Arcana Festival Programmbuch - Regionale10
Arcana Festival Programmbuch - Regionale10
Arcana Festival Programmbuch - Regionale10
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FESTIVAL FÜR NEUE MUSIK<br />
28. JULI – 8. AUGUST 2010<br />
www.arcanafestival.at Im Rahmen der regionale10
2 3<br />
Umschlag: Ödstein im Abendlicht<br />
Musik | 22 Konzerte Neuer Musik<br />
Musikvermittlung | Kreatives Projekt, Workshopkonzerte, Einführungen<br />
und Klangpromenade<br />
Laboratorium <strong>Arcana</strong> | Neue Musik und Neurowissenschaft<br />
Bildende Kunst | Ausstellung, Installationen, Kunst im öffentlichen Raum<br />
28. Juli – 8. August<br />
www.arcanafestival.at
4 Panorama<br />
Panorama<br />
5<br />
Panorama<br />
28.7 Winterreise | Klangforum Wien. Emilio Pomárico. Daniel Kirch: Zender<br />
29.7 Weisslich 36, Kopfhörer | Installation: Ablinger<br />
29.7 Zipangu | Wroclawska Orkiestra Kameralna Leopoldinum. Ernst Kovacic:<br />
Furrer – Rihm – Scelsi – Vivier<br />
29.7 Assonances | Robyn Schulkowsky. Ernst Kovacic: Jarrell – Staud – Xenakis<br />
30.7 Satt sehen – Vom Essen in der Kunst | Ausstellung: Eröffnung<br />
30.7 Pulsare | Schlagquartett Köln. Robyn Schulkowsky. Björn Wilker.<br />
Adam Weisman. Martin Homann: Varèse – Grisey<br />
31.7 Performance Ernst Kovacic | Kovacic: Werke für Solo Violine<br />
– Improvisation<br />
31.7 Madrigale | Neue Vocalsolisten Stuttgart: Ronchetti – Sciarrino<br />
01.8 Laboratorium <strong>Arcana</strong> | Symposium Neue Musik und Neurowissenschaften:<br />
Eröffnung<br />
01.8 …miramondo multiplo… | Installation: Neuwirth<br />
Hochtorgruppe<br />
01.8 Von Sternen, Nebeln und Galaxien … | MitarbeiterInnen Georg Fischer.<br />
Schlagquartett Köln. Robyn Schulkowsky. Björn Wilker. Adam Weisman:<br />
Kreatives Musikprojekt Xenakis<br />
02.8 Action Music | Marino Formenti: Scelsi – Lang<br />
02.8 Rothko Chapel | Arnold Schoenberg Chor. Erwin Ortner. Steven Dann.<br />
Martin Homann. Mathilde Hoursiangou: Scelsi – Cerha – Ligeti – Feldman<br />
02.8 Notturno | Marino Formenti: Feldman<br />
03.8 Abrumado | Marino Formenti: Feldman<br />
03.8 Lecture Concert | Peter Ablinger: Performance<br />
03.8 Solo pour trois | Uwe Dierksen. Ernesto Molinari. Marcus Weiss:<br />
Grisey – Rihm – Aperghis<br />
03.8 Abîme – Abgrund | ensemble recherche. Nicolas Hodges:<br />
Ligeti – Cho – Parra – Grisey<br />
04.8 Schwarzer Peter / Klangpromenade | Uwe Dierksen. Donna Molinari.<br />
Ernesto Molinari. Marcus Weiss: Kyburz – Staud – Gander – Furrer<br />
04.8 Canti Notturni | ensemble recherche. Nicolas Hodges: Parra –<br />
Sciarrino – Pomárico – Murail<br />
04.8 Trilogy of the Americas (La Selva/Buildings/Wind) | Francisco Lopez:<br />
Lopez<br />
05.8 Dal niente al dente | Ernesto Molinari: Surprise!<br />
06.8 Spuren | Kammerensemble Neue Musik Berlin. Beat Furrer:<br />
Neuwirth – Furrer – Andre – Ustwolskaja<br />
06.8 Jam Session | Uwe Dierksen. Robyn Schulkowsky. Ernesto Molinari:<br />
Improvisation<br />
07.8 Clouds | Zebra Trio: Cerha – Schönberg – Xenakis – Srnka<br />
08.8 Finale Furioso | Uwe Dierksen. Dieter Flury. Ernesto Molinari.<br />
Robyn Schulkowsky: Improvisationen – Varèse – Holliger – Huber –<br />
Lachenmann – Cerha – Staud – Zappa – …
6 arcana<br />
SPonSoren<br />
7<br />
Intendant | Peter Oswald<br />
Leitung Musikvermittlung | Annemarie Mitterbäck<br />
Geschäftsführer | Erich Mitterbäck<br />
<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse.<br />
<strong>Festival</strong> für Neue Musik.<br />
info@arcanafestival.at<br />
T + 43 3632 77 14 11<br />
F + 43 3632 77 14 10<br />
Partner<br />
Im Rahmen der regionale10<br />
UBS Kulturstiftung<br />
Medienpartner<br />
Regionale Partner<br />
Naturpark Steirische Eisenwurzen | GeoLine | Regional Entwicklung Gesäuse<br />
Nationalpark Gesäuse | Wasserspielpark Eisenwurzen | <strong>Festival</strong> St.Gallen
8 Inhalt<br />
Inhalt<br />
9<br />
Inhalt<br />
Vorwort 10<br />
Musikvermittlung 14<br />
Laboratorium 18<br />
Musikprogramm 28<br />
Uraufführungen 142<br />
Bildende Kunst 144<br />
Biographien der KomponistInnen und KünstlerInnen 158<br />
Biographien der InterpretInnen und Ensembles 178<br />
Aufführungsorte 190<br />
Anreise 194<br />
Tickets 198<br />
Das Gesäuse 202<br />
Kontakt/Team 208<br />
Inserate 210<br />
Impressum 225<br />
Musikprogramm<br />
Winterreise 30<br />
Weisslich 36, Kopfhörer 40<br />
Zipangu 42<br />
Assonances 48<br />
Pulsare 52<br />
Performance Ernst Kovacic 56<br />
Madrigale 58<br />
Von Sternen, Nebeln und Galaxien … 68<br />
Action Music 74<br />
Rothko Chapel 78<br />
Notturno 90<br />
Abrumado 94<br />
Lecture Concert 98<br />
Solo pour trois 102<br />
Abîme – Abgrund 106<br />
Schwarzer Peter / Klangpromenade 112<br />
Canti Notturni 116<br />
Trilogy of the Americas (La Selva/Buildings/Wind) 122<br />
Dal niente al dente 126<br />
Spuren 128<br />
Jam Session 134<br />
Clouds 136<br />
Finale Furioso 140
10 Vorwort<br />
Vorwort 11<br />
Vorwort<br />
Von Peter Oswald<br />
Am Peternpfad<br />
Im Zusammenhang mit <strong>Arcana</strong> kann man von Transformation sprechen (von<br />
Veränderung, von Aufbruch). Aber es geht weniger um Alchemie als um heftige<br />
Vulkanausbrüche in der Nacht. Hier ist der Ätna gleichermaßen symbolisch wie<br />
der Prometheus. Er ist sogar sein Doppelgänger. Es handelt sich durchaus um die<br />
prometheische Versuchung, den Kosmos in den Klängen und durch die Klänge<br />
zu besitzen.<br />
Fernand Quellette, Biograph von Edgar Varèse<br />
Ein neues <strong>Festival</strong> entsteht. In einer der magischsten Regionen Europas findet ab<br />
2010 jährlich ein 12-tägiger Energiestrom zwischen KomponistInnen, InterpretInnen,<br />
WissenschaftlerInnen und Publikum statt.<br />
Warum das Gesäuse? Die Reflexionen des Rauschens sind schon den Außenseitern<br />
des 19. Jahrhunderts aufgefallen, die hier ihre Zuflucht gefunden haben.<br />
Exemplarisch der Schwarze Peter. Der illegal operierende und legitim wirkende<br />
Wilderer hatte einen Durchschlupf durch die scheinbar unüberwindlichen Nordwände<br />
gefunden. Daraufhin hat er sich konspirativ mit den von kaiserlichen Banden<br />
ausgebeuteten Bauern von Johnsbach verbündet.<br />
Auch der Name des <strong>Festival</strong>s ist Programm. <strong>Arcana</strong> ist eines der beiden Orchesterstücke<br />
von Edgar Varèse, der in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mit<br />
seinen auch heute noch bestürzenden Innovationen dem pragmatischen neoklassizistischen<br />
und später faschistischen Ungeist kraftvolle künstlerische Positionen<br />
entgegen gesetzt hatte. Das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> bezieht gegenüber Klischees, Neue<br />
Musik sei schwierig zu vermitteln eine klare Position. In seinem kommunikativen<br />
Handeln ist für das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> die Vermittlung Neuer Musik unverzichtbar. Es<br />
kommuniziert mit allen gesellschaftlichen Schichten. Durch sein Handeln entsteht jene<br />
Weltoffenheit, die vergleichbare populistische Klischees nicht einmal ignoriert.<br />
<strong>Arcana</strong> fühlt sich seinem Namensgeber noch in einer anderen Hinsicht verpflichtet.<br />
Edgar Varèse hatte vor 90 Jahren – visionär wie kein anderer Komponist – die<br />
Zusammenführung von künstlerischen und wissenschaftlichen Inhalten gefordert.<br />
Diesem Imperativ folgend definiert das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> das neuronale Lustzentrum<br />
Neuer Musik als „temporalen, physischen Code, der dem Menschen die Rückverwandlung<br />
in eine Kreatur ermöglicht“. In Peter Weibels fulminantem Auto-Interview<br />
müssen neuronaler Zeittakt und Musiktakt „quertakten“, um eine psychische Immanenz<br />
(eben keine metaphysische Transzendenz) zu erreichen. Diese exemplarische<br />
philosophische Definition einer Zeitgenossenschaft koinzidiert mit Wolf Singers<br />
Reflexionen zur Emergenz kreativer Prozesse: kein Dualismus mehr, sondern die<br />
Zusammenführung von kognitiven (wissenschaftlichen) und künstlerisch-kreativen
12 Vorwort<br />
Vorwort 13<br />
Prozessen. Damit folgt das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> der neurowissenschaftlichen Einsicht<br />
führender Kognitionswissenschaftler, dass kognitive, emotionale und körperliche<br />
Prozesse untrennbar verbunden sind (vgl. Eric Kandel, Wolf Singer und António<br />
Damásio).<br />
Das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> ist kein Uraufführungsfestival, aber es verzichtet nicht auf die<br />
Neugier, nicht auf das Andere. Gleichzeitig entwirft <strong>Arcana</strong> ein Panorama kompromissloser,<br />
also freier Persönlichkeiten.<br />
Ein Stern ist höher als alle anderen. Es ist der Stern der Apokalypse; der zweite<br />
Stern ist der des Aszendenten, der dritte ist der der Elemente, und deren sind ihrer<br />
vier, sodass sechs Sterne feststehen. Neben diesem gibt es noch einen weiteren<br />
Stern, die Phantasie, die einen neuen Stern erschafft.<br />
Edgar Varèse in der Partitur zu <strong>Arcana</strong><br />
<strong>Arcana</strong> steht in vielen europäischen Sprachen für das Geheime, für Elixiere, für<br />
das Dunkle, das Mysteriöse, das Verborgene.
14 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung 15<br />
Musikvermittlung | Education<br />
Von Annemarie Mitterbäck<br />
Entdecken und Erforschen<br />
Berührungspunkte<br />
Wissensdurst<br />
Klangpromenade<br />
Bausteine<br />
Die Education-Angebote und Aktivitäten bilden einen grundlegenden Bestandteil<br />
des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s mit der Intention, der Bevölkerung der Region sowie dem<br />
Publikum durch innovative Zugänge und die phantasievolle, praktische und schöpferische<br />
Auseinandersetzung die Lust auf Neue Musik zu wecken sowie diese zu<br />
vertiefen.<br />
Das Gesäuse und der es durchringende Fluss, die Enns stehen für eine Region mit<br />
starker Identität und Ausdruckskraft. Die Suche nach dieser Vereinbarkeit spiegeln<br />
zentrale Ansätze der Neuen Musik wider, welche uns wiederum auf emotionaler<br />
Ebene über die körperliche und sinnliche Wahrnehmung, unvorhergesehene,<br />
möglicherweise sogar verwirrende Emotionen im Körper eröffnen und neue Gedankengänge<br />
entstehen lassen.<br />
Wir möchten mit dem Vermittlungsprogramm des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s die Bevölkerung<br />
der Region sowie das ins Gesäuse angereiste Publikum auf diesen Weg und diese<br />
Suche mitnehmen und laden im Rahmen der Angebote Berührungspunkte, (Workshopkonzerte<br />
in sozialen Institutionen für die Bewohner und die Bevölkerung der<br />
Gemeinde), Bausteine (Dialogworkshops in den Schulen der Region), Wissensdurst<br />
(öffentlich zugänglichen KomponistInnen-Gespräche und Einführungsveranstaltungen<br />
zu ausgewählten Konzertprogrammen), sowie der Klangpromenade (eine<br />
musikalische Wanderung für Familien und Kinder zum Haindlkar) zu dieser Öffnung<br />
und zu diesem Teilen ein. Wichtig ist dabei: Es gibt kein Richtung oder Falsch – jede<br />
gefühlte Äußerung steht für sich, besitzt Bedeutung und erhält Raum.<br />
Entdecken und Erforschen, Kreatives Musikprojekt: „Von Sternen, Nebeln und<br />
Galaxien…“ Im Rahmen dieses Projekts zu Iannis Xenakis Pléïades, welches als<br />
Thema das astronomische Phänomen der Plejaden (Siebengestirn), ein Sternhaufen<br />
mit ca. 400 Sternen im Sternzeichen des Stiers behandelt, begeben sich MitarbeiterInnen<br />
der Firma Georg Fischer mit der Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky<br />
sowie den Schlagzeugern Björn Wilker und Adam Weisman über einen Zeitraum<br />
von vierzehn Tagen auf die Entdeckungsreise und die Erforschung neuer Klänge<br />
und Ausdrucksmöglichkeiten und entwickeln ein neues, eigenes Werk. Es geht<br />
darum, Parallelen und Ebenen zu den jeweiligen Realitäten und Horizonten des<br />
Einzelnen zu schaffen, diese zu bereichern und zu erweitern sowie die vorangehende<br />
implizierte Selbstdefinition des eigenen, individuellen Leuchtsterns und<br />
dessen Wirkungsradius zu ergründen. Wie stellt sich das Neue in uns dar? Welche<br />
Facetten in uns sind noch unergründet und drängen zum Ausbruch? Welche<br />
Möglichkeiten eröffnen sich durch das kreative Tun und Schaffen? Das Ergebnis<br />
der vierzehntägigen Projektphase wird in der Versandhalle der Firma am 1. August<br />
öffentlich präsentiert.
16 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung 17<br />
Projekte und Angebote<br />
Entdecken und Erforschen<br />
Kreatives Musikprojekt: Von Sternen, Nebeln und Galaxien …<br />
Im Rahmen des kreativen Projekts „Von Sternen, Nebeln und Galaxien …“ zu Iannis<br />
Xenakis Pléïades. begeben sich MitarbeiterInnen der Firma Georg Fischer mit<br />
der Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky und den Schlagzeugern Björn Wilker und<br />
Adam Weisman über einen Zeitraum von vierzehn Tagen auf die Entdeckungsreise<br />
und die Erforschung neuer Klänge und Ausdrucksmöglichkeiten und entwickeln ein<br />
eigenes Werk (mehr im Programmtext zum Konzert).<br />
Termin der Aufführung<br />
Sonntag, 1. August um 19:30 Uhr in der Versandhalle der Firma Georg Fischer<br />
Automotive - Von Sternen, Nebeln und Galaxien …<br />
Projektdauer: 19. Juli – 1. August 2010<br />
Anna Furtmüller<br />
Berührungspunkte<br />
Workshopkonzerte zu Konzerten des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> in den Kinder- und Jugendwohngruppen<br />
der Pro Juventute in Johnsbach und Landl für die Bewohner der<br />
Einrichtung, der Gemeinde und Interessierte.<br />
Wissensdurst<br />
Öffentlich zugängliche KomponistInnen-Gespräche und Einführungsveranstaltungen<br />
zu ausgewählten Konzertprogrammen. Termine und Ort für die Gespräche wer-<br />
den auf der Website <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s bekanntgegeben und liegen in der <strong>Arcana</strong><br />
<strong>Festival</strong> Zentrale auf.<br />
Klangpromenade<br />
Eine musikalische Wanderung für Familien und Kinder zum Haindlkar. Musik- und<br />
Rätselspielstationen erleichtern den Aufstieg. Den Abschluss bildet das Konzert<br />
Schwarzer Peter.<br />
Termin | Treffpunkt<br />
Mittwoch, 4. August 2010, 08.30 Uhr, Haindlkarparkplatz<br />
(Ersatztermin bei Schlechtwetter entnehmen Sie bitte der Website)<br />
Anmeldung erbeten bis 31. Juli 2010<br />
via e-mail: education@arcanafestival.at<br />
oder telefonisch in der <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale: T+ 43 3632 7714 11<br />
Bausteine<br />
Im Rahmen von Dialogworkshops wurde in der ersten Juliwoche zu Schulschluss<br />
in verschiedenen Volks– , Hauptschulen der gesamten Region zu Werken des<br />
<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s gearbeitet. Die teilnehmenden SchülerInnen erarbeiteten kleine<br />
musikalische Stücke in Anknüpfung an die Werke Pléïades von Iannis Xenakis und<br />
Le noir de l´étoile von Gérard Grisey. Unter Anleitung der Schlagzeugerin Robyn<br />
Schulkowsky sowie der Musikvermittlerin Annemarie Mitterbäck entwickelten die<br />
SchülerInnen kleine musikalische Einheiten und Zellen inspiriert von Sternen, Nebeln<br />
und Galaxien. Chromatische Skalen und kleine Rhythmuselemente wurden<br />
mit den Bausteinen verflochten und als kleine Kompositionen in Form einer kleinen<br />
Aufführung ihren Mitschülern präsentiert.<br />
SchülerInnen der Volksschule Weissenbach/Enns beim Erforschen und Erkunden verschiedener Klänge<br />
anhand von Bauteilen der Firma Georg Fischer Automotive | Anna Furtmüller
18 laboratorIum<br />
laboratorIum 19<br />
Neue Musik und Neurowissenschaft<br />
Zum Laboratorium <strong>Arcana</strong><br />
Von Peter Oswald<br />
Dauer: 1. August 2010 – 8. August 2010<br />
Moderation: Rubina Möhring und Stefan Koelsch<br />
Termine und Ort für die öffentlichen Diskussionen werden auf der Website <strong>Arcana</strong><br />
<strong>Festival</strong>s bekanntgegeben und liegen in der <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale auf. Texte<br />
zum Symposium und Protokolle werden nach dem Symposium auf der Website<br />
veröffentlicht.<br />
www.arcanafestival.at<br />
Am Dachl<br />
Ein neues Forschungsgebiet. In den letzten 15 Jahren ist die Beziehung von<br />
Neurowissenschaften zu musikalischen Phänomenen immer virulenter geworden.<br />
Standen in den späten 90er Jahren noch überwiegend neurologische Aspekte im<br />
Vordergrund, so haben sich in den letzten Jahren die Forschungsschwerpunkte<br />
immer mehr auf das „gesunde“ Gehirn und seine neuronalen Erregungsmuster<br />
beim Hören anspruchsvoller Musik verlagert 1 .<br />
Oliver Sacks fokussiert in seinem Buch Der einarmige Pianist 2 primär auf neurologische<br />
Fallstudien und zitiert im letzten Abschnitt bekannte Kreativitätsprozesse<br />
von Richard Wagner, Hector Berlioz und Igor Strawinsky. Sehr viele in jüngster Zeit<br />
durchgeführte experimentelle Versuche mittels fMRT und EEG, den modernsten<br />
bildgebenden Verfahren für Gehirnaktivitäten, gehen noch von der Hypothese aus,<br />
dass insbesondere limbische, also subkortikale Systeme, dem Muster Spannung-<br />
Entspannung folgen.<br />
Hier sei die Hypothese formuliert, dass ein Neuroimaging bereits des Tristan-<br />
Akkordes und seiner bei Wagner nicht konzipierten Auflösung (die Dissonanz bleibt<br />
als Chiffre des Begehrens, als kompositorische Formel des Verlangens ständig<br />
stehen), im Falle einer fiktive Auflösung nach A-Dur oder a-Moll, beim Publikum<br />
zu einer Irritation, wenn nicht zu einem Gelächter ob der Banalität einer derartigen<br />
Auflösung führen würde.<br />
Ziel des Symposiums ist es, nun darin KomponistInnen und NeurowissenschafterInnen<br />
so zusammen zu bringen, dass in einer zwanglosen, dialogintensiven und<br />
nicht durch starre Zeitpläne reglementierten Form neue und perspektivenreiche<br />
Fragestellungen entwickelt werden können. Es ist das naheliegende Ziel des Symposiums,<br />
dass die in diesem Prozess formulierten Arbeitshypothesen Eingang in<br />
avancierte Vermittlungskonzepte Neuer Musik finden werden und eine Basis für<br />
weitere Diskussionen und Veranstaltungen dieser Art bilden.<br />
Zur Untrennbarkeit von kognitiven und emotionalen Prozessen. Die Erkenntnis<br />
der Neurowissenschaften, dass alles auf neuronalen Prozessen im Gehirn<br />
beruht, ist bisher widerspruchsfrei geblieben. Es ist immer wieder gelungen, für<br />
eine definierte kognitive Funktion die entsprechende neuronale Repräsentation<br />
zu identifizieren.<br />
1 | Vgl. Lutz Jäncke. Macht Musik schlau? Stefan Kölsch div. Essays<br />
2 | Vgl. Oliver Sacks. Der einarmige Pianist – Über Musik und das Gehirn
20 laboratorIum<br />
laboratorIum 21<br />
Allerdings: Es gibt kein Konvergenz-Zentrum 3 . Alles, was in der Philosophiegeschichte<br />
immer wieder postuliert worden ist (Descartes, Kant, Hegel), findet kein<br />
neuronales Korrelat . Wir haben es vielmehr mit einer hochkomplexen, sich selbst<br />
organisierenden Struktur unterschiedlichster Zell-Ensembles zu tun.<br />
Unser Gehirn ist also aufgrund seiner Komplexität und nichtlinearen Dynamik radikal<br />
offen. Es kann völlig neue, bisher noch nicht aufgesuchte Orte in einem hochdimensionalen<br />
Zustandsraum besetzen. Diese werden dann als kreative Akte erfahrbar,<br />
im Kontext unseres Symposiums als große Augenblicke der Neuen Musik.<br />
Komplexität und Iteration in neuronalen Ensembles. Es gibt im Gehirn also keine<br />
Zentrale, eine allen Subprozessen übergeordnete Instanz. Wie kann das Gehirn<br />
als Ganzes dann stabile Aktivitätsmuster ausbilden? Wie können die verteilten<br />
Verarbeitungsprozesse zur Grundlage kohärenter Wahrnehmungen koordiniert<br />
werden? Wie findet ein so distributiv organisiertes System zu Entscheidungen?<br />
Wie wissen wir, wann die verteilten Arbeitsprozesse ein Ergebnis erzielt haben,<br />
das die Menschen als geglückte und gelingende Erfahrung Neuer Musik erleben?<br />
Irgendwie müssen die verteilten sensorischen Prozesse zusammengebunden<br />
werden, weil unsere wahrgenommenen Eindrücke kohärent und nicht fragmentiert<br />
sind. Das in den Neurowissenschaften diskutierte Bindungsproblem hat in den<br />
vergangenen Jahren zu aufschlussreichen wissenschaftlichen Resultaten geführt.<br />
In diesem Kontext kommt der Synchronisierungs-Organisation unserer neuronalen<br />
Ensembles eine zentrale Rolle zu.<br />
Komplexität und Neue Musik. Die Wahrnehmung komplexer dynamischer<br />
Strukturen wie Sprache oder Musik beruht auf einer Abfolge komplexer sich<br />
ständig wandelnder Erregungsmuster. Es handelt sich keinesfalls um isomorphe<br />
Abbildungen, denn Tonhöhen werden nicht einfach in neuronale Schwingungen<br />
unterschiedlicher Frequenz umgesetzt. Die hoch nichtlineare Dynamik erzeugt<br />
eine Komplexität, die angemessen auf die Komplexität gesellschaftlicher und<br />
künstlerischer Vorgänge reagiert. Wir haben es also damit zu tun, dass in der<br />
wechselnden neuronalen Ausbildung prinzipiell unvorhersehbarer Muster, die<br />
Fähigkeit sich selbst zu organisieren und ohne den koordinierenden Einfluss<br />
einer übergeordneten Instanz, hochgeordnete metastabile Zustände einzunehmen,<br />
erzeugt wird. Ein Diskussionspunkt bezieht sich auch auf die Offenheit<br />
3 | Vgl. Wolf Singer. Der Beobachter im Gehirn<br />
4 | Vgl. Gerhard Roth. Das Gehirn und seine Wirklichkeit und Singer (siehe oben)<br />
hinsichtlich der Entwicklungs-Trajektorien. Ebenso die Fragestellung nach der<br />
Kreativität eines nichtlinearen Systems sowie die kompositorische Erfahrung der<br />
Unumkehrbarkeit der Zeit (die erst seit der frühen Moderne, in substantiellen Ansätzen<br />
beim späten Beethoven schon erfahrbar wird), die sich aus der Erfahrung<br />
dieser Trajektorien ableitet.<br />
Wir haben es also mit hochdimensionalen Zustandsräumen zu tun, die von<br />
niedrigdimensionalen Signalen beliefert werden. Wir haben keine Einsicht in die<br />
hochdimensionalen und nichtlinearen Prozesse, auf denen unsere kognitiven<br />
Leistungen beruhen. Wir haben kein Sensorium für die im Gehirn ablaufenden<br />
Vorgänge und es gibt auch kein Sensorium für einen vierten, fünften und sechsten,<br />
gar zehnten Raum, den StringtheoretikerInnen in der Theoretischen Physik<br />
beschreiben, um in einer Theorie der Quantengravitation, Relativitätstheorie und<br />
Quantenmechanik zusammenzuführen.<br />
Zum Symposium. Das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> bietet die einmalige Chance, ein Projekt<br />
zu entwickeln, von dessen Bedeutung für die modernen Wissenschaften und<br />
für künstlerische Entwicklungen wir überzeugt sind. Im Kontext dieses Projekts<br />
sollen führende KomponistInnen gemeinsam mit NeurowissenschaftlerInnen und<br />
WissenschaftlerInnen sowie Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen an<br />
Fragestellungen arbeiten. Das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> bietet die Möglichkeit in einer<br />
großartigen Landschaft Netzwerke zu bilden und Fragestellungen (bzw. Antworten)<br />
kommunikationsfähig zu entwickeln. Fragestellungen, die weit über den engeren<br />
Bereich des Komponierens heute hinausgehen.<br />
WissenschaftlerInnen aus den Bereichen Neurowissenschaft, Philosophie, Kunsttheorie,<br />
Komplexitätsforschung, Kunstwissenschaft, Kunsttheorie, Typosophie,<br />
Semiotik und theoretische Physik werden am Symposium teilnehmen.
22 laboratorIum<br />
laboratorIum 23<br />
Neurowissenschaften<br />
W. Tecumseh Fitch, Ph.D.<br />
Tecumseh Fitch ist Evolutionsbiologe und Kognitions- und Neurowissenschaftler.<br />
Gemeinsam mit Marc Hauser (Harvard University) und Noam Chomsky (MIT)<br />
hat er eine vergleichende Perspektive auf die Evolution von Sprache maßgeblich<br />
mitbegründet.<br />
Er lehrt und forscht am Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien.<br />
Forschungsinteressen<br />
Evolution und neuronale Grundlagen der Wahrnehmung und Kommunikation<br />
Biolinguistik und Bioakustik<br />
Theoretische Biologie<br />
Auditive Darstellung von Daten<br />
Ästhetik<br />
Biomusikologie<br />
Prof. Dr. Stefan Koelsch<br />
Stefan Koelsch lehrt und forscht in der Musikpsychologie am Cluster of Excellence<br />
„Languages of Emotion“ und am Institut für Erziehungswissenschaft und Psychologie<br />
an der Freien Universität Berlin. Stefan Koelsch ist ausgebildeter Musiker.<br />
Forschungsinteressen<br />
Neurokognition und Musik<br />
Emotionen und Musik<br />
Neuronale Zusammenhänge in der Musikwahrnehmung und in der Musikausübung<br />
Musiktherapie<br />
Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Verarbeitung von Musik und Sprache<br />
Neuronale Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung, Aktion und Emotion<br />
Emotionale Persönlichkeit und „unaware mind“<br />
Klaus R. Scherer, Ph.D.<br />
Klaus Scherer studierte Ökonomie, Sozialwissenschaften und Psychologie.<br />
Er ist Professor am Institut für Psychologie an der Universität Genf und ist Vorsitzender<br />
der „Geneva Emotion Research Group“. Sein Lehr- und Forschungsgebiet<br />
erstreckt sich auf mehrere Bereiche der experimentellen und angewandten Psychologie,<br />
u.a. Emotion, Stress, Persönlichkeit, und Kommunikation. Im Mittelpunkt<br />
seiner Forschungsarbeiten stehen zum einen Untersuchungen über die kognitive<br />
Bewertung von emotionsauslösenden Ereignissen, zum anderen Studien zum Ausdruck<br />
von Emotionen in Gesicht und Stimme. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt<br />
betrifft die emotionale Wirkung der Musik. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten<br />
wurden in zahlreichen Monographien und Aufsätzen in internationalen Zeitschriften<br />
veröffentlicht.<br />
Forschungsinteressen<br />
Emotionsforschung (Component Process Model of Emotion - CPM)<br />
Emotionen und Sprache<br />
Emotionale Wirkung von Musik<br />
Dr. Katie Overy<br />
Einer ihrer zentralen Forschungsschwerpunkte ist Musik und Dyslexie (Probleme<br />
mit dem Lesen und Verstehen von Wörtern oder Texten bei normalem Seh- und<br />
Hörvermögen der betroffenen Person). Sie war beteiligt am Aufbau des Institute<br />
for Music in Human and Social Development in Edinburgh.<br />
Katie Overy unterrichtet und forscht am Institut für Musik des Dep. School of Arts,<br />
Culture & Environment an der University of Edingburgh.<br />
Forschungsinteressen<br />
Kognitions- und Neurowissenschaft in der Musik<br />
Psychologie der Musik<br />
Musik in der Erziehung<br />
Musik und Dyslexie<br />
Mödlingerhütte | E. Kren
24 laboratorIum<br />
laboratorIum 25<br />
Philosophie, Kunsttheorie<br />
Prof. Peter Weibel<br />
Peter Weibel ist Künstler, Ausstellungskurator, Kunst- und Medientheoretiker. Sein<br />
Werk lässt sich mehrheitlich in Kategorien der Konzeptkunst, der Performance, des<br />
Experimentalfilms, der Videokunst, Computerkunst und allgemein der Medienkunst<br />
fassen.<br />
In seinen zahlreichen Vorträgen und Artikeln publiziert Weibel über zeitgenössische<br />
Kunst, Mediengeschichte, Medientheorie, Film, Videokunst und Philosophie. Als<br />
Theoretiker und Kurator setzt er sich für eine Kunst und eine Kunstgeschichtsschreibung<br />
ein, die Technikgeschichte und Wissenschaftsgeschichte berücksichtigt.<br />
1984 erhält er die Professur für visuelle Mediengestaltung (Vismed) an der Universität<br />
für Angewandte Kunst in Wien, die er bis heute innehat.<br />
Seit Januar 1999 ist er Vorstand des ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie<br />
Karlsruhe.<br />
Komplexitätsforschung<br />
Prof. Dr. Klaus Mainzer<br />
Klaus Mainzer ist ein deutscher Philosoph, Komplexitätsforscher und Wissenschaftstheoretiker.<br />
Seit 2008 hat er den neuen Lehrstuhl für Philosophie und<br />
Wissenschaftstheorie an der Technischen Universität München inne, weiters ist er<br />
Direktor der Carl von Linde-Akademie.<br />
Forschungsinteressen<br />
Mathematisierung und Computer Modelling<br />
Komplexe dynamische Systeme<br />
Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft<br />
Chaostheorie<br />
Künstliches Leben und künstliche Intelligenz<br />
Raum, Zeit und Materie<br />
Kosmologie und Evolution<br />
Multimedia Society<br />
Theoretische Physik<br />
Lisa Randall, Ph.D.<br />
Lisa Randall ist eine amerikanische Professorin für theoretische Physik an der Harvard<br />
Universität in Cambridge, Massachusetts. Sie gilt als eine führende theoretische<br />
Physikerin und Expertin für Teilchenphysik, Stringtheorie und Kosmologie. Sie gilt<br />
als eine der meistzitierten Hochenergiephysikerin der Welt. Eine ihrer bisher bedeutendsten<br />
Arbeiten ist das Randall-Sundrum-Modell, welches sie 1999 zusammen mit<br />
Raman Sundrum publizierte. Basierend auf ihrem Gedankengebäude erarbeitete<br />
sie ein Libretto für Hèctor Parras Oper Hypermusic Prologue, A Projective Opera<br />
In Seven Planes. Seit 2001 hat sie den Lehrstuhl für theoretische Physik an der<br />
Harvard University inne.<br />
Forschungsinteressen<br />
Weiterentwicklung der zwei konkurrierenden Modelle der Stringtheorie<br />
Zusammenführung von Relativität, Quantenmechanik, Gravitation und der erweiterten<br />
Stringtheorie<br />
Kunstwissenschaft, Kunsttheorie<br />
Prof. Dr. Raphael Rosenberg<br />
Studierte Kunstgeschichte, Geschichte, klassische Archäologie und Ägyptologie.<br />
Arbeit an der Universität Freiburg im Breisgau, am Collège de France in Paris,<br />
Universität Heidelberg und am Wissenschaftskolleg zu Berlin Seit September 2009<br />
Professur für mittlere und neuere Kunstgeschichte am Institut für Kunstgeschichte<br />
der Universität Wien.<br />
Forschungsinteressen<br />
Kunst der italienischen Renaissance<br />
Malerei, Graphik und Karikatur des 19. Jahrhunderts<br />
Abstrakte Kunst und ihre Voraussetzungen<br />
Architektur im Nationalsozialismus<br />
Geschichte der Kunstliteratur<br />
Geschichte und Psychophysiologie der Kunstrezeption
26 laboratorIum<br />
laboratorIum 27<br />
Typosophie, Semiotik<br />
Ecke Bonk<br />
Ecke Bonk beschäftigt sich mit Zeichensystemen als interdisziplinärem Ausdruck von<br />
Kunst, Naturwissenschaft, Typografie und Philosophie, um damit die Bedingungen<br />
und Zusammenhänge kultureller Leistungen zu reflektieren.<br />
Bonk studierte Wissenschaftsgeschichte und Philosophie, Malerei und Typographie.<br />
In zahlreichen Ausstellungen (darunter zwei documentas und Biennale Viennale)<br />
sowie Publikationen tritt er als Typograph, Künstler und Theoretiker hervor.<br />
1988 arbeitete er mit der NASA in Houston als Berater für Fragen der Beschriftung<br />
des Command Modules der Spaceshuttle-Mission.<br />
Architektur<br />
Wolf D. Prix<br />
Wolf D. Prix ist einer der weltweit führenden Architekten.<br />
Er gehört zu den Vertretern des Dekonstruktivismus. Zusammen mit Helmut Swiczinsky<br />
und Michael Holzer gründete er 1968 die Wiener Architektengruppe COOP<br />
HIMMELB(L)AU.<br />
Wolf Prix und COOP HIMMELB(L)AU sind weltweit tätig, zu ihren aktuelle Projekten<br />
gehören u.a. der Pavillon 21 (Mini Opera Space) in München, die europäische<br />
Zentralbank in Frankfurt, das Haus der Musik in Aalborg, Dänemark oder das Museum<br />
of contemporary art and planning exhibition in Shenzhen, China. Seit 2003<br />
ist er Vorstand am Institut für Architektur, Leiter des Studio Prix und Vizerektor der<br />
Universität für angewandte Kunst.<br />
Panorama am Grabnerstein
28 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 29<br />
Musikprogramm<br />
Texte von Magdalena Zorn<br />
Blick in die Voralpen<br />
28.7 Winterreise | Klangforum Wien. Emilio Pomárico. Daniel Kirch<br />
29.7 Weisslich 36, Kopfhörer | Installation<br />
29.7 Zipangu | Wroclawska Orkiestra Kameralna Leopoldinum. Ernst Kovacic<br />
29.7 Assonances | Robyn Schulkowsky. Ernst Kovacic<br />
30.7 Pulsare | MitarbeiterInnen Georg Fischer. Schlagquartett Köln.<br />
Robyn Schulkowsky. Björn Wilker. Adam Weisman. Martin Homann<br />
31.7 Performance Ernst Kovacic | Kovacic<br />
31.7 Madrigale | Neue Vocalsolisten Stuttgart<br />
01.8 Von Sternen, Nebeln und Galaxien … | Schlagquartett Köln. Robyn<br />
Schulkowsky. Björn Wilker. Adam Weisman<br />
02.8 Action Music | Marino Formenti<br />
02.8 Rothko Chapel | Arnold Schoenberg Chor. Erwin Ortner. Steven Dann.<br />
Martin Homann. Mathilde Hoursiangou<br />
02.8 Notturno | Marino Formenti<br />
03.8 Abrumado | Marino Formenti<br />
03.8 Lecture Concert | Peter Ablinger<br />
03.8 Solo pour trois | Uwe Dierksen. Ernesto Molinari. Marcus Weiss<br />
03.8 Abîme – Abgrund | ensemble recherche. Nicolas Hodges<br />
04.8 Schwarzer Peter / Klangpromenade | Uwe Dierksen. Donna Molinari.<br />
Ernesto Molinari. Marcus Weiss<br />
04.8 Canti Notturni | ensemble recherche. Nicolas Hodges<br />
04.8 Trilogy of the Americas (La Selva/Buildings/Wind) | Francisco Lopez<br />
05.8 Dal niente al dente | Ernesto Molinari<br />
06.8 Spuren | Kammerensemble Neue Musik Berlin. Beat Furrer<br />
06.8 Jam Session | Uwe Dierksen. Robyn Schulkowsky. Ernesto Molinari<br />
07.8 Clouds | Zebra Trio<br />
08.8 Finale Furioso | Uwe Dierksen. Dieter Flury. Ernesto Molinari.<br />
Robyn Schulkowsky
30 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 31<br />
Winterreise<br />
Hans Zender (*1936)<br />
Schuberts „Winterreise“. Eine komponierte Interpretation (1993)<br />
für Tenor und kleines Orchester<br />
Klangforum Wien<br />
Daniel Kirch, Tenor<br />
Emilio Pomárico, Leitung<br />
Vera Fischer, Flöten<br />
Doris Nicoletti, Flöten<br />
Markus Deuter, Oboe<br />
Martin Jelev, Oboe<br />
Olivier Vivarès, Klarinetten<br />
Horia Dumitrache Klarinetten, Saxophon<br />
Maria Gstättner, Fagott<br />
Alban Wesly, Fagott, Kontraforte<br />
Christoph Walder, Horn<br />
Anders Nyqvist, Trompete<br />
Andreas Eberle, Posaune<br />
Annette Bik, Violine<br />
Gunde Jäch-Micko, Violine<br />
Andrew Jezek, Viola<br />
Petra Ackermann, Viola<br />
Andreas Lindenbaum, Violoncello<br />
Michael Seifried, Kontrabass<br />
Christopher Brandt, Gitarre<br />
Virginie Tarrête, Harfe<br />
Krassimir Sterev, Akkordeon<br />
Lukas Schiske, Schlagwerk<br />
Berndt Thurner, Schlagwerk<br />
Làszlò Csabai, Schlagwerk<br />
Martin Homann, Schlagwerk<br />
Peter Böhm, Sounddesign<br />
Florian Bogner, Sounddesign<br />
28. Juli 2010, 20:30 Uhr<br />
Fabrikhalle Palfinger Systems, Weng<br />
Die neue Musik wandert in die Welt hinaus<br />
Sie war nicht mehr nur mit Abbrechen und Einreißen beschäftigt, sondern entdeckte<br />
das Moment des Brückenschlagenden wieder –, das war das Neue an der neuen<br />
Musik des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Nicht wenige aus dem ehemaligen<br />
Kreis der Serialisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg die komponierende Flucht<br />
nach vorne ergriffen hatten, lenkten den Blick seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
wieder zunehmend zurück auf die musikgeschichtliche Vergangenheit<br />
und erkannten das kommunikative Potential, das in der abendländischen Musiktradition<br />
schlummerte. Komponisten dachten sich das Vergangene als zur Zukunft<br />
hin offen und wollten umgekehrt die neue Musik in Richtung Tradition transparent<br />
machen. Die von den unterschiedlichsten ästhetischen Prämissen ausgehenden,<br />
komponierten Re-Visionen brachten Erinnerungen, – unvollkommene Schönheiten<br />
ans Tageslicht.<br />
Auch der deutsche Komponist und Dirigent Hans Zender (*1936) erkannte das<br />
utopische Potential der musikalischen Vergangenheit und wollte es zumindest<br />
mit einem Teil seines Œuvres freilegen. Neben genuin experimentellen Stücken<br />
schrieb er solche, in denen die abendländische Musikgeschichte komponierend<br />
reflektiert wird. Vom mikrotonal eingefärbten Dialog mit Haydn für zwei Klaviere und<br />
drei Orchestergruppen (1982) über Hölderlin lesen I (1979) – Zenders Beitrag zur<br />
Beethoven-Rezeption – bis hin zu seinen Instrumentierungen von Claude Debussys<br />
Klavier-Préludes legte er ein „Stilglissando“ auf der Klaviatur der Musikgeschichte<br />
vor, das auch Schuberts Spätwerk streift. Zenders „komponierte Interpretation“ von<br />
Franz Schuberts Winterreise fußt auf seinem theoretischen Konzept der „lecture“.<br />
Diese „individuell interpretierende Lesart“ Zenders von Schuberts Liederzyklus (zwischen<br />
Februar und Oktober 1827 nach Gedichten von Wilhelm Müller entstanden),<br />
führte 1993 zur Komposition Schuberts „Winterreise“.<br />
Es handelt sich weder um eine Instrumentierung der 24 Original-Lieder, noch um<br />
eine Bearbeitung für Tenor und kleines Orchester, sondern um eine Re-Konstruktion<br />
verschiedenster Vergangenheits- und Zukunftsperspektiven einer Musik, die bis<br />
heute nichts an Aktualität eingebüßt hat. Die romantischen Klangchiffren erleben<br />
durch „Dehnung bzw. Raffung des Tempos, Transposition in andere Tonarten,<br />
Herausarbeiten charakteristischer farblicher Nuancen“ vielfältige Permutationen.<br />
Und Zenders „lecture“ springt innerhalb des Textes, wiederholt Zeilen mehrfach,<br />
unterbricht die Kontinuität und verwandelt den Klavierklang in einen vielfarbigen<br />
des Orchesters. An wenigen Stellen erklingt sogar frei Hinzuerfundenes in Form
32 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 33<br />
von Vorspielen, Nachspielen und Zwischenspielen. Zenders Bearbeitungsprozess<br />
wurde durchaus von einem hermeneutischen Erkenntnisinteresse geleitet, das<br />
beständig zwischen Schuberts „écriture“ und seiner „lecture“ oszilliert.<br />
Schuberts Klangsymbolik, die gefrorenen Tränen (Nr.3) und fallenden Blätter<br />
(Nr.16) weisen selten über das subjektiv Erlebte hinaus, sind stets Symbol einer<br />
inneren Befindlichkeit. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh` ich wieder aus“ – mit<br />
einem Abschiedslied hebt das lyrische Ich der Winterreise an. Seine erschütternde<br />
Erkenntnis über das Fremdsein in der Welt wird in Gute Nacht (Nr.1) mit einem<br />
durchgehenden Achtelpuls unterlegt, der zu mechanisch ist, um das Wandern zu<br />
veranschaulichen. Er steht für den unaufhaltsamen Lauf der Zeit, für die Zeit des<br />
Schicksals. Der zum Emblem für Schuberts Spätwerk gewordene Wandersmann<br />
geht ins Unvermeidliche.<br />
Zender hat diese Kluft zwischen dem Subjekt und seinem Schicksal durch eine<br />
subtile Zeit- und Klangfarbengestaltung im Orchestervorspiel zur Nr.1 verdeutlicht.<br />
Die ins vielstimmige Pizzicato der Streicher verzerrten, fragmentierten Klagegesten<br />
Schubertscher Provenienz gleichen subjektiven Gebärden, die sich so lange gegen<br />
die Vereinnahmung durch das Schicksal sträuben, bis sie von einem Achtellauf der<br />
Bläser mitgerissen werden. Auch die Singstimme, die sich bei Zender grundsätzlich<br />
eng an das Original anlehnt, geht in der dritten Strophe ganz eigene Wege: Unterstützt<br />
vom brutalen metallischen Hämmern des Schlagwerks äußert das zynische<br />
Ich im elektronisch verstärkten Forte-Sprechgesang: „Die Liebe liebt das Wandern,<br />
von Einem zu dem Andern, Gott hat sie so gemacht.“<br />
Nicht nur Verläufe, „die dem Schubertschen Original überlegt werden“, so Zender,<br />
sondern auch Überblendungen charakterisieren das Eröffnungslied „Gute Nacht“ in<br />
Zenders Winterreise Re-Konstruktion: Die „Archaik von Akkordeon und Gitarre, die<br />
biedermeierliche Salonkultur des Streichquartetts, die extrovertierte Dramatik des<br />
spätromantischen Sinfonik, die brutale Zeichenhaftigkeit moderner Klangformen“<br />
stehen für die verschiedenen musikhistorischen und -ästhetischen Perspektiven,<br />
die Schuberts Musik zulässt und in Zenders Interpretation übereinandergeschichtet<br />
erscheinen. Sie werden gemäß dem Topos der „gegenstrebigen Fügung“, der auf den<br />
Grund von Zenders Materialverständnis führt, dialektisch aufeinander bezogen.<br />
Während die Gleichzeitigkeit der verschiedenen stilistischen Ebenen und Klangschichten<br />
zu einer dissoziativen Zeitwahrnehmung führt, folgt Zenders zyklische<br />
Gesamtdarstellung einer klar vorgezeichneten Entwicklungslogik, in der das lyrische<br />
Ich seiner Auflösung immer näher kommt. Diesen fortwährenden Auflösungsprozess<br />
hat Zender veranschaulicht, indem der Bezug zur Musikgeschichte von Lied zu<br />
Lied geschwächt wird, „die heile Welt der Tradition verschwindet immer mehr in<br />
eine nicht rückholbare Ferne“. So mündet Schuberts schwebende Metrik in Zenders<br />
Nr. 23 (Die Nebensonnen) in einen Zustand der Haltlosigkeit aufgrund dreier<br />
miteinander konkurrierender Tempi und das modulationslose Leiern der letzten Nr.<br />
24 (Der Leiermann) bei Zender in einen bestürzenden Zwölftoncluster.<br />
Dass alle formalen Kunstgriffe auch eine poetisch-symbolische Seite haben, zeigt<br />
der Umstand, dass die Musiker von Zenders Winterreise selbst „auf Wanderschaft<br />
geschickt“ werden, „die Klänge ‚reisen’ durch den Raum, ja sogar bis ins Außerhalb<br />
des Raumes.“ Die Gänge der Musiker im Raum sind dramaturgisch durchdacht: Vor<br />
Beginn der Aufführung befindet sich nur ein Teil der Interpreten auf dem Podium,<br />
während ein anderer Teil erst im Verlauf des Vorspiels an in der Partitur festgelegten<br />
Stellen einzieht. Am Ende sollen die Bläser (mit Ausnahme der Posaune) den<br />
Raum wieder verlassen, sodass ihre letzten Töne von außen in den Konzertsaal<br />
hereindringen. Diese auskomponierten Ein- und Auszüge der Musiker und deren<br />
temporäre Dislozierung in zwei von der Bühne unterschiedlich weit entfernten<br />
Orchestern durchbrechen die „ästhetische Routine“. Diese Musiker, von außen<br />
kommend und wieder nach draußen ziehend, tragen nicht nur das Schicksal des<br />
lyrischen Ichs, sondern auch die neue Musik in die Welt hinaus.<br />
Besonders möchten wir uns bei der Firma Palfinger Systems und bei Gaulhofer<br />
Fenster und Türen GmbH & Co Kg bedanken, die dieses Konzert ermöglicht<br />
haben.
