tageslicht.<br />

Auch der deutsche Komponist und Dirigent Hans Zender (*1936) erkannte das<br />

utopische Potential der musikalischen Vergangenheit und wollte es zumindest<br />

mit einem Teil seines Œuvres freilegen. Neben genuin experimentellen Stücken<br />

schrieb er solche, in denen die abendländische Musikgeschichte komponierend<br />

reflektiert wird. Vom mikrotonal eingefärbten Dialog mit Haydn für zwei Klaviere und<br />

drei Orchestergruppen (1982) über Hölderlin lesen I (1979) – Zenders Beitrag zur<br />

Beethoven-Rezeption – bis hin zu seinen Instrumentierungen von Claude Debussys<br />

Klavier-Préludes legte er ein „Stilglissando“ auf der Klaviatur der Musikgeschichte<br />

vor, das auch Schuberts Spätwerk streift. Zenders „komponierte Interpretation“ von<br />

Franz Schuberts Winterreise fußt auf seinem theoretischen Konzept der „lecture“.<br />

Diese „individuell interpretierende Lesart“ Zenders von Schuberts Liederzyklus (zwischen<br />

Februar und Oktober 1827 nach Gedichten von Wilhelm Müller entstanden),<br />

führte 1993 zur Komposition Schuberts „Winterreise“.<br />

Es handelt sich weder um eine Instrumentierung der 24 Original-Lieder, noch um<br />

eine Bearbeitung für Tenor und kleines Orchester, sondern um eine Re-Konstruktion<br />

verschiedenster Vergangenheits- und Zukunftsperspektiven einer Musik, die bis<br />

heute nichts an Aktualität eingebüßt hat. Die romantischen Klangchiffren erleben<br />

durch „Dehnung bzw. Raffung des Tempos, Transposition in andere Tonarten,<br />

Herausarbeiten charakteristischer farblicher Nuancen“ vielfältige Permutationen.<br />

Und Zenders „lecture“ springt innerhalb des Textes, wiederholt Zeilen mehrfach,<br />

unterbricht die Kontinuität und verwandelt den Klavierklang in einen vielfarbigen<br />

des Orchesters. An wenigen Stellen erklingt sogar frei Hinzuerfundenes in Form


32 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 33<br />

von Vorspielen, Nachspielen und Zwischenspielen. Zenders Bearbeitungsprozess<br />

wurde durchaus von einem hermeneutischen Erkenntnisinteresse geleitet, das<br />

beständig zwischen Schuberts „écriture“ und seiner „lecture“ oszilliert.<br />

Schuberts Klangsymbolik, die gefrorenen Tränen (Nr.3) und fallenden Blätter<br />

(Nr.16) weisen selten über das subjektiv Erlebte hinaus, sind stets Symbol einer<br />

inneren Befindlichkeit. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh` ich wieder aus“ – mit<br />

einem Abschiedslied hebt das lyrische Ich der Winterreise an. Seine erschütternde<br />

Erkenntnis über das Fremdsein in der Welt wird in Gute Nacht (Nr.1) mit einem<br />

durchgehenden Achtelpuls unterlegt, der zu mechanisch ist, um das Wandern zu<br />

veranschaulichen. Er steht für den unaufhaltsamen Lauf der Zeit, für die Zeit des<br />

Schicksals. Der zum Emblem für Schuberts Spätwerk gewordene Wandersmann<br />

geht ins Unvermeidliche.<br />

Zender hat diese Kluft zwischen dem Subjekt und seinem Schicksal durch eine<br />

subtile Zeit- und Klangfarbengestaltung im Orchestervorspiel zur Nr.1 verdeutlicht.<br />

Die ins vielstimmige Pizzicato der Streicher verzerrten, fragmentierten Klagegesten<br />

Schubertscher Provenienz gleichen subjektiven Gebärden, die sich so lange gegen<br />

die Vereinnahmung durch das Schicksal sträuben, bis sie von einem Achtellauf der<br />

Bläser mitgerissen werden. Auch die Singstimme, die sich bei Zender grundsätzlich<br />

eng an das Original anlehnt, geht in der dritten Strophe ganz eigene Wege: Unterstützt<br />

vom brutalen metallischen Hämmern des Schlagwerks äußert das zynische<br />

Ich im elektronisch verstärkten Forte-Sprechgesang: „Die Liebe liebt das Wandern,<br />

von Einem zu dem Andern, Gott hat sie so gemacht.“<br />

Nicht nur Verläufe, „die dem Schubertschen Original überlegt werden“, so Zender,<br />

sondern auch Überblendungen charakterisieren das Eröffnungslied „Gute Nacht“ in<br />

Zenders Winterreise Re-Konstruktion: Die „Archaik von Akkordeon und Gitarre, die<br />

biedermeierliche Salonkultur des Streichquartetts, die extrovertierte Dramatik des<br />

spätromantischen Sinfonik, die brutale Zeichenhaftigkeit moderner Klangformen“<br />

stehen für die verschiedenen musikhistorischen und -ästhetischen Perspektiven,<br />

die Schuberts Musik zulässt und in Zenders Interpretation übereinandergeschichtet<br />

erscheinen. Sie werden gemäß dem Topos der „gegenstrebigen Fügung“, der auf den<br />

Grund von Zenders Materialverständnis führt, dialektisch aufeinander bezogen.<br />

Während die Gleichzeitigkeit der verschiedenen stilistischen Ebenen und Klangschichten<br />

zu einer dissoziativen Zeitwahrnehmung führt, folgt Zenders zyklische<br />

Gesamtdarstellung einer klar vorgezeichneten Entwicklungslogik, in der das lyrische<br />

Ich seiner Auflösung immer näher kommt. Diesen fortwährenden Auflösungsprozess<br />

hat Zender veranschaulicht, indem der Bezug zur Musikgeschichte von Lied zu<br />

Lied geschwächt wird, „die heile Welt der Tradition verschwindet immer mehr in<br />

eine nicht rückholbare Ferne“. So mündet Schuberts schwebende Metrik in Zenders<br />

Nr. 23 (Die Nebensonnen) in einen Zustand der Haltlosigkeit aufgrund dreier<br />

miteinander konkurrierender Tempi und das modulationslose Leiern der letzten Nr.<br />

24 (Der Leiermann) bei Zender in einen bestürzenden Zwölftoncluster.<br />

Dass alle formalen Kunstgriffe auch eine poetisch-symbolische Seite haben, zeigt<br />

der Umstand, dass die Musiker von Zenders Winterreise selbst „auf Wanderschaft<br />

geschickt“ werden, „die Klänge ‚reisen’ durch den Raum, ja sogar bis ins Außerhalb<br />

des Raumes.“ Die Gänge der Musiker im Raum sind dramaturgisch durchdacht: Vor<br />

Beginn der Aufführung befindet sich nur ein Teil der Interpreten auf dem Podium,<br />

während ein anderer Teil erst im Verlauf des Vorspiels an in der Partitur festgelegten<br />

Stellen einzieht. Am Ende sollen die Bläser (mit Ausnahme der Posaune) den<br />

Raum wieder verlassen, sodass ihre letzten Töne von außen in den Konzertsaal<br />

hereindringen. Diese auskomponierten Ein- und Auszüge der Musiker und deren<br />

temporäre Dislozierung in zwei von der Bühne unterschiedlich weit entfernten<br />

Orchestern durchbrechen die „ästhetische Routine“. Diese Musiker, von außen<br />

kommend und wieder nach draußen ziehend, tragen nicht nur das Schicksal des<br />

lyrischen Ichs, sondern auch die neue Musik in die Welt hinaus.<br />

Besonders möchten wir uns bei der Firma Palfinger Systems und bei Gaulhofer<br />

Fenster und Türen GmbH & Co Kg bedanken, die dieses Konzert ermöglicht<br />

haben.


34 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 35<br />

Hans Zender<br />

Schuberts „Winterreise“<br />

Text von Wilhelm Müller<br />

Gute Nacht<br />

Fremd bin ich eingezogen,<br />

Fremd zieh‘ ich wieder aus.<br />

Der Mai war mir gewogen<br />

Mit manchem Blumenstrauß.<br />

Das Mädchen sprach von Liebe,<br />

Die Mutter gar von Eh‘, -<br />

Nun ist die Welt so trübe,<br />

Der Weg gehüllt in Schnee.<br />

Ich kann zu meiner Reisen<br />

Nicht wählen mit der Zeit,<br />

Muss selbst den Weg mir weisen<br />

In dieser Dunkelheit.<br />

Es zieht ein Mondenschatten<br />

Als mein Gefährte mit,<br />

Und auf den weißen Matten<br />

Such‘ ich des Wildes Tritt.<br />

Was soll ich länger weilen,<br />

Dass man mich trieb hinaus?<br />

Lass irre Hunde heulen<br />

Vor ihres Herren Haus;<br />

Die Liebe liebt das Wandern -<br />

Gott hat sie so gemacht -<br />

Von einem zu dem andern.<br />

Fein Liebchen, gute Nacht!<br />

Will dich im Traum nicht stören,<br />

Wär schad‘ um deine Ruh‘.<br />

Sollst meinen Tritt nicht hören -<br />

Sacht, sacht die Türe zu !<br />

Schreib im Vorübergehen<br />

Ans Tor dir: Gute Nacht,<br />

Damit du mögest sehen,<br />

An dich hab‘ ich gedacht.<br />

Die Wetterfahne<br />

Der Wind spielt mit der Wetterfahne<br />

Auf meines schönen Liebchens Haus.<br />

Da dacht‘ ich schon in meinem Wahne,<br />

Sie pfiff den armen Flüchtling aus.<br />

Er hätt‘ es eher bemerken sollen,<br />

Des Hauses aufgestecktes Schild,<br />

So hätt‘ er nimmer suchen wollen<br />

Im Haus ein treues Frauenbild.<br />

Der Wind spielt drinnen mit den Herzen<br />

Wie auf dem Dach, nur nicht so laut.<br />

Was fragen sie nach meinen Schmerzen?<br />

Ihr Kind ist eine reiche Braut.<br />

Gefror‘ne Tränen<br />

Gefrorne Tropfen fallen<br />

Von meinen Wangen ab:<br />

Ob es mir denn entgangen,<br />

Dass ich geweinet hab‘ ?<br />

Ei Tränen, meine Tränen,<br />

Und seid ihr gar so lau,<br />

Dass ihr erstarrt zu Eise<br />

Wie kühler Morgentau ?<br />

Und dringt doch aus der Quelle<br />

Der Brust so glühend heiß,<br />

Als wolltet ihr zerschmelzen<br />

Des ganzen Winters Eis !<br />

Erstarrung<br />

Ich such‘ im Schnee vergebens<br />

Nach ihrer Tritte Spur,<br />

Wo sie an meinem Arme<br />

Durchstrich die grüne Flur.<br />

Ich will den Boden küssen,<br />

Durchdringen Eis und Schnee<br />

Mit meinen heißen Tränen,<br />

Bis ich die Erde seh‘.<br />

Wo find‘ ich eine Blüte,<br />

Wo find‘ ich grünes Gras ?<br />

Die Blumen sind erstorben,<br />

Der Rasen sieht so blass.<br />

Soll denn kein Angedenken<br />

Ich nehmen mit von hier?<br />

Wenn meine Schmerzen schweigen,<br />

Wer sagt mir dann von ihr?<br />

Mein Herz ist wie erstorben,<br />

Kalt starrt ihr Bild darin;<br />

Schmilzt je das Herz mir wieder,<br />

Fließt auch ihr Bild dahin!<br />

Der Lindenbaum<br />

Am Brunnen vor dem Tore<br />

Da steht ein Lindenbaum;<br />

Ich träumt‘ in seinem Schatten<br />

So manchen süßen Traum.<br />

Ich schnitt in seine Rinde<br />

So manches liebe Wort;<br />

Es zog in Freud‘ und Leide<br />

Zu ihm mich immer fort.<br />

Ich musst‘ auch heute wandern<br />

Vorbei in tiefer Nacht,<br />

Da hab‘ ich noch im Dunkeln<br />

Die Augen zugemacht.<br />

Und seine Zweige rauschten,<br />

Als riefen sie mir zu:<br />

Komm her zu mir, Geselle,<br />

Hier find‘st du deine Ruh‘!<br />

Die kalten Winde bliesen<br />

Mir grad‘ ins Angesicht;<br />

Der Hut flog mir vom Kopfe,<br />

Ich wendete mich nicht.<br />

Nun bin ich manche Stunde<br />

Entfernt von jenem Ort,<br />

Und immer hör‘ ich‘s rauschen:<br />

Du fändest Ruhe dort!<br />

Wasserflut<br />

Manche Trän‘ aus meinen Augen<br />

Ist gefallen in den Schnee;<br />

Seine kalten Flocken saugen<br />

Durstig ein das heiße Weh.<br />

Wenn die Gräser sprossen wollen<br />

Weht daher ein lauer Wind,<br />

Und das Eis zerspringt in Schollen<br />

Und der weiche Schnee zerrinnt.<br />

Schnee, du weißt von meinem Sehnen,<br />

Sag‘, wohin doch geht dein Lauf?<br />

Folge nach nur meinen Tränen,<br />

Nimmt dich bald das Bächlein auf.<br />

Wirst mit ihm die Stadt durchziehen,<br />

Muntre Straßen ein und aus;<br />

Fühlst du meine Tränen glühen,<br />

Da ist meiner Liebsten Haus.<br />

Auf dem Flusse<br />

Der du so lustig rauschtest,<br />

Du heller, wilder Fluss,<br />

Wie still bist du geworden,<br />

Gibst keinen Scheidegruß.<br />

Mit harter, starrer Rinde<br />

Hast du dich überdeckt,<br />

Liegst kalt und unbeweglich<br />

Im Sande ausgestreckt.<br />

In deine Decke grab‘ ich<br />

Mit einem spitzen Stein<br />

Den Namen meiner Liebsten<br />

Und Stund‘ und Tag hinein:<br />

Den Tag des ersten Grußes,<br />

Den Tag, an dem ich ging;<br />

Um Nam‘ und Zahlen windet<br />

Sich ein zerbroch‘ner Ring.<br />

Mein Herz, in diesem Bache<br />

Erkennst du nun dein Bild?<br />

Ob‘s unter seiner Rinde


36 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 37<br />

Wohl auch so reißend schwillt?<br />

Rückblick<br />

Es brennt mir unter beiden Sohlen,<br />

Tret‘ ich auch schon auf Eis und<br />

Schnee,<br />

Ich möcht‘ nicht wieder Atem holen,<br />

Bis ich nicht mehr die Türme seh‘.<br />

Hab‘ mich an jedem Stein gestoßen,<br />

So eilt‘ ich zu der Stadt hinaus;<br />

Die Krähen warfen Bäll‘ und Schloßen<br />

Auf meinen Hut von jedem Haus.<br />

Wie anders hast du mich empfangen,<br />

Du Stadt der Unbeständigkeit!<br />

An deinen blanken Fenstern sangen<br />

Die Lerch‘ und Nachtigall im Streit.<br />

Die runden Lindenbäume blühten,<br />

Die klaren Rinnen rauschten hell,<br />

Und ach, zwei Mädchenaugen glühten.<br />

-<br />

Da war‘s gescheh‘n um dich, Gesell!<br />

Kommt mir der Tag in die Gedanken,<br />

Möcht‘ ich noch einmal rückwärts<br />

seh‘n.<br />

Möcht‘ ich zurücke wieder wanken,<br />

Vor ihrem Hause stille steh‘n.<br />

Irrlicht<br />

In die tiefsten Felsengründe<br />

Lockte mich ein Irrlicht hin;<br />

Wie ich einen Ausgang finde,<br />

Liegt nicht schwer mir in dem Sinn.<br />

Bin gewohnt das Irregehen,<br />

‚s führt ja jeder Weg zum Ziel;<br />

Uns‘re Freuden, uns‘re Wehen,<br />

Alles eines Irrlichts Spiel!<br />

Durch des Bergstroms trockne Rinnen<br />

Wind‘ ich ruhig mich hinab,<br />

Jeder Strom wird‘s Meer gewinnen,<br />

Jedes Leiden auch sein Grab.<br />

Rast<br />

Nun merk‘ ich erst wie müd‘ ich bin,<br />

Da ich zur Ruh‘ mich lege;<br />

Das Wandern hielt mich munter hin<br />

Auf unwirtbarem Wege.<br />

Die Füße frugen nicht nach Rast,<br />

Es war zu kalt zum Stehen;<br />

Der Rücken fühlte keine Last,<br />

Der Sturm half fort mich wehen.<br />

In eines Köhlers engem Haus<br />

Hab‘ Obdach ich gefunden.<br />

Doch meine Glieder ruh‘n nicht aus:<br />

So brennen ihre Wunden.<br />

Auch du, mein Herz, in Kampf und<br />

Sturm<br />

So wild und so verwegen,<br />

Fühlst in der Still‘ erst deinen Wurm<br />

Mit heißem Stich sich regen!<br />

Frühlingstraum<br />

Ich träumte von bunten Blumen,<br />

So wie sie wohl blühen im Mai;<br />

Ich träumte von grünen Wiesen,<br />

Von lustigem Vogelgeschrei.<br />

Und als die Hähne krähten,<br />

Da ward mein Auge wach;<br />

Da war es kalt und finster,<br />

Es schrien die Raben vom Dach.<br />

Doch an den Fensterscheiben,<br />

Wer malte die Blätter da?<br />

Ihr lacht wohl über den Träumer,<br />

Der Blumen im Winter sah?<br />

Ich träumte von Lieb um Liebe,<br />

Von einer schönen Maid,<br />

Von Herzen und von Küssen,<br />

Von Wonne und Seligkeit.<br />

Und als die Hähne krähten,<br />

Da ward mein Herze wach;<br />

Nun sitz‘ ich hier alleine<br />

Und denke dem Traume nach.<br />

Die Augen schließ‘ ich wieder,<br />

Noch schlägt das herz so warm.<br />

Wann grünt ihr Blätter am Fenster?<br />

Wann halt‘ ich mein Liebchen im<br />

Arm?<br />

Einsamkeit<br />

Wie eine trübe Wolke<br />

Durch heit‘re Lüfte geht,<br />

Wenn in der Tanne Wipfel<br />

Ein mattes Lüftchen weht:<br />

So zieh ich meine Straße<br />

Dahin mit trägem Fuß,<br />

Durch helles, frohes Leben<br />

Einsam und ohne Gruß.<br />

Ach, dass die Luft so ruhig!<br />

Ach, dass die Welt so licht!<br />

Als noch die Stürme tobten,<br />

War ich so elend nicht.<br />

Die Post<br />

Von der Straße her ein Posthorn<br />

klingt.<br />

Was hat es, dass es so hoch aufspringt,<br />

Mein Herz?<br />

Die Post bringt keinen Brief für dich.<br />

Was drängst du denn so wunderlich,<br />

Mein Herz?<br />

Nun ja, die Post kommt aus der<br />

Stadt,<br />

Wo ich ein liebes Liebchen hat,<br />

Mein Herz!<br />

Willst wohl einmal hinüberseh‘n<br />

Und fragen, wie es dort mag geh‘n,<br />

Mein Herz?<br />

Der greise Kopf<br />

Der Reif hatt‘ einen weißen Schein<br />

Mir übers Haar gestreuet;<br />

Da glaubt‘ ich schon ein Greis zu sein<br />

Und hab‘ mich sehr gefreuet.<br />

Doch bald ist er hinweggetaut,<br />

Hab‘ wieder schwarze Haare,<br />

Daß mir‘s vor meiner Jugend graut -<br />

Wie weit noch bis zur Bahre!<br />

Vom Abendrot zum Morgenlicht<br />

Ward mancher Kopf zum Greise.<br />

Wer glaubt‘s? und meiner ward es<br />

nicht<br />

Auf dieser ganzen Reise!<br />

Die Krähe<br />

Eine Krähe war mit mir<br />

Aus der Stadt gezogen,<br />

Ist bis heute für und für<br />

Um mein Haupt geflogen.<br />

Krähe, wunderliches Tier,<br />

Willst mich nicht verlassen?<br />

Meinst wohl, bald als Beute hier<br />

Meinen Leib zu fassen?<br />

Nun, es wird nicht weit mehr geh‘n<br />

An dem Wanderstabe.<br />

Krähe, laß mich endlich seh‘n<br />

Treue bis zum Grabe!<br />

Letzte Hoffnung<br />

Hie und da ist an den Bäumen<br />

Manches bunte Blatt zu seh‘n,<br />

Und ich bleibe vor den Bäumen<br />

Oftmals in Gedanken steh‘n.<br />

Schaue nach dem einen Blatte,<br />

Hänge meine Hoffnung dran;


38 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 39<br />

Spielt der Wind mit meinem Blatte,<br />

Zittr‘ ich, was ich zittern kann.<br />

Ach, und fällt das Blatt zu Boden,<br />

Fällt mit ihm die Hoffnung ab;<br />

Fall‘ ich selber mit zu Boden,<br />

Wein‘ auf meiner Hoffnung Grab.<br />

Im Dorfe<br />

Es bellen die Hunde, es rasseln die<br />

Ketten;<br />

Es schlafen die Menschen in ihren<br />

Betten,<br />

Träumen sich manches, was sie nicht<br />

haben,<br />

Tun sich im Guten und Argen erlaben;<br />

Und morgen früh ist alles zerflossen.<br />

Je nun, sie haben ihr Teil genossen<br />

Und hoffen, was sie noch übrig ließen,<br />

Doch wieder zu finden auf ihren Kissen.<br />

Bellt mich nur fort, ihr wachen Hunde,<br />

Lasst mich nicht ruh‘n in der Schlummerstunde!<br />

Ich bin zu Ende mit allen Träumen.<br />

Was will ich unter den Schläfern säumen?<br />

Der stürmische Morgen<br />

Wie hat der Sturm zerrissen<br />

Des Himmels graues Kleid !<br />

Die Wolkenfetzen flattern<br />

Umher im matten Streit.<br />

Und rote Feuerflammen<br />

Zieh‘n zwischen ihnen hin;<br />

Das nenn‘ ich einen Morgen<br />

So recht nach meinem Sinn!<br />

Mein Herz sieht an dem Himmel<br />

Gemalt sein eig‘nes Bild -<br />

Es ist nichts als der Winter,<br />

Der Winter kalt und wild !<br />

Täuschung<br />

Ein Licht tanzt freundlich vor mir her,<br />

Ich folg‘ ihm nach die Kreuz und<br />

Quer;<br />

Ich folg‘ ihm gern und seh‘s ihm an,<br />

Daß es verlockt den Wandersmann.<br />

Ach ! wer wie ich so elend ist,<br />

Gibt gern sich hin der bunten List,<br />

Die hinter Eis und Nacht und Graus,<br />

Ihm weist ein helles, warmes Haus.<br />

Und eine liebe Seele drin. -<br />

Nur Täuschung ist für mich Gewinn!<br />

Der Wegweiser<br />

Was vermeid‘ ich denn die Wege,<br />

Wo die ander‘n Wand‘rer geh‘n,<br />

Suche mir versteckte Stege,<br />

Durch verschneite Felsenhöh‘n ?<br />

Habe ja doch nichts begangen,<br />

Daß ich Menschen sollte scheu‘n, -<br />

Welch ein törichtes Verlangen<br />

Treibt mich in die Wüstenei‘n?<br />

Weiser stehen auf den Straßen,<br />

Weisen auf die Städte zu.<br />

Und ich wandre sonder Maßen<br />

Ohne Ruh‘ und suche Ruh‘.<br />

Einen Weiser seh‘ ich stehen<br />

Unverrückt vor meinem Blick;<br />

Eine Straße muß ich gehen,<br />

Die noch keiner ging zurück.<br />

Das Wirtshaus<br />

Auf einen Totenacker<br />

Hat mich mein Weg gebracht;<br />

Allhier will ich einkehren,<br />

Hab ich bei mir gedacht.<br />

Ihr grünen Totenkränze<br />

Könnt wohl die Zeichen sein,<br />

Die müde Wand‘rer laden<br />

Ins kühle Wirtshaus ein.<br />

Sind denn in diesem Hause<br />

Die Kammern all‘ besetzt?<br />

Bin matt zum Niedersinken,<br />

Bin tödlich schwer verletzt.<br />

O unbarmherz‘ge Schenke,<br />

Doch weisest du mich ab?<br />

Nun weiter denn, nur weiter,<br />

Mein treuer Wanderstab!<br />

Mut<br />

Fliegt der Schnee mir ins Gesicht,<br />

Schüttl‘ ich ihn herunter.<br />

Wenn mein Herz im Busen spricht,<br />

Sing‘ ich hell und munter.<br />

Höre nicht, was es mir sagt,<br />

Habe keine Ohren;<br />

Fühle nicht, was es mir klagt,<br />

Klagen ist für Toren.<br />

Lustig in die Welt hinein<br />

Gegen Wind und Wetter!<br />

Will kein Gott auf Erden sein,<br />

Sind wir selber Götter!<br />

Die Nebensonnen<br />

Drei Sonnen sah ich am Himmel<br />

steh‘n,<br />

Hab‘ lang und fest sie angeseh‘n;<br />

Und sie auch standen da so stier,<br />

Als wollten sie nicht weg von mir.<br />

Ach, meine Sonnen seid ihr nicht!<br />

Schaut ander‘n doch ins Angesicht!<br />

Ja, neulich hatt‘ ich auch wohl drei;<br />

Nun sind hinab die besten zwei.<br />

Ging nur die dritt‘ erst hinterdrein!<br />

Im Dunkel wird mir wohler sein.<br />

Der Leiermann<br />

Drüben hinterm Dorfe<br />

Steht ein Leiermann<br />

Und mit starren Fingern<br />

Dreht er was er kann.<br />

Barfuß auf dem Eise<br />

Wankt er hin und her<br />

Und sein kleiner Teller<br />

Bleibt ihm immer leer.<br />

Keiner mag ihn hören,<br />

Keiner sieht ihn an,<br />

Und die Hunde knurren<br />

Um den alten Mann.<br />

Und er lässt es gehen,<br />

Alles wie es will,<br />

Dreht, und seine Leier<br />

Steht ihm nimmer still.<br />

Wunderlicher Alter!<br />

Soll ich mit dir geh‘n?<br />

Willst zu meinen Liedern<br />

Deine Leier dreh‘n?


40 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 41<br />

Kopfhörer<br />

Peter Ablinger (*1959)<br />

Weiss/Weisslich 36, Kopfhörer (seit 1999)<br />

Installation für geschlossene Kopfhörer, aufmontierte Mikrofone<br />

29. Juli 2010, 11:00 bis 20:00 Uhr<br />

Naturparkzentrum St.Gallen<br />

Skizze zur 1. Version von Weiss/<br />

Weisslich 36, Walkman Diözesanmuseum<br />

Köln 1999<br />

Kopfhörer (geschlossen)<br />

aufmontierte Mikrofone<br />

Das Stück besteht daraus sich den präparierten Kopfhörer aufsetzen, damit drinnen<br />

oder draußen herumzulaufen, in die Klänge zu hören, die gerade jetzt sich<br />

erreignen.<br />

Peter Ablinger<br />

Walkman-Kassettengerät mit Aufnahmefunktion<br />

Der Walkman nimmt gleichzeitig auf und gibt wieder: Wenn man die Kopfhörer aufsetzt,<br />

hört man genau das Gleiche, wie ohne: man hört das, was jetzt gerade ist.<br />

Die Differenz der Wirklichkeiten<br />

Bei der mobilen Kopfhörerinstallation Weiss/Weisslich 36 – sie ist Teil der übergeordneten<br />

Installations- bzw. Werkreihe Weiss/Weisslich – nimmt der Hörende<br />

sein unmittelbares akustisches Umfeld über Kopfhörer wahr. Entgegen seiner<br />

anfänglichen Vermutung, die vom Aufnahmegerät in den Kopfhörer übertragenen<br />

Signale entsprächen exakt denjenigen aus seiner direkten Umgebung, scheint<br />

das über Kopfhörer vermittelte Hören die Realität vielmehr abzuwandeln. – Das<br />

„weiss-weissliche Spiel mit der Differenz der Wirklichkeiten“ (Christian Scheib)<br />

nimmt seinen Lauf.<br />

Die eigenen Schritte, der Wind in den Blättern, all die anonymen Geräusche und<br />

Klänge ringsum erhielten ein Gesicht, das man „lesen“ konnte. Der ferne Straßenlärm<br />

rückte näher und verlor seine Hässlichkeit. Er wurde ein strukturiertes Geräusch in<br />

einem vielstimmigen Hörraum. Alles erschien wie immer und doch in ungeahnter<br />

Präsenz. Beinahe war die Welt wieder ein großes, romantisches Konzert.<br />

Der Besucher lachte womöglich über den kleinen Realitätsverlust; doch er wusste<br />

und sah, dass die Welt war, wie sie immer war. Er wurde zum Akteur, der das Werk<br />

vollendet…<br />

aus: Sebastian Kiefer, „Realitätsverlust unterm Kopfhörer“


42 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 43<br />

Zipangu<br />

Wolfgang Rihm (*1952)<br />

Nature Morte – Still Alive (1980) Skizze für dreizehn Streicher<br />

Wolfgang Rihm (*1952)<br />

Ländler (1979) Fassung für dreizehn Streicher<br />

Beat Furrer (*1954)<br />

antichesis (2006) für vierzehn Streicher<br />

Claude Vivier (1948-1983)<br />

Zipangu (1980) für dreizehn Streicher<br />

Giacinto Scelsi (1905-1988)<br />

Natura renovatur (1967) für elf Streichinstrumente<br />

Wroclawska Orkiestra Kameralna Leopoldinum<br />

(Kammerorchester Breslau)<br />

Ernst Kovacic, Leitung<br />

Agata Jelenska, ´ Violine I, Konzertmeisterin<br />

Anna Szuf lat,<br />

Violine I<br />

Jowita K lopocka,<br />

Violine I<br />

Karolina Krezelewska, ˛ Violine I<br />

Tymoteusz Rapak, Violine II<br />

Dorota Pindur, Violine II<br />

Arkadiusz Pawlus, Violine II<br />

Jacek Gren, Violine II<br />

Michal Micker, Viola<br />

Emilia Pawlenka, Viola<br />

Tomasz Pstrokonski-Nawratil, Viola<br />

Marcin Misiak, Violoncello<br />

Monika Lapka,<br />

Violoncello<br />

Jakub Kruk, Violoncello<br />

Miros law Ma ly,<br />

Kontrabass<br />

·<br />

´<br />

´<br />

´<br />

9. Juli 2010, 18:00 Uhr<br />

Turnhalle, St.Gallen<br />

Fühlbare Musik<br />

Die im Sterben begriffene Natur, der verschleppte Dreiertakt eines Ländlers,<br />

das Erzittern und Beben der Körper und die Umrisse einer Melodie –, all das<br />

wird fühlbar in den Stücken von Wolfgang Rihm, Beat Furrer, Claude Vivier und<br />

Giacinto Scelsi von den Konturen ihrer Klänge eingefangen. Derart körperliche<br />

Musik bedarf des sinnlichen Hörers, seiner haptischen Wahrnehmung und fühlenden<br />

Sensibilität. Im Gegenzug wird er entschädigt, da ihn die Musik von der<br />

Last des rein Geistigen befreit.<br />

Der Ländler des deutschen Komponisten Wolfgang Rihm (*1952) beginnt im Dreivierteltakt<br />

und im mäßig geschwindenTempo q = 60, entspricht also zunächst den<br />

Gepflogenheiten der Gattung. Doch die Melodie ist keineswegs heiter im Charakter<br />

und auch auf formaler Ebene scheint der Pseudo-Ländler seine Fassade zu entdecken.<br />

Dieses Stück, das Wolfgang Rihm im Jahr 1979 ursprünglich für Klavier<br />

verfasste, kreist von Anfang an ganz offensichtlich um die Utopie des Komponisten,<br />

„Leben dadurch zu erfahren, dass der Verlauf sich verliert, dass er woanders neu<br />

entsteht, dass er verdeckt wird von etwas anderem, das sich davorstellt, dass<br />

durch den Riss, den es annimmt, etwas ganz anderes sichtbar wird, dass man<br />

in dem Moment von dem, was gemeint ist, nicht absehen kann.“<br />

So prägen gedämpftes Moll, fahle Harmonien und die Kluft zwischen der tiefen<br />

Lage der Begleittöne und der hohen Melodielage dieses leise Stück. Rhythmus<br />

und Harmoniebewegung bringen die metrische Basis des Dreiertaktes immer<br />

wieder ins Wanken. Mehrmals kehrt das Thema des Anfangs wieder, mit immer<br />

wieder neuen Verwischungen der Tonart schwankt es zwischen Dur und Moll. Im<br />

Rahmen der rondoartigen Anlage lösen sich die Episoden ab. Von Zeit zu Zeit<br />

erscheinen tänzerische Einschübe, zunächst noch mit synkopisch verschleppten<br />

Basstönen, die sich dann allmählich in eine leise, ruhige Schreitbewegung fügen.<br />

Kurz vor Schluss des Stückes erklingt noch eine letzte Reminiszenz an das<br />

Tänzerische des Ländlers, der jedoch nur mehr die Illusion einer Vergangenheit<br />

herbeizitiert.<br />

Mit diesem Rekurs auf die musikalische Tradition, auf ihr Formen- und Materialreservoir,<br />

beabsichtigte Wolfgang Rihm schon seit Mitte der 1970er Jahre eine<br />

Entgrenzung dessen, was auf dem Grund des Bewusstseins schlummert. Was<br />

Rihm rückblickend über die Intention seines Orchesterstücks Sub-Kontur sagte,<br />

charakterisiert eine grundlegende Haltung des Komponisten: „Ich wollte wissen,


44 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 45<br />

was da aus Grenzen brechen kann, die ich vielleicht aus ästhetischer Freundlichkeit<br />

bisher stehen ließ. Entgrenzung also – ich selbst blieb nicht unverschont…“ In<br />

diesem Sinne müsste hinter dem Titel seiner 1980 fertig gestellten Skizze Nature<br />

Morte – Still Alive eigentlich ein Fragezeichen stehen, denn das Stück kreist um<br />

die existentielle Frage nach der Überlebensfähigkeit der Natur – in uns und um<br />

uns herum. Der selbstreferentielle Charakter von Nature Morte – Still Alive für<br />

Streichensemble zeigt sich im permanenten Kreisen um einen erstarrten Klang,<br />

der bis zum Zerreißen anschwillt, um dann wieder in sich zusammenzusinken,<br />

„als suchte der Klang mit aller Gewalt ins Freie, wohin er doch nicht gelangen<br />

kann“ (Peter Oswald). Und wir Hörenden befinden uns währenddessen in einem<br />

Zustand höchster Erregung. Die beklemmenden Atemzüge der Musik sind in<br />

uns, wir sind – um es mit Wolfgang Rihm zu sagen – währenddessen „der Klang<br />

fast selber“.<br />

Von dieser körperlichen Unmittelbarkeit erzählt auch die Musik des österreichischen<br />

Komponisten schweizerischer Abstammung Beat Furrer (*1954). „Im<br />

Nachvollziehen klanglicher Zusammenhänge empfinden wir körperlich.“ Dass in<br />

jeder musikalischen Geste „ein Rest von Körperlichkeit enthalten“ ist, zeigt sein<br />

Stück für Streicherensemble mit dem Titel antichesis. Entstanden anlässlich<br />

des 50jährigen Jubiläums der <strong>Festival</strong> Strings Lucerne und uraufgeführt im Jahr<br />

2006 im Rahmen des Lucerne-<strong>Festival</strong>s handelt Furrers antichesis analog seiner<br />

griechischen Bedeutung „Gegenklang“ von der Bewegung des Klangs im Raum,<br />

von verschiedenen Raumklangbewegungen also. Die in vier Gruppen unterteilten<br />

Streicher – die „Gruppen“ sind zwei Streichquartette, ein Trio, ein Duo und ein<br />

Solo-Kontrabass, dem eine klangliche und gestische Sonderrolle zukommt – sind<br />

im Raum verteilt und spielen sich gegenseitig Klanggebärden zu, deren Bandbreite<br />

von scharfen Pizzicato-Akzenten bis hin zu fast unhörbaren Tremoli reicht. Doch<br />

ob impulsiv oder zurückhaltend, antichesis stellt unter Beweis, dass sich Furrers<br />

Musik unentwegt an der Grenze zum Unhörbaren, Unerhörten befindet.<br />

„Viele Klänge, deren Innenleben Furrer auffächert, sind so leise, dass sie nur in<br />

einer Atmosphäre gespannter Ruhe wahrgenommen werden können. Ist diese<br />

Umgebung hergestellt, wirken sie mit der intensiven Sinnlichkeit jener Geräusche,<br />

die einen, obgleich harmlos, aus dem Halbschlaf aufschrecken lassen.“ Was hier<br />

in der Formulierung von Christian Scheib anklingt, trifft ebenso auf antichesis zu:<br />

Wer Furrers mikroskopische Klanglandschaften in seinem „Echo“-Stück mit der<br />

Lupe betrachtet, den wird die Eindringlichkeit dieser subtil geräuschhaften Musik<br />

„aus dem Halbschlaf aufschrecken lassen“.<br />

Ebenso körperlich, doch dabei lange nicht so dynamisch verhalten und gestisch<br />

zurückgenommen war die Musik des kanadischen Komponisten Claude Vivier<br />

(1948-1983). Wie sein Lehrer Karlheinz Stockhausen, erhielt auch er wichtige<br />

Anregungen für sein Musikverständnis von asiatischen Kulturen. Von seiner langen<br />

„Reise der Selbstentdeckung“, die Vivier 1977 nach Asien und in den Nahen<br />

Osten führte, kam er mit einer veränderten Musikauffassung zurück. Der Aufenthalt<br />

beeinflusste seine Schreibweise vor allem dahingehend, der Melodie mehr und<br />

mehr Bedeutung zu geben. Vivier hat sich auf seinen Reisen, um es mit Györgi<br />

Ligeti zu sagen, „für die Vorherrschaft der Stimme, einer Stimme, entschieden.“<br />

„Zipangu“ ist die auf die Zeit von Marco Polo zurückgehende alte Schreibweise<br />

des Mandarin-Wortes für Japan. In Anlehnung an die japanische (Musik)kultur<br />

legte Vivier mit Zipangu ein Stück über das Sich-Entwickeln einer quasi-folkloristischen<br />

Melodie vor: „In diesem Werk experimentiere ich mit verschiedenen<br />

Farbkombinationen um eine Melodie und versuche die harmonischen Strukturen<br />

durch verschiedenste Bogentechniken zu verschleiern: durch übertriebenen<br />

Bogendruck erzeugte Geräusche werden reinen Harmonien normaler Technik<br />

gegenübergestellt. Die Melodie wird so zur Farbe, nach und nach leichter, isoliert<br />

und ‚wie gereinigt’ herausgestellt.“ Diesem Gegensatz zwischen Körperlichkeit<br />

und erträumtem Folklorismus in den komplexen Obertonfolgen verdankt Zipangu<br />

seine Wirkung.<br />

Unmittelbar wirken, das sollte die Musik auch in den Augen des Italieners Giacinto<br />

Scelsi (1905-1980), dem Geheimnisvollen unter den Komponisten des 20.<br />

Jahrhunderts. Seit seinem Erweckungserlebnis zu Beginn der 1950er Jahren<br />

war die Musik für ihn in erster Linie eine sinnlich erfassbare Größe. Die Legende<br />

besagt, dass Scelsi eine persönliche Krise überwand, indem er die reinigende<br />

Kraft eines einzelnen Tones erfuhr. Angeregt durch die Beschäftigung mit fernöstlichem<br />

Gedankengut entwickelte er schließlich sein Selbstverständnis eines<br />

komponierenden Mediums, das im Prozess des Improvisierens das Innenleben<br />

der Klänge freilegt. Spätestens seit 1950 ließ Scelsi diese Improvisationen am<br />

Klavier auf Tonband aufzeichnen und von anderen Komponisten transkribieren.<br />

„Sie haben keine Vorstellung davon, was in einem einzigen Ton steckt! Es gibt<br />

sogar Kontrapunkte, wenn man so will, Verschiebungen verschiedener Klangfarben.<br />

Es gibt sogar Obertöne, die vollkommen verschiedene Effekte ergeben, im<br />

Inneren, und die nicht nur aus dem Ton heraustreten, sondern ins Zentrum des<br />

Tons eindringen. Es gibt nach innen und nach außen gerichtete Bewegungen in


46 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 47<br />

einem einzigen Ton. Wenn dieser Ton sehr groß geworden ist, wird er zu einem<br />

Teil des Kosmos. So winzig klein er auch erscheinen mag, es ist alles darin enthalten.“<br />

– Aus dieser Aussage geht nicht nur ein Hang zum Mystischen hervor, der<br />

Scelsis antirationalistische Musikauffassung entsprach, hervor, sondern auch sein<br />

Interesse für die unterschiedlichsten Facetten des Klangs. Mikrotonale Texturen<br />

prägen neben einer irisierenden Klangfarbenchromatik das lange Zeit relativ<br />

schwer zugänglich gebliebene Ensemblewerk Natura renovatur. Möglicherweise<br />

beantwortet Scelsis Werk für elf Streicher aus dem Jahr 1967 Wolfgang Rihms<br />

und unser aller Frage nach der Überlebensfähigkeit der Natur: „still alive“? – Sie<br />

ist wiederhergestellt, Natura renovatur.<br />

Wolfgang Rihm, Nature morte-Still alive | 1980 Universal Edition A.G., Wien


48 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 49<br />

Assonances<br />

Michael Jarrell (*1958)<br />

Assonance VII (1992)<br />

(revidiert 2002)<br />

für Schlagzeug<br />

Johannes Maria Staud (*1974)<br />

Portugal (2006)<br />

für Schlagzeug<br />

Iannis Xenakis (1922-2001)<br />

Psappha (1975)<br />

für Schlagzeug<br />

Michael Jarrell *1958<br />

prisme (2000)<br />

für Violine<br />

Ernst Kovacic, Violine<br />

Robyn Schulkowsky, Schlagzeug<br />

29. Juli 2010, 20:00 Uhr<br />

Kirche St.Gallen<br />

Anklänge an das Innere der Klänge<br />

Das Land im Westen der iberischen Halbinsel, die rhythmische Struktur der Gedichte<br />

Sapphos, eine prismatisch gebrochene Realität – das alles klingt in unterschiedlichen<br />

Kompositionen an. Weit davon entfernt, konkrete Anspielungen zu sein, siedeln<br />

sich die Werke von Michael Jarrell, Johannes Maria Staud und Iannis Xenakis im<br />

Graubereich zwischen dem Sag- und Unsagbaren an. Von entgegengesetzten<br />

Polen der Klangwelt kommend umspielen und verschleiern Schlagzeug und Violine<br />

die musikalischen und außermusikalischen Impulse der Musik.<br />

Mit Assonanzen, mit Anklängen im Unterschied zu Zusammenklängen beschäftigt<br />

sich der 1958 in Genf geborene, schweizerische Komponist Michael Jarrell in<br />

seinen Kompositionen bereits seit vielen Jahren. Assonance lautet nicht nur der<br />

Titel eines Klarinettenstücks, sondern auch eine ganze übergeordnete Werkreihe,<br />

mit der sich Jarrell seit 1983 dem Phänomen des Anklingens widmet, und zwar in<br />

zweifacher Hinsicht: Zum einen fußt die Struktur der einzelnen Werke aus dieser<br />

Reihe – das letzte entstand im Jahr 2009 und trägt den Titel Assonance IVb – auf<br />

Ähnlichkeitsbeziehungen. Darüber hinaus ergeben sich jedoch auch „zwischen“<br />

den einzelnen Stücken die vielfältigsten Assonanzen. Dieses Verfahren der kontinuierlichen<br />

Entfaltung einer kompositorischen Idee charakterisiert nicht nur das<br />

Programm der Werkreihe Assonance, es benennt auch ein „Grundprinzip des<br />

gesamten Komponierens Jarrells“ (Christoph Steiner).<br />

Exemplarisch für die Wandlungsfähigkeit seiner musikalischer Strukturen steht<br />

Jarrells rhizomatisch wucherndes, stetig im Umbau begriffenes Assonance VII B<br />

(Rhizomes), dessen Vorgänger Assonance VII für Schlagzeug aus dem Jahr 1991<br />

in einer revidierten Fassung (2002) im Konzert zu hören ist. Jarrell hat seine Vorliebe<br />

für das Schlagwerk von Aber der Wissende (1981) für Sopran und Marimba,<br />

über Assonance VIIb (1993), Assonance VIII (1999) und das Orchesterwerk …<br />

Un long fracas somtueux de rapide céleste…(2001) bis hin zu Incipit für sechs<br />

Schlagzeuger (2002) immer wieder kompositorisch verarbeitet. Auch in Assonance<br />

VII siedelt er das Schlagwerk (ohne Pauken) größtenteils im unteren dynamischen<br />

Bereich an, in dem die vielen leise Töne „suggerieren, statt zu behaupten“ (Pierre<br />

Michel). Es ist Musik, die eher Assoziationen freisetzt, als Richtungen vorzugeben,<br />

dies zeigt bereits die kurze, quasi improvisierende Passage des Vibraphons relativ<br />

am Anfang des Stückes. Doch auch ihr liegt bei aller Freiheit ein bestimmter<br />

„Rahmen“ zugrunde, der die rhythmischen, tonhöhenmäßigen und klangfarblichen<br />

Möglichkeiten des Abschnitts vordefiniert. Jarrells Rahmen geben die Bedingungen


50 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 51<br />

vor, innerhalb derer sich dann allerdings eine geradezu phantastische Klangfarbenmusik<br />

entfalten kann.<br />

Schüler von Michael Jarrell in Wien war der österreichische Komponist Johannes<br />

Maria Staud (*1974), der seine Kompositionsmethode selbst als „induktiv“ bezeichnet<br />

hat. Komponieren bedeutet für ihn nicht, eine im Vorhinein festgelegte Struktur<br />

mit Inhalt anzufüllen, sondern ausgehend von kleinen Bausteinen einen Prozess<br />

zuzulassen, der auf das ständig sich verändernde Klangmaterial reagiert. Auch<br />

während des Komponierens besteht für Staud die Möglichkeit, durch Modifikation<br />

der musikalischen Parameter in den musikalischen Verlauf einzugreifen: „Ich fange<br />

an und schaue dann, wie es weitergehen könnte.“ Neben diesem strukturierten<br />

Entwicklungspotential der Klänge ist auch die emotionale Kraft in Stauds Kompositionen<br />

häufig tonangebend.<br />

Viele seiner die Qualitäten der Klänge auslotenden Werke gehen auf Anregungen aus<br />

Literatur und Bildender Kunst zurück. Sein 2006 komponiertes Schlagzeugstück ist<br />

Anklang an Portugal und gleicht einer musikalischen Annäherung an die Hafenstadt<br />

Porto. Entstanden im Auftrag der von Rem Koolhaas erbauten Casa de música und<br />

uraufgeführt vom Widmungsträger der Partitur Mário Teixeira, stellt Portugal das<br />

Südländische jedoch nicht zur Schau. Im Gegenteil, die Farben der Komposition,<br />

erzeugt von Metall, - Becken- und Holzinstrumenten, sind eher transparent als prall.<br />

Die drei Gruppen gleichen verschiedenen Klangfarbenregistern, dementsprechend<br />

wurden sie auch in der Partitur auf drei verschiedenen Systemen notiert. Durch<br />

die unterschiedliche Kombination von Metall- Becken- und Holzklängen entstehen<br />

wechselnde Klangfarbenabfolgen, die zu flüchtig sind, um sie als Tonhöhenverläufe<br />

wahrzunehmen. Sie scheinen eher Anklang an das Schimmern und Glitzern auf<br />

der Meeresoberfläche zu sein.<br />

Johannes Maria Staud, Portugal | 2006 Universal Edition A.G., Wien<br />

Demgegenüber kommt hinter Iannis Xenakis` (1922-2001) Schlagzeugstück Psappha<br />

aus dem Jahr 1975 die griechische Dichterin Sappho zum Vorschein, auf die sich<br />

auch der archaisierende Titel des Stücks bezieht. Neben Persephassa für sechs<br />

Schlagzeuger (1969) und Pléïades (1978) handelt es sich bei Psappha um eines<br />

der bekanntesten Schlagzeugstücke des in Rumänien geborenen Komponisten<br />

griechischer Abstammung. Die sprachlose Protagonistin seines Stückes namens<br />

Sappho lebte zwischen 630 und 612 v. Chr. auf der kulturell bedeutenden Insel Lesbos<br />

und gilt heute als eine der wichtigsten Dichterinnen des klassischen Altertums.<br />

Weniger die Erotik aber, die aus ihren Gedichten spricht, als deren rhythmische<br />

Struktur dürfte Xenakis zur Komposition inspiriert haben. So wie der Sprachklang<br />

in Sapphos Lyrik gegenüber der Rhythmik in den Hintergrund rückt – jedenfalls<br />

Xenakis empfand dies so –, so dienen auch die Klangfarben in Psappha „einzig<br />

und allein der Verdeutlichung der rhythmischen Strukturen“ des Stückes.<br />

Noch einmal Jarrell: Aus dem Stück für Violine und Orchester …prismes/incidences…<br />

von 1998 herausgelöst, entspricht prisme (2001) dem isolierten Geigenpart des<br />

gleichlautenden Orchesterstücks. Das auf diese Weise entstandene Werk für<br />

Violine solo demonstriert, dass die Fragmentierung und Isolierung einzelner musikalischer<br />

Verläufe nicht zwangsläufig zur Unvollkommenheit der musikalischen<br />

Gestalt führen muss. Der aus dem Orchesterwerk übernommene Violinpart verhält<br />

sich so, wie es der Titel verspricht: Ein an Flagoletts reicher Obertongesang der<br />

Violine führt durch eine Landschaft ungleicher Klangfarben und unterschiedlicher<br />

Atmosphären. Dabei entwickelt das Geigenspiel sogar symbolistische Weiten,<br />

die sich durch semantische Vieldeutigkeit auszeichnen: „Durch ein Prisma sehen<br />

(oder hören) heißt: eine Realität erkennen, die hier durch ein subtiles Spiel mit<br />

den Bestandteilen des Tons verformt wurde“ (Pierre Michel). – Jarrells prisme ist<br />

Anklang an eine innermusikalische virtualité.<br />

Michael Jarrell, prisme | Henry Lemoine


52 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 53<br />

Pulsare<br />

Edgar Varèse (1883-1965)<br />

Ionisation (1931)<br />

für dreizehnköpfiges Schlagzeugensemble (gespielt von acht MusikerInnen)<br />

Gerard Grisey (1946-1998)<br />

Le noir de l`étoile (1990)<br />

für sechs im Raum verteilte SchlagzeugerInnen<br />

Schlagquartett Köln<br />

Thomas Meixner<br />

Boris Müller<br />

Dirk Rothbrust<br />

Achim Seyler<br />

GastmusikerInnen<br />

Martin Homann<br />

Robyn Schulkowsky<br />

Adam Weisman<br />

Björn Wilker<br />

30. Juli 2010, 19:30 Uhr<br />

Versandhalle Georg Fischer Automotive, Altenmarkt<br />

Auf der anderen Seite des Spiegels<br />

Er sei von keinem anderen Komponisten jemals so beeinflusst worden, wie von der<br />

Natur, so äußerte sich der in Paris geborene Komponist Edgar Varèse (1883-1965)<br />

rückblickend über die Einflüsse auf seine Musikauffassung. Varèse, der „verrückte<br />

Wissenschaftler“, wie ihn Frank Zappa nannte, entwickelte seine Klangvorstellungen<br />

größtenteils in Anlehnung an physikalische Phänomene und erschuf einen musikalischen<br />

Kosmos, der sich im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft<br />

ansiedelte. Wie für den Geräuschkomponisten Varèse, so führte die Frage nach<br />

der Sinnhaftigkeit der Kunst für viele seiner Kollegen und Nachfolger im 20. Jahrhunderts<br />

zurück zur Natur, in der Hoffnung, auf der anderen Seite des Spiegels<br />

vielleicht das bis dahin Unerhörte zu finden.<br />

Varèse, dessen Œuvre nur zwölf veröffentlichte Werke umfasst – sein umfangreiches<br />

Frühwerk gilt als verschollen –, löste sich schon früh von einem akademischen<br />

Musikverständnis und entwickelte ein besonderes Interesse für den Klang und<br />

seine physikalisch-akustischen Grundlagen. Sein experimenteller Zugang zum<br />

Komponieren äußerte sich in der Forderung nach Laboratorien für elektronische<br />

Klangerzeugung und führte gleichzeitig zu einer Spatialisierung der Musik, in der<br />

die „frei im Raum beweglichen Klänge als Schallplastiken pointiert“ (Peter Weibel)<br />

wurden. Varèse ging es in seinen Geräuschkompositionen nicht darum, „die<br />

große Musik der Vergangenheit herabzusetzen“, sondern um die Erweiterung des<br />

„musikalischen Alphabets“. Sein Wunsch nach einer „Befreiung der Musik von<br />

temperierten Systemen, von der Beschränkung der Musikinstrumente“ wurde durch<br />

die Schriften von Hermann von Helmholtz (Lehre von den Tonempfindungen) und<br />

Ferrucio Busoni (Entwurf einer Ästhetik der Tonkunst) maßgeblich angeregt. Von<br />

einer Emanzipation des Schalls zeugte bereits das erste Orchesterwerk, das er<br />

nach seiner Übersiedlung nach New York im Dezember 1915 komponierte. 1921<br />

fertiggestellt, offenbart Amériques schon jene Kompromisslosigkeit, die Varèse<br />

später auszeichnen sollte, jene musikästhetische Stringenz, die in Ionisation seinen<br />

vorläufigen Höhepunkt erreichte.<br />

Ionisation für 41 Schlaginstrumente und zwei Sirenen – Varèse konzipierte das Werk<br />

für nicht weniger als dreizehn Spieler – war das erste Konzertstück überhaupt, das<br />

ausschließlich für Schlagzeugensemble bestimmt war und nimmt infolgedessen<br />

eine wegweisende Stellung in der Schlagzeugliteratur des 20. Jahrhunderts ein. Die<br />

im Pianissimo beginnende und verklingende Komposition hat einen physikalischen<br />

Prozess zum Vorbild: Der Terminus „Ionisation“ umschreibt jenen Vorgang, bei


54 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 55<br />

dem Elektronen aus ihrer atomaren oder molekularen Bindung herausgeschlagen<br />

werden. Dabei kommt es zur Freisetzung von Energie und dementsprechend hoch<br />

ist auch die Intensität der Geräuschverläufe im Schlagzeugwerk. Die Partitur ist in<br />

mehrere Klangschichten unterteilt, wobei die zwei Sirenen mit ihren kontinuierlichen<br />

Tonhöhenverläufen zwischen einer reinen Geräuscheschicht und einem Instrumentarium<br />

mit definierten Tonhöhen vermitteln. Doch diese Tonhöhen-Instrumente,<br />

Glocken, Glockenspiel und Klavier, treten erst gegen Ende der Komposition in<br />

den Vordergrund des Klanggeschehens. Und selbst ganz zum Schluss bleibt dem<br />

Geräusch in den clusterartigen Akkorden des Klaviers seine handlungstragende<br />

Funktion noch erhalten.<br />

Im Gegensatz zu Varèses auskomponierter Geräuschwerdung kommuniziert das<br />

über fünfzig Jahre später entstandene Schlagzeugstück des französischen Spektralisten<br />

Gérard Grisey (1946-1998) mit dem Weltall. Es inkorporiert die Signale<br />

eines anderen Sterns und steht somit exemplarisch für Griseys Musikverständnis<br />

an der Schwelle zwischen Mensch und Natur. Le noir de l`étoile, von Grisey im<br />

Jahr 1990 fertiggestellt, war ursprünglich nicht nur für sechs im Raum verteilte<br />

Schlagzeuger komponiert, sondern auch für Zuspielband und live übertragene<br />

astronomische Signale. Bei der Uraufführung in Brüssel im Jahr 1991 waren über<br />

Tonband eingespielte Klänge des Pulsars Vela hörbar und die Signale, welche der<br />

Pulsar 0329-54 aussendete, wurden in Echtzeit (am 13. März 1991 um 17:00 Uhr)<br />

in den Konzertsaal übertragen.<br />

Bei diesen Pulsaren handelte es sich um die Überreste aus der Explosion einer<br />

Supernova vor 12.000 Jahren. Ein junger Wissenschaftler machte im Jahr 1967<br />

die Entdeckung, dass sie mehrmals pro Sekunde um die eigene Achse rotieren<br />

und dabei periodische Frequenzen aussenden. Gérard Grisey, der damals Dozent<br />

für Musiktheorie und Komposition an der University of California war, erfuhr von<br />

diesem Phänomen und beschloss, diese Frequenzen kompositorisch zu nutzen.<br />

Er wählte mit Hilfe des Astronomen Jean-Pierre Luminet einige dieser Signale, die<br />

aus einer längst vergangenen Zeit stammten, aber wie durch ein Wunder noch<br />

erreichbar waren, für eine musikalische Bearbeitung aus.<br />

Vollständig eingegangen in das Werk ist ein früheres Schlagzeugstück Griseys<br />

mit dem Titel Tempus ex machina, das sich vor allem durch die parametrische<br />

Gegenüberstellung zweier Klangobjekte auszeichnet. Die tiefen, leisen Klänge<br />

der Fellinstrumente stehen den hohen, lauten der Holzinstrumente gegenüber und<br />

werden in einen Prozess der kontinuierlichen Vermittlung verwickelt. Von diesem<br />

Kontrast und der Erfahrung von Diskontinuität ausgehend, ergibt sich ein „schwe-<br />

bender Prozess zwischen Verdichtung und Losigkeit“ (Gérard Grisey). Dabei kreist<br />

Le noir de l`étoile permanent um die Darstellung des Nicht-Darstellbaren, Grisey war<br />

sich dessen bewusst: „Ein langsamer Übergang von der Makro- zur Mikrophonie<br />

bestimmt die Form von Tempus ex machina. […] Die letzten wahrgenommenen<br />

Klänge sind nichts anderes als Schläge der großen Trommel und der Holztrommel<br />

vom Beginn der Partitur, die jedoch bis zum Äußersten gedehnt wurden; sie ermöglichen<br />

uns, das Unhörbare zu erfassen. Durchgangstöne, Teiltöne, Schwebungen<br />

… den eigentlichen Körper des Klanges. Nach zahllosen Mäandern sind wir am<br />

Ende der Reise angelangt: auf der anderen Seite des Spiegels.“<br />

Edgar Varèse, Ionisation | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH<br />

Besonders möchten wir uns bei Georg Fischer Automotive, Altenmarkt und deren<br />

MitarbeiterInnen bedanken, die mit ihrer Unterstützung und in hervorragender<br />

Zusammenarbeit dieses Konzert ermöglicht haben.


56 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 57<br />

Performance Ernst Kovacic<br />

Ernst Kovacic, Violine<br />

31. Juli 2010, 18:00 Uhr<br />

Stiftsbibliothek Admont<br />

Auf der Suche nach modernen Klängen<br />

Situationsbezogenes und handlungsbetontes Musik-Machen steht im Mittelpunkt<br />

der Performance des österreichischen Geigers und Dirigenten Ernst Kovacic. Dabei<br />

streift seine Interpretation bedeutende Werke der Moderne und tritt in einen Dialog<br />

mit der Geige. Kovacics Musikperformance fußt nicht auf einer im Vorhinein bis<br />

ins Detail festgelegten Dramaturgie, sondern baut vielmehr auf offenen Versuchsanordnungen<br />

auf. Auf das Suchen und Forschen (experire) kommt es an!


58 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 59<br />

Madrigale<br />

Lucia Ronchetti (*1963)<br />

Pinocchio, una storia parallela da Giorgio Manganelli (2005)<br />

Dramaturgie für vier Männerstimmen<br />

Text von Giorgio Collodi<br />

1. La casa di Geppetto (Geppettos Haus)<br />

2. Il teatro dei burattini (Das Marionettentheater)<br />

3. Il paese dei barbagianni (Das Land der Trottel)<br />

4. La notte (Die Nacht)<br />

5. La casina bianca (Das weiße Häuschen)<br />

6. Il mare (Das Meer)<br />

7. Il paese dei balocchi (Das Land der Spielzeuge)<br />

8. La balena (Der Wal)<br />

9. La capanna (Die Hütte)<br />

Salvatore Sciarrino (*1947)<br />

12 madrigali (2008)<br />

Neue Vocalsolisten<br />

Sarah Sun, hoher Sopran<br />

Susanne Leitz-Lorey, lyrischer Sopran<br />

Truike van der Poel, Mezzosopran<br />

Daniel Gloger, Countertenor<br />

Martin Nagy, Tenor<br />

Guillermo Anzorena, Bariton<br />

Andreas Fischer, Bass<br />

31. Juli 2010, 20:30 Uhr<br />

Kirche St.Gallen<br />

Lautmalerische Heterotopien<br />

Das Madrigal als weltliches Pendant der Motette prägte in erster Linie die italienische<br />

Vokalmusik des 16. und 17. Jahrhunderts maßgeblich. Diese wichtige<br />

mehrstimmige Vokalform der Renaissance und des Frühbarock zeichnete sich<br />

neben ihrer spezifischen mehrstimmigen Anlage vor allen Dingen durch ihre<br />

lautmalerische, textausdeutende Komponente aus. Auf diese Eigenschaften<br />

griffen Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts zurück, wenn sie sich in ihren<br />

Werken mit der Tradition des italienischen Madrigals auseinandersetzten – so<br />

etwa der italienische Komponist Salvatore Sciarrino (*1947) und seine ehemalige<br />

Schülerin Lucia Ronchetti (*1963).<br />

Außergewöhnlich ist das Sujet des a capella-Stücks für vier Männerstimmen aus<br />

der Feder der italienischen Komponistin Lucia Ronchetti: Pinocchio, una storia<br />

parallela entstand im Jahr 2005 während eines Berlin-Aufenthalts und erzählt<br />

in neun Episoden von der zum Leben erweckten Holzpuppe Pinocchio. Dabei<br />

folgt Ronchetti nicht Carlo Collodis bekanntem Kinderbuch, das 1883 unter dem<br />

Titel Le avventure di Pinocchio erschienen ist, sondern der Adaption Giorgio<br />

Manganellis. Der italienische Literaturwissenschaftler, dessen Werke als rätselhaft<br />

gelten und häufig „als autoreferenzielle Inszenierung von Metapher und<br />

Allegorie“ (Andreas Gelz) gedeutet wurden, hat den Handlungsverlauf Collodis<br />

in seinem „Parallelbuch“ – eine Gattung, die er selbst erfunden hat – zwar in<br />

seiner Originalgestalt belassen, doch sie um zusätzlich unvermittelte Schnitte<br />

und verschachtelte Rollen erweitert.<br />

Lucia Ronchetti übernimmt dieses Konzept und sie betont die dunklen Schattierungen<br />

von Manganellis Version, in der vor allem Gewalt und Melancholie die<br />

Entwicklung Pinocchios begleiten. Die vier Vokalpartien von Ronchettis musikalische<br />

Parallelgeschichte könnten unterschiedlicher nicht sein: Pinocchio, der<br />

voller Wünsche und Sehnsüchte ist, wird von einem Countertenor interpretiert.<br />

Ein Tenor steht für das Helle und Freundliche in ihm, während ein Bariton die<br />

dunkle Seite Pinocchios verkörpert. Der Bass ist die Stimme aus dem Off, die den<br />

Autoren Manganelli und Collodi das Wort leiht. Darüber hinaus repräsentiert das<br />

Vierer-Ensemble das klingende Italien aus Collodis fantastischer Geschichte.<br />

Die Interpreten der Vokalpartien müssen ihre Virtuosität im Umgang mit zeitgenössischen<br />

Vokaltechniken in vielerlei Hinsicht unter Beweis stellen. Vom perkussiven<br />

Sprechgesang über komplexe Lautierungsprozesse bis hin zu Klangfarbenmodu-


60 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 61<br />

lationen wird den vier Künstlern eine breite Palette an Gesangskunst abverlangt.<br />

All das geschieht jedoch immer wieder hörbar vor der Folie eines madrigalesken<br />

Idioms: Gegenbewegung der Stimmen und Töne, die sich manchmal im kleinstmöglichsten<br />

Abstand aneinander reiben und ein von Abwechslung und Kontrast<br />

geprägter musikalischer Verlauf stellen den Gattungsbezug her.<br />

Salvatore Sciarrino (*1947), dem die abendländische Musiktradition immer wieder<br />

als Feld des Experimentierens und der Auseinandersetzung dient, bezog sich mit<br />

seinen 12 Madrigali aus dem Jahr 2008 ohne Zweifel auf den „cantus matricalis“,<br />

den alten, mehrstimmigen Gesang in seiner Muttersprache. Doch gleichzeitig<br />

entwickelte Sciarrino in seinen 12 Madrigali ein ganz eigenständiges Figuren-<br />

und Ausdrucksrepertoire zur Veranschaulichung außergewöhnlicher Texte: Als<br />

Textgrundlage fungieren sechs Haikus des bedeutenden japanischen Dichters<br />

Matsuo Bashô (1644-1694), der zu seiner Zeit maßgeblich dazu beitrug, die bis<br />

dahin spielerisch humorvolle Haiku-Dichtung in den Rang ernsthafter Literatur<br />

zu heben. Die sechs Dreizeiler, von Sciarrino selbst ins Italienische übertragen,<br />

wurden sogar je zweimal vertont, sodass zwei Madrigal-Zyklen auf dieselben sechs<br />

Gedichte vorliegen. In ihrer gleichnishaften Beschreibung von Naturereignissen<br />

sind sie typische Beispiele japanischer Haikus: Das Murmeln der Wellen (eine<br />

Anspielung an Monteverdis Ecco mormorar londe), der Gesang der Lerche, das<br />

Meer der Zikaden –, all das findet seinen Widerhall in den Klängen und Verläufen,<br />

in der Sprachbehandlung und Textausdeutung der Partitur. Eine lebhafte<br />

Darstellung findet auf diese Weise die „geheimnisvolle und kraftvolle Einheit von<br />

Klang und Wort“ (Salvatore Sciarrino).<br />

Zwischen diesen beiden Sechsergruppen in den 12 Madrigali existieren die vielfältigsten<br />

Querverbindungen, die allerdings einem ungewöhnlichen Verhältnis<br />

entspringen. Denn die zweite Serie verhält sich zur ersten Serie wie ein untreuer<br />

Spiegel („A specchio infedele“ lautet die Überschrift des zweiten Teils) und verzerrt<br />

ihre Klangverläufe, anstatt sie exakt zu spiegeln, wandelt sie vielmehr ab<br />

oder spinnt sie fort. Diese „Zweitversionen erzählen dieselbe Geschichte jeweils<br />

auf neue Weise, mit anderen Mitteln und aus anderer Perspektive“ (Max Nyffeler).<br />

Auch die Räume, in die wir zu Beginn der Werkhälften eingeführt werden,<br />

scheinen dies zu bestätigen: Das „Tempo d’altro spazio“ („Tempo des anderen<br />

Raumes“) des ersten Madrigals findet im lautmalerisch phantasievollen „Tempo<br />

d’altro mare“ („Tempo des anderen Meeres“) des siebten eine Entsprechung. – Mit<br />

diesen Tempoangaben kreisen Sciarrinos Madrigale um Heterotopien, zu denen<br />

nur die Kunst uns Zutritt verschafft.<br />

Lucia Ronchetti<br />

Pinocchio, una storia parallela da Giorgio Manganelli<br />

Dramaturgie für vier Männerstimmen<br />

Text von Giorgio Collodi


62 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 63


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muSIkProgramm 67<br />

Salvatore Sciarrino<br />

12 Madrigali<br />

Auf sechs Haikus von Matsuo Bashô (1644-1694)<br />

Italienische Übersetzung von Salvatore Sciarrino<br />

Aus dem Italienischen von Uli Aumüller & Susanne Laurentius<br />

Quante isole!<br />

In frantumi<br />

lo specchio del mare<br />

Ecco mormorar l’onde<br />

è ritmo<br />

di vento profumato<br />

La cicala!<br />

Assorda nella voce<br />

un’aura di campane<br />

Rosso, così rosso<br />

il sole fugge<br />

vento d’autunno<br />

O lodola<br />

non basta al canto<br />

un lungo giorno<br />

Sole alto<br />

mare di cicale<br />

bevono le rocce<br />

Wie viele Inseln!<br />

In Scherben<br />

der Spiegel des Meeres<br />

Hört die Welle rauschen<br />

und den Rhythmus<br />

des duftenden Windes<br />

Die Zikade!<br />

in ihrer Stimme verklingt<br />

ein Glockenschlag<br />

rot, so rot<br />

die Sonne flieht<br />

Wind des Herbstes<br />

Oh Lerche<br />

dem Gesang genügt nicht<br />

ein langer Tag<br />

Hohe Sonne<br />

Meer von Zikaden<br />

trinken die Felsen<br />

Sciarrino, 12 Madrigali | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH


68 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 69<br />

Von Sternen, Nebeln und Galaxien …<br />

Ein kreatives Musikprojekt zu Iannis Xenakis – Pléïades<br />

Iannis Xenakis (1922-2001)<br />

Pléïades (1978)<br />

für sechs Schlagzeuger<br />

MitarbeiterInnen der Firma Georg Fischer Automotive, Schlagzeug<br />

Robyn Schulkowsky, Workshopleiterin, Schlagzeug<br />

Adam Weisman, Schlagzeug<br />

Björn Wilker , Schlagzeug<br />

Schlagquartett Köln<br />

Thomas Meixner, Schlagzeug<br />

Boris Müller, Schlagzeug<br />

Dirk Rothbrust, Schlagzeug<br />

Achim Seyler, Schlagzeug<br />

1. August 2010, 19:30 Uhr<br />

Versandhalle Georg Fischer Automotive, Altenmarkt<br />

Von Sternen, Nebeln und Galaxien …<br />

Die mit freiem Auge sichtbaren Plejaden galten vielen Kulturen aufgrund ihrer Sechszahl<br />

als besonders symbolträchtige Sterne. Der offene Sternhaufen der Plejaden<br />

steht auch im Mittelpunkt von Iannis Xenakis` (1922-2001) gleichnamigem Stück<br />

(Originaltitel: Pléïades) aus dem Jahr 1978, konzipiert für sechs Schlagzeuger. Die<br />

Komposition ist in vier Sätze unterteilt, die sich vor allem durch das verwendete<br />

Instrumentarium und infolgedessen auch durch bestimmte Klangfarbencharakteristiken<br />

voneinander unterscheiden. Drei der vier Sätze widmen sich jeweils einer<br />

Klanggruppe, dementsprechend lauten auch die Satzüberschriften: „Métaux“ (Metallinstrumente),<br />

„Peaux“ (Fellinstrumente) und „Claviers“ (Schlaginstrumente mit<br />

bestimmter Tonhöhe, etwa Xylophone und Marimbas). Der vierte Satz „Mélanges“<br />

(„Mischungen“) kombiniert die drei Klanggruppen. Wenn Xenakis auch nicht<br />

darauf bestanden hat, dass dieser zuletzt erklingt, so stellt der Satz dennoch den<br />

natürlichen Kulminationspunkt des Stückes dar.<br />

Zu Beginn von „Mélanges“ dominiert die Gruppe der Metallinstrumente. Alle sechs<br />

Schlagzeuger spielen scheinbar dieselben, in der Partitur notierten Auf- und Abwärtsbewegungen,<br />

doch die erzeugten Klangverläufe unterscheiden sich maßgeblich<br />

voneinander, da die Metallplatten der einzelnen Spieler unterschiedliche<br />

Stimmungen aufweisen. Auf diese Weise entsteht „ein dichtes Knäuel von Klängen“<br />

(Rudolf Frisius), das sich im Tonraum aufwärts und abwärts bewegt. Als ob die<br />

Plejaden in Xenakis musikalischem Weltall durch rasche rhythmische Pulsationen<br />

miteinander kommunizierten.<br />

Entdecken und Erforschen<br />

von Annemarie Mitterbäck<br />

Und wie weiß ich, wie der Teil klingen soll?<br />

Du alleine entscheidest, wie dein Klang auf deinem Instrument klingen soll - Probier<br />

einfach mal aus!<br />

Walter Hermann und Robyn Schulkowsky<br />

Die MitarbeiterInnen der Firma Georg Fischer Automotive in Altenmarkt, dem größten<br />

Arbeitgeber der Region, begeben sich anhand des Werks über einen Zeitraum<br />

von zwei Wochen auf die Entdeckung und die Erforschung neuer Klänge und<br />

Ausdrucksmöglichkeiten. Spielarten auf Instrumenten werden erprobt, Materialien<br />

des Arbeitsalltags werden ihren approbierten Zwecken herausgelöst, untersucht<br />

und in einen neuen Kontext gestellt. Wie klingen diese Magnesiumteile, welche


70 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 71<br />

täglich gegossen und für die Automobilindustrie in der Firma weiterverarbeitet werden?<br />

Themen des Alltags, des Arbeitsprozesses wie Tempo, Zeit, Bewegung und<br />

Statik stellen Parameter dar, die ebenso in das neu entstehende Werk einfließen<br />

werden.<br />

Der Vorbereitungsworkshop Anfang Juli, ein Tag im ständigen Wechsel befindend<br />

zwischen heftigen Gewitterschauern und Sonnenschein. Der erste gemeinsame<br />

Workshop-Nachmittag zum kreativen Musikprojekt „Von Sternen, Nebeln und<br />

Galaxien …“<br />

Achtzehn Menschen unterschiedlichsten Alters, musikalischen Hintergrunds und<br />

Sozialisierung treffen aufeinander, um etwas Neues gemeinsam entstehen zu<br />

lassen. Verbindendes Ausgangselement ist die Begeisterung an der Entstehung<br />

von Neuem sowie die Neugierde und Lust am Erforschen dessen.<br />

Die Projektteilnehmer, welche sich in den vorangehenden Wochen für das Projekt<br />

angemeldet hatten, finden sich im Probenraum ein und finden an die dreißig<br />

Magnesiumteile und Holzelemente vor. Die Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky<br />

befindet sich inmitten dieser Instrumente und bringt die Teile durch unterschiedlichste<br />

Anschlagtechniken zum Klingen. Innerhalb weniger Minuten eröffnen sich Rhythmen<br />

und Klänge im Raum. „Probier doch mal diesen Schlägel auf diesem Teil aus“ – oder<br />

„Hör mal genau hin, wie lange dieses Teil klingen kann“ so Robyn Schulkowsky zu<br />

den MitarbeiterInnen der Firma. Das Eis ist gebrochen, die Mitwirkenden beginnen<br />

die Teile zu untersuchen, probieren aus, verwenden Schlägel unterschiedlichster<br />

Art und beginnen die Ober- und Untertöne dieser Magnesiumteile zu hören.<br />

Die Inspirationsquelle für die vierzehntägige Projektphase stammt von Xenakis;<br />

dessen Rhythmusbehandlung und Klangbetrachtung. Er entwickelte für den Satz<br />

„Metaux“ des Werks: Pléïades, das Instrument Six-Xen, welches aus 19 unterschiedlichen<br />

Metallplatten besteht. Die ProjektteilnehmerInnen nehmen diese<br />

Ursprungsidee auf und entwickeln ihr eigenes Klangspektrum.<br />

Auch die anderen Sätze sowie die Satzstruktur des Referenzwerks mit den Satzbezeichnungen:<br />

„Peaux“, „Mélanges“, „Métaux“ und „Claviers“ bilden weitere<br />

Anknüpfungspunkte zum neu entstehenden Werk.<br />

So werden unter Anleitung der SchlagzeugerInnen Robyn Schulkowsky, Björn Wilker<br />

und Adam Weisman vier Sätze unterschiedlichsten Instrumentariums entwickelt.<br />

Anstelle von „Peaux“ werden sogenannte Sub-bass Marimbas, welche Robyn<br />

Schulkowsky im Jahr 2000 entwickelte und welche in dieser Form in Österreich<br />

zum ersten Mal durch die Verwendung der Projektteilnehmer präsentiert werden.<br />

In Anlehnung an den Satz „Claviers“ entwickeln die Mitwirkenden eine nicht-diatonische,<br />

industrielle Skala in verschiedenen Variationen. „Mélanges“ versteht sich<br />

als wahre Mischung aller vorangehenden Klänge und Elemente unter Einbindung<br />

der eigenen Instrumente der Projektteilnehmer.<br />

Die Freiheit der Anordnung bzw. die Reihenfolge der einzelnen Sätze behalten sich<br />

die Mitwirkenden des Projekts offen und wird ebenfalls wie im Referenzwerk im<br />

Laufe der Probenphase festgelegt.<br />

Durch dieses Ausprobieren und dem unvorhersehbaren Nachgehen entsteht eine<br />

produktive Neugierde sowie Lust auf Neues und Unentdecktes. Durch dieses Teilen<br />

in der direkten Zusammenarbeit mit außergewöhnlichen Künstlerpersönlichkeiten<br />

wird ein gegenseitiger, gleichberechtigter Austausch zwischen den ProjektteilnehmerInnen<br />

und den MusikerInnen vor Ort ermöglicht. Als Höhepunkt wird das<br />

entwickelte Werk in der adaptierten Versandhalle gemeinsam öffentlich präsentiert.<br />

Der Blickpunkt verschiebt sich, eine andere Art der Betrachtung kommt zum Tragen,<br />

ein neues Werk entsteht – ein neuer fließender Impuls im Inneren.


72 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 73<br />

Mitarbeiter der Firma Georg Fischer beim Workshop | Anna Furtmüller<br />

Workshopteam<br />

Annemarie Mitterbäck, Idee / Konzept / Projektleitung<br />

Robyn Schulkowsky, Musikalische Workshopleitung / Schlagzeug<br />

Björn Wilker, Schlagzeug<br />

Adam Weisman, Schlagzeug<br />

Ellen Wemmelund, Musikassistenz<br />

Robyn Schulkoswky | Anna Furtmüller<br />

Die vom ‚<strong>Arcana</strong>-Projektteam‘ präsentierte Idee hat uns auf Anhieb sehr gut gefallen<br />

und wir haben uns spontan für eine Teilnahme entschieden. Mir ist es wichtig, stets<br />

offen für Neues zu sein und gemeinsam mit unseren MitarbeiterInnen neue Wege<br />

zu gehen - nicht nur im technischen Bereich. Mit <strong>Arcana</strong> ist uns das möglich!<br />

Andreas Müller, Geschäftsführer Georg Fischer Automotive<br />

Besonders möchten wir uns bei Georg Fischer Automotive, Altenmarkt und deren<br />

MitarbeiterInnen und Projekteilnehmern bedanken, die mit ihrer Unterstützung und<br />

in hervorragender Zusammenarbeit dieses außergewöhnliche Projekt ermöglicht<br />

haben.


74 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 75<br />

Action Music<br />

Bernhard Lang (*1957)<br />

DW 12 Cellular automata (2005)<br />

für Klavier<br />

Giacinto Scelsi (1905-1988)<br />

Action Music (1955)<br />

für Klavier<br />

I. Poco piu mosso, Veloce<br />

II. Iniziando e subito accelerando<br />

III. Lento dolce (tutto col palmo della mano)<br />

IV. Martellato<br />

V. Violento<br />

VI. Brilliante<br />

VII. Pesante<br />

VIII. Veloce<br />

IX. Con fuoco<br />

Marino Formenti, Klavier<br />

2. August 2010, 19:00 Uhr<br />

Kirche St.Gallen<br />

Von Automatismen und Befreiungsstößen<br />

Action music! – Mechanische Tastenmotorik, hochvirtuose Tempi und komplexe<br />

Klangeffekte charakterisieren die Spielwerke von Bernhard Lang und Giacinto<br />

Scelsi.<br />

Bereits die geforderte Grundgeschwindigkeit von q = 168 in Bernhard Langs DW<br />

12 cellular automata deutet auf die virtuose Anlage des Klavierwerkes hin. Der Titel<br />

sagt es: Das Tastenstück zielt auf Automation ab. Doch wahrgenommen wird im<br />

Verlauf des Stückes eher ein Prozess der fortwährenden Differenzierung. DW 12<br />

gehört Langs übergeordneter Werkreihe „D/W“ an, benannt nach einem Hauptwerk<br />

von Gilles Deleuze, in dem es dem französischen Philosophen gelungen ist, die<br />

Begriffe Differenz und Wiederholung einer Neudefinition zu unterziehen. Langs<br />

hochkomplexe, auf repetitiven Strukturen aufbauende Wiederholung/Differenz-<br />

Stücke sind nicht nur von der Philosophie Deleuzes, sondern auch maßgeblich<br />

von der Loop-Ästhetik (Loop, engl. „Schleife“) der Elektronischen Musik beeinflusst<br />

worden.<br />

Wesentlich für die Werke des DW-Zyklus war Langs Überlegung, dass Differenz<br />

einerseits durch Wiederholung entsteht, dass andererseits die Differenz es ermöglicht,<br />

von der Identität des Gleichen zu sprechen. Im Gegensatz zu den Vertretern des<br />

musikalischen Minimalismus, die die Differenz im wiederholten Objekt zu reduzieren<br />

versuchten, um dafür den subjektiven Differenzierungen mehr Raum zu geben,<br />

wird die Wiederholung in Langs Kompositionen zum „Träger einer hochkomplexen<br />

inneren Differentiation im Objekt“. Sie wirkt als „Vergrößerungsglas des Klanges“,<br />

als „Instrument zur Dekonstruktion“, als „Trägerin der Differenz“ und „Resultat eines<br />

Automatismus“ sowie als „nichtlineares, nicht-erzählendes Prinzip“. Dementsprechend<br />

verläuft die Musik von DW 12: Die Wiederholungsmaschine initiiert einen Prozess<br />

der zunehmenden Verdichtung und Steigerung, der sich im Notenbild besonders<br />

gut nachvollziehen lässt. Die musikalischen Dichteverhältnisse abbildend, werden<br />

die Notenblätter immer schwärzer und schwärzer, bis sich das Schwarz kurz vor<br />

Schluss schließlich auflöst. Die Wiederholungsstruktur hat sich selbst zerstört.<br />

Giacinto Scelsis Klavierstück aus dem Jahr 1955 durchlebt in seinen neun Abschnitten<br />

eine große Bandbreite an Stimmungen: Von „Poco piu mosso“, „Veloce“ (rasch),<br />

über „Iniziando e subito accelerando“, das mit der Handfläche auszuführende „Lento<br />

dolce“, „Martellato“ (hämmernd), „Violento“ (gewaltsam), „Brilliante“, „Pesante“


76 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 77<br />

(gewichtig) und wieder „Veloce“ bis hin zu „Con fuoco“ (feurig). Bei Action music<br />

handelt es sich um eines der späteren Klavierstücke des italienischen Komponisten,<br />

das überdies erst 30 Jahre später, im Jahr 1986 vom Pianisten Geoffrey Douglas<br />

Madge in Darmstadt uraufgeführt wurde. Scelsi, der eines der umfangreichsten<br />

Klavierœuvres des 20. Jahrhunderts hinterließ, improvisierte in erster Linie auf<br />

diesem Instrument. Seine auf Tonband aufgezeichneten Improvisationen am Klavier<br />

stellten seit spätestens 1950 die Grundlage seiner Kompositionen dar. Doch das<br />

Klavier als Kompositionsgegenstand wurde bereits damals zunehmend von anderen<br />

Instrumenten abgelöst. Der Grund dafür war folgender: Mit Beginn von Scelsis<br />

zweiter Schaffensperiode im Jahr 1952 rückten die Möglichkeiten einer nuancierten<br />

Klangerzeugung verstärkt in den Mittelpunkt seines kompositorischem Interesses<br />

und dafür schien ihm das Klavier mit seinen relativ definierten Klangcharakteristiken<br />

nicht mehr zu genügen. Für die Erzeugung von Mikrointervallik, Mikromelodik und<br />

Infrachromatik griff er infolgedessen vermehrt auf Streichinstrumente und auf die<br />

menschliche Stimme zurück. Als Medium der Improvisation kam dem Klavier neben<br />

der Ondioline, einem elektronischen Tasteninstrument, jedoch auch weiterhin eine<br />

zentrale Stellung zu.<br />

Scelsi, der in den 1940er Jahren in eine schwere gesundheitliche und psychische<br />

Krise geriet, erlebte damals die heilende Kraft der Töne: „Es passierte als ich krank<br />

war, mich in einer Klinik aufhielt. Es gibt dort immer kleine Klaviere, die in der Klinik<br />

versteckt sind. Fast niemand rührt sie an. Also spielte ich ein wenig auf einem dieser<br />

Klaviere. C … C … D … D … Währenddessen sagte einer der anderen: ‚Der da ist<br />

noch verrückter als wir!’ – Wenn man einen Ton sehr lange spielt, wird er groß. Er<br />

wird so groß, dass man viel mehr Harmonien hört, und er wird innerlich größer. Der<br />

Ton hüllt einen ein.“ Während viele von Scelsis Kompositionen für Streicher- und<br />

Bläserbesetzung seit Ende der 1950er häufig nur mehr auf einer einzigen Tonhöhe<br />

fußten und die Erfahrung eines verklingenden Tones gleichsam verarbeiteten,<br />

stellte Action music einen der letzten Versuche dar, die starren Gegebenheiten des<br />

Klaviers zu überwinden. So ist der Gestus des Klavierwerks ungewöhnlich brachial<br />

und die mit Unterarmen und Fäusten auszuführende Cluster führen in eine relativ<br />

Unbekannte Sphäre von Scelsis Musik. – Action music! Bernhard Lang, DW12 | Zeitvertrieb


78 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 79<br />

Rothko Chapel<br />

Giacinto Scelsi (1905-1988)<br />

Yliam (1964)<br />

für Frauenchor<br />

Friedrich Cerha (*1926)<br />

Verzeichnis (1969)<br />

für sechzehnstimmigen Chor<br />

György Ligeti (1923-2006)<br />

Lux aeterna (1966)<br />

für gemischten Chor a capella<br />

Morton Feldman (1926-1987)<br />

Rothko Chapel (1971)<br />

für Viola, Sopran, Alt, doppelten gemischten Chor, Schlagzeug, Celesta<br />

Arnold Schoenberg Chor<br />

Erwin Ortner, Leitung<br />

Steven Dann, Viola<br />

Mathilde Hoursiangou, Celesta<br />

Martin Homann, Schlagzeug<br />

2. August 2010, 21:00 Uhr<br />

Kirche St.Gallen<br />

Weltliche Vielstimmigkeit<br />

Morton Feldmans Rothko Chapel entstand 1971 für die vom Maler Mark Rothko<br />

errichtete gleichnamige Kapelle in Houston, einem Ort der interkonfessionellen<br />

Begegnung und der Ökumene, an dem das Werk im darauf folgenden Jahr auch<br />

uraufgeführt wurde. Die vierzehn größtenteils in violett und der Unfarbe schwarz<br />

gehaltenen Bilder Rothkos im Innenraum der Kapelle sind ganz persönliche Chiffren<br />

seiner Schwermut und Einsamkeit. Ebenso wie Rothkos monochrome Bilderbotschaften<br />

richtete sich Feldmans Chorstück nicht nur an Glaubende jeglicher<br />

Konfession, sondern an die Oikumene, an „die ganze bewohnte Erde“ mit all ihren<br />

Glaubenslosen: an jene, die nie einen Gott besessen haben ebenso wie an jene,<br />

denen ihr Gott abhanden gekommen ist. Nach einem halben Jahrhundert des Krieges<br />

war die alte Unterscheidung zwischen weltlicher und geistlicher Musik in der zweiten<br />

Hälfte des 20. Jahrhunderts schon längst gefallen. Chormusik, so auch die vom<br />

Arnold Schoenberg Chor interpretierten Stücke aus dem kurzen Zeitraum zwischen<br />

1964 bis 1971, wandte sich nunmehr der Welt und ihrer Vergeblichkeit zu.<br />

Für Frauenchor schrieb Giacinto Scelsi (*1905) im Jahr 1964 sein Yliam. Der rätselhafte<br />

Titel des Werkes, der als Variante des antiken Ilium an die am Krieg ihrer<br />

Männer Gescheiterten und Zerbrochenen erinnert, spricht Bände über die geheimnisvolle<br />