34 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 35<br />
Hans Zender<br />
Schuberts „Winterreise“<br />
Text von Wilhelm Müller<br />
Gute Nacht<br />
Fremd bin ich eingezogen,<br />
Fremd zieh‘ ich wieder aus.<br />
Der Mai war mir gewogen<br />
Mit manchem Blumenstrauß.<br />
Das Mädchen sprach von Liebe,<br />
Die Mutter gar von Eh‘, -<br />
Nun ist die Welt so trübe,<br />
Der Weg gehüllt in Schnee.<br />
Ich kann zu meiner Reisen<br />
Nicht wählen mit der Zeit,<br />
Muss selbst den Weg mir weisen<br />
In dieser Dunkelheit.<br />
Es zieht ein Mondenschatten<br />
Als mein Gefährte mit,<br />
Und auf den weißen Matten<br />
Such‘ ich des Wildes Tritt.<br />
Was soll ich länger weilen,<br />
Dass man mich trieb hinaus?<br />
Lass irre Hunde heulen<br />
Vor ihres Herren Haus;<br />
Die Liebe liebt das Wandern -<br />
Gott hat sie so gemacht -<br />
Von einem zu dem andern.<br />
Fein Liebchen, gute Nacht!<br />
Will dich im Traum nicht stören,<br />
Wär schad‘ um deine Ruh‘.<br />
Sollst meinen Tritt nicht hören -<br />
Sacht, sacht die Türe zu !<br />
Schreib im Vorübergehen<br />
Ans Tor dir: Gute Nacht,<br />
Damit du mögest sehen,<br />
An dich hab‘ ich gedacht.<br />
Die Wetterfahne<br />
Der Wind spielt mit der Wetterfahne<br />
Auf meines schönen Liebchens Haus.<br />
Da dacht‘ ich schon in meinem Wahne,<br />
Sie pfiff den armen Flüchtling aus.<br />
Er hätt‘ es eher bemerken sollen,<br />
Des Hauses aufgestecktes Schild,<br />
So hätt‘ er nimmer suchen wollen<br />
Im Haus ein treues Frauenbild.<br />
Der Wind spielt drinnen mit den Herzen<br />
Wie auf dem Dach, nur nicht so laut.<br />
Was fragen sie nach meinen Schmerzen?<br />
Ihr Kind ist eine reiche Braut.<br />
Gefror‘ne Tränen<br />
Gefrorne Tropfen fallen<br />
Von meinen Wangen ab:<br />
Ob es mir denn entgangen,<br />
Dass ich geweinet hab‘ ?<br />
Ei Tränen, meine Tränen,<br />
Und seid ihr gar so lau,<br />
Dass ihr erstarrt zu Eise<br />
Wie kühler Morgentau ?<br />
Und dringt doch aus der Quelle<br />
Der Brust so glühend heiß,<br />
Als wolltet ihr zerschmelzen<br />
Des ganzen Winters Eis !<br />
Erstarrung<br />
Ich such‘ im Schnee vergebens<br />
Nach ihrer Tritte Spur,<br />
Wo sie an meinem Arme<br />
Durchstrich die grüne Flur.<br />
Ich will den Boden küssen,<br />
Durchdringen Eis und Schnee<br />
Mit meinen heißen Tränen,<br />
Bis ich die Erde seh‘.<br />
Wo find‘ ich eine Blüte,<br />
Wo find‘ ich grünes Gras ?<br />
Die Blumen sind erstorben,<br />
Der Rasen sieht so blass.<br />
Soll denn kein Angedenken<br />
Ich nehmen mit von hier?<br />
Wenn meine Schmerzen schweigen,<br />
Wer sagt mir dann von ihr?<br />
Mein Herz ist wie erstorben,<br />
Kalt starrt ihr Bild darin;<br />
Schmilzt je das Herz mir wieder,<br />
Fließt auch ihr Bild dahin!<br />
Der Lindenbaum<br />
Am Brunnen vor dem Tore<br />
Da steht ein Lindenbaum;<br />
Ich träumt‘ in seinem Schatten<br />
So manchen süßen Traum.<br />
Ich schnitt in seine Rinde<br />
So manches liebe Wort;<br />
Es zog in Freud‘ und Leide<br />
Zu ihm mich immer fort.<br />
Ich musst‘ auch heute wandern<br />
Vorbei in tiefer Nacht,<br />
Da hab‘ ich noch im Dunkeln<br />
Die Augen zugemacht.<br />
Und seine Zweige rauschten,<br />
Als riefen sie mir zu:<br />
Komm her zu mir, Geselle,<br />
Hier find‘st du deine Ruh‘!<br />
Die kalten Winde bliesen<br />
Mir grad‘ ins Angesicht;<br />
Der Hut flog mir vom Kopfe,<br />
Ich wendete mich nicht.<br />
Nun bin ich manche Stunde<br />
Entfernt von jenem Ort,<br />
Und immer hör‘ ich‘s rauschen:<br />
Du fändest Ruhe dort!<br />
Wasserflut<br />
Manche Trän‘ aus meinen Augen<br />
Ist gefallen in den Schnee;<br />
Seine kalten Flocken saugen<br />
Durstig ein das heiße Weh.<br />
Wenn die Gräser sprossen wollen<br />
Weht daher ein lauer Wind,<br />
Und das Eis zerspringt in Schollen<br />
Und der weiche Schnee zerrinnt.<br />
Schnee, du weißt von meinem Sehnen,<br />
Sag‘, wohin doch geht dein Lauf?<br />
Folge nach nur meinen Tränen,<br />
Nimmt dich bald das Bächlein auf.<br />
Wirst mit ihm die Stadt durchziehen,<br />
Muntre Straßen ein und aus;<br />
Fühlst du meine Tränen glühen,<br />
Da ist meiner Liebsten Haus.<br />
Auf dem Flusse<br />
Der du so lustig rauschtest,<br />
Du heller, wilder Fluss,<br />
Wie still bist du geworden,<br />
Gibst keinen Scheidegruß.<br />
Mit harter, starrer Rinde<br />
Hast du dich überdeckt,<br />
Liegst kalt und unbeweglich<br />
Im Sande ausgestreckt.<br />
In deine Decke grab‘ ich<br />
Mit einem spitzen Stein<br />
Den Namen meiner Liebsten<br />
Und Stund‘ und Tag hinein:<br />
Den Tag des ersten Grußes,<br />
Den Tag, an dem ich ging;<br />
Um Nam‘ und Zahlen windet<br />
Sich ein zerbroch‘ner Ring.<br />
Mein Herz, in diesem Bache<br />
Erkennst du nun dein Bild?<br />
Ob‘s unter seiner Rinde
36 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 37<br />
Wohl auch so reißend schwillt?<br />
Rückblick<br />
Es brennt mir unter beiden Sohlen,<br />
Tret‘ ich auch schon auf Eis und<br />
Schnee,<br />
Ich möcht‘ nicht wieder Atem holen,<br />
Bis ich nicht mehr die Türme seh‘.<br />
Hab‘ mich an jedem Stein gestoßen,<br />
So eilt‘ ich zu der Stadt hinaus;<br />
Die Krähen warfen Bäll‘ und Schloßen<br />
Auf meinen Hut von jedem Haus.<br />
Wie anders hast du mich empfangen,<br />
Du Stadt der Unbeständigkeit!<br />
An deinen blanken Fenstern sangen<br />
Die Lerch‘ und Nachtigall im Streit.<br />
Die runden Lindenbäume blühten,<br />
Die klaren Rinnen rauschten hell,<br />
Und ach, zwei Mädchenaugen glühten.<br />
-<br />
Da war‘s gescheh‘n um dich, Gesell!<br />
Kommt mir der Tag in die Gedanken,<br />
Möcht‘ ich noch einmal rückwärts<br />
seh‘n.<br />
Möcht‘ ich zurücke wieder wanken,<br />
Vor ihrem Hause stille steh‘n.<br />
Irrlicht<br />
In die tiefsten Felsengründe<br />
Lockte mich ein Irrlicht hin;<br />
Wie ich einen Ausgang finde,<br />
Liegt nicht schwer mir in dem Sinn.<br />
Bin gewohnt das Irregehen,<br />
‚s führt ja jeder Weg zum Ziel;<br />
Uns‘re Freuden, uns‘re Wehen,<br />
Alles eines Irrlichts Spiel!<br />
Durch des Bergstroms trockne Rinnen<br />
Wind‘ ich ruhig mich hinab,<br />
Jeder Strom wird‘s Meer gewinnen,<br />
Jedes Leiden auch sein Grab.<br />
Rast<br />
Nun merk‘ ich erst wie müd‘ ich bin,<br />
Da ich zur Ruh‘ mich lege;<br />
Das Wandern hielt mich munter hin<br />
Auf unwirtbarem Wege.<br />
Die Füße frugen nicht nach Rast,<br />
Es war zu kalt zum Stehen;<br />
Der Rücken fühlte keine Last,<br />
Der Sturm half fort mich wehen.<br />
In eines Köhlers engem Haus<br />
Hab‘ Obdach ich gefunden.<br />
Doch meine Glieder ruh‘n nicht aus:<br />
So brennen ihre Wunden.<br />
Auch du, mein Herz, in Kampf und<br />
Sturm<br />
So wild und so verwegen,<br />
Fühlst in der Still‘ erst deinen Wurm<br />
Mit heißem Stich sich regen!<br />
Frühlingstraum<br />
Ich träumte von bunten Blumen,<br />
So wie sie wohl blühen im Mai;<br />
Ich träumte von grünen Wiesen,<br />
Von lustigem Vogelgeschrei.<br />
Und als die Hähne krähten,<br />
Da ward mein Auge wach;<br />
Da war es kalt und finster,<br />
Es schrien die Raben vom Dach.<br />
Doch an den Fensterscheiben,<br />
Wer malte die Blätter da?<br />
Ihr lacht wohl über den Träumer,<br />
Der Blumen im Winter sah?<br />
Ich träumte von Lieb um Liebe,<br />
Von einer schönen Maid,<br />
Von Herzen und von Küssen,<br />
Von Wonne und Seligkeit.<br />
Und als die Hähne krähten,<br />
Da ward mein Herze wach;<br />
Nun sitz‘ ich hier alleine<br />
Und denke dem Traume nach.<br />
Die Augen schließ‘ ich wieder,<br />
Noch schlägt das herz so warm.<br />
Wann grünt ihr Blätter am Fenster?<br />
Wann halt‘ ich mein Liebchen im<br />
Arm?<br />
Einsamkeit<br />
Wie eine trübe Wolke<br />
Durch heit‘re Lüfte geht,<br />
Wenn in der Tanne Wipfel<br />
Ein mattes Lüftchen weht:<br />
So zieh ich meine Straße<br />
Dahin mit trägem Fuß,<br />
Durch helles, frohes Leben<br />
Einsam und ohne Gruß.<br />
Ach, dass die Luft so ruhig!<br />
Ach, dass die Welt so licht!<br />
Als noch die Stürme tobten,<br />
War ich so elend nicht.<br />
Die Post<br />
Von der Straße her ein Posthorn<br />
klingt.<br />
Was hat es, dass es so hoch aufspringt,<br />
Mein Herz?<br />
Die Post bringt keinen Brief für dich.<br />
Was drängst du denn so wunderlich,<br />
Mein Herz?<br />
Nun ja, die Post kommt aus der<br />
Stadt,<br />
Wo ich ein liebes Liebchen hat,<br />
Mein Herz!<br />
Willst wohl einmal hinüberseh‘n<br />
Und fragen, wie es dort mag geh‘n,<br />
Mein Herz?<br />
Der greise Kopf<br />
Der Reif hatt‘ einen weißen Schein<br />
Mir übers Haar gestreuet;<br />
Da glaubt‘ ich schon ein Greis zu sein<br />
Und hab‘ mich sehr gefreuet.<br />
Doch bald ist er hinweggetaut,<br />
Hab‘ wieder schwarze Haare,<br />
Daß mir‘s vor meiner Jugend graut -<br />
Wie weit noch bis zur Bahre!<br />
Vom Abendrot zum Morgenlicht<br />
Ward mancher Kopf zum Greise.<br />
Wer glaubt‘s? und meiner ward es<br />
nicht<br />
Auf dieser ganzen Reise!<br />
Die Krähe<br />
Eine Krähe war mit mir<br />
Aus der Stadt gezogen,<br />
Ist bis heute für und für<br />
Um mein Haupt geflogen.<br />
Krähe, wunderliches Tier,<br />
Willst mich nicht verlassen?<br />
Meinst wohl, bald als Beute hier<br />
Meinen Leib zu fassen?<br />
Nun, es wird nicht weit mehr geh‘n<br />
An dem Wanderstabe.<br />
Krähe, laß mich endlich seh‘n<br />
Treue bis zum Grabe!<br />
Letzte Hoffnung<br />
Hie und da ist an den Bäumen<br />
Manches bunte Blatt zu seh‘n,<br />
Und ich bleibe vor den Bäumen<br />
Oftmals in Gedanken steh‘n.<br />
Schaue nach dem einen Blatte,<br />
Hänge meine Hoffnung dran;
38 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 39<br />
Spielt der Wind mit meinem Blatte,<br />
Zittr‘ ich, was ich zittern kann.<br />
Ach, und fällt das Blatt zu Boden,<br />
Fällt mit ihm die Hoffnung ab;<br />
Fall‘ ich selber mit zu Boden,<br />
Wein‘ auf meiner Hoffnung Grab.<br />
Im Dorfe<br />
Es bellen die Hunde, es rasseln die<br />
Ketten;<br />
Es schlafen die Menschen in ihren<br />
Betten,<br />
Träumen sich manches, was sie nicht<br />
haben,<br />
Tun sich im Guten und Argen erlaben;<br />
Und morgen früh ist alles zerflossen.<br />
Je nun, sie haben ihr Teil genossen<br />
Und hoffen, was sie noch übrig ließen,<br />
Doch wieder zu finden auf ihren Kissen.<br />
Bellt mich nur fort, ihr wachen Hunde,<br />
Lasst mich nicht ruh‘n in der Schlummerstunde!<br />
Ich bin zu Ende mit allen Träumen.<br />
Was will ich unter den Schläfern säumen?<br />
Der stürmische Morgen<br />
Wie hat der Sturm zerrissen<br />
Des Himmels graues Kleid !<br />
Die Wolkenfetzen flattern<br />
Umher im matten Streit.<br />
Und rote Feuerflammen<br />
Zieh‘n zwischen ihnen hin;<br />
Das nenn‘ ich einen Morgen<br />
So recht nach meinem Sinn!<br />
Mein Herz sieht an dem Himmel<br />
Gemalt sein eig‘nes Bild -<br />
Es ist nichts als der Winter,<br />
Der Winter kalt und wild !<br />
Täuschung<br />
Ein Licht tanzt freundlich vor mir her,<br />
Ich folg‘ ihm nach die Kreuz und<br />
Quer;<br />
Ich folg‘ ihm gern und seh‘s ihm an,<br />
Daß es verlockt den Wandersmann.<br />
Ach ! wer wie ich so elend ist,<br />
Gibt gern sich hin der bunten List,<br />
Die hinter Eis und Nacht und Graus,<br />
Ihm weist ein helles, warmes Haus.<br />
Und eine liebe Seele drin. -<br />
Nur Täuschung ist für mich Gewinn!<br />
Der Wegweiser<br />
Was vermeid‘ ich denn die Wege,<br />
Wo die ander‘n Wand‘rer geh‘n,<br />
Suche mir versteckte Stege,<br />
Durch verschneite Felsenhöh‘n ?<br />
Habe ja doch nichts begangen,<br />
Daß ich Menschen sollte scheu‘n, -<br />
Welch ein törichtes Verlangen<br />
Treibt mich in die Wüstenei‘n?<br />
Weiser stehen auf den Straßen,<br />
Weisen auf die Städte zu.<br />
Und ich wandre sonder Maßen<br />
Ohne Ruh‘ und suche Ruh‘.<br />
Einen Weiser seh‘ ich stehen<br />
Unverrückt vor meinem Blick;<br />
Eine Straße muß ich gehen,<br />
Die noch keiner ging zurück.<br />
Das Wirtshaus<br />
Auf einen Totenacker<br />
Hat mich mein Weg gebracht;<br />
Allhier will ich einkehren,<br />
Hab ich bei mir gedacht.<br />
Ihr grünen Totenkränze<br />
Könnt wohl die Zeichen sein,<br />
Die müde Wand‘rer laden<br />
Ins kühle Wirtshaus ein.<br />
Sind denn in diesem Hause<br />
Die Kammern all‘ besetzt?<br />
Bin matt zum Niedersinken,<br />
Bin tödlich schwer verletzt.<br />
O unbarmherz‘ge Schenke,<br />
Doch weisest du mich ab?<br />
Nun weiter denn, nur weiter,<br />
Mein treuer Wanderstab!<br />
Mut<br />
Fliegt der Schnee mir ins Gesicht,<br />
Schüttl‘ ich ihn herunter.<br />
Wenn mein Herz im Busen spricht,<br />
Sing‘ ich hell und munter.<br />
Höre nicht, was es mir sagt,<br />
Habe keine Ohren;<br />
Fühle nicht, was es mir klagt,<br />
Klagen ist für Toren.<br />
Lustig in die Welt hinein<br />
Gegen Wind und Wetter!<br />
Will kein Gott auf Erden sein,<br />
Sind wir selber Götter!<br />
Die Nebensonnen<br />
Drei Sonnen sah ich am Himmel<br />
steh‘n,<br />
Hab‘ lang und fest sie angeseh‘n;<br />
Und sie auch standen da so stier,<br />
Als wollten sie nicht weg von mir.<br />
Ach, meine Sonnen seid ihr nicht!<br />
Schaut ander‘n doch ins Angesicht!<br />
Ja, neulich hatt‘ ich auch wohl drei;<br />
Nun sind hinab die besten zwei.<br />
Ging nur die dritt‘ erst hinterdrein!<br />
Im Dunkel wird mir wohler sein.<br />
Der Leiermann<br />
Drüben hinterm Dorfe<br />
Steht ein Leiermann<br />
Und mit starren Fingern<br />
Dreht er was er kann.<br />
Barfuß auf dem Eise<br />
Wankt er hin und her<br />
Und sein kleiner Teller<br />
Bleibt ihm immer leer.<br />
Keiner mag ihn hören,<br />
Keiner sieht ihn an,<br />
Und die Hunde knurren<br />
Um den alten Mann.<br />
Und er lässt es gehen,<br />
Alles wie es will,<br />
Dreht, und seine Leier<br />
Steht ihm nimmer still.<br />
Wunderlicher Alter!<br />
Soll ich mit dir geh‘n?<br />
Willst zu meinen Liedern<br />
Deine Leier dreh‘n?
40 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 41<br />
Kopfhörer<br />
Peter Ablinger (*1959)<br />
Weiss/Weisslich 36, Kopfhörer (seit 1999)<br />
Installation für geschlossene Kopfhörer, aufmontierte Mikrofone<br />
29. Juli 2010, 11:00 bis 20:00 Uhr<br />
Naturparkzentrum St.Gallen<br />
Skizze zur 1. Version von Weiss/<br />
Weisslich 36, Walkman Diözesanmuseum<br />
Köln 1999<br />
Kopfhörer (geschlossen)<br />
aufmontierte Mikrofone<br />
Das Stück besteht daraus sich den präparierten Kopfhörer aufsetzen, damit drinnen<br />
oder draußen herumzulaufen, in die Klänge zu hören, die gerade jetzt sich<br />
erreignen.<br />
Peter Ablinger<br />
Walkman-Kassettengerät mit Aufnahmefunktion<br />
Der Walkman nimmt gleichzeitig auf und gibt wieder: Wenn man die Kopfhörer aufsetzt,<br />
hört man genau das Gleiche, wie ohne: man hört das, was jetzt gerade ist.<br />
Die Differenz der Wirklichkeiten<br />
Bei der mobilen Kopfhörerinstallation Weiss/Weisslich 36 – sie ist Teil der übergeordneten<br />
Installations- bzw. Werkreihe Weiss/Weisslich – nimmt der Hörende<br />
sein unmittelbares akustisches Umfeld über Kopfhörer wahr. Entgegen seiner<br />
anfänglichen Vermutung, die vom Aufnahmegerät in den Kopfhörer übertragenen<br />
Signale entsprächen exakt denjenigen aus seiner direkten Umgebung, scheint<br />
das über Kopfhörer vermittelte Hören die Realität vielmehr abzuwandeln. – Das<br />
„weiss-weissliche Spiel mit der Differenz der Wirklichkeiten“ (Christian Scheib)<br />
nimmt seinen Lauf.<br />
Die eigenen Schritte, der Wind in den Blättern, all die anonymen Geräusche und<br />
Klänge ringsum erhielten ein Gesicht, das man „lesen“ konnte. Der ferne Straßenlärm<br />
rückte näher und verlor seine Hässlichkeit. Er wurde ein strukturiertes Geräusch in<br />
einem vielstimmigen Hörraum. Alles erschien wie immer und doch in ungeahnter<br />
Präsenz. Beinahe war die Welt wieder ein großes, romantisches Konzert.<br />
Der Besucher lachte womöglich über den kleinen Realitätsverlust; doch er wusste<br />
und sah, dass die Welt war, wie sie immer war. Er wurde zum Akteur, der das Werk<br />
vollendet…<br />
aus: Sebastian Kiefer, „Realitätsverlust unterm Kopfhörer“
42 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 43<br />
Zipangu<br />
Wolfgang Rihm (*1952)<br />
Nature Morte – Still Alive (1980) Skizze für dreizehn Streicher<br />
Wolfgang Rihm (*1952)<br />
Ländler (1979) Fassung für dreizehn Streicher<br />
Beat Furrer (*1954)<br />
antichesis (2006) für vierzehn Streicher<br />
Claude Vivier (1948-1983)<br />
Zipangu (1980) für dreizehn Streicher<br />
Giacinto Scelsi (1905-1988)<br />
Natura renovatur (1967) für elf Streichinstrumente<br />
Wroclawska Orkiestra Kameralna Leopoldinum<br />
(Kammerorchester Breslau)<br />
Ernst Kovacic, Leitung<br />
Agata Jelenska, ´ Violine I, Konzertmeisterin<br />
Anna Szuf lat,<br />
Violine I<br />
Jowita K lopocka,<br />
Violine I<br />
Karolina Krezelewska, ˛ Violine I<br />
Tymoteusz Rapak, Violine II<br />
Dorota Pindur, Violine II<br />
Arkadiusz Pawlus, Violine II<br />
Jacek Gren, Violine II<br />
Michal Micker, Viola<br />
Emilia Pawlenka, Viola<br />
Tomasz Pstrokonski-Nawratil, Viola<br />
Marcin Misiak, Violoncello<br />
Monika Lapka,<br />
Violoncello<br />
Jakub Kruk, Violoncello<br />
Miros law Ma ly,<br />
Kontrabass<br />
·<br />
´<br />
´<br />
´<br />
9. Juli 2010, 18:00 Uhr<br />
Turnhalle, St.Gallen<br />
Fühlbare Musik<br />
Die im Sterben begriffene Natur, der verschleppte Dreiertakt eines Ländlers,<br />
das Erzittern und Beben der Körper und die Umrisse einer Melodie –, all das<br />
wird fühlbar in den Stücken von Wolfgang Rihm, Beat Furrer, Claude Vivier und<br />
Giacinto Scelsi von den Konturen ihrer Klänge eingefangen. Derart körperliche<br />
Musik bedarf des sinnlichen Hörers, seiner haptischen Wahrnehmung und fühlenden<br />
Sensibilität. Im Gegenzug wird er entschädigt, da ihn die Musik von der<br />
Last des rein Geistigen befreit.<br />
Der Ländler des deutschen Komponisten Wolfgang Rihm (*1952) beginnt im Dreivierteltakt<br />
und im mäßig geschwindenTempo q = 60, entspricht also zunächst den<br />
Gepflogenheiten der Gattung. Doch die Melodie ist keineswegs heiter im Charakter<br />
und auch auf formaler Ebene scheint der Pseudo-Ländler seine Fassade zu entdecken.<br />
Dieses Stück, das Wolfgang Rihm im Jahr 1979 ursprünglich für Klavier<br />
verfasste, kreist von Anfang an ganz offensichtlich um die Utopie des Komponisten,<br />
„Leben dadurch zu erfahren, dass der Verlauf sich verliert, dass er woanders neu<br />
entsteht, dass er verdeckt wird von etwas anderem, das sich davorstellt, dass<br />
durch den Riss, den es annimmt, etwas ganz anderes sichtbar wird, dass man<br />
in dem Moment von dem, was gemeint ist, nicht absehen kann.“<br />
So prägen gedämpftes Moll, fahle Harmonien und die Kluft zwischen der tiefen<br />
Lage der Begleittöne und der hohen Melodielage dieses leise Stück. Rhythmus<br />
und Harmoniebewegung bringen die metrische Basis des Dreiertaktes immer<br />
wieder ins Wanken. Mehrmals kehrt das Thema des Anfangs wieder, mit immer<br />
wieder neuen Verwischungen der Tonart schwankt es zwischen Dur und Moll. Im<br />
Rahmen der rondoartigen Anlage lösen sich die Episoden ab. Von Zeit zu Zeit<br />
erscheinen tänzerische Einschübe, zunächst noch mit synkopisch verschleppten<br />
Basstönen, die sich dann allmählich in eine leise, ruhige Schreitbewegung fügen.<br />
Kurz vor Schluss des Stückes erklingt noch eine letzte Reminiszenz an das<br />
Tänzerische des Ländlers, der jedoch nur mehr die Illusion einer Vergangenheit<br />
herbeizitiert.<br />
Mit diesem Rekurs auf die musikalische Tradition, auf ihr Formen- und Materialreservoir,<br />
beabsichtigte Wolfgang Rihm schon seit Mitte der 1970er Jahre eine<br />
Entgrenzung dessen, was auf dem Grund des Bewusstseins schlummert. Was<br />
Rihm rückblickend über die Intention seines Orchesterstücks Sub-Kontur sagte,<br />
charakterisiert eine grundlegende Haltung des Komponisten: „Ich wollte wissen,
44 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 45<br />
was da aus Grenzen brechen kann, die ich vielleicht aus ästhetischer Freundlichkeit<br />
bisher stehen ließ. Entgrenzung also – ich selbst blieb nicht unverschont…“ In<br />
diesem Sinne müsste hinter dem Titel seiner 1980 fertig gestellten Skizze Nature<br />
Morte – Still Alive eigentlich ein Fragezeichen stehen, denn das Stück kreist um<br />
die existentielle Frage nach der Überlebensfähigkeit der Natur – in uns und um<br />
uns herum. Der selbstreferentielle Charakter von Nature Morte – Still Alive für<br />
Streichensemble zeigt sich im permanenten Kreisen um einen erstarrten Klang,<br />
der bis zum Zerreißen anschwillt, um dann wieder in sich zusammenzusinken,<br />
„als suchte der Klang mit aller Gewalt ins Freie, wohin er doch nicht gelangen<br />
kann“ (Peter Oswald). Und wir Hörenden befinden uns währenddessen in einem<br />
Zustand höchster Erregung. Die beklemmenden Atemzüge der Musik sind in<br />
uns, wir sind – um es mit Wolfgang Rihm zu sagen – währenddessen „der Klang<br />
fast selber“.<br />
Von dieser körperlichen Unmittelbarkeit erzählt auch die Musik des österreichischen<br />
Komponisten schweizerischer Abstammung Beat Furrer (*1954). „Im<br />
Nachvollziehen klanglicher Zusammenhänge empfinden wir körperlich.“ Dass in<br />
jeder musikalischen Geste „ein Rest von Körperlichkeit enthalten“ ist, zeigt sein<br />
Stück für Streicherensemble mit dem Titel antichesis. Entstanden anlässlich<br />
des 50jährigen Jubiläums der <strong>Festival</strong> Strings Lucerne und uraufgeführt im Jahr<br />
2006 im Rahmen des Lucerne-<strong>Festival</strong>s handelt Furrers antichesis analog seiner<br />
griechischen Bedeutung „Gegenklang“ von der Bewegung des Klangs im Raum,<br />
von verschiedenen Raumklangbewegungen also. Die in vier Gruppen unterteilten<br />
Streicher – die „Gruppen“ sind zwei Streichquartette, ein Trio, ein Duo und ein<br />
Solo-Kontrabass, dem eine klangliche und gestische Sonderrolle zukommt – sind<br />
im Raum verteilt und spielen sich gegenseitig Klanggebärden zu, deren Bandbreite<br />
von scharfen Pizzicato-Akzenten bis hin zu fast unhörbaren Tremoli reicht. Doch<br />
ob impulsiv oder zurückhaltend, antichesis stellt unter Beweis, dass sich Furrers<br />
Musik unentwegt an der Grenze zum Unhörbaren, Unerhörten befindet.<br />
„Viele Klänge, deren Innenleben Furrer auffächert, sind so leise, dass sie nur in<br />
einer Atmosphäre gespannter Ruhe wahrgenommen werden können. Ist diese<br />
Umgebung hergestellt, wirken sie mit der intensiven Sinnlichkeit jener Geräusche,<br />
die einen, obgleich harmlos, aus dem Halbschlaf aufschrecken lassen.“ Was hier<br />
in der Formulierung von Christian Scheib anklingt, trifft ebenso auf antichesis zu:<br />
Wer Furrers mikroskopische Klanglandschaften in seinem „Echo“-Stück mit der<br />
Lupe betrachtet, den wird die Eindringlichkeit dieser subtil geräuschhaften Musik<br />
„aus dem Halbschlaf aufschrecken lassen“.<br />
Ebenso körperlich, doch dabei lange nicht so dynamisch verhalten und gestisch<br />
zurückgenommen war die Musik des kanadischen Komponisten Claude Vivier<br />
(1948-1983). Wie sein Lehrer Karlheinz Stockhausen, erhielt auch er wichtige<br />
Anregungen für sein Musikverständnis von asiatischen Kulturen. Von seiner langen<br />
„Reise der Selbstentdeckung“, die Vivier 1977 nach Asien und in den Nahen<br />
Osten führte, kam er mit einer veränderten Musikauffassung zurück. Der Aufenthalt<br />
beeinflusste seine Schreibweise vor allem dahingehend, der Melodie mehr und<br />
mehr Bedeutung zu geben. Vivier hat sich auf seinen Reisen, um es mit Györgi<br />
Ligeti zu sagen, „für die Vorherrschaft der Stimme, einer Stimme, entschieden.“<br />
„Zipangu“ ist die auf die Zeit von Marco Polo zurückgehende alte Schreibweise<br />
des Mandarin-Wortes für Japan. In Anlehnung an die japanische (Musik)kultur<br />
legte Vivier mit Zipangu ein Stück über das Sich-Entwickeln einer quasi-folkloristischen<br />
Melodie vor: „In diesem Werk experimentiere ich mit verschiedenen<br />
Farbkombinationen um eine Melodie und versuche die harmonischen Strukturen<br />
durch verschiedenste Bogentechniken zu verschleiern: durch übertriebenen<br />
Bogendruck erzeugte Geräusche werden reinen Harmonien normaler Technik<br />
gegenübergestellt. Die Melodie wird so zur Farbe, nach und nach leichter, isoliert<br />
und ‚wie gereinigt’ herausgestellt.“ Diesem Gegensatz zwischen Körperlichkeit<br />
und erträumtem Folklorismus in den komplexen Obertonfolgen verdankt Zipangu<br />
seine Wirkung.<br />
Unmittelbar wirken, das sollte die Musik auch in den Augen des Italieners Giacinto<br />
Scelsi (1905-1980), dem Geheimnisvollen unter den Komponisten des 20.<br />
Jahrhunderts. Seit seinem Erweckungserlebnis zu Beginn der 1950er Jahren<br />
war die Musik für ihn in erster Linie eine sinnlich erfassbare Größe. Die Legende<br />
besagt, dass Scelsi eine persönliche Krise überwand, indem er die reinigende<br />
Kraft eines einzelnen Tones erfuhr. Angeregt durch die Beschäftigung mit fernöstlichem<br />
Gedankengut entwickelte er schließlich sein Selbstverständnis eines<br />
komponierenden Mediums, das im Prozess des Improvisierens das Innenleben<br />
der Klänge freilegt. Spätestens seit 1950 ließ Scelsi diese Improvisationen am<br />
Klavier auf Tonband aufzeichnen und von anderen Komponisten transkribieren.<br />
„Sie haben keine Vorstellung davon, was in einem einzigen Ton steckt! Es gibt<br />
sogar Kontrapunkte, wenn man so will, Verschiebungen verschiedener Klangfarben.<br />
Es gibt sogar Obertöne, die vollkommen verschiedene Effekte ergeben, im<br />
Inneren, und die nicht nur aus dem Ton heraustreten, sondern ins Zentrum des<br />
Tons eindringen. Es gibt nach innen und nach außen gerichtete Bewegungen in
46 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 47<br />
einem einzigen Ton. Wenn dieser Ton sehr groß geworden ist, wird er zu einem<br />
Teil des Kosmos. So winzig klein er auch erscheinen mag, es ist alles darin enthalten.“<br />
– Aus dieser Aussage geht nicht nur ein Hang zum Mystischen hervor, der<br />
Scelsis antirationalistische Musikauffassung entsprach, hervor, sondern auch sein<br />
Interesse für die unterschiedlichsten Facetten des Klangs. Mikrotonale Texturen<br />
prägen neben einer irisierenden Klangfarbenchromatik das lange Zeit relativ<br />
schwer zugänglich gebliebene Ensemblewerk Natura renovatur. Möglicherweise<br />
beantwortet Scelsis Werk für elf Streicher aus dem Jahr 1967 Wolfgang Rihms<br />
und unser aller Frage nach der Überlebensfähigkeit der Natur: „still alive“? – Sie<br />
ist wiederhergestellt, Natura renovatur.<br />
Wolfgang Rihm, Nature morte-Still alive | 1980 Universal Edition A.G., Wien
48 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 49<br />
Assonances<br />
Michael Jarrell (*1958)<br />
Assonance VII (1992)<br />
(revidiert 2002)<br />
für Schlagzeug<br />
Johannes Maria Staud (*1974)<br />
Portugal (2006)<br />
für Schlagzeug<br />
Iannis Xenakis (1922-2001)<br />
Psappha (1975)<br />
für Schlagzeug<br />
Michael Jarrell *1958<br />
prisme (2000)<br />
für Violine<br />
Ernst Kovacic, Violine<br />
Robyn Schulkowsky, Schlagzeug<br />
29. Juli 2010, 20:00 Uhr<br />
Kirche St.Gallen<br />
Anklänge an das Innere der Klänge<br />
Das Land im Westen der iberischen Halbinsel, die rhythmische Struktur der Gedichte<br />
Sapphos, eine prismatisch gebrochene Realität – das alles klingt in unterschiedlichen<br />
Kompositionen an. Weit davon entfernt, konkrete Anspielungen zu sein, siedeln<br />
sich die Werke von Michael Jarrell, Johannes Maria Staud und Iannis Xenakis im<br />
Graubereich zwischen dem Sag- und Unsagbaren an. Von entgegengesetzten<br />
Polen der Klangwelt kommend umspielen und verschleiern Schlagzeug und Violine<br />
die musikalischen und außermusikalischen Impulse der Musik.<br />
Mit Assonanzen, mit Anklängen im Unterschied zu Zusammenklängen beschäftigt<br />
sich der 1958 in Genf geborene, schweizerische Komponist Michael Jarrell in<br />
seinen Kompositionen bereits seit vielen Jahren. Assonance lautet nicht nur der<br />
Titel eines Klarinettenstücks, sondern auch eine ganze übergeordnete Werkreihe,<br />
mit der sich Jarrell seit 1983 dem Phänomen des Anklingens widmet, und zwar in<br />
zweifacher Hinsicht: Zum einen fußt die Struktur der einzelnen Werke aus dieser<br />
Reihe – das letzte entstand im Jahr 2009 und trägt den Titel Assonance IVb – auf<br />
Ähnlichkeitsbeziehungen. Darüber hinaus ergeben sich jedoch auch „zwischen“<br />
den einzelnen Stücken die vielfältigsten Assonanzen. Dieses Verfahren der kontinuierlichen<br />
Entfaltung einer kompositorischen Idee charakterisiert nicht nur das<br />
Programm der Werkreihe Assonance, es benennt auch ein „Grundprinzip des<br />
gesamten Komponierens Jarrells“ (Christoph Steiner).<br />
Exemplarisch für die Wandlungsfähigkeit seiner musikalischer Strukturen steht<br />
Jarrells rhizomatisch wucherndes, stetig im Umbau begriffenes Assonance VII B<br />
(Rhizomes), dessen Vorgänger Assonance VII für Schlagzeug aus dem Jahr 1991<br />
in einer revidierten Fassung (2002) im Konzert zu hören ist. Jarrell hat seine Vorliebe<br />
für das Schlagwerk von Aber der Wissende (1981) für Sopran und Marimba,<br />
über Assonance VIIb (1993), Assonance VIII (1999) und das Orchesterwerk …<br />
Un long fracas somtueux de rapide céleste…(2001) bis hin zu Incipit für sechs<br />
Schlagzeuger (2002) immer wieder kompositorisch verarbeitet. Auch in Assonance<br />
VII siedelt er das Schlagwerk (ohne Pauken) größtenteils im unteren dynamischen<br />
Bereich an, in dem die vielen leise Töne „suggerieren, statt zu behaupten“ (Pierre<br />
Michel). Es ist Musik, die eher Assoziationen freisetzt, als Richtungen vorzugeben,<br />
dies zeigt bereits die kurze, quasi improvisierende Passage des Vibraphons relativ<br />
am Anfang des Stückes. Doch auch ihr liegt bei aller Freiheit ein bestimmter<br />
„Rahmen“ zugrunde, der die rhythmischen, tonhöhenmäßigen und klangfarblichen<br />
Möglichkeiten des Abschnitts vordefiniert. Jarrells Rahmen geben die Bedingungen
50 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 51<br />
vor, innerhalb derer sich dann allerdings eine geradezu phantastische Klangfarbenmusik<br />
entfalten kann.<br />
Schüler von Michael Jarrell in Wien war der österreichische Komponist Johannes<br />
Maria Staud (*1974), der seine Kompositionsmethode selbst als „induktiv“ bezeichnet<br />
hat. Komponieren bedeutet für ihn nicht, eine im Vorhinein festgelegte Struktur<br />
mit Inhalt anzufüllen, sondern ausgehend von kleinen Bausteinen einen Prozess<br />
zuzulassen, der auf das ständig sich verändernde Klangmaterial reagiert. Auch<br />
während des Komponierens besteht für Staud die Möglichkeit, durch Modifikation<br />
der musikalischen Parameter in den musikalischen Verlauf einzugreifen: „Ich fange<br />
an und schaue dann, wie es weitergehen könnte.“ Neben diesem strukturierten<br />
Entwicklungspotential der Klänge ist auch die emotionale Kraft in Stauds Kompositionen<br />
häufig tonangebend.<br />
Viele seiner die Qualitäten der Klänge auslotenden Werke gehen auf Anregungen aus<br />
Literatur und Bildender Kunst zurück. Sein 2006 komponiertes Schlagzeugstück ist<br />
Anklang an Portugal und gleicht einer musikalischen Annäherung an die Hafenstadt<br />
Porto. Entstanden im Auftrag der von Rem Koolhaas erbauten Casa de música und<br />
uraufgeführt vom Widmungsträger der Partitur Mário Teixeira, stellt Portugal das<br />
Südländische jedoch nicht zur Schau. Im Gegenteil, die Farben der Komposition,<br />
erzeugt von Metall, - Becken- und Holzinstrumenten, sind eher transparent als prall.<br />
Die drei Gruppen gleichen verschiedenen Klangfarbenregistern, dementsprechend<br />
wurden sie auch in der Partitur auf drei verschiedenen Systemen notiert. Durch<br />
die unterschiedliche Kombination von Metall- Becken- und Holzklängen entstehen<br />
wechselnde Klangfarbenabfolgen, die zu flüchtig sind, um sie als Tonhöhenverläufe<br />
wahrzunehmen. Sie scheinen eher Anklang an das Schimmern und Glitzern auf<br />
der Meeresoberfläche zu sein.<br />
Johannes Maria Staud, Portugal | 2006 Universal Edition A.G., Wien<br />
Demgegenüber kommt hinter Iannis Xenakis` (1922-2001) Schlagzeugstück Psappha<br />
aus dem Jahr 1975 die griechische Dichterin Sappho zum Vorschein, auf die sich<br />
auch der archaisierende Titel des Stücks bezieht. Neben Persephassa für sechs<br />
Schlagzeuger (1969) und Pléïades (1978) handelt es sich bei Psappha um eines<br />
der bekanntesten Schlagzeugstücke des in Rumänien geborenen Komponisten<br />
griechischer Abstammung. Die sprachlose Protagonistin seines Stückes namens<br />
Sappho lebte zwischen 630 und 612 v. Chr. auf der kulturell bedeutenden Insel Lesbos<br />
und gilt heute als eine der wichtigsten Dichterinnen des klassischen Altertums.<br />
Weniger die Erotik aber, die aus ihren Gedichten spricht, als deren rhythmische<br />
Struktur dürfte Xenakis zur Komposition inspiriert haben. So wie der Sprachklang<br />
in Sapphos Lyrik gegenüber der Rhythmik in den Hintergrund rückt – jedenfalls<br />
Xenakis empfand dies so –, so dienen auch die Klangfarben in Psappha „einzig<br />
und allein der Verdeutlichung der rhythmischen Strukturen“ des Stückes.<br />
Noch einmal Jarrell: Aus dem Stück für Violine und Orchester …prismes/incidences…<br />
von 1998 herausgelöst, entspricht prisme (2001) dem isolierten Geigenpart des<br />
gleichlautenden Orchesterstücks. Das auf diese Weise entstandene Werk für<br />
Violine solo demonstriert, dass die Fragmentierung und Isolierung einzelner musikalischer<br />
Verläufe nicht zwangsläufig zur Unvollkommenheit der musikalischen<br />
Gestalt führen muss. Der aus dem Orchesterwerk übernommene Violinpart verhält<br />
sich so, wie es der Titel verspricht: Ein an Flagoletts reicher Obertongesang der<br />
Violine führt durch eine Landschaft ungleicher Klangfarben und unterschiedlicher<br />
Atmosphären. Dabei entwickelt das Geigenspiel sogar symbolistische Weiten,<br />
die sich durch semantische Vieldeutigkeit auszeichnen: „Durch ein Prisma sehen<br />
(oder hören) heißt: eine Realität erkennen, die hier durch ein subtiles Spiel mit<br />
den Bestandteilen des Tons verformt wurde“ (Pierre Michel). – Jarrells prisme ist<br />
Anklang an eine innermusikalische virtualité.<br />
Michael Jarrell, prisme | Henry Lemoine
52 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 53<br />
Pulsare<br />
Edgar Varèse (1883-1965)<br />
Ionisation (1931)<br />
für dreizehnköpfiges Schlagzeugensemble (gespielt von acht MusikerInnen)<br />
Gerard Grisey (1946-1998)<br />
Le noir de l`étoile (1990)<br />
für sechs im Raum verteilte SchlagzeugerInnen<br />
Schlagquartett Köln<br />
Thomas Meixner<br />
Boris Müller<br />
Dirk Rothbrust<br />
Achim Seyler<br />
GastmusikerInnen<br />
Martin Homann<br />
Robyn Schulkowsky<br />
Adam Weisman<br />
Björn Wilker<br />
30. Juli 2010, 19:30 Uhr<br />
Versandhalle Georg Fischer Automotive, Altenmarkt<br />
Auf der anderen Seite des Spiegels<br />
Er sei von keinem anderen Komponisten jemals so beeinflusst worden, wie von der<br />
Natur, so äußerte sich der in Paris geborene Komponist Edgar Varèse (1883-1965)<br />
rückblickend über die Einflüsse auf seine Musikauffassung. Varèse, der „verrückte<br />
Wissenschaftler“, wie ihn Frank Zappa nannte, entwickelte seine Klangvorstellungen<br />
größtenteils in Anlehnung an physikalische Phänomene und erschuf einen musikalischen<br />
Kosmos, der sich im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft<br />
ansiedelte. Wie für den Geräuschkomponisten Varèse, so führte die Frage nach<br />
der Sinnhaftigkeit der Kunst für viele seiner Kollegen und Nachfolger im 20. Jahrhunderts<br />
zurück zur Natur, in der Hoffnung, auf der anderen Seite des Spiegels<br />
vielleicht das bis dahin Unerhörte zu finden.<br />
Varèse, dessen Œuvre nur zwölf veröffentlichte Werke umfasst – sein umfangreiches<br />
Frühwerk gilt als verschollen –, löste sich schon früh von einem akademischen<br />
Musikverständnis und entwickelte ein besonderes Interesse für den Klang und<br />
seine physikalisch-akustischen Grundlagen. Sein experimenteller Zugang zum<br />
Komponieren äußerte sich in der Forderung nach Laboratorien für elektronische<br />
Klangerzeugung und führte gleichzeitig zu einer Spatialisierung der Musik, in der<br />
die „frei im Raum beweglichen Klänge als Schallplastiken pointiert“ (Peter Weibel)<br />
wurden. Varèse ging es in seinen Geräuschkompositionen nicht darum, „die<br />
große Musik der Vergangenheit herabzusetzen“, sondern um die Erweiterung des<br />
„musikalischen Alphabets“. Sein Wunsch nach einer „Befreiung der Musik von<br />
temperierten Systemen, von der Beschränkung der Musikinstrumente“ wurde durch<br />
die Schriften von Hermann von Helmholtz (Lehre von den Tonempfindungen) und<br />
Ferrucio Busoni (Entwurf einer Ästhetik der Tonkunst) maßgeblich angeregt. Von<br />
einer Emanzipation des Schalls zeugte bereits das erste Orchesterwerk, das er<br />
nach seiner Übersiedlung nach New York im Dezember 1915 komponierte. 1921<br />
fertiggestellt, offenbart Amériques schon jene Kompromisslosigkeit, die Varèse<br />
später auszeichnen sollte, jene musikästhetische Stringenz, die in Ionisation seinen<br />
vorläufigen Höhepunkt erreichte.<br />
Ionisation für 41 Schlaginstrumente und zwei Sirenen – Varèse konzipierte das Werk<br />
für nicht weniger als dreizehn Spieler – war das erste Konzertstück überhaupt, das<br />
ausschließlich für Schlagzeugensemble bestimmt war und nimmt infolgedessen<br />
eine wegweisende Stellung in der Schlagzeugliteratur des 20. Jahrhunderts ein. Die<br />
im Pianissimo beginnende und verklingende Komposition hat einen physikalischen<br />
Prozess zum Vorbild: Der Terminus „Ionisation“ umschreibt jenen Vorgang, bei
54 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 55<br />
dem Elektronen aus ihrer atomaren oder molekularen Bindung herausgeschlagen<br />
werden. Dabei kommt es zur Freisetzung von Energie und dementsprechend hoch<br />
ist auch die Intensität der Geräuschverläufe im Schlagzeugwerk. Die Partitur ist in<br />
mehrere Klangschichten unterteilt, wobei die zwei Sirenen mit ihren kontinuierlichen<br />
Tonhöhenverläufen zwischen einer reinen Geräuscheschicht und einem Instrumentarium<br />
mit definierten Tonhöhen vermitteln. Doch diese Tonhöhen-Instrumente,<br />
Glocken, Glockenspiel und Klavier, treten erst gegen Ende der Komposition in<br />
den Vordergrund des Klanggeschehens. Und selbst ganz zum Schluss bleibt dem<br />
Geräusch in den clusterartigen Akkorden des Klaviers seine handlungstragende<br />
Funktion noch erhalten.<br />
Im Gegensatz zu Varèses auskomponierter Geräuschwerdung kommuniziert das<br />
über fünfzig Jahre später entstandene Schlagzeugstück des französischen Spektralisten<br />
Gérard Grisey (1946-1998) mit dem Weltall. Es inkorporiert die Signale<br />
eines anderen Sterns und steht somit exemplarisch für Griseys Musikverständnis<br />
an der Schwelle zwischen Mensch und Natur. Le noir de l`étoile, von Grisey im<br />
Jahr 1990 fertiggestellt, war ursprünglich nicht nur für sechs im Raum verteilte<br />
Schlagzeuger komponiert, sondern auch für Zuspielband und live übertragene<br />
astronomische Signale. Bei der Uraufführung in Brüssel im Jahr 1991 waren über<br />
Tonband eingespielte Klänge des Pulsars Vela hörbar und die Signale, welche der<br />
Pulsar 0329-54 aussendete, wurden in Echtzeit (am 13. März 1991 um 17:00 Uhr)<br />
in den Konzertsaal übertragen.<br />
Bei diesen Pulsaren handelte es sich um die Überreste aus der Explosion einer<br />
Supernova vor 12.000 Jahren. Ein junger Wissenschaftler machte im Jahr 1967<br />
die Entdeckung, dass sie mehrmals pro Sekunde um die eigene Achse rotieren<br />
und dabei periodische Frequenzen aussenden. Gérard Grisey, der damals Dozent<br />
für Musiktheorie und Komposition an der University of California war, erfuhr von<br />
diesem Phänomen und beschloss, diese Frequenzen kompositorisch zu nutzen.<br />
Er wählte mit Hilfe des Astronomen Jean-Pierre Luminet einige dieser Signale, die<br />
aus einer längst vergangenen Zeit stammten, aber wie durch ein Wunder noch<br />
erreichbar waren, für eine musikalische Bearbeitung aus.<br />
Vollständig eingegangen in das Werk ist ein früheres Schlagzeugstück Griseys<br />
mit dem Titel Tempus ex machina, das sich vor allem durch die parametrische<br />
Gegenüberstellung zweier Klangobjekte auszeichnet. Die tiefen, leisen Klänge<br />
der Fellinstrumente stehen den hohen, lauten der Holzinstrumente gegenüber und<br />
werden in einen Prozess der kontinuierlichen Vermittlung verwickelt. Von diesem<br />
Kontrast und der Erfahrung von Diskontinuität ausgehend, ergibt sich ein „schwe-<br />
bender Prozess zwischen Verdichtung und Losigkeit“ (Gérard Grisey). Dabei kreist<br />
Le noir de l`étoile permanent um die Darstellung des Nicht-Darstellbaren, Grisey war<br />
sich dessen bewusst: „Ein langsamer Übergang von der Makro- zur Mikrophonie<br />
bestimmt die Form von Tempus ex machina. […] Die letzten wahrgenommenen<br />
Klänge sind nichts anderes als Schläge der großen Trommel und der Holztrommel<br />
vom Beginn der Partitur, die jedoch bis zum Äußersten gedehnt wurden; sie ermöglichen<br />
uns, das Unhörbare zu erfassen. Durchgangstöne, Teiltöne, Schwebungen<br />
… den eigentlichen Körper des Klanges. Nach zahllosen Mäandern sind wir am<br />
Ende der Reise angelangt: auf der anderen Seite des Spiegels.“<br />
Edgar Varèse, Ionisation | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH<br />
Besonders möchten wir uns bei Georg Fischer Automotive, Altenmarkt und deren<br />
MitarbeiterInnen bedanken, die mit ihrer Unterstützung und in hervorragender<br />
Zusammenarbeit dieses Konzert ermöglicht haben.