Kunst- und Musikauffassung des italienischen Komponisten, die ab 1952<br />

systematisch zur Entfaltung gelangte. Damals erarbeitete sich Scelsi, durch eine<br />

schwere gesundheitliche und persönliche Krise veranlasst, ein Ausdruckskonzept,<br />

indem die Töne an sich, die Möglichkeiten ihrer Erzeugung und die Bedingungen<br />

ihres Fortdauerns in der Zeit in den Mittelpunkt seines Komponierens rückten. Als<br />

ehemaliger Schüler des Schoenberg-Anhängers Walter Klein wandte er sich ab<br />

von der Zwölftontechnik und ihren der Tradition verpflichteten Formvorstellungen<br />

und ergründete fortan das Mysterium Ton, sein Erscheinen und sein Verschwinden<br />

in der Zeit sowie die unterschiedlichen Phasen seines Klingens. Scelsi sah<br />

im Prozess des Improvisierens fortan den eigentlich schöpferischen Akt und ließ<br />

seine Improvisationen spätestens seit 1950 auf Tonband aufzeichnen, um sie von<br />

Komponistenkollegen oder Schülern gegen Honorar transkribieren zu lassen.<br />

Seit 1958 gehen seine Stücke häufig nur mehr von einer einzigen Tonhöhe – in<br />

unterschiedlichen Oktavlagen – aus und ziehen um diese herum ihre Kreise. Aber<br />

nach innen erfährt der Tonraum eine ungeheure Erweiterung, die sich auf die Unterteilung<br />

in Vierteltöne, mehr noch die klangfarbliche Abstufungen bezieht. Von<br />

dieser inneren Weite der Töne, der chromatischen Auffächerung „im“ einzelnen Ton


80 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 81<br />

zeugt auch das Chorstück Yliam. Die verschiedensten Gesangstechniken reichen<br />

vom gewöhnlichen Vibrato bis hin zu einer Art von Tremolo, bei dem sich die Sängerin<br />

mit ihrer Hand auf den Mund schlagen soll. Der schmerzliche Lautgesang<br />

der Frauen reicht vom auskomponierten Ein- und Ausatmen bis hin zu anspruchsvollen<br />

Lautierungsprozessen zwischen weit voneinander entfernten Phonen. Doch<br />

gleichzeitig findet im Stück ein Befreiungsprozess aus der Gefangenschaft im Ton<br />

statt, indem die in Terzen zunächst um das Tonzentrum h kreisenden Klänge mit<br />

den Mitteln der Mikrointervallik immer weiter nach oben drängen und etwas von<br />

ihrem ehemals extrovertierten Gestus zurückerobern.<br />

Fünf Jahre nach der Fertigstellung von Yliam schrieb Friedrich Cerha (*1926) ein<br />

Chorstück, mit dem er den Bezug zur Tradition wiederherstellen wollte: Nach der<br />

Arbeit mit einer von allen traditionellen Formulierungen freien, oft clusterartigen<br />

Klangsprache […] ist ein Bedürfnis nach Differenzierung im Feld der Harmonik,<br />

des Melos und – zuletzt – auch der Rhythmik spürbar geworden. Mir wurde bald<br />

bewusst, dass jede weitere Bewegung in dieser Richtung unweigerlich zu einer<br />

intensiven Berührung mit der Tradition führen musste.“ Cerha, der spätestens seit<br />

seinem ersten Besuch in Darmstadt 1956 neben der seriellen Kompositionsmethode<br />

auch ihr Prinzip der Skalierung zwischen weit entfernten Polen kennenlernte, wollte<br />

nun zwischen der musikalischen Gegenwart und ihrer Vergangenheit vermitteln.<br />

Unter diesen Vorzeichen entstand Verzeichnis für sechzehn Stimmen oder sechzehnstimmigen<br />

Chor (1969) als eine der ersten Arbeiten, die, so Cerha, „Engagement<br />

und Tradition“ miteinander verbindet. Die Textgrundlage liefert ein nicht enden<br />

wollendes Verzeichnis von Personen, die in Würzburg in der ersten Hälfte des 17.<br />

Jahrhunderts wegen Hexerei hingerichtet wurden, auf das Cerha im österreichischen<br />

Almanach „Protokolle 69“ gestoßen war. Zum ersten Mal seit Jahren legte er einer<br />

Komposition wieder einen zusammenhängenden Text zugrunde.<br />

„Trocken deklamierendes Sprechen, Legato-Polyphonie in motettischer Technik,<br />

mechanisiert wirkende Staccato-Folgen, Sprechgesang, absinkende Glissandi auf<br />

einzelnen Worten und glissandierende Vokalisen sind die bewusst heterogenen<br />

Stilmittel dieser Komposition“, die den durchlaufenden, leidenschaftslosen Text<br />

quasi fragmentieren und mit musikalischen und musik-sprachlichen Mitteln emotionalisieren.<br />

Auf diese Weise wird zwar die Textverständlichkeit in der Aufzählung der<br />

„Hexen-Leut“ erheblich beeinträchtigt, doch die Allgegenwart und Vielgestaltigkeit<br />

des Grauens in den heterogenen musikalischen Verfahrensweisen und Darstellungstechniken,<br />

von homophon bis polyphon, von motettisch bis madrigalesk dafür<br />

umso mehr betont. Die Antwort auf Cerhas Frage, „wie lange Menschen einander<br />

verurteilen und morden wollen“ liegt möglicherweise in den vielen Passagen leiernder<br />

Wiederholung: Wie lange noch? – Immer noch.<br />

Für eine Profanisierung des Heiligen ebenso wie für die Heiligung des Profanen<br />

stand das 1966 komponierte, sechzehnstimmige a capella Chorstück des ungarischen<br />

Komponisten Györgi Ligeti (1923-2006) – so diente es unter anderem<br />

auch dem Film von Stanley Kubrick 2001: Odyssee im Weltraum als Soundtrack.<br />

Entstanden als Ergänzung zu seinem 1963-1965 komponierten Requiem, handelte<br />

es sich bei Lux aeterna um die nachträgliche Vertonung der Communio, der Bitte<br />

nach ewigem Licht für die Verstorbenen. Die Komposition wurde von der Stuttgarter<br />

Schola Cantorum unter der Leitung von Clytus Gottwald uraufgeführt, der seit<br />

1960 durch seinen unermüdlichen Einsatz maßgeblich dazu beitrug, dass viele der<br />

damals neuen und deshalb oft als ungeistlich abgeurteilten Werke im Kirchenraum<br />

erklungen sind.<br />

Im Zusammenhang mit dem Requiem prägte Ligeti den Begriff der „Mikropolyphonie“,<br />

bei der kleinste Bewegungen zu einem irisierenden Klangbild führen, das von<br />

scheinbarem Stillstand gekennzeichnet ist. Dieses „Prinzip einer chromatischen<br />

Klangfarbentransposition“ (Dirk Wieschollek) scheint in Lux aeterna wieder zurückgenommen<br />

und an ihre Stelle tritt erstmals wieder eine (wenn auch) „verflüssigte<br />

Harmonik“ (Ulrich Dibelius). Ligeti bemerkte zur kompositorischen Struktur<br />

des Werkes in einem seiner Briefe: „Es gibt ein komplexes polyphones Gewebe<br />

(durch einen Kanon erzielt), aber gleichzeitig ist die Konstruktion harmonisch, d.h.<br />

bestimmte Intervallkombinationen (vor allem Quart, aufgeteilt in große Sekund und<br />

kleine Terz) sind „Pfeiler“ des Stücks. […] Mit diesem Stück ist die Kompositionsart<br />

in totaler Chromatik überwunden.“<br />

Immer wieder dünnt sich die vielstimmige Textur des Chorsatzes in Lux aeterna zu<br />

charakteristischen Intervallkonstellationen aus, die gleich harmonischen Ruhepunkten<br />

die Funktion haben, Abschnitte zu markieren. So steuert der Tonhöhenkanon, der in<br />

einer für Ligetis Taktfeindlichkeit typischen Weise dahinfließt und auch noch „stets<br />

vollkommen akzentlos“ gesungen werden soll, in Lux aeterna an zentralen Stellen<br />

der Partitur auf harmonische Eckpfeiler hin, die inmitten dieses surrealen Stimmengewebes<br />

sogar für die Verständlichkeit des lateinischen Messtextes sorgen.<br />

Ganz im Gegensatz zum lateinischen Messtext, der in Lux aeterna den Traditionsbezug<br />

herstellt, steht die Textlosigkeit der Vokalisen in Morton Feldmans 1971<br />

komponierter Rothko Chapel für Viola, Sopran, Alt, doppelten gemischten Chor,<br />

Schlagzeug, Celesta. Entstanden im Gedenken an den befreundeten, 1970 verstor-


82 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 83<br />

benen Mahler, orientierte sich Feldman bei der Wahl der Instrumente und bei der<br />

Konzeption der Klangstruktur seiner Komposition an den vierzehn Gemälden Mark<br />

Rothkos im achteckigen Innenraum der Houston-Chapel. Feldmans Komposition<br />

sollte einer „unbeweglichen Prozession“ gleichen, die „im fließenden Ineinander<br />

heterogener Abschnitte der durchgängigen Kontinuität der Farben in den Gemälden<br />

Rothkos entspricht“, so Feldman. Und so wie Rothkos Bilder „die Leinwände bis<br />

ganz in die Ecken“ ausfüllten, wünschte sich Feldman eine Musik, die sich über<br />

den ganzen Raum verbreitet und nicht aus der Distanz gehört werden soll.<br />

Wie die vierzehn Wandbilder in des Malers Schaffen (die Hälfte der Bilder Rothkos<br />

bestand aus rein monochromen Farbflächen), so nimmt auch Feldmans musikalische<br />

Version eine Sonderstellung in seinem Schaffen ein: Denn für Feldmans Verhältnisse<br />

sind die vier Teile der Komposition ungewöhnlich heterogen ausgefallen, da<br />

Rothkos Bilder „nach einer Anzahl stark gegensätzlicher, ineinander übergehender<br />

Situationen“ verlangte. Diese vier Abschnitte wurden vom Komponisten folgendermaßen<br />

charakterisiert: „1. eine ausgedehnte, deklamatorische Eröffnung; 2. ein<br />

eher statischer, ‚abstrakter’ Abschnitt für Chor und Glocken; 3. ein motivisches<br />

Zwischenspiel für Sopran, Viola und Pauken; 4. ein lyrischer Schlussteil für Viola<br />

mit Vibraphonbegleitung, dem sich in der Art einer Collage der Chor hinzugesellt.“<br />

Vielfältig sind vor allem die persönlichen Bezüge, die in Rothko Chapel eine Rolle<br />

spielen. Während Feldman die Sopranmelodie des dritten Teils am Tag der New<br />

Yorker Trauerfeier für Igor Strawinsky komponierte, stammt die „quasi-hebräische“<br />

Melodie, die die Viola am Schluss spielt, sogar aus seiner Jugendzeit. Diese Fundstücke<br />

machen Rothko Chapel, das zwischen dem Kollektiv und dem Individuum<br />

vermitteln will, exemplarisch verkörpert durch den Chor auf der einen und der<br />

Viola auf der anderen Seite, nicht nur zu einer der persönlichsten Kompositionen<br />

Feldmans, sondern auch zu einer die Grenzen des Vereinzelten überschreitenden<br />

Weltumspannenden.<br />

Friedrich Cerha<br />

Verzeichnis<br />

Verzeichnis der Hexen-Leut, so zu Würzburg mit dem Schwerte gerichtet und<br />

hernacher verbrannt worden.<br />

Im ersten Brandt vier Personen.<br />

Die Lieblerin.<br />

Die alte Anckers Wittwe.<br />

Die Gutbrodtin.<br />

Die dicke Höckerin.<br />

Im andern Brandt vier Personen.<br />

Die alte Beutlerin.<br />

Zwey fremde Weiber.<br />

Die alte Schenckin.<br />

Im dritten Brandt fünf Personen.<br />

Der Tungersleber, ein Spielmann.<br />

Die Kulerin.<br />

Die Stierin, eine Procuratorin.<br />

Die Bürsten-Binderin.<br />

Die Goldschmidtin.<br />

Im vierten Brandt fünf Personen.<br />

Die Siegmund Glaserin, eine Burgemeisterin.<br />

Die Brickmannin.<br />

Die Schickelte Amfrau (Hebamme).<br />

NB. Von der kommt das ganze Unwesen her.<br />

Die alte Rumin<br />

Ein fremder Mann.<br />

Im fünften Brandt neun Personen.<br />

Der Lutz, ein vornehmer Kramer.<br />

Der Rutscher, ein Kramer.<br />

Des Herrn Dom-Propst Vögtin.<br />

Die alte Hof-Seilerin.<br />

Des Jo. Steinbachs Vögtin.<br />

Die Baunachin, eine Raths-Herrn Frau.<br />

Die Znickel Babel.


84 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 85<br />

Ein alt Weib.<br />

Im sechsten Brandt sechs Personen.<br />

Der Rath-Vogt, Gering genannt.<br />

Die alte Canzlerin.<br />

Die dicke Schneiderin.<br />

Des Herrn Mengerdörfers Köchin.<br />

Ein fremder Mann.<br />

Ein fremd Weib.<br />

Im siebenden Brandt sieben Personen.<br />

Ein fremd Mägdlein von zwölf Jahren.<br />

Ein fremder Mann.<br />

Ein fremd Weib.<br />

Ein fremder Schultheiß.<br />

Drey fremde Weiber.<br />

NB. Damahls ist ein Wächter, so theils Herrn ausgelassen,<br />

auf dem Markt gerichtet worden.<br />

Im achten Brandt sieben Personen.<br />

Der Baunach, ein Raths-Herr, und der dickste Bürger in Würtzburg.<br />

Des Herrn Dom-Propst Vogt.<br />

Ein fremder Mann.<br />

Der Schleipner.<br />

Die Visirerin.<br />

Zwei fremde Weiber.<br />

Im neundten Brandt fünf Personen.<br />

Der Wagner Wunth.<br />

Ein fremder Mann.<br />

Der Bentzen Tochter.<br />

Die Bentzin selbst.<br />

Die Eyeringin.<br />

Im zehnten Brandt drey Personen.<br />

Der Steinacher, ein gar reicher Mann.<br />

Ein fremd Weib.<br />

Ein fremder Mann.<br />

Im eilften Brandt vier Personen.<br />

Der Schwerdt, Vicarius am Dom.<br />

Die Vögtin von Rensacker.<br />

Die Stiecherin.<br />

Der Silberhans, ein Spielmann.<br />

Im zwölften Brandt zwey Personen.<br />

Zwey fremde Weiber.<br />

Im dreyzehenden Brandt vier Personen.<br />

Der alte Hof-Schmidt.<br />

Ein alt Weib.<br />

Ein klein Mägdlein von neun oder zehn Jahren.<br />

Ein geringeres, ihr Schwesterlein.<br />

Im vierzehenden Brandt zwey Personen.<br />

Der erstgemeldten zwey Mägdlein Mutter.<br />

Der Lieblerin Tochter von 24 Jahren.<br />

Im fünfzehenden Brandt zwey Personen.<br />

Ein Knab von 12 Jahren, in der ersten Schule.<br />

Eine Metzgerin.<br />

Im sechzehenden Brandt sechs Personen.<br />

Ein Edelknab von Ratzenstein, ist Morgens um 6 Uhr auf dem Cantzley-Hof gerichtet<br />

worden und den ganzen Tag auf der Pahr stehen blieben, dann hernacher<br />

den andern Tag mit den hierbeygeschriebenen verbrannt worden.<br />

Ein Knab von zehn Jahren.<br />

Des obgedachten Raths-Vogts zwo Töchter und seine Magd.<br />

Die dicke Seilerin.<br />

Im siebenzehenden Brandt vier Personen.<br />

Der Wirth zum Baumgarten.<br />

Ein Knab von eilf Jahren.<br />

Eine Apotheckerin zum Hirsch, und ihre Tochter.<br />

NB. Eine Harfnerin hat sich selbst erhenket.<br />

Im achtzehenden Brandt sechs Personen.<br />

Der Batsch, ein Rothgerber.


86 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 87<br />

Ein Knab von zwölf Jahren, noch<br />

Ein Knab von zwölf Jahren.<br />

Des D. Jungen Tochter.<br />

Ein Mägdlein von funfzehn Jahren.<br />

Ein fremd Weib.<br />

Im neunzehenden Brandt sechs Personen.<br />

Ein Edelknab von Rotenhan, ist um 6 Uhr auf dem Cantzley-Hof gerichtet und den<br />

andern Tag verbrannt worden.<br />

Die Secretärin Schellharin, noch<br />

Ein Weib.<br />

Ein Knab von zehn Jahren.<br />

Noch ein Knab von zwölf Jahren.<br />

Die Brüglerin, eine Beckin, ist lebendig verbrannt worden.<br />

Im zwanzigsten Brandt sechs Personen.<br />

Das Göbel Babelin, die schönste Jungfrau in Würtzburg.<br />

Ein Student in der fünften Schule, so viel Sprachen gekont, und ein vortreflicher<br />

Musikus vocaliter und instrumentaliter.<br />

Zwey Knaben aus dem neuen Münster von zwölf Jahren.<br />

Der Steppers Babel Tochter.<br />

Die Hüterin auf der Brücken.<br />

Im einundzwanzigsten Brandt sechs Personen.<br />

Der Spitalmeister im Dietricher Spital, ein sehr gelehrter Mann.<br />

Der Stoffel Holtzmann.<br />

Ein Knab von vierzehn Jahren.<br />

Des Stolzenbergers Raths-Herrn Söhnlein.<br />

Zween Alumni.<br />

Im zweiundzwanzigsten Brandt sechs Personen.<br />

Der Stürmer, ein reicher Büttner.<br />

Ein fremder Knab.<br />

Des Stolzenbergers Raths-Herrn große Tochter.<br />

Die Stolzenbergerin selbst.<br />

Die Wäscherin im neuen Bau.<br />

Ein fremd Weib.<br />

Im dreiundzwanzigsten Brandt neun Personen.<br />

Des David Croten Knab von zwölf Jahren, in der andern Schule.<br />

Des Fürsten Kochs zwey Söhnlein, einer von 14 Jahren, der ander von zehn Jahr<br />

aus der ersten Schule.<br />

Der Melchior Hammelmann, Vicarius zu Hach.<br />

Der Nicodemus Hirsch, Chor-Herr im neuen Münster.<br />

Der Christophorus Berger, Vicarius im neuen Münster.<br />

Ein Alumnus.<br />

NB. Der Vogt im Brennerbacher Hof und ein Alumnus sind lebendig verbrannt<br />

worden.<br />

Im vierundzwanzigsten Brandt sieben Personen.<br />

Zween Knaben im Spital.<br />

Ein reicher Bütner.<br />

Der Lorenz Stüber, Vicarius im neuen Münster.<br />

Der Betz, Vicarius im neuen Münster.<br />

Der Lorenz Roth, Vicarius im neuen Münster.<br />

Die Roßleins Martin.<br />

Im fünfundzwanzigsten Brandt sechs Personen.<br />

Der Friedrich Basser, Vicarius im Dom Stift.<br />

Der Stab, Vicarius zu Hach.<br />

Der Lambrecht, Chor-Herr im neuen Münster.<br />

Des Gallus Hausen Weib.<br />

Ein fremder Knab.<br />

Die Schelmerey Krämerin.<br />

Im sechsundzwanzigsten Brandt sieben Personen.<br />

Der David Hans, Chor-Herr im neuen Münster.<br />

Der Weydenbusch, ein Raths-Herr.<br />

Die Wirthin zum Baumgarten.<br />

Ein alt Weib.<br />

Des Valckenbergers Töchterlein ist heimlich gerichtet und mit der Laden verbrannt<br />

worden.<br />

Des Raths-Vogt klein Söhnlein.<br />

Der Herr Wagner, Vicarius im Dom-Stift, ist lebendig verbrannt worden.<br />

Im siebenundzwanzigsten Brandt sieben Personen.<br />

Ein Metzger, Kilian Hans genannt.<br />

Der Hüter auf der Brücken.


88 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 89<br />

Ein fremder Knab.<br />

Ein fremd Weib.<br />

Der Hafnerin Sohn, Vicarius zu Hach.<br />

Der Michel Wagner, Vicarius zu Hach.<br />

Der Knor, Vicarius zu Hach.<br />

Im achtundzwanzigsten Brandt, nach Lichtmeß anno 1629 sechs Personen.<br />

Die Knertzin, eine Metzgerin.<br />

Der D. Schützen Babel<br />

Ein blind Mägdlein. NB.<br />

Der Schwartz, Chor-Herr zu Hach.<br />

Der Ehling, Vicarius.<br />

Der Bernhard Mark, Vicarius am Dom-Stift, ist lebendig verbrannt worden.<br />

Im neunundzwanzigsten Brandt sieben Personen.<br />

Der Viertel Beck.<br />

Der Klingen Wirth.<br />

Der Vogt zu Mergelsheim.<br />

Die Beckin bei dem Ochsen-Thor.<br />

Die dicke Edelfrau.<br />

NB. Ein geistlicher Doctor, Meyer genannt, zu Hach, und<br />

Ein Chorherr ist früh um 5 Uhr gerichtet und mit der Bar verbrannt worden.<br />

Ein guter vom Adel, Junker Fischbaum genannt.<br />

Ein Chor-Herr zum Hach ist auch mit dem Doctor eben um die Stunde heimlich<br />

gerichtet und mit der Bar verbrannt worden.<br />

Paulus Vaecker zum Breiten Huet.<br />

Seithero sind noch zwei Brändte gethan worden.<br />

Datum, den 16. Febr. 1629.<br />

Bisher aber noch viel unterschiedliche Brände gethan worden.<br />

György Ligeti<br />

Lux aeterna<br />

Lux aeterna luceat eis, Domine,<br />

Cum sanctis tuis in aeternum, quia pius<br />

es.<br />

Requiem aeternam dona eis, Domine,<br />

et lux aeterna luceat eis.<br />

Ewiges Licht leuchte ihnen, Herr,<br />

mit allen deinen Heiligen, denn du bist<br />

gut.<br />

Ewige Ruhe gib ihnen, Herr,<br />

Und ewiges Licht leuchte ihnen.<br />

György Ligeti, Lux aeterna | Schott Music


90 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 91<br />

Notturno<br />

Morton Feldman (1926-1987)<br />

Palais de Mari (1986)<br />

für Klavier<br />

Marino Formenti, Klavier<br />

2. August 2010, 23:00 Uhr<br />

Kirche St.Gallen<br />

Feldmans Letztes<br />

„Aus wenigstens zwei Gründen könnte Piano der Titel fast jeden Werks sein,<br />

das Feldman jemals schrieb. Denn er war nicht nur der Meister-Manierist des<br />

leisen, ruhigen Stücks, sondern auch seine gesamte Klangvorstellung kreiste<br />

um das Klavier.“ – Der Musikwissenschaftler Richard Toop brachte die weitreichende<br />

Bedeutung von Feldmans Klavierwerk mit diesen Worten auf den Punkt:<br />

Erhellend sind die Klavierstücke des amerikanischen Komponisten (1926-1987)<br />

nicht nur im Hinblick auf sein gesamtes Œuvre, ihre ruhende Strahlkraft reicht<br />

bis ins 21. Jahrhundert hinein. Der amerikanische Avantgardist und Erfinder<br />

einer musikalischen graphic notation entwickelte seine Pianostücke stets in<br />

enger Wechselwirkung mit den klanglichen Eigenschaften des Instruments,<br />

angefangen von den allein 29 zwischen 1950 und 1959 komponierten bis hin zu<br />

den späten Klavierwerken For Bunita Marcus (1985) und Palais de Mari (1986).<br />

Dabei wird offensichtlich, dass sich Feldman nicht nur als Interpret – so legen es<br />

die Aufnahmen mit ihm als Pianist nahe – , sondern auch als Komponist von den<br />

Prämissen des nachromantischen Virtuosentums freimachte. Denn Pianistisches<br />

tritt in der Klavierliteratur aus der Feder Feldmans eher in den Hintergrund.<br />

Demgegenüber erhielten die räumliche Dimension der Klavierklänge und ihr<br />

Verklingen in der Zeit eine zentrale Bedeutung in Feldmans Werken.<br />

Neben der für sein Spätwerk so charakteristischen, langsamen und stillen Musik<br />

schrieb Feldman zu Beginn der 1950er Jahre noch dynamisch und klanglich<br />

bewegtere Stücke. Die kontrastierenden Klangbilder langsam/leise und bewegt/<br />

dynamisch prägten Feldmans Kompositionen seit 1950 und wurden exemplarisch<br />

durch zwei Zyklen verkörpert, die nicht dem Klavier vorbehalten blieben: zum<br />

einen die erstmals graphisch notierten, stillen Projections, die sich auf den von<br />

Edgar Varèse gebrauchten Begriff der „Klangprojektion“ beziehen, und zum<br />

anderen die von dynamischen Kontrasten und teilweise rasanten Tempi gekennzeichneten<br />

Intersections. Während manche Klavierwerke aus dieser Zeit, wie<br />

Intermission 6 für wahlweise zwei Klaviere und Extensions 4 für drei Klaviere,<br />

nicht nur von einer „Multiplikation des Pianoklang“ (Peter Niklas Wilson) zeugen,<br />

sondern zum Teil auch die chaotischen Klangballungen der Intersections<br />

aufweisen, entsprechen die ausgedehnten Wiederholungsmuster in zeitgleich<br />

entstandenen Werken eher dem ruhigen Typ der Projections und deuten bereits<br />

auf Feldmans groß angelegte Erinnerungskompositionen („memory forms“)<br />

voraus: Ab 1980 weisen seine Stücke nämlich eine durchschnittliche Dauer<br />

von eineinhalb Stunden auf. Den Gipfelpunkt dieser Entwicklung markiert das


92 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 93<br />

String Quartett (II) (1983) mit einer Aufführungsdauer von (mehr oder weniger<br />

als) fünfeinhalb Stunden.<br />

Bereits gegen Ende der 1970er Jahre wurden Feldmans Klavierstücke, die von<br />

nun an bis zu seinem Tod wieder ausschließlich konventionell notiert wurden,<br />

immer länger. Zeitliche Extension entstand in den Jahren bis 1984 durch Repetition<br />

und Variantenbildung, davon zeugen auch die monumentalen Triadic<br />

Memories (1981). Im anschließenden Spätwerk erreichte diese Entwicklung<br />

ihren endgültigen Höhepunkt: Bei gleichzeitiger Reduktion des musikalischen<br />

Materials fand eine Dehnung der zeitlichen Proportionen statt. Die Dauer des<br />

Klavierstücks For Bunita Marcus (1985) liegt bei 75 Minuten!<br />

Diese Tendenz zur Länge scheint in seinem letzten Klavierwerk Palais de Mari aus<br />

dem Jahr 1986 jedoch wieder zurückgenommen. Es entstand im Auftrag seiner<br />

ehemaligen Schülerin, der Komponistin Bunita Marcus, mit der Feldman seit ihrer<br />

ersten Begegnung im Jahr 1976 bis zu seinem Tod ein enges künstlerisches und<br />

persönliches Verhältnis pflegte. Auf ihren Wunsch hin stellt Palais de Mari den<br />

kompositorischen Versuch dar, die Strukturen von Feldmans Riesengemälden<br />

auf ein kürzeres Klavierstück zu übertragen (die Aufführungsdauer beträgt je<br />

nach Interpretation zwischen zwanzig und dreißig Minuten).<br />

Anregungen für die Komposition empfing Feldman nicht nur von einer Fotografie<br />

des babylonischen Palastes von Mari, die er im Louvre gesehen hat. Ein spätes<br />

Gemälde von Emanuel Degas war ihm wenige Monate vor Beginn der Arbeit an<br />

Palais de Mari eine große Inspiration, wie die Komponistin und Frau Feldmans<br />

Barbara Monk einige Jahre später berichtete. Feldman sei im New Yorker Metropolitan<br />

Museum beim Anblick des Gemäldes ins Staunen darüber geraten, wie<br />

scheinbar mühelos die Farbe vom Maler auf die Leinwand aufgetragen wurde.<br />

Ähnlich dem Farbauftrag jenes Gemäldes, wirken auch die Noten zu Beginn von<br />

Palais de Mari schwerelos, mühelos dürfte dem Komponisten Feldman wohl<br />

ihre Platzierung innerhalb der Taktstriche von der Hand gegangen sein. Die in<br />

allen Bereichen asymmetrische Keimzelle des Klavierstückes setzt sich aus<br />

vier ineinander klingenden Tönen zusammen. Durch beständiges Betätigen des<br />

Sostenuto-Pedals gehen die Klänge permanent ineinander über und verwischen<br />

auf diese Weise die Identität der Gestalten. Der Vierklang des Anfangs, der<br />

sich im Prozess der fortwährenden Wiederholung allmählich verändert, nimmt<br />

schließlich impressionistische Klangfarben an. So fließt die Zeit pianissimo und<br />

ohne Höhepunkte in die Nacht hinein. Morton Feldman, Palais de Mari | 1986 Universal Edition A.G., Wien


94 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 95<br />

Abrumado<br />

Morton Feldman (1926-1987)<br />

For Bunita Marcus (1985)<br />

für Klavier<br />

Marino Formenti, Klavier<br />

2. August 2010, 4:30 Uhr<br />

Kirche St.Gallen<br />

Die ausdauernden Klänge<br />

Der amerikanische Komponist Morton Feldman (1926-1987) war der Meinung,<br />

dass Werke wie sein zweites Streichquartett aus dem Jahr 1883 mit einer Aufführungsdauer<br />

von über fünf Stunden keineswegs zu lang seien: „Die meisten<br />

sind sogar zu kurz. Ich empfinde, dass die Stücke eine natürliche Länge haben,<br />

damit sie ihr Leben ausleben können.“ Feldmans auf repetitiven Strukturen<br />

aufbauende „memory forms“ im Spätwerk fußen häufig auf kleinsten Keimen,<br />

die über einen ungewöhnlich langen Zeitraum wiederholt werden und einen Prozess<br />

der unspektakulären Veränderungen erleben, die den Hörer zur Aus-Dauer<br />

auffordern. Im Zeitlupentempo kommt es dabei zu einer Verkettung von „Déjà<br />

entendus“, die die Grenze zwischen soeben Gehörtem und „Jetzt!“ verwischen.<br />

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Begriffe, mit denen die Musik seit ihren<br />

Anfängen operiert –, scheinen in Feldmans späten Kompositionen ab 1984<br />

nicht mehr zu existieren. „Für mich ist jede Musik, die ein Konzept des Anfangs,<br />

der Mitte und des Endes hat, am Ende gleich, weil man bei dieser Konstruktion<br />

eine bestimmte Schrittabfolge machen muss“, so Feldman, dessen bevorzugte<br />

Kompositionsmethode die der nicht-identischen Wiederholung von Klanggestalten<br />

war. Im Feldmanschen Transformationsprozess befindet sich selbst das zeitliche<br />

und räumliche Beziehungsnetz der Wiederholung unentwegt im Umbau. Doch<br />

gleichzeitig wären seine Strukturen ohne die in ihnen enthaltenen Ähnlichkeitsbeziehungen<br />

nicht überlebensfähig.<br />

Diese Ambivalenz prägt das Klavierstück For Bunita Marcus von 1985, nach Triadic<br />

Memories (1981) das zweite von Feldmans extrem langen Klavierwerken. Das<br />

Stück ist der im Titel angesprochenen Komponistin und ehemaligen Schülerin Feldmans<br />

Bunita Marcus gewidmet und gehört mittlerweile zu Feldmans bekanntesten<br />

Klavierkompositionen. Nicht weniger als 75 Minuten dauerte die Uraufführung des<br />

Stückes in Middleburg. Feldman, der bereits in den 1970er Jahren wieder zur<br />

konventionellen Notation zurückkehrte, – da die unbestimmte Notation entgegen<br />

ihrer ursprünglichen Bestimmung „in den Aufführungen eher dazu neigte, historische<br />

Klischees zu wiederholen“ – schrieb das Klavierstück auf 36 Seiten bis<br />

ins letzte Detail aus. Das zweimalige cis im ersten Takt lässt schon aufhorchen,<br />

denn nur scheinbar sind diese Töne mit sich selbst identisch. Unterstützt vom<br />

Tonhaltepedal sorgt der musikalische Zeitfluss im Anschluss ununterbrochen für<br />

Variation und strukturiert auf diese Weise die wahrhaft malerische Oberfläche<br />

(Feldman sprach vom „painterly surface“) dieser Komposition.


96 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 97<br />

Der Komponist hat sich in For Bunita Marcus, was für ihn bis dahin sehr ungewöhnlich<br />

war, mit der auf dem Gebiet der Metrik zentralen Frage auseinandergesetzt:<br />

„Wie kommt man über den Taktstrich hinaus?“ Im Zusammenhang mit<br />

dieser Frage kam es zu Feldmans berühmter Aussage über das „schwarze Loch“:<br />

„Ich schrieb einen 4/4-Takt hin, liess einen gewissen Raum, zog dahinter einen<br />

Taktstrich und schrieb über den Taktstrich: ‚Das schwarze Loch des Metrums’,<br />

weil einige Leute nicht zu dicht an den Taktstrich herankommen wollen. In einer<br />

Menge Musik herrscht die Tendenz, sie stilistisch über den Taktstrich hinüberzuziehen.“<br />

– Feldmans Bestrebungen, über den Taktstrich hinweg musikalischen<br />

Zusammenhang zu schaffen, resultierte in For Bunita Marcus in einer besonderen<br />

metrischen Konzeption. Dem Metrum, das nicht auf den Parameter Rhythmus,<br />

sondern auf „die Zeit, die Dauer, die etwas beansprucht“ bezogen wird, kommt<br />

dort eine die Form bildende Funktion zu.<br />

Klar voneinander getrennte Abschnitte prägen das Notenbild von For Bunita<br />

Marcus. Auf Perioden der Instabilität, die Feldman mit Durchführungsabschnitten<br />

verglichen hat, folgen solche der Stabilität, in denen sogar wörtlich wiederholt wird.<br />

Während das Schriftbild, der Vergangenheit gegenüber versöhnlich eingestellt, auf<br />

ein Wiedererleben von Gewesenem hoffen lässt, bleibt das akustische Bild der<br />

Aufführung dem Zeitfluss unterworfen. Zu groß sind die Zwischenräume dieser<br />

Musik, zu weit die Räume, die die Zeit durchmisst. Bedrückend (abrumado), wie<br />

sich ihr Schleier über diese Klänge legt.<br />

Morton Feldman, For Bunita Marcus | 1992 Universal Edition A.G., Wien


98 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 99<br />

Lecture Concert<br />

Peter Ablinger (*1959)<br />

Weiss/Weisslich 18 „für Robert Ranke-Graves“ (seit 1992)<br />

2-Kanalstück für CD und Lautsprecher<br />

18.1: Birke, Eberesche, Esche, Erle, Weide, Weißdorn, Eiche<br />

18.2: Steineiche, Hasel, Wein, Efeu, Schlehe, Holunder<br />

18.3: Tanne, Ginster, Heidekraut, Espe, Eibe<br />

Weiss/Weisslich 11 (seit 1994)<br />

Lesung<br />

11b4: 18.8.98, 13:36-14:16, Sulztal an der Weinstrasse<br />

Weiss/Weisslich 24 (seit 1994)<br />

2-Kanalstück für CD und Lautsprecher<br />

24.a und b: Kirchen von St.Lambrecht 1-12, Version 1<br />

24.c und d: Kirchen von St.Lambrecht 1-12, Version 2<br />

Gesäuse Partitur (2010)<br />

Papierbögen, Kalkgestein<br />

aus: „Klänge auf Papier“ (seit 1999)<br />

3. August 2010, 17:00 Uhr<br />

Burg Gallenstein, St.Gallen<br />

Über die Werke Weiss/Weisslich 18, 11 und 24<br />

Von Peter Ablinger<br />

Weiss/Weisslich 18 „für Robert Ranke Graves“ (seit 1992)<br />

Einmal – ich glaube es war 1986, Hochsommer – bin ich bei einem Spaziergang<br />

durch die Felder östlich von Wien nahe der ungarischen Grenze – Haydns Geburtsort<br />

lag in der Nähe – auf etwas Merkwürdiges gestoßen: Das Getreide stand hoch<br />

und war wohl kurz vor der Ernte. Der heiße sommerliche Ostwind strich durch die<br />

Felder und plötzlich hörte ich das Rauschen. Obwohl es mir oft erklärt wurde, kann<br />

ich immer noch nicht sagen, wie sich Weizen- und Roggenpflanze voneinander<br />

unterscheiden. Aber ich hörte den Unterschied. Ich glaube, es war das erste Mal,<br />

dass ich außerhalb eines ästhetischen Zusammenhangs (etwa eines Konzerts)<br />

wirklich hörte. Oder es war überhaupt das erste Mal, dass ich hörte. Etwas war geschehen.<br />

Vorher und nachher waren kategorisch geschieden, hatten nichts mehr<br />

miteinander zu tun. Zumindest schien es mir damals so. Im Nachhinein erkenne/<br />

erinnere ich auch andere vergleichbare Erlebnisse, die mit einer ruckartigen Öffnung<br />

der Wahrnehmung zu tun hatten, aber der Spaziergang durch die Getreidefelder<br />

war vielleicht das Folgenschwerste. Denn auf die eine oder andere Weise, so scheint<br />

es mir, haben alle Stücke, die ich seither gemacht habe, mit dieser Erfahrung zu tun.<br />

Auch solche Stücke, die sich nicht dem Rauschen widmen, oder mit traditionellen<br />

Instrumenten gespielt werden etc.<br />

Nun, Weiss/Weisslich 18 ist wohl am unmittelbarsten dem geschilderten Erlebnis<br />

geschuldet. Das Vorhaben, verschiedene Bäume aufzunehmen, konkretisierte<br />

sich 1992: Damals las ich auch ein Buch von Ranke Graves über das keltische<br />

Baumalphabet, wodurch es mir erspart blieb, eine eigene Auswahl an Bäumen<br />

auszudenken. Robert Ranke Graves ist das Stück auch gewidmet. Die 18 Bäume,<br />

aufgeteilt in 3 Gruppen, sind:<br />

Weiss/Weisslich 18a<br />

Birke, Eberesche, Esche, Erle, Weide, Weissdorn, Eiche<br />

Weiss/Weisslich 18b<br />

Steineiche, Hasel, Wein, Efeu, Schlehe, Holunder<br />

Weiss/Weisslich 18c<br />

Tanne, Ginster, Heide, Espe, Eibe


100 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 101<br />

Weiss/Weisslich 11 (seit 1994)<br />

Lesung<br />

Seit 1994 entstehen Texte, für die ich mich jeweils 40 Minuten lang hinsetze und<br />

aufschreibe, was ich höre: Die Klänge meiner unmittelbaren Umgebung, geschrieben<br />

mit Tinte und in Großbuchstaben, in einem kontinuierlichen Schreibfluss und<br />

unabhängig von der tatsächlichen Ereignisdichte. Das heißt, wenn mehr passiert,<br />

als die konstante Schreibgeschwindigkeit erfassen kann, wird diese zum Filter, sie<br />

zwingt zur Auswahl. Wenn weniger passiert, kommt es zu Wiederholungen oder<br />

zur Beschreibung des Schreibgeräusches. Ich möchte gerne, dass diese Texte<br />

wie Musik wahrgenommen werden: man stellt sich den Klang vor, der gerade<br />

gelesen wird. Die Musik entsteht also im Kopf eines jeden Zuhörers. – Ich glaube,<br />

bei „richtiger“ Musik ist das auch nicht anders.<br />

Weiss/Weisslich 24 (seit 1994)<br />

2-Kanalstück für CD und Lautsprecher<br />

Seit ich die Brandenburgischen Kirchen aufgenommen hatte, mit ihren entfernten<br />

Nebengeräuschen, die sich meist von Außen, von der Umgebung kommend in<br />

das Grundrauschen der Mikrophonierung und des Raumes hineinzeichneten,<br />

– seither hatte ich den Wunsch, diese Untersuchung weiterzuführen, indem ich<br />

beim nächsten Mal darauf achten würde, dass die Umgebung so leise ist, dass<br />

von Außen gar nichts mehr Wahrnehmbares oder Aufzuzeichnendes in die mikrophonierten<br />

Innenräume eindringen könnte. Die Idee dabei war, einen Abdruck<br />

des Grundrauschens des jeweiligen Raumes zu erhalten, bzw. den Raum sich<br />

selbstabbilden zu lassen.<br />

1998 bot sich schließlich die Gelegenheit dafür, anlässlich eines mehrwöchigen<br />

Arbeitsaufenthalts im Steirischen Kloster St.Lambrecht, zu welchem eine Reihe<br />

von Kirchen gehören, unter ihnen die berühmte Wallfahrtskirche Mariazell, – aber<br />

das Wichtigste für mein Vorhaben: alle Kirchen lagen in eher abgelegenen Orten,<br />

großteils in den Bergen und fernab von großen Autobahnen und überregionalen<br />

Routen. Durch die Unterstützung des Klosters bekam ich nächtlichen Zugang zu<br />

den Kirchen, und vom IEM Graz die Aufnahmegeräte.<br />

24a: Kirchen von St.Lambrecht 1-6<br />

24b: Kirchen von St.Lambrecht 7-12<br />

24c: Kirchen von St.Lambrecht 1-6<br />

24d: Kirchen von St.Lambrecht 7-12<br />

In 24 a und 24 b wurde das Grundrauschen der Kirchen („Stille“) mikrofoniert. In<br />

24 c und 24 d wurde ebendieses Grundrauschen in allen 12 Kirchen im hinteren<br />

Teil des Raumes abgespielt und im Chorbereich wieder aufgenommen.<br />

Die Kirchen 1-6 sind: Schlosskapelle, Maria Schönanger, Heiligenstadt, Peterskirche,<br />

Stiftskirche, Karner.<br />

Die Kirchen 7-12 sind: Neumarkt, Karchau, Kärntnerisch Laßnitz, Mariahof, Scheifling,<br />

Mariazell.