56 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 57<br />
Performance Ernst Kovacic<br />
Ernst Kovacic, Violine<br />
31. Juli 2010, 18:00 Uhr<br />
Stiftsbibliothek Admont<br />
Auf der Suche nach modernen Klängen<br />
Situationsbezogenes und handlungsbetontes Musik-Machen steht im Mittelpunkt<br />
der Performance des österreichischen Geigers und Dirigenten Ernst Kovacic. Dabei<br />
streift seine Interpretation bedeutende Werke der Moderne und tritt in einen Dialog<br />
mit der Geige. Kovacics Musikperformance fußt nicht auf einer im Vorhinein bis<br />
ins Detail festgelegten Dramaturgie, sondern baut vielmehr auf offenen Versuchsanordnungen<br />
auf. Auf das Suchen und Forschen (experire) kommt es an!
58 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 59<br />
Madrigale<br />
Lucia Ronchetti (*1963)<br />
Pinocchio, una storia parallela da Giorgio Manganelli (2005)<br />
Dramaturgie für vier Männerstimmen<br />
Text von Giorgio Collodi<br />
1. La casa di Geppetto (Geppettos Haus)<br />
2. Il teatro dei burattini (Das Marionettentheater)<br />
3. Il paese dei barbagianni (Das Land der Trottel)<br />
4. La notte (Die Nacht)<br />
5. La casina bianca (Das weiße Häuschen)<br />
6. Il mare (Das Meer)<br />
7. Il paese dei balocchi (Das Land der Spielzeuge)<br />
8. La balena (Der Wal)<br />
9. La capanna (Die Hütte)<br />
Salvatore Sciarrino (*1947)<br />
12 madrigali (2008)<br />
Neue Vocalsolisten<br />
Sarah Sun, hoher Sopran<br />
Susanne Leitz-Lorey, lyrischer Sopran<br />
Truike van der Poel, Mezzosopran<br />
Daniel Gloger, Countertenor<br />
Martin Nagy, Tenor<br />
Guillermo Anzorena, Bariton<br />
Andreas Fischer, Bass<br />
31. Juli 2010, 20:30 Uhr<br />
Kirche St.Gallen<br />
Lautmalerische Heterotopien<br />
Das Madrigal als weltliches Pendant der Motette prägte in erster Linie die italienische<br />
Vokalmusik des 16. und 17. Jahrhunderts maßgeblich. Diese wichtige<br />
mehrstimmige Vokalform der Renaissance und des Frühbarock zeichnete sich<br />
neben ihrer spezifischen mehrstimmigen Anlage vor allen Dingen durch ihre<br />
lautmalerische, textausdeutende Komponente aus. Auf diese Eigenschaften<br />
griffen Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts zurück, wenn sie sich in ihren<br />
Werken mit der Tradition des italienischen Madrigals auseinandersetzten – so<br />
etwa der italienische Komponist Salvatore Sciarrino (*1947) und seine ehemalige<br />
Schülerin Lucia Ronchetti (*1963).<br />
Außergewöhnlich ist das Sujet des a capella-Stücks für vier Männerstimmen aus<br />
der Feder der italienischen Komponistin Lucia Ronchetti: Pinocchio, una storia<br />
parallela entstand im Jahr 2005 während eines Berlin-Aufenthalts und erzählt<br />
in neun Episoden von der zum Leben erweckten Holzpuppe Pinocchio. Dabei<br />
folgt Ronchetti nicht Carlo Collodis bekanntem Kinderbuch, das 1883 unter dem<br />
Titel Le avventure di Pinocchio erschienen ist, sondern der Adaption Giorgio<br />
Manganellis. Der italienische Literaturwissenschaftler, dessen Werke als rätselhaft<br />
gelten und häufig „als autoreferenzielle Inszenierung von Metapher und<br />
Allegorie“ (Andreas Gelz) gedeutet wurden, hat den Handlungsverlauf Collodis<br />
in seinem „Parallelbuch“ – eine Gattung, die er selbst erfunden hat – zwar in<br />
seiner Originalgestalt belassen, doch sie um zusätzlich unvermittelte Schnitte<br />
und verschachtelte Rollen erweitert.<br />
Lucia Ronchetti übernimmt dieses Konzept und sie betont die dunklen Schattierungen<br />
von Manganellis Version, in der vor allem Gewalt und Melancholie die<br />
Entwicklung Pinocchios begleiten. Die vier Vokalpartien von Ronchettis musikalische<br />
Parallelgeschichte könnten unterschiedlicher nicht sein: Pinocchio, der<br />
voller Wünsche und Sehnsüchte ist, wird von einem Countertenor interpretiert.<br />
Ein Tenor steht für das Helle und Freundliche in ihm, während ein Bariton die<br />
dunkle Seite Pinocchios verkörpert. Der Bass ist die Stimme aus dem Off, die den<br />
Autoren Manganelli und Collodi das Wort leiht. Darüber hinaus repräsentiert das<br />
Vierer-Ensemble das klingende Italien aus Collodis fantastischer Geschichte.<br />
Die Interpreten der Vokalpartien müssen ihre Virtuosität im Umgang mit zeitgenössischen<br />
Vokaltechniken in vielerlei Hinsicht unter Beweis stellen. Vom perkussiven<br />
Sprechgesang über komplexe Lautierungsprozesse bis hin zu Klangfarbenmodu-
60 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 61<br />
lationen wird den vier Künstlern eine breite Palette an Gesangskunst abverlangt.<br />
All das geschieht jedoch immer wieder hörbar vor der Folie eines madrigalesken<br />
Idioms: Gegenbewegung der Stimmen und Töne, die sich manchmal im kleinstmöglichsten<br />
Abstand aneinander reiben und ein von Abwechslung und Kontrast<br />
geprägter musikalischer Verlauf stellen den Gattungsbezug her.<br />
Salvatore Sciarrino (*1947), dem die abendländische Musiktradition immer wieder<br />
als Feld des Experimentierens und der Auseinandersetzung dient, bezog sich mit<br />
seinen 12 Madrigali aus dem Jahr 2008 ohne Zweifel auf den „cantus matricalis“,<br />
den alten, mehrstimmigen Gesang in seiner Muttersprache. Doch gleichzeitig<br />
entwickelte Sciarrino in seinen 12 Madrigali ein ganz eigenständiges Figuren-<br />
und Ausdrucksrepertoire zur Veranschaulichung außergewöhnlicher Texte: Als<br />
Textgrundlage fungieren sechs Haikus des bedeutenden japanischen Dichters<br />
Matsuo Bashô (1644-1694), der zu seiner Zeit maßgeblich dazu beitrug, die bis<br />
dahin spielerisch humorvolle Haiku-Dichtung in den Rang ernsthafter Literatur<br />
zu heben. Die sechs Dreizeiler, von Sciarrino selbst ins Italienische übertragen,<br />
wurden sogar je zweimal vertont, sodass zwei Madrigal-Zyklen auf dieselben sechs<br />
Gedichte vorliegen. In ihrer gleichnishaften Beschreibung von Naturereignissen<br />
sind sie typische Beispiele japanischer Haikus: Das Murmeln der Wellen (eine<br />
Anspielung an Monteverdis Ecco mormorar londe), der Gesang der Lerche, das<br />
Meer der Zikaden –, all das findet seinen Widerhall in den Klängen und Verläufen,<br />
in der Sprachbehandlung und Textausdeutung der Partitur. Eine lebhafte<br />
Darstellung findet auf diese Weise die „geheimnisvolle und kraftvolle Einheit von<br />
Klang und Wort“ (Salvatore Sciarrino).<br />
Zwischen diesen beiden Sechsergruppen in den 12 Madrigali existieren die vielfältigsten<br />
Querverbindungen, die allerdings einem ungewöhnlichen Verhältnis<br />
entspringen. Denn die zweite Serie verhält sich zur ersten Serie wie ein untreuer<br />
Spiegel („A specchio infedele“ lautet die Überschrift des zweiten Teils) und verzerrt<br />
ihre Klangverläufe, anstatt sie exakt zu spiegeln, wandelt sie vielmehr ab<br />
oder spinnt sie fort. Diese „Zweitversionen erzählen dieselbe Geschichte jeweils<br />
auf neue Weise, mit anderen Mitteln und aus anderer Perspektive“ (Max Nyffeler).<br />
Auch die Räume, in die wir zu Beginn der Werkhälften eingeführt werden,<br />
scheinen dies zu bestätigen: Das „Tempo d’altro spazio“ („Tempo des anderen<br />
Raumes“) des ersten Madrigals findet im lautmalerisch phantasievollen „Tempo<br />
d’altro mare“ („Tempo des anderen Meeres“) des siebten eine Entsprechung. – Mit<br />
diesen Tempoangaben kreisen Sciarrinos Madrigale um Heterotopien, zu denen<br />
nur die Kunst uns Zutritt verschafft.<br />
Lucia Ronchetti<br />
Pinocchio, una storia parallela da Giorgio Manganelli<br />
Dramaturgie für vier Männerstimmen<br />
Text von Giorgio Collodi
62 muSIkProgramm<br />
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Salvatore Sciarrino<br />
12 Madrigali<br />
Auf sechs Haikus von Matsuo Bashô (1644-1694)<br />
Italienische Übersetzung von Salvatore Sciarrino<br />
Aus dem Italienischen von Uli Aumüller & Susanne Laurentius<br />
Quante isole!<br />
In frantumi<br />
lo specchio del mare<br />
Ecco mormorar l’onde<br />
è ritmo<br />
di vento profumato<br />
La cicala!<br />
Assorda nella voce<br />
un’aura di campane<br />
Rosso, così rosso<br />
il sole fugge<br />
vento d’autunno<br />
O lodola<br />
non basta al canto<br />
un lungo giorno<br />
Sole alto<br />
mare di cicale<br />
bevono le rocce<br />
Wie viele Inseln!<br />
In Scherben<br />
der Spiegel des Meeres<br />
Hört die Welle rauschen<br />
und den Rhythmus<br />
des duftenden Windes<br />
Die Zikade!<br />
in ihrer Stimme verklingt<br />
ein Glockenschlag<br />
rot, so rot<br />
die Sonne flieht<br />
Wind des Herbstes<br />
Oh Lerche<br />
dem Gesang genügt nicht<br />
ein langer Tag<br />
Hohe Sonne<br />
Meer von Zikaden<br />
trinken die Felsen<br />
Sciarrino, 12 Madrigali | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH
68 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 69<br />
Von Sternen, Nebeln und Galaxien …<br />
Ein kreatives Musikprojekt zu Iannis Xenakis – Pléïades<br />
Iannis Xenakis (1922-2001)<br />
Pléïades (1978)<br />
für sechs Schlagzeuger<br />
MitarbeiterInnen der Firma Georg Fischer Automotive, Schlagzeug<br />
Robyn Schulkowsky, Workshopleiterin, Schlagzeug<br />
Adam Weisman, Schlagzeug<br />
Björn Wilker , Schlagzeug<br />
Schlagquartett Köln<br />
Thomas Meixner, Schlagzeug<br />
Boris Müller, Schlagzeug<br />
Dirk Rothbrust, Schlagzeug<br />
Achim Seyler, Schlagzeug<br />
1. August 2010, 19:30 Uhr<br />
Versandhalle Georg Fischer Automotive, Altenmarkt<br />
Von Sternen, Nebeln und Galaxien …<br />
Die mit freiem Auge sichtbaren Plejaden galten vielen Kulturen aufgrund ihrer Sechszahl<br />
als besonders symbolträchtige Sterne. Der offene Sternhaufen der Plejaden<br />
steht auch im Mittelpunkt von Iannis Xenakis` (1922-2001) gleichnamigem Stück<br />
(Originaltitel: Pléïades) aus dem Jahr 1978, konzipiert für sechs Schlagzeuger. Die<br />
Komposition ist in vier Sätze unterteilt, die sich vor allem durch das verwendete<br />
Instrumentarium und infolgedessen auch durch bestimmte Klangfarbencharakteristiken<br />
voneinander unterscheiden. Drei der vier Sätze widmen sich jeweils einer<br />
Klanggruppe, dementsprechend lauten auch die Satzüberschriften: „Métaux“ (Metallinstrumente),<br />
„Peaux“ (Fellinstrumente) und „Claviers“ (Schlaginstrumente mit<br />
bestimmter Tonhöhe, etwa Xylophone und Marimbas). Der vierte Satz „Mélanges“<br />
(„Mischungen“) kombiniert die drei Klanggruppen. Wenn Xenakis auch nicht<br />
darauf bestanden hat, dass dieser zuletzt erklingt, so stellt der Satz dennoch den<br />
natürlichen Kulminationspunkt des Stückes dar.<br />
Zu Beginn von „Mélanges“ dominiert die Gruppe der Metallinstrumente. Alle sechs<br />
Schlagzeuger spielen scheinbar dieselben, in der Partitur notierten Auf- und Abwärtsbewegungen,<br />
doch die erzeugten Klangverläufe unterscheiden sich maßgeblich<br />
voneinander, da die Metallplatten der einzelnen Spieler unterschiedliche<br />
Stimmungen aufweisen. Auf diese Weise entsteht „ein dichtes Knäuel von Klängen“<br />
(Rudolf Frisius), das sich im Tonraum aufwärts und abwärts bewegt. Als ob die<br />
Plejaden in Xenakis musikalischem Weltall durch rasche rhythmische Pulsationen<br />
miteinander kommunizierten.<br />
Entdecken und Erforschen<br />
von Annemarie Mitterbäck<br />
Und wie weiß ich, wie der Teil klingen soll?<br />
Du alleine entscheidest, wie dein Klang auf deinem Instrument klingen soll - Probier<br />
einfach mal aus!<br />
Walter Hermann und Robyn Schulkowsky<br />
Die MitarbeiterInnen der Firma Georg Fischer Automotive in Altenmarkt, dem größten<br />
Arbeitgeber der Region, begeben sich anhand des Werks über einen Zeitraum<br />
von zwei Wochen auf die Entdeckung und die Erforschung neuer Klänge und<br />
Ausdrucksmöglichkeiten. Spielarten auf Instrumenten werden erprobt, Materialien<br />
des Arbeitsalltags werden ihren approbierten Zwecken herausgelöst, untersucht<br />
und in einen neuen Kontext gestellt. Wie klingen diese Magnesiumteile, welche
70 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 71<br />
täglich gegossen und für die Automobilindustrie in der Firma weiterverarbeitet werden?<br />
Themen des Alltags, des Arbeitsprozesses wie Tempo, Zeit, Bewegung und<br />
Statik stellen Parameter dar, die ebenso in das neu entstehende Werk einfließen<br />
werden.<br />
Der Vorbereitungsworkshop Anfang Juli, ein Tag im ständigen Wechsel befindend<br />
zwischen heftigen Gewitterschauern und Sonnenschein. Der erste gemeinsame<br />
Workshop-Nachmittag zum kreativen Musikprojekt „Von Sternen, Nebeln und<br />
Galaxien …“<br />
Achtzehn Menschen unterschiedlichsten Alters, musikalischen Hintergrunds und<br />
Sozialisierung treffen aufeinander, um etwas Neues gemeinsam entstehen zu<br />
lassen. Verbindendes Ausgangselement ist die Begeisterung an der Entstehung<br />
von Neuem sowie die Neugierde und Lust am Erforschen dessen.<br />
Die Projektteilnehmer, welche sich in den vorangehenden Wochen für das Projekt<br />
angemeldet hatten, finden sich im Probenraum ein und finden an die dreißig<br />
Magnesiumteile und Holzelemente vor. Die Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky<br />
befindet sich inmitten dieser Instrumente und bringt die Teile durch unterschiedlichste<br />
Anschlagtechniken zum Klingen. Innerhalb weniger Minuten eröffnen sich Rhythmen<br />
und Klänge im Raum. „Probier doch mal diesen Schlägel auf diesem Teil aus“ – oder<br />
„Hör mal genau hin, wie lange dieses Teil klingen kann“ so Robyn Schulkowsky zu<br />
den MitarbeiterInnen der Firma. Das Eis ist gebrochen, die Mitwirkenden beginnen<br />
die Teile zu untersuchen, probieren aus, verwenden Schlägel unterschiedlichster<br />
Art und beginnen die Ober- und Untertöne dieser Magnesiumteile zu hören.<br />
Die Inspirationsquelle für die vierzehntägige Projektphase stammt von Xenakis;<br />
dessen Rhythmusbehandlung und Klangbetrachtung. Er entwickelte für den Satz<br />
„Metaux“ des Werks: Pléïades, das Instrument Six-Xen, welches aus 19 unterschiedlichen<br />
Metallplatten besteht. Die ProjektteilnehmerInnen nehmen diese<br />
Ursprungsidee auf und entwickeln ihr eigenes Klangspektrum.<br />
Auch die anderen Sätze sowie die Satzstruktur des Referenzwerks mit den Satzbezeichnungen:<br />
„Peaux“, „Mélanges“, „Métaux“ und „Claviers“ bilden weitere<br />
Anknüpfungspunkte zum neu entstehenden Werk.<br />
So werden unter Anleitung der SchlagzeugerInnen Robyn Schulkowsky, Björn Wilker<br />
und Adam Weisman vier Sätze unterschiedlichsten Instrumentariums entwickelt.<br />
Anstelle von „Peaux“ werden sogenannte Sub-bass Marimbas, welche Robyn<br />
Schulkowsky im Jahr 2000 entwickelte und welche in dieser Form in Österreich<br />
zum ersten Mal durch die Verwendung der Projektteilnehmer präsentiert werden.<br />
In Anlehnung an den Satz „Claviers“ entwickeln die Mitwirkenden eine nicht-diatonische,<br />
industrielle Skala in verschiedenen Variationen. „Mélanges“ versteht sich<br />
als wahre Mischung aller vorangehenden Klänge und Elemente unter Einbindung<br />
der eigenen Instrumente der Projektteilnehmer.<br />
Die Freiheit der Anordnung bzw. die Reihenfolge der einzelnen Sätze behalten sich<br />
die Mitwirkenden des Projekts offen und wird ebenfalls wie im Referenzwerk im<br />
Laufe der Probenphase festgelegt.<br />
Durch dieses Ausprobieren und dem unvorhersehbaren Nachgehen entsteht eine<br />
produktive Neugierde sowie Lust auf Neues und Unentdecktes. Durch dieses Teilen<br />
in der direkten Zusammenarbeit mit außergewöhnlichen Künstlerpersönlichkeiten<br />
wird ein gegenseitiger, gleichberechtigter Austausch zwischen den ProjektteilnehmerInnen<br />
und den MusikerInnen vor Ort ermöglicht. Als Höhepunkt wird das<br />
entwickelte Werk in der adaptierten Versandhalle gemeinsam öffentlich präsentiert.<br />
Der Blickpunkt verschiebt sich, eine andere Art der Betrachtung kommt zum Tragen,<br />
ein neues Werk entsteht – ein neuer fließender Impuls im Inneren.
72 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 73<br />
Mitarbeiter der Firma Georg Fischer beim Workshop | Anna Furtmüller<br />
Workshopteam<br />
Annemarie Mitterbäck, Idee / Konzept / Projektleitung<br />
Robyn Schulkowsky, Musikalische Workshopleitung / Schlagzeug<br />
Björn Wilker, Schlagzeug<br />
Adam Weisman, Schlagzeug<br />
Ellen Wemmelund, Musikassistenz<br />
Robyn Schulkoswky | Anna Furtmüller<br />
Die vom ‚<strong>Arcana</strong>-Projektteam‘ präsentierte Idee hat uns auf Anhieb sehr gut gefallen<br />
und wir haben uns spontan für eine Teilnahme entschieden. Mir ist es wichtig, stets<br />
offen für Neues zu sein und gemeinsam mit unseren MitarbeiterInnen neue Wege<br />
zu gehen - nicht nur im technischen Bereich. Mit <strong>Arcana</strong> ist uns das möglich!<br />
Andreas Müller, Geschäftsführer Georg Fischer Automotive<br />
Besonders möchten wir uns bei Georg Fischer Automotive, Altenmarkt und deren<br />
MitarbeiterInnen und Projekteilnehmern bedanken, die mit ihrer Unterstützung und<br />
in hervorragender Zusammenarbeit dieses außergewöhnliche Projekt ermöglicht<br />
haben.
74 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 75<br />
Action Music<br />
Bernhard Lang (*1957)<br />
DW 12 Cellular automata (2005)<br />
für Klavier<br />
Giacinto Scelsi (1905-1988)<br />
Action Music (1955)<br />
für Klavier<br />
I. Poco piu mosso, Veloce<br />
II. Iniziando e subito accelerando<br />
III. Lento dolce (tutto col palmo della mano)<br />
IV. Martellato<br />
V. Violento<br />
VI. Brilliante<br />
VII. Pesante<br />
VIII. Veloce<br />
IX. Con fuoco<br />
Marino Formenti, Klavier<br />
2. August 2010, 19:00 Uhr<br />
Kirche St.Gallen<br />
Von Automatismen und Befreiungsstößen<br />
Action music! – Mechanische Tastenmotorik, hochvirtuose Tempi und komplexe<br />
Klangeffekte charakterisieren die Spielwerke von Bernhard Lang und Giacinto<br />
Scelsi.<br />
Bereits die geforderte Grundgeschwindigkeit von q = 168 in Bernhard Langs DW<br />
12 cellular automata deutet auf die virtuose Anlage des Klavierwerkes hin. Der Titel<br />
sagt es: Das Tastenstück zielt auf Automation ab. Doch wahrgenommen wird im<br />
Verlauf des Stückes eher ein Prozess der fortwährenden Differenzierung. DW 12<br />
gehört Langs übergeordneter Werkreihe „D/W“ an, benannt nach einem Hauptwerk<br />
von Gilles Deleuze, in dem es dem französischen Philosophen gelungen ist, die<br />
Begriffe Differenz und Wiederholung einer Neudefinition zu unterziehen. Langs<br />
hochkomplexe, auf repetitiven Strukturen aufbauende Wiederholung/Differenz-<br />
Stücke sind nicht nur von der Philosophie Deleuzes, sondern auch maßgeblich<br />
von der Loop-Ästhetik (Loop, engl. „Schleife“) der Elektronischen Musik beeinflusst<br />
worden.<br />
Wesentlich für die Werke des DW-Zyklus war Langs Überlegung, dass Differenz<br />
einerseits durch Wiederholung entsteht, dass andererseits die Differenz es ermöglicht,<br />
von der Identität des Gleichen zu sprechen. Im Gegensatz zu den Vertretern des<br />
musikalischen Minimalismus, die die Differenz im wiederholten Objekt zu reduzieren<br />
versuchten, um dafür den subjektiven Differenzierungen mehr Raum zu geben,<br />
wird die Wiederholung in Langs Kompositionen zum „Träger einer hochkomplexen<br />
inneren Differentiation im Objekt“. Sie wirkt als „Vergrößerungsglas des Klanges“,<br />
als „Instrument zur Dekonstruktion“, als „Trägerin der Differenz“ und „Resultat eines<br />
Automatismus“ sowie als „nichtlineares, nicht-erzählendes Prinzip“. Dementsprechend<br />
verläuft die Musik von DW 12: Die Wiederholungsmaschine initiiert einen Prozess<br />
der zunehmenden Verdichtung und Steigerung, der sich im Notenbild besonders<br />
gut nachvollziehen lässt. Die musikalischen Dichteverhältnisse abbildend, werden<br />
die Notenblätter immer schwärzer und schwärzer, bis sich das Schwarz kurz vor<br />
Schluss schließlich auflöst. Die Wiederholungsstruktur hat sich selbst zerstört.<br />
Giacinto Scelsis Klavierstück aus dem Jahr 1955 durchlebt in seinen neun Abschnitten<br />
eine große Bandbreite an Stimmungen: Von „Poco piu mosso“, „Veloce“ (rasch),<br />
über „Iniziando e subito accelerando“, das mit der Handfläche auszuführende „Lento<br />
dolce“, „Martellato“ (hämmernd), „Violento“ (gewaltsam), „Brilliante“, „Pesante“
76 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 77<br />
(gewichtig) und wieder „Veloce“ bis hin zu „Con fuoco“ (feurig). Bei Action music<br />
handelt es sich um eines der späteren Klavierstücke des italienischen Komponisten,<br />
das überdies erst 30 Jahre später, im Jahr 1986 vom Pianisten Geoffrey Douglas<br />
Madge in Darmstadt uraufgeführt wurde. Scelsi, der eines der umfangreichsten<br />
Klavierœuvres des 20. Jahrhunderts hinterließ, improvisierte in erster Linie auf<br />
diesem Instrument. Seine auf Tonband aufgezeichneten Improvisationen am Klavier<br />
stellten seit spätestens 1950 die Grundlage seiner Kompositionen dar. Doch das<br />
Klavier als Kompositionsgegenstand wurde bereits damals zunehmend von anderen<br />
Instrumenten abgelöst. Der Grund dafür war folgender: Mit Beginn von Scelsis<br />
zweiter Schaffensperiode im Jahr 1952 rückten die Möglichkeiten einer nuancierten<br />
Klangerzeugung verstärkt in den Mittelpunkt seines kompositorischem Interesses<br />
und dafür schien ihm das Klavier mit seinen relativ definierten Klangcharakteristiken<br />
nicht mehr zu genügen. Für die Erzeugung von Mikrointervallik, Mikromelodik und<br />
Infrachromatik griff er infolgedessen vermehrt auf Streichinstrumente und auf die<br />
menschliche Stimme zurück. Als Medium der Improvisation kam dem Klavier neben<br />
der Ondioline, einem elektronischen Tasteninstrument, jedoch auch weiterhin eine<br />
zentrale Stellung zu.<br />
Scelsi, der in den 1940er Jahren in eine schwere gesundheitliche und psychische<br />
Krise geriet, erlebte damals die heilende Kraft der Töne: „Es passierte als ich krank<br />
war, mich in einer Klinik aufhielt. Es gibt dort immer kleine Klaviere, die in der Klinik<br />
versteckt sind. Fast niemand rührt sie an. Also spielte ich ein wenig auf einem dieser<br />
Klaviere. C … C … D … D … Währenddessen sagte einer der anderen: ‚Der da ist<br />
noch verrückter als wir!’ – Wenn man einen Ton sehr lange spielt, wird er groß. Er<br />
wird so groß, dass man viel mehr Harmonien hört, und er wird innerlich größer. Der<br />
Ton hüllt einen ein.“ Während viele von Scelsis Kompositionen für Streicher- und<br />
Bläserbesetzung seit Ende der 1950er häufig nur mehr auf einer einzigen Tonhöhe<br />
fußten und die Erfahrung eines verklingenden Tones gleichsam verarbeiteten,<br />
stellte Action music einen der letzten Versuche dar, die starren Gegebenheiten des<br />
Klaviers zu überwinden. So ist der Gestus des Klavierwerks ungewöhnlich brachial<br />
und die mit Unterarmen und Fäusten auszuführende Cluster führen in eine relativ<br />
Unbekannte Sphäre von Scelsis Musik. – Action music! Bernhard Lang, DW12 | Zeitvertrieb
78 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 79<br />
Rothko Chapel<br />
Giacinto Scelsi (1905-1988)<br />
Yliam (1964)<br />
für Frauenchor<br />
Friedrich Cerha (*1926)<br />
Verzeichnis (1969)<br />
für sechzehnstimmigen Chor<br />
György Ligeti (1923-2006)<br />
Lux aeterna (1966)<br />
für gemischten Chor a capella<br />
Morton Feldman (1926-1987)<br />
Rothko Chapel (1971)<br />
für Viola, Sopran, Alt, doppelten gemischten Chor, Schlagzeug, Celesta<br />
Arnold Schoenberg Chor<br />
Erwin Ortner, Leitung<br />
Steven Dann, Viola<br />
Mathilde Hoursiangou, Celesta<br />
Martin Homann, Schlagzeug<br />
2. August 2010, 21:00 Uhr<br />
Kirche St.Gallen<br />
Weltliche Vielstimmigkeit<br />
Morton Feldmans Rothko Chapel entstand 1971 für die vom Maler Mark Rothko<br />
errichtete gleichnamige Kapelle in Houston, einem Ort der interkonfessionellen<br />
Begegnung und der Ökumene, an dem das Werk im darauf folgenden Jahr auch<br />
uraufgeführt wurde. Die vierzehn größtenteils in violett und der Unfarbe schwarz<br />
gehaltenen Bilder Rothkos im Innenraum der Kapelle sind ganz persönliche Chiffren<br />
seiner Schwermut und Einsamkeit. Ebenso wie Rothkos monochrome Bilderbotschaften<br />
richtete sich Feldmans Chorstück nicht nur an Glaubende jeglicher<br />
Konfession, sondern an die Oikumene, an „die ganze bewohnte Erde“ mit all ihren<br />
Glaubenslosen: an jene, die nie einen Gott besessen haben ebenso wie an jene,<br />
denen ihr Gott abhanden gekommen ist. Nach einem halben Jahrhundert des Krieges<br />
war die alte Unterscheidung zwischen weltlicher und geistlicher Musik in der zweiten<br />
Hälfte des 20. Jahrhunderts schon längst gefallen. Chormusik, so auch die vom<br />
Arnold Schoenberg Chor interpretierten Stücke aus dem kurzen Zeitraum zwischen<br />
1964 bis 1971, wandte sich nunmehr der Welt und ihrer Vergeblichkeit zu.<br />
Für Frauenchor schrieb Giacinto Scelsi (*1905) im Jahr 1964 sein Yliam. Der rätselhafte<br />
Titel des Werkes, der als Variante des antiken Ilium an die am Krieg ihrer<br />
Männer Gescheiterten und Zerbrochenen erinnert, spricht Bände über die geheimnisvolle<br />
Kunst- und Musikauffassung des italienischen Komponisten, die ab 1952<br />
systematisch zur Entfaltung gelangte. Damals erarbeitete sich Scelsi, durch eine<br />
schwere gesundheitliche und persönliche Krise veranlasst, ein Ausdruckskonzept,<br />
indem die Töne an sich, die Möglichkeiten ihrer Erzeugung und die Bedingungen<br />
ihres Fortdauerns in der Zeit in den Mittelpunkt seines Komponierens rückten. Als<br />
ehemaliger Schüler des Schoenberg-Anhängers Walter Klein wandte er sich ab<br />
von der Zwölftontechnik und ihren der Tradition verpflichteten Formvorstellungen<br />
und ergründete fortan das Mysterium Ton, sein Erscheinen und sein Verschwinden<br />
in der Zeit sowie die unterschiedlichen Phasen seines Klingens. Scelsi sah<br />
im Prozess des Improvisierens fortan den eigentlich schöpferischen Akt und ließ<br />
seine Improvisationen spätestens seit 1950 auf Tonband aufzeichnen, um sie von<br />
Komponistenkollegen oder Schülern gegen Honorar transkribieren zu lassen.<br />
Seit 1958 gehen seine Stücke häufig nur mehr von einer einzigen Tonhöhe – in<br />
unterschiedlichen Oktavlagen – aus und ziehen um diese herum ihre Kreise. Aber<br />
nach innen erfährt der Tonraum eine ungeheure Erweiterung, die sich auf die Unterteilung<br />
in Vierteltöne, mehr noch die klangfarbliche Abstufungen bezieht. Von<br />
dieser inneren Weite der Töne, der chromatischen Auffächerung „im“ einzelnen Ton
80 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 81<br />
zeugt auch das Chorstück Yliam. Die verschiedensten Gesangstechniken reichen<br />
vom gewöhnlichen Vibrato bis hin zu einer Art von Tremolo, bei dem sich die Sängerin<br />
mit ihrer Hand auf den Mund schlagen soll. Der schmerzliche Lautgesang<br />
der Frauen reicht vom auskomponierten Ein- und Ausatmen bis hin zu anspruchsvollen<br />
Lautierungsprozessen zwischen weit voneinander entfernten Phonen. Doch<br />
gleichzeitig findet im Stück ein Befreiungsprozess aus der Gefangenschaft im Ton<br />
statt, indem die in Terzen zunächst um das Tonzentrum h kreisenden Klänge mit<br />
den Mitteln der Mikrointervallik immer weiter nach oben drängen und etwas von<br />
ihrem ehemals extrovertierten Gestus zurückerobern.<br />
Fünf Jahre nach der Fertigstellung von Yliam schrieb Friedrich Cerha (*1926) ein<br />
Chorstück, mit dem er den Bezug zur Tradition wiederherstellen wollte: Nach der<br />
Arbeit mit einer von allen traditionellen Formulierungen freien, oft clusterartigen<br />
Klangsprache […] ist ein Bedürfnis nach Differenzierung im Feld der Harmonik,<br />
des Melos und – zuletzt – auch der Rhythmik spürbar geworden. Mir wurde bald<br />
bewusst, dass jede weitere Bewegung in dieser Richtung unweigerlich zu einer<br />
intensiven Berührung mit der Tradition führen musste.“ Cerha, der spätestens seit<br />
seinem ersten Besuch in Darmstadt 1956 neben der seriellen Kompositionsmethode<br />
auch ihr Prinzip der Skalierung zwischen weit entfernten Polen kennenlernte, wollte<br />
nun zwischen der musikalischen Gegenwart und ihrer Vergangenheit vermitteln.<br />
Unter diesen Vorzeichen entstand Verzeichnis für sechzehn Stimmen oder sechzehnstimmigen<br />
Chor (1969) als eine der ersten Arbeiten, die, so Cerha, „Engagement<br />
und Tradition“ miteinander verbindet. Die Textgrundlage liefert ein nicht enden<br />
wollendes Verzeichnis von Personen, die in Würzburg in der ersten Hälfte des 17.<br />
Jahrhunderts wegen Hexerei hingerichtet wurden, auf das Cerha im österreichischen<br />
Almanach „Protokolle 69“ gestoßen war. Zum ersten Mal seit Jahren legte er einer<br />
Komposition wieder einen zusammenhängenden Text zugrunde.<br />
„Trocken deklamierendes Sprechen, Legato-Polyphonie in motettischer Technik,<br />
mechanisiert wirkende Staccato-Folgen, Sprechgesang, absinkende Glissandi auf<br />
einzelnen Worten und glissandierende Vokalisen sind die bewusst heterogenen<br />
Stilmittel dieser Komposition“, die den durchlaufenden, leidenschaftslosen Text<br />
quasi fragmentieren und mit musikalischen und musik-sprachlichen Mitteln emotionalisieren.<br />
Auf diese Weise wird zwar die Textverständlichkeit in der Aufzählung der<br />
„Hexen-Leut“ erheblich beeinträchtigt, doch die Allgegenwart und Vielgestaltigkeit<br />
des Grauens in den heterogenen musikalischen Verfahrensweisen und Darstellungstechniken,<br />
von homophon bis polyphon, von motettisch bis madrigalesk dafür<br />
umso mehr betont. Die Antwort auf Cerhas Frage, „wie lange Menschen einander<br />
verurteilen und morden wollen“ liegt möglicherweise in den vielen Passagen leiernder<br />
Wiederholung: Wie lange noch? – Immer noch.<br />
Für eine Profanisierung des Heiligen ebenso wie für die Heiligung des Profanen<br />
stand das 1966 komponierte, sechzehnstimmige a capella Chorstück des ungarischen<br />
Komponisten Györgi Ligeti (1923-2006) – so diente es unter anderem<br />
auch dem Film von Stanley Kubrick 2001: Odyssee im Weltraum als Soundtrack.<br />
Entstanden als Ergänzung zu seinem 1963-1965 komponierten Requiem, handelte<br />
es sich bei Lux aeterna um die nachträgliche Vertonung der Communio, der Bitte<br />
nach ewigem Licht für die Verstorbenen. Die Komposition wurde von der Stuttgarter<br />
Schola Cantorum unter der Leitung von Clytus Gottwald uraufgeführt, der seit<br />
1960 durch seinen unermüdlichen Einsatz maßgeblich dazu beitrug, dass viele der<br />
damals neuen und deshalb oft als ungeistlich abgeurteilten Werke im Kirchenraum<br />
erklungen sind.<br />
Im Zusammenhang mit dem Requiem prägte Ligeti den Begriff der „Mikropolyphonie“,<br />
bei der kleinste Bewegungen zu einem irisierenden Klangbild führen, das von<br />
scheinbarem Stillstand gekennzeichnet ist. Dieses „Prinzip einer chromatischen<br />
Klangfarbentransposition“ (Dirk Wieschollek) scheint in Lux aeterna wieder zurückgenommen<br />
und an ihre Stelle tritt erstmals wieder eine (wenn auch) „verflüssigte<br />
Harmonik“ (Ulrich Dibelius). Ligeti bemerkte zur kompositorischen Struktur<br />
des Werkes in einem seiner Briefe: „Es gibt ein komplexes polyphones Gewebe<br />
(durch einen Kanon erzielt), aber gleichzeitig ist die Konstruktion harmonisch, d.h.<br />
bestimmte Intervallkombinationen (vor allem Quart, aufgeteilt in große Sekund und<br />
kleine Terz) sind „Pfeiler“ des Stücks. […] Mit diesem Stück ist die Kompositionsart<br />
in totaler Chromatik überwunden.“<br />
Immer wieder dünnt sich die vielstimmige Textur des Chorsatzes in Lux aeterna zu<br />
charakteristischen Intervallkonstellationen aus, die gleich harmonischen Ruhepunkten<br />
die Funktion haben, Abschnitte zu markieren. So steuert der Tonhöhenkanon, der in<br />
einer für Ligetis Taktfeindlichkeit typischen Weise dahinfließt und auch noch „stets<br />
vollkommen akzentlos“ gesungen werden soll, in Lux aeterna an zentralen Stellen<br />
der Partitur auf harmonische Eckpfeiler hin, die inmitten dieses surrealen Stimmengewebes<br />
sogar für die Verständlichkeit des lateinischen Messtextes sorgen.<br />
Ganz im Gegensatz zum lateinischen Messtext, der in Lux aeterna den Traditionsbezug<br />
herstellt, steht die Textlosigkeit der Vokalisen in Morton Feldmans 1971<br />
komponierter Rothko Chapel für Viola, Sopran, Alt, doppelten gemischten Chor,<br />
Schlagzeug, Celesta. Entstanden im Gedenken an den befreundeten, 1970 verstor-
82 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 83<br />
benen Mahler, orientierte sich Feldman bei der Wahl der Instrumente und bei der<br />
Konzeption der Klangstruktur seiner Komposition an den vierzehn Gemälden Mark<br />
Rothkos im achteckigen Innenraum der Houston-Chapel. Feldmans Komposition<br />
sollte einer „unbeweglichen Prozession“ gleichen, die „im fließenden Ineinander<br />
heterogener Abschnitte der durchgängigen Kontinuität der Farben in den Gemälden<br />
Rothkos entspricht“, so Feldman. Und so wie Rothkos Bilder „die Leinwände bis<br />
ganz in die Ecken“ ausfüllten, wünschte sich Feldman eine Musik, die sich über<br />
den ganzen Raum verbreitet und nicht aus der Distanz gehört werden soll.<br />
Wie die vierzehn Wandbilder in des Malers Schaffen (die Hälfte der Bilder Rothkos<br />
bestand aus rein monochromen Farbflächen), so nimmt auch Feldmans musikalische<br />
Version eine Sonderstellung in seinem Schaffen ein: Denn für Feldmans Verhältnisse<br />
sind die vier Teile der Komposition ungewöhnlich heterogen ausgefallen, da<br />
Rothkos Bilder „nach einer Anzahl stark gegensätzlicher, ineinander übergehender<br />
Situationen“ verlangte. Diese vier Abschnitte wurden vom Komponisten folgendermaßen<br />
charakterisiert: „1. eine ausgedehnte, deklamatorische Eröffnung; 2. ein<br />
eher statischer, ‚abstrakter’ Abschnitt für Chor und Glocken; 3. ein motivisches<br />
Zwischenspiel für Sopran, Viola und Pauken; 4. ein lyrischer Schlussteil für Viola<br />
mit Vibraphonbegleitung, dem sich in der Art einer Collage der Chor hinzugesellt.“<br />
Vielfältig sind vor allem die persönlichen Bezüge, die in Rothko Chapel eine Rolle<br />
spielen. Während Feldman die Sopranmelodie des dritten Teils am Tag der New<br />
Yorker Trauerfeier für Igor Strawinsky komponierte, stammt die „quasi-hebräische“<br />
Melodie, die die Viola am Schluss spielt, sogar aus seiner Jugendzeit. Diese Fundstücke<br />
machen Rothko Chapel, das zwischen dem Kollektiv und dem Individuum<br />
vermitteln will, exemplarisch verkörpert durch den Chor auf der einen und der<br />
Viola auf der anderen Seite, nicht nur zu einer der persönlichsten Kompositionen<br />
Feldmans, sondern auch zu einer die Grenzen des Vereinzelten überschreitenden<br />
Weltumspannenden.<br />
Friedrich Cerha<br />
Verzeichnis<br />
Verzeichnis der Hexen-Leut, so zu Würzburg mit dem Schwerte gerichtet und<br />
hernacher verbrannt worden.<br />
Im ersten Brandt vier Personen.<br />
Die Lieblerin.<br />
Die alte Anckers Wittwe.<br />
Die Gutbrodtin.<br />
Die dicke Höckerin.<br />
Im andern Brandt vier Personen.<br />
Die alte Beutlerin.<br />
Zwey fremde Weiber.<br />
Die alte Schenckin.<br />
Im dritten Brandt fünf Personen.<br />
Der Tungersleber, ein Spielmann.<br />
Die Kulerin.<br />
Die Stierin, eine Procuratorin.<br />
Die Bürsten-Binderin.<br />
Die Goldschmidtin.<br />
Im vierten Brandt fünf Personen.<br />
Die Siegmund Glaserin, eine Burgemeisterin.<br />
Die Brickmannin.<br />
Die Schickelte Amfrau (Hebamme).<br />
NB. Von der kommt das ganze Unwesen her.<br />
Die alte Rumin<br />
Ein fremder Mann.<br />
Im fünften Brandt neun Personen.<br />
Der Lutz, ein vornehmer Kramer.<br />
Der Rutscher, ein Kramer.<br />
Des Herrn Dom-Propst Vögtin.<br />
Die alte Hof-Seilerin.<br />
Des Jo. Steinbachs Vögtin.<br />
Die Baunachin, eine Raths-Herrn Frau.<br />
Die Znickel Babel.