102 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 103<br />

Solo pour trois<br />

Gérard Grisey (1946-1998)<br />

Solo pour deux (1981)<br />

für Klarinette und Posaune<br />

Wolfgang Rihm (*1952)<br />

Grund-Riss (2006)<br />

Studie für Kontrabassklarinette, Kontrabassposaune und Kontrabasssaxofon<br />

Georges Aperghis (*1945)<br />

À bout de bras (1989)<br />

für Klarinette und Oboe<br />

Ernesto Molinari, Klarinette<br />

Uwe Dierksen, Posaune<br />

Marcus Weiss, Saxophon<br />

3. August 2010, 18:30 Uhr<br />

Burg Gallenstein, St.Gallen<br />

Geblasene Experimente<br />

Zwei Duos und ein Trio für Blasinstrumente: Von einem „musikalischen Monolog<br />

im Zwischenraum zweier Instrumente“ (Wolfgang Hofer) in Solo pour deux über<br />

die abstrakte Darstellung räumlicher Gegebenheiten in Wolfgang Rihms Studie<br />

Grund-Riss bis hin zum sämtliche Kräfte fordernden À bout de bras von Georges<br />

Aperghis handelt es sich um Kompositionen, in denen mit Lust geforscht und nach<br />

Lösungen gesucht wird.<br />

Auf seinem Weg einer zunehmenden Verfeinerung der spektralen Kompositionstechnik<br />

komponierte Gérard Grisey (1946-1998) vor allem seit den 1980er Jahren<br />

wieder vermehrt für Soloinstrumente. Während es ihm in den zeitgleich entstandenen<br />

Orchesterwerken um das Verhältnis zwischen transparentem Soloinstrument und<br />

dem an Klangfarben reichen Orchesterapparat ging, befasst er sich in den kammermusikalischen<br />

Stücken zu dieser Zeit eher mit speziellen kompositionstechnischen<br />

Fragen der Oberton-Forschung. Stücke wie Solo pour deux (1981) oder das für<br />

Kontrabassklarinette geschriebene Anubis-Nout (1983) besitzen in dieser Hinsicht<br />

experimentellen Charakter.<br />

Grisey hegte die Utopie einer perfekten Verschmelzung der natürlichen Teiltöne<br />

verschiedener Instrumente in einem Klang. Nachdem er bereits in den 1970er<br />

Jahren mit der spektralen Überlagerung von Anfang- und Schlussteil zweier aufeinander<br />

folgender Stücke experimentierte, stellte Solo pour deux im Jahr 1981 nun<br />

den Versuch dar, die Obertonspektren von Klarinette und Posaune zu überlagern.<br />

Offensichtlich war es ohne weiteres möglich, so stellte sich heraus, die Spektren von<br />

Klarinette und Posaune gegenseitig für einander durchlässig zu halten und durch<br />

ihre Überlagerung Klänge hörbar zu machen, die das jeweilige Instrument für sich<br />

allein nicht hätte erzeugen können. So entstand in enger Wechselwirkung mit den<br />

spieltechnischen Möglichkeiten auf beiden Instrumenten Solo pour deux. Wie das<br />

„Solo“ im Titel bereits andeutet, werden dabei nicht nur „Zonen der Verschmelzung“<br />

im Zusammenwirken der beiden Instrumente erforscht, sondern auch jene Bereiche,<br />

in denen sich Klarinette und Posaune in ihrer Entfaltung behindern.<br />

„Sons multiphoniques“ werden in Solo pour deux nicht nur durch bestimmte Blastechniken<br />

und durch den Einsatz der menschlichen Stimme erzeugt, sondern auch<br />

indem etwa der Schalltrichter der Klarinette in den der Posaune eingeführt wird. Die<br />

auf diese Art und Weise entstehenden Klangspektren in Solo pour deux erzeugen<br />

Gegensatzpaare, die allerdings, so Grisey, auf einen „erotischen Ursprung“ zurück-


104 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 105<br />

zuführen sind: „Homoponhie – Diaphonie, Konsonanz – Dissonanz, harmonische<br />

Spektren – diffuse Spektren.“<br />

Weniger auf dem Feld der Kammermusik, als in größer besetzten Werken vollzog<br />

der deutsche Komponist Wolfgang Rihm (*1952) in den 1980er Jahren eine<br />

Hinwendung zum musikalisch Objekthaften, Skulpturalen. In den 1990er Jahren<br />

wurden dann Verfahren wie das der „Übermalung“ und der „Inskription“ sowie die<br />

„Kontrafaktur“ zunehmend wichtiger für seine Kompositionstechnik. Seit Über die<br />

Linie (1999) für Violoncello entstanden schließlich auch vermehrt Werke, in denen<br />

Rihm das Phänomen der musikalischen Linie thematisiert hat.<br />

Vor diesem Hintergrund wirkt der Titel seines Stückes für Kontrabassklarinette,<br />

Kontrabassposaune und Kontrabasssaxofon aus dem Jahr 2002, Grund-Riss, mehrdeutig:<br />

Einerseits deutet nämlich der durch einen Bindestrich freigestellte „Riss“ auf<br />

eine eindimensionale Erscheinung ähnlich der Linie hin. Andererseits verweist der<br />

im Titel enthaltene „Grund“ auf musikalische Tiefe. Durch die analytische Zerlegung<br />

des Wortes „Grundriss“ machte Wolfgang Rihm die in ihm enthaltenen Gegensätze<br />

sichtbar. Der Komponist reihte sich auf diese Weise ein in eine philosophische<br />

Tradition, deren Vertreter spätestens seit Martin Heidegger und mindestens bis<br />

Peter Sloterdijk in der Sprache nach existentiellen Wahrheiten suchten.<br />

Beim Grundriss handelt es sich zunächst um eine vom Gegenstand abstrahierte,<br />

zweidimensionale Abbildung einer räumlichen Gegebenheit. Grundrissdarstellungen<br />

finden sich in technischen Zeichnungen aller Art. Doch der Begriff bezeichnet auch<br />

die räumlichen Verhältnisse als solche, die Gegenstand der Abbildung sind. Darüber<br />

hinaus weisen Grundrissdarstellungen, da sie häufig während einer Konstruktionsphase<br />

entstehen, auch noch das Merkmal der Vorläufigkeit auf. Diesen Aspekte<br />

scheint Rihm im Untertitel „Studie“ berücksichtigt zu haben: Die Studie erforscht<br />

die Bedingungen des Materials und sucht nach Möglichkeiten seiner Entwicklung,<br />

ihr Geist ist ein experimenteller.<br />

Rihms Komposition bezieht sich auf beide Facetten des Begriffes Grundriss, auf<br />

die Flächigkeit des Grundrisses, dessen rechteckige Klangquadrate im Lauf der<br />

Betrachtung von hektisch aufgetragenen Punkten abgelöst werden. Daneben<br />

führt sie aber auch in tiefere Klangschichten hinab, lenkt von der musikalischen<br />

Oberfläche ab und legt den tieferen Grund dieses Trios frei.<br />

Der Weg des griechischen Komponisten Georges Aperghis (*1945) führte von Athen<br />

nach Paris, das Zentrum seines Schaffens blieb. Von den über hundert Werken,<br />

die Aperghis Œuvre umfasst, sind die wenigsten für große Besetzungen bestimmt,<br />

demgegenüber hat er der Kammermusik stets ein prominenterer Platz zugedacht.<br />

Für die unterschiedlichsten Besetzungen schrieb Aperghis Solos, Duos und Trios<br />

und entwarf für die Instrumente dabei stets neue Klangprofile: „Das ist, wie wenn<br />

man ein Bild von jemandem auf einem Foto sieht und sich fragt: wie klingt die Stimme?<br />

Ist sie nasal, ist sie hoch, ist sie tief? Hat er schwer geatmet oder leicht? Ein<br />

Instrument bleibt immer das gleiche. Doch die Frage lautet: Wie klingt die Stimme<br />

dieses Instruments in genau diesem Stück.“ Und was das Ausdrucksspektrum der<br />

Instrumente betrifft, so gibt es für Aperghis keine Grenzen: „Eine Klarinette, die<br />

wie eine Klarinette spielt, ist aber nicht das, was mich am meisten interessiert. Ein<br />

Sänger kann verschiedene Stimmen annehmen, mit Hauchen, ohne Hauchen, mit<br />

Vibrato, ohne Vibrato, er kann sogar schreien. Warum Instrumente nicht auch?“<br />

À bout de bras (1989) für Klarinette und Oboe (wahlweise auch für Saxophon) ist nur<br />

„unter großem Krafteinsatz“ zu schaffen, wie es die französische Redewendung sagt.<br />

Das Stück konfrontiert den Interpreten sowohl mit den Grenzen seiner Möglichkeiten<br />

als auch mit denjenigen des Instruments. Im vierfachen Forte werden die Vierteltöne<br />

von einem Instrument an das nächste weitergegeben, Interferenzen prägen das<br />

Klangbild. Nur durch ein Wunder (in diesem Fall durch rhythmische Stabilisierung<br />

erreicht) gelingt der Musik noch die Rückkehr in ein bekanntes Terrain.<br />

Gérard Grisey, Solo pour deux | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH


106 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 107<br />

Abîme – Abgrund<br />

György Ligeti (1923-2006)<br />

Études pour piano<br />

premier livre (1985)<br />

deuxième livre (1988-1994)<br />

troisième livre (1995-2001)<br />

(Ausgewählte Stücke)<br />

Nicolas Hodges, Klavier<br />

Eun-Hwa Cho (*1973)<br />

Jouissance de la différence (2010)<br />

für Ensemble<br />

Uraufführung<br />

Kompositionsauftrag des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />

Hèctor Parra (*1976)<br />

Abîme-Antigone IV (2002)<br />

für Flöte, Piccoloflöte, Oboe, Klavier, Violine, Viola und Violoncello<br />

Gérard Grisey (1946-1988)<br />

Talea (1986)<br />

für Violine, Violoncello, Flöte, Klarinette und Klavier<br />

ensemble recherche<br />

Melise Mellinger, Violine<br />

Barbara Maurer, Viola<br />

Åsa Åkerberg, Violoncello<br />

Martin Fahlenbock ,Flöte<br />

Jaime González, Oboe<br />

Shizuyo Oka, Klarinette<br />

Christian Dierstein, Schlagzeug<br />

Klaus Steffes-Holländer, Klavier<br />

3. August 2010, 20:30 Uhr<br />

Kirche St.Gallen<br />

Musik zwischen Höhen und Abgründen<br />

Abgründe tun sich in der Musik des Komponisten György Ligeti (1923-2006) permanent<br />

auf, ob im Chaos des Anfangs, in den hohlen Quinten eines Klavierstücks,<br />

oder den Tiefenschichten der Polyphonie.<br />

Der in Ungarn Geborene verwirklichte sein Konzept einer „hybriden Kunst“ (Dieter<br />

Wieschollek) in den Jahren 1985 bis 2001 in den drei Bänden seiner Études pour<br />

piano. Durchaus in der Tradition romantischer und nachromantischer Etüdensammlungen<br />

von Chopin bis Debussy stehend, sind Ligetis Etüden weit vom ursprünglichen<br />

Gattungskodex entfernt. Denn ihr Studiencharakter bezieht sich nicht so sehr auf<br />

das Erlangen von Fingerfertigkeit und auf Spieltechnisches – wenngleich die Etüden<br />

anfangs als unspielbar galten –, als auf die Entfaltung kompositionstechnischer<br />

Grundideen. Jedes der 18 Studienstücke entzündet sich an einem Impuls, der<br />

musikalisch-assoziatives, bildhaft-strukturelles Komponieren ermöglicht. Wie ein roter<br />

Faden zieht sich Ligetis Polyphonie – jene der Stimmen, der Metren, der Tonarten<br />

und der Modi – durch die Etüdenbände und erscheint wieder von neuem als eine<br />

der wichtigsten Strukturprinzipien seiner Musik. Mit der Vielstimmigkeit einher geht<br />

zudem eine komplexe Wechselwirkung zwischen Ordnungs- und Unordnungsprinzipien:<br />

Die „Unruhe“ in Desordre eröffnet die Etüden-Serie, ein Canon – Zeichen<br />

der Strenge – beendet sie.<br />

In Desordre (1) bewegen sich rechte und linke Hand nicht im Gleichmaß: Die linke<br />

spielt ausschließlich auf den schwarzen Tasten im pentatonischen Modus, während<br />

die rechte eine diatonische Melodie intoniert, sodass die Töne ein chromatisches<br />

Total ergeben. Nachdem die rechte Hand die diatonische Melodie des Stückes<br />

durchspielt, setzt die linke – gemäß dem Prinzip der Phasenverschiebung – nach<br />

wenigen Takten verschoben ein, zunächst um ein Achtel verschoben, dann um zwei<br />

Achtel usw. Die solcherart aufgebauten unterschiedlichen Zeit- und Raumebenen<br />

des rechten und linken Systems wirken wie die Stimmen eines polyphonen Gewebes<br />

in- und gegeneinander.<br />

Im Bild spricht auch das folgende Stück Corde à vide (2), dessen Titel auf „leere“<br />

Quintintervalle verweist. Touches bloquées (Blockierte Tasten) (3) schließlich ist unmittelbar<br />

„aus den Tasten und aus der Stellung der zehn Finger“ hervorgegangen, und<br />

wohl am besten mit dem Terminus Spielmusik umschrieben. Stumm niedergedrückte<br />

Tasten gleichen einkomponierten Unterbrechungen in die Läufe des Interpreten und<br />

erzeugen auf diese Weise rhythmische Irregularität. Von diesem Punkt aus führt das


108 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 109<br />

erste Heft zum zwölftönigen Fanfares (4) über die von der Jazzakkordik geprägte<br />

Etüde Arc-en-Ciel (5) bis hin zu den unterschiedlichen Geschwindigkeitsebenen in<br />

Automne à Varsovie (6).<br />

Das zweite Heft bringt Neues und Bekanntes: Es beginnt mit der Quasi-Gamelanmusik<br />

in Galamb borong (7), gefolgt von der Quintenetüde Fém (8) als Pendant<br />

zu Cordes à vide und dem Vexierbild Vertige (Schwindel) (9), das „zwischen den<br />

Läufen als Bewegung und ihrer Interferenz als statischem Bilde“ (György Ligeti)<br />

entsteht. Nach dem Vorbild der afrikanischen Musik, die sich durch Überlagerung<br />

verschiedener rhythmischer Muster auszeichnet, entstand „inherent patterns“ in<br />

Entrelacs (12). Die Teufelsleiter (13) führt schon nahe an den Abgrund – und zwar<br />

noch lange bevor es die Weiße-Tasten-Musik White on White (15) und der kurze<br />

Canon (18) im dritten Band tun.<br />

Der 1976 in Barcelona geborene spanische Komponist und Professor für Elektroakustische<br />

Komposition am Konservatorium in Saragossa Hèctor Parra suchte in<br />

seinen Werken wiederholt den Bezug zur griechischen Tragödie. Neben den Ideen<br />

der Avantgarde-Physik und den Strömungen der Bildenden Kunst interessiert er<br />

sich seit einigen Jahren für antike Tragödienwerke, vor allen Dingen für jene des<br />

Sophokles. Hier hat der Werkzyklus Antigone, dem Abîme (span. Abgrund) als letztes<br />

von vier Werken angehört, entstanden in den Jahren 2001/2002 und revidiert im<br />

Jahr 2010, seinen Ausgangspunkt. Der Analyse von Jacqueline de Romilly aus dem<br />

Jahr 1995 Folge leistend, hat Parra in Abîme die Prinzipien der Zeitstrukturierung<br />

der griechischen Tragödie aufgegriffen, um ihre Wahrnehmung in und durch Musik<br />

zu ermöglichen. Mit der Besetzung Flöte, Piccoloflöte, Oboe, Klavier, Violine, Viola<br />

und Violoncello zwischen Kammermusik und Kammeroper angesiedelt, werden in<br />

Abîme sämtliche musikalische Parameter, vom Rhythmus bis hin zur Instrumentierung<br />

verzeitlicht. Die musikalische Erfahrung dieser „tragischen“ Zeit wird – so hofft<br />

Parra – eine „Bereicherung der psychologischen Welt des Einzelnen“ sein.<br />

Zustände der Verdichtung und Entspannung und somit die Erfahrbarkeit von tragischer<br />

Zeitlichkeit in und durch Musik erreicht Parra, indem er das kompositorische<br />

Ausgangsmaterial von Abîme drei unterschiedlichen Wachstumsprozessen überlässt:<br />

dem Heranwachsen, der linearen und kontrapunktischen Erweiterung des Materials<br />

und zuletzt dem Vorgang des Verlöschens. Daraus entsteht der Verlauf des Stückes,<br />

den der Komponist mit folgenden Worten beschrieben hat:<br />

„Das Werk beginnt mit kurzen, lebhaften Phrasen, die von allmählich immer kürzer<br />

werdenden Fermaten unterbrochen werden. Sie tragen dazu bei, einen musika-<br />

lischen Erinnerungszustand zu schaffen, der heftig nach einer linearen Synthese<br />

verlangt. Schließlich setzt das Stück seinen eigenen Zeitfluss durch, der, gesteuert<br />

durch die Interaktion unterschiedlicher musikalischer Parameter wie Tempi, Takte,<br />

rhythmische Strukturen und gestische Dynamik, allmählich deformiert wird. Aus der<br />

Reibung zwischen den omnipräsenten accelerandi oder rallentendi und der Variation<br />

in der Dichte der rhythmischen Artikulation, die sich diesen Veränderungen der Zeit<br />

entgegensetzt, entsteht eine immer deutlichere Kurve.“ Um diese Zeitstruktur zu<br />

erfahren, ist die äußerte Konzentration auf die Erweiterung und Verknappung des<br />

Materials erforderlich. Nur so werden der Tragödie entsprechende Gefühle im Subjekt<br />

freigesetzt: „Diese ‚Zeitmaschinen’ wurden entworfen, um uns zu ‚abgründigen’<br />

Momenten zu führen wie am Ende des Piccolo-Violoncello-Duos oder jenem der<br />

Flötenkadenz –, beide im mittleren Teil des Werkes. Dort befreien sich die Gefühle<br />

und verweisen mit aller Heftigkeit auf die tragische Komponente der Einsamkeit der<br />

menschlichen Existenz.“<br />

Hèctor Parra, Abîme-Antigone IV | Tritó<br />

Wie eine Maschine läuft zunächst auch Talea (1986) von Gérard Grisey (1946-1988)<br />

vor allem zu Beginn des zweiteiligen Stücks für Violine, Violoncello, Flöte, Klarinette<br />

und Klavier. Im zweiten Teil schlägt der in Gang gesetzte Prozess in Freiheit um.<br />

In Talea befasste sich der französische Spektralist Grisey wieder mit „zwei Aspekten<br />

des musikalischen Diskurses“, von denen er sich durch seine Forschungsarbeiten<br />

zur instrumentalen Synthese entfernt hatte: mit der Geschwindigkeit auf der einen<br />

und mit dem musikalischen Kontrast auf der anderen Seite.<br />

Die kontrastive Gegenüberstellung zweier klanglicher Situationen und der Prozess<br />

einer diskontinuierlichen Annäherung von Gegensätzen charakterisiert das Ensemblestück<br />

Talea. Mit dem Titel knüpfte Grisey an die im Mittelalter übliche Abspaltung


110 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 111<br />

von Notenwerten und Tonhöhen an, die im parametrischen Denken der seriellen Musik<br />

im 20. Jahrhundert wiederkehrt. Der isorhythmischen Motette lagen rhythmische<br />

(talea) und melodische Wiederholungsmuster (color) zugrunde. Die Zweiteilung<br />

von Griseys Stück in einen maschinell verlaufenden und einen freieren Abschnitt,<br />

der „sehr gut Color genannt werden könnte“ (Grisey) und die Erinnerungen an den<br />

ersten Teil einfärbt, hat hier ihre Wurzeln. Die zwei Teile von Talea drücken so „zwei<br />

Gehörpunkte eines einzigen Phänomens“ aus.<br />

Zwei gegensätzliche Gesten, eine davon schnell, aufsteigend, fortissimo, die andere<br />

ruhig, absteigend, leise, setzen eine Gratwanderung zwischen Automatismus und<br />

Freiheit in Gang, die im zweiten Teil eine irrationale Schönheit hervorbringt:<br />

„Dieses Unkraut, diese wilden Blumen, die in den Zwischenräumen der Maschine<br />

wachsen, gewinnen an Bedeutung und wuchern, bis sie den Abschnitten, in denen<br />

sie sich wie Parasiten eingeschlichen haben, eine ganz und gar unerwartete Färbung<br />

geben.“ – Dieses Unkraut führt an den Rand des Abgrunds.<br />

Jouissance de la différence<br />

Von Eun-Hwa Cho<br />

Der Ausgangspunkt des Stückes ist Wiederholung. Wiederholung ist sowohl in der<br />

europäischen Musikgeschichte als auch in der abendländischen Musikgeschichte<br />

ein wichtiges formbildendes und satztechnisches Prinzip. In diesem Sinne spielt<br />

Wiederholung auch in diesem Stück eine wichtige Rolle.<br />

Alle musikalischen Gestalten, die in diesem Stück benutzt werden, kehren „verschoben“<br />

und „verkleidet“ immer wieder. Im ersten Teil des Stückes treten Differenzen<br />

auf, die durch die Wiederkehr von Elementen in Kombination mit anderen Elementen<br />

entstehen. Im späteren Teil werden dann die Beziehungen zwischen dem musikalischen<br />

Material und den differenzierte Gestalten thematisiert.<br />

Wie der Titel Jouissance de la différence nahelegt, ist das Stück durch Gilles Deleuze<br />

beeinflusst. Die Grundidee für das Stück stammt aus seinem Buch Différence<br />

et Répetition. Gérard Grisey, Talea | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH


112 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 113<br />

Schwarzer Peter<br />

Hanspeter Kyburz (*1960)<br />

Clôture (2009)<br />

für Chor und Bläser<br />

Bernhard Gander (*1969)<br />

aufstiegabstieg (2010)<br />

für drei Bläser<br />

Uraufführung<br />

Kompositionsauftra des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />

Johannes Maria Staud (*1974)<br />

Neues Werk<br />

Uraufführung<br />

Kompositionsauftrag des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />

Uwe Dierksen, Posaune<br />

Donna Molinari, Klarinette<br />

Marcus Weiss, Saxophon<br />

MusikerInnen aus den Blasmusikkapellen der Region<br />

SängerInnen aus der Region<br />

Mittwoch, 4. August 2010, 11:00 Uhr<br />

Haindlkar, Gesäuse<br />

Umzäunt<br />

Im Haindlkar, einer kesselförmigen Einbuchtung im Gebirge des Gesäuse mit<br />

einer Grundfläche von mehreren hundert Quadratmetern, erklingen neben dem<br />

mit Clôture betitelten Werk des schweizerischen Komponisten Hanspeter Kyburz<br />

Auftragskompositionen von Bernhard Gander und Johannes Maria Staud. Die<br />

Werke der österreichischen Komponisten Gander und Staud wurden speziell für<br />

ihre Aufführung im Haindlkar konzipiert und entstanden in enger Wechselwirkung<br />

mit den akustischen Begebenheiten des hochalpinen Gebirgstals. Besonders<br />

ausgeprägte Echo-Effekte sind dort nämlich zu vernehmen, die Schallwellen<br />

werden von den umliegenden Felswänden so zurückgeworfen, dass ein mehrfaches<br />

Echo entstehen kann, je nachdem, wo sich der Hörer dieses Naturspektakels<br />

befindet. Das Haindlkar-Echo bedeutete den Komponisten Einschränkung<br />

und Freiheit zugleich: Sie mussten die Unberechenbarkeit dieses Phänomens<br />

akzeptieren, um in eine freie künstlerische Auseinandersetzung mit dem von der<br />

Natur Gegebenen zu treten.<br />

Der in Lienz/Osttirol geborene Komponist Bernhard Gander (*1969) ist in den<br />

Bergen aufgewachsen. Aufstiegabstieg lautet der Titel seines Werkes, das im<br />

Haindlkar von drei Bläsern interpretiert wird. Doch nicht nur der Titel ruft die<br />

Erinnerung an Richard Strauss` Programmstück Eine Alpensinfonie wach. Wie<br />

Strauss in seinem alpenländischen Programmstück, so versuchte auch Bernhard<br />

Gander den Anstieg auf einen und den Abstieg vom Berg mit musikalischen Mitteln<br />

nachzuerzählen. Baritonsaxofon, Bassklarinette und Tenorposaune spielen sich<br />

gleichsam auf den Berg hinauf und wieder hinunter. „Markante, steinige Rhythmen“,<br />

„Melodielinien, die die Silhouette von Bergen nachmalen“, und Instrumente,<br />

die „in den höchsten Tönen“ schwärmen, wurden von der außermusikalischen<br />

Realität auf Ganders Weg zum Haindlkar inspiriert.<br />

Die Partitur von aufstiegabstieg lässt sich wie eine Geschichte lesen, in der es<br />

fortwährend hinauf und hinunter geht. „Ich habe immer Geschichten im Kopf. Denn<br />

Geschichten bewahren die Musik vor ihrer Beliebigkeit“, so der Komponist. In der<br />

vorliegenden Schilderung werden die zentralen Strukturmomente Hinauf/Hinunter<br />

zum Ausgangspunkt für innermusikalische Variationen und Prozesse. So basiert<br />

Ganders aufstiegabstieg auf Strukturverläufen und Intervallkombinationen, die<br />

Steigung und Gefälle und vor allen Dingen verschiedene Grade der Steilheit –<br />

je kleiner das Intervall, desto steiler der Weg – abbilden. Beständige „Variation<br />

des Einfachen“ bestimmt den notierten Verlauf. Für Komplexität sorgen dann die<br />

akustischen Verhältnisse, die den Ort der Aufführung auszeichnen.


114 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 115<br />

Im Zaun gehalten werden die Echo-Kompositionen von Bernhard Gander und Johannes<br />

Maria Staud durch die Komposition Clôture („Umzäunung“) aus der Feder<br />

Hanspeter Kyburz` (*1960). Der Schweizer Komponist war ehemals Schüler von<br />

Gösta Neuwirth und Hans Zender und ist seit dem Jahr 1997 Professor für Komposition<br />

an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Kyburz Stück für Chor<br />

und Bläser zeigt einerseits sein Faible für formale Strenge, andererseits aber auch<br />

seine große Vorliebe für die Unvorhersehbarkeit musikalischer Verläufe.<br />

Clôture (2009), das zu Beginn und am Schluss des Konzertes gespielt wird, thematisiert<br />

ein eigentlich metatheatrales Ereignis: Dieses wird mit Konzertklatschen in<br />

dreifachem Forte eröffnet, das über einen Zeitraum von acht bis zehn Minuten stetig<br />

leiser wird, bis keinerlei Applausgeräusche mehr zu vernehmen sind. Geklatscht<br />

wird vom Chor, der nebenbei noch die Anweisung erhält: „Tonloses, individuelles,<br />

hektisches ‚lautes’ Flüstern, immer ruhiger und leiser werdend“. Parallel dazu setzen<br />

die in drei Gruppen unterteilten Bläser ein homogenes Klangkontinuum aus<br />

übermäßigen Quarten in Bewegung, und zwar ganz im Gegensatz zum Chor im<br />

dreifachen Pianissimo. Individuelle Glissandi der Bläser sollen diesen „sauber“ gehaltenen<br />

Akkord verunreinigen. Die folgenden dreißig Sekunden sind dem langsam<br />

abnehmenden Nachhall der Bläserklänge vorbehalten. Was sich dann laut dem von<br />

Kyburz bis ins Detail durchdachten Zeitplan anschließt, bleibt offen.<br />

Der Schwarzer Peter genannte Wilderer agierte im 19. Jahrhunderts im Gesäuse.<br />

Der illegal operierende Wilderer hatte einen Durchschlupf (heute als Peternpfad<br />

bezeichnet) durch die scheinbar unüberwindlichen Nordwände gefunden und sich<br />

daraufhin mit den von kaiserlichen Banden ausgebeuteten Bauern von Johnsbach<br />

konspirativ verbündet.<br />

Im Haindlkar (mit Komponist Bernhard Gander) | Andreas Karl


116 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 117<br />

Canti Notturni<br />

Hèctor Parra (*1976)<br />

Piano Sonata (2010)<br />

für Klavier<br />

Uraufführung<br />

Kompositionsauftrag des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />

Salvatore Sciarrino (*1947)<br />

due notturni crudeli (2000)<br />

für Klavier<br />

Nicolas Hodges, Klavier<br />

Emilio Pomárico (*1954)<br />

ombre tenui, inquiete parole (1996)<br />

für Flöte, Oboe und Klarinette<br />

Tristan Murail (*1947)<br />

Garrigue (2008)<br />

für Bassflöte, Viola, Violoncello und Schlagwerk<br />

Salvatore Sciarrino (*1947)<br />

Muro d’orizzonte (1996)<br />

für Altflöte, Englischhorn und Bassklarinette<br />

ensemble recherche<br />

Melise Mellinger, Violine<br />

Barbara Maurer, Viola<br />

Åsa Åkerberg, Violoncello<br />

Martin Fahlenbock ,Flöte<br />

Jaime González, Oboe<br />

Shizuyo Oka, Klarinette<br />

Christian Dierstein, Schlagzeug<br />

Klaus Steffes-Holländer, Klavier<br />

4. August 2010, 20:00 Uhr<br />

Kirche St.Gallen<br />

Musikalische Allegorien der Nacht<br />

Die Musik zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eben erst aus ihren postromantischen<br />

Träumen erwacht, als sie einem hartnäckigen Prozess der Rationalisierung schon<br />

zum Opfer gefallen war. Angefangen von Schönbergs Erfindung der Zwölftontechnik<br />

bis hin zur seriellen Durchdeklinierung des musikalischen Materials schürte diese<br />

Entwicklung in den Komponisten die Illusion, alles Klingende sei beherrschbar. Doch<br />

das Rationale, das zuweilen ins Irrationale umschlug, verdeckte währenddessen<br />

eine andere, dunklere Hälfte der Musik…<br />

…Die Nachtseite spielt im Werk des Sizilianers Salvatore Sciarrino (* 1947), der wie<br />

Giuseppe Verdi Autodidakt war, eine große Rolle. In Stücken wie dem Ensemblewerk<br />

Introduzione all`oscuro (1991) und dem Musiktheaterwerk Luci mie traditrici (1998)<br />

ging es ihm um das Hörbarmachen innerer Vorgänge und das Sichtbarmachen des<br />

unendlichen Schwarz in diesem Inneren. Um die Nacht kreisen auch seine due<br />

notturni crudeli, die im Jahr 2000 entstanden und dem Pianisten Nicolas Hodges<br />

gewidmet sind. Diese Nachtstücke führen in entgegen gesetzte Klangwelten, das erste<br />

mit „Senza tempo e scandito“ überschrieben, basiert auf „unbarmherzig repetierten<br />

Klavierakkorden“ (Dirk Wieschollek), das zweite, im Charakter „furia, metallo“, wird<br />

von kreischenden Sekundeinwürfen strukturiert. Gleichzeitig bestehen aber durchaus<br />

Ähnlichkeiten zwischen den Stücken, vor allem was die Lage und Grundfarbe ihrer<br />

auf drei Systemen räumlich angeordneten Klänge anbelangt. Beide Notturni werden<br />

größtenteils von im Fortissimo angeschlagenen Klavierklängen in höchster Lage<br />

dominiert, die nicht das Dunkel der Nacht, sondern das grelle Innere des Subjektes<br />

veranschaulichen. Nicht finster ist es dort drinnen, sonder viel zu hell.<br />

Wie einen Krimi lässt der Komponist seine taktlose Musik ablaufen. Das schrille<br />

Weiß der Leinwand tritt gegen das Subjekt an. Mit äußerster Sorgfalt hat Sciarrino<br />

seine kompositorischen Entscheidungen getroffen, die Semantik von hohen und<br />

tiefen Klavierlagen zu nutzen gewusst und vermittels metrischer Einblendungen<br />

immer wieder Risse in die subjektive Erlebniszeit komponiert.<br />

In eine Welt der Schatten führt das Bläsertrio des in Buenos Aires geborenen<br />

Komponisten Emilio Pomárico (*1954). Sein ombre tenui, inquiete parole entstand<br />

von 1996 bis 1997 und wurde im Jahr 1998 von ensemble recherche uraufgeführt.<br />

Pomárico legte seinem Werk einige Zeilen aus der Feder der italienischen Dichterin<br />

Amelia Rosselli zugrunde, die kurz zuvor auf tragische Weise den Tod fand: „Ha<br />

le dita prese dal fastidio la luna, piena la notte, incomoda giù per i balconi nuovi.<br />

E’ tremante il quartiere d’ingiuria. La collina sciupa il nodo del sole”. Auf diesem


118 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 119<br />

kurzen Ausschnitt aus Rossellis Diario Ottuso basiert die strukturelle Physiognomie<br />

des Bläsertrios, denn ombre tenui, inquiete parole, gleicht einer musikalischen<br />

Verarbeitung der „innerlichen lebendigen Zweiseitigkeit“ von Rossellis Lyrik: „Das<br />

Stück artikuliert sich in zwei Sätzen (der traditionell musikalische Sinn, den ich<br />

diesem Begriff gebe, soll nicht irritierend wirken – für mich verbindet er sich mit<br />

dem Gefühl einer Reise durch die Zeit), die zwar ohne Kontinuität aufeinander folgen,<br />

doch in gewissem Maß Antithesen voneinander sind (Gefühl von Gegensatz,<br />

der freilich als Verhältnis der Rückseite der Medaille zu ihrer Vor-derseite gedacht<br />

werden muss: die völlige Verschiedenheit als ins Auge springendes Element der<br />

Untrennbarkeit). Der stark lyrische Charakter des ersten Satzes und der eher<br />

ekstatische Charakter des zweiten sind nichts anderes als der Versuch – der nur<br />

dem „musikalischen“ Fühlen und Hören gelingen kann – eines Weiterdenkens der<br />

innerlichen, lebendigen Zweiseitigkeit des dichterischen Wortes. Der Raum, der<br />

von der Unmöglichkeit einer Grenze zwischen dem semantischen Charakter und<br />

seinem reinen Klang ständig heraufbeschworen wird, bestätigt dabei die Gewissheit<br />

einer ideellen und notwendigen Heimat. Hier liegt der einzig mögliche Schutz vor<br />

der groben Welt der Dinge.“<br />

Bei Tristan Murail wird das Nächtliche zur Metapher für das Undurchsichtige.<br />

Der 1947 in Le Havre geborene, französische Komponist hat nach dem Studium<br />

der Wirtschaftswissenschaften, Politik und Arabistik, Ondes Martenot (ein elektronisches<br />

Tasteninstrument, benannt nach seinem Erfinder Maurice Martenot) sowie<br />

Komposition bei Olivier Messiaen studiert und gründete 1973 die Gruppe L`Itinéraire,<br />

die sich der Entwicklung der Spektralmusik widmete. Murails Experimente in elektronischen<br />

Studios und seit 1980 auch die Anwendung von computergestützten<br />

Kompositionstechniken wirkten sich nicht nur auf die Erzeugung künstlicher Klänge<br />

auch, sondern auch wieder auf das Komponieren mit traditionellen Instrumenten<br />

„zurück“. Von einer Abfolge komplexer Klangspektren erzählt sein Instrumentalstück<br />

Garrigue, das sich durch verschiedene musikalische Dichtegrade und ein spezielles<br />

Verhältnis zwischen Flächigkeit und Bewegung auszeichnet.<br />

Tristan Murail fasste den Anblick, der sich ihm vom Fenster seines Hauses in der<br />

Provence aus bot, im Jahr 2007 in das Bild einer an Klangfarben reichen Komposition<br />

mit dem Titel Garrigue. Entstanden als viertes und letztes Stück des Zyklus<br />

Portulan (benannt nach dem gleichnamigen Buch mit nautischen Informationen und<br />

Seekarten), geht auch Garrigue von einem autobiographischen Erlebnis Murails<br />

aus. In ihm bilden Bassflöte, Viola, Violoncello und Schlagwerk das unkontrollierbare<br />

Treiben in den Garrigues, den mediterranen Strauchheiden der Provence ab.<br />

Zwergsträucher wie Rosmarin, Thymian, Lavendel, kleine Wacholderbüsche und<br />

Milchsterne wachsen dort in einer Fülle, sodass im Sommer ein ständiges Vibrieren<br />

und Zirpen zu hören ist.<br />

Noch einmal gibt sich Salvatore Sciarrino als „der Horcher am Weltinneren“ (Claus<br />

Spahn) zu erkennen, dessen Klänge aus dem Nichts kommen, um wieder ins<br />

Nichts zu verschwinden. Die Reduziertheit aller musikalischen Parameter außer<br />

der Klangfarbe kennzeichnet auch den Beginn von Muro d`orrizonte, einem Stück<br />

für Altflöte, Englischhorn und Bassklarinette. Das Tonmaterial wurde von Sciarrino<br />

sehr sparsam disponiert, und gleicht dem sorgsamen Farbauftrag sparsamer Bildstrukturen.<br />

Als ob Sciarrino, der sich seit seiner frühesten Kindheit aktiv mit den<br />

bildenden Künsten beschäftigt hat, schwarze Kleckse malte – so klingen die ersten<br />

scharf akzentuierten, förmlich hinaus gestoßenen Klänge des Stückes. Doch dann<br />

gelangt sein typisches Repertoire an Spieltechniken und Klangerzeugungsarten<br />

zur Entfaltung, vom einfachen Flagolett bis hin zu speziellen Blastechniken wie<br />

tongue ram (bei der die erzeugten Töne in etwa eine große Septime tiefer klingen,<br />

als der Griff indiziert). Auf diese Weise erfahren die zunächst harmlosen Klänge<br />

eine Dynamisierung und Dramatisierung. Muro d`orrizonte ist auf dramatische<br />

Zuspitzung hin angelegt: Die Klangfarben verändern sich allmählich, sodass auch<br />

in uns von Zeit zu Zeit „dunklere“ Vorahnungen aufkommen.<br />

Piano Sonata<br />

Von Hèctor Parra<br />

Nachdem ich mit Peter Oswald darüber gesprochen hatte, ein groß angelegtes Werk<br />

für den Pianisten Nicolas Hodges zu schreiben, begann ich mit der Arbeit an meiner<br />

Klaviersonate. Die vorliegende Komposition ist das Ergebnis einer dialektischen<br />

Erkundung der unermesslichen Zwischenräume, die das Klanguniversum des Klaviers<br />

offen legt. Im ersten Teil des Stückes erleben wir diese Abstände unmittelbar<br />

und intensiv. Durch diese Empfindung von struktureller Instabilität sehen wir uns<br />

veranlasst, uns die vielschichtigen Klangprozesse vorzustellen, die sich zwischen<br />

den „Inseln“ dieses Klanguniversums ereignen.<br />

Im Hauptteil des Stückes geht es dann darum, die Lücke zu schließen, welche am<br />

Klavier zwischen Anschlag und Klang, zwischen der perkussiven, rhythmischen<br />

und quasi-vokalen Sprache einer ersten Gruppe und den extrem physiologischen<br />

und pianistischen Texturen einer zweiten klafft. Am Ende dieses dialektischen<br />

Entwicklungsprozesses sind neue Strukturen entstanden.<br />

Meine Erfahrung als Pianist war während des Kompositionsprozesses ausschlaggebend:


120 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 121<br />

Das unterschiedliche Material meiner Sonate entstand während einer langen<br />

Session am Klavier, bei der ich halb improvisierte und ohne Pause durchspielte.<br />

Wesentlichen Einfluss auf meine Vorstellungen vom Klavierklang hatten meine<br />

Forschungsarbeiten rund um das Violoncello am IRCAM in Paris, wo es vor allen<br />

Dingen darum ging, den Klang des Instruments in Echtzeit abzuwandeln, um ein<br />

vielförmiges organisches Spektrum zu erzeugen.<br />

In meiner Piano Sonata nützt nun der Pianist seine Stimme, um die Klänge zu<br />

imitieren, die er durch komplexe Aktionen auf den Klaviersaiten erzeugt. Auf diese<br />

Weise entsteht ein neues Universum quasi-menschlicher Klavierklänge.<br />

Salvatore Sciarrino, due notturni crudeli | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH<br />

Hèctor Parra, Piano Sonata | Parra


122 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 123<br />

Trilogy of the Americas<br />

Francisco López (*1964)<br />

Trilogy of the Americas (1995-2005)<br />

Live multi-channel immersive performance<br />

Ausschnitte aus<br />

La Selva (1997)<br />

Buildings [New York] (2001)<br />

Wind [Patagonia] (1995-2005)<br />

4. August 2010, 23:00 Uhr<br />

Burg Gallenstein, St.Gallen<br />

Trilogy of the Americas<br />

Trilogy of the Americas von Francisco López basiert auf Umweltaufnahmen des<br />

Komponisten aus den Jahren 1995 bis 2005. Die der Live-Komposition zugrunde<br />

liegenden Originalaufzeichnungen entstanden 1. auf der biologischen Forschungsstation<br />

La Selva in Costa Rica während der Regenzeit in den Jahren 1995 und 1996,<br />

2. in New Yorker Gebäuden zwischen Januar und März 2001, und 3. auf den weiten<br />

Ebenen des südamerikanischen Patagoniens in den Jahren 1995 bis 2005.<br />

Die kompositorische Struktur von Triology of the Americas beruht – in Anlehnung<br />

an das von Pierre Schaeffer entworfene Modell des objet sonore – auf der Phänomenologie<br />

des Klanges, das heißt: Nicht die semantische Funktion von Musik steht<br />

im Zentrum von López` Konzept, sondern ihr phänomenologisch-wahrnehmbarer<br />

Gehalt. Die Klänge repräsentieren somit keine außermusikalische Realität, sondern<br />

sind, was sie sind, zunächst nicht mehr.<br />

Für die Aufführung von Trilogy of the Americas werden Ausschnitte aus La Selva,<br />

Buildings und Wind gemixt, d.h. miteinander kombiniert und verschiedentlich überlagert.<br />

Die auf diese Weise entstehenden, heterogenen Klangobjekte entfalten und<br />

verteilen sich zuerst durch Spatialisierung im Raum und werden dann in Echtzeit<br />

neu kombiniert. López` mehrkanaliges, immersives Surround-System projiziert die<br />

Klänge in die Dunkelheit der Nacht und konstruiert solchermaßen eine virtuelle<br />

Realität (eine Immersion).<br />

Hinter den Spiegeln. Realität und Virtualität<br />

in der phänomenologischen Klangmaterie<br />

Von Francisco López<br />

Normalerweise werden Tonaufzeichnungen als Wiedergabe der Realität betrachtet.<br />

Eine Tonaufzeichnung kann aber – was vielen Menschen unbekannt ist – als eine<br />

rein musikalische Entität begriffen werden, oder, noch präziser ausgedrückt, als<br />

ein objet sonore, wie es Pierre Schaeffer vor mehr als einem halben Jahrhundert<br />

so treffend formulierte. Während Millionen von Menschen heute Auszüge der Realität<br />

festhalten und in Form von Fotos, Videos oder Klängen sammeln und zwar<br />

mit dem einzigen Ziel, diese Realität wiederum durch eine Illusion wahrzunehmen<br />

(gleichgültig wie schön oder emotionalisierend dies ist), so arbeiten manche von<br />

uns mit der Erkenntnis, dass diese Auszüge tatsächlich eine andere „Realität“


124 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 125<br />

darstellen. Während ich viele Jahre lang Umweltaufnahmen durchführte, machte<br />

ich es mir zur Gewohnheit, sehr genau hinzuhören, Nuancen und Details in Raum<br />

und Zeit auf eine hyper-realistische Art und Weise wahrzunehmen. Was aber noch<br />

wichtiger ist: ich erkannte den tiefgreifenden Unterschied von einem Zuhören als<br />

semantische Tätigkeit oder als phänomenologische Erfahrung. Dieser Unterschied<br />

erscheint noch größer, wenn man Aufnahmen macht und die Auszüge der damit<br />

gewonnenen Wirklichkeit, mit den gedanklichen Aufzeichnungen dieser Erfahrung<br />

und mit der phänomenologischen Substanz der neu festgehaltenen – klanglichen<br />

und wahrnehmbaren – „Wirklichkeit“ (die für sich allein stehen kann), vergleicht.<br />

Es ist für uns eine relativ unkomplizierte und natürliche Sache, diese sogenannte<br />

„Realität“ zu transformieren. Es geht nun darum zu verstehen, dass wir Menschen<br />

im Allgemeinen dazu neigen, die Wirklichkeit durch kognitive und interpretatorische<br />

Modelle wahrzunehmen. Anders ausgedrückt leben wir im Grunde genommen in<br />

einer „modellierten“ Wirklichkeit. Dies entfernt uns von der rohen Substanz der<br />

Wirklichkeit, etwas, das Maschinen (Rekorder, Kameras,...) ganz selbstverständlich<br />

und viel besser als wir es selbst können, abbilden. Wir transformieren die Wirklichkeit<br />

lediglich durch die Art und Weise, mit der wir mit ihr umgehen (zuhören,<br />

zusehen, erfahren), sowohl in unserer Echtzeit-Wahrnehmung als auch in den<br />

Gedächtnisspuren, die von ihr zurückbleiben. In einer Aufnahme transformieren<br />

wir die Wirklichkeit noch zusätzlich durch die verschiedenen, von uns verwendeten<br />

Schnittstellen (Mikrofone, Kodierungen, Abspielvorrichtungen...), aber auch durch<br />

die Menge an Informationen, die wir in Verbindung mit dem von uns Gehörten<br />

zurückhalten oder weitergeben. Manchmal ist das beabsichtigte Fehlen dieser<br />

Information bereits eine größere Umwandlung als jegliche Klangverarbeitung, die<br />

wir vornehmen könnten.<br />

Warum diese „Realität“ transformieren? Warum hinarbeiten auf die Unkenntlichkeit<br />

der gegenständlichen Entitäten, mit denen wir vertraut sind? Ich persönlich bin<br />

fasziniert von der Erschaffung und figürlichen Konstruktion von virtuellen Erfahrungswelten,<br />

die außerhalb der räumlichen, zeitlichen und materiellen Substanz<br />

der Wirklichkeit liegen. Das hat selbstverständlich nichts mit Simulation zu tun, die<br />

in der traditionellen virtuellen Realität ein grundlegendes Paradigma darstellt. Das<br />

Ziel, welches ich mit der Konstruktion einer „transformierten“ akustischen Virtualität<br />

verfolge, hat mehr mit Schöpfung im eigentlichen Sinn zu tun, nämlich mit der<br />

Erzeugung einer neuartigen, eindringlichen Erfahrung, welche dem Zuhörer oder<br />

Zuseher erlaubt, ein temporärer Bewohner dieser neuen, für sich selbst stehenden<br />

Wirklichkeit zu sein. Diese neue Realität ist für mich ein Medium, ein Zugang zu<br />

unseren individuellen und kollektiven inneren Gedächtniswelten, zu Fantasie und<br />

Rekonstruktion von Erfahrungen. Deshalb glaube ich, dass die akustische und<br />

musikalische Erfahrung und deren eigenständige Existenz lediglich durch den Akt<br />

des Zuhörens auf entsprechende Art und Weise vervollständigt oder erreicht werden<br />

kann und so als komponiertes oder aufgezeichnetes Werk noch nicht existiert.


126 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 127<br />

Dal niente al dente<br />

Eine musikalisch-kulinarische Performance<br />

Ernesto Molinari, Klarinette und Chef de cuisine<br />

5. August 2010, 20:00 Uhr<br />

Burg Gallenstein, St.Gallen<br />

Dal niente al dente<br />

Surprise I<br />

Ernesto Molinari, als begnadeter Klarinettist dem Publikum seit langem bekannt,<br />

als Gourmetkoch jedoch nur seinem nahen Umfeld.<br />

Beim <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> entwickelt er ein altes neapolitanisches Rezept für sein<br />

Publikum neu und spielt dabei Werke für Solo-Klarinette – ein Überraschungsprogramm.<br />

Surprise!


128 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 129<br />

Spuren<br />

Olga Neuwirth (*1968)<br />

Akroate Hadal (1995)<br />

für Streichquartett<br />

Beat Furrer (*1954)<br />

apoklisis (2004)<br />

für zwei Bassklarinetten<br />

Beat Furrer (*1954)<br />

still (1998)<br />

für Klavier und Ensemble<br />

Galina Ustwolskaja (1919-2006)<br />

Komposition Nr.1 “Dona nobis pacem” (1970/1971)<br />

für Piccoloflöte, Tuba und Klavier<br />

Mark Andre (*1964)<br />

Asche (2004)<br />

für Bassflöte, Klarinette, Klavier, Viola und Violoncello<br />

Kammerensemble Neue Musik Berlin<br />

Beat Furrer, Leitung<br />

Rebecca Lenton, Flöten<br />

Anja Schmiel, Oboe<br />

Winfried Rager, Klarinetten<br />

Theo Nabicht, Klarinetten / Saxophon<br />

Naama Golan, Trompete<br />

Daniël Ploeger, Posaune<br />

Robin Hayward, Tuba<br />

Sebastian Berweck, Klavier<br />

Steffen Tast, Violine<br />

Ekkehard Windrich, Violine<br />

Kirstin Maria Pientka, Viola<br />

Ringela Riemke, Violoncello<br />

Arnulf Ballhorn, Kontrabass<br />

Michael Weilacher, Schlagzeug<br />

Alexandre Babel, Schlagzeug<br />

6. August 2010, 20:00 Uhr<br />

Kirche St.Gallen<br />

Spuren, Hinweise<br />

Spuren weisen darauf hin, dass jemand oder etwas da war und sich nun im Verborgenen<br />

hält. In Form von Fußabdrücken und Materialablagerungen zeigen sie<br />

stets auf die Nichtverfügbarkeit des sie Verursachenden. Doch gleichzeitig sind<br />

Spuren für den, der auf der Suche ist, eine Offenbarung, da sie ihm nicht nur<br />

erzählen, was war, sondern auch, was alles noch möglich sein könnte. Um es mit<br />

den Worten eines französischen Philosophen zu sagen: Die Spur ist der „absolute<br />

Ursprung des Sinns“ (Jacques Derrida), sie verweist auf die „weißen Zonen“ der<br />

Vergangenheit, die es in der Kunst zu entdecken gilt.<br />

„Musik kann zunächst einmal gar nichts“, doch Olga Neuwirth (*1968) verkehrt<br />

ihre Wertung gleichzeitig wieder ins Gegenteil: „Nur, wenn es sie nicht gäbe, wäre<br />

es vielleicht für die Menschheit auch nicht besonders schön.“ Die österreichische<br />

Komponistin begibt sich in ihren Werken seit Mitte der 1990er Jahre auf die Suche<br />

nach diesem Nichts, indem sie den verwischten Spuren des gesellschaftlich<br />

Existenten folgt um daraus gleichsam ihre Schlüsse für die kommunikative Struktur<br />

ihrer Kompositionen zu ziehen. Olga Neuwirth wendet sich in „direkter Rede“ (Max<br />

Nyffeler) an die Gesellschaft und greift dafür auf mediale Darstellungstechniken<br />

wie Live-Elektronik und Videotechnik zurück. – Und dennoch entzieht sich ihre<br />

Musik einer Definition.<br />

Ihren freien Personalstil konnte die in Graz Geborene zunächst während ihrer<br />

Studienzeit am Conservatory of Music in San Francisco sowie am dortigen Art<br />

College entfalten: „Da wurde ich nicht wie bei uns in Europa danach gefragt, in<br />

welcher Tradition ich stehe.“ In Wien studierte sie von 1987 bis 1993 dann bei<br />

Erich Urbanner Komposition sowie bei Dieter Kaufmann und Wilhelm Zobl am<br />

Elektroakustischen Institut. Wesentliche Anregungen erhielt sie durch die Begegnung<br />

mit Luigi Nono, den Unterricht bei Adriana Hölsky und Tristan Murail sowie<br />

durch die Teilnahme am Stage d‘informatique musicale des IRCAM in Paris. Diese<br />

unterschiedlichen Einflüsse mündeten in Neuwirths integrativen Kompositionsansatz,<br />

der die Heterogenität des gesellschaftlich Relevanten in die Vielfalt musikalischer<br />

Darstellungstechniken verlagerte: So kennzeichnen unvermittelte Schnitte<br />

und kontrastive Gegenüberstellungen häufig das formale Erscheinungsbild ihrer<br />

Kompositionen. Auf der Basis eines im Vorhinein festgelegten Zeitrasters wird<br />

das Material durch Schnitt-, Überlagerungs- und Montagetechniken strukturiert.<br />

Innerhalb der einzelnen Ab-Schnitte darf sich das Material jedoch durchaus aus<br />

seinen Zwängen befreien und frei entfalten.


130 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 131<br />

Um die Befreiung gesellschaftlich präformierter Klänge ging es Olga Neuwirth auch<br />

in ihrem Streichquartett Akroate Hadal aus dem Jahr 1995. Wie in dem unmittelbar<br />

im Anschluss entstandenen ?risonanze!: für Violine d`armore, kommt es in Akroate<br />

Hadal durch minimale Verstimmungen der Saiten zu mikrotonalen Interferenzen.<br />

Neben der Verstimmung der Streichersaiten durch Skordatur – in den Erläuterungen<br />

zur Partitur heißt es unter anderem: Saite herunter stimmen „bis kurz vor der Erschlaffung“<br />

– verstärken ungewöhnliche Klangerzeugungsarten und Spieltechniken<br />

die Tendenz dieser Musik zum Geräuschhaften. Die Saiten der Violine werden mit<br />

Büroklammern präpariert, einem Plektron in Schwingung versetzt, oder angekratzt,<br />

doch der extrovertierte Gestus dieser Geräuschklänge verkehrt sich unentwegt<br />

ins Gegenteil. In Anlehnung an das mit dem Titel angesprochene Fabeltier „Vampyrotheutis<br />

Infernalis“ erinnert Akroate Hadal vielmehr an „einen sich windenden<br />

Organismus, der die von ihm hervorgebrachte Musik wieder in sich einzusaugen<br />

und förmlich zu verschlingen scheint“ (Stefan Drees).<br />

Wie Neuwirths Akroate Hadal so fußt auch Beat Furrers (*1954) apoklisis für zwei<br />

Bassklarinetten aus dem Jahr 2004 auf Interferenzen. Der österreichische Komponist<br />

und Dirigent schweizerischer Herkunft, der Verflechter filigraner Stimmverläufe, die<br />

auch im Fortissimo noch ein lautes Flüstern von sich geben, komponiert mit dem<br />

Bewusstsein, „dass jede Klanglichkeit einen bestimmten Raum hat, dass sich ein<br />

Klang im Raum bewegt und sich dabei verändert.“ So spielt das „Meta-Instrument“<br />

Raum auch in seinem Duo für Holzblasinstrumente eine große Rolle: apoklisis für<br />

zwei Bassklarinetten ergründet, was passiert, wenn „die beiden Klarinetten eine<br />

Schwebung spielen und sich gleichzeitig Schritt für Schritt voneinander weg bewegen.“<br />

Über den wichtigen Nebeneffekt, den die Komposition von komplementären<br />

Bewegungsabläufen mit sich bringt, sagte der Komponist: „Dabei soll man auch<br />

erfahren, soll man auch sehen können, warum sich ein bestimmter Klang verwandelt,<br />

was sich an den Wänden des Raumes, in dem das Publikum sitzt, verändert,<br />

oder den Bewegungen außerhalb des Raumes nachspüren.“<br />

Das im Titel enthaltene Begriffspaar „Abweichung/Annäherung“ bezieht sich nun<br />

einerseits auf die Bewegung im Raum (auf das sich voneinander Wegbewegen<br />

der Musiker) und andererseits auf den bewegten Klang (auf die Bewegung, die<br />

durch die Überlagerung zweier Schallwellen entsteht). Einem gegenseitigen sich<br />

Annähern „im“ Klang, entspricht ein voneinander Abweichen der Interpreten.<br />

In still (1998) für Klavier und Ensemble – der ursprüngliche Titel lautete wie die<br />

spätmittelalterliche Satztechnik „Hoquetus“ – versuchte Furrer die Bewegungsabläufe<br />

„einer mit hoher Geschwindigkeit lautlos rotierenden Metallscheibe“ in klingende<br />

Bilder zu übersetzen. Das Rotieren der Scheibe wird vom Betrachter gar nicht mehr<br />

wahrgenommen, ihre „unendlich energiegeladene Fläche (gefärbtes Rauschen)“<br />

erzeugt sogar eine ungewöhnliche Stille, bis sie sich wieder im lauten Geräusch<br />

entlädt. „Ein einziger forthallender Ton aus tausend Lerchenkehlen schlägt durch<br />

die brütende Sommerluft…“ – so lautet ein Zitat Georg Büchners, das für Furrer<br />

die ereignishafte Bewegungslosigkeit der Metallscheibe ins Bild fasste.<br />

„Still“ bezieht sich auf das Stille, Ruhige, aber gemäß seiner englischen Bedeutung<br />

auch auf das „immer noch“, auf eine „pulsierende Bewegung, die manchmal hörbar,<br />

manchmal weniger hörbar sich eigentlich durch das ganze Stück“ (Uli Fussenegger)<br />

zieht. Und still steht für Furrers Vorstellung von Zeit als nicht-linearem Prozess,<br />

„als ein Medium der Anwesenheit, indem alles wiederkehrt und doch nichts gleich<br />

ist – weil sich der Blick darauf konstant verändert“ (Wolfgang Fuhrmann). Während<br />

in apoklisis der Raum der Musik eine große Rolle spielt, scheint es in still die<br />

räumliche Vorstellung von Zeit zu sein, die zentral für das Werk ist. Der Komponist<br />

hat dies im Zusammenhang mit der klanglichen Entwicklung, des Stückes näher<br />

ausformuliert: „Im ‚Ausgangsklang’ ist immer schon ein ‚Zielklang’ enthalten: linearer<br />

Verlauf wird zur vielschichtig bewegten Fläche.“<br />

Fortschrittlichkeit, die im Übergang vom Alten zum Neuen entsteht, scheint für diese<br />

Musik kein Kriterium zu sein. Still wird eher von einem Kontinuum der Zeiten beseelt,<br />

indem Gewesenes und Zukünftiges im Augenblick zusammenschießt. Furrers<br />

Metallscheibe kreist um eine Stimme, von der auch Georg Büchner in Leonce und<br />

Lena spricht. Dieses Zitat stellt der Komponist bezeichnenderweise auch an den<br />

Schluss einer Werkeinführung: „Es reden viele Stimmen über der Erde und man<br />

meint sie sprächen von andern Dingen, aber ich hab` sie verstanden… wie sich<br />

diese Stimme durch den Raum gießt. – Ist denn der Weg so lang?“<br />

Im Werk der 1919 in Petrograd (St.Petersburg) geborenen und 2006 ebendort verstorbenen<br />

Galina Ustwolskaja hat eine tiefe Religiosität ihre Spuren hinterlassen.<br />

Nur wenige autorisierte Werke hat die Komponistin der Nachwelt hinterlassen, die<br />

den sozialistischen Realismus in ihren Kompositionen bald nicht mehr den Vorstellungen<br />

der Zensurbehörden entsprechend bedient hat. Sie, die im sowjetischen<br />

Musikleben eine Außenseiterrolle einnahm, wurde wegen ihrer künstlerischen<br />

Eigenständigkeit von Dimitri Schostakowitsch bewundert. In einigen Kompositionen<br />

Schostakowitschs finden sich Ustwolskaja-Zitate und der Lehrer prophezeite<br />

seiner ehemaligen Schülerin damals weltweiten Erfolg. „Ich bin überzeugt, dass die<br />

Musik Galina Ustwolskajas weltweite Anerkennung finden wird bei allen, die der<br />

Wahrhaftigkeit in der Musik entscheidende Bedeutung beimessen.“


132 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 133<br />

Ustwolskajas religiöse Komposition Nr. 1 mit dem Zusatz „Dona nobis pacem“<br />

entstand in der Zeit von 1970 bis 1971 und zeigt die Vorliebe der Komponistin für<br />

einmalige, außergewöhnliche Besetzungen: „Dona nobis pacem“ für Piccoloflöte,<br />

Tuba und Klavier ist das erste von insgesamt drei rein instrumentalen Werken, die<br />

sich auf ausgewählte Abschnitte des lateinischen Messtextes beziehen (nach Nr.<br />

1 folgten 1973 die Komposition Nr.2, „Dies irae“ für 8 Kontrabässe, Schlagzeug<br />

und Klavier und 1975 die Komposition Nr.3, „Benedictus, qui venit“ für 4 Flöten, 4<br />

Fagotte und Klavier). Die der Komposition Nr. 1 zugrundeliegende Friedensbitte<br />

„Dona nobis pacem“ erklingt nach der dreimaligen, litaneiartigen Christusanrufung<br />

(des Lamm Gottes) im Agnus Dei.<br />

Der Dreiteiligkeit eingedenk, komponierte Ustwolskaja eine dreiteilige, durchaus<br />

thematisch sich entwickelnde Variation über das Klage- und Seufzerintervall Sekund<br />

und schloss in ihr Stück auf diese Weise auch die Tradition abendländischer Kunst<br />

und geistlicher Musik mit ein. Die Phrase, welche die Tuba eingangs im Fortissimo<br />

vorstellt, gefolgt von zwei ineinander verschachtelten Sekundfolgen und einem<br />

strukturbildenden Glissando, gibt schon die Richtung vor, die Ustwolskajas Trio<br />

einschlägt: In ihrer Komposition führt die Arbeit mit Kleinstzellen zu einer Verdichtung<br />

des Materials, die in „Sekundhäufen“ und mit Fäusten und Unterarmen ausgeführten<br />

Clustern kulminiert. Dabei weist das Notenbild sämtliche Charakteristiken von<br />

Ustwolskajas typischen Schreibstils auf: ohne Taktstriche notiert, rhythmisch und<br />

metrisch fasslich strukturiert, von Terrassendynamik und dynamischen Extremen<br />

gekennzeichnet.<br />

Der im weitesten Sinne religiöse Impuls durchdringt auch die Musik des französischen<br />

Komponisten Mark Andre. Der 1964 in Paris Geborene (seit dem Jahr 2007 lässt<br />

er den französischen Akzent seines Nachnamen weg) studierte unter anderem bei<br />

Gérard Grisey, einem Wegbereiter der Spektralmusik, in Frankreich und bei Helmut<br />

Lachenmann, dem Begründer der „musique concrète instrumentale“, in Deutschland.<br />

Lachenmann hat die Musik seines ehemaligen Schülers trotz ihrer vororganisierten<br />

Zeit/Klangräume und ihrer objektivierten Datensysteme als anrührend beschrieben<br />

und Andres „Lust an der Utopie“ betont: Seine „Klänge beziehen ihre Kraft aus der<br />

utopischen Perspektive, die sie repräsentieren. So schön sie sind, sie weisen auf<br />

Anderes, Unfassbares.“ Und der Lehrer sprach über den transzendenten Urgrund<br />

dieser utopischen Klangwelt. Andres Musik reagiere insbesondere auf die Erfahrung<br />

von Vergänglichkeit, Krankheit und Tod. „Wer diese Musik hört, sich ihr aussetzt,<br />

wird vom Zuhörenden zum Hörenden, zum Beobachtenden, zum Wahrnehmenden,<br />

zum Ahnenden, will sagen: zum Fragenden, will sagen: zum Entdeckenden seiner<br />

eigenen Sensibilität“.<br />

Häufig tragen Andres Werke Titel, die mehr als eine Bedeutung haben und zwischen<br />

Leben und Tod vermitteln, so auch das 2004 komponierte und 2005 revidierte Stück<br />

Asche für Bassflöte, Bassklarinette und Klarinette, Viola, Violoncello und Klavier.<br />

Zunächst fällt die Skalierung einzelner Parameter auf, etwa des Bogendrucks<br />

der Streicher oder des Geräuschanteils unterschiedlicher Blastechniken, die auf<br />

Andres serielle Art zu denken zurückzuführen sind. Für die Streichinstrumente<br />

ebenso wie für die Blasinstrumente und das Klavier existieren eine Vielzahl von<br />

außergewöhnlichen Klängen erzeugende Spielanweisungen. Sie reichen von<br />

„Cluster mit der Handfläche auf die Saiten“ bis hin zu „die Saiten mit einem Stück<br />

Fahrradreifen aus Kautschuk (ungefähr 6 cm 2 ) reiben“ und verraten den Einfluss<br />

von Lachenmanns subtiler Geräuschmusik. Doch im Verlauf des zehnminütigen,<br />

auf vordisponierten Zeitrastern aufbauenden, Stücks fällt vor allen Dingen seine<br />

klangfarbliche Ambivalenz auf: Diese Asche ist grau, weiß, schwarz. Doch sie ist<br />

auch Transformation des ehemals Bunten und lässt die Spuren des Lebendigen in<br />

den Nuancen einer zwischen Farbigkeit und Farblosigkeit changierenden Klangwelt<br />

ganz offensichtlich werden.<br />

Galina Ustwolskaja, Komposition Nr.1 | Sikorski


134 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 135<br />

Jam Session<br />

Ernesto Molinari, Klarinette<br />

Uwe Dierksen, Posaune<br />

Robyn Schulkowsky, Schlagzeug<br />

6. August 2010, 22:30 Uhr<br />

Turnhalle St.Gallen<br />

Jam Session<br />

engl. to jam improvisieren, session Sitzung<br />

Der Klarinettist Ernesto Molinari, der Posaunist Uwe Dierksen und die Schlagzeugerin<br />

Robyn Schulkowsky finden sich in ein improvisierendes Spiel ein, bei dem<br />

sie im Vorhinein nie wissen, was sie erwartet.


136 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 137<br />

Clouds<br />

Arnold Schönberg (1874-1951)<br />

Streichtrio op.45 (1946)<br />

Miroslav Srnka (*1975)<br />

Tree of Heaven (2010)<br />

für Violine, Bratsche und Violoncello<br />

Uraufführung<br />

Kompositionsauftrag des WDR<br />

Friedrich Cerha (*1926)<br />

9 Bagatellen (2008)<br />

für Streichtrio<br />

Iannis Xenakis (1922-2001)<br />

Ikhoor (1978)<br />

für Streichtrio<br />

Zebra Trio<br />

Ernst Kovacic, Violine<br />

Steven Dann, Viola<br />

Anssi Karttunen, Violoncello<br />

7. August 2010, 20:00 Uhr<br />

Burg Gallenstein, St.Gallen<br />

Hinter den Wolken<br />

„Aus dem Trümmerfeld wird wieder ein Kraftfeld.“ – So soll sich der deutsche<br />

Komponist Helmut Lachenmann nach einer Aufführung von Schönbergs Streichtrio<br />

op. 45 geäußert haben. Enthusiastisch fiel sein Urteil vor allem über Schönbergs<br />

Zwölftonkomposition aus, die, aus den „Fetzen der Vergangenheit“ zusammengesetzt,<br />

vor seinen Augen ein ganz neues Bild ergab. Arnold Schönberg (1874-1951)<br />

zog in seinem Kammermusikwerk aus dem Jahr 1946 das Resümee einer langen<br />

Gattungsgeschichte und verarbeitete der variativen und strukturell freien Anlage<br />

des Streichtrios entsprechend unterschiedliche Deklamationsstile und musikalische<br />

Genres.<br />

Doch dieses Spätwerk Schönbergs kreist nicht nur um Gattungsgeschichtliches.<br />

Es ist gleichzeitig auch eine „humoristische Darstellung“ eines ganz persönlichen<br />

Erlebnisses: In den USA erlitt der Komponist im Jahr 1946 einen Herzinfarkt, von<br />

dem er sich nur langsam erholte. Kurz darauf begann er mit der Komposition des von<br />

der Harward University in Auftrag gegebenen Streichtrios, in dem er Krankheit und<br />

Genesung verarbeitete. Schönbergs Aufarbeitung spiegelt sich in der zerklüfteten<br />

Zeitstruktur des Werkes wider. Darüber hinaus wird das persönlich Empfundene<br />

von Zitaten aus der Musikgeschichte chiffriert: Hörbar werden „Visionen nie zuvor<br />

gehörter musikalischer Sprachen, […] ebenso wie nahe und ferne Erinnerungen<br />

ans Idiom der Romantik und ans alte Wien, in traumhafter, sublimierter, irreal verzauberter<br />

Gestaltlaut“ (Heinz Klaus Metzger). Doch nicht nur mit seinem Klang- und<br />

Melodienreservoir, sondern auch in seinem Formverlauf sucht das Streichtrio den<br />

Bezug zur Tradition. Denn trotz der Verdichtung der mehrteiligen Form in einem<br />

Satz mit „double-function“ wird ein gewohntes Wiederholungs- und Variationsprinzip<br />

angewendet. Doch dafür herrscht im Kleinen rege Unmittelbarkeit: So sind die<br />

musikalischen Gedanken bisweilen kaum zu Ende geführt und werden schon vom<br />

nächsten abgelöst. Kaum eine Idee hält sich länger als drei Takte und auch die<br />

Spielweisen zur Erzeugung von relativ geräuschhaften Klängen ändern sich beinahe<br />

jeden Augenblick: Quasi Triller, Flagolett, Spiccato, Col legno, Sul ponticello (das<br />

Schönberg zufolge einen „unkörperlichen Klang“ erzeugen soll).<br />

Die Neun Bagatellen für Streichtrio des österreichischen Komponisten Friedrich<br />

Cerha (*1926) erinnern an die Miniatur- und Momentformen des Schönberg-<br />

Schülers Anton Webern und stehen, wenn auch in losem, so doch in Bezug zu<br />

Anton Weberns Sechs Bagatellen (1911). Cerhas neun „Kleinigkeiten“ entstanden<br />

auf Anregung von Ernst Kovacic und stellten seinen ersten Versuch seit Anfang der


138 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 139<br />

1950er Jahre dar, sich wieder in dieser Gattung zu versuchen. Cerha sprach über<br />

die Entstehung der Neun Bagatellen, die strukturellen Implikationen der Gattung<br />

Streichtrio und seine kompositorische Umsetzung:<br />

„Das musikalische Denken für die Streicher hat mich sofort gereizt. Es fördert ein<br />

Eingehen auf drei gleichberechtigte Individuen und zwingt noch mehr als das Streichquartett<br />

zu einem Miteinander oder Nebeneinander von polyphonem, stimmigem<br />

Geschehen, eine Hierarchie der Stimmen hat hier viel weniger Platz. In mir hat sich<br />

in den letzten Jahren eine Abneigung gegen den Fluss von breit ausgesponnenen<br />

„gearbeiteten“ Verläufen entwickelt; umso wichtiger wurde mir Direktheit, die möglichst<br />

griffige Gestaltung des unmittelbaren spontanen Einfalls.<br />

Ich habe mich schon in den 1970er Jahren – bei der Herausgabe von Weberns<br />

nachgelassenen Orchesterstücken und -fragmenten von 1913 – mit der knappen<br />

Form und zyklischen Reihung solcher Kleinformen auseinandergesetzt. Das führte<br />

zur Kleinräumigkeit, wie etwa in den Orchesterstücken Momente und Instants,<br />

innerhalb größerer Werke, aber auch zu Kurzformen wie in Flöten- und Klarinettenstücken<br />

mit Klavier.<br />

In beiden Fällen sah ich mich gezwungen, über eine überzeugende Dramaturgie<br />

des Ablaufs nachzudenken und trotz unterschiedlicher Charaktere erkennbare<br />

Materialbeziehungen herzustellen. Dem entsprechen die Bagatellen für Streichtrio,<br />

neun stark unterschiedene Miniaturen, die – wie ich hoffe – trotzdem im Ablauf eine<br />

zwingende Einheit bilden.“<br />

Während Cerha für jede seiner Neun Bagatellen ganz neue Materialmaßstäbe setzte<br />

und seine wechselnden kompositorischen Ideen in diesen knappen Formen auch<br />

auf engstem Raum auszubilden wusste, konzipierte Iannis Xenakis (1922-2001)<br />

sein Werk für Streichtrio mit dem Titel Ikhoor als Unform. Xenakis hatte nicht nur<br />

ein Faible für stochastische (die Wahrscheinlichkeitstheorie betreffende) Kompositionsmethoden,<br />

sondern, als ehemaliger Assistent von Le Corbusier in Paris, auch<br />

eine Vorliebe für die bildhafte musikalische Übersetzung musikfremder Strukturen:<br />

Seien es das Schlangenhaar der Gorgonin Evryali oder die rhythmische Struktur<br />

der Gedichte einer griechischen Lyrikerin, oder etwa jene durchsichtige Flüssigkeit<br />

mit Namen Ikhoor, die anstelle des Blutes in den Adern der Götter fließt.<br />

In Ikhoor, uraufgeführt im Jahr 1978 an der Pariser Opéra, fließt es einmal schneller,<br />

einmal langsamer, gerät ins Stocken und nimmt an Geschwindigkeit zu. Komplizierte<br />

rhythmische Proportionen prägen die Verläufe der Einzelstimmen und im<br />

Zusammenwirken dieser Einzelstimmen steigert sich die Komplexität der metrischen<br />

Verhältnisse derart, dass ein „dreidimensionales Hören“ möglich wird. Beim Anhören<br />

dieses Stückes entsteht der Eindruck, die Flüssigkeit bahnt sich tatsächlich im<br />

Inneren der Götter-Körper, einer träg sich windenden Masse, ihren Weg.<br />

Tree of Heaven<br />

Von Miroslav Srnka<br />

Es ist merkwürdig, wie groß der Unterschied zwischen einem Streichquartett und<br />

einem Streichtrio für einen Komponisten ist. Die Beschränkung auf drei statt vier<br />

Instrumente unterstreicht die solistische Qualität. Mein Stück beschäftigt sich eher mit<br />

den Individualitäten als mit den Gemeinsamkeiten im Gefüge des Streichtrios.<br />

Die erste Idee zu diesem Stück kam mir letztes Jahr im Temple of Heaven in Peking.<br />

„Tree of Heaven“ ist der englische Name von Ailanthus altissima (Götterbaum, auch<br />

Himmelsbaum oder Bitteresche) – einem in China und mittlerweile auch anderswo<br />

häufig wachsendem Baum, der als Metapher für einen Gegensatz gesehen werden<br />

kann: Einerseits wird er von jeher in der traditionellen Medizin benutzt, andererseits<br />

rottet er alle neben ihm wachsenden Pflanzen aus.<br />

Dieses Stück aber handelt keineswegs von Pflanzen. Es nimmt einen ähnlichen<br />

Weg wie beim Klettern auf einen großen Baum. Einen Weg, der von starken Wurzeln<br />

über vielfach verzweigte Äste bis in die allerkleinsten Ausläufer führt, die in den<br />

freien Raum ragen. Auch dies ist doppeldeutig: Will die Musik eher die Sicherheit<br />

des Bodens oder die Gefahr der Höhe?<br />

Die ursprünglich bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik geplante Uraufführung<br />

wurde durch die Asche des Eyjafjalla verhindert. Den Kompositionsauftrag<br />

gab der WDR.


140 muSIkProgramm<br />

muSIkProgramm 141<br />

Finale furioso<br />

Ein großes Abschlussfest auf allen Ebenen<br />

Uwe Dierksen, Posaune<br />

Dieter Flury, Flöte<br />

Ernst Kovacic, Violine<br />

Ernesto Molinari, Klarinette<br />

Robyn Schulkowsky, Schlagzeug<br />

8. August 2010, 20:00 Uhr<br />

Burg Gallenstein, St.Gallen<br />

Finale Furioso<br />

Surprise II<br />

… produktive Überraschungen, die nicht die Bestätigung des Immergleichen<br />

darstellen.<br />

Uwe Dierksen spielt Eric Clapton, Frank Zappa und Luciano Berio.<br />

Dieter Flury spielt Edgar Varèse, Heinz Holliger und Klaus Huber.<br />

Ernst Kovacic spielt Friedrich Cerha und Johannes Maria Staud.<br />

Ernesto Molinari spielt Helmut Lachenmann, Johannes Maria Staud und Michael<br />

Jarrell.<br />

Robyn Schulkowsky improvisiert und spielt Werke von Robyn Schulkowsky.<br />

… sowie Improvisationen in den verschiedensten Konstellationen.<br />

Stellen Sie sich auf vier Ebenen der Burg Gallenstein Ihr eigenes Programm zusammen.


142 uraufführungen<br />

uraufführungen 143<br />

Uraufführungen<br />

Kompositionsaufträge des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s<br />

Eun-Hwa Cho<br />

Bernhard Gander<br />

Johannes Maria Staud<br />

Hèctor Parra<br />

Kompositionsauftrag des WDR<br />

Miroslav Srnka<br />

Eun-Hwa Cho<br />

Jouissance de la différence<br />

für Ensemble<br />

Uraufführung am Dienstag,<br />

3. August 2010, 20:30 Uhr<br />

Abîme – Abgrund<br />

ensemble recherche<br />

Kirche St.Gallen<br />

Bernhard Gander<br />

aufstiegabstieg<br />

für Baritonsaxophon, Bassklarinette,<br />

Tenorposaune<br />

Uraufführung am Mittwoch,<br />

4. August 2010, 11:00 Uhr<br />

Schwarzer Peter<br />

Marcus Weiss, Donna Molinari,<br />

Uwe Dierksen<br />

Haindlkar<br />

Johannes Maria Staud<br />

Neues Werk<br />

für Posaune Solo<br />

Uraufführung am Mittwoch,<br />

4. August 2010, 11:00 Uhr<br />

Schwarzer Peter<br />

Uwe Dierksen<br />

Haindlkar<br />

Hèctor Parra<br />

Piano Sonata<br />

für Klavier Solo<br />

Uraufführung am Mittwoch,<br />

4. August 2010, 20:00 Uhr<br />

Canti Notturni<br />

Nicolas Hodges<br />

Kirche St.Gallen<br />

Miroslav Srnka<br />

Tree of Heaven<br />

für Violine, Bratsche und Violoncello<br />

Kompositionsauftrag des WDR<br />

Uraufführung Samstag,<br />

7. August 2010, 20:00 Uhr<br />

Clouds<br />

Zebra Trio<br />

Burg Gallenstein


144 bIldende kunSt<br />

bIldende kunSt 145<br />

Bildende Kunst<br />

Satt sehen – Vom Essen in der Kunst<br />

Schwanenstille | PRINZGAU / podgorschek<br />

…miramondo multiplo… | Olga Neuwirth<br />

Satt sehen – Vom Essen in der Kunst<br />

Kuratiert von Franz Part und Irena Rosc<br />

Die Ausstellung „Sattsehen“ beschäftigt sich einem der global wichtigsten Themen:<br />

mit Nahrung und ihren Aspekten und Spuren in der Kunst.<br />

„Sattsehen“ präsentiert Originale, Multiples und Repliken zeitgenössischer und<br />

moderner Künstler, die sich mit dem Thema Essen auseinandersetzen oder in<br />

deren Werken essbare Dinge oder Lebensmittel vorkommen. Einige der Werke<br />

entstanden eigens für die Schau, etwa die Werke von Arnulf Neuwirth, Karl Korab<br />

und Heinz Cars.<br />

Die überraschende und multiperspektivische Zusammenstellung enthält aber auch<br />

Originale von Duchamp, Beuys und anderen.<br />

Ort: Naturparkzentrum St.Gallen | <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />

Eröffnung: Freitag, 30. Juli 2010, 11:00 Uhr<br />

Dauer: 30. Juli – 29. August 2010, 9:00 – 18:00 Uhr<br />

Werke von:<br />

Allison Knowles<br />

Arnulf Neuwirth<br />

Christian Ludwig<br />

Attersee<br />

Claes Oldenburg<br />

Danica Phelps<br />

Ecke Bonk<br />

Edgar Tezak<br />

Eric Andersen<br />

Lenka Baburek<br />

Franz Part<br />

Franz Josef Altenburg<br />

Georg Herold<br />

Heinrich Campendonk<br />

Heinz Cars<br />

Henri Matisse<br />

Irena Rosc<br />

James Welling<br />

John Armleder<br />

Joseph Beuys<br />

Karl Korab<br />

Kaspar König<br />

Klaus Staeck<br />

Marcel Duchamp<br />

Margit Denz<br />

Mel Ramos<br />

Michael Part<br />

Pablo Picasso<br />

Robin Page<br />

Rosemarie Trockel<br />

Anonym:<br />

Chinesischer Holzschnitt<br />

Indische Miniaturen<br />

Repliken von:<br />

Andy Warhol<br />

Ian Hamilton Finlay<br />

Joseph Beuys<br />

Man Ray<br />

Marcel Brothaers<br />

Marcel Duchamp<br />

Martin Gostner<br />

Meret Oppenheim<br />

Rene Magritte<br />

Robert Watts<br />

Salvador Dali


Joseph Beuys, Gib mir Honig (Postkarte) Robert Watts, Bottle Bottleopener (Replik)


148 bIldende kunSt<br />

bIldende kunSt 149<br />

Arnulf Neuwirth, Nahrhafte Landschaft Marcel Duchamp, Verabredung zum Lunch mit Mr. Barr (Brief)<br />

Alfred Hamilton Barr Jr. (1902-1981) war ein US-amerikanischer Kunsthistoriker und Gründungsdirektor<br />

des Museum of Modern Art in New York. Als erster brachte er in den USA Architektur, Grafik<br />

Design, Fotografie, Musik und Film in Zusammenhang mit Malerei und Bildhauerei.


150 bIldende kunSt<br />

bIldende kunSt 151<br />

Karl Korab, Gesegnete Mahlzeit<br />

Franz Part, Scheppernde Herzen Irena Rosc, Apron Nr.1


152 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung 153<br />

Ecke Bonk, ABC Buchstaben Suppe Marcel Duchamp, Flaschentrockner


154 bIldende kunSt<br />

bIldende kunSt 155<br />

Vom Essen reden und schreiben<br />

Franz Schuh<br />

Gerne wäre ich Restaurantkritiker geworden. Aus Furcht vor den juristischen<br />

Folgen meiner geschliffenen Betrachtungen über das Servierte, habe ich es aber<br />

sein lassen. Hin und wieder stehe ich kurz davor, eine Phänomenologie der Wiener<br />

Kaffeehauskellner zu verfassen: Das sind manchmal Menschen, die, wenn sie nicht<br />

virtuos schleimen, einen jeden zur Schnecke machen, mit deren Geschwindigkeit<br />

sie sich am liebsten selber über das Parkett bewegen. Diese Kellner machen jeden<br />

Gast so klein, dass er nur mehr ihre Größe wahrnehmen kann. Ihre Arroganz,<br />

exekutiert in der schlechtesten Laune von der Welt, ist ein kostbares Gut der Anthropologie.<br />

Leider muss ich auch auf diesem Gebiet zurückhaltend sein und darf<br />

die polemischen Möglichkeiten nicht ausschöpfen, denn wo sonst soll ich hingehen,<br />

wenn nicht ins Kaffeehaus?<br />

In meinem Beruf, ich bin Kulturkritiker, habe ich einmal die Ausgabe einer Zeitschrift<br />

– sie heißt Tintenfass und im Untertitel Das Magazin für den überforderten<br />

Intellektuellen rezensiert. Besagte Ausgabe war reichlich dem Essen gewidmet, und<br />

zwar aus der Frage heraus: Warum reden alle vom Essen?, und eine der ersten<br />

Antworten müsste wohl lauten, weil sie überfressen sind. Überredet sind sie auch<br />

und das zeigt sich darin, dass die Leute dies und jenes für gut halten, von dem ich<br />

nicht glauben kann, dass sie’s wirklich glauben. Ich beschäftige mich seit Jahren -<br />

in Theorie und Praxis - mit dem von mir so genannten „pseudoguten“ Restaurant.<br />

Ein pseudogutes Restaurant ist ein solches, dass alle Accessoires, alle Attribute<br />

eines guten ausgestellt hat; es hat jedoch bloß die äußeren Kennzeichen der Güte<br />

inszeniert, ganz in der Art, in der man auf dem Theater eine Schlacht inszeniert,<br />

die in Wirklichkeit natürlich keine ist. Ist die Schlacht, die keine ist, gut inszeniert,<br />

dann glauben die Leute, was sie sehen. Sind im pseudoguten Restaurant die Attribute<br />

der Qualität geschickt präsentiert, schmeckt manchen Leuten sogar, was<br />

sie dort essen.<br />

Der Witz dabei ist, dass die Leute die äußeren Kennzeichen des Guten konsumieren<br />

und dabei den Eindruck von Qualität gewinnen. Solch einen Eindruck zu<br />

erwecken, ist auch eine Kunst – allerdings hat sie mit Kochkunst nichts zu tun. Man<br />

kann sagen, pseudogute Lokale haben einen Mythos um sich geschaffen, aus sich<br />

gemacht, und der „Mythos“ ist traditionell Gegenstand der Kritik und des Kritikers.<br />

Als Kritiker frage ich, ob es nicht grundsätzlich einen „Mythos Essen“ gibt, der<br />

durch unserer Reden und Schreiben darüber am Leben gehalten wird. Es gibt ja<br />

auch Menschen, denen das Reden vom Essen zuwider ist. Rolf Dieter Brinkmann<br />

zum Beispiel, der 1975 gestorbene deutsche Dichter, hat in seinem Buch „Rom,<br />

Blicke“ einen Typus kunstausübender Spießer, spießiger Bohemiens, dadurch<br />

charakterisiert, dass diese Leute so gerne das Essen in den Mund nehmen, nicht<br />

nur wörtlich, sondern auch bildlich, also rhetorisch. Die quatschen andauernd rum,<br />

wo’s was Gutes gibt und wo’s weniger gut ist; sie sind von der Behaglichkeit, die<br />

aus dem Bauch kommt, erfüllt.<br />

Es liegt also ein Problem vor. Man kann es, wie das bei Problemen zumeist der<br />

Fall ist, anhand zweier gegensätzlicher Positionen diskutieren. Zum Essen sagte<br />

Wittgenstein: “Egal was, Hauptsache es ist immer dasselbe.“ Das ist überhaupt<br />

ein Mustersatz der Gleichgültigkeit; eine geniale Maxime: Angesichts einer Sache,<br />

die einem keine Wahl lässt – Essen (und übrigens auch Sterben) muss der<br />

Mensch! –, hält man sich mit so einer Maxime die Anforderung vom Leib, man<br />

solle da auch noch „differenzieren“, also Unterscheidungen treffen. Wurscht was,<br />

essen muss man halt!<br />

Das zweite Zitat räumt mit dem ersten auf: „Wem am Essen nichts liegt, dem liegt<br />

auch an anderen Dingen nicht viel.“ So sprach Dr. Samuel Johnson, und in seinem<br />

Satz liegt für mich die Wahrheit, dass das Gebot der Selbstsorge es gar nicht zulässt,<br />

mit etwas gleichgültig umzugehen, das – wie das Essen – sein muss. Wer (sich)<br />

aus der Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme nichts macht (oder wer sich mit<br />

Mythen abspeisen lässt), wer nicht ein Stück Freiheit und Kultur daraus gewinnt,<br />

der ist wahrscheinlich auch sonst kein Hoffnungsträger.