84 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 85<br />
Ein alt Weib.<br />
Im sechsten Brandt sechs Personen.<br />
Der Rath-Vogt, Gering genannt.<br />
Die alte Canzlerin.<br />
Die dicke Schneiderin.<br />
Des Herrn Mengerdörfers Köchin.<br />
Ein fremder Mann.<br />
Ein fremd Weib.<br />
Im siebenden Brandt sieben Personen.<br />
Ein fremd Mägdlein von zwölf Jahren.<br />
Ein fremder Mann.<br />
Ein fremd Weib.<br />
Ein fremder Schultheiß.<br />
Drey fremde Weiber.<br />
NB. Damahls ist ein Wächter, so theils Herrn ausgelassen,<br />
auf dem Markt gerichtet worden.<br />
Im achten Brandt sieben Personen.<br />
Der Baunach, ein Raths-Herr, und der dickste Bürger in Würtzburg.<br />
Des Herrn Dom-Propst Vogt.<br />
Ein fremder Mann.<br />
Der Schleipner.<br />
Die Visirerin.<br />
Zwei fremde Weiber.<br />
Im neundten Brandt fünf Personen.<br />
Der Wagner Wunth.<br />
Ein fremder Mann.<br />
Der Bentzen Tochter.<br />
Die Bentzin selbst.<br />
Die Eyeringin.<br />
Im zehnten Brandt drey Personen.<br />
Der Steinacher, ein gar reicher Mann.<br />
Ein fremd Weib.<br />
Ein fremder Mann.<br />
Im eilften Brandt vier Personen.<br />
Der Schwerdt, Vicarius am Dom.<br />
Die Vögtin von Rensacker.<br />
Die Stiecherin.<br />
Der Silberhans, ein Spielmann.<br />
Im zwölften Brandt zwey Personen.<br />
Zwey fremde Weiber.<br />
Im dreyzehenden Brandt vier Personen.<br />
Der alte Hof-Schmidt.<br />
Ein alt Weib.<br />
Ein klein Mägdlein von neun oder zehn Jahren.<br />
Ein geringeres, ihr Schwesterlein.<br />
Im vierzehenden Brandt zwey Personen.<br />
Der erstgemeldten zwey Mägdlein Mutter.<br />
Der Lieblerin Tochter von 24 Jahren.<br />
Im fünfzehenden Brandt zwey Personen.<br />
Ein Knab von 12 Jahren, in der ersten Schule.<br />
Eine Metzgerin.<br />
Im sechzehenden Brandt sechs Personen.<br />
Ein Edelknab von Ratzenstein, ist Morgens um 6 Uhr auf dem Cantzley-Hof gerichtet<br />
worden und den ganzen Tag auf der Pahr stehen blieben, dann hernacher<br />
den andern Tag mit den hierbeygeschriebenen verbrannt worden.<br />
Ein Knab von zehn Jahren.<br />
Des obgedachten Raths-Vogts zwo Töchter und seine Magd.<br />
Die dicke Seilerin.<br />
Im siebenzehenden Brandt vier Personen.<br />
Der Wirth zum Baumgarten.<br />
Ein Knab von eilf Jahren.<br />
Eine Apotheckerin zum Hirsch, und ihre Tochter.<br />
NB. Eine Harfnerin hat sich selbst erhenket.<br />
Im achtzehenden Brandt sechs Personen.<br />
Der Batsch, ein Rothgerber.
86 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 87<br />
Ein Knab von zwölf Jahren, noch<br />
Ein Knab von zwölf Jahren.<br />
Des D. Jungen Tochter.<br />
Ein Mägdlein von funfzehn Jahren.<br />
Ein fremd Weib.<br />
Im neunzehenden Brandt sechs Personen.<br />
Ein Edelknab von Rotenhan, ist um 6 Uhr auf dem Cantzley-Hof gerichtet und den<br />
andern Tag verbrannt worden.<br />
Die Secretärin Schellharin, noch<br />
Ein Weib.<br />
Ein Knab von zehn Jahren.<br />
Noch ein Knab von zwölf Jahren.<br />
Die Brüglerin, eine Beckin, ist lebendig verbrannt worden.<br />
Im zwanzigsten Brandt sechs Personen.<br />
Das Göbel Babelin, die schönste Jungfrau in Würtzburg.<br />
Ein Student in der fünften Schule, so viel Sprachen gekont, und ein vortreflicher<br />
Musikus vocaliter und instrumentaliter.<br />
Zwey Knaben aus dem neuen Münster von zwölf Jahren.<br />
Der Steppers Babel Tochter.<br />
Die Hüterin auf der Brücken.<br />
Im einundzwanzigsten Brandt sechs Personen.<br />
Der Spitalmeister im Dietricher Spital, ein sehr gelehrter Mann.<br />
Der Stoffel Holtzmann.<br />
Ein Knab von vierzehn Jahren.<br />
Des Stolzenbergers Raths-Herrn Söhnlein.<br />
Zween Alumni.<br />
Im zweiundzwanzigsten Brandt sechs Personen.<br />
Der Stürmer, ein reicher Büttner.<br />
Ein fremder Knab.<br />
Des Stolzenbergers Raths-Herrn große Tochter.<br />
Die Stolzenbergerin selbst.<br />
Die Wäscherin im neuen Bau.<br />
Ein fremd Weib.<br />
Im dreiundzwanzigsten Brandt neun Personen.<br />
Des David Croten Knab von zwölf Jahren, in der andern Schule.<br />
Des Fürsten Kochs zwey Söhnlein, einer von 14 Jahren, der ander von zehn Jahr<br />
aus der ersten Schule.<br />
Der Melchior Hammelmann, Vicarius zu Hach.<br />
Der Nicodemus Hirsch, Chor-Herr im neuen Münster.<br />
Der Christophorus Berger, Vicarius im neuen Münster.<br />
Ein Alumnus.<br />
NB. Der Vogt im Brennerbacher Hof und ein Alumnus sind lebendig verbrannt<br />
worden.<br />
Im vierundzwanzigsten Brandt sieben Personen.<br />
Zween Knaben im Spital.<br />
Ein reicher Bütner.<br />
Der Lorenz Stüber, Vicarius im neuen Münster.<br />
Der Betz, Vicarius im neuen Münster.<br />
Der Lorenz Roth, Vicarius im neuen Münster.<br />
Die Roßleins Martin.<br />
Im fünfundzwanzigsten Brandt sechs Personen.<br />
Der Friedrich Basser, Vicarius im Dom Stift.<br />
Der Stab, Vicarius zu Hach.<br />
Der Lambrecht, Chor-Herr im neuen Münster.<br />
Des Gallus Hausen Weib.<br />
Ein fremder Knab.<br />
Die Schelmerey Krämerin.<br />
Im sechsundzwanzigsten Brandt sieben Personen.<br />
Der David Hans, Chor-Herr im neuen Münster.<br />
Der Weydenbusch, ein Raths-Herr.<br />
Die Wirthin zum Baumgarten.<br />
Ein alt Weib.<br />
Des Valckenbergers Töchterlein ist heimlich gerichtet und mit der Laden verbrannt<br />
worden.<br />
Des Raths-Vogt klein Söhnlein.<br />
Der Herr Wagner, Vicarius im Dom-Stift, ist lebendig verbrannt worden.<br />
Im siebenundzwanzigsten Brandt sieben Personen.<br />
Ein Metzger, Kilian Hans genannt.<br />
Der Hüter auf der Brücken.
88 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 89<br />
Ein fremder Knab.<br />
Ein fremd Weib.<br />
Der Hafnerin Sohn, Vicarius zu Hach.<br />
Der Michel Wagner, Vicarius zu Hach.<br />
Der Knor, Vicarius zu Hach.<br />
Im achtundzwanzigsten Brandt, nach Lichtmeß anno 1629 sechs Personen.<br />
Die Knertzin, eine Metzgerin.<br />
Der D. Schützen Babel<br />
Ein blind Mägdlein. NB.<br />
Der Schwartz, Chor-Herr zu Hach.<br />
Der Ehling, Vicarius.<br />
Der Bernhard Mark, Vicarius am Dom-Stift, ist lebendig verbrannt worden.<br />
Im neunundzwanzigsten Brandt sieben Personen.<br />
Der Viertel Beck.<br />
Der Klingen Wirth.<br />
Der Vogt zu Mergelsheim.<br />
Die Beckin bei dem Ochsen-Thor.<br />
Die dicke Edelfrau.<br />
NB. Ein geistlicher Doctor, Meyer genannt, zu Hach, und<br />
Ein Chorherr ist früh um 5 Uhr gerichtet und mit der Bar verbrannt worden.<br />
Ein guter vom Adel, Junker Fischbaum genannt.<br />
Ein Chor-Herr zum Hach ist auch mit dem Doctor eben um die Stunde heimlich<br />
gerichtet und mit der Bar verbrannt worden.<br />
Paulus Vaecker zum Breiten Huet.<br />
Seithero sind noch zwei Brändte gethan worden.<br />
Datum, den 16. Febr. 1629.<br />
Bisher aber noch viel unterschiedliche Brände gethan worden.<br />
György Ligeti<br />
Lux aeterna<br />
Lux aeterna luceat eis, Domine,<br />
Cum sanctis tuis in aeternum, quia pius<br />
es.<br />
Requiem aeternam dona eis, Domine,<br />
et lux aeterna luceat eis.<br />
Ewiges Licht leuchte ihnen, Herr,<br />
mit allen deinen Heiligen, denn du bist<br />
gut.<br />
Ewige Ruhe gib ihnen, Herr,<br />
Und ewiges Licht leuchte ihnen.<br />
György Ligeti, Lux aeterna | Schott Music
90 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 91<br />
Notturno<br />
Morton Feldman (1926-1987)<br />
Palais de Mari (1986)<br />
für Klavier<br />
Marino Formenti, Klavier<br />
2. August 2010, 23:00 Uhr<br />
Kirche St.Gallen<br />
Feldmans Letztes<br />
„Aus wenigstens zwei Gründen könnte Piano der Titel fast jeden Werks sein,<br />
das Feldman jemals schrieb. Denn er war nicht nur der Meister-Manierist des<br />
leisen, ruhigen Stücks, sondern auch seine gesamte Klangvorstellung kreiste<br />
um das Klavier.“ – Der Musikwissenschaftler Richard Toop brachte die weitreichende<br />
Bedeutung von Feldmans Klavierwerk mit diesen Worten auf den Punkt:<br />
Erhellend sind die Klavierstücke des amerikanischen Komponisten (1926-1987)<br />
nicht nur im Hinblick auf sein gesamtes Œuvre, ihre ruhende Strahlkraft reicht<br />
bis ins 21. Jahrhundert hinein. Der amerikanische Avantgardist und Erfinder<br />
einer musikalischen graphic notation entwickelte seine Pianostücke stets in<br />
enger Wechselwirkung mit den klanglichen Eigenschaften des Instruments,<br />
angefangen von den allein 29 zwischen 1950 und 1959 komponierten bis hin zu<br />
den späten Klavierwerken For Bunita Marcus (1985) und Palais de Mari (1986).<br />
Dabei wird offensichtlich, dass sich Feldman nicht nur als Interpret – so legen es<br />
die Aufnahmen mit ihm als Pianist nahe – , sondern auch als Komponist von den<br />
Prämissen des nachromantischen Virtuosentums freimachte. Denn Pianistisches<br />
tritt in der Klavierliteratur aus der Feder Feldmans eher in den Hintergrund.<br />
Demgegenüber erhielten die räumliche Dimension der Klavierklänge und ihr<br />
Verklingen in der Zeit eine zentrale Bedeutung in Feldmans Werken.<br />
Neben der für sein Spätwerk so charakteristischen, langsamen und stillen Musik<br />
schrieb Feldman zu Beginn der 1950er Jahre noch dynamisch und klanglich<br />
bewegtere Stücke. Die kontrastierenden Klangbilder langsam/leise und bewegt/<br />
dynamisch prägten Feldmans Kompositionen seit 1950 und wurden exemplarisch<br />
durch zwei Zyklen verkörpert, die nicht dem Klavier vorbehalten blieben: zum<br />
einen die erstmals graphisch notierten, stillen Projections, die sich auf den von<br />
Edgar Varèse gebrauchten Begriff der „Klangprojektion“ beziehen, und zum<br />
anderen die von dynamischen Kontrasten und teilweise rasanten Tempi gekennzeichneten<br />
Intersections. Während manche Klavierwerke aus dieser Zeit, wie<br />
Intermission 6 für wahlweise zwei Klaviere und Extensions 4 für drei Klaviere,<br />
nicht nur von einer „Multiplikation des Pianoklang“ (Peter Niklas Wilson) zeugen,<br />
sondern zum Teil auch die chaotischen Klangballungen der Intersections<br />
aufweisen, entsprechen die ausgedehnten Wiederholungsmuster in zeitgleich<br />
entstandenen Werken eher dem ruhigen Typ der Projections und deuten bereits<br />
auf Feldmans groß angelegte Erinnerungskompositionen („memory forms“)<br />
voraus: Ab 1980 weisen seine Stücke nämlich eine durchschnittliche Dauer<br />
von eineinhalb Stunden auf. Den Gipfelpunkt dieser Entwicklung markiert das
92 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 93<br />
String Quartett (II) (1983) mit einer Aufführungsdauer von (mehr oder weniger<br />
als) fünfeinhalb Stunden.<br />
Bereits gegen Ende der 1970er Jahre wurden Feldmans Klavierstücke, die von<br />
nun an bis zu seinem Tod wieder ausschließlich konventionell notiert wurden,<br />
immer länger. Zeitliche Extension entstand in den Jahren bis 1984 durch Repetition<br />
und Variantenbildung, davon zeugen auch die monumentalen Triadic<br />
Memories (1981). Im anschließenden Spätwerk erreichte diese Entwicklung<br />
ihren endgültigen Höhepunkt: Bei gleichzeitiger Reduktion des musikalischen<br />
Materials fand eine Dehnung der zeitlichen Proportionen statt. Die Dauer des<br />
Klavierstücks For Bunita Marcus (1985) liegt bei 75 Minuten!<br />
Diese Tendenz zur Länge scheint in seinem letzten Klavierwerk Palais de Mari aus<br />
dem Jahr 1986 jedoch wieder zurückgenommen. Es entstand im Auftrag seiner<br />
ehemaligen Schülerin, der Komponistin Bunita Marcus, mit der Feldman seit ihrer<br />
ersten Begegnung im Jahr 1976 bis zu seinem Tod ein enges künstlerisches und<br />
persönliches Verhältnis pflegte. Auf ihren Wunsch hin stellt Palais de Mari den<br />
kompositorischen Versuch dar, die Strukturen von Feldmans Riesengemälden<br />
auf ein kürzeres Klavierstück zu übertragen (die Aufführungsdauer beträgt je<br />
nach Interpretation zwischen zwanzig und dreißig Minuten).<br />
Anregungen für die Komposition empfing Feldman nicht nur von einer Fotografie<br />
des babylonischen Palastes von Mari, die er im Louvre gesehen hat. Ein spätes<br />
Gemälde von Emanuel Degas war ihm wenige Monate vor Beginn der Arbeit an<br />
Palais de Mari eine große Inspiration, wie die Komponistin und Frau Feldmans<br />
Barbara Monk einige Jahre später berichtete. Feldman sei im New Yorker Metropolitan<br />
Museum beim Anblick des Gemäldes ins Staunen darüber geraten, wie<br />
scheinbar mühelos die Farbe vom Maler auf die Leinwand aufgetragen wurde.<br />
Ähnlich dem Farbauftrag jenes Gemäldes, wirken auch die Noten zu Beginn von<br />
Palais de Mari schwerelos, mühelos dürfte dem Komponisten Feldman wohl<br />
ihre Platzierung innerhalb der Taktstriche von der Hand gegangen sein. Die in<br />
allen Bereichen asymmetrische Keimzelle des Klavierstückes setzt sich aus<br />
vier ineinander klingenden Tönen zusammen. Durch beständiges Betätigen des<br />
Sostenuto-Pedals gehen die Klänge permanent ineinander über und verwischen<br />
auf diese Weise die Identität der Gestalten. Der Vierklang des Anfangs, der<br />
sich im Prozess der fortwährenden Wiederholung allmählich verändert, nimmt<br />
schließlich impressionistische Klangfarben an. So fließt die Zeit pianissimo und<br />
ohne Höhepunkte in die Nacht hinein. Morton Feldman, Palais de Mari | 1986 Universal Edition A.G., Wien
94 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 95<br />
Abrumado<br />
Morton Feldman (1926-1987)<br />
For Bunita Marcus (1985)<br />
für Klavier<br />
Marino Formenti, Klavier<br />
2. August 2010, 4:30 Uhr<br />
Kirche St.Gallen<br />
Die ausdauernden Klänge<br />
Der amerikanische Komponist Morton Feldman (1926-1987) war der Meinung,<br />
dass Werke wie sein zweites Streichquartett aus dem Jahr 1883 mit einer Aufführungsdauer<br />
von über fünf Stunden keineswegs zu lang seien: „Die meisten<br />
sind sogar zu kurz. Ich empfinde, dass die Stücke eine natürliche Länge haben,<br />
damit sie ihr Leben ausleben können.“ Feldmans auf repetitiven Strukturen<br />
aufbauende „memory forms“ im Spätwerk fußen häufig auf kleinsten Keimen,<br />
die über einen ungewöhnlich langen Zeitraum wiederholt werden und einen Prozess<br />
der unspektakulären Veränderungen erleben, die den Hörer zur Aus-Dauer<br />
auffordern. Im Zeitlupentempo kommt es dabei zu einer Verkettung von „Déjà<br />
entendus“, die die Grenze zwischen soeben Gehörtem und „Jetzt!“ verwischen.<br />
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Begriffe, mit denen die Musik seit ihren<br />
Anfängen operiert –, scheinen in Feldmans späten Kompositionen ab 1984<br />
nicht mehr zu existieren. „Für mich ist jede Musik, die ein Konzept des Anfangs,<br />
der Mitte und des Endes hat, am Ende gleich, weil man bei dieser Konstruktion<br />
eine bestimmte Schrittabfolge machen muss“, so Feldman, dessen bevorzugte<br />
Kompositionsmethode die der nicht-identischen Wiederholung von Klanggestalten<br />
war. Im Feldmanschen Transformationsprozess befindet sich selbst das zeitliche<br />
und räumliche Beziehungsnetz der Wiederholung unentwegt im Umbau. Doch<br />
gleichzeitig wären seine Strukturen ohne die in ihnen enthaltenen Ähnlichkeitsbeziehungen<br />
nicht überlebensfähig.<br />
Diese Ambivalenz prägt das Klavierstück For Bunita Marcus von 1985, nach Triadic<br />
Memories (1981) das zweite von Feldmans extrem langen Klavierwerken. Das<br />
Stück ist der im Titel angesprochenen Komponistin und ehemaligen Schülerin Feldmans<br />
Bunita Marcus gewidmet und gehört mittlerweile zu Feldmans bekanntesten<br />
Klavierkompositionen. Nicht weniger als 75 Minuten dauerte die Uraufführung des<br />
Stückes in Middleburg. Feldman, der bereits in den 1970er Jahren wieder zur<br />
konventionellen Notation zurückkehrte, – da die unbestimmte Notation entgegen<br />
ihrer ursprünglichen Bestimmung „in den Aufführungen eher dazu neigte, historische<br />
Klischees zu wiederholen“ – schrieb das Klavierstück auf 36 Seiten bis<br />
ins letzte Detail aus. Das zweimalige cis im ersten Takt lässt schon aufhorchen,<br />
denn nur scheinbar sind diese Töne mit sich selbst identisch. Unterstützt vom<br />
Tonhaltepedal sorgt der musikalische Zeitfluss im Anschluss ununterbrochen für<br />
Variation und strukturiert auf diese Weise die wahrhaft malerische Oberfläche<br />
(Feldman sprach vom „painterly surface“) dieser Komposition.
96 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 97<br />
Der Komponist hat sich in For Bunita Marcus, was für ihn bis dahin sehr ungewöhnlich<br />
war, mit der auf dem Gebiet der Metrik zentralen Frage auseinandergesetzt:<br />
„Wie kommt man über den Taktstrich hinaus?“ Im Zusammenhang mit<br />
dieser Frage kam es zu Feldmans berühmter Aussage über das „schwarze Loch“:<br />
„Ich schrieb einen 4/4-Takt hin, liess einen gewissen Raum, zog dahinter einen<br />
Taktstrich und schrieb über den Taktstrich: ‚Das schwarze Loch des Metrums’,<br />
weil einige Leute nicht zu dicht an den Taktstrich herankommen wollen. In einer<br />
Menge Musik herrscht die Tendenz, sie stilistisch über den Taktstrich hinüberzuziehen.“<br />
– Feldmans Bestrebungen, über den Taktstrich hinweg musikalischen<br />
Zusammenhang zu schaffen, resultierte in For Bunita Marcus in einer besonderen<br />
metrischen Konzeption. Dem Metrum, das nicht auf den Parameter Rhythmus,<br />
sondern auf „die Zeit, die Dauer, die etwas beansprucht“ bezogen wird, kommt<br />
dort eine die Form bildende Funktion zu.<br />
Klar voneinander getrennte Abschnitte prägen das Notenbild von For Bunita<br />
Marcus. Auf Perioden der Instabilität, die Feldman mit Durchführungsabschnitten<br />
verglichen hat, folgen solche der Stabilität, in denen sogar wörtlich wiederholt wird.<br />
Während das Schriftbild, der Vergangenheit gegenüber versöhnlich eingestellt, auf<br />
ein Wiedererleben von Gewesenem hoffen lässt, bleibt das akustische Bild der<br />
Aufführung dem Zeitfluss unterworfen. Zu groß sind die Zwischenräume dieser<br />
Musik, zu weit die Räume, die die Zeit durchmisst. Bedrückend (abrumado), wie<br />
sich ihr Schleier über diese Klänge legt.<br />
Morton Feldman, For Bunita Marcus | 1992 Universal Edition A.G., Wien
98 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 99<br />
Lecture Concert<br />
Peter Ablinger (*1959)<br />
Weiss/Weisslich 18 „für Robert Ranke-Graves“ (seit 1992)<br />
2-Kanalstück für CD und Lautsprecher<br />
18.1: Birke, Eberesche, Esche, Erle, Weide, Weißdorn, Eiche<br />
18.2: Steineiche, Hasel, Wein, Efeu, Schlehe, Holunder<br />
18.3: Tanne, Ginster, Heidekraut, Espe, Eibe<br />
Weiss/Weisslich 11 (seit 1994)<br />
Lesung<br />
11b4: 18.8.98, 13:36-14:16, Sulztal an der Weinstrasse<br />
Weiss/Weisslich 24 (seit 1994)<br />
2-Kanalstück für CD und Lautsprecher<br />
24.a und b: Kirchen von St.Lambrecht 1-12, Version 1<br />
24.c und d: Kirchen von St.Lambrecht 1-12, Version 2<br />
Gesäuse Partitur (2010)<br />
Papierbögen, Kalkgestein<br />
aus: „Klänge auf Papier“ (seit 1999)<br />
3. August 2010, 17:00 Uhr<br />
Burg Gallenstein, St.Gallen<br />
Über die Werke Weiss/Weisslich 18, 11 und 24<br />
Von Peter Ablinger<br />
Weiss/Weisslich 18 „für Robert Ranke Graves“ (seit 1992)<br />
Einmal – ich glaube es war 1986, Hochsommer – bin ich bei einem Spaziergang<br />
durch die Felder östlich von Wien nahe der ungarischen Grenze – Haydns Geburtsort<br />
lag in der Nähe – auf etwas Merkwürdiges gestoßen: Das Getreide stand hoch<br />
und war wohl kurz vor der Ernte. Der heiße sommerliche Ostwind strich durch die<br />
Felder und plötzlich hörte ich das Rauschen. Obwohl es mir oft erklärt wurde, kann<br />
ich immer noch nicht sagen, wie sich Weizen- und Roggenpflanze voneinander<br />
unterscheiden. Aber ich hörte den Unterschied. Ich glaube, es war das erste Mal,<br />
dass ich außerhalb eines ästhetischen Zusammenhangs (etwa eines Konzerts)<br />
wirklich hörte. Oder es war überhaupt das erste Mal, dass ich hörte. Etwas war geschehen.<br />
Vorher und nachher waren kategorisch geschieden, hatten nichts mehr<br />
miteinander zu tun. Zumindest schien es mir damals so. Im Nachhinein erkenne/<br />
erinnere ich auch andere vergleichbare Erlebnisse, die mit einer ruckartigen Öffnung<br />
der Wahrnehmung zu tun hatten, aber der Spaziergang durch die Getreidefelder<br />
war vielleicht das Folgenschwerste. Denn auf die eine oder andere Weise, so scheint<br />
es mir, haben alle Stücke, die ich seither gemacht habe, mit dieser Erfahrung zu tun.<br />
Auch solche Stücke, die sich nicht dem Rauschen widmen, oder mit traditionellen<br />
Instrumenten gespielt werden etc.<br />
Nun, Weiss/Weisslich 18 ist wohl am unmittelbarsten dem geschilderten Erlebnis<br />
geschuldet. Das Vorhaben, verschiedene Bäume aufzunehmen, konkretisierte<br />
sich 1992: Damals las ich auch ein Buch von Ranke Graves über das keltische<br />
Baumalphabet, wodurch es mir erspart blieb, eine eigene Auswahl an Bäumen<br />
auszudenken. Robert Ranke Graves ist das Stück auch gewidmet. Die 18 Bäume,<br />
aufgeteilt in 3 Gruppen, sind:<br />
Weiss/Weisslich 18a<br />
Birke, Eberesche, Esche, Erle, Weide, Weissdorn, Eiche<br />
Weiss/Weisslich 18b<br />
Steineiche, Hasel, Wein, Efeu, Schlehe, Holunder<br />
Weiss/Weisslich 18c<br />
Tanne, Ginster, Heide, Espe, Eibe
100 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 101<br />
Weiss/Weisslich 11 (seit 1994)<br />
Lesung<br />
Seit 1994 entstehen Texte, für die ich mich jeweils 40 Minuten lang hinsetze und<br />
aufschreibe, was ich höre: Die Klänge meiner unmittelbaren Umgebung, geschrieben<br />
mit Tinte und in Großbuchstaben, in einem kontinuierlichen Schreibfluss und<br />
unabhängig von der tatsächlichen Ereignisdichte. Das heißt, wenn mehr passiert,<br />
als die konstante Schreibgeschwindigkeit erfassen kann, wird diese zum Filter, sie<br />
zwingt zur Auswahl. Wenn weniger passiert, kommt es zu Wiederholungen oder<br />
zur Beschreibung des Schreibgeräusches. Ich möchte gerne, dass diese Texte<br />
wie Musik wahrgenommen werden: man stellt sich den Klang vor, der gerade<br />
gelesen wird. Die Musik entsteht also im Kopf eines jeden Zuhörers. – Ich glaube,<br />
bei „richtiger“ Musik ist das auch nicht anders.<br />
Weiss/Weisslich 24 (seit 1994)<br />
2-Kanalstück für CD und Lautsprecher<br />
Seit ich die Brandenburgischen Kirchen aufgenommen hatte, mit ihren entfernten<br />
Nebengeräuschen, die sich meist von Außen, von der Umgebung kommend in<br />
das Grundrauschen der Mikrophonierung und des Raumes hineinzeichneten,<br />
– seither hatte ich den Wunsch, diese Untersuchung weiterzuführen, indem ich<br />
beim nächsten Mal darauf achten würde, dass die Umgebung so leise ist, dass<br />
von Außen gar nichts mehr Wahrnehmbares oder Aufzuzeichnendes in die mikrophonierten<br />
Innenräume eindringen könnte. Die Idee dabei war, einen Abdruck<br />
des Grundrauschens des jeweiligen Raumes zu erhalten, bzw. den Raum sich<br />
selbstabbilden zu lassen.<br />
1998 bot sich schließlich die Gelegenheit dafür, anlässlich eines mehrwöchigen<br />
Arbeitsaufenthalts im Steirischen Kloster St.Lambrecht, zu welchem eine Reihe<br />
von Kirchen gehören, unter ihnen die berühmte Wallfahrtskirche Mariazell, – aber<br />
das Wichtigste für mein Vorhaben: alle Kirchen lagen in eher abgelegenen Orten,<br />
großteils in den Bergen und fernab von großen Autobahnen und überregionalen<br />
Routen. Durch die Unterstützung des Klosters bekam ich nächtlichen Zugang zu<br />
den Kirchen, und vom IEM Graz die Aufnahmegeräte.<br />
24a: Kirchen von St.Lambrecht 1-6<br />
24b: Kirchen von St.Lambrecht 7-12<br />
24c: Kirchen von St.Lambrecht 1-6<br />
24d: Kirchen von St.Lambrecht 7-12<br />
In 24 a und 24 b wurde das Grundrauschen der Kirchen („Stille“) mikrofoniert. In<br />
24 c und 24 d wurde ebendieses Grundrauschen in allen 12 Kirchen im hinteren<br />
Teil des Raumes abgespielt und im Chorbereich wieder aufgenommen.<br />
Die Kirchen 1-6 sind: Schlosskapelle, Maria Schönanger, Heiligenstadt, Peterskirche,<br />
Stiftskirche, Karner.<br />
Die Kirchen 7-12 sind: Neumarkt, Karchau, Kärntnerisch Laßnitz, Mariahof, Scheifling,<br />
Mariazell.
102 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 103<br />
Solo pour trois<br />
Gérard Grisey (1946-1998)<br />
Solo pour deux (1981)<br />
für Klarinette und Posaune<br />
Wolfgang Rihm (*1952)<br />
Grund-Riss (2006)<br />
Studie für Kontrabassklarinette, Kontrabassposaune und Kontrabasssaxofon<br />
Georges Aperghis (*1945)<br />
À bout de bras (1989)<br />
für Klarinette und Oboe<br />
Ernesto Molinari, Klarinette<br />
Uwe Dierksen, Posaune<br />
Marcus Weiss, Saxophon<br />
3. August 2010, 18:30 Uhr<br />
Burg Gallenstein, St.Gallen<br />
Geblasene Experimente<br />
Zwei Duos und ein Trio für Blasinstrumente: Von einem „musikalischen Monolog<br />
im Zwischenraum zweier Instrumente“ (Wolfgang Hofer) in Solo pour deux über<br />
die abstrakte Darstellung räumlicher Gegebenheiten in Wolfgang Rihms Studie<br />
Grund-Riss bis hin zum sämtliche Kräfte fordernden À bout de bras von Georges<br />
Aperghis handelt es sich um Kompositionen, in denen mit Lust geforscht und nach<br />
Lösungen gesucht wird.<br />
Auf seinem Weg einer zunehmenden Verfeinerung der spektralen Kompositionstechnik<br />
komponierte Gérard Grisey (1946-1998) vor allem seit den 1980er Jahren<br />
wieder vermehrt für Soloinstrumente. Während es ihm in den zeitgleich entstandenen<br />
Orchesterwerken um das Verhältnis zwischen transparentem Soloinstrument und<br />
dem an Klangfarben reichen Orchesterapparat ging, befasst er sich in den kammermusikalischen<br />
Stücken zu dieser Zeit eher mit speziellen kompositionstechnischen<br />
Fragen der Oberton-Forschung. Stücke wie Solo pour deux (1981) oder das für<br />
Kontrabassklarinette geschriebene Anubis-Nout (1983) besitzen in dieser Hinsicht<br />
experimentellen Charakter.<br />
Grisey hegte die Utopie einer perfekten Verschmelzung der natürlichen Teiltöne<br />
verschiedener Instrumente in einem Klang. Nachdem er bereits in den 1970er<br />
Jahren mit der spektralen Überlagerung von Anfang- und Schlussteil zweier aufeinander<br />
folgender Stücke experimentierte, stellte Solo pour deux im Jahr 1981 nun<br />
den Versuch dar, die Obertonspektren von Klarinette und Posaune zu überlagern.<br />
Offensichtlich war es ohne weiteres möglich, so stellte sich heraus, die Spektren von<br />
Klarinette und Posaune gegenseitig für einander durchlässig zu halten und durch<br />
ihre Überlagerung Klänge hörbar zu machen, die das jeweilige Instrument für sich<br />
allein nicht hätte erzeugen können. So entstand in enger Wechselwirkung mit den<br />
spieltechnischen Möglichkeiten auf beiden Instrumenten Solo pour deux. Wie das<br />
„Solo“ im Titel bereits andeutet, werden dabei nicht nur „Zonen der Verschmelzung“<br />
im Zusammenwirken der beiden Instrumente erforscht, sondern auch jene Bereiche,<br />
in denen sich Klarinette und Posaune in ihrer Entfaltung behindern.<br />
„Sons multiphoniques“ werden in Solo pour deux nicht nur durch bestimmte Blastechniken<br />
und durch den Einsatz der menschlichen Stimme erzeugt, sondern auch<br />
indem etwa der Schalltrichter der Klarinette in den der Posaune eingeführt wird. Die<br />
auf diese Art und Weise entstehenden Klangspektren in Solo pour deux erzeugen<br />
Gegensatzpaare, die allerdings, so Grisey, auf einen „erotischen Ursprung“ zurück-
104 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 105<br />
zuführen sind: „Homoponhie – Diaphonie, Konsonanz – Dissonanz, harmonische<br />
Spektren – diffuse Spektren.“<br />
Weniger auf dem Feld der Kammermusik, als in größer besetzten Werken vollzog<br />
der deutsche Komponist Wolfgang Rihm (*1952) in den 1980er Jahren eine<br />
Hinwendung zum musikalisch Objekthaften, Skulpturalen. In den 1990er Jahren<br />
wurden dann Verfahren wie das der „Übermalung“ und der „Inskription“ sowie die<br />
„Kontrafaktur“ zunehmend wichtiger für seine Kompositionstechnik. Seit Über die<br />
Linie (1999) für Violoncello entstanden schließlich auch vermehrt Werke, in denen<br />
Rihm das Phänomen der musikalischen Linie thematisiert hat.<br />
Vor diesem Hintergrund wirkt der Titel seines Stückes für Kontrabassklarinette,<br />
Kontrabassposaune und Kontrabasssaxofon aus dem Jahr 2002, Grund-Riss, mehrdeutig:<br />
Einerseits deutet nämlich der durch einen Bindestrich freigestellte „Riss“ auf<br />
eine eindimensionale Erscheinung ähnlich der Linie hin. Andererseits verweist der<br />
im Titel enthaltene „Grund“ auf musikalische Tiefe. Durch die analytische Zerlegung<br />
des Wortes „Grundriss“ machte Wolfgang Rihm die in ihm enthaltenen Gegensätze<br />
sichtbar. Der Komponist reihte sich auf diese Weise ein in eine philosophische<br />
Tradition, deren Vertreter spätestens seit Martin Heidegger und mindestens bis<br />
Peter Sloterdijk in der Sprache nach existentiellen Wahrheiten suchten.<br />
Beim Grundriss handelt es sich zunächst um eine vom Gegenstand abstrahierte,<br />
zweidimensionale Abbildung einer räumlichen Gegebenheit. Grundrissdarstellungen<br />
finden sich in technischen Zeichnungen aller Art. Doch der Begriff bezeichnet auch<br />
die räumlichen Verhältnisse als solche, die Gegenstand der Abbildung sind. Darüber<br />
hinaus weisen Grundrissdarstellungen, da sie häufig während einer Konstruktionsphase<br />
entstehen, auch noch das Merkmal der Vorläufigkeit auf. Diesen Aspekte<br />
scheint Rihm im Untertitel „Studie“ berücksichtigt zu haben: Die Studie erforscht<br />
die Bedingungen des Materials und sucht nach Möglichkeiten seiner Entwicklung,<br />
ihr Geist ist ein experimenteller.<br />
Rihms Komposition bezieht sich auf beide Facetten des Begriffes Grundriss, auf<br />
die Flächigkeit des Grundrisses, dessen rechteckige Klangquadrate im Lauf der<br />
Betrachtung von hektisch aufgetragenen Punkten abgelöst werden. Daneben<br />
führt sie aber auch in tiefere Klangschichten hinab, lenkt von der musikalischen<br />
Oberfläche ab und legt den tieferen Grund dieses Trios frei.<br />
Der Weg des griechischen Komponisten Georges Aperghis (*1945) führte von Athen<br />
nach Paris, das Zentrum seines Schaffens blieb. Von den über hundert Werken,<br />
die Aperghis Œuvre umfasst, sind die wenigsten für große Besetzungen bestimmt,<br />
demgegenüber hat er der Kammermusik stets ein prominenterer Platz zugedacht.<br />
Für die unterschiedlichsten Besetzungen schrieb Aperghis Solos, Duos und Trios<br />
und entwarf für die Instrumente dabei stets neue Klangprofile: „Das ist, wie wenn<br />
man ein Bild von jemandem auf einem Foto sieht und sich fragt: wie klingt die Stimme?<br />
Ist sie nasal, ist sie hoch, ist sie tief? Hat er schwer geatmet oder leicht? Ein<br />
Instrument bleibt immer das gleiche. Doch die Frage lautet: Wie klingt die Stimme<br />
dieses Instruments in genau diesem Stück.“ Und was das Ausdrucksspektrum der<br />
Instrumente betrifft, so gibt es für Aperghis keine Grenzen: „Eine Klarinette, die<br />
wie eine Klarinette spielt, ist aber nicht das, was mich am meisten interessiert. Ein<br />
Sänger kann verschiedene Stimmen annehmen, mit Hauchen, ohne Hauchen, mit<br />
Vibrato, ohne Vibrato, er kann sogar schreien. Warum Instrumente nicht auch?“<br />
À bout de bras (1989) für Klarinette und Oboe (wahlweise auch für Saxophon) ist nur<br />
„unter großem Krafteinsatz“ zu schaffen, wie es die französische Redewendung sagt.<br />
Das Stück konfrontiert den Interpreten sowohl mit den Grenzen seiner Möglichkeiten<br />
als auch mit denjenigen des Instruments. Im vierfachen Forte werden die Vierteltöne<br />
von einem Instrument an das nächste weitergegeben, Interferenzen prägen das<br />
Klangbild. Nur durch ein Wunder (in diesem Fall durch rhythmische Stabilisierung<br />
erreicht) gelingt der Musik noch die Rückkehr in ein bekanntes Terrain.<br />
Gérard Grisey, Solo pour deux | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH
106 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 107<br />
Abîme – Abgrund<br />
György Ligeti (1923-2006)<br />
Études pour piano<br />
premier livre (1985)<br />
deuxième livre (1988-1994)<br />
troisième livre (1995-2001)<br />
(Ausgewählte Stücke)<br />
Nicolas Hodges, Klavier<br />
Eun-Hwa Cho (*1973)<br />
Jouissance de la différence (2010)<br />
für Ensemble<br />
Uraufführung<br />
Kompositionsauftrag des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />
Hèctor Parra (*1976)<br />
Abîme-Antigone IV (2002)<br />
für Flöte, Piccoloflöte, Oboe, Klavier, Violine, Viola und Violoncello<br />
Gérard Grisey (1946-1988)<br />
Talea (1986)<br />
für Violine, Violoncello, Flöte, Klarinette und Klavier<br />
ensemble recherche<br />
Melise Mellinger, Violine<br />
Barbara Maurer, Viola<br />
Åsa Åkerberg, Violoncello<br />
Martin Fahlenbock ,Flöte<br />
Jaime González, Oboe<br />
Shizuyo Oka, Klarinette<br />
Christian Dierstein, Schlagzeug<br />
Klaus Steffes-Holländer, Klavier<br />
3. August 2010, 20:30 Uhr<br />
Kirche St.Gallen<br />
Musik zwischen Höhen und Abgründen<br />
Abgründe tun sich in der Musik des Komponisten György Ligeti (1923-2006) permanent<br />
auf, ob im Chaos des Anfangs, in den hohlen Quinten eines Klavierstücks,<br />
oder den Tiefenschichten der Polyphonie.<br />
Der in Ungarn Geborene verwirklichte sein Konzept einer „hybriden Kunst“ (Dieter<br />
Wieschollek) in den Jahren 1985 bis 2001 in den drei Bänden seiner Études pour<br />
piano. Durchaus in der Tradition romantischer und nachromantischer Etüdensammlungen<br />
von Chopin bis Debussy stehend, sind Ligetis Etüden weit vom ursprünglichen<br />
Gattungskodex entfernt. Denn ihr Studiencharakter bezieht sich nicht so sehr auf<br />
das Erlangen von Fingerfertigkeit und auf Spieltechnisches – wenngleich die Etüden<br />
anfangs als unspielbar galten –, als auf die Entfaltung kompositionstechnischer<br />
Grundideen. Jedes der 18 Studienstücke entzündet sich an einem Impuls, der<br />
musikalisch-assoziatives, bildhaft-strukturelles Komponieren ermöglicht. Wie ein roter<br />
Faden zieht sich Ligetis Polyphonie – jene der Stimmen, der Metren, der Tonarten<br />
und der Modi – durch die Etüdenbände und erscheint wieder von neuem als eine<br />
der wichtigsten Strukturprinzipien seiner Musik. Mit der Vielstimmigkeit einher geht<br />
zudem eine komplexe Wechselwirkung zwischen Ordnungs- und Unordnungsprinzipien:<br />
Die „Unruhe“ in Desordre eröffnet die Etüden-Serie, ein Canon – Zeichen<br />
der Strenge – beendet sie.<br />
In Desordre (1) bewegen sich rechte und linke Hand nicht im Gleichmaß: Die linke<br />
spielt ausschließlich auf den schwarzen Tasten im pentatonischen Modus, während<br />
die rechte eine diatonische Melodie intoniert, sodass die Töne ein chromatisches<br />
Total ergeben. Nachdem die rechte Hand die diatonische Melodie des Stückes<br />
durchspielt, setzt die linke – gemäß dem Prinzip der Phasenverschiebung – nach<br />
wenigen Takten verschoben ein, zunächst um ein Achtel verschoben, dann um zwei<br />
Achtel usw. Die solcherart aufgebauten unterschiedlichen Zeit- und Raumebenen<br />
des rechten und linken Systems wirken wie die Stimmen eines polyphonen Gewebes<br />
in- und gegeneinander.<br />
Im Bild spricht auch das folgende Stück Corde à vide (2), dessen Titel auf „leere“<br />
Quintintervalle verweist. Touches bloquées (Blockierte Tasten) (3) schließlich ist unmittelbar<br />
„aus den Tasten und aus der Stellung der zehn Finger“ hervorgegangen, und<br />
wohl am besten mit dem Terminus Spielmusik umschrieben. Stumm niedergedrückte<br />
Tasten gleichen einkomponierten Unterbrechungen in die Läufe des Interpreten und<br />
erzeugen auf diese Weise rhythmische Irregularität. Von diesem Punkt aus führt das
108 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 109<br />
erste Heft zum zwölftönigen Fanfares (4) über die von der Jazzakkordik geprägte<br />
Etüde Arc-en-Ciel (5) bis hin zu den unterschiedlichen Geschwindigkeitsebenen in<br />
Automne à Varsovie (6).<br />
Das zweite Heft bringt Neues und Bekanntes: Es beginnt mit der Quasi-Gamelanmusik<br />
in Galamb borong (7), gefolgt von der Quintenetüde Fém (8) als Pendant<br />
zu Cordes à vide und dem Vexierbild Vertige (Schwindel) (9), das „zwischen den<br />
Läufen als Bewegung und ihrer Interferenz als statischem Bilde“ (György Ligeti)<br />
entsteht. Nach dem Vorbild der afrikanischen Musik, die sich durch Überlagerung<br />
verschiedener rhythmischer Muster auszeichnet, entstand „inherent patterns“ in<br />
Entrelacs (12). Die Teufelsleiter (13) führt schon nahe an den Abgrund – und zwar<br />
noch lange bevor es die Weiße-Tasten-Musik White on White (15) und der kurze<br />
Canon (18) im dritten Band tun.<br />
Der 1976 in Barcelona geborene spanische Komponist und Professor für Elektroakustische<br />
Komposition am Konservatorium in Saragossa Hèctor Parra suchte in<br />
seinen Werken wiederholt den Bezug zur griechischen Tragödie. Neben den Ideen<br />
der Avantgarde-Physik und den Strömungen der Bildenden Kunst interessiert er<br />
sich seit einigen Jahren für antike Tragödienwerke, vor allen Dingen für jene des<br />
Sophokles. Hier hat der Werkzyklus Antigone, dem Abîme (span. Abgrund) als letztes<br />
von vier Werken angehört, entstanden in den Jahren 2001/2002 und revidiert im<br />
Jahr 2010, seinen Ausgangspunkt. Der Analyse von Jacqueline de Romilly aus dem<br />
Jahr 1995 Folge leistend, hat Parra in Abîme die Prinzipien der Zeitstrukturierung<br />
der griechischen Tragödie aufgegriffen, um ihre Wahrnehmung in und durch Musik<br />
zu ermöglichen. Mit der Besetzung Flöte, Piccoloflöte, Oboe, Klavier, Violine, Viola<br />
und Violoncello zwischen Kammermusik und Kammeroper angesiedelt, werden in<br />
Abîme sämtliche musikalische Parameter, vom Rhythmus bis hin zur Instrumentierung<br />
verzeitlicht. Die musikalische Erfahrung dieser „tragischen“ Zeit wird – so hofft<br />
Parra – eine „Bereicherung der psychologischen Welt des Einzelnen“ sein.<br />
Zustände der Verdichtung und Entspannung und somit die Erfahrbarkeit von tragischer<br />
Zeitlichkeit in und durch Musik erreicht Parra, indem er das kompositorische<br />
Ausgangsmaterial von Abîme drei unterschiedlichen Wachstumsprozessen überlässt:<br />
dem Heranwachsen, der linearen und kontrapunktischen Erweiterung des Materials<br />
und zuletzt dem Vorgang des Verlöschens. Daraus entsteht der Verlauf des Stückes,<br />
den der Komponist mit folgenden Worten beschrieben hat:<br />
„Das Werk beginnt mit kurzen, lebhaften Phrasen, die von allmählich immer kürzer<br />
werdenden Fermaten unterbrochen werden. Sie tragen dazu bei, einen musika-<br />
lischen Erinnerungszustand zu schaffen, der heftig nach einer linearen Synthese<br />
verlangt. Schließlich setzt das Stück seinen eigenen Zeitfluss durch, der, gesteuert<br />
durch die Interaktion unterschiedlicher musikalischer Parameter wie Tempi, Takte,<br />
rhythmische Strukturen und gestische Dynamik, allmählich deformiert wird. Aus der<br />
Reibung zwischen den omnipräsenten accelerandi oder rallentendi und der Variation<br />
in der Dichte der rhythmischen Artikulation, die sich diesen Veränderungen der Zeit<br />
entgegensetzt, entsteht eine immer deutlichere Kurve.“ Um diese Zeitstruktur zu<br />
erfahren, ist die äußerte Konzentration auf die Erweiterung und Verknappung des<br />
Materials erforderlich. Nur so werden der Tragödie entsprechende Gefühle im Subjekt<br />
freigesetzt: „Diese ‚Zeitmaschinen’ wurden entworfen, um uns zu ‚abgründigen’<br />
Momenten zu führen wie am Ende des Piccolo-Violoncello-Duos oder jenem der<br />
Flötenkadenz –, beide im mittleren Teil des Werkes. Dort befreien sich die Gefühle<br />
und verweisen mit aller Heftigkeit auf die tragische Komponente der Einsamkeit der<br />
menschlichen Existenz.“<br />
Hèctor Parra, Abîme-Antigone IV | Tritó<br />
Wie eine Maschine läuft zunächst auch Talea (1986) von Gérard Grisey (1946-1988)<br />
vor allem zu Beginn des zweiteiligen Stücks für Violine, Violoncello, Flöte, Klarinette<br />
und Klavier. Im zweiten Teil schlägt der in Gang gesetzte Prozess in Freiheit um.<br />
In Talea befasste sich der französische Spektralist Grisey wieder mit „zwei Aspekten<br />
des musikalischen Diskurses“, von denen er sich durch seine Forschungsarbeiten<br />
zur instrumentalen Synthese entfernt hatte: mit der Geschwindigkeit auf der einen<br />
und mit dem musikalischen Kontrast auf der anderen Seite.<br />
Die kontrastive Gegenüberstellung zweier klanglicher Situationen und der Prozess<br />
einer diskontinuierlichen Annäherung von Gegensätzen charakterisiert das Ensemblestück<br />
Talea. Mit dem Titel knüpfte Grisey an die im Mittelalter übliche Abspaltung
110 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 111<br />
von Notenwerten und Tonhöhen an, die im parametrischen Denken der seriellen Musik<br />
im 20. Jahrhundert wiederkehrt. Der isorhythmischen Motette lagen rhythmische<br />
(talea) und melodische Wiederholungsmuster (color) zugrunde. Die Zweiteilung<br />
von Griseys Stück in einen maschinell verlaufenden und einen freieren Abschnitt,<br />
der „sehr gut Color genannt werden könnte“ (Grisey) und die Erinnerungen an den<br />
ersten Teil einfärbt, hat hier ihre Wurzeln. Die zwei Teile von Talea drücken so „zwei<br />
Gehörpunkte eines einzigen Phänomens“ aus.<br />
Zwei gegensätzliche Gesten, eine davon schnell, aufsteigend, fortissimo, die andere<br />
ruhig, absteigend, leise, setzen eine Gratwanderung zwischen Automatismus und<br />
Freiheit in Gang, die im zweiten Teil eine irrationale Schönheit hervorbringt:<br />
„Dieses Unkraut, diese wilden Blumen, die in den Zwischenräumen der Maschine<br />
wachsen, gewinnen an Bedeutung und wuchern, bis sie den Abschnitten, in denen<br />
sie sich wie Parasiten eingeschlichen haben, eine ganz und gar unerwartete Färbung<br />
geben.“ – Dieses Unkraut führt an den Rand des Abgrunds.<br />
Jouissance de la différence<br />
Von Eun-Hwa Cho<br />
Der Ausgangspunkt des Stückes ist Wiederholung. Wiederholung ist sowohl in der<br />
europäischen Musikgeschichte als auch in der abendländischen Musikgeschichte<br />
ein wichtiges formbildendes und satztechnisches Prinzip. In diesem Sinne spielt<br />
Wiederholung auch in diesem Stück eine wichtige Rolle.<br />
Alle musikalischen Gestalten, die in diesem Stück benutzt werden, kehren „verschoben“<br />
und „verkleidet“ immer wieder. Im ersten Teil des Stückes treten Differenzen<br />
auf, die durch die Wiederkehr von Elementen in Kombination mit anderen Elementen<br />
entstehen. Im späteren Teil werden dann die Beziehungen zwischen dem musikalischen<br />
Material und den differenzierte Gestalten thematisiert.<br />
Wie der Titel Jouissance de la différence nahelegt, ist das Stück durch Gilles Deleuze<br />
beeinflusst. Die Grundidee für das Stück stammt aus seinem Buch Différence<br />
et Répetition. Gérard Grisey, Talea | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH
112 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 113<br />
Schwarzer Peter<br />
Hanspeter Kyburz (*1960)<br />
Clôture (2009)<br />
für Chor und Bläser<br />
Bernhard Gander (*1969)<br />
aufstiegabstieg (2010)<br />
für drei Bläser<br />
Uraufführung<br />
Kompositionsauftra des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />
Johannes Maria Staud (*1974)<br />
Neues Werk<br />
Uraufführung<br />
Kompositionsauftrag des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />
Uwe Dierksen, Posaune<br />
Donna Molinari, Klarinette<br />
Marcus Weiss, Saxophon<br />
MusikerInnen aus den Blasmusikkapellen der Region<br />
SängerInnen aus der Region<br />
Mittwoch, 4. August 2010, 11:00 Uhr<br />
Haindlkar, Gesäuse<br />
Umzäunt<br />
Im Haindlkar, einer kesselförmigen Einbuchtung im Gebirge des Gesäuse mit<br />
einer Grundfläche von mehreren hundert Quadratmetern, erklingen neben dem<br />
mit Clôture betitelten Werk des schweizerischen Komponisten Hanspeter Kyburz<br />
Auftragskompositionen von Bernhard Gander und Johannes Maria Staud. Die<br />
Werke der österreichischen Komponisten Gander und Staud wurden speziell für<br />
ihre Aufführung im Haindlkar konzipiert und entstanden in enger Wechselwirkung<br />
mit den akustischen Begebenheiten des hochalpinen Gebirgstals. Besonders<br />
ausgeprägte Echo-Effekte sind dort nämlich zu vernehmen, die Schallwellen<br />
werden von den umliegenden Felswänden so zurückgeworfen, dass ein mehrfaches<br />
Echo entstehen kann, je nachdem, wo sich der Hörer dieses Naturspektakels<br />
befindet. Das Haindlkar-Echo bedeutete den Komponisten Einschränkung<br />
und Freiheit zugleich: Sie mussten die Unberechenbarkeit dieses Phänomens<br />
akzeptieren, um in eine freie künstlerische Auseinandersetzung mit dem von der<br />
Natur Gegebenen zu treten.<br />
Der in Lienz/Osttirol geborene Komponist Bernhard Gander (*1969) ist in den<br />
Bergen aufgewachsen. Aufstiegabstieg lautet der Titel seines Werkes, das im<br />
Haindlkar von drei Bläsern interpretiert wird. Doch nicht nur der Titel ruft die<br />
Erinnerung an Richard Strauss` Programmstück Eine Alpensinfonie wach. Wie<br />
Strauss in seinem alpenländischen Programmstück, so versuchte auch Bernhard<br />
Gander den Anstieg auf einen und den Abstieg vom Berg mit musikalischen Mitteln<br />
nachzuerzählen. Baritonsaxofon, Bassklarinette und Tenorposaune spielen sich<br />
gleichsam auf den Berg hinauf und wieder hinunter. „Markante, steinige Rhythmen“,<br />
„Melodielinien, die die Silhouette von Bergen nachmalen“, und Instrumente,<br />
die „in den höchsten Tönen“ schwärmen, wurden von der außermusikalischen<br />
Realität auf Ganders Weg zum Haindlkar inspiriert.<br />
Die Partitur von aufstiegabstieg lässt sich wie eine Geschichte lesen, in der es<br />
fortwährend hinauf und hinunter geht. „Ich habe immer Geschichten im Kopf. Denn<br />
Geschichten bewahren die Musik vor ihrer Beliebigkeit“, so der Komponist. In der<br />
vorliegenden Schilderung werden die zentralen Strukturmomente Hinauf/Hinunter<br />
zum Ausgangspunkt für innermusikalische Variationen und Prozesse. So basiert<br />
Ganders aufstiegabstieg auf Strukturverläufen und Intervallkombinationen, die<br />
Steigung und Gefälle und vor allen Dingen verschiedene Grade der Steilheit –<br />
je kleiner das Intervall, desto steiler der Weg – abbilden. Beständige „Variation<br />
des Einfachen“ bestimmt den notierten Verlauf. Für Komplexität sorgen dann die<br />
akustischen Verhältnisse, die den Ort der Aufführung auszeichnen.