156 bIldende kunSt<br />

bIldende kunSt 157<br />

Schwanenstille<br />

PRINZGAU / podgorschek<br />

Kunst im öffentlichen Raum<br />

schwanenstille eine sendepause ist die stille nach dem klirren, nach dem desaster.<br />

ein schlund öffnet sich und der schwan zieht sich zurück. es wird still um den<br />

mythos und um die glorie, die einmal verführerisch geschienen. und der glanz<br />

verschmiert und verblasst vor der spiegelung. der spießrutenlauf zwischen obelisk<br />

und natur läßt die heroen steif werden und die hälse strecken. schwanenstille ist<br />

eine installation der erinnerung.<br />

www.prinz-pod.at<br />

Ort: Gemeinde St.Gallen<br />

Dauer: 28. Juli – 8. August 2010<br />

Olga Neuwirth. …miramondo multiplo…<br />

Klanginstallation mit Film<br />

Text von Stefan Drees<br />

In …miramondo multiplo…, einer filmischen Arbeit, die als Grundlage für die gleichnamige<br />

Medieninstallation fungierte, die Olga Neuwirth 2007 auf der „documenta 12“ in Kassel<br />

präsentierte, geht es primär um Zeit. Mit nur wenigen Elementen thematisiert der kurze<br />

Film den langwierigen Prozess des Schreibens bzw. Komponierens und Skizzierens<br />

eines Werkes: Zu sehen ist, aufgenommen von der Unterseite einer liegenden Glasplatte<br />

aus, wie sich auf einem durchsichtigen Notenblatt allmählich die skizzenhaften<br />

Anfänge einer Komposition entwickeln, wie sie nach und nach instrumentiert werden<br />

und sich zuletzt zu einer einzigen Partiturseite aus Neuwirths 2006 entstandenem Werk<br />

…miramondo multiplo… für Trompete und Orchester verdichten. Die Soundebene des<br />

Films bezieht die permanenten Geräusche von Bleistift und korrigierend eingesetztem<br />

Radiergummi mit ein und konfrontiert sie mit der quasi im Kopf stattfindenden Klangvorstellung<br />

der schreibenden Person, die räumlich leicht verhallt und verschwommen<br />

zu vernehmen ist. Auf diese Weise vermittelt die gewählte Konstellation – künstlerische<br />

Darstellung eines Problems, mit dem sich die Komponistin auch in anderen Arbeiten<br />

auseinandergesetzt hat – einen Eindruck vom mühsamen Übersetzen jener Musik, die<br />

sich bereits im Kopf befindet, in ein Notensystem, das überhaupt erst die Bedingung<br />

dafür darstellt, dass die musikalischen Ideen später von Musikern umgesetzt, also<br />

jenseits der Imagination klanglich realisiert werden können.<br />

Idee und Musik: Olga Neuwirth<br />

Courtesy: Galerie Charim und documenta 12<br />

Klangmaterial: bearbeitete Ausschnitte aus dem II. und IV. Satz des Trompetenkonzertes<br />

...miramondo multiplo... von Olga Neuwirth, Wiener Philharmoniker unter der Leitung<br />

von Pierre Boulez, Salzburger Festspiele 2006<br />

Solotrompete: Håkan Hardenberger<br />

Länge: 17 min, Live-Mitschnitt/ORF 2006<br />

Kamera: Martin Putz<br />

Digital composing: Christian Stoppacher<br />

Produktion: kurt mayer film/wien 2007<br />

Sound Design und Audioproduktion der Klanginstallation: IEM – Institut für Elektronische<br />

Musik und Akustik, Universität für Musik und darstellende Kunst Graz.<br />

Ort: Versandhalle Georg Fischer Automotive, Altenmarkt<br />

Eröffnung: Sonntag, 1. August 2010, 11:00 Uhr<br />

Dauer: 30. Juli – 1. August 2010, 11:00 – 19:00 Uhr


158 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 159<br />

Biographien der KomponistInnen<br />

und KünstlerInnen<br />

Peter Ablinger<br />

Mark Andre<br />

Georges Aperghis<br />

Luciano Berio<br />

Friedrich Cerha<br />

Eun-Hwa Cho<br />

Morton Feldman<br />

Beat Furrer<br />

Bernhard Gander<br />

Gérard Grisey<br />

Heinz Holliger<br />

Klaus Huber<br />

Michael Jarrell<br />

Helmut Lachenmann<br />

Bernhard Lang<br />

György Ligeti<br />

Francisco Lopez<br />

Tristan Murail<br />

Olga Neuwirth<br />

Hèctor Parra<br />

Emilio Pomárico<br />

PRINZGAU / podgorschek<br />

Wolfgang Rihm<br />

Lucia Ronchetti<br />

Arnold Schönberg<br />

Giacinto Scelsi<br />

Salvatore Sciarrino<br />

Johannes Maria Staud<br />

Miroslav Srnka<br />

Galina Ustwolskaja<br />

Edgar Varèse<br />

Claude Vivier<br />

Iannis Xenakis<br />

Frank Zappa<br />

Hans Zender<br />

Peter Ablinger. „Die Klänge sind nicht die Klänge! Sie sind da, um den Intellekt<br />

abzulenken und die Sinne zu besänftigen. Nicht einmal das Hören ist das Hören:<br />

Das Hören ist das, was mich selbst erschafft.“<br />

Der in Schwanenstadt, Österreich, geborene Peter Ablinger ist, so hat es Christian<br />

Scheib einmal formuliert, ein „Mystiker der Aufklärung“, dessen „Anrufungen und<br />

Litaneien auf das Erkennen abzielen“. Gleichzeitig ist der Komponist, der - nach<br />

einem Grafikstudium - bei Gösta Neuwirth und Roman Haubenstock-Ramati<br />

studierte und seit 1982 in Berlin lebt, ein Skeptiker, der um die durch Tradition<br />

aufgezwungenen kulturellen Spielregeln und (schlechten) Angewohnheiten weiß:<br />

„Spielen wir also weiter und sagen: Die Klänge sind da, um zu hören (-nicht um<br />

gehört zu werden. Das ist etwas anderes). Und das Hören ist da, um aufzuhören.<br />

Mehr weiß ich auch nicht.“ (Christian Baier)<br />

Mark Andre wurde 1964 in Paris geboren, er lebt in Berlin. Er studierte 1987–93 am<br />

Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris u.a. Komposition bei Claude<br />

Ballif und Gérard Grisey und promovierte 1994 nach Studien am Centre d’Études<br />

Supérieures de la Renaissance und der Pariser Ecole Normale Supérieure über<br />

das Thema „Le compossible musical de l‘Ars subtilior“. 1993–96 setzte er sein<br />

Kompositionsstudium an der Stuttgarter Musikhochschule bei Helmut Lachenmann<br />

fort. Seit 1997 unterrichtet Mark Andre Kontrapunkt und Instrumentationslehre am<br />

Conservatoire National de Région de Strasbourg und an der Musikhochschule<br />

Frankfurt am Main. 1997 nahm er ein Studium der Musikelektronik bei André<br />

Richard im Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR Freiburg auf.<br />

Er erhielt zahlreiche Stipendien, u.a. der Villa Medici in Rom 1998–2000 und des<br />

DAAD 2005. Sein Werk wurde vielfach mit Preisen ausgezeichnet und gefördert,<br />

u.a. Kranichsteiner Musikpreis der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik<br />

Darmstadt (1996), 1. Preis des Internationalen Kompositionswettbewerbs Stuttgart<br />

(1997), Kompositionsförderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung (2002), Giga-<br />

Hertz-Preis für elektronische Musik, Orchesterpreis der Donaueschinger Musiktage<br />

für … auf … III (2007), Förderpreis des Berliner Kunstpreises der Akademie der<br />

Künste Berlin (2008). Mark Andre erhielt Kompositionsaufträge u.a. von Ensemble<br />

Modern, ensemble recherche, Trio Accanto, Klangforum Wien, KNM Berlin, Les<br />

Percussions de Strasbourg, Ensemble Alternance.<br />

Georges Aperghis, geboren 1945 in Athen, lebt seit 1963 in Paris. Der Sohn<br />

eines Bildhauers und einer Malerin kam über autodidaktische Studien zur Musik.<br />

Er teilt sein Leben zwischen seiner rein kompositorischen Arbeit und dem „théâtre<br />

musical“, als dessen aktivster Vertreter er gilt. 1976 gründete er das Atelier Théâtre<br />

et Musique (ATEM), das seit 1991 in Bagnolet am Théâtre Nanterre-Amendiers


160 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 161<br />

beheimatet ist. In ständiger Zusammenarbeit mit Musikern und Schauspielern<br />

entwickelt er hier szenische Spiele, die vom Alltagsleben, von sozialen Fakten, in<br />

poetische – oft satirische oder absurde Welten transportiert sind. Daneben aber<br />

blieb er der Kammer- und Orchestermusik treu. Er komponierte eine Reihe von<br />

Werken für Instrumente oder Stimme allein, meist für Interpreten, die ihm nahe<br />

stehen. Oft fließen auch in diese Stücke theatralische Momente ein. Er erhielt u.a.<br />

1998 den Grand Prix National de la Musique. Zu seinen Werken zählen: Die Hamletmaschine<br />

– Oratorio (2000), Dark Side für Mezzosopran und 18 Musiker (2003),<br />

Wölfli Cantata für Soli und Chor (2006), Contretemps für Sopran und Ensemble<br />

(2005), Zeugen (Musiktheater 2006–07).<br />

Luciano Berio. 1925 in Oneglia, Italien geboren, studierte von 1945 bis 1950<br />

Kontrapunkt und Komposition am Konservatorium in Mailand. 1950 heiratete er<br />

die Sängerin Cathy Berberian, die entscheidenden Einfluss auf seine Vokalwerke<br />

ausübte. In den Jahren von 1953 bis 1960 arbeitete Berio für den italienischen<br />

Rundfunk (RAI) in Mailand, wo er zusammen mit Bruno Maderna 1955 das Studio<br />

di Fonologia, eines der wichtigsten europäischen Zentren für die Produktion elektronischer<br />

Musik gründete. 1960 begann er mit seiner Lehrtätigkeit. Zunächst mit<br />

einem Kompositonskurs in Tanglewood, dann an der Dartington Summer School,<br />

von 1962 bis 1964 am Mills College in Oakland und von 1965 bis 1971 an der<br />

Harvard University und der Juillard School of Music in New York, wo er das Juillard<br />

Ensemble gründete. In den Jahren 1974 bis 1980 leitete Berio die Abteilung<br />

Elektroakustik am Pariser IRCAM. Berio war außerdem künstlerischer Leiter und<br />

Chefdirigent des Kammerorchester Israel (1975–1977) und Leiter der Accademia<br />

Filarmonica Romana (seit 1977). Neben Bruno Maderna und Luigi Nono ist Luciano<br />

Berio die zentrale Figur der italienischen Musik der zweiten Hälfte des 20.<br />

Jahrhunderts. Er starb 2003.<br />

Friedrich Cerha wurde 1926 in Wien geboren, wo er an der dortigen Musikakademie<br />

(Violine, Komposition, Musikerziehung) und an der Universität (Musikwissenschaft,<br />

Germanistik, Philosophie) studierte. 1956 bis 1958 nahm er an den<br />

Darmstädter Ferienkursen teil.1958 gründete er mit Kurt Schwertsik zur Schaffung<br />

eines permanenten Forums für Neue Musik in Wien das Ensemble die reihe. Von<br />

1959 an lehrte Cerha an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien<br />

(heute Universität), wo er 1976 bis 1988 eine Professur für Komposition, Notation<br />

und Interpretation neuer Musik innehatte. Von 1960 bis 1997 war er als Dirigent<br />

mit international führenden Orchestern (Berliner Philharmonikern, dem Cleveland<br />

Orchestra und dem Concertgebouworkest Amsterdam), sowie an renommierten<br />

Opernhäusern (Berlin, München und Buenos Aires) tätig. 1978 gründete er mit<br />

Hans Landesmann im Wiener Konzerthaus den Zyklus „Wege in unsere Zeit“,<br />

den er bis 1983 leitete. Ab 1994 verband ihn auch eine intensive Arbeit mit dem<br />

Klangforum Wien, dessen Präsident er bis 1999 war. Friedrich Cerhas Herstellung<br />

einer spielbaren Fassung des III. Akts der Oper Lulu von Alban Berg (UA 1979 in<br />

Paris) hat der Musikwelt ein wesentliches Werk des 20. Jahrhunderts vollständig<br />

erschlossen. Sein eigenes Musiktheater Netzwerk wurde 1981 bei den Wiener<br />

Festwochen uraufgeführt, seine Oper Baal nach Brecht im gleichen Jahr bei den<br />

Salzburger Festspielen. 1987 folgte Der Rattenfänger beim Steirischen Hebst,<br />

2002 Der Riese vom Steinfeld an der Wiener Staatsoper. Cerha erhielt zahlreiche<br />

Aufträge für Ensemble-, Chor und Orchesterwerke von angesehenen <strong>Festival</strong>s und<br />

Institutionen (Koussevitzky - Foundation New York, <strong>Festival</strong> Royan, Konzerthaus<br />

Wien und Berlin, Wiener Philharmoniker, Gewandhausorchester) und ebenso zahlreiche<br />

Preise und Ehrungen, zuletzt 2006 das Österreichische Ehrenzeichen für<br />

Wissenschaft und Kunst, den französischen Orden Officier des Arts et des Lettres<br />

und den Goldenen Löwen der Biennale Venedig für sein Lebenswerk.<br />

Eun-Hwa Cho, geboren in Pusan, Südkorea. Studium der Fächer Komposition und<br />

Pädagogik an der Seoul National University. 2006 Abschluss des Kompositionsstudiums<br />

bei Hanspeter Kyburz an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.<br />

Aufführung ihrer Kompositionen in Konzerten und auf <strong>Festival</strong>s, u. a. beim Asian<br />

Contemporary Music <strong>Festival</strong>, Ultraschall, Randspiele, Uraufführung des Streichquartett<br />

Nr. 2 auf den 42. Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt,<br />

Uraufführung von Deixis durch das Ensemble Modern in der Alten Oper Frankfurt/<br />

Main. Auszeichnung mit Preisen wie dem 1. Preis für Komposition beim Hanns-<br />

Eisler-Preis für Komposition und Interpretation zeitgenössischer Musik 2002 und<br />

dem 1. Preis beim 4. Weimarer Frühjahrstage Kompositionswettbewerb 2003.<br />

CD-Aufnahme der Komposition Streichquartett Nr. 2.<br />

Morton Feldman. Geboren 1926 in New York, erhielt mit zwölf Jahren den ersten<br />

Klavierunterricht bei der Busoni-Schülerin Madame Maurina-Press und schrieb erste<br />

eigene, von Skrjabin beeinflusste kurze Kompositionen. Ab 1941 studierte er bei<br />

Wallingford Riegger, ab 1944 bei Stefan Wolpe Komposition. Mit der Begegnung mit<br />

Cage begann eine die amerikanische Musik der 1950er Jahre prägende Zusammenarbeit.<br />

Cage war es, der Feldman Vertrauen zu seinen eigenen Ideen gab; daraus<br />

erwuchsen völlig intuitive Kompositionen. Er arbeitete selten mit identifizierbaren<br />

Systemen, sondern schritt von Augenblick zu Augenblick, von einem Klang zum<br />

nächsten. Zu seinem Freundeskreis gehörten auch die Komponisten Earle Brown<br />

und Christian Wolff, die Maler Mark Rothko, Philip Guston, Franz Kline, Jackson<br />

Pollock und Robert Rauschenberg und der Pianist David Tudor, wobei besonders


162 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 163<br />

die Bildenden Künstler seine Suche nach einer eigenen Klangwelt beeinflussten.<br />

Feldman experimentierte mit grafischen Notationsformen, kehrte aber später wieder<br />

zur traditionellen Notation und der Kontrolle über Tonhöhe, Rhythmus, Dynamik<br />

und Dauer zurück. Ende der 1970er Jahre komponierte er sehr lange einsätzige<br />

Werke, so kann das zweite Streichquartett beispielsweise bis zu fünfeinhalb Stunden<br />

dauern. 1973 übernahm Feldman die Edgar Varèse-Professur an der University<br />

of New York in Buffalo, die er bis an sein Lebensende inne hatte. Morton Feldman<br />

starb 1987 in Buffalo.<br />

Beat Furrer wurde 1954 in Schaffhausen geboren und erhielt an der dortigen Musikschule<br />

seine erste Ausbildung (Klavier). Nach seiner Übersiedlung nach Wien<br />

1975 studierte er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Dirigieren bei<br />

Otmar Suitner sowie Komposition bei Roman Haubenstock-Ramati. 1985 gründete<br />

er das Klangforum Wien, das er bis 1992 leitete und dem er seitdem als Dirigent<br />

verbunden ist. Im Auftrag der Wiener Staatsoper schrieb er seine erste Oper Die<br />

Blinden (ausgehend von Maurice Maeterlincks Stück und Platons Höhlengleichnis),<br />

die bei Wien Modern 1989 uraufgeführt wurde. Unter Claudio Abbado gelangte<br />

1991 Face de la Chaleur im Wiener Musikverein zur Aufführung. Seine Oper Narcissus<br />

wurde 1994 beim steirischen herbst an der Oper Graz uraufgeführt, bei den<br />

Salzburger Festspielen 1996 das Konzert für zwei Klaviere und Orchester nuun, in<br />

diesem Jahr war er Composer-in-residence bei den Musikfestwochen Luzern. Es<br />

folgten u.a. 1999 das Hörtheater Stimme allein an der Oper Bonn, Orpheus Bücher<br />

2001 in Donaueschingen sowie das Musiktheater BEGEHREN, uraufgeführt beim<br />

steirischen herbst in Graz konzertant, 2003 die szenische Fassung. Die Oper invocation<br />

wurde an der Oper Zürich 2003 uraufgeführt und 2005 das Hörtheater FAMA<br />

in einem eigens dafür gebauten Klangraum bei den Donaueschinger Musiktagen.<br />

Seit Herbst 1991 ist Furrer Professor für Komposition an der Hochschule für Musik<br />

und Darstellende Kunst in Graz. Eine Gastprofessur für Komposition nimmt er seit<br />

2006 an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt wahr. 2004<br />

erhielt er den Musikpreis der Stadt Wien, seit 2005 ist er Mitglied der Akademie<br />

der Künste in Berlin. 2006 wurde er für FAMA mit dem Goldenen Löwen bei der<br />

Biennale Venedig ausgezeichnet. 2010 war die erfolgreiche Uraufführung seiner<br />

neuen Oper Wüstenbuch.<br />

Bernhard Gander wurde 1969 in Lienz/Osttirol geboren. Seine Musikstudien betrieb<br />

er am Tiroler Landeskonservatorium (Klavier, Tonsatz) und an der Musikhochschule<br />

Graz (Komposition bei Beat Furrer). Ein Studienaufenthalt führte ihn ans Studio<br />

UPIC/Paris zu Julio Estrada und Curtis Roads. Es folgte ein Arbeitsaufenthalt am<br />

Schweizerischen Zentrum für Computermusik/Zürich. 2004 erhielt er den Musikför-<br />

derungspreis 2004 der Stadt Wien, einen Erste Bank-Kompositionsauftrag sowie<br />

das Staatsstipendium 2005. Aufführungen seiner Werke erfolgten in Zürich, Paris,<br />

New York, Seattle, Griechenland, Japan, Korea sowie im Rahmen der <strong>Festival</strong>s<br />

Wien Modern, Klangspuren, hörgänge, zeittontage im ORF u.a. Bernhard Gander<br />

erhielt Kompositionsaufträge u.a. von den Ensembles Klangforum Wien und Ensemble<br />

Modern sowie von den <strong>Festival</strong>s Donaueschingen (2008), musikprotokoll,<br />

<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> und Klangspuren Schwaz.<br />

Gérard Grisey. Geboren in Belfort. 1963-65 studierte er an der Staatlichen Musikhochschule<br />

Trossingen (Deutschland) und trat dann ins Pariser Conservatoire<br />

National Supérieur ein. 1968-72 war er Schüler von Olivier Messiaen. Zur gleichen<br />

Zeit studierte er bei Henri Dutilleux an der Ecole Normale de Musique (1968) und<br />

nahm an den Sommerkursen der Accademia Chigiana in Sienna (1969) sowie<br />

1972 an den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt mit Ligeti,<br />

Stockhausen und Xenakis teil. Als Stipendiat der Villa Medici in Rom (1972-74)<br />

gründete Grisey 1973 zusammen mit Tristan Murail, Roger Tessier und Michael<br />

Levinas die Gruppe L‘Itinéraire, zu der später noch Hugues Dufourt stieß. Aus<br />

dieser Zeit stammen auch die Stücke Dérives, Périodes und Partiels, die die Spektralmusik<br />

mitbegründeten. Ab 1974/75 studierte Grisey Akustik bei Emile Leipp an<br />

der Universität Paris VI. 1982-86 unterrichtete er Musiktheorie und Komposition<br />

an der University of California in Berkley. Ab 1987 unterrichtete er Komposition am<br />

Pariser Konservatorium und leitete zahlreiche Kompositionsseminare in Frankreich<br />

(Centre Acanthes, Lyon, Paris), Deutschland (Darmstadt, Freiburg) und in vielen<br />

anderen Ländern (Mailand, Oslo, Helsinki, Malmö, Los Angeles, Stanford, London,<br />

Moskau, Madrid, ...). Er starb 1998 in Paris.<br />

Heinz Holliger, geboren 1939 in Langenthal (Kanton Bern), besuchte das Berner<br />

Konservatorium, wo er Oboe, Klavier und Komposition studierte. In Paris führte er<br />

seine Ausbildung am Conservatoire National Supérieur bei Pierre Pierlot (Oboe)<br />

und Yvonne Lefébure (Klavier) fort. 1961-63 besuchte er Kompositionskurse bei<br />

Pierre Boulez in Basel. Sein Repertoire als namhafter Oboist umfasst Kompositionen<br />

des 18. und 19. Jahrhunderts sowie zeitgenössische Werke, wobei er<br />

neue Spieltechniken einführte und zahlreiche Stücke für ihn geschrieben wurden.<br />

Seine Dirigentenlaufbahn begann in Paul Sachers Konzertreihe mit dem Basler<br />

Kammerorchester 1977-87. 1987 war er Mitbegründer der Konzertreihe Basler<br />

Musik-Forum, wo er regelmäßig als Dirigent auftrat und seine Kompositionen zur<br />

Aufführung gelangten. Seither dirigiert Holliger führende Orchester und Ensembles<br />

aus aller Welt. Der vielseitige Musiker, dessen Schaffen und Werk eine unermüdliche<br />

Suche nach den Grenzen von Klang und Sprache ist, wurde 1966 als Professor an


164 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 165<br />

die Musikhochschule von Freiburg im Breisgau berufen. Heinz Holliger wurde mit<br />

bedeutenden Preisen und Ehrungen bedacht, jüngst mit dem Zürcher Festspielpreis<br />

(2007, Erstverleihung) und Rheingau Musikpreis (2008).<br />

Klaus Huber wurde 1924 in Bern geboren. Er studierte Violine am Konservatorium<br />

Zürich bei Stefi Geyer und Komposition bei Willy Burkhard und Boris Blacher in Berlin.<br />

Nachdem er 1959 beim Weltmusikfest der IGNM in Rom mit der Kammerkantate<br />

Des Engels Anredung an die Seele (1. Preis Kammermusik) seinen internationalen<br />

Durchbruch als Komponist gefeiert hatte, war er 1964-73 Leiter der Kompositionsklasse<br />

an der Musikakademie Basel und 1973-90 Leiter der Kompositionsklasse und<br />

des Instituts für Neue Musik an der Musikhochschule in Freiburg/Breisgau, wo er<br />

1991 emeritierte. Zu seinen Schülern gehörten u.a. Wolfgang Rihm, Brian Ferneyhough,<br />

Toshio Hosokawa, Michael Jarrell, Younghi Pagh-Paan, Günter Steinke und<br />

Johannes Schöllhorn. 1969 begründete er das Internationale Komponistenseminar<br />

in Boswil, Schweiz. Seit 1984 war er international als Gastprofessor tätig. Zudem<br />

hatte er 1979-82 das Präsidium des Schweizerischen Tonkünstlerverein inne. 1970<br />

erhielt er den Beethovenpreis der Stadt Bonn für Tenebrae, 1978 den Kunstpreis der<br />

Stadt Basel, 1986 den Premio Italia, 2002 den Kultur- und Friedenspreis der Villa<br />

Ichon, Bremen und 2007 den Preis der Europäischen Kirchenmusik, Schwäbisch<br />

Gmünd. Weiterhin wurde sein Schaffen 2009 mit dem Musikpreis Salzburg und<br />

dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet. Klaus Huber lebt in Bremen und<br />

Panicale (Umbrien). Seine Autographe befinden sich in der Paul Sacher Stiftung,<br />

Basel. Seine gesammelten Schriften sind 1999 unter dem Titel Umgepflügte Zeit<br />

im Verlag MusikTexte, Köln, erschienen.<br />

Michael Jarrell. 1958 in Genf geboren, studierte er Komposition am Genfer Konservatorium<br />

bei Eric Gaudibert sowie in mehreren Meisterklassen in den USA<br />

(Tanglewood, 1979). Er vervollständigte seine Ausbildung an der Staatlichen<br />

Hochschule für Musik in Freiburg (Breisgau), bei Klaus Huber. Seit 1982 erhielten<br />

seine Werke zahlreiche Auszeichnungen: Prix Acanthes (1983), Beethovenpreis<br />

der Stadt Bonn (1986), Mares-cotti (1986), Gaudeamus und Henriette Renié (1988)<br />

und den Siemens-Förderungspreis (1990). Zwischen 1986 und 1988 war Jarrell<br />

Stipendiat an der Cité des Arts in Paris und Teilnehmer des Informatik-Kursus am<br />

IRCAM. Er war Stipendiat der Villa Medici (Rom,1988/89), sodann Mitglied des<br />

Istituto Svizzero di Roma (1989/90). Von Oktober 1991 bis 1993, war er „composer<br />

in residence“ des Orchestre de Lyon. Seit 1993 ist er Professor für Komposition an<br />

der Hochschule für Musik in Wien. 1996 war er composer in residence des <strong>Festival</strong>s<br />

von Luzern. 2000 ehrte ihn das <strong>Festival</strong> Musica Nova Helsinki und 2001 erhielt er<br />

von den Salzburger Festspielen den Auftrag für ein Klavierkonzert mit dem Titel<br />

Abschied. Im selben Jahr wurde er Chevalier des Arts et des Lettres. 2004 wird er<br />

zum Kompositionsprofessor am Conservatoire supérieur von Genf ernannt. Seine<br />

Oper Galilei, nach Brecht, ein Auftrag des Grand Théâtre de Genève, wurde im<br />

Januar 2006 uraufgeführt. Der konzertante Stil bedeutet für Jarrell eine bleibende<br />

Inspirationsquelle: …un temps de silence… wurde im März 2007 in Genf von Emmanuel<br />

Pahud und dem Orchestre de la Suisse Romande unter der Leitung von<br />

Heinz Holliger uraufgeführt. Nachlese III, ein Doppelkonzert für Klarinette, Violoncello<br />

und Orchester (Auftrag des WDR) wurde im Herbst 2009 in Köln uraufgeführt<br />

und das Orchestre de la Suisse Romande spielte 2009 die Erstaufführung von Le<br />

Ciel, tout à l’heure si limpide, soudain se trouble horriblement unter der Leitung<br />

von Marek Janowski.<br />

Die Kammeroper Cassandre (1994) am Pariser Châtelet uraufgeführt, wird international<br />

gespielt, in Übersetzungen ins Deutsche, Englische, Spanische, Finnische,<br />

Russische und Italienische.<br />

Helmut Lachenmann entstammt einer musikliebenden Pfarrersfamilie. Er studierte<br />

von 1955 bis 1958 an der Musikhochschule Stuttgart Kompositionslehre, Musiktheorie<br />

und Kontrapunkt bei Johann Nepomuk David und Klavier bei Jürgen Uhde. Nach<br />

Abschluss seiner Kompositionsstudien lernte er während der Darmstädter Ferienkurse<br />

1957 den italienischen Komponisten Luigi Nono kennen und wurde zwischen 1958<br />

und 1960 sein einziger Schüler; er siedelte deshalb nach Venedig über. 1960 kehrte<br />

Lachenmann nach Deutschland zurück, um in München zunächst als freischaffender<br />

Komponist und Pianist zu wirken. Von 1966 bis 1976 unterrichtete er an der<br />

Musikhochschule in Stuttgart Musiktheorie, ab 1970 wurde er Dozent für Musik an<br />

der Hochschule für Gestaltung Ulm; beide Lehraufträge unterbrach Lachenmann für<br />

einen Ruf 1972/1973 als Leiter eines Kompositionskurses an die Musik-Akademie<br />

der Stadt Basel. Von 1976 bis 1981 übernahm er eine Kompositionsklasse an der<br />

Staatlichen Hochschule für Musik und Theater Hannover, bevor er bis zu seiner<br />

Emeritierung im Jahre 2002 die gleiche Aufgabe an der Staatlichen Hochschule für<br />

Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart wahrnahm. Zu seinen Schülern zählten<br />

u.a. Mark Andre, Alvaro Carlevaro, Clemens Gadenstätter, Harald Muenz, Manuel<br />

Hidalgo, Shigeru Kan-no, Juliane Klein, Jan Kopp, Kunsu Shim, Wolfram G. Schurig,<br />

Juan María Solare und Stefan Streich. Wesentliche Anregungen für seine serielle<br />

Kompositionsmethode empfing Lachenmann von Karlheinz Stockhausen während<br />

der sogenannten „Kölner Kurse“ und von Luigi Nono, der ihn auf die Probleme der<br />

gesellschaftlichen Funktion von Musik aufmerksam machte. Lachenmann entwickelte<br />

konsequent eine Musique concrète instrumentale, die mittels neuer Spieltechniken<br />

für die traditionellen Orchesterinstrumente eine Klanglichkeit erzeugt, die<br />

dem Geräusch oft näher steht als der sinfonischen Tradition. In der Konfrontation


166 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 167<br />

des „philharmonischen Apparates“ mit Klängen, die ihre akustischen Vorgänge<br />

offenlegen, soll die Wahrnehmung von Spielern und Hörern auf die Struktur der<br />

konkreten Klänge gelenkt werden. Nicht das Erlebnis von Schönklang ist das Ziel<br />

seines Komponierens, sondern die Erfahrung von Anordnung und Verwandlung<br />

ungewohnter, da ungewöhnlicher Klangereignisse.<br />

Bernhard Lang. Geboren 1957 in Linz. Er studierte am Brucknerkonservatorium<br />

in Linz, und ab 1975 in Graz Philosophie und Germanistik, Jazztheorie, Klavier,<br />

Harmonielehre und Komposition.<br />

Seit 2003 ist er Professor für Komposition an der Kunstuniversität Graz. Bernhard<br />

Lang ist konstant vertreten im Steirischen Herbst, in den Jahren 1984, 1988,<br />

1991, 1995, 1999 und 2003 (unter anderem mit Das Theater der Wiederholungen,<br />

Musiktheater, das in Graz 2003 uraufgeführt wurde). Darüber hinaus ist er Gast<br />

auf vielen <strong>Festival</strong>s zeitgenössischer Musik: Moskau Alternativa <strong>Festival</strong>, Moskau<br />

Modern, ‚resistance fluctuations‘ Los Angeles 1998, Tage Absoluter Musik Allentsteig<br />

I und II, Klangarten, Herbstfestival 98 Lissabon, Wien Modern, Münchner<br />

Opernfestspiele, Darmstädter Ferienkurse, Donaueschinger Musiktage, Salzburger<br />

Festspiele, Disturbances (Musiktheaterworkshop Kopenhagen 2003), Wittener<br />

Tage für Neue Kammermusik. 2006 war Bernhard Lang zentraler Komponist bei<br />

Wien Modern.<br />

György Ligeti wurde am 28. Mai 1923 als Sohn ungarisch-jüdischer Eltern in<br />

Dicsoszentmárton (heute Tîrnaveni) geboren. Von 1941 bis 1943 studierte er<br />

bei Ferenc Farkas am Konservatorium in Klausenburg, von 1945 bis 1949 an<br />

der Franz-Liszt-Akademie in Budapest bei Ferenc Farkas, Sándor Veress, Pál<br />

Járdány und Lajos Bárdos. Schon bald entwickelte er die Mikropolyphonie, die<br />

später zu einem seiner wichtigsten Stilmerkmale werden sollte. In den frühen<br />

Stücken wie dem a capella Chorwerk Éjszaka-Reggel und seinem ersten im<br />

Westen erfolgreichen Stück Apparitions ist dieser Stil bereits voll ausgeprägt.<br />

Nach dem Ungarnaufstand verließ er im Dezember 1956 sein Heimatland aus<br />

künstlerischen und politischen Gründen. Während der Zeit als freier Mitarbeiter<br />

im Studio für elektronische Musik des WDR Köln (1957-58) setzte er sich intensiv<br />

mit der Musik von Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagel und Pierre Boulez<br />

auseinander, was sich musikalisch in seinem Werk Artikulation niederschlägt.<br />

Dieses Stück sowie das 1961 entstandene Atmosphères für großes Orchester<br />

machten den Namen György Ligeti in der westlichen Musikwelt mit einem Schlag<br />

bekannt. In seinen letzten Lebensjahren entwickelte er ein hochdifferenziertes<br />

metrisches und rhythmisches System, wie etwa in den Etüden angewandt. Am<br />

12. Juni 2006 verstarb der Komponist in Wien.<br />

Francisco López ist in der experimentellen Musikszene für seine Klangkunst<br />

(sound art) international anerkannt. Seine Erfahrungen auf dem Gebiet der Klangschöpfung<br />

(sound creation) und der Arbeit mit Umweltaufnahmen erstrecken sich<br />

über 30 Jahre, in denen er ein beeindruckendes, sehr persönliches und ikonoklastisches<br />

Klanguniversum schuf, welches auf einer Wahrnehmung seiner Umwelt,<br />

insbesondere den Klängen der Natur basiert. Er hat weltweit Hunderte Konzerte<br />

gegeben und Projekte mit Field recordings, Klanginstallationen und Workshops in<br />

60 Ländern weltweit durchgeführt; darunter auch in den wichtigsten internationalen<br />

Museen, Kunstgalerien und bei <strong>Festival</strong>s, wie zum Beispiel im PS1 Contemporary<br />

Art Center (New York), im Museum of Modern Art (Paris), dem International Film<br />

<strong>Festival</strong> (Rotterdam), dem <strong>Festival</strong> des Arts (Brüssel), im Darwin Fringe (Darwin,<br />

Australien), im Institute of Contemporary Art (London), im Museum of Modern<br />

Art of Buenos Aires, im Museum of Contemporary Art of Barcelona, im Center of<br />

Contemporary Art (Kita-Kyushu, Japan), etc. Sein umfangreiches Spektrum an<br />

Klang-Stücken (Sound pieces) – live und mit Studio-Einspielungen mit über 100<br />

Künstlern – wurde von über 180 Plattenfirmen weltweit veröffentlicht. Außerdem<br />

wurde er mit drei Ehrennominierungen beim Ars Electronica <strong>Festival</strong> (Linz) ausgezeichnet.<br />

Tristan Murail studierte zunächst Arabisch und Wirtschaftswissenschaften, ab 1967<br />

bei Olivier Messiaen am CNSM und erhält 1971 einen ersten Preis für Komposition.<br />

Wichtige Komponisten für ihn waren während seiner Lehrjahre Iannis Xenakis,<br />

Giacinto Scelsi und vor allem György Ligeti. 1973 gründet er mit Gérard Grisey,<br />

Michâel Levinas, Hugue Dufourt und Philippe Hurel das Ensemble l‘Itinéraire. Im<br />

selben Jahr schreibt er La Dérive des Continents und Les Nuages de Magellan, die<br />

seinen ersten eigenen, aus einem ununterbrochenen klanglichen Magma bestehenden<br />

Stil begründen. Sables (1974) und Mémoire/Èrosion (1975-1976) markieren<br />

anschließend eine Reduktion der Mittel. 1980 nehmen die Itinéraire-Komponisten<br />

an einem IRCAM-Lehrgang teil. Murail beginnt, mit Hilfe des Computers akustische<br />

Phänomene noch genauer zu erforschen. Er schreibt Désintégrations (1982-83),<br />

in dem er zum ersten Mal Instrumentalklänge und synthetische Klänge gleichzeitig<br />

benutzt. Mit Serendib (1992) und anderen Stücken dieser Zeit erreicht seine Musik<br />

eine extreme Durchartikuliertheit und formale Unvorhersehbarkeit. 1991 bis 1997<br />

lehrt er Komposition am IRCAM und ist an der Entwicklung des Kompositions-<br />

Hilfsprogramms Patchwork beteiligt. Er unterrichtet ebenfalls bei den Darmstädter<br />

Sommerkursen, in Royaumont und beim Centre Acanthes. Tristan Murail lebt in den<br />

vereinigten Staaten und ist Professor für Komposition an der Columbia University<br />

New York. Neben Gérard Grisey ist Murail einer der Hauptvertreter der spektralen<br />

Musik.


168 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 169<br />

Olga Neuwirth, geboren 1968 in Graz (Österreich), studierte 1986/87 am Conservatory<br />

of Music San Francisco Komposition und besuchte das dortige Art College<br />

(Malerei und Film). 1987 Kompositionsstudium und Studien zur Elektroakustik an<br />

der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien. Wesentliche Anregungen<br />

erfuhr sie durch die Begegnungen mit Adriana Hölszky, Tristan Murail, Luigi Nono<br />

sowie der Schriftstellerin Elfriede Jelinek. 1996 war sie Gast des Berliner Künstlerprogramms<br />

des DAAD. Porträtkonzerte bei den Salzburger Festspielen 1998.<br />

Erfolgreiche Uraufführung des Musiktheaters Bählamms Fest (Libretto: Elfriede<br />

Jelinek) bei den Wiener Festwochen 1999. Weltweite Tournee des für Pierre Boulez<br />

und das London Symphony Orchestra geschriebenen Werkes Clinamen/Nodus.<br />

2003 Uraufführung des Musiktheaters Lost Highway nach dem gleichnamigen Film<br />

von David Lynch. 2002-05 Performances, Theater- und Filmmusiken. Uraufführung<br />

des Trompetenkonzerts …miramondo multiplo… für die Wiener Philharmoniker und<br />

Pierre Boulez mit dem Solisten Håkan Hardenberger bei den Salzburger Festspielen<br />

2006. 2007 Teilnahme an der documenta12 in Kassel und US Premiere von<br />

Lost Highway. 2008 Auszeichnung mit dem Heidelberger Künstlerinnenpreis. 2009<br />

Filmmusik zu Das Vaterspiel von Michael Glawogger (Premiere bei der Berlinale)<br />

und Uraufführung ihres Bratschenkonzerts beim Musikprotokoll Graz. Olga Neuwirth<br />

ist seit 2006 Mitglied der Akademie der Künste Berlin, sie lebt in Wien.<br />

Hèctor Parra wurde 1976 in Barcelona geboren und studierte am Konservatorium<br />

seiner Heimatstadt, wo er mit Auszeichnung in den Fächern Komposition, Klavier<br />

und Harmonielehre abschloss. Im Anschluss studierte er Komposition bei David<br />

Padros, Brian Ferneyhough, Jonathan Harvey und Michael Jarrell an der Haute<br />

École de Musique in Genf. Ein Kompositionsstudium an der l‘Université de Paris VIII<br />

sowie Kurse am IRCAM und am CNSMD Lyon folgten. Seine Werke wurden u.a.<br />

aufgeführt von Ensemble intercontemporain, Arditti Quartet, ensemble recherche,<br />

musikFabrik, Orchestre Philharmonique de Liège, Orchestre National d‘Île-de-France<br />

und KNM Berlin sowie bei den international renommierten <strong>Festival</strong>s von Luzern,<br />

Avignon, Agora, Royaumont, bei Forum Neues Musiktheater der Stuttgarter Oper,<br />

Maison de la Danse de Lyon, Novart de Bordeaux, ADK Berlin, Quincena Musical<br />

de San Sebastián und „Nous Sons“ Barcelona. Er erhielt Kompositionsaufträge<br />

vom IRCAM, vom Kulturministerium der Regierung Kataloniens, von der Akademie<br />

der Künste in Berlin sowie von Ensemble intercontemporain, Klangforum Wien,<br />

Orchestre National d‘Île-de-France, Strasbourg <strong>Festival</strong>, CDMC (Madrid), IVM<br />

(Valencia), Musicadhoy, Schauspielhaus Salzburg, Fundación Caja Madrid und<br />

der Selmer Society (Paris). Er erlangte zahlreiche Auszeichnungen und Preise,<br />

so u.a. 2005 den Tremplin-Preis des Ensemble Intercontemporain. Er war Finalist<br />

beim internationalen Gaudeamus Wettbewerb und gewann 2002 den INAEM Preis<br />

für Komposition. Hèctor Parra ist Professor für Elektroakustische Komposition<br />

am Konservatorium in Saragossa, Gastprofessor am Konservatorium der Oper<br />

in Barcelona und forschend am IRCAM tätig. Hèctor Parra setzt sich intensiv mit<br />

der Verbindung von Wissenschaft und Neuer Musik ein, nicht nur technisch, auch<br />

ästhetisch und thematisch. So hat er mehrere Werke geschrieben die Problemstellungen<br />

und Modelle der theoretischen Physik aufgreifen. Unter anderem das<br />

Musiktheater Hypermusic Prologue, A Projective Opera in Seven Planes nach<br />

einem Libretto von Lisa Randall, einer der führenden Wissenschaftlerinnen der<br />

theoretischen Physik.<br />

Emilio Pomárico (Siehe Biographien der InterpretInnen)<br />

PRINZGAU/podgorschek arbeiten als Team seit 1984<br />

Zu den wichtigsten Arbeiten gehören Die Entdeckung der Korridore Kunst im öffentlichen<br />

Raum Paasdorf/Mistelbach 1995, FADENBRAND Soloausstellung im OK<br />

Zentrum Linz 2004, sneaking in, Donald Richies Life in Film Dokumentation 2002,<br />

Paarläufer Filmdokumetation 2004, Migration, Tapis Rouge Biennale Dieppe 2007<br />

Kunst im öffentlichen Raum, P/punti speciali Venezia 2009, Kunst im öffentlichen<br />

Raum, ON TRACK (Gruppenarbeit) Biennale Thessaloniki, Rondostucky Gallery,<br />

Polen 2009, Biennale Cuvée, OK Zentrum Linz 2010.<br />

Wolfgang Rihm. Geboren 1952 in Karlsruhe, studierte von 1968 bis 1972 Komposition<br />

bei Eugen Werner Velte, Wolfgang Fortner und Humphrey Searle und erhielt<br />

1972/73 Unterricht bei Karlheinz Stockhausen in Köln. 1976 komponierte er seine<br />

erste Kammeroper Faust und Yorick, der zwei Jahre später Jakob Lenz folgte. 1979/80<br />

war er Stipendiat der Villa Massimo in Rom, 1981 erhielt er den Beethoven Preis der<br />

Stadt Bonn. Rihm war Präsidiumsmitglied des Deutschen Komponistenverbandes<br />

sowie des Deutschen Musikrates sowie von 1984 bis 1989 musikalischer Berater<br />

der Deutschen Oper Berlin. Er übte Lehrtätigkeiten in München und Karlsruhe aus.<br />

1991 hielt er die Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, wo er im Jahr<br />

2000 Composer-in-Residence war. Zu seinen bekanntesten Werken gehöreh u.a<br />

die Musiktheater Hamletmaschine (1983/86), Oedipus (1986/87), Die Eroberung<br />

von Mexico (1987/91) und Séraphin (1996), sowie unzählige Werk für Orchester<br />

und kleinere Besetzungen. Bei den Salzburger Festspielen 2010 kommt seien neue<br />

Oper Dionysos zur Uraufführung.<br />

Lucia Ronchetti wurde 1963 in Rom geboren. Die italienische Komponistin studierte<br />

Komposition und Computermusik an der Accademia di Santa Cecilia sowie<br />

Philosophie an der Universität in Rom. 1991 erhielt sie das Diplôme d’Études


170 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 171<br />

Approfondies in Ästhetik an der Universität Sorbonne in Paris und begann ein<br />

Kompositionsstudium bei Gérard Grisey in Paris. Zu ihren Lehrern gehörten auch<br />

Sylvano Bussotti und Salvatore Sciarrino. Darüber hinaus besuchte sie 1996-97 die<br />

Computermusikkurse am IRCAM in Paris. An der École Pratique des Hautes Études<br />

en Sorbonne erhielt sie ihren Ph.D. in Musikwissenschaft. Ihr kompositorisches<br />

Werk ist äußerst vielfältig, es reicht von Musiktheaterwerken und Orchesterwerken<br />

über Vokalmusik bis hin zu Kammermusik mit Live-Elektronik. Lucia Ronchetti<br />

erhielt zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen. 2005 war sie Gastprofessorin<br />

(Fulbright Fellow) an der Columbia University Music Department in New York, eine<br />

Einladung von Tristan Murail. 2005-06 war sie Gast des Berliner Künstlerprogramms<br />

des DAAD. Zu ihren jüngsten Werken gehören: Pinocchio, una storia parallela<br />

(mit den Neuen Vocalsolisten, Ultraschall Berlin, 2006), Albertine (MaerzMusik,<br />

Berlin, 2007), Hamlet’s Mill (Musik der Jahrhunderte, Stuttgart, 2007), Le voyage<br />

d’Urien (Commande d’État, Paris, 2008), Rumori da monumenti (Ensemble Modern/<br />

Siemens Arts, 2008), Prosopopeia (Internationales Heinrich-Schütz-Fest, Kassel,<br />

2009), Narrenschiffe (Bayerische Staatsoper, 2010).<br />

Arnold Schönberg wurde am 13. September 1874 in Wien geboren. Obwohl weitgehend<br />

Autodidakt, nahm er Violoncello- und Violinunterricht und studierte später<br />

bei Alexander von Zemlinsky. Von 1901 bis 1903 war er als Kapellmeister in Berlin<br />

engagiert. Anschließend arbeitete er abwechselnd in Berlin und Wien als Lehrer,<br />

bevor er 1925 eine Professur an der Berliner Hochschule für Musik annahm. 1933<br />

emigrierte er über Paris in die USA, wo er bis 1944 Lehrer an der University of<br />

Southern California war. Schönberg gilt als einer der Begründer der Neuen Musik<br />

zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit seinen Schülern Alban Berg und<br />

Anton Webern begründete er die zweite Wiener Schule. Sein kompositorisches<br />

Schaffen umfasst Konzerte, Bühnen-, Orchester-, Kammermusik-, Klaviermusik- und<br />

Vokalwerke. Er gilt als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.<br />

Schönberg starb am 13. Juli 1951 in Los Angeles.<br />

Giacinto Scelsi wurde 1905 in Piteli bei La Spezia geboren. Seine Herkunft aus<br />

adligem, wohlhabendem Hause erlaubte ihm, finanziell unabhängig zu leben und<br />

ermöglichte ihm ausgedehnte Reisen, die sein Schaffen nicht unwesentlich beeinflussen<br />

sollten. Nachdem schon im Kindesalter Scelsis pianistisches Improvisationstalent<br />

aufgefallen war, genoss er eine musikalische Ausbildung, die jedoch nicht in<br />

erster Linie im akademischen Bereich stattfand. Aufführungen seiner Werke setzen<br />

1931 ein. Im Rahmen seiner Studien mit selbst gewählten Mentoren beschäftigte<br />

er sich in den 1930er Jahren mit den prägenden musikalischen Strömungen der<br />

Moderne, zusammen mit Gioffredo Petrassi veranstaltete er 1937 Konzerte mit neuer<br />

Musik in Rom. In den vierziger Jahren durchlitt Scelsi eine schwere Lebens- und<br />

Schaffenskrise, bei deren Bewältigung ihm die intensive Beschäftigung mit dem<br />

spirituellen Gedankengut außereuropäischer Kulturen half. Unter diesem Einfluss<br />

begann er Anfang der 1950er Jahre – neben der Veröffentlichung von zahlreichen<br />

dichterischen Werken – mit der Ausformulierung seines eigenen musikalischen<br />

Idioms. Dabei sah er sich nicht als Tonsetzer, sondern als Medium, als Botschafter<br />

und Mittler zwischen verschiedenen Welten. Dem entsprach seine Arbeitstechnik:<br />

Seine nach intensiver spiritueller Vorbereitung selbst auf Tonband eingespielten<br />

Improvisationen ließ er von Kopisten transkribieren; die so entstandenen Partituren<br />

wurden dann nach seinen Anweisungen bearbeitet. Scelsis musikalischen Stil prägt<br />

das Bemühen um eine Musik, die über mikrointervallisches Kreisen, energetisches<br />

Strömen in der Zeit, klangfarbliche Licht- und Schattenspiele in das Innere des<br />

Tones vorstoßen sollte. Giacinto Scelsi verstarb 1988 in Rom.<br />

Salvatore Sciarrino wurde 1947 in Palermo geboren. Er begann als 12jähriger<br />

unter der Anleitung von Antonio Titone zu komponieren; später studierte er bei Turi<br />

Belfiore und Franco Evangelisti. Trotz dieser für seinen künstlerischen Werdegang<br />

wichtigen Begegnungen ist Sciarrino Autodidakt und hat seine Fähigkeiten vor<br />

allem durch das Studium moderner und alter Musik erworben. 1966-69 studierte er<br />

Musikgeschichte in Palermo, dann siedelte er nach Rom über, wo er Evangelistis<br />

Kurse zur elektronischen Musik an der Accademia di S. Cecilia besuchte. 1973<br />

wurde seine erste Oper Amore e Psiche in Mailand uraufgeführt. Diese Oper stellte<br />

bereits Sciarrinos außergewöhnliches Musiktheater-Konzept vor. In den 1980er<br />

Jahren entstanden Werke für Sciarrinos „Theater der Körper“, die an performative<br />

Elemente der 1960er Jahre anknüpften. In der Folge entwickelte Sciarrino in<br />

seinen Musiktheaterwerken eine einzigartige Musiksprache, eine oft magische,<br />

mystische musikalische Welt voller feiner Texturen und Gesten, die altes Denken<br />

mit neuem verbindet. 1974–77 lehrte er am Mailänder Konservatorium. 1978–80<br />

war er künstlerischer Leiter des Teatro Communale in Bologna. Seit 1978 lehrte er<br />

an den Konservatorien von Perugia und Florenz bis er sich 1998 aus der institutionellen<br />

Arbeit zurück. Sciarrino erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter die<br />

Preise Luigi Dallapiccola, Gaspar Cassadò, Italia Radiotre, SIAE, Prince Pierre de<br />

Monaco, Internazionale Feltrinelli. 2006 erhielt er den ersten Musikpreis Salzburg.<br />

Neben seinem kompositorischen Schaffen entstanden auch bildnerische Werke.<br />

Seit 2004 ist Sciarrino Mitglied der Akademie der Künste Berlin.<br />

Johannes Maria Staud wurde am 17. August 1974 in Innsbruck/Tirol geboren.<br />

Ein ‚Tiroler Komponist‘? Keineswegs. Schon seine Studien sorgten für einen<br />

internationalen Ausblick: nach Wien (wo u.a. Michael Jarrell sein Professor war)


172 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 173<br />

wechselte Staud nach Berlin, wo er seine Studien bei Hans-Peter Kyburz an der<br />

‚Hanns-Eisler-Hochschule für Musik‘ fortsetzte. Es folgten Meisterkurse bei Brian<br />

Ferneyhough und Alois Pinos. Im Auftrag Sir Simon Rattles hat er Apeiron. Musik<br />

für großes Orchester (2004/2005) komponiert (es spielen 110 Musiker - Staud hat<br />

des Dirigenten Aussage: „you have the licence to kill“ ernst genommen…); bei der<br />

Uraufführung wirkten die Berliner Philharmoniker mit. Die Wiener Philharmoniker<br />

unter Daniel Barenboim (mit Heinrich Schiff als Solisten) hoben Segue. Musik für<br />

Violoncello und Orchester (2006) aus der Taufe. Der prestigehafte Auftrag kam<br />

von den Salzburger Festspielen im Mozart-Jahr 2006. Für das Cleveland Orchestra<br />

und seinen Chef Franz Welser-Möst entstand On Comparative Meteorology<br />

(2008/2009) und das Gewandhausorchester Leipzig hat schon die Partitur der<br />

Komposition für Streichquartett und Orchester, Über trügerische Stadtpläne und<br />

die Versuchungen der Winternächte. Dichotomie II, erhalten. Riccardo Chailly<br />

leitet die Uraufführung unter Mitwirkung des Gewandhausquartetts. Es ist ihm<br />

auch gelungen, der Gefahr der ‚Postmodernität‘ auszuweichen und einen unverwechselbaren<br />

Personalstil zu entwickeln. Er hat in den letzten Jahren eine<br />

Sprache entwickelt, die ohne Kompromisse die HörerIn direkt anspricht, emotional<br />

packt - unter anderem dank der wunderbar ausgehörten Feinheiten der<br />

Instrumentation fasziniert.<br />

Miroslav Srnka wurde 1975 in Prag geboren. Er studierte Musikwissenschaft an der<br />

Karls-Universität in Prag (1993–1999) und Komposition an der Prager Akademie der<br />

Darstellenden Künste bei Milan Slavický (1998–2003). Studienaufenthalte führten<br />

ihn 1995/96 an die Humboldt-Universität in Berlin und 2001 an das Conservatoire<br />

National Supérieur de Musique in Paris. Austauschprogramme und Kompositionskurse<br />

absolvierte er u. a. 2002 bei Ivan Fedele, 2004 bei Philippe Manoury und<br />

am IRCAM Paris. Er wurde 2001 mit dem Gideon Klein Award ausgezeichnet, im<br />

gleichen Jahr mit dem Generace Award und 2004 mit dem Leoš Janácek Anniversary<br />

Prize. 2009 erhielt er den Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung. – 2005<br />

wurde seine Kurzoper Wall nach Jonathan Safran Foer an der Staatsoper Berlin<br />

uraufgeführt. 2006/07 war er „Komponist für Heidelberg“ am Theater Heidelberg.<br />

Seine Kompositionen wurden von Interpreten wie dem Arditti Quartet oder dem<br />

Klangforum Wien aufgeführt.<br />

Galina (Iwanowna) Ustwolskaja studierte von 1937 bis 1939 an der Musikfachschule<br />

ihrer Geburtsstadt Petrograd (St.Petersburg) und bis 1947 am dortigen<br />

Rimski-Korssakow-Konservatorium. Hier erhielt sie eine Aspirantur und leitete<br />

schließlich eine Kompositionsklasse an der dem Konservatorium angegliederten<br />

Musikfachschule. Ihr Kompositionslehrer Dmitri Schostakowitsch äußerte sich be-<br />

geistert über sie. Mehrfach setzte er sich gegen den Widerstand seiner Kollegen im<br />

Komponistenverband für sie ein. Ustwolskaja gilt neben Sofia Gubaidulina als die<br />

bedeutendste Komponistin Russlands. Ihr Werkkatalog ist überaus konzentriert, ihre<br />

musikalische Botschaft lapidar und kompromisslos. Ustwolskajas Kompositionen sind<br />

„sinfonisch“ gedacht, unabhängig von ihrer tatsächlichen Besetzung oder zeitlichen<br />

Ausdehnung. Sie schreibt eine asketische, von unerhörter rhythmischer Kraft getragene<br />

Musik. Im Notenbild fehlen häufig Taktstriche, was erstaunlich asymmetrische<br />

polyphone Konstruktionen hervorbringt. Dynamische Entwicklungen sind fast auf<br />

reine Terrassendynamik reduziert und von extremen Kontrasten geprägt. Die von<br />

ihr vertonten vornehmlich christlichen Texte sind aphoristisch und konzentriert. Ihre<br />

Werke künden von einem strengen, unabhängigen Geist, von unerbittlichem Willen<br />

und tiefer Gläubigkeit. Sie starb 2006 in St.Petersburg.<br />

Edgard Varèse wurde 1883 in Paris geboren, wuchs im Dorf Le Villars in Burgund<br />

bei seinem Großvater Claude Cortot auf, bis seine Eltern mit ihm nach Turin zogen.<br />

Dort entstanden erste Kompositionsversuche. Der Vater Varèses stand jedoch den<br />

musikalischen Interessen seines Sohnes äußerst ablehnend gegenüber. Varèse<br />

sollte Ingenieurswesen studieren, setzte jedoch seine musikalische Ausbildung<br />

heimlich fort, wurde Schüler des Turiner Konservatoriums, spielte Schlagzeug<br />

im Opernorchester und dirigierte. Als er 1903 nach Paris ging, kam es zum<br />

endgültigen Bruch mit seinem Vater. In Paris studierte er Musik an der Schola<br />

Cantorum bei Vincent d’Indy und Charles Bordes und am Pariser Konservatorium<br />

bei Charles-Marie Widor. Er komponierte erste Orchesterwerke. 1907 lernte er<br />

Debussy kennen und zog nach Berlin, wo er Ferruccio Busoni traf, den er sehr<br />

bewunderte. Er knüpfte Kontakte zu Hofmannsthal, Ravel, Strauss, Mahler, hörte<br />

Schönbergs Pierrot Lunaire unter Busoni und die UA von Strawinskys Le sacre du<br />

printemps. 1913 vernichtete ein Brand fast alle seine Manuskripte. Zu Beginn des<br />

Ersten Weltkriegs ging er nach Paris und emigrierte 1915 in die USA, wo er u.a.<br />

auf Duchamp, Picabia und die NYer Avantgardisten stieß. 1923 erregte Varèse mit<br />

Hyperprism und später mit Ionisation Aufsehen, weil seine Musik u.a. durch die<br />

ausgiebige Verwendung von Perkussionsinstrumenten und Geräuscherzeugern<br />

sich dem herkömmlichen Verständnis von melodisch-harmonischen Beziehungen<br />

widersetzte. Varèse definierte den Musikbegriff neu, indem er ihn als „son organisé“<br />

konzipierte und komponierte Klänge nach Kriterien wie Dichte und Bewegungsrichtung.<br />

Um 1935 begann eine große Schaffenskrise Varèses, die noch<br />

bis etwa 1950 anhalten sollte. In den 50er Jahren wurden dann seine Werke vor<br />

allem in Europa und schließlich auch in den USA erfolgreich aufgeführt, und er<br />

fand überaus regen Zuspruch vor allem bei der jungen Komponistengeneration.<br />

Edgard Varèse starb 1965 in New York.


174 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 175<br />

Claude Vivier. Geboren 1948. Die Musik von Claude Vivier ist eine Reflexion<br />

seines eigenen Lebens. Die Themen seiner Kompositionen waren sowohl direkt<br />

als auch indirekt inspiriert von seiner unbekannten Herkunft, der Suche nach<br />

seiner Mutter, seiner religiösen Berufung, seiner Homosexualität.<br />

Neunundvierzig Werke, die er während seiner kurzen Karriere komponierte, zeigen<br />

das beeindruckende Vermächtnis eines Menschen, der ebenso leidenschaftlich<br />

dem Leben wie der Musik gegenüberstand. In Montreal als Sohn unbekannter<br />

Eltern geboren, wurde Vivier im Alter von drei Jahren adoptiert. Während einer<br />

Zeitspanne von vier Jahren studierte er am Conservatoire de musique de Montréal<br />

Komposition bei Gilles Tremblay und Klavier bei Irving Heller.<br />

1971 verließ Vivier Kanada um in Europa zu studieren. Das erste Jahr verbrachte<br />

er am Institut für Sonologie (Utrecht, Niederlande), wo er Unterricht in elektroakustischer<br />

Komposition bei Gottfried Michael Koenig nahm. Anschließend studierte er<br />

bei Hans Ulrich Humpert und Karlheinz Stockhausen in Köln. Von letzterem wurde<br />

Vivier erheblich im Bereich kompositorische Techniken (Parameterquantifikation,<br />

permutative Strukturen, Ringmodulationen) beeinflusst, obwohl er dennoch eine<br />

höchst individuelle Sprache entwickelte, die sich in produktiver Auseinandersetzung<br />

mit fernöstlichen Sprachelementen beschäftigte. Die Verflechtung seines<br />

privaten und beruflichen Lebens, des Realen und des Imaginären, zeigt ein herausragendes<br />

umfassendes Bewusstsein, dessen Botschafter Viviers Musik ist.<br />

Er wurde 1983 in Paris ermordet.<br />

Iannis Xenakis wurde 1922 in einer in Rumänien lebenden griechischen Familie<br />

geboren. 1932 wanderten seine Eltern mit ihm nach Griechenland aus. Er<br />

studierte von 1940 bis 1946 Ingenieurwissenschaften in Athen, engagierte sich<br />

im Widerstandskampf gegen die Nazi-Besatzung und im anschließenden Bürgerkrieg,<br />

erlitt eine schwere Gesichtsverwundung und geriet in Gefangenschaft,<br />

wurde zum Tode verurteilt, flüchtete und ging 1947 als politischer Flüchtling<br />

nach Paris. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich der Musik nur autodidaktisch<br />

gewidmet. Danach aber nahm er musikalischen und kompositorischen Unterricht<br />

bei Arthur Honegger, Darius Milhaud und Olivier Messiaen. Gefördert<br />

hatte ihn Ende der fünfziger Jahre auch der Dirigent Hermann Scherchen,<br />

der 1955 den ersten Essay von Xenakis über die Krise der seriellen Musik in<br />

seinen Gravesaner Blättern abgedruckt und mehrere der Stücke von Xenakis<br />

zur Uraufführung gebracht hat. Kurz nach seiner Übersiedlung nach Paris kam<br />

es zur Begegnung mit dem Architekten Le Corbusier, bei dem Xenakis als<br />

Assistent arbeitete. Den Philips-Pavillon der Brüsseler Weltausstellung 1958<br />

entwarf er nach hyperbolischen Kurven, mithilfe derer er zur gleichen Zeit schon<br />

seine erste Komposition Metastasis für einundsechzig Instrumente geschrieben<br />

hatte. Die Uraufführung von Metastasis bei den Donaueschinger Musiktagen<br />

1955 unter der Leitung von Hans Rosbaud brachte Xenakis den Durchbruch<br />

an die Spitze der internationalen Szene der neuen Musik. Iannis Xenakis starb<br />

im Februar 2001 in Paris.<br />

Frank Zappa (1940-1993) war ein amerikanischer Komponist und Musiker. Er<br />

veröffentlichte mehr als 60 Musikalben. Zappa hat die Rockmusik erheblich beeinflusst,<br />

sowohl durch seine von Stilanleihen und rhythmischer Vielfalt geprägten<br />

Kompositionen als auch durch seine Texte. Diese nahmen Bezug auf Popkultur<br />

und Zeitgeschehen und waren oft satirisch oder auch dadaistisch-absurd geprägt.<br />

Er wurde in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen und erhielt<br />

zwei Grammys. Zappa betätigte sich auch als Musikproduzent und Filmregisseur<br />

und komponierte orchestrale Stücke. Sein Hauptinstrument war die E-Gitarre,<br />

er war aber auch oft als Sänger zu hören und spielte Schlagzeug, E-Bass und<br />

Keyboards. Charakteristisch für Zappa sind seine mitunter in größeren dramaturgischen<br />

Zusammenhängen gestalteten Bühnenshows, seine (Musik-)Filme, die<br />

die Bildästhetik des Musikfernsehens vorformulieren halfen, sowie sein Wirken<br />

als autarker Musikproduzent, der alle Schritte der Produktentstehung steuerte<br />

und beeinflusste.<br />

Hans Zender, geboren 1936 in Wiesbaden. Studierte Komposition (bei Wolfgang<br />

Fortner), Klavier und Dirigieren. Stationen seiner Dirigentenlaufbahn wurden<br />

unter anderem von Bonn über Kiel nach Saarbrücken, wo er von 1971 bis 1984<br />

Chefdirigent des Symphonieorchesters des Saarlandischen Rundfunks war,<br />

und danach weiter nach Hamburg und Hilversum. 1988 er den Lehrstuhls für<br />

Komposition an der Musikhochschule Frankfurt am Main. Etwa die Hälfte seiner<br />

Kompositionen sind Text gebunden und beziehen sich entweder auf die fernöstliche<br />

Zen-Tradition oder auf Autoren der abendländischen Geistesgeschichte,<br />

wie zum Beispiel die Cantos (begonnen 1965). In seinem Werk zeigen sich Tendenzen<br />

zu zyklischen Werken, wie etwa die Zwölf Modelle (1971/73) für variable<br />

Besetzung. Hans Zender entwickelte eine Collage-Technik, in der er klassische<br />

und literarische Vorlagen einbindet und die zu Werken wie dem 1979-81 entstandenen<br />

Kammermusikzyklus Hölderlin lesen oder dem Dialog mit Haydn (1982)<br />

führten. 1986 fand die Uraufführung seiner Oper Steven Climax in Frankfurt statt.<br />

1993 fand die Uraufführung der Oper Don Quijote de la Mancha in Stuttgart statt.<br />

1997 wurde ihm sowohl der Frankfurter Musikpreis, als auch der Goethepreis der<br />

Stadt Frankfurt verliehen. In Berlin wurde 2005 seine Oper Chief Joseph an der<br />

Deutschen Staatsoper uraufgeführt. Seit 1999 ist er ständiger Gastdirigent und<br />

Mitglied der künstlerischen Leitung des SWF-Sinfonieorchesters.


176 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 177<br />

Hochtor, Ödstein und Reichenstein


178 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 179<br />

Biographien der InterpretInnen<br />

und Ensembles<br />

Arnold Schoenberg Chor<br />

Steven Dann<br />

Uwe Dierksen<br />

ensemble recherche<br />

Dieter Flury<br />

Marino Formenti<br />

Beat Furrer<br />

Nicolas Hodges<br />

Martin Homann<br />

Mathilde Hoursiangou<br />

Kammerensemble Neue Musik Berlin<br />

Daniel Kirch<br />

Wroclaw Chamber Orchestra Leopoldinum (Kammerorchester Breslau)<br />

Klangforum Wien<br />

Ernst Kovacic<br />

Donna Molinari<br />

Ernesto Moliari<br />

Vocalsolisten Stuttgart<br />

Erwin Ortner<br />

Emilio Pomárico<br />

Schlagquartett Köln<br />

Robyn Schulkowsky<br />

Adam Weisman<br />

Marcus Weiss<br />

Björn Wilker<br />

Zebra Trio<br />

Arnold Schoenberg Chor. Der 1972 von seinem künstlerischen Leiter Erwin<br />

Ortner gegründete Arnold Schoenberg Chor zählt zu den vielseitigsten und<br />

meistbeschäftigten Vokalensembles Österreichs. Das Repertoire reicht von der<br />

Renaissance- und Barockmusik bis zur Gegenwart mit dem Schwerpunkt auf<br />

zeitgenössischer Musik. Das besondere Interesse des Chores gilt der A-cappella-<br />

Literatur, aber auch große Chor-Orchester-Werke stehen immer wieder auf dem<br />

Programm. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Mitwirkung bei Opernproduktionen<br />

beginnend mit Schuberts Fierrabras (Regie: Ruth Berghaus) unter Claudio Abbado<br />

bei den Wiener Festwochen 1988, Messiaens Saint François d’Assise (Regie:<br />

Peter Sellars) unter Esa-Pekka Salonen (1992) sowie die Uraufführung von Berios<br />

Cronaca del Luogo (Regie: Claus Guth) unter Sylvain Cambreling (1999) bei den<br />

Salzburger Festspielen. Weitere Fixpunkte der szenischen Tätigkeit des Chores<br />

sind die regelmäßige Mitwirkung bei den Opernaufführungen des Theaters an<br />

der Wien; die Produktion von Janáceks Aus einem Totenhaus (Regie: Patrice<br />

Chéreau) unter Pierre Boulez wurde zur besten Aufführung des Jahres 2007 unter<br />

allen Opernproduktionen im deutschsprachigen Raum gewählt; Ebenso großen<br />

Erfolg feierte im Jahr 2008 Strawinskys The Rakes Progress (Regie: Martin Kusej)<br />

unter Nikolaus Harnoncourt. Der Arnold Schoenberg Chor unternimmt zahlreiche<br />

Konzertreisen und ist seit Jahren bei den Wiener Festwochen, den Salzburger<br />

Festspielen, bei Wien Modern, dem Carinthischen Sommer und der styriarte Graz<br />

zu Gast. Einspielungen des Chors erhielten renommierte Preise, so etwa 2002<br />

den „Grammy“ für Matthäus-Passion unter Nikolaus Harnoncourt.<br />

Steven Dann (Viola). Seine musikalische Laufbahn umfasst die gesamte Bandbreite<br />

an Möglichkeiten, die sein Instrument bietet. Steven Dann wurde 1953 in<br />

Vancouver, Kanada geboren. Sein erster Lehrer war Lorrand Fenyves. Er studierte<br />

außerdem bei William Primrose, Robert Pikler und Bruno Giuranna. Steven Dann<br />

hat in sechs Sommerkursen das Streichquartett-Repertoire bei Zoltan Szekely<br />

und Mitgliedern des Hungarian String Quartet studiert. Nach seinem Abschluss<br />

wurde er zum Solo-Bratschisten des National Arts Centre Orchestra in Ottawa,<br />

Kanada ernannt. Diese Position hatte er auch beim Tonhalle-Orchester Zürich,<br />

dem Royal Concertgebouw Orchestra und bei den Symphonieorchestern von Vancouver<br />

und Toronto inne. Er gastierte als Solo-Bratschist beim Boston Symphony<br />

Orchestra unter Seiji Ozawa und beim City of Birmingham Symphony Orchestra<br />

unter Sir Simon Rattle. Als Solist bei Konzerten und für Aufnahmen musizierte<br />

er mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Nicolaus Harnoncourt, Paavo<br />

Berglund und Pierre Boulez. Er ist einer der Gründer des Axelrod String Quartet<br />

und zudem seit 1990 Mitglied der Smithsonian Chamber Players in Washington,<br />

D.C. Komponistinnen und Komponisten wie Alexina Louie, Peter Lieberson, R.


180 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 181<br />

Murray Shafer, Frederick Schipitsky und Christos Hatzis haben Werke für Steven<br />

Dann geschrieben. Derzeit konzertiert er außerdem mit Stücken von Giya Kancheli,<br />

Wolfgang Amadeus Mozart und Mark-Anthony Turnage. Steven Dann ist<br />

regelmäßig bei zahlreichen internationalen <strong>Festival</strong>s zu Gast, wie zum Beispiel<br />

dem Young Artists Program des National Arts Centre, der Domaine Forget Québec<br />

oder dem Banff Centre fort he Arts. Er unterrichtet Bratsche und Kammermusik<br />

an der Glenn Gould School in Torontos Royal Conservatory of Music. Er lebt in<br />

Toronto und spielt eine Bratsche von Joseph Gagliano von ca. 1780.<br />

Uwe Dierksen (Posaune). Geboren 1959 in Hannover, studierte er in Hannover,<br />

Hamburg und London. Seit 1983 ist er Posaunist im Ensemble Modern und arbeitete<br />

seitdem mit namhaften Musikern, Komponisten und Dirigenten zusammen.<br />

Zahlreiche Kompositionen sind für ihn geschrieben und von ihm uraufgeführt<br />

worden. Er spielte über 20 Tonträger ein, davon etwa ein Drittel als Solist.<br />

In der Saison 2005/2006 spielt er u.a. die Uraufführung von Johannes Maria Stauds<br />

incipit III für Soloposaune und Orchester mit dem WDR Sinfonieorchester, die<br />

Uraufführung von ROOR für Soloposaune von Arnulf Hermann und ist Solist in<br />

NUN von Helmut Lachenmann mit dem Ensemble Modern Orchestra. Außerdem<br />

wird es die Uraufführung eines Recitals geben, der in Zusammenarbeit mit der<br />

Klasse für angewandte Theaterwissenschaft von Heiner Goebbels entsteht.<br />

Das ensemble recherche ist eines der profiliertesten Ensembles für neue Musik.<br />

Mit über vierhundert Uraufführungen seit der Gründung im Jahr 1985 hat das<br />

Ensemble die Entwicklung der zeitgenössischen Kammer- und Ensemblemusik<br />

maßgeblich mitgestaltet.<br />

Das neunköpfige Solistenensemble hat mit seiner eigenen dramaturgischen Linie<br />

einen festen Platz im internationalen Musikleben gefunden. Neben seiner ausgedehnten<br />

Konzerttätigkeit wirkt das ensemble recherche bei Musiktheaterprojekten<br />

mit und produziert für Hörfunk und Film.<br />

Das Repertoire beginnt bei den Klassikern des ausgehenden 19. Jahrhunderts,<br />

reicht u.a. vom französischen Impressionismus über die Zweite Wiener Schule und<br />

den Expressionisten bis zur Darmstädter Schule, dem französischen Spektralismus<br />

bis zu avantgardistischen Experimenten der Gegenwartskunst. Ein weiteres<br />

Interesse des ensemble recherche gilt der zeitgenössischen Sicht auf die Musik<br />

vor 1700. Das ensemble recherche organisiert sich in Eigenregie.<br />

Dieter Flury (Flöte), in Zürich geboren, studierte bei Hans Meyer (Tonhalle<br />

Zürich) und André Jaunet (Konservatorium Zürich). Einige Begegnungen mit<br />

Aurèle Nicolet ergänzten seine Ausbildung und beeinflussten seine Entwicklung<br />

nachhaltig. Gleichzeitig absolvierte er ein Mathematikstudium an der ETH Zürich.<br />

1977 wurde er in das Orchester der Wiener Staatsoper engagiert, seit 1981 ist<br />

er Erster Flötist der Wiener Philharmoniker. Solistische Auftritte mit den Wiener<br />

Philhamonikern, den Wiener Symphonikern, dem Zürcher Kammerorchester, dem<br />

New Japan Philhamonic Orchestra u.a. Daneben wirkt er weiterhin als Kammermusiker<br />

(Gründermitglied im Wiener Bläserensemble, im Klangforum Wien und<br />

bei den Wiener Virtuosen) und als Solist. Komponisten wie Beat Furrer, Klaus<br />

Huber, György Ligeti, Salvatore Sciarrino, Theo Wegmann, Herbert Willi und Hans<br />

Zender erarbeiteten mit ihm eigene Werke. Verschiedene Uraufführungen wurden<br />

ihm anvertraut, beispielsweise das Flötenkonzert von Uros Rojko (zusammen mit<br />

den Wiener Symphonikern unter Claudio Abbado) im Rahmen des <strong>Festival</strong>s „Wien<br />

Modern“. Zeitweilig beschäftigte er sich mit den mathematischen Grundlagen der<br />

Musiktheorie und stellte eine „axiomatische Theorie der Töne“ auf. Dieter Flury<br />

begann im Zuge einer Vertretung für Prof. Barbara Gisler (Musikhochschule Wien)<br />

zu unterrichten. Nach einigen Meisterkursen (z.B. Pacific Music <strong>Festival</strong> 1991 und<br />

1992 in Sapporo, Forum Musicae in Madrid) sowie zweijähriger Unterrichtstätigkeit<br />

am Konservatorium der Stadt Wien übernahm er 1996 eine Konzertausbildungsklasse<br />

an der Musikuniversität Graz und im gleichen Jahr die Nachfolge von Peter<br />

Lukas Graf an der Internationalen Sommerakademie an der Lenk.<br />

Marino Formenti (Klavier) gilt als einer der führenden Pianisten und Dirigenten<br />

zeitgenössischer Musik. Im Laufe seiner bemerkenswerten Karriere arbeitete er<br />

mit namhaften Komponisten wie Olga Neuwirth, Helmut Lachenmann, György<br />

Kúrtag, Salvatore Sciarrino oder Beat Furrer zusammen und interpretierte u.a.<br />

Werke von Karlheinz Stockhausen, Luciano Berio, John Cage und Olivier Messiaen.<br />

An führenden <strong>Festival</strong>s wie den Salzburger Festspielen, der Ruhrtriennale,<br />

dem Lucerne <strong>Festival</strong>, dem <strong>Festival</strong> Musica Strasbourg oder den Berliner Festwochen<br />

ist er ein gern gesehener Gast. Marino Formenti spielte unter namhaften<br />

Dirigenten wie Sylvain Cambreling, Franz Welser-Möst, Ingo Metzmacher oder<br />

Peter Eötvös und hat mehrere preisgekrönte CD-Produktionen veröffentlicht. Als<br />

Dirigent trat Marino Formenti unter anderem bei den Wiener Festwochen, dem<br />

Teatro alla Scala in Mailand und der Salle Pleyel in Paris in Erscheinung. Erst<br />

kürzlich wurde er mit dem renommierten Belmont-Preis 2009 für zeitgenössische<br />

Musik der Forberg-Schneider-Stiftung ausgezeichnet.<br />

Beat Furrer (Siehe Biographien der KomponistInnen)<br />

Nicolas Hodges (Klavier) wurde 1970 in London geboren. Konzertauftritte u.a.<br />

mit dem Chicago Symphony Orchestra, dem MET Orchestra, der Londoner Phil-


182 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 183<br />

harmonie, dem WDR Sinfonieorchester, dem Sinfonieorchester Luzern und dem<br />

ASKO/Schönberg Ensemble. Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Barenboim,<br />

Rundel, Saraste, Valade und Zender. Teilnahme an zahlreichen <strong>Festival</strong>s wie<br />

Witten, Darmstadt, Zürich (Tage für Neue Musik), Wien (Wien Modern) und den<br />

USA (Carnergie Hall). Mehr als 20 CD-Einspielungen. Nicolas Hodges unterrichtet<br />

an der Musikhochschule in Stuttgart.<br />

Martin Homann (Schlagzeug) spielt seit seinem 10. Lebensjahr Schlagzeug. 1985<br />

begann er sein Schlagzeugstudium bei Prof. Peter Sadlo an der Hochschule für<br />

Musik in München, das er 1992 mit dem Meisterklassendiplom abschloss. 1987<br />

bis 1990 war er Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie und wendete sich<br />

zunehmend der Neuen Musik zu.<br />

Seit seinem Studium arbeitete er als Gast mit allen wichtigen Ensembles der<br />

zeitgenössischen Musik zusammen (Ensemble Modern, Klangforum Wien<br />

u.a.) , was sich in zahlreichen Tourneen und CD-Einspielungen dokumentiert.<br />

Seit 1996 ist er ständiger Gast des Münchener Kammerorchesters und spielt<br />

regelmäßig mit anderen Kammerorchestern wie der Deutschen Kammerphilharmonie<br />

und dem Mahler Chamber Orchestra. Ebenfalls seit 1996 arbeitet<br />

er kontinuierlich als Theatermusiker bei den Münchener Kammerspielen und<br />

dem Residenztheater München. Sein starkes Interesse an der Historischen<br />

Aufführungspraxis führte seit 2000 zu einer regen Zusammenarbeit mit vielen<br />

Ensembles der Alten Musik. 2003 war Martin Homann Gründungsmitglied von<br />

ascolta.<br />

Mathilde Hoursiangou (Klavier), geboren in Paris, wurde am Conservatoire<br />

National Supérieur de Musique in ihrer Geburtsstadt ausgebildet. Seit Anfang<br />

der neunziger Jahren lebt sie in Wien, wo sie einer regen Konzerttätigkeit in allen<br />

möglichen Besetzungen nachgeht. Sie hat mit einer großen Zahl bekannter<br />

Ensembles und Musiker zusammengearbeitet (u.a. Klangforum Wien, Ensemble<br />

Online Vienna, RSO Wien, Ensemble Wiener Collage, Ensemble die reihe,<br />

cappella con durezza, IGNM Basel, Ensemble Do You Know) und ist bei vielen<br />

<strong>Festival</strong>s in ganz Europa aufgetreten. Mit dem Geiger Ernst Kovacic spielt sie<br />

seit über zehn Jahren im Duo regelmäßig zusammen. Sie haben zusammen<br />

das gesamte Werk für Violine und Klavier von Friedrich Cerha aufgenommen.<br />

Ihr vielfältiges Repertoire konzentriert sich auf die Musik der Moderne und die<br />

zeitgenössische Musik, für die sie sich seit ihrer Studienzeit intensiv engagiert.<br />

Der Arbeit mit lebenden Komponisten geht sie seit jeher mit Überzeugung und<br />

Begeisterung nach. Sie hat zahlreiche zum Teil ihr gewidmete Stücke ur- bzw. in<br />

Österreich erstaufgeführt.<br />

Das Kammerensemble Neue Musik Berlin (KNM Berlin) entstand 1988 aus<br />

einer Initiative von Studenten der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Neben<br />

Aufführungen zeitgenössischer Kammermusik widmet es sich insbesondere dem<br />

modernen Musiktheater und anderen experimentellen Musikformen und entwickelte<br />

den Aufführungsstil der Konzertinstallation. Von den zahlreichen Komponisten,<br />

die mit dem KNM zusammenarbeiteten, seien Mark Andre, Georg Katzer, Chris<br />

Newman, Helmut Oehring und Dieter Schnebel genannt, unter den Dirigenten<br />

insbesondere Roland Kluttig. Das Ensemble hat 13 feste Mitglieder, tritt aber auch<br />

in kleineren Besetzungen auf. Das KNM gastiert in allen wichtigen Musikzentren<br />

Europas und beider Amerikas, es erhielt Einladungen zu den Donaueschinger<br />

Musiktagen, den Wiener Festwochen, Wien Modern, Biennale München, <strong>Festival</strong><br />

d’Automne à Paris, ars musica Brüssel und musica Strasbourg. In Berlin war<br />

es mehrfach bei MaerzMusik und beim UltraSchall-<strong>Festival</strong> zu hören sowie mit<br />

Eigenproduktionen wie HouseMusik oder space+place.<br />

Daniel Kirch (Tenor) studierte an der Hochschule für Musik seiner Heimatstadt<br />

Köln bei Hans Sotin, sowie in Berlin bei Prof. Irmgard Hartmann-Dressler und<br />

ging als Preisträger aus mehreren Wettbewerben hervor. Mit Beginn der Spielzeit<br />

1997/98 holte ihn Operndirektor Harry Kupfer in das Ensemble der Komischen<br />

Oper Berlin, dem er auch als Gast, bis im Jahre 2004 verbunden war. In den<br />

vergangenen Spielzeiten sang er u. a. unter der Leitung von Marek Janowski,<br />

Michael Gielen, Kent Nagano, Eliahu Inbal, Valery Gergiev, René Jacobs, Christian<br />

Thielemann, Claudio Abbado und arbeitete mit Regisseuren wie Robert Carsen,<br />

Andreas Homoki, Peter Konwitschny, Günter Krämer, Harry Kupfer, Christof Loy<br />

und David Pountney zusammen. Gastspiele führten ihn u. a. an die Deutsche<br />

Staatsoper Berlin, das Opernhaus Zürich, die Deutsche Oper Berlin, die Oper<br />

Leipzig, die Oper der Stadt Köln, an die Nederlands Reisopera, das Opernhaus<br />

Düsseldorf, das Théâtre de la Monnaie Brüssel und das Gran Teatro Liceu in<br />

Barcelona, sowie an die Bayerische Staatsoper München. In der Vergangenheit<br />

gastierte der Künstler auch an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, der Oper<br />

Frankfurt, der Semperoper in Dresden, an der Mailänder Scala, den Bregenzer<br />

Festspielen, am Theater Basel und – in Koproduktion mit der Wiener Staatsoper<br />

– am Wiener Burgtheater und. Als Liedsänger gab er im Mai 1999 in Berlin mit<br />

einer enthusiastisch aufgenommenen Dichterliebe von Robert Schumann seinen<br />

Einstand. Für Schuberts Winterreise arbeitete Daniel Kirch erneut mit Michael<br />

Thalheimer zusammen und debütierte damit 2007 am Deutschen Theater. Die<br />

unkonventionelle Inszenierung des Schubertschen Liederzyklus wurde mit großem<br />

Erfolg aufgenommen und über mehrere Jahre vor ausverkauftem Haus gespielt.<br />

Bisherige Höhepunkte der laufenden Konzertsaison waren Auftritte mit dem


184 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 185<br />

Berliner Konzerthausorchester und Lothar Zagrosek sowie mit dem Ensemble<br />

Intercontemporain unter Susanna Mälkki.<br />

Das Wroclawska Orkiestra Kameralna Leopoldinum (Kammerorchester Breslau)<br />

wurde 1978 gegründet. Sein Name bezieht sich auf die Aula Leopoldina in<br />

der Universität Breslau. Seit 2007 ist Ernst Kovacic künstlerischer Leiter des<br />

Ensembles.<br />

Das Ensemble genießt internationale Anerkennung und hat regelmäßige Gastspiele<br />

in der Philharmonie und am Schauspielhaus in Berlin, Tivolis Koncertsal<br />

in Kopenhagen, am Teatro Victoria Eugenia in San Sebastian und auf mehreren<br />

europäischen <strong>Festival</strong>s, so etwa bei Tivoli in Dänemark, beim St.Gallen <strong>Festival</strong><br />

und Brücken <strong>Festival</strong> in Österreich, Flanders <strong>Festival</strong> in Belgien, Muziekfestival<br />

West-Brabant in Holland, Bodensee-<strong>Festival</strong> und Weilburger Schlosskonzerte in<br />

Deutschland, Echternach <strong>Festival</strong> in Luxemburg, Du Perigord Noir in Frankreich,<br />

Estoril in Portugal und auf den wichtigsten polnischen <strong>Festival</strong>s, wie etwa dem<br />

Warschauer Herbst, Wratislavia Cantans und Musica Polonica Nova und weitere.<br />

Das Ensemble ist Teil der Witold Lutoslawski Philharmonie in Breslau.<br />

Klangforum Wien. 1985 von Beat Furrer als Solisten-Ensemble für zeitgenössische<br />

Musik gegründet. 24 MusikerInnen aus neun Ländern verkörpern eine<br />

künstlerische Idee und eine persönliche Haltung, die ihrer Kunst zurückgeben,<br />

was ihr im Verlauf des 20. Jahrhunderts allmählich und fast unbemerkt verloren<br />

gegangen ist: einen Platz in ihrer eigenen Zeit, in der Gegenwart und in der Mitte<br />

der Gemeinschaft, für die sie komponiert wird und von der sie gehört werden<br />

will. Seit seinem ersten Konzert, welches vom Ensemble noch als ‚Société de<br />

l’Art Acoustique‘ unter der musikalischen Leitung seines Gründers Beat Furrer<br />

im Palais Liechtenstein gespielt wurde, hat das Klangforum Wien unversehens<br />

ein Kapitel Musikgeschichte geschrieben: An die fünfhundert Kompositionen<br />

von KomponistInnen aus drei Kontinenten hat das Ensemble uraufgeführt und<br />

so zum ersten Mal ihre Notenschrift in Klang übersetzt. Auf eine Diskographie<br />

von mehr als 70 CDs, auf eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen und auf<br />

2000 Auftritte in den ersten Konzert- und Opernhäusern Europas, Amerikas und<br />

Japans, bei den großen <strong>Festival</strong>s ebenso wie bei jungen engagierten Initiativen<br />

könnte das Klangforum Wien zurückblicken, wenn das Zurückblicken denn seine<br />

Sache wäre. Seit dem Jahr 2009 könnte sich das Klangforum Wien auf Grund<br />

eines Lehrauftrags der<br />

Kunstuniversität Graz auch in corpore ‚Professor‘ nennen. Die Mitglieder des<br />

Klangforum Wien stammen aus Australien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich,<br />

Griechenland, Italien, Österreich, Schweden und der Schweiz.<br />

Ernst Kovacic (Geige). Geboren in Kapfenberg, Österreich, zählt er zu den vielseitigsten<br />

Geigern und Dirigenten seiner Generation. Wien mit seinem starken<br />

Spannungsfeld zwischen Tradition und innovativen Kräften prägte Ernst Kovacic<br />

nachhaltig. Dieser Einfluss ist in seinem Formbewusstsein, seiner musikalischen<br />

Ausdeutungsweise und seiner Klangvision spürbar. Durch seine Interpretation der<br />

Solowerke Bachs, der Violinkonzerte Mozarts und durch sein Engagement für die<br />

Musik des 20. Jahrhunderts erlangte er internationale Bekanntheit. Er konzertiert<br />

als Solist prominenter Orchester unter Dirigenten wie Sir Simon Rattle, Sir Roger<br />

Norrington, Eska Pekka Salonen, Michael Gielen und Franz Welser-Möst. Ernst<br />

Kovacic spielt eine Geige von Giovanni Battista Guadagnini aus dem Jahre 1753.<br />

2007 hat er die künstlerische Leitung des Kammerorchesters Leopoldinum in<br />

Wroclaw, Polen, übernommen.<br />

Donna Molinari (Klarinette) wurde in den USA geboren und erhielt ihren Bachelor<br />

of Music Am Peabody Conservatory of Music in Baltimore, Maryland und ihr<br />

Diplom in Wien, wo sie seit 1979 wohnt. Donna Molinari spielt als Solistin und<br />

Kammermusikerin in den musikalischen Zentren in Europa, Asien, Australien und<br />

den USA. Fernseh- und Radioproduktionen, zahlreiche CD-Einspielungen, unter<br />

anderem auch von ihren eigenen Kompositionen begleiten ihre künstlerische<br />

Karriere. Sie interessiert sich besonders für die Improvisation und Interpretation<br />

zeitgenössischer Musik. 1989-2005 war sie Mitglied des Klangforum Wien.<br />

Ernesto Molinari (Klarinette). Seine Konzerttätigkeit als Kammermusiker und Solist<br />

führen ihn zu den wichtigsten <strong>Festival</strong>s in ganz Europa u.a. zum <strong>Festival</strong> d’automne<br />

Paris, den Salzburger Festspielen, dem IMF Luzern, und dem Wien Modern.<br />

Neben der Interpretation klassischer, romantischer und zeitgenössischer Werke<br />

beschäftigt sich Ernesto Molinari mit Jazz und Improvisation. Zahlreiche Werke,<br />

die für ihn komponiert wurden, hat er zur Uraufführung gebracht. Rundfunk und<br />

CD-Aufnahmen u.a. mit Werken von Arnold Schönberg, Brian Ferneyhough, Jean<br />

Barraqué, Michael Jarrell und Emanuel Nunes begleiten seine Konzerttätigkeit.<br />

Ernesto Molinari war von 1994–2005 Mitglied des Klangforum Wien. Er lebt heute<br />

in Bern und ist Dozent an der Hochschule der Künste Bern.<br />

Neue Vocalsolisten Stuttgart Sie sind Forscher, Entdecker, Abenteurer und<br />

Idealisten. Ihre Partner sind Spezialistenensembles und Rundfunkorchester,<br />

Opernhäuser und die freie Theaterszene, elektronische Studios sowie zahlreiche<br />

Veranstalter internationaler <strong>Festival</strong>s und Konzertreihen Neuer Musik. 1984 als<br />

Ensemble für zeitgenössische Vokalmusik unter dem Dach von Musik der Jahrhunderte<br />

gegründet, sind die Neuen Vocalsolisten seit dem Jahr 2000 ein künst-


186 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 187<br />

lerisch selbstständiges Kammerensemble für Stimmen. Die sieben Konzert- und<br />