114 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 115<br />
Im Zaun gehalten werden die Echo-Kompositionen von Bernhard Gander und Johannes<br />
Maria Staud durch die Komposition Clôture („Umzäunung“) aus der Feder<br />
Hanspeter Kyburz` (*1960). Der Schweizer Komponist war ehemals Schüler von<br />
Gösta Neuwirth und Hans Zender und ist seit dem Jahr 1997 Professor für Komposition<br />
an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Kyburz Stück für Chor<br />
und Bläser zeigt einerseits sein Faible für formale Strenge, andererseits aber auch<br />
seine große Vorliebe für die Unvorhersehbarkeit musikalischer Verläufe.<br />
Clôture (2009), das zu Beginn und am Schluss des Konzertes gespielt wird, thematisiert<br />
ein eigentlich metatheatrales Ereignis: Dieses wird mit Konzertklatschen in<br />
dreifachem Forte eröffnet, das über einen Zeitraum von acht bis zehn Minuten stetig<br />
leiser wird, bis keinerlei Applausgeräusche mehr zu vernehmen sind. Geklatscht<br />
wird vom Chor, der nebenbei noch die Anweisung erhält: „Tonloses, individuelles,<br />
hektisches ‚lautes’ Flüstern, immer ruhiger und leiser werdend“. Parallel dazu setzen<br />
die in drei Gruppen unterteilten Bläser ein homogenes Klangkontinuum aus<br />
übermäßigen Quarten in Bewegung, und zwar ganz im Gegensatz zum Chor im<br />
dreifachen Pianissimo. Individuelle Glissandi der Bläser sollen diesen „sauber“ gehaltenen<br />
Akkord verunreinigen. Die folgenden dreißig Sekunden sind dem langsam<br />
abnehmenden Nachhall der Bläserklänge vorbehalten. Was sich dann laut dem von<br />
Kyburz bis ins Detail durchdachten Zeitplan anschließt, bleibt offen.<br />
Der Schwarzer Peter genannte Wilderer agierte im 19. Jahrhunderts im Gesäuse.<br />
Der illegal operierende Wilderer hatte einen Durchschlupf (heute als Peternpfad<br />
bezeichnet) durch die scheinbar unüberwindlichen Nordwände gefunden und sich<br />
daraufhin mit den von kaiserlichen Banden ausgebeuteten Bauern von Johnsbach<br />
konspirativ verbündet.<br />
Im Haindlkar (mit Komponist Bernhard Gander) | Andreas Karl
116 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 117<br />
Canti Notturni<br />
Hèctor Parra (*1976)<br />
Piano Sonata (2010)<br />
für Klavier<br />
Uraufführung<br />
Kompositionsauftrag des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />
Salvatore Sciarrino (*1947)<br />
due notturni crudeli (2000)<br />
für Klavier<br />
Nicolas Hodges, Klavier<br />
Emilio Pomárico (*1954)<br />
ombre tenui, inquiete parole (1996)<br />
für Flöte, Oboe und Klarinette<br />
Tristan Murail (*1947)<br />
Garrigue (2008)<br />
für Bassflöte, Viola, Violoncello und Schlagwerk<br />
Salvatore Sciarrino (*1947)<br />
Muro d’orizzonte (1996)<br />
für Altflöte, Englischhorn und Bassklarinette<br />
ensemble recherche<br />
Melise Mellinger, Violine<br />
Barbara Maurer, Viola<br />
Åsa Åkerberg, Violoncello<br />
Martin Fahlenbock ,Flöte<br />
Jaime González, Oboe<br />
Shizuyo Oka, Klarinette<br />
Christian Dierstein, Schlagzeug<br />
Klaus Steffes-Holländer, Klavier<br />
4. August 2010, 20:00 Uhr<br />
Kirche St.Gallen<br />
Musikalische Allegorien der Nacht<br />
Die Musik zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eben erst aus ihren postromantischen<br />
Träumen erwacht, als sie einem hartnäckigen Prozess der Rationalisierung schon<br />
zum Opfer gefallen war. Angefangen von Schönbergs Erfindung der Zwölftontechnik<br />
bis hin zur seriellen Durchdeklinierung des musikalischen Materials schürte diese<br />
Entwicklung in den Komponisten die Illusion, alles Klingende sei beherrschbar. Doch<br />
das Rationale, das zuweilen ins Irrationale umschlug, verdeckte währenddessen<br />
eine andere, dunklere Hälfte der Musik…<br />
…Die Nachtseite spielt im Werk des Sizilianers Salvatore Sciarrino (* 1947), der wie<br />
Giuseppe Verdi Autodidakt war, eine große Rolle. In Stücken wie dem Ensemblewerk<br />
Introduzione all`oscuro (1991) und dem Musiktheaterwerk Luci mie traditrici (1998)<br />
ging es ihm um das Hörbarmachen innerer Vorgänge und das Sichtbarmachen des<br />
unendlichen Schwarz in diesem Inneren. Um die Nacht kreisen auch seine due<br />
notturni crudeli, die im Jahr 2000 entstanden und dem Pianisten Nicolas Hodges<br />
gewidmet sind. Diese Nachtstücke führen in entgegen gesetzte Klangwelten, das erste<br />
mit „Senza tempo e scandito“ überschrieben, basiert auf „unbarmherzig repetierten<br />
Klavierakkorden“ (Dirk Wieschollek), das zweite, im Charakter „furia, metallo“, wird<br />
von kreischenden Sekundeinwürfen strukturiert. Gleichzeitig bestehen aber durchaus<br />
Ähnlichkeiten zwischen den Stücken, vor allem was die Lage und Grundfarbe ihrer<br />
auf drei Systemen räumlich angeordneten Klänge anbelangt. Beide Notturni werden<br />
größtenteils von im Fortissimo angeschlagenen Klavierklängen in höchster Lage<br />
dominiert, die nicht das Dunkel der Nacht, sondern das grelle Innere des Subjektes<br />
veranschaulichen. Nicht finster ist es dort drinnen, sonder viel zu hell.<br />
Wie einen Krimi lässt der Komponist seine taktlose Musik ablaufen. Das schrille<br />
Weiß der Leinwand tritt gegen das Subjekt an. Mit äußerster Sorgfalt hat Sciarrino<br />
seine kompositorischen Entscheidungen getroffen, die Semantik von hohen und<br />
tiefen Klavierlagen zu nutzen gewusst und vermittels metrischer Einblendungen<br />
immer wieder Risse in die subjektive Erlebniszeit komponiert.<br />
In eine Welt der Schatten führt das Bläsertrio des in Buenos Aires geborenen<br />
Komponisten Emilio Pomárico (*1954). Sein ombre tenui, inquiete parole entstand<br />
von 1996 bis 1997 und wurde im Jahr 1998 von ensemble recherche uraufgeführt.<br />
Pomárico legte seinem Werk einige Zeilen aus der Feder der italienischen Dichterin<br />
Amelia Rosselli zugrunde, die kurz zuvor auf tragische Weise den Tod fand: „Ha<br />
le dita prese dal fastidio la luna, piena la notte, incomoda giù per i balconi nuovi.<br />
E’ tremante il quartiere d’ingiuria. La collina sciupa il nodo del sole”. Auf diesem
118 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 119<br />
kurzen Ausschnitt aus Rossellis Diario Ottuso basiert die strukturelle Physiognomie<br />
des Bläsertrios, denn ombre tenui, inquiete parole, gleicht einer musikalischen<br />
Verarbeitung der „innerlichen lebendigen Zweiseitigkeit“ von Rossellis Lyrik: „Das<br />
Stück artikuliert sich in zwei Sätzen (der traditionell musikalische Sinn, den ich<br />
diesem Begriff gebe, soll nicht irritierend wirken – für mich verbindet er sich mit<br />
dem Gefühl einer Reise durch die Zeit), die zwar ohne Kontinuität aufeinander folgen,<br />
doch in gewissem Maß Antithesen voneinander sind (Gefühl von Gegensatz,<br />
der freilich als Verhältnis der Rückseite der Medaille zu ihrer Vor-derseite gedacht<br />
werden muss: die völlige Verschiedenheit als ins Auge springendes Element der<br />
Untrennbarkeit). Der stark lyrische Charakter des ersten Satzes und der eher<br />
ekstatische Charakter des zweiten sind nichts anderes als der Versuch – der nur<br />
dem „musikalischen“ Fühlen und Hören gelingen kann – eines Weiterdenkens der<br />
innerlichen, lebendigen Zweiseitigkeit des dichterischen Wortes. Der Raum, der<br />
von der Unmöglichkeit einer Grenze zwischen dem semantischen Charakter und<br />
seinem reinen Klang ständig heraufbeschworen wird, bestätigt dabei die Gewissheit<br />
einer ideellen und notwendigen Heimat. Hier liegt der einzig mögliche Schutz vor<br />
der groben Welt der Dinge.“<br />
Bei Tristan Murail wird das Nächtliche zur Metapher für das Undurchsichtige.<br />
Der 1947 in Le Havre geborene, französische Komponist hat nach dem Studium<br />
der Wirtschaftswissenschaften, Politik und Arabistik, Ondes Martenot (ein elektronisches<br />
Tasteninstrument, benannt nach seinem Erfinder Maurice Martenot) sowie<br />
Komposition bei Olivier Messiaen studiert und gründete 1973 die Gruppe L`Itinéraire,<br />
die sich der Entwicklung der Spektralmusik widmete. Murails Experimente in elektronischen<br />
Studios und seit 1980 auch die Anwendung von computergestützten<br />
Kompositionstechniken wirkten sich nicht nur auf die Erzeugung künstlicher Klänge<br />
auch, sondern auch wieder auf das Komponieren mit traditionellen Instrumenten<br />
„zurück“. Von einer Abfolge komplexer Klangspektren erzählt sein Instrumentalstück<br />
Garrigue, das sich durch verschiedene musikalische Dichtegrade und ein spezielles<br />
Verhältnis zwischen Flächigkeit und Bewegung auszeichnet.<br />
Tristan Murail fasste den Anblick, der sich ihm vom Fenster seines Hauses in der<br />
Provence aus bot, im Jahr 2007 in das Bild einer an Klangfarben reichen Komposition<br />
mit dem Titel Garrigue. Entstanden als viertes und letztes Stück des Zyklus<br />
Portulan (benannt nach dem gleichnamigen Buch mit nautischen Informationen und<br />
Seekarten), geht auch Garrigue von einem autobiographischen Erlebnis Murails<br />
aus. In ihm bilden Bassflöte, Viola, Violoncello und Schlagwerk das unkontrollierbare<br />
Treiben in den Garrigues, den mediterranen Strauchheiden der Provence ab.<br />
Zwergsträucher wie Rosmarin, Thymian, Lavendel, kleine Wacholderbüsche und<br />
Milchsterne wachsen dort in einer Fülle, sodass im Sommer ein ständiges Vibrieren<br />
und Zirpen zu hören ist.<br />
Noch einmal gibt sich Salvatore Sciarrino als „der Horcher am Weltinneren“ (Claus<br />
Spahn) zu erkennen, dessen Klänge aus dem Nichts kommen, um wieder ins<br />
Nichts zu verschwinden. Die Reduziertheit aller musikalischen Parameter außer<br />
der Klangfarbe kennzeichnet auch den Beginn von Muro d`orrizonte, einem Stück<br />
für Altflöte, Englischhorn und Bassklarinette. Das Tonmaterial wurde von Sciarrino<br />
sehr sparsam disponiert, und gleicht dem sorgsamen Farbauftrag sparsamer Bildstrukturen.<br />
Als ob Sciarrino, der sich seit seiner frühesten Kindheit aktiv mit den<br />
bildenden Künsten beschäftigt hat, schwarze Kleckse malte – so klingen die ersten<br />
scharf akzentuierten, förmlich hinaus gestoßenen Klänge des Stückes. Doch dann<br />
gelangt sein typisches Repertoire an Spieltechniken und Klangerzeugungsarten<br />
zur Entfaltung, vom einfachen Flagolett bis hin zu speziellen Blastechniken wie<br />
tongue ram (bei der die erzeugten Töne in etwa eine große Septime tiefer klingen,<br />
als der Griff indiziert). Auf diese Weise erfahren die zunächst harmlosen Klänge<br />
eine Dynamisierung und Dramatisierung. Muro d`orrizonte ist auf dramatische<br />
Zuspitzung hin angelegt: Die Klangfarben verändern sich allmählich, sodass auch<br />
in uns von Zeit zu Zeit „dunklere“ Vorahnungen aufkommen.<br />
Piano Sonata<br />
Von Hèctor Parra<br />
Nachdem ich mit Peter Oswald darüber gesprochen hatte, ein groß angelegtes Werk<br />
für den Pianisten Nicolas Hodges zu schreiben, begann ich mit der Arbeit an meiner<br />
Klaviersonate. Die vorliegende Komposition ist das Ergebnis einer dialektischen<br />
Erkundung der unermesslichen Zwischenräume, die das Klanguniversum des Klaviers<br />
offen legt. Im ersten Teil des Stückes erleben wir diese Abstände unmittelbar<br />
und intensiv. Durch diese Empfindung von struktureller Instabilität sehen wir uns<br />
veranlasst, uns die vielschichtigen Klangprozesse vorzustellen, die sich zwischen<br />
den „Inseln“ dieses Klanguniversums ereignen.<br />
Im Hauptteil des Stückes geht es dann darum, die Lücke zu schließen, welche am<br />
Klavier zwischen Anschlag und Klang, zwischen der perkussiven, rhythmischen<br />
und quasi-vokalen Sprache einer ersten Gruppe und den extrem physiologischen<br />
und pianistischen Texturen einer zweiten klafft. Am Ende dieses dialektischen<br />
Entwicklungsprozesses sind neue Strukturen entstanden.<br />
Meine Erfahrung als Pianist war während des Kompositionsprozesses ausschlaggebend:
120 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 121<br />
Das unterschiedliche Material meiner Sonate entstand während einer langen<br />
Session am Klavier, bei der ich halb improvisierte und ohne Pause durchspielte.<br />
Wesentlichen Einfluss auf meine Vorstellungen vom Klavierklang hatten meine<br />
Forschungsarbeiten rund um das Violoncello am IRCAM in Paris, wo es vor allen<br />
Dingen darum ging, den Klang des Instruments in Echtzeit abzuwandeln, um ein<br />
vielförmiges organisches Spektrum zu erzeugen.<br />
In meiner Piano Sonata nützt nun der Pianist seine Stimme, um die Klänge zu<br />
imitieren, die er durch komplexe Aktionen auf den Klaviersaiten erzeugt. Auf diese<br />
Weise entsteht ein neues Universum quasi-menschlicher Klavierklänge.<br />
Salvatore Sciarrino, due notturni crudeli | G. Ricordi & Co Bühnen und Musikverlag GmbH<br />
Hèctor Parra, Piano Sonata | Parra
122 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 123<br />
Trilogy of the Americas<br />
Francisco López (*1964)<br />
Trilogy of the Americas (1995-2005)<br />
Live multi-channel immersive performance<br />
Ausschnitte aus<br />
La Selva (1997)<br />
Buildings [New York] (2001)<br />
Wind [Patagonia] (1995-2005)<br />
4. August 2010, 23:00 Uhr<br />
Burg Gallenstein, St.Gallen<br />
Trilogy of the Americas<br />
Trilogy of the Americas von Francisco López basiert auf Umweltaufnahmen des<br />
Komponisten aus den Jahren 1995 bis 2005. Die der Live-Komposition zugrunde<br />
liegenden Originalaufzeichnungen entstanden 1. auf der biologischen Forschungsstation<br />
La Selva in Costa Rica während der Regenzeit in den Jahren 1995 und 1996,<br />
2. in New Yorker Gebäuden zwischen Januar und März 2001, und 3. auf den weiten<br />
Ebenen des südamerikanischen Patagoniens in den Jahren 1995 bis 2005.<br />
Die kompositorische Struktur von Triology of the Americas beruht – in Anlehnung<br />
an das von Pierre Schaeffer entworfene Modell des objet sonore – auf der Phänomenologie<br />
des Klanges, das heißt: Nicht die semantische Funktion von Musik steht<br />
im Zentrum von López` Konzept, sondern ihr phänomenologisch-wahrnehmbarer<br />
Gehalt. Die Klänge repräsentieren somit keine außermusikalische Realität, sondern<br />
sind, was sie sind, zunächst nicht mehr.<br />
Für die Aufführung von Trilogy of the Americas werden Ausschnitte aus La Selva,<br />
Buildings und Wind gemixt, d.h. miteinander kombiniert und verschiedentlich überlagert.<br />
Die auf diese Weise entstehenden, heterogenen Klangobjekte entfalten und<br />
verteilen sich zuerst durch Spatialisierung im Raum und werden dann in Echtzeit<br />
neu kombiniert. López` mehrkanaliges, immersives Surround-System projiziert die<br />
Klänge in die Dunkelheit der Nacht und konstruiert solchermaßen eine virtuelle<br />
Realität (eine Immersion).<br />
Hinter den Spiegeln. Realität und Virtualität<br />
in der phänomenologischen Klangmaterie<br />
Von Francisco López<br />
Normalerweise werden Tonaufzeichnungen als Wiedergabe der Realität betrachtet.<br />
Eine Tonaufzeichnung kann aber – was vielen Menschen unbekannt ist – als eine<br />
rein musikalische Entität begriffen werden, oder, noch präziser ausgedrückt, als<br />
ein objet sonore, wie es Pierre Schaeffer vor mehr als einem halben Jahrhundert<br />
so treffend formulierte. Während Millionen von Menschen heute Auszüge der Realität<br />
festhalten und in Form von Fotos, Videos oder Klängen sammeln und zwar<br />
mit dem einzigen Ziel, diese Realität wiederum durch eine Illusion wahrzunehmen<br />
(gleichgültig wie schön oder emotionalisierend dies ist), so arbeiten manche von<br />
uns mit der Erkenntnis, dass diese Auszüge tatsächlich eine andere „Realität“
124 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 125<br />
darstellen. Während ich viele Jahre lang Umweltaufnahmen durchführte, machte<br />
ich es mir zur Gewohnheit, sehr genau hinzuhören, Nuancen und Details in Raum<br />
und Zeit auf eine hyper-realistische Art und Weise wahrzunehmen. Was aber noch<br />
wichtiger ist: ich erkannte den tiefgreifenden Unterschied von einem Zuhören als<br />
semantische Tätigkeit oder als phänomenologische Erfahrung. Dieser Unterschied<br />
erscheint noch größer, wenn man Aufnahmen macht und die Auszüge der damit<br />
gewonnenen Wirklichkeit, mit den gedanklichen Aufzeichnungen dieser Erfahrung<br />
und mit der phänomenologischen Substanz der neu festgehaltenen – klanglichen<br />
und wahrnehmbaren – „Wirklichkeit“ (die für sich allein stehen kann), vergleicht.<br />
Es ist für uns eine relativ unkomplizierte und natürliche Sache, diese sogenannte<br />
„Realität“ zu transformieren. Es geht nun darum zu verstehen, dass wir Menschen<br />
im Allgemeinen dazu neigen, die Wirklichkeit durch kognitive und interpretatorische<br />
Modelle wahrzunehmen. Anders ausgedrückt leben wir im Grunde genommen in<br />
einer „modellierten“ Wirklichkeit. Dies entfernt uns von der rohen Substanz der<br />
Wirklichkeit, etwas, das Maschinen (Rekorder, Kameras,...) ganz selbstverständlich<br />
und viel besser als wir es selbst können, abbilden. Wir transformieren die Wirklichkeit<br />
lediglich durch die Art und Weise, mit der wir mit ihr umgehen (zuhören,<br />
zusehen, erfahren), sowohl in unserer Echtzeit-Wahrnehmung als auch in den<br />
Gedächtnisspuren, die von ihr zurückbleiben. In einer Aufnahme transformieren<br />
wir die Wirklichkeit noch zusätzlich durch die verschiedenen, von uns verwendeten<br />
Schnittstellen (Mikrofone, Kodierungen, Abspielvorrichtungen...), aber auch durch<br />
die Menge an Informationen, die wir in Verbindung mit dem von uns Gehörten<br />
zurückhalten oder weitergeben. Manchmal ist das beabsichtigte Fehlen dieser<br />
Information bereits eine größere Umwandlung als jegliche Klangverarbeitung, die<br />
wir vornehmen könnten.<br />
Warum diese „Realität“ transformieren? Warum hinarbeiten auf die Unkenntlichkeit<br />
der gegenständlichen Entitäten, mit denen wir vertraut sind? Ich persönlich bin<br />
fasziniert von der Erschaffung und figürlichen Konstruktion von virtuellen Erfahrungswelten,<br />
die außerhalb der räumlichen, zeitlichen und materiellen Substanz<br />
der Wirklichkeit liegen. Das hat selbstverständlich nichts mit Simulation zu tun, die<br />
in der traditionellen virtuellen Realität ein grundlegendes Paradigma darstellt. Das<br />
Ziel, welches ich mit der Konstruktion einer „transformierten“ akustischen Virtualität<br />
verfolge, hat mehr mit Schöpfung im eigentlichen Sinn zu tun, nämlich mit der<br />
Erzeugung einer neuartigen, eindringlichen Erfahrung, welche dem Zuhörer oder<br />
Zuseher erlaubt, ein temporärer Bewohner dieser neuen, für sich selbst stehenden<br />
Wirklichkeit zu sein. Diese neue Realität ist für mich ein Medium, ein Zugang zu<br />
unseren individuellen und kollektiven inneren Gedächtniswelten, zu Fantasie und<br />
Rekonstruktion von Erfahrungen. Deshalb glaube ich, dass die akustische und<br />
musikalische Erfahrung und deren eigenständige Existenz lediglich durch den Akt<br />
des Zuhörens auf entsprechende Art und Weise vervollständigt oder erreicht werden<br />
kann und so als komponiertes oder aufgezeichnetes Werk noch nicht existiert.
126 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 127<br />
Dal niente al dente<br />
Eine musikalisch-kulinarische Performance<br />
Ernesto Molinari, Klarinette und Chef de cuisine<br />
5. August 2010, 20:00 Uhr<br />
Burg Gallenstein, St.Gallen<br />
Dal niente al dente<br />
Surprise I<br />
Ernesto Molinari, als begnadeter Klarinettist dem Publikum seit langem bekannt,<br />
als Gourmetkoch jedoch nur seinem nahen Umfeld.<br />
Beim <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> entwickelt er ein altes neapolitanisches Rezept für sein<br />
Publikum neu und spielt dabei Werke für Solo-Klarinette – ein Überraschungsprogramm.<br />
Surprise!
128 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 129<br />
Spuren<br />
Olga Neuwirth (*1968)<br />
Akroate Hadal (1995)<br />
für Streichquartett<br />
Beat Furrer (*1954)<br />
apoklisis (2004)<br />
für zwei Bassklarinetten<br />
Beat Furrer (*1954)<br />
still (1998)<br />
für Klavier und Ensemble<br />
Galina Ustwolskaja (1919-2006)<br />
Komposition Nr.1 “Dona nobis pacem” (1970/1971)<br />
für Piccoloflöte, Tuba und Klavier<br />
Mark Andre (*1964)<br />
Asche (2004)<br />
für Bassflöte, Klarinette, Klavier, Viola und Violoncello<br />
Kammerensemble Neue Musik Berlin<br />
Beat Furrer, Leitung<br />
Rebecca Lenton, Flöten<br />
Anja Schmiel, Oboe<br />
Winfried Rager, Klarinetten<br />
Theo Nabicht, Klarinetten / Saxophon<br />
Naama Golan, Trompete<br />
Daniël Ploeger, Posaune<br />
Robin Hayward, Tuba<br />
Sebastian Berweck, Klavier<br />
Steffen Tast, Violine<br />
Ekkehard Windrich, Violine<br />
Kirstin Maria Pientka, Viola<br />
Ringela Riemke, Violoncello<br />
Arnulf Ballhorn, Kontrabass<br />
Michael Weilacher, Schlagzeug<br />
Alexandre Babel, Schlagzeug<br />
6. August 2010, 20:00 Uhr<br />
Kirche St.Gallen<br />
Spuren, Hinweise<br />
Spuren weisen darauf hin, dass jemand oder etwas da war und sich nun im Verborgenen<br />
hält. In Form von Fußabdrücken und Materialablagerungen zeigen sie<br />
stets auf die Nichtverfügbarkeit des sie Verursachenden. Doch gleichzeitig sind<br />
Spuren für den, der auf der Suche ist, eine Offenbarung, da sie ihm nicht nur<br />
erzählen, was war, sondern auch, was alles noch möglich sein könnte. Um es mit<br />
den Worten eines französischen Philosophen zu sagen: Die Spur ist der „absolute<br />
Ursprung des Sinns“ (Jacques Derrida), sie verweist auf die „weißen Zonen“ der<br />
Vergangenheit, die es in der Kunst zu entdecken gilt.<br />
„Musik kann zunächst einmal gar nichts“, doch Olga Neuwirth (*1968) verkehrt<br />
ihre Wertung gleichzeitig wieder ins Gegenteil: „Nur, wenn es sie nicht gäbe, wäre<br />
es vielleicht für die Menschheit auch nicht besonders schön.“ Die österreichische<br />
Komponistin begibt sich in ihren Werken seit Mitte der 1990er Jahre auf die Suche<br />
nach diesem Nichts, indem sie den verwischten Spuren des gesellschaftlich<br />
Existenten folgt um daraus gleichsam ihre Schlüsse für die kommunikative Struktur<br />
ihrer Kompositionen zu ziehen. Olga Neuwirth wendet sich in „direkter Rede“ (Max<br />
Nyffeler) an die Gesellschaft und greift dafür auf mediale Darstellungstechniken<br />
wie Live-Elektronik und Videotechnik zurück. – Und dennoch entzieht sich ihre<br />
Musik einer Definition.<br />
Ihren freien Personalstil konnte die in Graz Geborene zunächst während ihrer<br />
Studienzeit am Conservatory of Music in San Francisco sowie am dortigen Art<br />
College entfalten: „Da wurde ich nicht wie bei uns in Europa danach gefragt, in<br />
welcher Tradition ich stehe.“ In Wien studierte sie von 1987 bis 1993 dann bei<br />
Erich Urbanner Komposition sowie bei Dieter Kaufmann und Wilhelm Zobl am<br />
Elektroakustischen Institut. Wesentliche Anregungen erhielt sie durch die Begegnung<br />
mit Luigi Nono, den Unterricht bei Adriana Hölsky und Tristan Murail sowie<br />
durch die Teilnahme am Stage d‘informatique musicale des IRCAM in Paris. Diese<br />
unterschiedlichen Einflüsse mündeten in Neuwirths integrativen Kompositionsansatz,<br />
der die Heterogenität des gesellschaftlich Relevanten in die Vielfalt musikalischer<br />
Darstellungstechniken verlagerte: So kennzeichnen unvermittelte Schnitte<br />
und kontrastive Gegenüberstellungen häufig das formale Erscheinungsbild ihrer<br />
Kompositionen. Auf der Basis eines im Vorhinein festgelegten Zeitrasters wird<br />
das Material durch Schnitt-, Überlagerungs- und Montagetechniken strukturiert.<br />
Innerhalb der einzelnen Ab-Schnitte darf sich das Material jedoch durchaus aus<br />
seinen Zwängen befreien und frei entfalten.
130 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 131<br />
Um die Befreiung gesellschaftlich präformierter Klänge ging es Olga Neuwirth auch<br />
in ihrem Streichquartett Akroate Hadal aus dem Jahr 1995. Wie in dem unmittelbar<br />
im Anschluss entstandenen ?risonanze!: für Violine d`armore, kommt es in Akroate<br />
Hadal durch minimale Verstimmungen der Saiten zu mikrotonalen Interferenzen.<br />
Neben der Verstimmung der Streichersaiten durch Skordatur – in den Erläuterungen<br />
zur Partitur heißt es unter anderem: Saite herunter stimmen „bis kurz vor der Erschlaffung“<br />
– verstärken ungewöhnliche Klangerzeugungsarten und Spieltechniken<br />
die Tendenz dieser Musik zum Geräuschhaften. Die Saiten der Violine werden mit<br />
Büroklammern präpariert, einem Plektron in Schwingung versetzt, oder angekratzt,<br />
doch der extrovertierte Gestus dieser Geräuschklänge verkehrt sich unentwegt<br />
ins Gegenteil. In Anlehnung an das mit dem Titel angesprochene Fabeltier „Vampyrotheutis<br />
Infernalis“ erinnert Akroate Hadal vielmehr an „einen sich windenden<br />
Organismus, der die von ihm hervorgebrachte Musik wieder in sich einzusaugen<br />
und förmlich zu verschlingen scheint“ (Stefan Drees).<br />
Wie Neuwirths Akroate Hadal so fußt auch Beat Furrers (*1954) apoklisis für zwei<br />
Bassklarinetten aus dem Jahr 2004 auf Interferenzen. Der österreichische Komponist<br />
und Dirigent schweizerischer Herkunft, der Verflechter filigraner Stimmverläufe, die<br />
auch im Fortissimo noch ein lautes Flüstern von sich geben, komponiert mit dem<br />
Bewusstsein, „dass jede Klanglichkeit einen bestimmten Raum hat, dass sich ein<br />
Klang im Raum bewegt und sich dabei verändert.“ So spielt das „Meta-Instrument“<br />
Raum auch in seinem Duo für Holzblasinstrumente eine große Rolle: apoklisis für<br />
zwei Bassklarinetten ergründet, was passiert, wenn „die beiden Klarinetten eine<br />
Schwebung spielen und sich gleichzeitig Schritt für Schritt voneinander weg bewegen.“<br />
Über den wichtigen Nebeneffekt, den die Komposition von komplementären<br />
Bewegungsabläufen mit sich bringt, sagte der Komponist: „Dabei soll man auch<br />
erfahren, soll man auch sehen können, warum sich ein bestimmter Klang verwandelt,<br />
was sich an den Wänden des Raumes, in dem das Publikum sitzt, verändert,<br />
oder den Bewegungen außerhalb des Raumes nachspüren.“<br />
Das im Titel enthaltene Begriffspaar „Abweichung/Annäherung“ bezieht sich nun<br />
einerseits auf die Bewegung im Raum (auf das sich voneinander Wegbewegen<br />
der Musiker) und andererseits auf den bewegten Klang (auf die Bewegung, die<br />
durch die Überlagerung zweier Schallwellen entsteht). Einem gegenseitigen sich<br />
Annähern „im“ Klang, entspricht ein voneinander Abweichen der Interpreten.<br />
In still (1998) für Klavier und Ensemble – der ursprüngliche Titel lautete wie die<br />
spätmittelalterliche Satztechnik „Hoquetus“ – versuchte Furrer die Bewegungsabläufe<br />
„einer mit hoher Geschwindigkeit lautlos rotierenden Metallscheibe“ in klingende<br />
Bilder zu übersetzen. Das Rotieren der Scheibe wird vom Betrachter gar nicht mehr<br />
wahrgenommen, ihre „unendlich energiegeladene Fläche (gefärbtes Rauschen)“<br />
erzeugt sogar eine ungewöhnliche Stille, bis sie sich wieder im lauten Geräusch<br />
entlädt. „Ein einziger forthallender Ton aus tausend Lerchenkehlen schlägt durch<br />
die brütende Sommerluft…“ – so lautet ein Zitat Georg Büchners, das für Furrer<br />
die ereignishafte Bewegungslosigkeit der Metallscheibe ins Bild fasste.<br />
„Still“ bezieht sich auf das Stille, Ruhige, aber gemäß seiner englischen Bedeutung<br />
auch auf das „immer noch“, auf eine „pulsierende Bewegung, die manchmal hörbar,<br />
manchmal weniger hörbar sich eigentlich durch das ganze Stück“ (Uli Fussenegger)<br />
zieht. Und still steht für Furrers Vorstellung von Zeit als nicht-linearem Prozess,<br />
„als ein Medium der Anwesenheit, indem alles wiederkehrt und doch nichts gleich<br />
ist – weil sich der Blick darauf konstant verändert“ (Wolfgang Fuhrmann). Während<br />
in apoklisis der Raum der Musik eine große Rolle spielt, scheint es in still die<br />
räumliche Vorstellung von Zeit zu sein, die zentral für das Werk ist. Der Komponist<br />
hat dies im Zusammenhang mit der klanglichen Entwicklung, des Stückes näher<br />
ausformuliert: „Im ‚Ausgangsklang’ ist immer schon ein ‚Zielklang’ enthalten: linearer<br />
Verlauf wird zur vielschichtig bewegten Fläche.“<br />
Fortschrittlichkeit, die im Übergang vom Alten zum Neuen entsteht, scheint für diese<br />
Musik kein Kriterium zu sein. Still wird eher von einem Kontinuum der Zeiten beseelt,<br />
indem Gewesenes und Zukünftiges im Augenblick zusammenschießt. Furrers<br />
Metallscheibe kreist um eine Stimme, von der auch Georg Büchner in Leonce und<br />
Lena spricht. Dieses Zitat stellt der Komponist bezeichnenderweise auch an den<br />
Schluss einer Werkeinführung: „Es reden viele Stimmen über der Erde und man<br />
meint sie sprächen von andern Dingen, aber ich hab` sie verstanden… wie sich<br />
diese Stimme durch den Raum gießt. – Ist denn der Weg so lang?“<br />
Im Werk der 1919 in Petrograd (St.Petersburg) geborenen und 2006 ebendort verstorbenen<br />
Galina Ustwolskaja hat eine tiefe Religiosität ihre Spuren hinterlassen.<br />
Nur wenige autorisierte Werke hat die Komponistin der Nachwelt hinterlassen, die<br />
den sozialistischen Realismus in ihren Kompositionen bald nicht mehr den Vorstellungen<br />
der Zensurbehörden entsprechend bedient hat. Sie, die im sowjetischen<br />
Musikleben eine Außenseiterrolle einnahm, wurde wegen ihrer künstlerischen<br />
Eigenständigkeit von Dimitri Schostakowitsch bewundert. In einigen Kompositionen<br />
Schostakowitschs finden sich Ustwolskaja-Zitate und der Lehrer prophezeite<br />
seiner ehemaligen Schülerin damals weltweiten Erfolg. „Ich bin überzeugt, dass die<br />
Musik Galina Ustwolskajas weltweite Anerkennung finden wird bei allen, die der<br />
Wahrhaftigkeit in der Musik entscheidende Bedeutung beimessen.“
132 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 133<br />
Ustwolskajas religiöse Komposition Nr. 1 mit dem Zusatz „Dona nobis pacem“<br />
entstand in der Zeit von 1970 bis 1971 und zeigt die Vorliebe der Komponistin für<br />
einmalige, außergewöhnliche Besetzungen: „Dona nobis pacem“ für Piccoloflöte,<br />
Tuba und Klavier ist das erste von insgesamt drei rein instrumentalen Werken, die<br />
sich auf ausgewählte Abschnitte des lateinischen Messtextes beziehen (nach Nr.<br />
1 folgten 1973 die Komposition Nr.2, „Dies irae“ für 8 Kontrabässe, Schlagzeug<br />
und Klavier und 1975 die Komposition Nr.3, „Benedictus, qui venit“ für 4 Flöten, 4<br />
Fagotte und Klavier). Die der Komposition Nr. 1 zugrundeliegende Friedensbitte<br />
„Dona nobis pacem“ erklingt nach der dreimaligen, litaneiartigen Christusanrufung<br />
(des Lamm Gottes) im Agnus Dei.<br />
Der Dreiteiligkeit eingedenk, komponierte Ustwolskaja eine dreiteilige, durchaus<br />
thematisch sich entwickelnde Variation über das Klage- und Seufzerintervall Sekund<br />
und schloss in ihr Stück auf diese Weise auch die Tradition abendländischer Kunst<br />
und geistlicher Musik mit ein. Die Phrase, welche die Tuba eingangs im Fortissimo<br />
vorstellt, gefolgt von zwei ineinander verschachtelten Sekundfolgen und einem<br />
strukturbildenden Glissando, gibt schon die Richtung vor, die Ustwolskajas Trio<br />
einschlägt: In ihrer Komposition führt die Arbeit mit Kleinstzellen zu einer Verdichtung<br />
des Materials, die in „Sekundhäufen“ und mit Fäusten und Unterarmen ausgeführten<br />
Clustern kulminiert. Dabei weist das Notenbild sämtliche Charakteristiken von<br />
Ustwolskajas typischen Schreibstils auf: ohne Taktstriche notiert, rhythmisch und<br />
metrisch fasslich strukturiert, von Terrassendynamik und dynamischen Extremen<br />
gekennzeichnet.<br />
Der im weitesten Sinne religiöse Impuls durchdringt auch die Musik des französischen<br />
Komponisten Mark Andre. Der 1964 in Paris Geborene (seit dem Jahr 2007 lässt<br />
er den französischen Akzent seines Nachnamen weg) studierte unter anderem bei<br />
Gérard Grisey, einem Wegbereiter der Spektralmusik, in Frankreich und bei Helmut<br />
Lachenmann, dem Begründer der „musique concrète instrumentale“, in Deutschland.<br />
Lachenmann hat die Musik seines ehemaligen Schülers trotz ihrer vororganisierten<br />
Zeit/Klangräume und ihrer objektivierten Datensysteme als anrührend beschrieben<br />
und Andres „Lust an der Utopie“ betont: Seine „Klänge beziehen ihre Kraft aus der<br />
utopischen Perspektive, die sie repräsentieren. So schön sie sind, sie weisen auf<br />
Anderes, Unfassbares.“ Und der Lehrer sprach über den transzendenten Urgrund<br />
dieser utopischen Klangwelt. Andres Musik reagiere insbesondere auf die Erfahrung<br />
von Vergänglichkeit, Krankheit und Tod. „Wer diese Musik hört, sich ihr aussetzt,<br />
wird vom Zuhörenden zum Hörenden, zum Beobachtenden, zum Wahrnehmenden,<br />
zum Ahnenden, will sagen: zum Fragenden, will sagen: zum Entdeckenden seiner<br />
eigenen Sensibilität“.<br />
Häufig tragen Andres Werke Titel, die mehr als eine Bedeutung haben und zwischen<br />
Leben und Tod vermitteln, so auch das 2004 komponierte und 2005 revidierte Stück<br />
Asche für Bassflöte, Bassklarinette und Klarinette, Viola, Violoncello und Klavier.<br />
Zunächst fällt die Skalierung einzelner Parameter auf, etwa des Bogendrucks<br />
der Streicher oder des Geräuschanteils unterschiedlicher Blastechniken, die auf<br />
Andres serielle Art zu denken zurückzuführen sind. Für die Streichinstrumente<br />
ebenso wie für die Blasinstrumente und das Klavier existieren eine Vielzahl von<br />
außergewöhnlichen Klängen erzeugende Spielanweisungen. Sie reichen von<br />
„Cluster mit der Handfläche auf die Saiten“ bis hin zu „die Saiten mit einem Stück<br />
Fahrradreifen aus Kautschuk (ungefähr 6 cm 2 ) reiben“ und verraten den Einfluss<br />
von Lachenmanns subtiler Geräuschmusik. Doch im Verlauf des zehnminütigen,<br />
auf vordisponierten Zeitrastern aufbauenden, Stücks fällt vor allen Dingen seine<br />
klangfarbliche Ambivalenz auf: Diese Asche ist grau, weiß, schwarz. Doch sie ist<br />
auch Transformation des ehemals Bunten und lässt die Spuren des Lebendigen in<br />
den Nuancen einer zwischen Farbigkeit und Farblosigkeit changierenden Klangwelt<br />
ganz offensichtlich werden.<br />
Galina Ustwolskaja, Komposition Nr.1 | Sikorski
134 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 135<br />
Jam Session<br />
Ernesto Molinari, Klarinette<br />
Uwe Dierksen, Posaune<br />
Robyn Schulkowsky, Schlagzeug<br />
6. August 2010, 22:30 Uhr<br />
Turnhalle St.Gallen<br />
Jam Session<br />
engl. to jam improvisieren, session Sitzung<br />
Der Klarinettist Ernesto Molinari, der Posaunist Uwe Dierksen und die Schlagzeugerin<br />
Robyn Schulkowsky finden sich in ein improvisierendes Spiel ein, bei dem<br />
sie im Vorhinein nie wissen, was sie erwartet.
136 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 137<br />
Clouds<br />
Arnold Schönberg (1874-1951)<br />
Streichtrio op.45 (1946)<br />
Miroslav Srnka (*1975)<br />
Tree of Heaven (2010)<br />
für Violine, Bratsche und Violoncello<br />
Uraufführung<br />
Kompositionsauftrag des WDR<br />
Friedrich Cerha (*1926)<br />
9 Bagatellen (2008)<br />
für Streichtrio<br />
Iannis Xenakis (1922-2001)<br />
Ikhoor (1978)<br />
für Streichtrio<br />
Zebra Trio<br />
Ernst Kovacic, Violine<br />
Steven Dann, Viola<br />
Anssi Karttunen, Violoncello<br />
7. August 2010, 20:00 Uhr<br />
Burg Gallenstein, St.Gallen<br />
Hinter den Wolken<br />
„Aus dem Trümmerfeld wird wieder ein Kraftfeld.“ – So soll sich der deutsche<br />
Komponist Helmut Lachenmann nach einer Aufführung von Schönbergs Streichtrio<br />
op. 45 geäußert haben. Enthusiastisch fiel sein Urteil vor allem über Schönbergs<br />
Zwölftonkomposition aus, die, aus den „Fetzen der Vergangenheit“ zusammengesetzt,<br />
vor seinen Augen ein ganz neues Bild ergab. Arnold Schönberg (1874-1951)<br />
zog in seinem Kammermusikwerk aus dem Jahr 1946 das Resümee einer langen<br />
Gattungsgeschichte und verarbeitete der variativen und strukturell freien Anlage<br />
des Streichtrios entsprechend unterschiedliche Deklamationsstile und musikalische<br />
Genres.<br />
Doch dieses Spätwerk Schönbergs kreist nicht nur um Gattungsgeschichtliches.<br />
Es ist gleichzeitig auch eine „humoristische Darstellung“ eines ganz persönlichen<br />
Erlebnisses: In den USA erlitt der Komponist im Jahr 1946 einen Herzinfarkt, von<br />
dem er sich nur langsam erholte. Kurz darauf begann er mit der Komposition des von<br />
der Harward University in Auftrag gegebenen Streichtrios, in dem er Krankheit und<br />
Genesung verarbeitete. Schönbergs Aufarbeitung spiegelt sich in der zerklüfteten<br />
Zeitstruktur des Werkes wider. Darüber hinaus wird das persönlich Empfundene<br />
von Zitaten aus der Musikgeschichte chiffriert: Hörbar werden „Visionen nie zuvor<br />
gehörter musikalischer Sprachen, […] ebenso wie nahe und ferne Erinnerungen<br />
ans Idiom der Romantik und ans alte Wien, in traumhafter, sublimierter, irreal verzauberter<br />
Gestaltlaut“ (Heinz Klaus Metzger). Doch nicht nur mit seinem Klang- und<br />
Melodienreservoir, sondern auch in seinem Formverlauf sucht das Streichtrio den<br />
Bezug zur Tradition. Denn trotz der Verdichtung der mehrteiligen Form in einem<br />
Satz mit „double-function“ wird ein gewohntes Wiederholungs- und Variationsprinzip<br />
angewendet. Doch dafür herrscht im Kleinen rege Unmittelbarkeit: So sind die<br />
musikalischen Gedanken bisweilen kaum zu Ende geführt und werden schon vom<br />
nächsten abgelöst. Kaum eine Idee hält sich länger als drei Takte und auch die<br />
Spielweisen zur Erzeugung von relativ geräuschhaften Klängen ändern sich beinahe<br />
jeden Augenblick: Quasi Triller, Flagolett, Spiccato, Col legno, Sul ponticello (das<br />
Schönberg zufolge einen „unkörperlichen Klang“ erzeugen soll).<br />
Die Neun Bagatellen für Streichtrio des österreichischen Komponisten Friedrich<br />
Cerha (*1926) erinnern an die Miniatur- und Momentformen des Schönberg-<br />
Schülers Anton Webern und stehen, wenn auch in losem, so doch in Bezug zu<br />
Anton Weberns Sechs Bagatellen (1911). Cerhas neun „Kleinigkeiten“ entstanden<br />
auf Anregung von Ernst Kovacic und stellten seinen ersten Versuch seit Anfang der
138 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 139<br />
1950er Jahre dar, sich wieder in dieser Gattung zu versuchen. Cerha sprach über<br />
die Entstehung der Neun Bagatellen, die strukturellen Implikationen der Gattung<br />
Streichtrio und seine kompositorische Umsetzung:<br />
„Das musikalische Denken für die Streicher hat mich sofort gereizt. Es fördert ein<br />
Eingehen auf drei gleichberechtigte Individuen und zwingt noch mehr als das Streichquartett<br />
zu einem Miteinander oder Nebeneinander von polyphonem, stimmigem<br />
Geschehen, eine Hierarchie der Stimmen hat hier viel weniger Platz. In mir hat sich<br />
in den letzten Jahren eine Abneigung gegen den Fluss von breit ausgesponnenen<br />
„gearbeiteten“ Verläufen entwickelt; umso wichtiger wurde mir Direktheit, die möglichst<br />
griffige Gestaltung des unmittelbaren spontanen Einfalls.<br />
Ich habe mich schon in den 1970er Jahren – bei der Herausgabe von Weberns<br />
nachgelassenen Orchesterstücken und -fragmenten von 1913 – mit der knappen<br />
Form und zyklischen Reihung solcher Kleinformen auseinandergesetzt. Das führte<br />
zur Kleinräumigkeit, wie etwa in den Orchesterstücken Momente und Instants,<br />
innerhalb größerer Werke, aber auch zu Kurzformen wie in Flöten- und Klarinettenstücken<br />
mit Klavier.<br />
In beiden Fällen sah ich mich gezwungen, über eine überzeugende Dramaturgie<br />
des Ablaufs nachzudenken und trotz unterschiedlicher Charaktere erkennbare<br />
Materialbeziehungen herzustellen. Dem entsprechen die Bagatellen für Streichtrio,<br />
neun stark unterschiedene Miniaturen, die – wie ich hoffe – trotzdem im Ablauf eine<br />
zwingende Einheit bilden.“<br />
Während Cerha für jede seiner Neun Bagatellen ganz neue Materialmaßstäbe setzte<br />
und seine wechselnden kompositorischen Ideen in diesen knappen Formen auch<br />
auf engstem Raum auszubilden wusste, konzipierte Iannis Xenakis (1922-2001)<br />
sein Werk für Streichtrio mit dem Titel Ikhoor als Unform. Xenakis hatte nicht nur<br />
ein Faible für stochastische (die Wahrscheinlichkeitstheorie betreffende) Kompositionsmethoden,<br />
sondern, als ehemaliger Assistent von Le Corbusier in Paris, auch<br />
eine Vorliebe für die bildhafte musikalische Übersetzung musikfremder Strukturen:<br />
Seien es das Schlangenhaar der Gorgonin Evryali oder die rhythmische Struktur<br />
der Gedichte einer griechischen Lyrikerin, oder etwa jene durchsichtige Flüssigkeit<br />
mit Namen Ikhoor, die anstelle des Blutes in den Adern der Götter fließt.<br />
In Ikhoor, uraufgeführt im Jahr 1978 an der Pariser Opéra, fließt es einmal schneller,<br />
einmal langsamer, gerät ins Stocken und nimmt an Geschwindigkeit zu. Komplizierte<br />
rhythmische Proportionen prägen die Verläufe der Einzelstimmen und im<br />
Zusammenwirken dieser Einzelstimmen steigert sich die Komplexität der metrischen<br />
Verhältnisse derart, dass ein „dreidimensionales Hören“ möglich wird. Beim Anhören<br />
dieses Stückes entsteht der Eindruck, die Flüssigkeit bahnt sich tatsächlich im<br />
Inneren der Götter-Körper, einer träg sich windenden Masse, ihren Weg.<br />
Tree of Heaven<br />
Von Miroslav Srnka<br />
Es ist merkwürdig, wie groß der Unterschied zwischen einem Streichquartett und<br />
einem Streichtrio für einen Komponisten ist. Die Beschränkung auf drei statt vier<br />
Instrumente unterstreicht die solistische Qualität. Mein Stück beschäftigt sich eher mit<br />
den Individualitäten als mit den Gemeinsamkeiten im Gefüge des Streichtrios.<br />
Die erste Idee zu diesem Stück kam mir letztes Jahr im Temple of Heaven in Peking.<br />
„Tree of Heaven“ ist der englische Name von Ailanthus altissima (Götterbaum, auch<br />
Himmelsbaum oder Bitteresche) – einem in China und mittlerweile auch anderswo<br />
häufig wachsendem Baum, der als Metapher für einen Gegensatz gesehen werden<br />
kann: Einerseits wird er von jeher in der traditionellen Medizin benutzt, andererseits<br />
rottet er alle neben ihm wachsenden Pflanzen aus.<br />
Dieses Stück aber handelt keineswegs von Pflanzen. Es nimmt einen ähnlichen<br />
Weg wie beim Klettern auf einen großen Baum. Einen Weg, der von starken Wurzeln<br />
über vielfach verzweigte Äste bis in die allerkleinsten Ausläufer führt, die in den<br />
freien Raum ragen. Auch dies ist doppeldeutig: Will die Musik eher die Sicherheit<br />
des Bodens oder die Gefahr der Höhe?<br />
Die ursprünglich bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik geplante Uraufführung<br />
wurde durch die Asche des Eyjafjalla verhindert. Den Kompositionsauftrag<br />
gab der WDR.
140 muSIkProgramm<br />
muSIkProgramm 141<br />
Finale furioso<br />
Ein großes Abschlussfest auf allen Ebenen<br />
Uwe Dierksen, Posaune<br />
Dieter Flury, Flöte<br />
Ernst Kovacic, Violine<br />
Ernesto Molinari, Klarinette<br />
Robyn Schulkowsky, Schlagzeug<br />
8. August 2010, 20:00 Uhr<br />
Burg Gallenstein, St.Gallen<br />
Finale Furioso<br />
Surprise II<br />
… produktive Überraschungen, die nicht die Bestätigung des Immergleichen<br />
darstellen.<br />
Uwe Dierksen spielt Eric Clapton, Frank Zappa und Luciano Berio.<br />
Dieter Flury spielt Edgar Varèse, Heinz Holliger und Klaus Huber.<br />
Ernst Kovacic spielt Friedrich Cerha und Johannes Maria Staud.<br />
Ernesto Molinari spielt Helmut Lachenmann, Johannes Maria Staud und Michael<br />
Jarrell.<br />
Robyn Schulkowsky improvisiert und spielt Werke von Robyn Schulkowsky.<br />
… sowie Improvisationen in den verschiedensten Konstellationen.<br />
Stellen Sie sich auf vier Ebenen der Burg Gallenstein Ihr eigenes Programm zusammen.
142 uraufführungen<br />
uraufführungen 143<br />
Uraufführungen<br />
Kompositionsaufträge des <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>s<br />
Eun-Hwa Cho<br />
Bernhard Gander<br />
Johannes Maria Staud<br />
Hèctor Parra<br />
Kompositionsauftrag des WDR<br />
Miroslav Srnka<br />
Eun-Hwa Cho<br />
Jouissance de la différence<br />
für Ensemble<br />
Uraufführung am Dienstag,<br />
3. August 2010, 20:30 Uhr<br />
Abîme – Abgrund<br />
ensemble recherche<br />
Kirche St.Gallen<br />
Bernhard Gander<br />
aufstiegabstieg<br />
für Baritonsaxophon, Bassklarinette,<br />
Tenorposaune<br />
Uraufführung am Mittwoch,<br />
4. August 2010, 11:00 Uhr<br />
Schwarzer Peter<br />
Marcus Weiss, Donna Molinari,<br />
Uwe Dierksen<br />
Haindlkar<br />
Johannes Maria Staud<br />
Neues Werk<br />
für Posaune Solo<br />
Uraufführung am Mittwoch,<br />
4. August 2010, 11:00 Uhr<br />
Schwarzer Peter<br />
Uwe Dierksen<br />
Haindlkar<br />
Hèctor Parra<br />
Piano Sonata<br />
für Klavier Solo<br />
Uraufführung am Mittwoch,<br />
4. August 2010, 20:00 Uhr<br />
Canti Notturni<br />
Nicolas Hodges<br />
Kirche St.Gallen<br />
Miroslav Srnka<br />
Tree of Heaven<br />
für Violine, Bratsche und Violoncello<br />
Kompositionsauftrag des WDR<br />
Uraufführung Samstag,<br />
7. August 2010, 20:00 Uhr<br />
Clouds<br />
Zebra Trio<br />
Burg Gallenstein
144 bIldende kunSt<br />
bIldende kunSt 145<br />
Bildende Kunst<br />
Satt sehen – Vom Essen in der Kunst<br />
Schwanenstille | PRINZGAU / podgorschek<br />
…miramondo multiplo… | Olga Neuwirth<br />
Satt sehen – Vom Essen in der Kunst<br />
Kuratiert von Franz Part und Irena Rosc<br />
Die Ausstellung „Sattsehen“ beschäftigt sich einem der global wichtigsten Themen:<br />
mit Nahrung und ihren Aspekten und Spuren in der Kunst.<br />
„Sattsehen“ präsentiert Originale, Multiples und Repliken zeitgenössischer und<br />
moderner Künstler, die sich mit dem Thema Essen auseinandersetzen oder in<br />
deren Werken essbare Dinge oder Lebensmittel vorkommen. Einige der Werke<br />
entstanden eigens für die Schau, etwa die Werke von Arnulf Neuwirth, Karl Korab<br />
und Heinz Cars.<br />
Die überraschende und multiperspektivische Zusammenstellung enthält aber auch<br />
Originale von Duchamp, Beuys und anderen.<br />
Ort: Naturparkzentrum St.Gallen | <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />
Eröffnung: Freitag, 30. Juli 2010, 11:00 Uhr<br />
Dauer: 30. Juli – 29. August 2010, 9:00 – 18:00 Uhr<br />
Werke von:<br />
Allison Knowles<br />
Arnulf Neuwirth<br />
Christian Ludwig<br />
Attersee<br />
Claes Oldenburg<br />
Danica Phelps<br />
Ecke Bonk<br />
Edgar Tezak<br />
Eric Andersen<br />
Lenka Baburek<br />
Franz Part<br />
Franz Josef Altenburg<br />
Georg Herold<br />
Heinrich Campendonk<br />
Heinz Cars<br />
Henri Matisse<br />
Irena Rosc<br />
James Welling<br />
John Armleder<br />
Joseph Beuys<br />
Karl Korab<br />
Kaspar König<br />
Klaus Staeck<br />
Marcel Duchamp<br />
Margit Denz<br />
Mel Ramos<br />
Michael Part<br />
Pablo Picasso<br />
Robin Page<br />
Rosemarie Trockel<br />
Anonym:<br />
Chinesischer Holzschnitt<br />
Indische Miniaturen<br />
Repliken von:<br />
Andy Warhol<br />
Ian Hamilton Finlay<br />
Joseph Beuys<br />
Man Ray<br />
Marcel Brothaers<br />
Marcel Duchamp<br />
Martin Gostner<br />
Meret Oppenheim<br />
Rene Magritte<br />
Robert Watts<br />
Salvador Dali
Joseph Beuys, Gib mir Honig (Postkarte) Robert Watts, Bottle Bottleopener (Replik)
148 bIldende kunSt<br />
bIldende kunSt 149<br />
Arnulf Neuwirth, Nahrhafte Landschaft Marcel Duchamp, Verabredung zum Lunch mit Mr. Barr (Brief)<br />
Alfred Hamilton Barr Jr. (1902-1981) war ein US-amerikanischer Kunsthistoriker und Gründungsdirektor<br />
des Museum of Modern Art in New York. Als erster brachte er in den USA Architektur, Grafik<br />
Design, Fotografie, Musik und Film in Zusammenhang mit Malerei und Bildhauerei.
150 bIldende kunSt<br />
bIldende kunSt 151<br />
Karl Korab, Gesegnete Mahlzeit<br />
Franz Part, Scheppernde Herzen Irena Rosc, Apron Nr.1
152 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung 153<br />
Ecke Bonk, ABC Buchstaben Suppe Marcel Duchamp, Flaschentrockner
154 bIldende kunSt<br />
bIldende kunSt 155<br />
Vom Essen reden und schreiben<br />
Franz Schuh<br />
Gerne wäre ich Restaurantkritiker geworden. Aus Furcht vor den juristischen<br />
Folgen meiner geschliffenen Betrachtungen über das Servierte, habe ich es aber<br />
sein lassen. Hin und wieder stehe ich kurz davor, eine Phänomenologie der Wiener<br />
Kaffeehauskellner zu verfassen: Das sind manchmal Menschen, die, wenn sie nicht<br />
virtuos schleimen, einen jeden zur Schnecke machen, mit deren Geschwindigkeit<br />
sie sich am liebsten selber über das Parkett bewegen. Diese Kellner machen jeden<br />
Gast so klein, dass er nur mehr ihre Größe wahrnehmen kann. Ihre Arroganz,<br />
exekutiert in der schlechtesten Laune von der Welt, ist ein kostbares Gut der Anthropologie.<br />
Leider muss ich auch auf diesem Gebiet zurückhaltend sein und darf<br />
die polemischen Möglichkeiten nicht ausschöpfen, denn wo sonst soll ich hingehen,<br />
wenn nicht ins Kaffeehaus?<br />
In meinem Beruf, ich bin Kulturkritiker, habe ich einmal die Ausgabe einer Zeitschrift<br />
– sie heißt Tintenfass und im Untertitel Das Magazin für den überforderten<br />
Intellektuellen rezensiert. Besagte Ausgabe war reichlich dem Essen gewidmet, und<br />
zwar aus der Frage heraus: Warum reden alle vom Essen?, und eine der ersten<br />
Antworten müsste wohl lauten, weil sie überfressen sind. Überredet sind sie auch<br />
und das zeigt sich darin, dass die Leute dies und jenes für gut halten, von dem ich<br />
nicht glauben kann, dass sie’s wirklich glauben. Ich beschäftige mich seit Jahren -<br />
in Theorie und Praxis - mit dem von mir so genannten „pseudoguten“ Restaurant.<br />
Ein pseudogutes Restaurant ist ein solches, dass alle Accessoires, alle Attribute<br />
eines guten ausgestellt hat; es hat jedoch bloß die äußeren Kennzeichen der Güte<br />
inszeniert, ganz in der Art, in der man auf dem Theater eine Schlacht inszeniert,<br />
die in Wirklichkeit natürlich keine ist. Ist die Schlacht, die keine ist, gut inszeniert,<br />
dann glauben die Leute, was sie sehen. Sind im pseudoguten Restaurant die Attribute<br />
der Qualität geschickt präsentiert, schmeckt manchen Leuten sogar, was<br />
sie dort essen.<br />
Der Witz dabei ist, dass die Leute die äußeren Kennzeichen des Guten konsumieren<br />
und dabei den Eindruck von Qualität gewinnen. Solch einen Eindruck zu<br />
erwecken, ist auch eine Kunst – allerdings hat sie mit Kochkunst nichts zu tun. Man<br />
kann sagen, pseudogute Lokale haben einen Mythos um sich geschaffen, aus sich<br />
gemacht, und der „Mythos“ ist traditionell Gegenstand der Kritik und des Kritikers.<br />
Als Kritiker frage ich, ob es nicht grundsätzlich einen „Mythos Essen“ gibt, der<br />
durch unserer Reden und Schreiben darüber am Leben gehalten wird. Es gibt ja<br />
auch Menschen, denen das Reden vom Essen zuwider ist. Rolf Dieter Brinkmann<br />
zum Beispiel, der 1975 gestorbene deutsche Dichter, hat in seinem Buch „Rom,<br />
Blicke“ einen Typus kunstausübender Spießer, spießiger Bohemiens, dadurch<br />
charakterisiert, dass diese Leute so gerne das Essen in den Mund nehmen, nicht<br />
nur wörtlich, sondern auch bildlich, also rhetorisch. Die quatschen andauernd rum,<br />
wo’s was Gutes gibt und wo’s weniger gut ist; sie sind von der Behaglichkeit, die<br />
aus dem Bauch kommt, erfüllt.<br />
Es liegt also ein Problem vor. Man kann es, wie das bei Problemen zumeist der<br />
Fall ist, anhand zweier gegensätzlicher Positionen diskutieren. Zum Essen sagte<br />
Wittgenstein: “Egal was, Hauptsache es ist immer dasselbe.“ Das ist überhaupt<br />
ein Mustersatz der Gleichgültigkeit; eine geniale Maxime: Angesichts einer Sache,<br />
die einem keine Wahl lässt – Essen (und übrigens auch Sterben) muss der<br />
Mensch! –, hält man sich mit so einer Maxime die Anforderung vom Leib, man<br />
solle da auch noch „differenzieren“, also Unterscheidungen treffen. Wurscht was,<br />
essen muss man halt!<br />
Das zweite Zitat räumt mit dem ersten auf: „Wem am Essen nichts liegt, dem liegt<br />
auch an anderen Dingen nicht viel.“ So sprach Dr. Samuel Johnson, und in seinem<br />
Satz liegt für mich die Wahrheit, dass das Gebot der Selbstsorge es gar nicht zulässt,<br />
mit etwas gleichgültig umzugehen, das – wie das Essen – sein muss. Wer (sich)<br />
aus der Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme nichts macht (oder wer sich mit<br />
Mythen abspeisen lässt), wer nicht ein Stück Freiheit und Kultur daraus gewinnt,<br />
der ist wahrscheinlich auch sonst kein Hoffnungsträger.
156 bIldende kunSt<br />
bIldende kunSt 157<br />
Schwanenstille<br />
PRINZGAU / podgorschek<br />
Kunst im öffentlichen Raum<br />
schwanenstille eine sendepause ist die stille nach dem klirren, nach dem desaster.<br />
ein schlund öffnet sich und der schwan zieht sich zurück. es wird still um den<br />
mythos und um die glorie, die einmal verführerisch geschienen. und der glanz<br />
verschmiert und verblasst vor der spiegelung. der spießrutenlauf zwischen obelisk<br />
und natur läßt die heroen steif werden und die hälse strecken. schwanenstille ist<br />
eine installation der erinnerung.<br />
www.prinz-pod.at<br />
Ort: Gemeinde St.Gallen<br />
Dauer: 28. Juli – 8. August 2010<br />
Olga Neuwirth. …miramondo multiplo…<br />
Klanginstallation mit Film<br />
Text von Stefan Drees<br />
In …miramondo multiplo…, einer filmischen Arbeit, die als Grundlage für die gleichnamige<br />
Medieninstallation fungierte, die Olga Neuwirth 2007 auf der „documenta 12“ in Kassel<br />
präsentierte, geht es primär um Zeit. Mit nur wenigen Elementen thematisiert der kurze<br />
Film den langwierigen Prozess des Schreibens bzw. Komponierens und Skizzierens<br />
eines Werkes: Zu sehen ist, aufgenommen von der Unterseite einer liegenden Glasplatte<br />
aus, wie sich auf einem durchsichtigen Notenblatt allmählich die skizzenhaften<br />
Anfänge einer Komposition entwickeln, wie sie nach und nach instrumentiert werden<br />
und sich zuletzt zu einer einzigen Partiturseite aus Neuwirths 2006 entstandenem Werk<br />
…miramondo multiplo… für Trompete und Orchester verdichten. Die Soundebene des<br />
Films bezieht die permanenten Geräusche von Bleistift und korrigierend eingesetztem<br />
Radiergummi mit ein und konfrontiert sie mit der quasi im Kopf stattfindenden Klangvorstellung<br />
der schreibenden Person, die räumlich leicht verhallt und verschwommen<br />
zu vernehmen ist. Auf diese Weise vermittelt die gewählte Konstellation – künstlerische<br />
Darstellung eines Problems, mit dem sich die Komponistin auch in anderen Arbeiten<br />
auseinandergesetzt hat – einen Eindruck vom mühsamen Übersetzen jener Musik, die<br />
sich bereits im Kopf befindet, in ein Notensystem, das überhaupt erst die Bedingung<br />
dafür darstellt, dass die musikalischen Ideen später von Musikern umgesetzt, also<br />
jenseits der Imagination klanglich realisiert werden können.<br />
Idee und Musik: Olga Neuwirth<br />
Courtesy: Galerie Charim und documenta 12<br />
Klangmaterial: bearbeitete Ausschnitte aus dem II. und IV. Satz des Trompetenkonzertes<br />
...miramondo multiplo... von Olga Neuwirth, Wiener Philharmoniker unter der Leitung<br />
von Pierre Boulez, Salzburger Festspiele 2006<br />
Solotrompete: Håkan Hardenberger<br />
Länge: 17 min, Live-Mitschnitt/ORF 2006<br />
Kamera: Martin Putz<br />
Digital composing: Christian Stoppacher<br />
Produktion: kurt mayer film/wien 2007<br />
Sound Design und Audioproduktion der Klanginstallation: IEM – Institut für Elektronische<br />
Musik und Akustik, Universität für Musik und darstellende Kunst Graz.<br />
Ort: Versandhalle Georg Fischer Automotive, Altenmarkt<br />
Eröffnung: Sonntag, 1. August 2010, 11:00 Uhr<br />
Dauer: 30. Juli – 1. August 2010, 11:00 – 19:00 Uhr
158 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 159<br />
Biographien der KomponistInnen<br />
und KünstlerInnen<br />
Peter Ablinger<br />
Mark Andre<br />
Georges Aperghis<br />
Luciano Berio<br />
Friedrich Cerha<br />
Eun-Hwa Cho<br />
Morton Feldman<br />
Beat Furrer<br />
Bernhard Gander<br />
Gérard Grisey<br />
Heinz Holliger<br />
Klaus Huber<br />
Michael Jarrell<br />
Helmut Lachenmann<br />
Bernhard Lang<br />
György Ligeti<br />
Francisco Lopez<br />
Tristan Murail<br />
Olga Neuwirth<br />
Hèctor Parra<br />
Emilio Pomárico<br />
PRINZGAU / podgorschek<br />
Wolfgang Rihm<br />
Lucia Ronchetti<br />
Arnold Schönberg<br />
Giacinto Scelsi<br />
Salvatore Sciarrino<br />
Johannes Maria Staud<br />
Miroslav Srnka<br />
Galina Ustwolskaja<br />
Edgar Varèse<br />
Claude Vivier<br />
Iannis Xenakis<br />
Frank Zappa<br />
Hans Zender<br />
Peter Ablinger. „Die Klänge sind nicht die Klänge! Sie sind da, um den Intellekt<br />
abzulenken und die Sinne zu besänftigen. Nicht einmal das Hören ist das Hören:<br />
Das Hören ist das, was mich selbst erschafft.“<br />
Der in Schwanenstadt, Österreich, geborene Peter Ablinger ist, so hat es Christian<br />
Scheib einmal formuliert, ein „Mystiker der Aufklärung“, dessen „Anrufungen und<br />
Litaneien auf das Erkennen abzielen“. Gleichzeitig ist der Komponist, der - nach<br />
einem Grafikstudium - bei Gösta Neuwirth und Roman Haubenstock-Ramati<br />
studierte und seit 1982 in Berlin lebt, ein Skeptiker, der um die durch Tradition<br />
aufgezwungenen kulturellen Spielregeln und (schlechten) Angewohnheiten weiß:<br />
„Spielen wir also weiter und sagen: Die Klänge sind da, um zu hören (-nicht um<br />
gehört zu werden. Das ist etwas anderes). Und das Hören ist da, um aufzuhören.<br />
Mehr weiß ich auch nicht.“ (Christian Baier)<br />
Mark Andre wurde 1964 in Paris geboren, er lebt in Berlin. Er studierte 1987–93 am<br />
Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris u.a. Komposition bei Claude<br />
Ballif und Gérard Grisey und promovierte 1994 nach Studien am Centre d’Études<br />
Supérieures de la Renaissance und der Pariser Ecole Normale Supérieure über<br />
das Thema „Le compossible musical de l‘Ars subtilior“. 1993–96 setzte er sein<br />
Kompositionsstudium an der Stuttgarter Musikhochschule bei Helmut Lachenmann<br />
fort. Seit 1997 unterrichtet Mark Andre Kontrapunkt und Instrumentationslehre am<br />
Conservatoire National de Région de Strasbourg und an der Musikhochschule<br />
Frankfurt am Main. 1997 nahm er ein Studium der Musikelektronik bei André<br />
Richard im Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR Freiburg auf.<br />
Er erhielt zahlreiche Stipendien, u.a. der Villa Medici in Rom 1998–2000 und des<br />
DAAD 2005. Sein Werk wurde vielfach mit Preisen ausgezeichnet und gefördert,<br />
u.a. Kranichsteiner Musikpreis der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik<br />
Darmstadt (1996), 1. Preis des Internationalen Kompositionswettbewerbs Stuttgart<br />
(1997), Kompositionsförderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung (2002), Giga-<br />
Hertz-Preis für elektronische Musik, Orchesterpreis der Donaueschinger Musiktage<br />
für … auf … III (2007), Förderpreis des Berliner Kunstpreises der Akademie der<br />
Künste Berlin (2008). Mark Andre erhielt Kompositionsaufträge u.a. von Ensemble<br />
Modern, ensemble recherche, Trio Accanto, Klangforum Wien, KNM Berlin, Les<br />
Percussions de Strasbourg, Ensemble Alternance.<br />
Georges Aperghis, geboren 1945 in Athen, lebt seit 1963 in Paris. Der Sohn<br />
eines Bildhauers und einer Malerin kam über autodidaktische Studien zur Musik.<br />
Er teilt sein Leben zwischen seiner rein kompositorischen Arbeit und dem „théâtre<br />
musical“, als dessen aktivster Vertreter er gilt. 1976 gründete er das Atelier Théâtre<br />
et Musique (ATEM), das seit 1991 in Bagnolet am Théâtre Nanterre-Amendiers
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bIograPhIen 161<br />
beheimatet ist. In ständiger Zusammenarbeit mit Musikern und Schauspielern<br />
entwickelt er hier szenische Spiele, die vom Alltagsleben, von sozialen Fakten, in<br />
poetische – oft satirische oder absurde Welten transportiert sind. Daneben aber<br />
blieb er der Kammer- und Orchestermusik treu. Er komponierte eine Reihe von<br />
Werken für Instrumente oder Stimme allein, meist für Interpreten, die ihm nahe<br />
stehen. Oft fließen auch in diese Stücke theatralische Momente ein. Er erhielt u.a.<br />
1998 den Grand Prix National de la Musique. Zu seinen Werken zählen: Die Hamletmaschine<br />
– Oratorio (2000), Dark Side für Mezzosopran und 18 Musiker (2003),<br />
Wölfli Cantata für Soli und Chor (2006), Contretemps für Sopran und Ensemble<br />
(2005), Zeugen (Musiktheater 2006–07).<br />
Luciano Berio. 1925 in Oneglia, Italien geboren, studierte von 1945 bis 1950<br />
Kontrapunkt und Komposition am Konservatorium in Mailand. 1950 heiratete er<br />
die Sängerin Cathy Berberian, die entscheidenden Einfluss auf seine Vokalwerke<br />
ausübte. In den Jahren von 1953 bis 1960 arbeitete Berio für den italienischen<br />
Rundfunk (RAI) in Mailand, wo er zusammen mit Bruno Maderna 1955 das Studio<br />
di Fonologia, eines der wichtigsten europäischen Zentren für die Produktion elektronischer<br />
Musik gründete. 1960 begann er mit seiner Lehrtätigkeit. Zunächst mit<br />
einem Kompositonskurs in Tanglewood, dann an der Dartington Summer School,<br />
von 1962 bis 1964 am Mills College in Oakland und von 1965 bis 1971 an der<br />
Harvard University und der Juillard School of Music in New York, wo er das Juillard<br />
Ensemble gründete. In den Jahren 1974 bis 1980 leitete Berio die Abteilung<br />
Elektroakustik am Pariser IRCAM. Berio war außerdem künstlerischer Leiter und<br />
Chefdirigent des Kammerorchester Israel (1975–1977) und Leiter der Accademia<br />
Filarmonica Romana (seit 1977). Neben Bruno Maderna und Luigi Nono ist Luciano<br />
Berio die zentrale Figur der italienischen Musik der zweiten Hälfte des 20.<br />
Jahrhunderts. Er starb 2003.<br />
Friedrich Cerha wurde 1926 in Wien geboren, wo er an der dortigen Musikakademie<br />
(Violine, Komposition, Musikerziehung) und an der Universität (Musikwissenschaft,<br />
Germanistik, Philosophie) studierte. 1956 bis 1958 nahm er an den<br />
Darmstädter Ferienkursen teil.1958 gründete er mit Kurt Schwertsik zur Schaffung<br />
eines permanenten Forums für Neue Musik in Wien das Ensemble die reihe. Von<br />
1959 an lehrte Cerha an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien<br />
(heute Universität), wo er 1976 bis 1988 eine Professur für Komposition, Notation<br />
und Interpretation neuer Musik innehatte. Von 1960 bis 1997 war er als Dirigent<br />
mit international führenden Orchestern (Berliner Philharmonikern, dem Cleveland<br />
Orchestra und dem Concertgebouworkest Amsterdam), sowie an renommierten<br />
Opernhäusern (Berlin, München und Buenos Aires) tätig. 1978 gründete er mit<br />
Hans Landesmann im Wiener Konzerthaus den Zyklus „Wege in unsere Zeit“,<br />
den er bis 1983 leitete. Ab 1994 verband ihn auch eine intensive Arbeit mit dem<br />
Klangforum Wien, dessen Präsident er bis 1999 war. Friedrich Cerhas Herstellung<br />
einer spielbaren Fassung des III. Akts der Oper Lulu von Alban Berg (UA 1979 in<br />
Paris) hat der Musikwelt ein wesentliches Werk des 20. Jahrhunderts vollständig<br />
erschlossen. Sein eigenes Musiktheater Netzwerk wurde 1981 bei den Wiener<br />
Festwochen uraufgeführt, seine Oper Baal nach Brecht im gleichen Jahr bei den<br />
Salzburger Festspielen. 1987 folgte Der Rattenfänger beim Steirischen Hebst,<br />
2002 Der Riese vom Steinfeld an der Wiener Staatsoper. Cerha erhielt zahlreiche<br />
Aufträge für Ensemble-, Chor und Orchesterwerke von angesehenen <strong>Festival</strong>s und<br />
Institutionen (Koussevitzky - Foundation New York, <strong>Festival</strong> Royan, Konzerthaus<br />
Wien und Berlin, Wiener Philharmoniker, Gewandhausorchester) und ebenso zahlreiche<br />
Preise und Ehrungen, zuletzt 2006 das Österreichische Ehrenzeichen für<br />
Wissenschaft und Kunst, den französischen Orden Officier des Arts et des Lettres<br />
und den Goldenen Löwen der Biennale Venedig für sein Lebenswerk.<br />
Eun-Hwa Cho, geboren in Pusan, Südkorea. Studium der Fächer Komposition und<br />
Pädagogik an der Seoul National University. 2006 Abschluss des Kompositionsstudiums<br />
bei Hanspeter Kyburz an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.<br />
Aufführung ihrer Kompositionen in Konzerten und auf <strong>Festival</strong>s, u. a. beim Asian<br />
Contemporary Music <strong>Festival</strong>, Ultraschall, Randspiele, Uraufführung des Streichquartett<br />
Nr. 2 auf den 42. Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt,<br />
Uraufführung von Deixis durch das Ensemble Modern in der Alten Oper Frankfurt/<br />
Main. Auszeichnung mit Preisen wie dem 1. Preis für Komposition beim Hanns-<br />
Eisler-Preis für Komposition und Interpretation zeitgenössischer Musik 2002 und<br />
dem 1. Preis beim 4. Weimarer Frühjahrstage Kompositionswettbewerb 2003.<br />
CD-Aufnahme der Komposition Streichquartett Nr. 2.<br />
Morton Feldman. Geboren 1926 in New York, erhielt mit zwölf Jahren den ersten<br />
Klavierunterricht bei der Busoni-Schülerin Madame Maurina-Press und schrieb erste<br />
eigene, von Skrjabin beeinflusste kurze Kompositionen. Ab 1941 studierte er bei<br />
Wallingford Riegger, ab 1944 bei Stefan Wolpe Komposition. Mit der Begegnung mit<br />
Cage begann eine die amerikanische Musik der 1950er Jahre prägende Zusammenarbeit.<br />
Cage war es, der Feldman Vertrauen zu seinen eigenen Ideen gab; daraus<br />
erwuchsen völlig intuitive Kompositionen. Er arbeitete selten mit identifizierbaren<br />
Systemen, sondern schritt von Augenblick zu Augenblick, von einem Klang zum<br />
nächsten. Zu seinem Freundeskreis gehörten auch die Komponisten Earle Brown<br />
und Christian Wolff, die Maler Mark Rothko, Philip Guston, Franz Kline, Jackson<br />
Pollock und Robert Rauschenberg und der Pianist David Tudor, wobei besonders
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bIograPhIen 163<br />
die Bildenden Künstler seine Suche nach einer eigenen Klangwelt beeinflussten.<br />
Feldman experimentierte mit grafischen Notationsformen, kehrte aber später wieder<br />
zur traditionellen Notation und der Kontrolle über Tonhöhe, Rhythmus, Dynamik<br />
und Dauer zurück. Ende der 1970er Jahre komponierte er sehr lange einsätzige<br />
Werke, so kann das zweite Streichquartett beispielsweise bis zu fünfeinhalb Stunden<br />
dauern. 1973 übernahm Feldman die Edgar Varèse-Professur an der University<br />
of New York in Buffalo, die er bis an sein Lebensende inne hatte. Morton Feldman<br />
starb 1987 in Buffalo.<br />
Beat Furrer wurde 1954 in Schaffhausen geboren und erhielt an der dortigen Musikschule<br />
seine erste Ausbildung (Klavier). Nach seiner Übersiedlung nach Wien<br />
1975 studierte er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Dirigieren bei<br />
Otmar Suitner sowie Komposition bei Roman Haubenstock-Ramati. 1985 gründete<br />
er das Klangforum Wien, das er bis 1992 leitete und dem er seitdem als Dirigent<br />
verbunden ist. Im Auftrag der Wiener Staatsoper schrieb er seine erste Oper Die<br />
Blinden (ausgehend von Maurice Maeterlincks Stück und Platons Höhlengleichnis),<br />
die bei Wien Modern 1989 uraufgeführt wurde. Unter Claudio Abbado gelangte<br />
1991 Face de la Chaleur im Wiener Musikverein zur Aufführung. Seine Oper Narcissus<br />
wurde 1994 beim steirischen herbst an der Oper Graz uraufgeführt, bei den<br />
Salzburger Festspielen 1996 das Konzert für zwei Klaviere und Orchester nuun, in<br />
diesem Jahr war er Composer-in-residence bei den Musikfestwochen Luzern. Es<br />
folgten u.a. 1999 das Hörtheater Stimme allein an der Oper Bonn, Orpheus Bücher<br />
2001 in Donaueschingen sowie das Musiktheater BEGEHREN, uraufgeführt beim<br />
steirischen herbst in Graz konzertant, 2003 die szenische Fassung. Die Oper invocation<br />
wurde an der Oper Zürich 2003 uraufgeführt und 2005 das Hörtheater FAMA<br />
in einem eigens dafür gebauten Klangraum bei den Donaueschinger Musiktagen.<br />
Seit Herbst 1991 ist Furrer Professor für Komposition an der Hochschule für Musik<br />
und Darstellende Kunst in Graz. Eine Gastprofessur für Komposition nimmt er seit<br />
2006 an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt wahr. 2004<br />
erhielt er den Musikpreis der Stadt Wien, seit 2005 ist er Mitglied der Akademie<br />
der Künste in Berlin. 2006 wurde er für FAMA mit dem Goldenen Löwen bei der<br />
Biennale Venedig ausgezeichnet. 2010 war die erfolgreiche Uraufführung seiner<br />
neuen Oper Wüstenbuch.<br />
Bernhard Gander wurde 1969 in Lienz/Osttirol geboren. Seine Musikstudien betrieb<br />
er am Tiroler Landeskonservatorium (Klavier, Tonsatz) und an der Musikhochschule<br />
Graz (Komposition bei Beat Furrer). Ein Studienaufenthalt führte ihn ans Studio<br />
UPIC/Paris zu Julio Estrada und Curtis Roads. Es folgte ein Arbeitsaufenthalt am<br />
Schweizerischen Zentrum für Computermusik/Zürich. 2004 erhielt er den Musikför-<br />
derungspreis 2004 der Stadt Wien, einen Erste Bank-Kompositionsauftrag sowie<br />
das Staatsstipendium 2005. Aufführungen seiner Werke erfolgten in Zürich, Paris,<br />
New York, Seattle, Griechenland, Japan, Korea sowie im Rahmen der <strong>Festival</strong>s<br />
Wien Modern, Klangspuren, hörgänge, zeittontage im ORF u.a. Bernhard Gander<br />
erhielt Kompositionsaufträge u.a. von den Ensembles Klangforum Wien und Ensemble<br />
Modern sowie von den <strong>Festival</strong>s Donaueschingen (2008), musikprotokoll,<br />
<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> und Klangspuren Schwaz.<br />
Gérard Grisey. Geboren in Belfort. 1963-65 studierte er an der Staatlichen Musikhochschule<br />
Trossingen (Deutschland) und trat dann ins Pariser Conservatoire<br />
National Supérieur ein. 1968-72 war er Schüler von Olivier Messiaen. Zur gleichen<br />
Zeit studierte er bei Henri Dutilleux an der Ecole Normale de Musique (1968) und<br />
nahm an den Sommerkursen der Accademia Chigiana in Sienna (1969) sowie<br />
1972 an den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt mit Ligeti,<br />
Stockhausen und Xenakis teil. Als Stipendiat der Villa Medici in Rom (1972-74)<br />
gründete Grisey 1973 zusammen mit Tristan Murail, Roger Tessier und Michael<br />
Levinas die Gruppe L‘Itinéraire, zu der später noch Hugues Dufourt stieß. Aus<br />
dieser Zeit stammen auch die Stücke Dérives, Périodes und Partiels, die die Spektralmusik<br />
mitbegründeten. Ab 1974/75 studierte Grisey Akustik bei Emile Leipp an<br />
der Universität Paris VI. 1982-86 unterrichtete er Musiktheorie und Komposition<br />
an der University of California in Berkley. Ab 1987 unterrichtete er Komposition am<br />
Pariser Konservatorium und leitete zahlreiche Kompositionsseminare in Frankreich<br />
(Centre Acanthes, Lyon, Paris), Deutschland (Darmstadt, Freiburg) und in vielen<br />
anderen Ländern (Mailand, Oslo, Helsinki, Malmö, Los Angeles, Stanford, London,<br />
Moskau, Madrid, ...). Er starb 1998 in Paris.<br />
Heinz Holliger, geboren 1939 in Langenthal (Kanton Bern), besuchte das Berner<br />
Konservatorium, wo er Oboe, Klavier und Komposition studierte. In Paris führte er<br />
seine Ausbildung am Conservatoire National Supérieur bei Pierre Pierlot (Oboe)<br />
und Yvonne Lefébure (Klavier) fort. 1961-63 besuchte er Kompositionskurse bei<br />
Pierre Boulez in Basel. Sein Repertoire als namhafter Oboist umfasst Kompositionen<br />
des 18. und 19. Jahrhunderts sowie zeitgenössische Werke, wobei er<br />
neue Spieltechniken einführte und zahlreiche Stücke für ihn geschrieben wurden.<br />
Seine Dirigentenlaufbahn begann in Paul Sachers Konzertreihe mit dem Basler<br />
Kammerorchester 1977-87. 1987 war er Mitbegründer der Konzertreihe Basler<br />
Musik-Forum, wo er regelmäßig als Dirigent auftrat und seine Kompositionen zur<br />
Aufführung gelangten. Seither dirigiert Holliger führende Orchester und Ensembles<br />
aus aller Welt. Der vielseitige Musiker, dessen Schaffen und Werk eine unermüdliche<br />
Suche nach den Grenzen von Klang und Sprache ist, wurde 1966 als Professor an
164 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 165<br />
die Musikhochschule von Freiburg im Breisgau berufen. Heinz Holliger wurde mit<br />
bedeutenden Preisen und Ehrungen bedacht, jüngst mit dem Zürcher Festspielpreis<br />
(2007, Erstverleihung) und Rheingau Musikpreis (2008).<br />
Klaus Huber wurde 1924 in Bern geboren. Er studierte Violine am Konservatorium<br />
Zürich bei Stefi Geyer und Komposition bei Willy Burkhard und Boris Blacher in Berlin.<br />
Nachdem er 1959 beim Weltmusikfest der IGNM in Rom mit der Kammerkantate<br />
Des Engels Anredung an die Seele (1. Preis Kammermusik) seinen internationalen<br />
Durchbruch als Komponist gefeiert hatte, war er 1964-73 Leiter der Kompositionsklasse<br />
an der Musikakademie Basel und 1973-90 Leiter der Kompositionsklasse und<br />
des Instituts für Neue Musik an der Musikhochschule in Freiburg/Breisgau, wo er<br />
1991 emeritierte. Zu seinen Schülern gehörten u.a. Wolfgang Rihm, Brian Ferneyhough,<br />
Toshio Hosokawa, Michael Jarrell, Younghi Pagh-Paan, Günter Steinke und<br />
Johannes Schöllhorn. 1969 begründete er das Internationale Komponistenseminar<br />
in Boswil, Schweiz. Seit 1984 war er international als Gastprofessor tätig. Zudem<br />
hatte er 1979-82 das Präsidium des Schweizerischen Tonkünstlerverein inne. 1970<br />
erhielt er den Beethovenpreis der Stadt Bonn für Tenebrae, 1978 den Kunstpreis der<br />
Stadt Basel, 1986 den Premio Italia, 2002 den Kultur- und Friedenspreis der Villa<br />
Ichon, Bremen und 2007 den Preis der Europäischen Kirchenmusik, Schwäbisch<br />
Gmünd. Weiterhin wurde sein Schaffen 2009 mit dem Musikpreis Salzburg und<br />
dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet. Klaus Huber lebt in Bremen und<br />
Panicale (Umbrien). Seine Autographe befinden sich in der Paul Sacher Stiftung,<br />
Basel. Seine gesammelten Schriften sind 1999 unter dem Titel Umgepflügte Zeit<br />
im Verlag MusikTexte, Köln, erschienen.<br />
Michael Jarrell. 1958 in Genf geboren, studierte er Komposition am Genfer Konservatorium<br />
bei Eric Gaudibert sowie in mehreren Meisterklassen in den USA<br />
(Tanglewood, 1979). Er vervollständigte seine Ausbildung an der Staatlichen<br />
Hochschule für Musik in Freiburg (Breisgau), bei Klaus Huber. Seit 1982 erhielten<br />
seine Werke zahlreiche Auszeichnungen: Prix Acanthes (1983), Beethovenpreis<br />
der Stadt Bonn (1986), Mares-cotti (1986), Gaudeamus und Henriette Renié (1988)<br />
und den Siemens-Förderungspreis (1990). Zwischen 1986 und 1988 war Jarrell<br />
Stipendiat an der Cité des Arts in Paris und Teilnehmer des Informatik-Kursus am<br />
IRCAM. Er war Stipendiat der Villa Medici (Rom,1988/89), sodann Mitglied des<br />
Istituto Svizzero di Roma (1989/90). Von Oktober 1991 bis 1993, war er „composer<br />
in residence“ des Orchestre de Lyon. Seit 1993 ist er Professor für Komposition an<br />
der Hochschule für Musik in Wien. 1996 war er composer in residence des <strong>Festival</strong>s<br />
von Luzern. 2000 ehrte ihn das <strong>Festival</strong> Musica Nova Helsinki und 2001 erhielt er<br />
von den Salzburger Festspielen den Auftrag für ein Klavierkonzert mit dem Titel<br />
Abschied. Im selben Jahr wurde er Chevalier des Arts et des Lettres. 2004 wird er<br />
zum Kompositionsprofessor am Conservatoire supérieur von Genf ernannt. Seine<br />
Oper Galilei, nach Brecht, ein Auftrag des Grand Théâtre de Genève, wurde im<br />
Januar 2006 uraufgeführt. Der konzertante Stil bedeutet für Jarrell eine bleibende<br />
Inspirationsquelle: …un temps de silence… wurde im März 2007 in Genf von Emmanuel<br />
Pahud und dem Orchestre de la Suisse Romande unter der Leitung von<br />
Heinz Holliger uraufgeführt. Nachlese III, ein Doppelkonzert für Klarinette, Violoncello<br />
und Orchester (Auftrag des WDR) wurde im Herbst 2009 in Köln uraufgeführt<br />
und das Orchestre de la Suisse Romande spielte 2009 die Erstaufführung von Le<br />
Ciel, tout à l’heure si limpide, soudain se trouble horriblement unter der Leitung<br />
von Marek Janowski.<br />
Die Kammeroper Cassandre (1994) am Pariser Châtelet uraufgeführt, wird international<br />
gespielt, in Übersetzungen ins Deutsche, Englische, Spanische, Finnische,<br />
Russische und Italienische.<br />
Helmut Lachenmann entstammt einer musikliebenden Pfarrersfamilie. Er studierte<br />
von 1955 bis 1958 an der Musikhochschule Stuttgart Kompositionslehre, Musiktheorie<br />
und Kontrapunkt bei Johann Nepomuk David und Klavier bei Jürgen Uhde. Nach<br />
Abschluss seiner Kompositionsstudien lernte er während der Darmstädter Ferienkurse<br />
1957 den italienischen Komponisten Luigi Nono kennen und wurde zwischen 1958<br />
und 1960 sein einziger Schüler; er siedelte deshalb nach Venedig über. 1960 kehrte<br />
Lachenmann nach Deutschland zurück, um in München zunächst als freischaffender<br />
Komponist und Pianist zu wirken. Von 1966 bis 1976 unterrichtete er an der<br />
Musikhochschule in Stuttgart Musiktheorie, ab 1970 wurde er Dozent für Musik an<br />
der Hochschule für Gestaltung Ulm; beide Lehraufträge unterbrach Lachenmann für<br />
einen Ruf 1972/1973 als Leiter eines Kompositionskurses an die Musik-Akademie<br />
der Stadt Basel. Von 1976 bis 1981 übernahm er eine Kompositionsklasse an der<br />
Staatlichen Hochschule für Musik und Theater Hannover, bevor er bis zu seiner<br />
Emeritierung im Jahre 2002 die gleiche Aufgabe an der Staatlichen Hochschule für<br />
Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart wahrnahm. Zu seinen Schülern zählten<br />
u.a. Mark Andre, Alvaro Carlevaro, Clemens Gadenstätter, Harald Muenz, Manuel<br />
Hidalgo, Shigeru Kan-no, Juliane Klein, Jan Kopp, Kunsu Shim, Wolfram G. Schurig,<br />
Juan María Solare und Stefan Streich. Wesentliche Anregungen für seine serielle<br />
Kompositionsmethode empfing Lachenmann von Karlheinz Stockhausen während<br />
der sogenannten „Kölner Kurse“ und von Luigi Nono, der ihn auf die Probleme der<br />
gesellschaftlichen Funktion von Musik aufmerksam machte. Lachenmann entwickelte<br />
konsequent eine Musique concrète instrumentale, die mittels neuer Spieltechniken<br />
für die traditionellen Orchesterinstrumente eine Klanglichkeit erzeugt, die<br />
dem Geräusch oft näher steht als der sinfonischen Tradition. In der Konfrontation
166 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 167<br />
des „philharmonischen Apparates“ mit Klängen, die ihre akustischen Vorgänge<br />
offenlegen, soll die Wahrnehmung von Spielern und Hörern auf die Struktur der<br />
konkreten Klänge gelenkt werden. Nicht das Erlebnis von Schönklang ist das Ziel<br />
seines Komponierens, sondern die Erfahrung von Anordnung und Verwandlung<br />
ungewohnter, da ungewöhnlicher Klangereignisse.<br />
Bernhard Lang. Geboren 1957 in Linz. Er studierte am Brucknerkonservatorium<br />
in Linz, und ab 1975 in Graz Philosophie und Germanistik, Jazztheorie, Klavier,<br />
Harmonielehre und Komposition.<br />
Seit 2003 ist er Professor für Komposition an der Kunstuniversität Graz. Bernhard<br />
Lang ist konstant vertreten im Steirischen Herbst, in den Jahren 1984, 1988,<br />
1991, 1995, 1999 und 2003 (unter anderem mit Das Theater der Wiederholungen,<br />
Musiktheater, das in Graz 2003 uraufgeführt wurde). Darüber hinaus ist er Gast<br />
auf vielen <strong>Festival</strong>s zeitgenössischer Musik: Moskau Alternativa <strong>Festival</strong>, Moskau<br />
Modern, ‚resistance fluctuations‘ Los Angeles 1998, Tage Absoluter Musik Allentsteig<br />
I und II, Klangarten, Herbstfestival 98 Lissabon, Wien Modern, Münchner<br />
Opernfestspiele, Darmstädter Ferienkurse, Donaueschinger Musiktage, Salzburger<br />
Festspiele, Disturbances (Musiktheaterworkshop Kopenhagen 2003), Wittener<br />
Tage für Neue Kammermusik. 2006 war Bernhard Lang zentraler Komponist bei<br />
Wien Modern.<br />
György Ligeti wurde am 28. Mai 1923 als Sohn ungarisch-jüdischer Eltern in<br />
Dicsoszentmárton (heute Tîrnaveni) geboren. Von 1941 bis 1943 studierte er<br />
bei Ferenc Farkas am Konservatorium in Klausenburg, von 1945 bis 1949 an<br />
der Franz-Liszt-Akademie in Budapest bei Ferenc Farkas, Sándor Veress, Pál<br />
Járdány und Lajos Bárdos. Schon bald entwickelte er die Mikropolyphonie, die<br />
später zu einem seiner wichtigsten Stilmerkmale werden sollte. In den frühen<br />
Stücken wie dem a capella Chorwerk Éjszaka-Reggel und seinem ersten im<br />
Westen erfolgreichen Stück Apparitions ist dieser Stil bereits voll ausgeprägt.<br />
Nach dem Ungarnaufstand verließ er im Dezember 1956 sein Heimatland aus<br />
künstlerischen und politischen Gründen. Während der Zeit als freier Mitarbeiter<br />
im Studio für elektronische Musik des WDR Köln (1957-58) setzte er sich intensiv<br />
mit der Musik von Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagel und Pierre Boulez<br />
auseinander, was sich musikalisch in seinem Werk Artikulation niederschlägt.<br />
Dieses Stück sowie das 1961 entstandene Atmosphères für großes Orchester<br />
machten den Namen György Ligeti in der westlichen Musikwelt mit einem Schlag<br />
bekannt. In seinen letzten Lebensjahren entwickelte er ein hochdifferenziertes<br />
metrisches und rhythmisches System, wie etwa in den Etüden angewandt. Am<br />
12. Juni 2006 verstarb der Komponist in Wien.<br />
Francisco López ist in der experimentellen Musikszene für seine Klangkunst<br />
(sound art) international anerkannt. Seine Erfahrungen auf dem Gebiet der Klangschöpfung<br />
(sound creation) und der Arbeit mit Umweltaufnahmen erstrecken sich<br />
über 30 Jahre, in denen er ein beeindruckendes, sehr persönliches und ikonoklastisches<br />
Klanguniversum schuf, welches auf einer Wahrnehmung seiner Umwelt,<br />
insbesondere den Klängen der Natur basiert. Er hat weltweit Hunderte Konzerte<br />
gegeben und Projekte mit Field recordings, Klanginstallationen und Workshops in<br />
60 Ländern weltweit durchgeführt; darunter auch in den wichtigsten internationalen<br />
Museen, Kunstgalerien und bei <strong>Festival</strong>s, wie zum Beispiel im PS1 Contemporary<br />
Art Center (New York), im Museum of Modern Art (Paris), dem International Film<br />
<strong>Festival</strong> (Rotterdam), dem <strong>Festival</strong> des Arts (Brüssel), im Darwin Fringe (Darwin,<br />
Australien), im Institute of Contemporary Art (London), im Museum of Modern<br />
Art of Buenos Aires, im Museum of Contemporary Art of Barcelona, im Center of<br />
Contemporary Art (Kita-Kyushu, Japan), etc. Sein umfangreiches Spektrum an<br />
Klang-Stücken (Sound pieces) – live und mit Studio-Einspielungen mit über 100<br />
Künstlern – wurde von über 180 Plattenfirmen weltweit veröffentlicht. Außerdem<br />
wurde er mit drei Ehrennominierungen beim Ars Electronica <strong>Festival</strong> (Linz) ausgezeichnet.<br />
Tristan Murail studierte zunächst Arabisch und Wirtschaftswissenschaften, ab 1967<br />
bei Olivier Messiaen am CNSM und erhält 1971 einen ersten Preis für Komposition.<br />
Wichtige Komponisten für ihn waren während seiner Lehrjahre Iannis Xenakis,<br />
Giacinto Scelsi und vor allem György Ligeti. 1973 gründet er mit Gérard Grisey,<br />
Michâel Levinas, Hugue Dufourt und Philippe Hurel das Ensemble l‘Itinéraire. Im<br />
selben Jahr schreibt er La Dérive des Continents und Les Nuages de Magellan, die<br />
seinen ersten eigenen, aus einem ununterbrochenen klanglichen Magma bestehenden<br />
Stil begründen. Sables (1974) und Mémoire/Èrosion (1975-1976) markieren<br />
anschließend eine Reduktion der Mittel. 1980 nehmen die Itinéraire-Komponisten<br />
an einem IRCAM-Lehrgang teil. Murail beginnt, mit Hilfe des Computers akustische<br />
Phänomene noch genauer zu erforschen. Er schreibt Désintégrations (1982-83),<br />
in dem er zum ersten Mal Instrumentalklänge und synthetische Klänge gleichzeitig<br />
benutzt. Mit Serendib (1992) und anderen Stücken dieser Zeit erreicht seine Musik<br />
eine extreme Durchartikuliertheit und formale Unvorhersehbarkeit. 1991 bis 1997<br />
lehrt er Komposition am IRCAM und ist an der Entwicklung des Kompositions-<br />
Hilfsprogramms Patchwork beteiligt. Er unterrichtet ebenfalls bei den Darmstädter<br />
Sommerkursen, in Royaumont und beim Centre Acanthes. Tristan Murail lebt in den<br />
vereinigten Staaten und ist Professor für Komposition an der Columbia University<br />
New York. Neben Gérard Grisey ist Murail einer der Hauptvertreter der spektralen<br />
Musik.