Opernsolisten, vom Koloratursopran über den Countertenor bis zum schwarzen<br />

Bass, bringen in Eigenverantwortung ihre künstlerische Gestaltungskraft in die<br />

kammermusikalische Arbeit und in die Zusammenarbeit mit Komponisten und<br />

anderen Interpreten ein. Im Zentrum ihres Interesses steht die Recherche: das<br />

Erforschen neuer Klänge, neuer Stimmtechniken und vokaler Artikulationsformen,<br />

wobei dem Dialog mit Komponisten eine große Bedeutung zukommt. In jedem<br />

Jahr werden etwa 20 Werke von den Neuen Vocalsolisten uraufgeführt. Das<br />

Musiktheater und die interdisziplinäre Arbeit mit Elektronik, Video, bildender<br />

Kunst und Literatur gehören ebenso zum Ensemblekonzept wie die Collage von<br />

kontrastierenden Elementen Alter und Neuer Musik.<br />

Erwin Ortner (musikalische Leitung) war Mitglied der Wiener Sängerknaben,<br />

später Student an der Musikhochschule (u.a bei H. Swarowsky, H. Gillesberger).<br />

Seit 1980 lehrt Ortner Chorleitung/chorische Stimmbildung an der Musikuniversität<br />

in Wien; in den Jahren 1996 bis 2002 war er Rektor dieses Instituts. Ortner ist<br />

Gründer und künstlerischer Leiter des Arnold Schoenberg Chores. Zahlreiche<br />

Einspielungen und Preise dokumentieren eine enge, bereits über Jahrzehnte<br />

dauernde Zusammenarbeit mit N. Harnoncourt. Bei der Grammy-Verleihung 2002<br />

ging die Auszeichnung in der Kategorie „Beste Choraufführung“, bei der sowohl<br />

Orchesterdirigent als auch der Chorleiter ausgezeichnet werden, an die Aufnahme<br />

von Bachs Matthäus-Passion unter Harnoncourt mit dem ASC. Als Dirigent<br />

führten ihn Projekte gemeinsam mit M. Pollini nach New York, Paris und Tokyo;<br />

Einladungen als Gastdirigent dokumentieren seine vielseitige Tätigkeit im In- und<br />

Ausland. Ortner ist auch bei renommierten Kursen für Chor- und Orchesterleitung<br />

weltweit gefragter Dozent. Er übernimmt ab 2010 die Leitung der seit dem Jahr<br />

1498 bestehenden Wiener Hofmusikkapelle.<br />

Emilio Pomárico (musikalische Leitung) wurde als Sohn italienischer Eltern in<br />

Buenos Aires geboren. Er studierte in Italien, in Mailand, und bildete sich bei Franco<br />

Ferrara (Siena 1979-1980) und Sergiu Celibidache (München 1981) weiter. Er<br />

debütierte 1982 mit einer erfolgreichen Konzertserie in Italien und Südamerika.<br />

Er arbeitete mit den wichtigsten italienischen Orchestern in Turin, Rom, Mailand,<br />

Padua, Veneto, Bozen, Palermo, Parma, Florenz und mit Theaterorchestern, wie<br />

dem Orchester der Mailänder Scala. Auch in zahlreichen europäischen Städten<br />

dirigierte Pomárico: Paris, Genf, Lissabon, Berlin, Basel, Frankfurt, Zürich, Glasgow,<br />

Edinburgh etc. Emilio Pomárico wurde bisher an zahlreiche internationale <strong>Festival</strong>s<br />

eingeladen. Um nur einige zu nennen: <strong>Festival</strong> d’Automne Paris, La Biennale<br />

Musica in Venedig, Settembre Musica in Turin, Edinburgh International <strong>Festival</strong>.<br />

Ein Schwerpunkt von Pomárico ist die zeitgenössische Musik. Zusammen mit<br />

dem Ensemble Modern in Frankfurt, dem Freiburger Ensemble Recherche, dem<br />

Ensemble Contrechamps Genf und dem Nieuw Ensemble Amsterdam erarbeitete<br />

er dementsprechende Werke. Regelmäßige Zusammenarbeit verbindet ihn auch<br />

mit dem Klangforum Wien. Der Komponist Pomárico und wurde mit dem G.-B.-<br />

Biotti-Preis ausgezeichnet. 2000 führte das ensemble recherche beim <strong>Festival</strong><br />

Musik der Zeit seine Nachtfragmente für Streichtrio auf. Pomárico ist Professor<br />

für Dirigieren an der Civica Scuola di Musica in Mailand.<br />

Das Schlagquartett Köln gab sein Debüt auf den Wittener Tagen für Neue<br />

Kammermusik 1989. Sein ebenso vielseitig wie experimentierfreudig angelegtes<br />

Repertoire umfasst weite Bereiche der komponierten Schlagzeugmusik dieses<br />

und des vergangenen Jahrhunderts. Zahlreiche Konzerte, Rundfunkproduktionen<br />

und Uraufführungen dokumentieren die nunmehr seit zwanzig Jahren andauernde<br />

kontinuierliche Arbeit für diese spezielle Besetzung. In enger Zusammenarbeit mit<br />

der jüngeren Komponistengeneration schaffen die Musiker des Schlagquartett<br />

Köln vielfach Raum für die detaillierte Lösung kompositorischer Aufgabenstellung<br />

durch die Entwicklung innovativer Spieltechniken oder den Bau spezieller Klangerzeuger.<br />

Neben ihrer Ensembletätigkeit konzertieren die einzelnen Mitglieder als<br />

Solisten und sind bei renommierten Orchestern und Kammerensembles engagiert,<br />

darunter Ensemble Modern, Klangforum Wien, Musikfabrik NRW, Thürmchen<br />

Ensemble, Ascolta Ensemble, Scola Heidelberg und Kammerensemble Neue<br />

Musik Berlin uvm.<br />

Regelmäßige Auftritte des Schlagquartett Köln bei wichtigen internationalen<br />

<strong>Festival</strong>s. Musiktheaterprojekte in Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus<br />

und der Oper Düsseldorf, der Oper Bonn, dem Stadttheater Bielefeld, der Oper<br />

und dem Schauspiel Köln und dem Staatstheater Wiesbaden. 2003 erhielt das<br />

Schlagquartett Köln den Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung.<br />

Robyn Schulkowsky (Schlagzeug), 1953 in Eureka, South Dakota geboren,<br />

studierte Schlagzeug in Iowa und New York und ergänzend bei Christoph Caskel<br />

in Köln. Seitdem arbeitet sie als freie Solistin und Komponistin. Seit 1980 lebt sie<br />

in Europa und trat unter anderem in Uraufführungen von Werken von Karlheinz<br />

Stockhausen, Mauricio Kagel, Walter Zimmermann, Rebecca Saunders, und<br />

Wolfgang Rihm auf. Darüber hinaus wurde sie als Improvisatorin bekannt und<br />

arbeitete besonders mit Lindsay Cooper, Derek Bailey und Nils Petter Molvær<br />

zusammen. Sie realisierte Multi-Media-Projekte mit Künstlern wie Günther Uecker,<br />

Sasha Waltz und dem Ghanesischen Schlagzeuger Kofi Ghanaba. Komponiert<br />

hat sie überwiegend für Theaterproduktionen und Filme sowie Stücke für Solo-


188 bIograPhIen<br />

bIograPhIen 189<br />

Perkussion und Perkussionensemble. 1998 gründete sie Rythm Lab, ein mobiles<br />

Schlagzeugstudio, mit dem sie weltweit Workshops gibt.<br />

Adam Weisman (Schlagzeug) studierte bei Fred Hinger and Chris Lamb an der<br />

Manhattan School of Music in New York, bei Sylvio Gualda in Versailles und bei<br />

Peter Sadlo und Robyn Schulkowsky in München. 1991 erhielt er den dritten<br />

Preis beim ARD Musikwettbewerb in München und 1992 den zweiten Preis beim<br />

Internationalen Musikwettbewerb in Genf. Er komponierte und spielte Musik für<br />

Theaterstücke am Bayerischen Staatsschauspiel München, Württembergischen<br />

Landestheater Esslingen und Landestheater Linz. Er spielte Neue Musik mit New<br />

Music Consort und NewBand in New York von 1988 bis 1990, sowie mit dem<br />

Ensemble Modern, mit dem Klangforum Wien (Residenzmitglied 1997-98, 2004-<br />

05) mit Musik der Jahrhunderte Stuttgart und mit Zeitkratzer (Konzerte mit Lou<br />

Reed). Er wirkte bei zahlreichen CD-Produktionen mit. Als Solist trat er in Paris,<br />

München, Genf, Berlin, Wien, Danzig, Peruggia und Mar del Plata, Argentinien<br />

auf. Er spielte Volksmusik mit der Quechua-Indianer Una Ramos und ist Rock-<br />

Drummer bei Landis Mackellar and the Diatribes.<br />

Marcus Weiss (Saxophon) ist 1961 in Basel (Schweiz) geboren. Saxophonstudium<br />

an der Musikhochschule Basel bei Iwan Roth anschliessend bei Frederick<br />

L. Hemke an der Nothwestern University (Chicago). Marcus Weiss ist einer der<br />

meistbeachtetsten Saxophonisten heute. Sein Repertoire reicht von den impressionistischen<br />

Anfängen der Saxophonliteratur bis in die Gegenwart. Er hat in den<br />

letzten Jahren unzählige solistische und auch Kammermusikwerke uraufgeführt.<br />

Darunter Werke von Georges Aperghis, Vinko Globokar, Helmut Lachenmann,<br />

John Cage. Er gastiert bei <strong>Festival</strong>s wie Wien Modern, Biennale di Venezia,<br />

Donaueschingen, Wittener Tage für neue Kammermusik, <strong>Festival</strong> d’Automne de<br />

Paris, Berliner Festwochen usw. Marcus Weiss spielt mit Ensembles wie Klangforum<br />

Wien, Ensemble Modern, ensemble recherche, Ensemble Contrechamps.<br />

In den letzten Jahren ist er auch durch eine intensive kammermusikalische Tätigkeit<br />

mit XASAX/Paris, einem Saxophonensemble und mit dem TRIO ACCANTO<br />

hervorgetreten. Er unterrichtet Saxophon und Kammermusik an der Hochschule<br />

für Musik Basel.<br />

Björn Wilker (Schlagzeug) wurde 1968 in Gelsenkirchen-Buer geboren. Er studierte<br />

Schlagzeug an der Hochschule der Künste Berlin und an der Hochschule<br />

für Musik Freiburg i.Br. Die für seine Entwicklung maßgeblichen Lehrer waren<br />

Bernhardt Wulff, Isao Nakamura und Robyn Schulkowsky. Nach ausgiebiger<br />

Konzerttätigkeit als freischaffender Schlagzeuger im Bereich der Neuen Musik<br />

wurde er 1993 Mitglied des Klangforum Wien. In den Jahren 1998/2000 unterbrach<br />

er seine dortige Konzerttätigkeit, um bei Helmut Lachenmann an der Stuttgarter<br />

Musikhochschule Komposition zu studieren. Heute ist er neben dem Klangforum<br />

Wien als Solist und als Komponist tätig.<br />

Zebra Trio. Das Streichtrio, ein einzigartiges und in weiten Teilen unerschlossenes<br />

Genre, das Meisterwerke aller musikalischen Epochen beinhaltet, hat in<br />

der Zusammenarbeit dreier bemerkenswerter Musiker einen neuen Botschafter<br />

gefunden. Gemeinsam bringen Ernst Kovacic (Violine), Steven Dann (Viola) und<br />

Anssi Karttunen (Violoncello) eine Fülle an Erfahrung, Engagement und Virtuosität<br />

ein, die dieser transparenten und äußerst individuellen Form der Kammermusik<br />

das gewisse Etwas verleiht.<br />

Nach ersten Konzerten in Kanada und ihrem europäischen Debüt im Museo Reina<br />

Sofia in Madrid, bringen die Musiker 2010 eigens für sie komponierte Trios von<br />

Kaija Saariaho, Friedrich Cerha, Rolf Wallin und Miroslav Srnka zur Uraufführung.<br />

Kaija Saariahos Cloud Trio wird beim Båstad Chamber Music <strong>Festival</strong> und Music<br />

Around aus der Taufe gehoben. Weitere Konzerte in der Saison 2010/11 führen<br />

das Zebra Trio nach Österreich (Styriarte Graz, <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>, Konzerthaus<br />

Wien) und Frankreich (Musica Strasbourg).


190 aufführungSorte<br />

aufführungSorte 191<br />

Aufführungsorte<br />

Fabrikshalle Palfinger Systems<br />

Fabrikshalle Georg Fischer Automotive<br />

Kirche St.Gallen<br />

Burg Gallenstein<br />

Stiftsbibliothek Admont<br />

Haindlkar<br />

Turnhalle St.Gallen<br />

Naturparkzentrum St.Gallen<br />

Fabrikshalle Palfinger Systems<br />

Palfinger Systems GmbH<br />

Schröckendorf 4<br />

8913 Weng im Gesäuse<br />

Koordinaten<br />

Breitengrad: 47.5965167<br />

Längengrad: 14.4974197<br />

Fabrikshalle Georg Fischer Automotive<br />

Georg Fischer GmbH & Co KG<br />

Essling 41<br />

8934 Altenmarkt<br />

Koordinaten<br />

Breitengrad: 47.722079<br />

Längengrad: 14.666462<br />

Kirche St.Gallen<br />

Kirchenviertel; Markt<br />

8933 St.Gallen<br />

Koordinaten<br />

Breitengrad: 47.69293066<br />

Längengrad: 14.61604357<br />

Burg Gallenstein<br />

8933 St.Gallen<br />

Koordinaten<br />

Breitengrad: 47.69061247<br />

Längengrad: 14.62631106<br />

Aufgrund vieler Treppen für RohlstuhlfahrerInnen schwer zugänglich.


192 aufführungSorte<br />

muSIkVermIttlung 193<br />

Stiftsbibliothek Admont<br />

Benediktinerstift Admont<br />

Admont 1, 8911 Admont<br />

www.stiftadmont.at<br />

Koordinaten<br />

Breitengrad: 47.57368845<br />

Längengrad: 14.46174145<br />

Haindlkar<br />

Nationalpark Gesäuse<br />

Nähe Haindlkar-Berghütte<br />

8912 Johnsbach<br />

Koordinaten<br />

Breitengrad: 47.5836182<br />

Längengrad: 14.6108079<br />

Zustieg vom Haindlkar-Parkplatz an der Gesäuse-Bundesstraße<br />

zwischen Johnsbachtal und Gstatterboden<br />

Dauer: ca 1,5 h<br />

Festes Schuhwerk wird dringend empfohlen.<br />

Turnhalle St.Gallen<br />

Volksschule St.Gallen<br />

Buchauerstraße 100, 8933 St.Gallen<br />

Koordinaten<br />

Breitengrad: 47.68638024<br />

Längengrad: 14.61661756<br />

Naturparkzentrum St.Gallen<br />

<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />

Markt 35, 8933 St.Gallen<br />

Koordinaten<br />

Breitengrad: 47.69275734<br />

Längengrad: 14.61688042<br />

Gr. Buchstein


194 anreISe<br />

anreISe 195<br />

Anreise zum <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong><br />

Auf der Roßkuppe<br />

Das Gesäuse liegt in der nördlichen Steiermark, im Bezirk Liezen. Ca. 130km<br />

nordwestlich von Graz, 100km südlich von Linz und ca. 180km westlich von Salzburg.<br />

Mit dem Auto von<br />

Graz<br />

A9 Richtung Linz / Salzburg<br />

Ausfahrt 86 Trieben über Dietmannsdorf bei Trieben, Admont und Weng im Gesäuse<br />

nach St.Gallen.<br />

Fahrtdauer: ca. 1h 30min<br />

Wien<br />

A1 Richtung Linz<br />

Ausfahrt 123 Amstetten West auf B121 Richtung Waidhofen an der Ybbs.<br />

Nach Waidhofen an der Ybbs weiter auf der B121. Nach Weyer auf die B115 über<br />

Altenmarkt bei St.Gallen nach St.Gallen.<br />

Fahrtdauer ca. 2h 30min<br />

Linz<br />

A1 Richtung Salzburg<br />

Knoten Voralpenkreuz auf die A9 Richtung Graz wechseln.<br />

Ausfahrt 67 Ardning auf B146 Richtung Admont über Admont und Weng im Gesäuse<br />

nach St.Gallen.<br />

Fahrtdauer ca. 1h 45min<br />

Salzburg<br />

A1 Richtung Linz<br />

Knoten Voralpenkreuz auf die A9 Richtung Graz wechseln.<br />

Ausfahrt 67 Ardning auf B146 Richtung Admont über Admont und Weng im Gesäuse<br />

nach St.Gallen.<br />

Fahrtdauer: c a. 2h


196 anreISe<br />

anreISe 197<br />

Mit der Bahn von<br />

Graz<br />

Graz Hauptbahnhof nach Weißenbach / St.Gallen oder Weißenbach / Enns Abzw<br />

Bahnhof<br />

Während der Woche:<br />

günstige Verbindungen zwischen 14:26 und 16:35<br />

Am Wochenende:<br />

günstige Verbindungen zwischen 11:38 und 15:38<br />

Fahrtdauer: ca. 3h 20min<br />

Wien<br />

Wien Westbahnhof nach Weißenbach / St.Gallen oder Weißenbach / Enns Abzw<br />

Bahnhof<br />

Während der Woche:<br />

mehrmals täglich zwischen 9:44 und 18:44<br />

Am Wochenende:<br />

mehrmals täglich zwischen 10:44 und 16:44<br />

Fahrtdauer: ca. 2h 40min<br />

Linz<br />

Linz Hauptbahnhof nach Weißenbach / St.Gallen oder Weißenbach / Enns Abzw<br />

Bahnhof<br />

Während der Woche:<br />

mehrmals täglich zwischen 7:00 und 17:30<br />

Am Wochenende:<br />

mehrmals täglich zwischen 10:30 und 15:53<br />

Fahrtdauer: ca. 2h<br />

Salzburg<br />

Salzburg Hauptbahnhof nach Weißenbach / St.Gallen oder Weißenbach / Enns<br />

Abzw Bahnhof<br />

Während der Woche:<br />

günstige Verbindungen zwischen 09:10 und 16:10<br />

Am Wochenende:<br />

günstige Verbindungen zwischen 11:38 und 15:38<br />

Fahrtdauer: ca. 3h<br />

Stand: Mai 2010<br />

HALL<br />

NACH | LIEZEN (A9)<br />

Gasthof Wengerwirt<br />

WENG<br />

+ Fabrikshalle Palfinger<br />

BUCHAUER SATTEL<br />

ADMONT<br />

+ Benediktinerstift Admont<br />

Stiftbibliothek<br />

+ Schloss Röthelstein<br />

B 146<br />

NACH | TO TRIEBEN (A9)<br />

B 117<br />

Gasthof Dandler<br />

+ <strong>Festival</strong>büro<br />

<strong>Arcana</strong><br />

+ Kirche<br />

+ Kulturkreis<br />

Gallenstein<br />

+ Turnhalle<br />

ALTENMARKT<br />

JOHNSBACH<br />

+ Fabrik Georg Fischer<br />

Bahnhof Weißenbach<br />

WEISSENBACH<br />

+ Burg Gallenstein<br />

NATIONALPARK<br />

GESÄUSE<br />

+ Haindlkar<br />

ST. GALLEN<br />

B 115<br />

GSTATTERBODEN<br />

B 25<br />

NATURPARK<br />

EISENWURZEN<br />

GROSSREIFLING<br />

+ Gasthof Schnabl<br />

HIEFLAU


198 tIcketS<br />

tIcketS 199<br />

Tickets<br />

Gesäuseeingang<br />

<strong>Festival</strong>pass: 90 | ermäßigt 70 Euro<br />

28.7.: Winterreise: 36 / 24 / 15 Euro | ermäßigt – / 20 / 12 Euro<br />

29.7.: Kopfhörer: 5 Euro<br />

29.7.: Zipangu: 18 / 12 Euro | ermäßigt 20 / 12 Euro<br />

29.7.: Assonances: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />

30.7.: Pulsare: 18 Euro | ermäßigt 12 Euro<br />

31.7.: Performance Ernst Kovacic: 18 Euro | ermäßigt 12 Euro<br />

31.7.: Madrigale: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />

01.8.: Von Sternen, Nebeln, Galaxien …: 18 Euro | ermäßigt 12 Euro<br />

02.8.: Action Music: 12 / 7 / 5 Euro<br />

02.8.: Rothko Chapel: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />

02.8.: Notturno: 5 Euro<br />

03.8.: Abrumado: 5 Euro (inkl. Glas Sekt)<br />

03.8.: Lecture Concert: Eintritt frei<br />

03.8.: Solo pour trois: 12 Euro<br />

03.8.: Abîme – Abgrund: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />

04.8.: Schwarzer Peter: Eintritt frei<br />

04.8.: Canti Notturni: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />

04.8.: Trilogy of the Americas (La Selva/Buildings/Wind): Eintritt frei<br />

05.8.: Dal niente al dente: 24 Euro (inkl. einem Menü, gekocht von Ernesto Molinari)


200 tIcketS<br />

tIcketS 201<br />

6.8.: Spuren: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />

06.8.: Jam Session: 12 Euro | ermäßigt 10 Euro<br />

07.8.: Clouds: 18 Euro | ermäßigt 12 Euro<br />

08.8.: Finale Furioso: 24 Euro<br />

Ermäßigter Entritt gilt für: SchülerInnen, Studierende, Zivildienstleistende und<br />

Grundwehrdiener.<br />

Ö1 Club–Mitglieder erhalten 10% Ermäßigung auf die Kartenpreise (auch gültig<br />

für eine Begleitperson).<br />

Informationen und Bestellungen<br />

<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />

Markt 35, 8933 St.Gallen<br />

tickets@arcanafestival.at<br />

T + 43 3632 77 14 11<br />

F + 43 3632 77 14 10<br />

weitere Vorverkaufsstellen<br />

regionale10 <strong>Festival</strong>zentrum<br />

Bahnhofstraße 3, 8940 Liezen<br />

tickets@regionale10.at<br />

T + 43 676 848 119 119<br />

Benediktinerstift Admont<br />

Admont 1, 8911 Admont<br />

kultur@stiftadmont.at<br />

T + 43 3613 2312 601 o. 604<br />

Schloss Trautenfels<br />

Trautenfels 1, 8951 Trautenfels<br />

trautenfels@museum–joanneum.at<br />

T + 43 3682 222 33<br />

Sowie alle Vorverkaufsstellen der regionale10.<br />

Reichenstein


202 daS geSäuSe<br />

daS geSäuSe 203<br />

Das Gesäuse<br />

Koordinaten: 47° 35´´ 19´ N, 14° 39´´ 32´ O<br />

Auf der Haindlmauer<br />

Das Gesäuse bildet mit schroffen Kalkgipfeln und dem Durchbruchstal der Enns<br />

den nordöstlichen Teil der Ennstaler Alpen in Österreich. 2002 wurde ein großer<br />

Teil des Gesäuses zum Nationalpark erklärt.<br />

Topografie und benachbarte Gebirge<br />

Das Gebiet des Gesäuses wird regional - aber auch in der Literatur – sehr unterschiedlich<br />

eingegrenzt. In den meisten Bergbüchern werden die Haller Mauern<br />

dazugerechnet. Häufig werden<br />

auch die südlich angrenzenden Eisenerzer Alpen einbezogen. Gesäuse, Haller<br />

Mauern und Eisenerzer Alpen bilden zusammen die Gebirgsregion der Ennstaler<br />

Alpen. Streng genommen bezeichnet das Gesäuse lediglich das 16 km lange<br />

Durchbruchtal der Enns zwischen Admont und Hieflau und die Seitentäler von<br />

Radmer und Johnsbach. Die Enns überwindet innerhalb dieser<br />

kurzen Strecke ein Gefälle von über 150 Meter. Das wildschäumende, schnell<br />

dahinsausende Wildwasser gab diesem hochalpinen Abschnitt seinen Namen.<br />

Zu beiden Seiten des Flusses ragen die senkrechten Kalkberge über das Tal und<br />

bilden die berühmten Kletterwände des Gesäuses. Nördlich der Enns bestimmen<br />

die Berge der Buchsteingruppe die Landschaft. Südlich des Flusses erheben sich<br />

die Gipfel der Admonter Reichensteingruppe, der Hochtorgruppe und der Zinödl-<br />

Lugauer-Gruppe. Im Nordwesten trennt der Buchauer Sattel die Haller Mauern<br />

vom Großen Buchstein. Im Norden der Gesäuseberge treffen das Reichraminger<br />

Hintergebirge und die Ybbstaler Alpen aufeinander, getrennt von der zur Donau hin<br />

abfließenden Enns. Im Osten grenzt das Gesäuse an die bewaldeten westlichen<br />

Ausläufer des Hochschwabs und an die Eisenerzer Alpen. Ebenso begrenzt im<br />

Süden der Hauptkamm der Eisenerzer Alpen das Gesäuse und trennt es vom<br />

Palten- und Liesingtal.<br />

Gebirgsgruppen<br />

Buchsteingruppe<br />

Bis 1700 m ragen die Berge der Buchsteingruppe nördlich der Enns empor. Im<br />

westlichen Teil der Gruppe bieten markante Felsbänder aus griffigem Dachsteinkalk<br />

hervorragende Kletterwände für jeden Anspruch. Höchster und westlichster Berg<br />

ist der Große Buchstein (2224 m). Vom Buchsteinhaus wird der Gipfel häufig von<br />

erfahrenen Bergwanderern über den Normalweg bestiegen. Jenseits der Enns<br />

bieten die senkrecht aufragenden Nordwände der Hochtorgruppe einen beeindruckenden<br />

Anblick. Der Bruckgraben entwässert in einer tiefen, engen Klamm die


204 daS geSäuSe<br />

daS geSäuSe 205<br />

Buchsteingruppe Richtung Enns. Bis zur Tieflimauer (1820 m) ist der Gratverlauf<br />

ausgesetzt und erfordert deshalb vom Wanderer grundlegende Klettererfahrung,<br />

Schwindelfreiheit und Trittsicherheit. Nordöstlich vom Großen Buchstein befindet<br />

sich der 1990 m hohe Kleine Buchstein, dessen Gipfel lange Zeit als unersteigbar<br />

galt. Im östlichen Teil der Buchsteingruppe liegt malerisch am Fuße des 2035 m<br />

hohen Tamischbachturm die Ennstaler Hütte. Sie ist die älteste Schutzhütte in den<br />

Ennstaler Alpen. Der markante Tamischbachturm ist auch von weniger erfahrenen<br />

Bergwanderern leicht zu ersteigen und bietet ein umfangreiches Panorama.<br />

Hochtorgruppe<br />

Die Hochtorgruppe ragt mit ihren bis 1000 m senkrecht ansteigenden Kalkwänden<br />

imposant aus dem Ennstal empor. Die berüchtigten Nordwände bieten Klettertouren<br />

aller Schwierigkeitsgrade. Viele Bergsteiger verloren in diesen Wänden ihr Leben.<br />

Die Hochtorgruppe ist die beliebteste und meistbesuchte Kletterregion der Ennstaler<br />

Alpen. Sämtliche Anstiege auf die Gipfel, auch über die Normalwege, erfordern vom<br />

Bergwanderer Erfahrung, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Markante gesicherte<br />

Einstiege aus dem Ennstal über den Wasserfallweg, durch das Haindlkar und über<br />

den historischen Peternpfad zeugen seit über 100 Jahren von der Beliebtheit dieser<br />

Bergsteigerregion. Im Westen, direkt unter den Nordwänden, ist die traditionsreiche<br />

Haindlkarhütte Stützpunkt für Wander- und Klettertouren aus dem Haindlkar. Im<br />

Osten befindet sich unterhalb des Hochtors die Heßhütte. Sie ist Ausgangspunkt<br />

zur Ersteigung des Hochzinödl und aller Hochtorgipfel. Im Gratverlauf von Ost<br />

nach West ist die Planspitze (2117 m) mit ihrer bis zu 780 m hohen Kletterwand<br />

der erste markante Gipfel der Gruppe. Nach den beiden Peternschartenköpfen<br />

folgt die 2152 m hohe<br />

Roßkuppe. Hauptgipfel und höchster Berg der gesamten Ennstaler Alpen ist das<br />

2369 m hohe Hochtor. Der Berg bricht nach allen Seiten mit steilen Wänden ab.<br />

Über den Haindlkarturm (2238 m) schließt der Grat im Westen mit dem besonders<br />

schönen und wuchtigen Gipfel des 2335 m hohen Großen Ödstein ab.<br />

Admonter Reichensteingruppe<br />

Die Admonter Reichensteingruppe hat für Bergwanderer und Bergsteiger eine<br />

ähnlich große Bedeutung wie die Hochtorgruppe. Südlich der Enns erhebt sich<br />

die Reichensteingruppe vom Gesäuseeingang bis zur Marktgemeinde Admont.<br />

Getrennt wird sie von der Hochtorgruppe durch das wildromantische Johnsbachtal.<br />

Östlichster und höchster Gipfel der Gruppe ist der 2251 m hohe, formschöne Admonter<br />

Reichenstein. Auch auf seinen Gipfel führt kein Weg, der leicht zu begehen<br />

ist. Stützpunkt des Berges ist die südlich auf der Treffner Alm gelegene Mödlinger<br />

Hütte. Durch die Wildscharte getrennt folgt der Gipfel des 2247 m hohen Sparafeld.<br />

Nach Süden hin fallen die Wände der beiden Berge markant und wildromantisch<br />

zur Flitzenalm ab. Ein besonders beliebter Kletterberg ist der 2196 m hohe Kalbling.<br />

Hauptgründe hierfür sind der einfache Zugang über die Oberst-Klinke-Hütte und die<br />

berühmten Kletterrouten der West- und Südwand. Über seinen Normalweg ist der<br />

Gipfel des Kalbling auch relativ leicht von erfahrenen Bergwanderern zu ersteigen.<br />

Im Westen schließt der 2011 m hohe Kreuzkogel die Admonter Reichensteingruppe<br />

ab. Zu Füßen dieses Gipfels liegt die Marktgemeinde Admont. Der Übergang<br />

vom Kreuzkogel zum Kalbling über den aussichtsreichen Riffelgrat sollte nur von<br />

erfahrenen Bergwanderern begangen werden.<br />

Lugauer-Zinödl-Gruppe<br />

Südöstlich der Hochtorgruppe ist die Lugauer-Zinödl-Gruppe vorgelagert. Von der<br />

Hesshütte ist der aussichtsreiche Gipfel des Hochzinödl (2191 m) leicht erreichbar.<br />

Die nach Südosten 600 m steil abfallenden Schrofenwände bieten interessante<br />

Kletterrouten. Die Besteigung der isoliert aus dem Radmertal aufragenden<br />

Doppelgipfel des Lugauer (2217 m) erfordert Schwindelfreiheit und Trittsicherheit<br />

und ist aus allen Richtungen sehr zeitintensiv. Aus östlicher Richtung wirkt der<br />

Lugauer besonders markant, was ihm bei den Einheimischen etwas überspitzt die<br />

Bezeichnung Steirisches Matterhorn eingebracht hat. Die Rundsicht vom Lugauer<br />

ist hervorragend.<br />

Geologie<br />

Die Gesäuseberge sind ein Teil der Nördlichen Kalkalpen. Hier beginnt die Schichtenfolge<br />

mit den<br />

Präbichl-Schichten (vermutlich Perm). Dies ist eine Folge von Konglomeraten,<br />

Quarziten und Tonsteinen im Liegenden der Werfener Schichten (Unter-Trias).<br />

Über Werfener Sandsteinen und Schiefern schließt sich eine salinare Folge mit<br />

Gips und Haselgebirge an, die mit Dolomit und verschiedenen Kalken verzahnt<br />

ist. Darüber folgt der dunkle Gutensteiner Dolomit, der Linsen von Gutensteiner<br />

Kalk enthält. Das vorherrschende Gestein der Mittleren Trias ist der Wetterstein-<br />

Dolomit, der die Basis aller hohen Gesäuseberge bildet. Er ist ursprünglich als<br />

Kalk in einem tropischen Meer entstanden und später zum größten Teil in Dolomit<br />

umgewandelt worden. Eine ganze Reihe von Kalkvorkommen ist jedoch nicht von<br />

dieser Umwandlung erfasst worden, das größte ist der Bruckstein. Darüber folgen<br />

die geringmächtigen Raibler Schichten, die im Norden aus Sandstein und Schiefer<br />

sowie im Süden aus buntem Kalk und Dolomit bestehen. Die Obere Trias besteht<br />

aus Dachsteindolomit und dem überlagernden Dachsteinkalk, aus dem die steilen


206 daS geSäuSe<br />

daS geSäuSe 207<br />

und landschaftsprägenden Felswände der hohen Berge bestehen. Der Dachsteinkalk<br />

kann ebenso wie der ältere Wettersteinkalk in einen zentralen Riffbereich und<br />

das Rückriff gegliedert werden. Gesteine aus der Jura- und Kreidezeit sind nur in<br />

tektonisch begünstigter Position erhalten geblieben. Dies sind<br />

Fleckenmergel und Crinoidenkalk des Jura sowie Gosau (Konglomerate, Sandstein<br />

mit Kohle und Ton). Aus dem Tertiär haben sich lokal Augensteinschotter auf<br />

hochgelegenen Altflächen erhalten, die noch vor der starken Heraushebung der<br />

Kalkalpen von Flüssen aus dem Süden heran transportiert worden sind. Im Quartär<br />

schließlich sind Moränen, Terrassen und zuletzt Moore entstanden.<br />

Natur<br />

Der größte Teil des Gesäuses wurde im Jahr 2002 zum Nationalpark Gesäuse<br />

erklärt. Er ist damit zurzeit der jüngste von sechs österreichischen Nationalparks.<br />

In freier Wildbahn können etwa 90 Brutvogelarten, Murmeltiere, Gämsen, Rehe und<br />

Hirsche beobachtet werden. Außerdem gibt es rund 50 Orchideenarten.<br />

Geschichte<br />

Im Johnsbachtal gibt es Kupfervorkommen, die bereits im 15. Jahrhundert v. Chr.<br />

ausgebeutet wurden, wie Schlackenfunde belegen. Im späten Mittelalter erfolgte<br />

die erste Nutzung von Almen und<br />

der Beginn der Holzfällertätigkeit in diesem Bereich. Weite Teile standen damals<br />

im Besitz des Benediktinerstiftes Admont (gegründet 1074). Die touristische Erschließung<br />

begann mit Eröffnung der Kronprinz-Rudolfsbahn (1872), die durch das<br />

Gesäuse führt. Als „Entdecker“ gilt der Wiener Bergpionier Heinrich Heß, der viele<br />

Erstbesteigungen durchführte (z. B. Hochtor, 1877). Er ist auch Autor des ersten<br />

Gesäuseführers, welcher als Prototyp für diese Art von Literatur gilt. Nach dem<br />

Gesäusepionier ist die Hesshütte benannt, der wichtigste Stützpunkt für Bergsteiger<br />

im Hochtorgebiet. In den 1920er-Jahren erfolgte die Erschließung zahlreicher<br />

Kletterrouten in den Nordwänden der Hochtorgruppe, am Admonter Reichenstein<br />

und am Buchstein.<br />

Berghütten<br />

• Admonter Haus (1723 m): am Grabnertörl in den Haller Mauern<br />

• Bosruckhütte (1043 m): an der Nordflanke des Bosruck,<br />

westlich der Haller Mauern<br />

• Buchsteinhaus (1546 m): unterhalb des Großen Buchsteins<br />

• Ennstaler Hütte (1544 m): am Sattel des Tamischbachturms in<br />

den Gesäusebergen<br />

• Goferhütte (978 m): am nördlichen Absturz des Admonter Reichensteins,<br />

Selbstversorgerhütte<br />

• Haindlkarhütte (1121 m): im Haindlkar am Fuß des Hochtors<br />

• Hesshütte (1699 m): im Ennseck, östlich vom Hochtor<br />

• Mödlinger Hütte (1523 m): auf der Treffner Alm südlich des<br />

Admonter Reichensteins<br />

• Oberst-Klinke-Hütte (1486 m): am Kalblinggatterl-Sattel südlich vom<br />

Admonter Kalbling<br />

(Quelle: Wikipedia, Ernst Kren Gesäuse, Steirische Verlagsgesellschaft, Graz<br />

2002, u.a.)<br />

Im Naturparkzentrum St.Gallen (<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale) erhalten Sie weitere<br />

Informationen zum Gesäuse, zu Wander und Bergtouren, zu Raftingtouren, zu den<br />

verschiedensten Ausflugszielen in der Region.


208 kontakt/team<br />

kontakt/team 209<br />

Kontakt | <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Team<br />

Carlos Salzedo, ein enger Freund von Edgar Varèse, mit seinem Ruderboot „<strong>Arcana</strong>“ um 1930<br />

<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />

Markt 35<br />

8933 St.Gallen<br />

Österreich<br />

Büro Wien<br />

Feldgasse 21<br />

1080 Wien<br />

Österreich<br />

Intendant<br />

Peter Oswald<br />

Leitung Musikvermittlung / Konzeptionelle Mitarbeit<br />

Annemarie Mitterbäck<br />

Geschäftsführer ARGE <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong><br />

Erich Mitterbäck<br />

Referent des Intendanten / Koordination / Redaktion / Presse<br />

Andreas Karl<br />

Produktionsleitung / Regionale Koordination<br />

Reinhard Mitterbäck<br />

Produktionsleitung Bildende Kunst / Künstlerbetreuung<br />

Johanna Mitterbäck<br />

Programmtexte<br />

Magdalena Zorn<br />

Artdirection / Logotype<br />

Ecke Bonk, Richard Ferkl<br />

Leitung Medienarbeit<br />

Astrid Bader | BSX Bader & Schmölzer GmbH<br />

Medienarbeit<br />

Bernhard Mayer | BSX Bader & Schmölzer GmbH<br />

Internationale Beziehungen / Wissenschaft und Kunst<br />

Rubina Möhring<br />

Sponsoring<br />

Brigitte Bidovec<br />

Information / Kartenvorverkauf / Hotelreservierung<br />

Christiane Schneiber


210 muSIkVermIttlung<br />

InSerate 211


21. – 28.<br />

august<br />

festival<br />

st. gallen 2010<br />

21.8. Kurtags Ghosts - Marino Formenti<br />

22.8. Rock auf Gallenstein - CCR Band<br />

23.8. Schifanoia - Ensemble<br />

mit Werken von Mozart, Haydn und Mozart<br />

24.8. Wolfram Berger liest Erich Fried<br />

25.8. Kammerphilharmonie Amade<br />

Mozart Sinfonie und Klavierkonzert mit Alexei Lubimov<br />

26.8. Erwin´s Musiksalon<br />

27.8. Sanmera Salsa<br />

28.8. Paulus - Mendelssohn Bartholdy<br />

Info: Naturparkbüro A-8933 St. Gallen<br />

Tel. 03632 | 7714, Fax 03632 | 7714-10<br />

www.festival.stgallen.at


foto: BigsHoT/christian Jungwirth<br />

214 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung 215<br />

regionale10<br />

infos und TckeTs<br />

Zum gesamTen Programm der regionale10<br />

T. +43 676 848 119 119,<br />

fesTivalZemTrum lieZen<br />

im HoTel karow mo – so, 10 – 18 uHr


218 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung<br />

219


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222 Die Zukunft<br />

muSIkVermIttlung<br />

der Musik<br />

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RicoRdi München<br />

Nikolaus Brass<br />

Reinhard Febel<br />

Dai Fujikura<br />

Vinko Globokar<br />

Heiner Goebbels<br />

Klaus Huber<br />

Thomas Lauck<br />

Fabien Lévy<br />

Liza Lim<br />

Olga Neuwirth<br />

Sergej Newski<br />

Emmanuel Nunes<br />

Samir Odeh-Tamimi<br />

Younghi Pagh-Paan<br />

Robert HP Platz<br />

Enno Poppe<br />

Rolf Riehm<br />

Annette Schlünz<br />

Bettina Skrzypczak<br />

Gerhard Stäbler<br />

Hubert Stuppner<br />

www.ricordi.de • www.ricordishop.de<br />

A division of<br />

Noch nie<br />

hat jemand<br />

das Entstehen<br />

einer Idee<br />

beobachtet.<br />

Wir sind<br />

nahe dran.<br />

www.cis.at


224 InSerate<br />

ImPreSSum 225<br />

Alexander Technik<br />

Von Jonathan Sheratte<br />

Die Alexander Technik ist eine Methode die den ‘Gebrauch des Selbst’ vermittelt.<br />

Sie betrachtet den Körper als eine Art Musikinstrument. Die Art und Weise wie wir<br />

dieses Instrument einsetzten bestimmt die Qualität in unserem Handeln.<br />

Von Natur aus kreativ, werden die senso-motorischen Fähigkeiten des Körpers<br />

durch Gewohnheiten begrenzt. Starre Reaktionsweisen, übermäßige Verspannung,<br />

Steifheit und Atonie beschränken unsere Möglichkeiten, hindern unsere<br />

Entwicklung, können Schmerzen verursachen und zu schwerwiegenden Krankheiten<br />

führen.<br />

In der Einzelstunde geht es darum Gewohnheitsmuster zu erkennen, diese zu<br />

unterbinden und innezuhalten. Die begleitende Erfahrung einer Beweglichkeit die<br />

dem natürlichen Selbst-Gebrauch entspricht - leicht, flexibel, koordiniert, wachsam,<br />

differenziert und wohltuend – erhöht die allgemeine Sinneswahrnehmung<br />

und hilft Bewegungsabläufe besser zu koordinieren.<br />

Akute Beschwerden werden gelindert, uns beeinträchtigende Haltungs- und Bewegungsmuster<br />

werden gelöst; das Atmen wird leichter, das Sprechen klarer und<br />

Bewegung geschmeidiger. Die Entdeckung von präziserem und authentischerem<br />

Ausdruck und Handeln, erzeugt eine lebendige Selbst-Verständlichkeit, die<br />

Wachstum in professionellen und alltäglichen Aktivitäten fördert.<br />

„Je mehr wir den Einfluss unsere Gewohnheiten und Muster in uns erkennen und<br />

innehalten, kommen wir in Kontakt mit unserem Nicht-Tun. In diesem Zustand<br />

können wir unseren Flow - unserer angeborenen Leichtigkeit und dem natürlichen<br />

Lebensfluss - begegnen.“<br />

Dan Armon, Schulungsleiter Alexander Technik<br />

Termine können über das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrum vereinbart werden.<br />

Impressum<br />

Medieninhaber | Herausgeber<br />

ARGE <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />

<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />

Markt 35<br />

8933 St.Gallen, Österreich<br />

info@arcanafestival.at<br />

T + 43 3632 77 14 11<br />

F + 43 3632 77 14 10<br />

Für den Inhalt verantwortlich<br />

Peter Oswald<br />

Erich Mitterbäck<br />

Redaktion <strong>Programmbuch</strong><br />

Andreas Karl<br />

Logotype ARCANA<br />

Ecke Bonk, Karlsruhe<br />

Satz und Layout<br />

Medienmanufaktur Admont<br />

Fotonachweis<br />

Ernst Kren (Fotos Gesäuse/Region)<br />

Anna Furtmüller (Musikvermittlung | Education, Von Sternen, Nebeln und Galaxien …)<br />

Andreas Karl (Schwarzer Peter, Haindlkar)<br />

Irena Rosc (Alle Fotos zu Satt sehen)<br />

PRINZGAU/podgorschek (Schwanenstille)<br />

Abdrucknachweis<br />

Wir danken Franz Schuh für Abdruckgenehmigung des Textes Vom Essen reden und schreiben.<br />

Besonders danken wir auch den KomponistInnen und Verlagen für die Abdruckgenehmigungen von<br />

Noten, Texten und Skizzen. Urheber, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher<br />

Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.<br />

Dieses <strong>Programmbuch</strong> ist auch über die <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale erhältlich.<br />

Änderungen vorbehalten.<br />

© 2010 <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse


226 ImPreSSum 227<br />

Am Johsbacher Steg


www.arcanafestival.at

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