168 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 169<br />
Olga Neuwirth, geboren 1968 in Graz (Österreich), studierte 1986/87 am Conservatory<br />
of Music San Francisco Komposition und besuchte das dortige Art College<br />
(Malerei und Film). 1987 Kompositionsstudium und Studien zur Elektroakustik an<br />
der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien. Wesentliche Anregungen<br />
erfuhr sie durch die Begegnungen mit Adriana Hölszky, Tristan Murail, Luigi Nono<br />
sowie der Schriftstellerin Elfriede Jelinek. 1996 war sie Gast des Berliner Künstlerprogramms<br />
des DAAD. Porträtkonzerte bei den Salzburger Festspielen 1998.<br />
Erfolgreiche Uraufführung des Musiktheaters Bählamms Fest (Libretto: Elfriede<br />
Jelinek) bei den Wiener Festwochen 1999. Weltweite Tournee des für Pierre Boulez<br />
und das London Symphony Orchestra geschriebenen Werkes Clinamen/Nodus.<br />
2003 Uraufführung des Musiktheaters Lost Highway nach dem gleichnamigen Film<br />
von David Lynch. 2002-05 Performances, Theater- und Filmmusiken. Uraufführung<br />
des Trompetenkonzerts …miramondo multiplo… für die Wiener Philharmoniker und<br />
Pierre Boulez mit dem Solisten Håkan Hardenberger bei den Salzburger Festspielen<br />
2006. 2007 Teilnahme an der documenta12 in Kassel und US Premiere von<br />
Lost Highway. 2008 Auszeichnung mit dem Heidelberger Künstlerinnenpreis. 2009<br />
Filmmusik zu Das Vaterspiel von Michael Glawogger (Premiere bei der Berlinale)<br />
und Uraufführung ihres Bratschenkonzerts beim Musikprotokoll Graz. Olga Neuwirth<br />
ist seit 2006 Mitglied der Akademie der Künste Berlin, sie lebt in Wien.<br />
Hèctor Parra wurde 1976 in Barcelona geboren und studierte am Konservatorium<br />
seiner Heimatstadt, wo er mit Auszeichnung in den Fächern Komposition, Klavier<br />
und Harmonielehre abschloss. Im Anschluss studierte er Komposition bei David<br />
Padros, Brian Ferneyhough, Jonathan Harvey und Michael Jarrell an der Haute<br />
École de Musique in Genf. Ein Kompositionsstudium an der l‘Université de Paris VIII<br />
sowie Kurse am IRCAM und am CNSMD Lyon folgten. Seine Werke wurden u.a.<br />
aufgeführt von Ensemble intercontemporain, Arditti Quartet, ensemble recherche,<br />
musikFabrik, Orchestre Philharmonique de Liège, Orchestre National d‘Île-de-France<br />
und KNM Berlin sowie bei den international renommierten <strong>Festival</strong>s von Luzern,<br />
Avignon, Agora, Royaumont, bei Forum Neues Musiktheater der Stuttgarter Oper,<br />
Maison de la Danse de Lyon, Novart de Bordeaux, ADK Berlin, Quincena Musical<br />
de San Sebastián und „Nous Sons“ Barcelona. Er erhielt Kompositionsaufträge<br />
vom IRCAM, vom Kulturministerium der Regierung Kataloniens, von der Akademie<br />
der Künste in Berlin sowie von Ensemble intercontemporain, Klangforum Wien,<br />
Orchestre National d‘Île-de-France, Strasbourg <strong>Festival</strong>, CDMC (Madrid), IVM<br />
(Valencia), Musicadhoy, Schauspielhaus Salzburg, Fundación Caja Madrid und<br />
der Selmer Society (Paris). Er erlangte zahlreiche Auszeichnungen und Preise,<br />
so u.a. 2005 den Tremplin-Preis des Ensemble Intercontemporain. Er war Finalist<br />
beim internationalen Gaudeamus Wettbewerb und gewann 2002 den INAEM Preis<br />
für Komposition. Hèctor Parra ist Professor für Elektroakustische Komposition<br />
am Konservatorium in Saragossa, Gastprofessor am Konservatorium der Oper<br />
in Barcelona und forschend am IRCAM tätig. Hèctor Parra setzt sich intensiv mit<br />
der Verbindung von Wissenschaft und Neuer Musik ein, nicht nur technisch, auch<br />
ästhetisch und thematisch. So hat er mehrere Werke geschrieben die Problemstellungen<br />
und Modelle der theoretischen Physik aufgreifen. Unter anderem das<br />
Musiktheater Hypermusic Prologue, A Projective Opera in Seven Planes nach<br />
einem Libretto von Lisa Randall, einer der führenden Wissenschaftlerinnen der<br />
theoretischen Physik.<br />
Emilio Pomárico (Siehe Biographien der InterpretInnen)<br />
PRINZGAU/podgorschek arbeiten als Team seit 1984<br />
Zu den wichtigsten Arbeiten gehören Die Entdeckung der Korridore Kunst im öffentlichen<br />
Raum Paasdorf/Mistelbach 1995, FADENBRAND Soloausstellung im OK<br />
Zentrum Linz 2004, sneaking in, Donald Richies Life in Film Dokumentation 2002,<br />
Paarläufer Filmdokumetation 2004, Migration, Tapis Rouge Biennale Dieppe 2007<br />
Kunst im öffentlichen Raum, P/punti speciali Venezia 2009, Kunst im öffentlichen<br />
Raum, ON TRACK (Gruppenarbeit) Biennale Thessaloniki, Rondostucky Gallery,<br />
Polen 2009, Biennale Cuvée, OK Zentrum Linz 2010.<br />
Wolfgang Rihm. Geboren 1952 in Karlsruhe, studierte von 1968 bis 1972 Komposition<br />
bei Eugen Werner Velte, Wolfgang Fortner und Humphrey Searle und erhielt<br />
1972/73 Unterricht bei Karlheinz Stockhausen in Köln. 1976 komponierte er seine<br />
erste Kammeroper Faust und Yorick, der zwei Jahre später Jakob Lenz folgte. 1979/80<br />
war er Stipendiat der Villa Massimo in Rom, 1981 erhielt er den Beethoven Preis der<br />
Stadt Bonn. Rihm war Präsidiumsmitglied des Deutschen Komponistenverbandes<br />
sowie des Deutschen Musikrates sowie von 1984 bis 1989 musikalischer Berater<br />
der Deutschen Oper Berlin. Er übte Lehrtätigkeiten in München und Karlsruhe aus.<br />
1991 hielt er die Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, wo er im Jahr<br />
2000 Composer-in-Residence war. Zu seinen bekanntesten Werken gehöreh u.a<br />
die Musiktheater Hamletmaschine (1983/86), Oedipus (1986/87), Die Eroberung<br />
von Mexico (1987/91) und Séraphin (1996), sowie unzählige Werk für Orchester<br />
und kleinere Besetzungen. Bei den Salzburger Festspielen 2010 kommt seien neue<br />
Oper Dionysos zur Uraufführung.<br />
Lucia Ronchetti wurde 1963 in Rom geboren. Die italienische Komponistin studierte<br />
Komposition und Computermusik an der Accademia di Santa Cecilia sowie<br />
Philosophie an der Universität in Rom. 1991 erhielt sie das Diplôme d’Études
170 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 171<br />
Approfondies in Ästhetik an der Universität Sorbonne in Paris und begann ein<br />
Kompositionsstudium bei Gérard Grisey in Paris. Zu ihren Lehrern gehörten auch<br />
Sylvano Bussotti und Salvatore Sciarrino. Darüber hinaus besuchte sie 1996-97 die<br />
Computermusikkurse am IRCAM in Paris. An der École Pratique des Hautes Études<br />
en Sorbonne erhielt sie ihren Ph.D. in Musikwissenschaft. Ihr kompositorisches<br />
Werk ist äußerst vielfältig, es reicht von Musiktheaterwerken und Orchesterwerken<br />
über Vokalmusik bis hin zu Kammermusik mit Live-Elektronik. Lucia Ronchetti<br />
erhielt zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen. 2005 war sie Gastprofessorin<br />
(Fulbright Fellow) an der Columbia University Music Department in New York, eine<br />
Einladung von Tristan Murail. 2005-06 war sie Gast des Berliner Künstlerprogramms<br />
des DAAD. Zu ihren jüngsten Werken gehören: Pinocchio, una storia parallela<br />
(mit den Neuen Vocalsolisten, Ultraschall Berlin, 2006), Albertine (MaerzMusik,<br />
Berlin, 2007), Hamlet’s Mill (Musik der Jahrhunderte, Stuttgart, 2007), Le voyage<br />
d’Urien (Commande d’État, Paris, 2008), Rumori da monumenti (Ensemble Modern/<br />
Siemens Arts, 2008), Prosopopeia (Internationales Heinrich-Schütz-Fest, Kassel,<br />
2009), Narrenschiffe (Bayerische Staatsoper, 2010).<br />
Arnold Schönberg wurde am 13. September 1874 in Wien geboren. Obwohl weitgehend<br />
Autodidakt, nahm er Violoncello- und Violinunterricht und studierte später<br />
bei Alexander von Zemlinsky. Von 1901 bis 1903 war er als Kapellmeister in Berlin<br />
engagiert. Anschließend arbeitete er abwechselnd in Berlin und Wien als Lehrer,<br />
bevor er 1925 eine Professur an der Berliner Hochschule für Musik annahm. 1933<br />
emigrierte er über Paris in die USA, wo er bis 1944 Lehrer an der University of<br />
Southern California war. Schönberg gilt als einer der Begründer der Neuen Musik<br />
zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit seinen Schülern Alban Berg und<br />
Anton Webern begründete er die zweite Wiener Schule. Sein kompositorisches<br />
Schaffen umfasst Konzerte, Bühnen-, Orchester-, Kammermusik-, Klaviermusik- und<br />
Vokalwerke. Er gilt als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.<br />
Schönberg starb am 13. Juli 1951 in Los Angeles.<br />
Giacinto Scelsi wurde 1905 in Piteli bei La Spezia geboren. Seine Herkunft aus<br />
adligem, wohlhabendem Hause erlaubte ihm, finanziell unabhängig zu leben und<br />
ermöglichte ihm ausgedehnte Reisen, die sein Schaffen nicht unwesentlich beeinflussen<br />
sollten. Nachdem schon im Kindesalter Scelsis pianistisches Improvisationstalent<br />
aufgefallen war, genoss er eine musikalische Ausbildung, die jedoch nicht in<br />
erster Linie im akademischen Bereich stattfand. Aufführungen seiner Werke setzen<br />
1931 ein. Im Rahmen seiner Studien mit selbst gewählten Mentoren beschäftigte<br />
er sich in den 1930er Jahren mit den prägenden musikalischen Strömungen der<br />
Moderne, zusammen mit Gioffredo Petrassi veranstaltete er 1937 Konzerte mit neuer<br />
Musik in Rom. In den vierziger Jahren durchlitt Scelsi eine schwere Lebens- und<br />
Schaffenskrise, bei deren Bewältigung ihm die intensive Beschäftigung mit dem<br />
spirituellen Gedankengut außereuropäischer Kulturen half. Unter diesem Einfluss<br />
begann er Anfang der 1950er Jahre – neben der Veröffentlichung von zahlreichen<br />
dichterischen Werken – mit der Ausformulierung seines eigenen musikalischen<br />
Idioms. Dabei sah er sich nicht als Tonsetzer, sondern als Medium, als Botschafter<br />
und Mittler zwischen verschiedenen Welten. Dem entsprach seine Arbeitstechnik:<br />
Seine nach intensiver spiritueller Vorbereitung selbst auf Tonband eingespielten<br />
Improvisationen ließ er von Kopisten transkribieren; die so entstandenen Partituren<br />
wurden dann nach seinen Anweisungen bearbeitet. Scelsis musikalischen Stil prägt<br />
das Bemühen um eine Musik, die über mikrointervallisches Kreisen, energetisches<br />
Strömen in der Zeit, klangfarbliche Licht- und Schattenspiele in das Innere des<br />
Tones vorstoßen sollte. Giacinto Scelsi verstarb 1988 in Rom.<br />
Salvatore Sciarrino wurde 1947 in Palermo geboren. Er begann als 12jähriger<br />
unter der Anleitung von Antonio Titone zu komponieren; später studierte er bei Turi<br />
Belfiore und Franco Evangelisti. Trotz dieser für seinen künstlerischen Werdegang<br />
wichtigen Begegnungen ist Sciarrino Autodidakt und hat seine Fähigkeiten vor<br />
allem durch das Studium moderner und alter Musik erworben. 1966-69 studierte er<br />
Musikgeschichte in Palermo, dann siedelte er nach Rom über, wo er Evangelistis<br />
Kurse zur elektronischen Musik an der Accademia di S. Cecilia besuchte. 1973<br />
wurde seine erste Oper Amore e Psiche in Mailand uraufgeführt. Diese Oper stellte<br />
bereits Sciarrinos außergewöhnliches Musiktheater-Konzept vor. In den 1980er<br />
Jahren entstanden Werke für Sciarrinos „Theater der Körper“, die an performative<br />
Elemente der 1960er Jahre anknüpften. In der Folge entwickelte Sciarrino in<br />
seinen Musiktheaterwerken eine einzigartige Musiksprache, eine oft magische,<br />
mystische musikalische Welt voller feiner Texturen und Gesten, die altes Denken<br />
mit neuem verbindet. 1974–77 lehrte er am Mailänder Konservatorium. 1978–80<br />
war er künstlerischer Leiter des Teatro Communale in Bologna. Seit 1978 lehrte er<br />
an den Konservatorien von Perugia und Florenz bis er sich 1998 aus der institutionellen<br />
Arbeit zurück. Sciarrino erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter die<br />
Preise Luigi Dallapiccola, Gaspar Cassadò, Italia Radiotre, SIAE, Prince Pierre de<br />
Monaco, Internazionale Feltrinelli. 2006 erhielt er den ersten Musikpreis Salzburg.<br />
Neben seinem kompositorischen Schaffen entstanden auch bildnerische Werke.<br />
Seit 2004 ist Sciarrino Mitglied der Akademie der Künste Berlin.<br />
Johannes Maria Staud wurde am 17. August 1974 in Innsbruck/Tirol geboren.<br />
Ein ‚Tiroler Komponist‘? Keineswegs. Schon seine Studien sorgten für einen<br />
internationalen Ausblick: nach Wien (wo u.a. Michael Jarrell sein Professor war)
172 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 173<br />
wechselte Staud nach Berlin, wo er seine Studien bei Hans-Peter Kyburz an der<br />
‚Hanns-Eisler-Hochschule für Musik‘ fortsetzte. Es folgten Meisterkurse bei Brian<br />
Ferneyhough und Alois Pinos. Im Auftrag Sir Simon Rattles hat er Apeiron. Musik<br />
für großes Orchester (2004/2005) komponiert (es spielen 110 Musiker - Staud hat<br />
des Dirigenten Aussage: „you have the licence to kill“ ernst genommen…); bei der<br />
Uraufführung wirkten die Berliner Philharmoniker mit. Die Wiener Philharmoniker<br />
unter Daniel Barenboim (mit Heinrich Schiff als Solisten) hoben Segue. Musik für<br />
Violoncello und Orchester (2006) aus der Taufe. Der prestigehafte Auftrag kam<br />
von den Salzburger Festspielen im Mozart-Jahr 2006. Für das Cleveland Orchestra<br />
und seinen Chef Franz Welser-Möst entstand On Comparative Meteorology<br />
(2008/2009) und das Gewandhausorchester Leipzig hat schon die Partitur der<br />
Komposition für Streichquartett und Orchester, Über trügerische Stadtpläne und<br />
die Versuchungen der Winternächte. Dichotomie II, erhalten. Riccardo Chailly<br />
leitet die Uraufführung unter Mitwirkung des Gewandhausquartetts. Es ist ihm<br />
auch gelungen, der Gefahr der ‚Postmodernität‘ auszuweichen und einen unverwechselbaren<br />
Personalstil zu entwickeln. Er hat in den letzten Jahren eine<br />
Sprache entwickelt, die ohne Kompromisse die HörerIn direkt anspricht, emotional<br />
packt - unter anderem dank der wunderbar ausgehörten Feinheiten der<br />
Instrumentation fasziniert.<br />
Miroslav Srnka wurde 1975 in Prag geboren. Er studierte Musikwissenschaft an der<br />
Karls-Universität in Prag (1993–1999) und Komposition an der Prager Akademie der<br />
Darstellenden Künste bei Milan Slavický (1998–2003). Studienaufenthalte führten<br />
ihn 1995/96 an die Humboldt-Universität in Berlin und 2001 an das Conservatoire<br />
National Supérieur de Musique in Paris. Austauschprogramme und Kompositionskurse<br />
absolvierte er u. a. 2002 bei Ivan Fedele, 2004 bei Philippe Manoury und<br />
am IRCAM Paris. Er wurde 2001 mit dem Gideon Klein Award ausgezeichnet, im<br />
gleichen Jahr mit dem Generace Award und 2004 mit dem Leoš Janácek Anniversary<br />
Prize. 2009 erhielt er den Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung. – 2005<br />
wurde seine Kurzoper Wall nach Jonathan Safran Foer an der Staatsoper Berlin<br />
uraufgeführt. 2006/07 war er „Komponist für Heidelberg“ am Theater Heidelberg.<br />
Seine Kompositionen wurden von Interpreten wie dem Arditti Quartet oder dem<br />
Klangforum Wien aufgeführt.<br />
Galina (Iwanowna) Ustwolskaja studierte von 1937 bis 1939 an der Musikfachschule<br />
ihrer Geburtsstadt Petrograd (St.Petersburg) und bis 1947 am dortigen<br />
Rimski-Korssakow-Konservatorium. Hier erhielt sie eine Aspirantur und leitete<br />
schließlich eine Kompositionsklasse an der dem Konservatorium angegliederten<br />
Musikfachschule. Ihr Kompositionslehrer Dmitri Schostakowitsch äußerte sich be-<br />
geistert über sie. Mehrfach setzte er sich gegen den Widerstand seiner Kollegen im<br />
Komponistenverband für sie ein. Ustwolskaja gilt neben Sofia Gubaidulina als die<br />
bedeutendste Komponistin Russlands. Ihr Werkkatalog ist überaus konzentriert, ihre<br />
musikalische Botschaft lapidar und kompromisslos. Ustwolskajas Kompositionen sind<br />
„sinfonisch“ gedacht, unabhängig von ihrer tatsächlichen Besetzung oder zeitlichen<br />
Ausdehnung. Sie schreibt eine asketische, von unerhörter rhythmischer Kraft getragene<br />
Musik. Im Notenbild fehlen häufig Taktstriche, was erstaunlich asymmetrische<br />
polyphone Konstruktionen hervorbringt. Dynamische Entwicklungen sind fast auf<br />
reine Terrassendynamik reduziert und von extremen Kontrasten geprägt. Die von<br />
ihr vertonten vornehmlich christlichen Texte sind aphoristisch und konzentriert. Ihre<br />
Werke künden von einem strengen, unabhängigen Geist, von unerbittlichem Willen<br />
und tiefer Gläubigkeit. Sie starb 2006 in St.Petersburg.<br />
Edgard Varèse wurde 1883 in Paris geboren, wuchs im Dorf Le Villars in Burgund<br />
bei seinem Großvater Claude Cortot auf, bis seine Eltern mit ihm nach Turin zogen.<br />
Dort entstanden erste Kompositionsversuche. Der Vater Varèses stand jedoch den<br />
musikalischen Interessen seines Sohnes äußerst ablehnend gegenüber. Varèse<br />
sollte Ingenieurswesen studieren, setzte jedoch seine musikalische Ausbildung<br />
heimlich fort, wurde Schüler des Turiner Konservatoriums, spielte Schlagzeug<br />
im Opernorchester und dirigierte. Als er 1903 nach Paris ging, kam es zum<br />
endgültigen Bruch mit seinem Vater. In Paris studierte er Musik an der Schola<br />
Cantorum bei Vincent d’Indy und Charles Bordes und am Pariser Konservatorium<br />
bei Charles-Marie Widor. Er komponierte erste Orchesterwerke. 1907 lernte er<br />
Debussy kennen und zog nach Berlin, wo er Ferruccio Busoni traf, den er sehr<br />
bewunderte. Er knüpfte Kontakte zu Hofmannsthal, Ravel, Strauss, Mahler, hörte<br />
Schönbergs Pierrot Lunaire unter Busoni und die UA von Strawinskys Le sacre du<br />
printemps. 1913 vernichtete ein Brand fast alle seine Manuskripte. Zu Beginn des<br />
Ersten Weltkriegs ging er nach Paris und emigrierte 1915 in die USA, wo er u.a.<br />
auf Duchamp, Picabia und die NYer Avantgardisten stieß. 1923 erregte Varèse mit<br />
Hyperprism und später mit Ionisation Aufsehen, weil seine Musik u.a. durch die<br />
ausgiebige Verwendung von Perkussionsinstrumenten und Geräuscherzeugern<br />
sich dem herkömmlichen Verständnis von melodisch-harmonischen Beziehungen<br />
widersetzte. Varèse definierte den Musikbegriff neu, indem er ihn als „son organisé“<br />
konzipierte und komponierte Klänge nach Kriterien wie Dichte und Bewegungsrichtung.<br />
Um 1935 begann eine große Schaffenskrise Varèses, die noch<br />
bis etwa 1950 anhalten sollte. In den 50er Jahren wurden dann seine Werke vor<br />
allem in Europa und schließlich auch in den USA erfolgreich aufgeführt, und er<br />
fand überaus regen Zuspruch vor allem bei der jungen Komponistengeneration.<br />
Edgard Varèse starb 1965 in New York.
174 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 175<br />
Claude Vivier. Geboren 1948. Die Musik von Claude Vivier ist eine Reflexion<br />
seines eigenen Lebens. Die Themen seiner Kompositionen waren sowohl direkt<br />
als auch indirekt inspiriert von seiner unbekannten Herkunft, der Suche nach<br />
seiner Mutter, seiner religiösen Berufung, seiner Homosexualität.<br />
Neunundvierzig Werke, die er während seiner kurzen Karriere komponierte, zeigen<br />
das beeindruckende Vermächtnis eines Menschen, der ebenso leidenschaftlich<br />
dem Leben wie der Musik gegenüberstand. In Montreal als Sohn unbekannter<br />
Eltern geboren, wurde Vivier im Alter von drei Jahren adoptiert. Während einer<br />
Zeitspanne von vier Jahren studierte er am Conservatoire de musique de Montréal<br />
Komposition bei Gilles Tremblay und Klavier bei Irving Heller.<br />
1971 verließ Vivier Kanada um in Europa zu studieren. Das erste Jahr verbrachte<br />
er am Institut für Sonologie (Utrecht, Niederlande), wo er Unterricht in elektroakustischer<br />
Komposition bei Gottfried Michael Koenig nahm. Anschließend studierte er<br />
bei Hans Ulrich Humpert und Karlheinz Stockhausen in Köln. Von letzterem wurde<br />
Vivier erheblich im Bereich kompositorische Techniken (Parameterquantifikation,<br />
permutative Strukturen, Ringmodulationen) beeinflusst, obwohl er dennoch eine<br />
höchst individuelle Sprache entwickelte, die sich in produktiver Auseinandersetzung<br />
mit fernöstlichen Sprachelementen beschäftigte. Die Verflechtung seines<br />
privaten und beruflichen Lebens, des Realen und des Imaginären, zeigt ein herausragendes<br />
umfassendes Bewusstsein, dessen Botschafter Viviers Musik ist.<br />
Er wurde 1983 in Paris ermordet.<br />
Iannis Xenakis wurde 1922 in einer in Rumänien lebenden griechischen Familie<br />
geboren. 1932 wanderten seine Eltern mit ihm nach Griechenland aus. Er<br />
studierte von 1940 bis 1946 Ingenieurwissenschaften in Athen, engagierte sich<br />
im Widerstandskampf gegen die Nazi-Besatzung und im anschließenden Bürgerkrieg,<br />
erlitt eine schwere Gesichtsverwundung und geriet in Gefangenschaft,<br />
wurde zum Tode verurteilt, flüchtete und ging 1947 als politischer Flüchtling<br />
nach Paris. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich der Musik nur autodidaktisch<br />
gewidmet. Danach aber nahm er musikalischen und kompositorischen Unterricht<br />
bei Arthur Honegger, Darius Milhaud und Olivier Messiaen. Gefördert<br />
hatte ihn Ende der fünfziger Jahre auch der Dirigent Hermann Scherchen,<br />
der 1955 den ersten Essay von Xenakis über die Krise der seriellen Musik in<br />
seinen Gravesaner Blättern abgedruckt und mehrere der Stücke von Xenakis<br />
zur Uraufführung gebracht hat. Kurz nach seiner Übersiedlung nach Paris kam<br />
es zur Begegnung mit dem Architekten Le Corbusier, bei dem Xenakis als<br />
Assistent arbeitete. Den Philips-Pavillon der Brüsseler Weltausstellung 1958<br />
entwarf er nach hyperbolischen Kurven, mithilfe derer er zur gleichen Zeit schon<br />
seine erste Komposition Metastasis für einundsechzig Instrumente geschrieben<br />
hatte. Die Uraufführung von Metastasis bei den Donaueschinger Musiktagen<br />
1955 unter der Leitung von Hans Rosbaud brachte Xenakis den Durchbruch<br />
an die Spitze der internationalen Szene der neuen Musik. Iannis Xenakis starb<br />
im Februar 2001 in Paris.<br />
Frank Zappa (1940-1993) war ein amerikanischer Komponist und Musiker. Er<br />
veröffentlichte mehr als 60 Musikalben. Zappa hat die Rockmusik erheblich beeinflusst,<br />
sowohl durch seine von Stilanleihen und rhythmischer Vielfalt geprägten<br />
Kompositionen als auch durch seine Texte. Diese nahmen Bezug auf Popkultur<br />
und Zeitgeschehen und waren oft satirisch oder auch dadaistisch-absurd geprägt.<br />
Er wurde in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen und erhielt<br />
zwei Grammys. Zappa betätigte sich auch als Musikproduzent und Filmregisseur<br />
und komponierte orchestrale Stücke. Sein Hauptinstrument war die E-Gitarre,<br />
er war aber auch oft als Sänger zu hören und spielte Schlagzeug, E-Bass und<br />
Keyboards. Charakteristisch für Zappa sind seine mitunter in größeren dramaturgischen<br />
Zusammenhängen gestalteten Bühnenshows, seine (Musik-)Filme, die<br />
die Bildästhetik des Musikfernsehens vorformulieren halfen, sowie sein Wirken<br />
als autarker Musikproduzent, der alle Schritte der Produktentstehung steuerte<br />
und beeinflusste.<br />
Hans Zender, geboren 1936 in Wiesbaden. Studierte Komposition (bei Wolfgang<br />
Fortner), Klavier und Dirigieren. Stationen seiner Dirigentenlaufbahn wurden<br />
unter anderem von Bonn über Kiel nach Saarbrücken, wo er von 1971 bis 1984<br />
Chefdirigent des Symphonieorchesters des Saarlandischen Rundfunks war,<br />
und danach weiter nach Hamburg und Hilversum. 1988 er den Lehrstuhls für<br />
Komposition an der Musikhochschule Frankfurt am Main. Etwa die Hälfte seiner<br />
Kompositionen sind Text gebunden und beziehen sich entweder auf die fernöstliche<br />
Zen-Tradition oder auf Autoren der abendländischen Geistesgeschichte,<br />
wie zum Beispiel die Cantos (begonnen 1965). In seinem Werk zeigen sich Tendenzen<br />
zu zyklischen Werken, wie etwa die Zwölf Modelle (1971/73) für variable<br />
Besetzung. Hans Zender entwickelte eine Collage-Technik, in der er klassische<br />
und literarische Vorlagen einbindet und die zu Werken wie dem 1979-81 entstandenen<br />
Kammermusikzyklus Hölderlin lesen oder dem Dialog mit Haydn (1982)<br />
führten. 1986 fand die Uraufführung seiner Oper Steven Climax in Frankfurt statt.<br />
1993 fand die Uraufführung der Oper Don Quijote de la Mancha in Stuttgart statt.<br />
1997 wurde ihm sowohl der Frankfurter Musikpreis, als auch der Goethepreis der<br />
Stadt Frankfurt verliehen. In Berlin wurde 2005 seine Oper Chief Joseph an der<br />
Deutschen Staatsoper uraufgeführt. Seit 1999 ist er ständiger Gastdirigent und<br />
Mitglied der künstlerischen Leitung des SWF-Sinfonieorchesters.
176 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 177<br />
Hochtor, Ödstein und Reichenstein
178 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 179<br />
Biographien der InterpretInnen<br />
und Ensembles<br />
Arnold Schoenberg Chor<br />
Steven Dann<br />
Uwe Dierksen<br />
ensemble recherche<br />
Dieter Flury<br />
Marino Formenti<br />
Beat Furrer<br />
Nicolas Hodges<br />
Martin Homann<br />
Mathilde Hoursiangou<br />
Kammerensemble Neue Musik Berlin<br />
Daniel Kirch<br />
Wroclaw Chamber Orchestra Leopoldinum (Kammerorchester Breslau)<br />
Klangforum Wien<br />
Ernst Kovacic<br />
Donna Molinari<br />
Ernesto Moliari<br />
Vocalsolisten Stuttgart<br />
Erwin Ortner<br />
Emilio Pomárico<br />
Schlagquartett Köln<br />
Robyn Schulkowsky<br />
Adam Weisman<br />
Marcus Weiss<br />
Björn Wilker<br />
Zebra Trio<br />
Arnold Schoenberg Chor. Der 1972 von seinem künstlerischen Leiter Erwin<br />
Ortner gegründete Arnold Schoenberg Chor zählt zu den vielseitigsten und<br />
meistbeschäftigten Vokalensembles Österreichs. Das Repertoire reicht von der<br />
Renaissance- und Barockmusik bis zur Gegenwart mit dem Schwerpunkt auf<br />
zeitgenössischer Musik. Das besondere Interesse des Chores gilt der A-cappella-<br />
Literatur, aber auch große Chor-Orchester-Werke stehen immer wieder auf dem<br />
Programm. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Mitwirkung bei Opernproduktionen<br />
beginnend mit Schuberts Fierrabras (Regie: Ruth Berghaus) unter Claudio Abbado<br />
bei den Wiener Festwochen 1988, Messiaens Saint François d’Assise (Regie:<br />
Peter Sellars) unter Esa-Pekka Salonen (1992) sowie die Uraufführung von Berios<br />
Cronaca del Luogo (Regie: Claus Guth) unter Sylvain Cambreling (1999) bei den<br />
Salzburger Festspielen. Weitere Fixpunkte der szenischen Tätigkeit des Chores<br />
sind die regelmäßige Mitwirkung bei den Opernaufführungen des Theaters an<br />
der Wien; die Produktion von Janáceks Aus einem Totenhaus (Regie: Patrice<br />
Chéreau) unter Pierre Boulez wurde zur besten Aufführung des Jahres 2007 unter<br />
allen Opernproduktionen im deutschsprachigen Raum gewählt; Ebenso großen<br />
Erfolg feierte im Jahr 2008 Strawinskys The Rakes Progress (Regie: Martin Kusej)<br />
unter Nikolaus Harnoncourt. Der Arnold Schoenberg Chor unternimmt zahlreiche<br />
Konzertreisen und ist seit Jahren bei den Wiener Festwochen, den Salzburger<br />
Festspielen, bei Wien Modern, dem Carinthischen Sommer und der styriarte Graz<br />
zu Gast. Einspielungen des Chors erhielten renommierte Preise, so etwa 2002<br />
den „Grammy“ für Matthäus-Passion unter Nikolaus Harnoncourt.<br />
Steven Dann (Viola). Seine musikalische Laufbahn umfasst die gesamte Bandbreite<br />
an Möglichkeiten, die sein Instrument bietet. Steven Dann wurde 1953 in<br />
Vancouver, Kanada geboren. Sein erster Lehrer war Lorrand Fenyves. Er studierte<br />
außerdem bei William Primrose, Robert Pikler und Bruno Giuranna. Steven Dann<br />
hat in sechs Sommerkursen das Streichquartett-Repertoire bei Zoltan Szekely<br />
und Mitgliedern des Hungarian String Quartet studiert. Nach seinem Abschluss<br />
wurde er zum Solo-Bratschisten des National Arts Centre Orchestra in Ottawa,<br />
Kanada ernannt. Diese Position hatte er auch beim Tonhalle-Orchester Zürich,<br />
dem Royal Concertgebouw Orchestra und bei den Symphonieorchestern von Vancouver<br />
und Toronto inne. Er gastierte als Solo-Bratschist beim Boston Symphony<br />
Orchestra unter Seiji Ozawa und beim City of Birmingham Symphony Orchestra<br />
unter Sir Simon Rattle. Als Solist bei Konzerten und für Aufnahmen musizierte<br />
er mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Nicolaus Harnoncourt, Paavo<br />
Berglund und Pierre Boulez. Er ist einer der Gründer des Axelrod String Quartet<br />
und zudem seit 1990 Mitglied der Smithsonian Chamber Players in Washington,<br />
D.C. Komponistinnen und Komponisten wie Alexina Louie, Peter Lieberson, R.
180 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 181<br />
Murray Shafer, Frederick Schipitsky und Christos Hatzis haben Werke für Steven<br />
Dann geschrieben. Derzeit konzertiert er außerdem mit Stücken von Giya Kancheli,<br />
Wolfgang Amadeus Mozart und Mark-Anthony Turnage. Steven Dann ist<br />
regelmäßig bei zahlreichen internationalen <strong>Festival</strong>s zu Gast, wie zum Beispiel<br />
dem Young Artists Program des National Arts Centre, der Domaine Forget Québec<br />
oder dem Banff Centre fort he Arts. Er unterrichtet Bratsche und Kammermusik<br />
an der Glenn Gould School in Torontos Royal Conservatory of Music. Er lebt in<br />
Toronto und spielt eine Bratsche von Joseph Gagliano von ca. 1780.<br />
Uwe Dierksen (Posaune). Geboren 1959 in Hannover, studierte er in Hannover,<br />
Hamburg und London. Seit 1983 ist er Posaunist im Ensemble Modern und arbeitete<br />
seitdem mit namhaften Musikern, Komponisten und Dirigenten zusammen.<br />
Zahlreiche Kompositionen sind für ihn geschrieben und von ihm uraufgeführt<br />
worden. Er spielte über 20 Tonträger ein, davon etwa ein Drittel als Solist.<br />
In der Saison 2005/2006 spielt er u.a. die Uraufführung von Johannes Maria Stauds<br />
incipit III für Soloposaune und Orchester mit dem WDR Sinfonieorchester, die<br />
Uraufführung von ROOR für Soloposaune von Arnulf Hermann und ist Solist in<br />
NUN von Helmut Lachenmann mit dem Ensemble Modern Orchestra. Außerdem<br />
wird es die Uraufführung eines Recitals geben, der in Zusammenarbeit mit der<br />
Klasse für angewandte Theaterwissenschaft von Heiner Goebbels entsteht.<br />
Das ensemble recherche ist eines der profiliertesten Ensembles für neue Musik.<br />
Mit über vierhundert Uraufführungen seit der Gründung im Jahr 1985 hat das<br />
Ensemble die Entwicklung der zeitgenössischen Kammer- und Ensemblemusik<br />
maßgeblich mitgestaltet.<br />
Das neunköpfige Solistenensemble hat mit seiner eigenen dramaturgischen Linie<br />
einen festen Platz im internationalen Musikleben gefunden. Neben seiner ausgedehnten<br />
Konzerttätigkeit wirkt das ensemble recherche bei Musiktheaterprojekten<br />
mit und produziert für Hörfunk und Film.<br />
Das Repertoire beginnt bei den Klassikern des ausgehenden 19. Jahrhunderts,<br />
reicht u.a. vom französischen Impressionismus über die Zweite Wiener Schule und<br />
den Expressionisten bis zur Darmstädter Schule, dem französischen Spektralismus<br />
bis zu avantgardistischen Experimenten der Gegenwartskunst. Ein weiteres<br />
Interesse des ensemble recherche gilt der zeitgenössischen Sicht auf die Musik<br />
vor 1700. Das ensemble recherche organisiert sich in Eigenregie.<br />
Dieter Flury (Flöte), in Zürich geboren, studierte bei Hans Meyer (Tonhalle<br />
Zürich) und André Jaunet (Konservatorium Zürich). Einige Begegnungen mit<br />
Aurèle Nicolet ergänzten seine Ausbildung und beeinflussten seine Entwicklung<br />
nachhaltig. Gleichzeitig absolvierte er ein Mathematikstudium an der ETH Zürich.<br />
1977 wurde er in das Orchester der Wiener Staatsoper engagiert, seit 1981 ist<br />
er Erster Flötist der Wiener Philharmoniker. Solistische Auftritte mit den Wiener<br />
Philhamonikern, den Wiener Symphonikern, dem Zürcher Kammerorchester, dem<br />
New Japan Philhamonic Orchestra u.a. Daneben wirkt er weiterhin als Kammermusiker<br />
(Gründermitglied im Wiener Bläserensemble, im Klangforum Wien und<br />
bei den Wiener Virtuosen) und als Solist. Komponisten wie Beat Furrer, Klaus<br />
Huber, György Ligeti, Salvatore Sciarrino, Theo Wegmann, Herbert Willi und Hans<br />
Zender erarbeiteten mit ihm eigene Werke. Verschiedene Uraufführungen wurden<br />
ihm anvertraut, beispielsweise das Flötenkonzert von Uros Rojko (zusammen mit<br />
den Wiener Symphonikern unter Claudio Abbado) im Rahmen des <strong>Festival</strong>s „Wien<br />
Modern“. Zeitweilig beschäftigte er sich mit den mathematischen Grundlagen der<br />
Musiktheorie und stellte eine „axiomatische Theorie der Töne“ auf. Dieter Flury<br />
begann im Zuge einer Vertretung für Prof. Barbara Gisler (Musikhochschule Wien)<br />
zu unterrichten. Nach einigen Meisterkursen (z.B. Pacific Music <strong>Festival</strong> 1991 und<br />
1992 in Sapporo, Forum Musicae in Madrid) sowie zweijähriger Unterrichtstätigkeit<br />
am Konservatorium der Stadt Wien übernahm er 1996 eine Konzertausbildungsklasse<br />
an der Musikuniversität Graz und im gleichen Jahr die Nachfolge von Peter<br />
Lukas Graf an der Internationalen Sommerakademie an der Lenk.<br />
Marino Formenti (Klavier) gilt als einer der führenden Pianisten und Dirigenten<br />
zeitgenössischer Musik. Im Laufe seiner bemerkenswerten Karriere arbeitete er<br />
mit namhaften Komponisten wie Olga Neuwirth, Helmut Lachenmann, György<br />
Kúrtag, Salvatore Sciarrino oder Beat Furrer zusammen und interpretierte u.a.<br />
Werke von Karlheinz Stockhausen, Luciano Berio, John Cage und Olivier Messiaen.<br />
An führenden <strong>Festival</strong>s wie den Salzburger Festspielen, der Ruhrtriennale,<br />
dem Lucerne <strong>Festival</strong>, dem <strong>Festival</strong> Musica Strasbourg oder den Berliner Festwochen<br />
ist er ein gern gesehener Gast. Marino Formenti spielte unter namhaften<br />
Dirigenten wie Sylvain Cambreling, Franz Welser-Möst, Ingo Metzmacher oder<br />
Peter Eötvös und hat mehrere preisgekrönte CD-Produktionen veröffentlicht. Als<br />
Dirigent trat Marino Formenti unter anderem bei den Wiener Festwochen, dem<br />
Teatro alla Scala in Mailand und der Salle Pleyel in Paris in Erscheinung. Erst<br />
kürzlich wurde er mit dem renommierten Belmont-Preis 2009 für zeitgenössische<br />
Musik der Forberg-Schneider-Stiftung ausgezeichnet.<br />
Beat Furrer (Siehe Biographien der KomponistInnen)<br />
Nicolas Hodges (Klavier) wurde 1970 in London geboren. Konzertauftritte u.a.<br />
mit dem Chicago Symphony Orchestra, dem MET Orchestra, der Londoner Phil-
182 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 183<br />
harmonie, dem WDR Sinfonieorchester, dem Sinfonieorchester Luzern und dem<br />
ASKO/Schönberg Ensemble. Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Barenboim,<br />
Rundel, Saraste, Valade und Zender. Teilnahme an zahlreichen <strong>Festival</strong>s wie<br />
Witten, Darmstadt, Zürich (Tage für Neue Musik), Wien (Wien Modern) und den<br />
USA (Carnergie Hall). Mehr als 20 CD-Einspielungen. Nicolas Hodges unterrichtet<br />
an der Musikhochschule in Stuttgart.<br />
Martin Homann (Schlagzeug) spielt seit seinem 10. Lebensjahr Schlagzeug. 1985<br />
begann er sein Schlagzeugstudium bei Prof. Peter Sadlo an der Hochschule für<br />
Musik in München, das er 1992 mit dem Meisterklassendiplom abschloss. 1987<br />
bis 1990 war er Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie und wendete sich<br />
zunehmend der Neuen Musik zu.<br />
Seit seinem Studium arbeitete er als Gast mit allen wichtigen Ensembles der<br />
zeitgenössischen Musik zusammen (Ensemble Modern, Klangforum Wien<br />
u.a.) , was sich in zahlreichen Tourneen und CD-Einspielungen dokumentiert.<br />
Seit 1996 ist er ständiger Gast des Münchener Kammerorchesters und spielt<br />
regelmäßig mit anderen Kammerorchestern wie der Deutschen Kammerphilharmonie<br />
und dem Mahler Chamber Orchestra. Ebenfalls seit 1996 arbeitet<br />
er kontinuierlich als Theatermusiker bei den Münchener Kammerspielen und<br />
dem Residenztheater München. Sein starkes Interesse an der Historischen<br />
Aufführungspraxis führte seit 2000 zu einer regen Zusammenarbeit mit vielen<br />
Ensembles der Alten Musik. 2003 war Martin Homann Gründungsmitglied von<br />
ascolta.<br />
Mathilde Hoursiangou (Klavier), geboren in Paris, wurde am Conservatoire<br />
National Supérieur de Musique in ihrer Geburtsstadt ausgebildet. Seit Anfang<br />
der neunziger Jahren lebt sie in Wien, wo sie einer regen Konzerttätigkeit in allen<br />
möglichen Besetzungen nachgeht. Sie hat mit einer großen Zahl bekannter<br />
Ensembles und Musiker zusammengearbeitet (u.a. Klangforum Wien, Ensemble<br />
Online Vienna, RSO Wien, Ensemble Wiener Collage, Ensemble die reihe,<br />
cappella con durezza, IGNM Basel, Ensemble Do You Know) und ist bei vielen<br />
<strong>Festival</strong>s in ganz Europa aufgetreten. Mit dem Geiger Ernst Kovacic spielt sie<br />
seit über zehn Jahren im Duo regelmäßig zusammen. Sie haben zusammen<br />
das gesamte Werk für Violine und Klavier von Friedrich Cerha aufgenommen.<br />
Ihr vielfältiges Repertoire konzentriert sich auf die Musik der Moderne und die<br />
zeitgenössische Musik, für die sie sich seit ihrer Studienzeit intensiv engagiert.<br />
Der Arbeit mit lebenden Komponisten geht sie seit jeher mit Überzeugung und<br />
Begeisterung nach. Sie hat zahlreiche zum Teil ihr gewidmete Stücke ur- bzw. in<br />
Österreich erstaufgeführt.<br />
Das Kammerensemble Neue Musik Berlin (KNM Berlin) entstand 1988 aus<br />
einer Initiative von Studenten der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Neben<br />
Aufführungen zeitgenössischer Kammermusik widmet es sich insbesondere dem<br />
modernen Musiktheater und anderen experimentellen Musikformen und entwickelte<br />
den Aufführungsstil der Konzertinstallation. Von den zahlreichen Komponisten,<br />
die mit dem KNM zusammenarbeiteten, seien Mark Andre, Georg Katzer, Chris<br />
Newman, Helmut Oehring und Dieter Schnebel genannt, unter den Dirigenten<br />
insbesondere Roland Kluttig. Das Ensemble hat 13 feste Mitglieder, tritt aber auch<br />
in kleineren Besetzungen auf. Das KNM gastiert in allen wichtigen Musikzentren<br />
Europas und beider Amerikas, es erhielt Einladungen zu den Donaueschinger<br />
Musiktagen, den Wiener Festwochen, Wien Modern, Biennale München, <strong>Festival</strong><br />
d’Automne à Paris, ars musica Brüssel und musica Strasbourg. In Berlin war<br />
es mehrfach bei MaerzMusik und beim UltraSchall-<strong>Festival</strong> zu hören sowie mit<br />
Eigenproduktionen wie HouseMusik oder space+place.<br />
Daniel Kirch (Tenor) studierte an der Hochschule für Musik seiner Heimatstadt<br />
Köln bei Hans Sotin, sowie in Berlin bei Prof. Irmgard Hartmann-Dressler und<br />
ging als Preisträger aus mehreren Wettbewerben hervor. Mit Beginn der Spielzeit<br />
1997/98 holte ihn Operndirektor Harry Kupfer in das Ensemble der Komischen<br />
Oper Berlin, dem er auch als Gast, bis im Jahre 2004 verbunden war. In den<br />
vergangenen Spielzeiten sang er u. a. unter der Leitung von Marek Janowski,<br />
Michael Gielen, Kent Nagano, Eliahu Inbal, Valery Gergiev, René Jacobs, Christian<br />
Thielemann, Claudio Abbado und arbeitete mit Regisseuren wie Robert Carsen,<br />
Andreas Homoki, Peter Konwitschny, Günter Krämer, Harry Kupfer, Christof Loy<br />
und David Pountney zusammen. Gastspiele führten ihn u. a. an die Deutsche<br />
Staatsoper Berlin, das Opernhaus Zürich, die Deutsche Oper Berlin, die Oper<br />
Leipzig, die Oper der Stadt Köln, an die Nederlands Reisopera, das Opernhaus<br />
Düsseldorf, das Théâtre de la Monnaie Brüssel und das Gran Teatro Liceu in<br />
Barcelona, sowie an die Bayerische Staatsoper München. In der Vergangenheit<br />
gastierte der Künstler auch an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, der Oper<br />
Frankfurt, der Semperoper in Dresden, an der Mailänder Scala, den Bregenzer<br />
Festspielen, am Theater Basel und – in Koproduktion mit der Wiener Staatsoper<br />
– am Wiener Burgtheater und. Als Liedsänger gab er im Mai 1999 in Berlin mit<br />
einer enthusiastisch aufgenommenen Dichterliebe von Robert Schumann seinen<br />
Einstand. Für Schuberts Winterreise arbeitete Daniel Kirch erneut mit Michael<br />
Thalheimer zusammen und debütierte damit 2007 am Deutschen Theater. Die<br />
unkonventionelle Inszenierung des Schubertschen Liederzyklus wurde mit großem<br />
Erfolg aufgenommen und über mehrere Jahre vor ausverkauftem Haus gespielt.<br />
Bisherige Höhepunkte der laufenden Konzertsaison waren Auftritte mit dem
184 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 185<br />
Berliner Konzerthausorchester und Lothar Zagrosek sowie mit dem Ensemble<br />
Intercontemporain unter Susanna Mälkki.<br />
Das Wroclawska Orkiestra Kameralna Leopoldinum (Kammerorchester Breslau)<br />
wurde 1978 gegründet. Sein Name bezieht sich auf die Aula Leopoldina in<br />
der Universität Breslau. Seit 2007 ist Ernst Kovacic künstlerischer Leiter des<br />
Ensembles.<br />
Das Ensemble genießt internationale Anerkennung und hat regelmäßige Gastspiele<br />
in der Philharmonie und am Schauspielhaus in Berlin, Tivolis Koncertsal<br />
in Kopenhagen, am Teatro Victoria Eugenia in San Sebastian und auf mehreren<br />
europäischen <strong>Festival</strong>s, so etwa bei Tivoli in Dänemark, beim St.Gallen <strong>Festival</strong><br />
und Brücken <strong>Festival</strong> in Österreich, Flanders <strong>Festival</strong> in Belgien, Muziekfestival<br />
West-Brabant in Holland, Bodensee-<strong>Festival</strong> und Weilburger Schlosskonzerte in<br />
Deutschland, Echternach <strong>Festival</strong> in Luxemburg, Du Perigord Noir in Frankreich,<br />
Estoril in Portugal und auf den wichtigsten polnischen <strong>Festival</strong>s, wie etwa dem<br />
Warschauer Herbst, Wratislavia Cantans und Musica Polonica Nova und weitere.<br />
Das Ensemble ist Teil der Witold Lutoslawski Philharmonie in Breslau.<br />
Klangforum Wien. 1985 von Beat Furrer als Solisten-Ensemble für zeitgenössische<br />
Musik gegründet. 24 MusikerInnen aus neun Ländern verkörpern eine<br />
künstlerische Idee und eine persönliche Haltung, die ihrer Kunst zurückgeben,<br />
was ihr im Verlauf des 20. Jahrhunderts allmählich und fast unbemerkt verloren<br />
gegangen ist: einen Platz in ihrer eigenen Zeit, in der Gegenwart und in der Mitte<br />
der Gemeinschaft, für die sie komponiert wird und von der sie gehört werden<br />
will. Seit seinem ersten Konzert, welches vom Ensemble noch als ‚Société de<br />
l’Art Acoustique‘ unter der musikalischen Leitung seines Gründers Beat Furrer<br />
im Palais Liechtenstein gespielt wurde, hat das Klangforum Wien unversehens<br />
ein Kapitel Musikgeschichte geschrieben: An die fünfhundert Kompositionen<br />
von KomponistInnen aus drei Kontinenten hat das Ensemble uraufgeführt und<br />
so zum ersten Mal ihre Notenschrift in Klang übersetzt. Auf eine Diskographie<br />
von mehr als 70 CDs, auf eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen und auf<br />
2000 Auftritte in den ersten Konzert- und Opernhäusern Europas, Amerikas und<br />
Japans, bei den großen <strong>Festival</strong>s ebenso wie bei jungen engagierten Initiativen<br />
könnte das Klangforum Wien zurückblicken, wenn das Zurückblicken denn seine<br />
Sache wäre. Seit dem Jahr 2009 könnte sich das Klangforum Wien auf Grund<br />
eines Lehrauftrags der<br />
Kunstuniversität Graz auch in corpore ‚Professor‘ nennen. Die Mitglieder des<br />
Klangforum Wien stammen aus Australien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich,<br />
Griechenland, Italien, Österreich, Schweden und der Schweiz.<br />
Ernst Kovacic (Geige). Geboren in Kapfenberg, Österreich, zählt er zu den vielseitigsten<br />
Geigern und Dirigenten seiner Generation. Wien mit seinem starken<br />
Spannungsfeld zwischen Tradition und innovativen Kräften prägte Ernst Kovacic<br />
nachhaltig. Dieser Einfluss ist in seinem Formbewusstsein, seiner musikalischen<br />
Ausdeutungsweise und seiner Klangvision spürbar. Durch seine Interpretation der<br />
Solowerke Bachs, der Violinkonzerte Mozarts und durch sein Engagement für die<br />
Musik des 20. Jahrhunderts erlangte er internationale Bekanntheit. Er konzertiert<br />
als Solist prominenter Orchester unter Dirigenten wie Sir Simon Rattle, Sir Roger<br />
Norrington, Eska Pekka Salonen, Michael Gielen und Franz Welser-Möst. Ernst<br />
Kovacic spielt eine Geige von Giovanni Battista Guadagnini aus dem Jahre 1753.<br />
2007 hat er die künstlerische Leitung des Kammerorchesters Leopoldinum in<br />
Wroclaw, Polen, übernommen.<br />
Donna Molinari (Klarinette) wurde in den USA geboren und erhielt ihren Bachelor<br />
of Music Am Peabody Conservatory of Music in Baltimore, Maryland und ihr<br />
Diplom in Wien, wo sie seit 1979 wohnt. Donna Molinari spielt als Solistin und<br />
Kammermusikerin in den musikalischen Zentren in Europa, Asien, Australien und<br />
den USA. Fernseh- und Radioproduktionen, zahlreiche CD-Einspielungen, unter<br />
anderem auch von ihren eigenen Kompositionen begleiten ihre künstlerische<br />
Karriere. Sie interessiert sich besonders für die Improvisation und Interpretation<br />
zeitgenössischer Musik. 1989-2005 war sie Mitglied des Klangforum Wien.<br />
Ernesto Molinari (Klarinette). Seine Konzerttätigkeit als Kammermusiker und Solist<br />
führen ihn zu den wichtigsten <strong>Festival</strong>s in ganz Europa u.a. zum <strong>Festival</strong> d’automne<br />
Paris, den Salzburger Festspielen, dem IMF Luzern, und dem Wien Modern.<br />
Neben der Interpretation klassischer, romantischer und zeitgenössischer Werke<br />
beschäftigt sich Ernesto Molinari mit Jazz und Improvisation. Zahlreiche Werke,<br />
die für ihn komponiert wurden, hat er zur Uraufführung gebracht. Rundfunk und<br />
CD-Aufnahmen u.a. mit Werken von Arnold Schönberg, Brian Ferneyhough, Jean<br />
Barraqué, Michael Jarrell und Emanuel Nunes begleiten seine Konzerttätigkeit.<br />
Ernesto Molinari war von 1994–2005 Mitglied des Klangforum Wien. Er lebt heute<br />
in Bern und ist Dozent an der Hochschule der Künste Bern.<br />
Neue Vocalsolisten Stuttgart Sie sind Forscher, Entdecker, Abenteurer und<br />
Idealisten. Ihre Partner sind Spezialistenensembles und Rundfunkorchester,<br />
Opernhäuser und die freie Theaterszene, elektronische Studios sowie zahlreiche<br />
Veranstalter internationaler <strong>Festival</strong>s und Konzertreihen Neuer Musik. 1984 als<br />
Ensemble für zeitgenössische Vokalmusik unter dem Dach von Musik der Jahrhunderte<br />
gegründet, sind die Neuen Vocalsolisten seit dem Jahr 2000 ein künst-
186 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 187<br />
lerisch selbstständiges Kammerensemble für Stimmen. Die sieben Konzert- und<br />
Opernsolisten, vom Koloratursopran über den Countertenor bis zum schwarzen<br />
Bass, bringen in Eigenverantwortung ihre künstlerische Gestaltungskraft in die<br />
kammermusikalische Arbeit und in die Zusammenarbeit mit Komponisten und<br />
anderen Interpreten ein. Im Zentrum ihres Interesses steht die Recherche: das<br />
Erforschen neuer Klänge, neuer Stimmtechniken und vokaler Artikulationsformen,<br />
wobei dem Dialog mit Komponisten eine große Bedeutung zukommt. In jedem<br />
Jahr werden etwa 20 Werke von den Neuen Vocalsolisten uraufgeführt. Das<br />
Musiktheater und die interdisziplinäre Arbeit mit Elektronik, Video, bildender<br />
Kunst und Literatur gehören ebenso zum Ensemblekonzept wie die Collage von<br />
kontrastierenden Elementen Alter und Neuer Musik.<br />
Erwin Ortner (musikalische Leitung) war Mitglied der Wiener Sängerknaben,<br />
später Student an der Musikhochschule (u.a bei H. Swarowsky, H. Gillesberger).<br />
Seit 1980 lehrt Ortner Chorleitung/chorische Stimmbildung an der Musikuniversität<br />
in Wien; in den Jahren 1996 bis 2002 war er Rektor dieses Instituts. Ortner ist<br />
Gründer und künstlerischer Leiter des Arnold Schoenberg Chores. Zahlreiche<br />
Einspielungen und Preise dokumentieren eine enge, bereits über Jahrzehnte<br />
dauernde Zusammenarbeit mit N. Harnoncourt. Bei der Grammy-Verleihung 2002<br />
ging die Auszeichnung in der Kategorie „Beste Choraufführung“, bei der sowohl<br />
Orchesterdirigent als auch der Chorleiter ausgezeichnet werden, an die Aufnahme<br />
von Bachs Matthäus-Passion unter Harnoncourt mit dem ASC. Als Dirigent<br />
führten ihn Projekte gemeinsam mit M. Pollini nach New York, Paris und Tokyo;<br />
Einladungen als Gastdirigent dokumentieren seine vielseitige Tätigkeit im In- und<br />
Ausland. Ortner ist auch bei renommierten Kursen für Chor- und Orchesterleitung<br />
weltweit gefragter Dozent. Er übernimmt ab 2010 die Leitung der seit dem Jahr<br />
1498 bestehenden Wiener Hofmusikkapelle.<br />
Emilio Pomárico (musikalische Leitung) wurde als Sohn italienischer Eltern in<br />
Buenos Aires geboren. Er studierte in Italien, in Mailand, und bildete sich bei Franco<br />
Ferrara (Siena 1979-1980) und Sergiu Celibidache (München 1981) weiter. Er<br />
debütierte 1982 mit einer erfolgreichen Konzertserie in Italien und Südamerika.<br />
Er arbeitete mit den wichtigsten italienischen Orchestern in Turin, Rom, Mailand,<br />
Padua, Veneto, Bozen, Palermo, Parma, Florenz und mit Theaterorchestern, wie<br />
dem Orchester der Mailänder Scala. Auch in zahlreichen europäischen Städten<br />
dirigierte Pomárico: Paris, Genf, Lissabon, Berlin, Basel, Frankfurt, Zürich, Glasgow,<br />
Edinburgh etc. Emilio Pomárico wurde bisher an zahlreiche internationale <strong>Festival</strong>s<br />
eingeladen. Um nur einige zu nennen: <strong>Festival</strong> d’Automne Paris, La Biennale<br />
Musica in Venedig, Settembre Musica in Turin, Edinburgh International <strong>Festival</strong>.<br />
Ein Schwerpunkt von Pomárico ist die zeitgenössische Musik. Zusammen mit<br />
dem Ensemble Modern in Frankfurt, dem Freiburger Ensemble Recherche, dem<br />
Ensemble Contrechamps Genf und dem Nieuw Ensemble Amsterdam erarbeitete<br />
er dementsprechende Werke. Regelmäßige Zusammenarbeit verbindet ihn auch<br />
mit dem Klangforum Wien. Der Komponist Pomárico und wurde mit dem G.-B.-<br />
Biotti-Preis ausgezeichnet. 2000 führte das ensemble recherche beim <strong>Festival</strong><br />
Musik der Zeit seine Nachtfragmente für Streichtrio auf. Pomárico ist Professor<br />
für Dirigieren an der Civica Scuola di Musica in Mailand.<br />
Das Schlagquartett Köln gab sein Debüt auf den Wittener Tagen für Neue<br />
Kammermusik 1989. Sein ebenso vielseitig wie experimentierfreudig angelegtes<br />
Repertoire umfasst weite Bereiche der komponierten Schlagzeugmusik dieses<br />
und des vergangenen Jahrhunderts. Zahlreiche Konzerte, Rundfunkproduktionen<br />
und Uraufführungen dokumentieren die nunmehr seit zwanzig Jahren andauernde<br />
kontinuierliche Arbeit für diese spezielle Besetzung. In enger Zusammenarbeit mit<br />
der jüngeren Komponistengeneration schaffen die Musiker des Schlagquartett<br />
Köln vielfach Raum für die detaillierte Lösung kompositorischer Aufgabenstellung<br />
durch die Entwicklung innovativer Spieltechniken oder den Bau spezieller Klangerzeuger.<br />
Neben ihrer Ensembletätigkeit konzertieren die einzelnen Mitglieder als<br />
Solisten und sind bei renommierten Orchestern und Kammerensembles engagiert,<br />
darunter Ensemble Modern, Klangforum Wien, Musikfabrik NRW, Thürmchen<br />
Ensemble, Ascolta Ensemble, Scola Heidelberg und Kammerensemble Neue<br />
Musik Berlin uvm.<br />
Regelmäßige Auftritte des Schlagquartett Köln bei wichtigen internationalen<br />
<strong>Festival</strong>s. Musiktheaterprojekte in Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus<br />
und der Oper Düsseldorf, der Oper Bonn, dem Stadttheater Bielefeld, der Oper<br />
und dem Schauspiel Köln und dem Staatstheater Wiesbaden. 2003 erhielt das<br />
Schlagquartett Köln den Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung.<br />
Robyn Schulkowsky (Schlagzeug), 1953 in Eureka, South Dakota geboren,<br />
studierte Schlagzeug in Iowa und New York und ergänzend bei Christoph Caskel<br />
in Köln. Seitdem arbeitet sie als freie Solistin und Komponistin. Seit 1980 lebt sie<br />
in Europa und trat unter anderem in Uraufführungen von Werken von Karlheinz<br />
Stockhausen, Mauricio Kagel, Walter Zimmermann, Rebecca Saunders, und<br />
Wolfgang Rihm auf. Darüber hinaus wurde sie als Improvisatorin bekannt und<br />
arbeitete besonders mit Lindsay Cooper, Derek Bailey und Nils Petter Molvær<br />
zusammen. Sie realisierte Multi-Media-Projekte mit Künstlern wie Günther Uecker,<br />
Sasha Waltz und dem Ghanesischen Schlagzeuger Kofi Ghanaba. Komponiert<br />
hat sie überwiegend für Theaterproduktionen und Filme sowie Stücke für Solo-
188 bIograPhIen<br />
bIograPhIen 189<br />
Perkussion und Perkussionensemble. 1998 gründete sie Rythm Lab, ein mobiles<br />
Schlagzeugstudio, mit dem sie weltweit Workshops gibt.<br />
Adam Weisman (Schlagzeug) studierte bei Fred Hinger and Chris Lamb an der<br />
Manhattan School of Music in New York, bei Sylvio Gualda in Versailles und bei<br />
Peter Sadlo und Robyn Schulkowsky in München. 1991 erhielt er den dritten<br />
Preis beim ARD Musikwettbewerb in München und 1992 den zweiten Preis beim<br />
Internationalen Musikwettbewerb in Genf. Er komponierte und spielte Musik für<br />
Theaterstücke am Bayerischen Staatsschauspiel München, Württembergischen<br />
Landestheater Esslingen und Landestheater Linz. Er spielte Neue Musik mit New<br />
Music Consort und NewBand in New York von 1988 bis 1990, sowie mit dem<br />
Ensemble Modern, mit dem Klangforum Wien (Residenzmitglied 1997-98, 2004-<br />
05) mit Musik der Jahrhunderte Stuttgart und mit Zeitkratzer (Konzerte mit Lou<br />
Reed). Er wirkte bei zahlreichen CD-Produktionen mit. Als Solist trat er in Paris,<br />
München, Genf, Berlin, Wien, Danzig, Peruggia und Mar del Plata, Argentinien<br />
auf. Er spielte Volksmusik mit der Quechua-Indianer Una Ramos und ist Rock-<br />
Drummer bei Landis Mackellar and the Diatribes.<br />
Marcus Weiss (Saxophon) ist 1961 in Basel (Schweiz) geboren. Saxophonstudium<br />
an der Musikhochschule Basel bei Iwan Roth anschliessend bei Frederick<br />
L. Hemke an der Nothwestern University (Chicago). Marcus Weiss ist einer der<br />
meistbeachtetsten Saxophonisten heute. Sein Repertoire reicht von den impressionistischen<br />
Anfängen der Saxophonliteratur bis in die Gegenwart. Er hat in den<br />
letzten Jahren unzählige solistische und auch Kammermusikwerke uraufgeführt.<br />
Darunter Werke von Georges Aperghis, Vinko Globokar, Helmut Lachenmann,<br />
John Cage. Er gastiert bei <strong>Festival</strong>s wie Wien Modern, Biennale di Venezia,<br />
Donaueschingen, Wittener Tage für neue Kammermusik, <strong>Festival</strong> d’Automne de<br />
Paris, Berliner Festwochen usw. Marcus Weiss spielt mit Ensembles wie Klangforum<br />
Wien, Ensemble Modern, ensemble recherche, Ensemble Contrechamps.<br />
In den letzten Jahren ist er auch durch eine intensive kammermusikalische Tätigkeit<br />
mit XASAX/Paris, einem Saxophonensemble und mit dem TRIO ACCANTO<br />
hervorgetreten. Er unterrichtet Saxophon und Kammermusik an der Hochschule<br />
für Musik Basel.<br />
Björn Wilker (Schlagzeug) wurde 1968 in Gelsenkirchen-Buer geboren. Er studierte<br />
Schlagzeug an der Hochschule der Künste Berlin und an der Hochschule<br />
für Musik Freiburg i.Br. Die für seine Entwicklung maßgeblichen Lehrer waren<br />
Bernhardt Wulff, Isao Nakamura und Robyn Schulkowsky. Nach ausgiebiger<br />
Konzerttätigkeit als freischaffender Schlagzeuger im Bereich der Neuen Musik<br />
wurde er 1993 Mitglied des Klangforum Wien. In den Jahren 1998/2000 unterbrach<br />
er seine dortige Konzerttätigkeit, um bei Helmut Lachenmann an der Stuttgarter<br />
Musikhochschule Komposition zu studieren. Heute ist er neben dem Klangforum<br />
Wien als Solist und als Komponist tätig.<br />
Zebra Trio. Das Streichtrio, ein einzigartiges und in weiten Teilen unerschlossenes<br />
Genre, das Meisterwerke aller musikalischen Epochen beinhaltet, hat in<br />
der Zusammenarbeit dreier bemerkenswerter Musiker einen neuen Botschafter<br />
gefunden. Gemeinsam bringen Ernst Kovacic (Violine), Steven Dann (Viola) und<br />
Anssi Karttunen (Violoncello) eine Fülle an Erfahrung, Engagement und Virtuosität<br />
ein, die dieser transparenten und äußerst individuellen Form der Kammermusik<br />
das gewisse Etwas verleiht.<br />
Nach ersten Konzerten in Kanada und ihrem europäischen Debüt im Museo Reina<br />
Sofia in Madrid, bringen die Musiker 2010 eigens für sie komponierte Trios von<br />
Kaija Saariaho, Friedrich Cerha, Rolf Wallin und Miroslav Srnka zur Uraufführung.<br />
Kaija Saariahos Cloud Trio wird beim Båstad Chamber Music <strong>Festival</strong> und Music<br />
Around aus der Taufe gehoben. Weitere Konzerte in der Saison 2010/11 führen<br />
das Zebra Trio nach Österreich (Styriarte Graz, <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong>, Konzerthaus<br />
Wien) und Frankreich (Musica Strasbourg).
190 aufführungSorte<br />
aufführungSorte 191<br />
Aufführungsorte<br />
Fabrikshalle Palfinger Systems<br />
Fabrikshalle Georg Fischer Automotive<br />
Kirche St.Gallen<br />
Burg Gallenstein<br />
Stiftsbibliothek Admont<br />
Haindlkar<br />
Turnhalle St.Gallen<br />
Naturparkzentrum St.Gallen<br />
Fabrikshalle Palfinger Systems<br />
Palfinger Systems GmbH<br />
Schröckendorf 4<br />
8913 Weng im Gesäuse<br />
Koordinaten<br />
Breitengrad: 47.5965167<br />
Längengrad: 14.4974197<br />
Fabrikshalle Georg Fischer Automotive<br />
Georg Fischer GmbH & Co KG<br />
Essling 41<br />
8934 Altenmarkt<br />
Koordinaten<br />
Breitengrad: 47.722079<br />
Längengrad: 14.666462<br />
Kirche St.Gallen<br />
Kirchenviertel; Markt<br />
8933 St.Gallen<br />
Koordinaten<br />
Breitengrad: 47.69293066<br />
Längengrad: 14.61604357<br />
Burg Gallenstein<br />
8933 St.Gallen<br />
Koordinaten<br />
Breitengrad: 47.69061247<br />
Längengrad: 14.62631106<br />
Aufgrund vieler Treppen für RohlstuhlfahrerInnen schwer zugänglich.
192 aufführungSorte<br />
muSIkVermIttlung 193<br />
Stiftsbibliothek Admont<br />
Benediktinerstift Admont<br />
Admont 1, 8911 Admont<br />
www.stiftadmont.at<br />
Koordinaten<br />
Breitengrad: 47.57368845<br />
Längengrad: 14.46174145<br />
Haindlkar<br />
Nationalpark Gesäuse<br />
Nähe Haindlkar-Berghütte<br />
8912 Johnsbach<br />
Koordinaten<br />
Breitengrad: 47.5836182<br />
Längengrad: 14.6108079<br />
Zustieg vom Haindlkar-Parkplatz an der Gesäuse-Bundesstraße<br />
zwischen Johnsbachtal und Gstatterboden<br />
Dauer: ca 1,5 h<br />
Festes Schuhwerk wird dringend empfohlen.<br />
Turnhalle St.Gallen<br />
Volksschule St.Gallen<br />
Buchauerstraße 100, 8933 St.Gallen<br />
Koordinaten<br />
Breitengrad: 47.68638024<br />
Längengrad: 14.61661756<br />
Naturparkzentrum St.Gallen<br />
<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />
Markt 35, 8933 St.Gallen<br />
Koordinaten<br />
Breitengrad: 47.69275734<br />
Längengrad: 14.61688042<br />
Gr. Buchstein
194 anreISe<br />
anreISe 195<br />
Anreise zum <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong><br />
Auf der Roßkuppe<br />
Das Gesäuse liegt in der nördlichen Steiermark, im Bezirk Liezen. Ca. 130km<br />
nordwestlich von Graz, 100km südlich von Linz und ca. 180km westlich von Salzburg.<br />
Mit dem Auto von<br />
Graz<br />
A9 Richtung Linz / Salzburg<br />
Ausfahrt 86 Trieben über Dietmannsdorf bei Trieben, Admont und Weng im Gesäuse<br />
nach St.Gallen.<br />
Fahrtdauer: ca. 1h 30min<br />
Wien<br />
A1 Richtung Linz<br />
Ausfahrt 123 Amstetten West auf B121 Richtung Waidhofen an der Ybbs.<br />
Nach Waidhofen an der Ybbs weiter auf der B121. Nach Weyer auf die B115 über<br />
Altenmarkt bei St.Gallen nach St.Gallen.<br />
Fahrtdauer ca. 2h 30min<br />
Linz<br />
A1 Richtung Salzburg<br />
Knoten Voralpenkreuz auf die A9 Richtung Graz wechseln.<br />
Ausfahrt 67 Ardning auf B146 Richtung Admont über Admont und Weng im Gesäuse<br />
nach St.Gallen.<br />
Fahrtdauer ca. 1h 45min<br />
Salzburg<br />
A1 Richtung Linz<br />
Knoten Voralpenkreuz auf die A9 Richtung Graz wechseln.<br />
Ausfahrt 67 Ardning auf B146 Richtung Admont über Admont und Weng im Gesäuse<br />
nach St.Gallen.<br />
Fahrtdauer: c a. 2h
196 anreISe<br />
anreISe 197<br />
Mit der Bahn von<br />
Graz<br />
Graz Hauptbahnhof nach Weißenbach / St.Gallen oder Weißenbach / Enns Abzw<br />
Bahnhof<br />
Während der Woche:<br />
günstige Verbindungen zwischen 14:26 und 16:35<br />
Am Wochenende:<br />
günstige Verbindungen zwischen 11:38 und 15:38<br />
Fahrtdauer: ca. 3h 20min<br />
Wien<br />
Wien Westbahnhof nach Weißenbach / St.Gallen oder Weißenbach / Enns Abzw<br />
Bahnhof<br />
Während der Woche:<br />
mehrmals täglich zwischen 9:44 und 18:44<br />
Am Wochenende:<br />
mehrmals täglich zwischen 10:44 und 16:44<br />
Fahrtdauer: ca. 2h 40min<br />
Linz<br />
Linz Hauptbahnhof nach Weißenbach / St.Gallen oder Weißenbach / Enns Abzw<br />
Bahnhof<br />
Während der Woche:<br />
mehrmals täglich zwischen 7:00 und 17:30<br />
Am Wochenende:<br />
mehrmals täglich zwischen 10:30 und 15:53<br />
Fahrtdauer: ca. 2h<br />
Salzburg<br />
Salzburg Hauptbahnhof nach Weißenbach / St.Gallen oder Weißenbach / Enns<br />
Abzw Bahnhof<br />
Während der Woche:<br />
günstige Verbindungen zwischen 09:10 und 16:10<br />
Am Wochenende:<br />
günstige Verbindungen zwischen 11:38 und 15:38<br />
Fahrtdauer: ca. 3h<br />
Stand: Mai 2010<br />
HALL<br />
NACH | LIEZEN (A9)<br />
Gasthof Wengerwirt<br />
WENG<br />
+ Fabrikshalle Palfinger<br />
BUCHAUER SATTEL<br />
ADMONT<br />
+ Benediktinerstift Admont<br />
Stiftbibliothek<br />
+ Schloss Röthelstein<br />
B 146<br />
NACH | TO TRIEBEN (A9)<br />
B 117<br />
Gasthof Dandler<br />
+ <strong>Festival</strong>büro<br />
<strong>Arcana</strong><br />
+ Kirche<br />
+ Kulturkreis<br />
Gallenstein<br />
+ Turnhalle<br />
ALTENMARKT<br />
JOHNSBACH<br />
+ Fabrik Georg Fischer<br />
Bahnhof Weißenbach<br />
WEISSENBACH<br />
+ Burg Gallenstein<br />
NATIONALPARK<br />
GESÄUSE<br />
+ Haindlkar<br />
ST. GALLEN<br />
B 115<br />
GSTATTERBODEN<br />
B 25<br />
NATURPARK<br />
EISENWURZEN<br />
GROSSREIFLING<br />
+ Gasthof Schnabl<br />
HIEFLAU
198 tIcketS<br />
tIcketS 199<br />
Tickets<br />
Gesäuseeingang<br />
<strong>Festival</strong>pass: 90 | ermäßigt 70 Euro<br />
28.7.: Winterreise: 36 / 24 / 15 Euro | ermäßigt – / 20 / 12 Euro<br />
29.7.: Kopfhörer: 5 Euro<br />
29.7.: Zipangu: 18 / 12 Euro | ermäßigt 20 / 12 Euro<br />
29.7.: Assonances: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />
30.7.: Pulsare: 18 Euro | ermäßigt 12 Euro<br />
31.7.: Performance Ernst Kovacic: 18 Euro | ermäßigt 12 Euro<br />
31.7.: Madrigale: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />
01.8.: Von Sternen, Nebeln, Galaxien …: 18 Euro | ermäßigt 12 Euro<br />
02.8.: Action Music: 12 / 7 / 5 Euro<br />
02.8.: Rothko Chapel: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />
02.8.: Notturno: 5 Euro<br />
03.8.: Abrumado: 5 Euro (inkl. Glas Sekt)<br />
03.8.: Lecture Concert: Eintritt frei<br />
03.8.: Solo pour trois: 12 Euro<br />
03.8.: Abîme – Abgrund: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />
04.8.: Schwarzer Peter: Eintritt frei<br />
04.8.: Canti Notturni: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />
04.8.: Trilogy of the Americas (La Selva/Buildings/Wind): Eintritt frei<br />
05.8.: Dal niente al dente: 24 Euro (inkl. einem Menü, gekocht von Ernesto Molinari)
200 tIcketS<br />
tIcketS 201<br />
6.8.: Spuren: 24 / 15 / 7 Euro | ermäßigt 20 / 12 / 5 Euro<br />
06.8.: Jam Session: 12 Euro | ermäßigt 10 Euro<br />
07.8.: Clouds: 18 Euro | ermäßigt 12 Euro<br />
08.8.: Finale Furioso: 24 Euro<br />
Ermäßigter Entritt gilt für: SchülerInnen, Studierende, Zivildienstleistende und<br />
Grundwehrdiener.<br />
Ö1 Club–Mitglieder erhalten 10% Ermäßigung auf die Kartenpreise (auch gültig<br />
für eine Begleitperson).<br />
Informationen und Bestellungen<br />
<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />
Markt 35, 8933 St.Gallen<br />
tickets@arcanafestival.at<br />
T + 43 3632 77 14 11<br />
F + 43 3632 77 14 10<br />
weitere Vorverkaufsstellen<br />
regionale10 <strong>Festival</strong>zentrum<br />
Bahnhofstraße 3, 8940 Liezen<br />
tickets@regionale10.at<br />
T + 43 676 848 119 119<br />
Benediktinerstift Admont<br />
Admont 1, 8911 Admont<br />
kultur@stiftadmont.at<br />
T + 43 3613 2312 601 o. 604<br />
Schloss Trautenfels<br />
Trautenfels 1, 8951 Trautenfels<br />
trautenfels@museum–joanneum.at<br />
T + 43 3682 222 33<br />
Sowie alle Vorverkaufsstellen der regionale10.<br />
Reichenstein
202 daS geSäuSe<br />
daS geSäuSe 203<br />
Das Gesäuse<br />
Koordinaten: 47° 35´´ 19´ N, 14° 39´´ 32´ O<br />
Auf der Haindlmauer<br />
Das Gesäuse bildet mit schroffen Kalkgipfeln und dem Durchbruchstal der Enns<br />
den nordöstlichen Teil der Ennstaler Alpen in Österreich. 2002 wurde ein großer<br />
Teil des Gesäuses zum Nationalpark erklärt.<br />
Topografie und benachbarte Gebirge<br />
Das Gebiet des Gesäuses wird regional - aber auch in der Literatur – sehr unterschiedlich<br />
eingegrenzt. In den meisten Bergbüchern werden die Haller Mauern<br />
dazugerechnet. Häufig werden<br />
auch die südlich angrenzenden Eisenerzer Alpen einbezogen. Gesäuse, Haller<br />
Mauern und Eisenerzer Alpen bilden zusammen die Gebirgsregion der Ennstaler<br />
Alpen. Streng genommen bezeichnet das Gesäuse lediglich das 16 km lange<br />
Durchbruchtal der Enns zwischen Admont und Hieflau und die Seitentäler von<br />
Radmer und Johnsbach. Die Enns überwindet innerhalb dieser<br />
kurzen Strecke ein Gefälle von über 150 Meter. Das wildschäumende, schnell<br />
dahinsausende Wildwasser gab diesem hochalpinen Abschnitt seinen Namen.<br />
Zu beiden Seiten des Flusses ragen die senkrechten Kalkberge über das Tal und<br />
bilden die berühmten Kletterwände des Gesäuses. Nördlich der Enns bestimmen<br />
die Berge der Buchsteingruppe die Landschaft. Südlich des Flusses erheben sich<br />
die Gipfel der Admonter Reichensteingruppe, der Hochtorgruppe und der Zinödl-<br />
Lugauer-Gruppe. Im Nordwesten trennt der Buchauer Sattel die Haller Mauern<br />
vom Großen Buchstein. Im Norden der Gesäuseberge treffen das Reichraminger<br />
Hintergebirge und die Ybbstaler Alpen aufeinander, getrennt von der zur Donau hin<br />
abfließenden Enns. Im Osten grenzt das Gesäuse an die bewaldeten westlichen<br />
Ausläufer des Hochschwabs und an die Eisenerzer Alpen. Ebenso begrenzt im<br />
Süden der Hauptkamm der Eisenerzer Alpen das Gesäuse und trennt es vom<br />
Palten- und Liesingtal.<br />
Gebirgsgruppen<br />
Buchsteingruppe<br />
Bis 1700 m ragen die Berge der Buchsteingruppe nördlich der Enns empor. Im<br />
westlichen Teil der Gruppe bieten markante Felsbänder aus griffigem Dachsteinkalk<br />
hervorragende Kletterwände für jeden Anspruch. Höchster und westlichster Berg<br />
ist der Große Buchstein (2224 m). Vom Buchsteinhaus wird der Gipfel häufig von<br />
erfahrenen Bergwanderern über den Normalweg bestiegen. Jenseits der Enns<br />
bieten die senkrecht aufragenden Nordwände der Hochtorgruppe einen beeindruckenden<br />
Anblick. Der Bruckgraben entwässert in einer tiefen, engen Klamm die
204 daS geSäuSe<br />
daS geSäuSe 205<br />
Buchsteingruppe Richtung Enns. Bis zur Tieflimauer (1820 m) ist der Gratverlauf<br />
ausgesetzt und erfordert deshalb vom Wanderer grundlegende Klettererfahrung,<br />
Schwindelfreiheit und Trittsicherheit. Nordöstlich vom Großen Buchstein befindet<br />
sich der 1990 m hohe Kleine Buchstein, dessen Gipfel lange Zeit als unersteigbar<br />
galt. Im östlichen Teil der Buchsteingruppe liegt malerisch am Fuße des 2035 m<br />
hohen Tamischbachturm die Ennstaler Hütte. Sie ist die älteste Schutzhütte in den<br />
Ennstaler Alpen. Der markante Tamischbachturm ist auch von weniger erfahrenen<br />
Bergwanderern leicht zu ersteigen und bietet ein umfangreiches Panorama.<br />
Hochtorgruppe<br />
Die Hochtorgruppe ragt mit ihren bis 1000 m senkrecht ansteigenden Kalkwänden<br />
imposant aus dem Ennstal empor. Die berüchtigten Nordwände bieten Klettertouren<br />
aller Schwierigkeitsgrade. Viele Bergsteiger verloren in diesen Wänden ihr Leben.<br />
Die Hochtorgruppe ist die beliebteste und meistbesuchte Kletterregion der Ennstaler<br />
Alpen. Sämtliche Anstiege auf die Gipfel, auch über die Normalwege, erfordern vom<br />
Bergwanderer Erfahrung, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Markante gesicherte<br />
Einstiege aus dem Ennstal über den Wasserfallweg, durch das Haindlkar und über<br />
den historischen Peternpfad zeugen seit über 100 Jahren von der Beliebtheit dieser<br />
Bergsteigerregion. Im Westen, direkt unter den Nordwänden, ist die traditionsreiche<br />
Haindlkarhütte Stützpunkt für Wander- und Klettertouren aus dem Haindlkar. Im<br />
Osten befindet sich unterhalb des Hochtors die Heßhütte. Sie ist Ausgangspunkt<br />
zur Ersteigung des Hochzinödl und aller Hochtorgipfel. Im Gratverlauf von Ost<br />
nach West ist die Planspitze (2117 m) mit ihrer bis zu 780 m hohen Kletterwand<br />
der erste markante Gipfel der Gruppe. Nach den beiden Peternschartenköpfen<br />
folgt die 2152 m hohe<br />
Roßkuppe. Hauptgipfel und höchster Berg der gesamten Ennstaler Alpen ist das<br />
2369 m hohe Hochtor. Der Berg bricht nach allen Seiten mit steilen Wänden ab.<br />
Über den Haindlkarturm (2238 m) schließt der Grat im Westen mit dem besonders<br />
schönen und wuchtigen Gipfel des 2335 m hohen Großen Ödstein ab.<br />
Admonter Reichensteingruppe<br />
Die Admonter Reichensteingruppe hat für Bergwanderer und Bergsteiger eine<br />
ähnlich große Bedeutung wie die Hochtorgruppe. Südlich der Enns erhebt sich<br />
die Reichensteingruppe vom Gesäuseeingang bis zur Marktgemeinde Admont.<br />
Getrennt wird sie von der Hochtorgruppe durch das wildromantische Johnsbachtal.<br />
Östlichster und höchster Gipfel der Gruppe ist der 2251 m hohe, formschöne Admonter<br />
Reichenstein. Auch auf seinen Gipfel führt kein Weg, der leicht zu begehen<br />
ist. Stützpunkt des Berges ist die südlich auf der Treffner Alm gelegene Mödlinger<br />
Hütte. Durch die Wildscharte getrennt folgt der Gipfel des 2247 m hohen Sparafeld.<br />
Nach Süden hin fallen die Wände der beiden Berge markant und wildromantisch<br />
zur Flitzenalm ab. Ein besonders beliebter Kletterberg ist der 2196 m hohe Kalbling.<br />
Hauptgründe hierfür sind der einfache Zugang über die Oberst-Klinke-Hütte und die<br />
berühmten Kletterrouten der West- und Südwand. Über seinen Normalweg ist der<br />
Gipfel des Kalbling auch relativ leicht von erfahrenen Bergwanderern zu ersteigen.<br />
Im Westen schließt der 2011 m hohe Kreuzkogel die Admonter Reichensteingruppe<br />
ab. Zu Füßen dieses Gipfels liegt die Marktgemeinde Admont. Der Übergang<br />
vom Kreuzkogel zum Kalbling über den aussichtsreichen Riffelgrat sollte nur von<br />
erfahrenen Bergwanderern begangen werden.<br />
Lugauer-Zinödl-Gruppe<br />
Südöstlich der Hochtorgruppe ist die Lugauer-Zinödl-Gruppe vorgelagert. Von der<br />
Hesshütte ist der aussichtsreiche Gipfel des Hochzinödl (2191 m) leicht erreichbar.<br />
Die nach Südosten 600 m steil abfallenden Schrofenwände bieten interessante<br />
Kletterrouten. Die Besteigung der isoliert aus dem Radmertal aufragenden<br />
Doppelgipfel des Lugauer (2217 m) erfordert Schwindelfreiheit und Trittsicherheit<br />
und ist aus allen Richtungen sehr zeitintensiv. Aus östlicher Richtung wirkt der<br />
Lugauer besonders markant, was ihm bei den Einheimischen etwas überspitzt die<br />
Bezeichnung Steirisches Matterhorn eingebracht hat. Die Rundsicht vom Lugauer<br />
ist hervorragend.<br />
Geologie<br />
Die Gesäuseberge sind ein Teil der Nördlichen Kalkalpen. Hier beginnt die Schichtenfolge<br />
mit den<br />
Präbichl-Schichten (vermutlich Perm). Dies ist eine Folge von Konglomeraten,<br />
Quarziten und Tonsteinen im Liegenden der Werfener Schichten (Unter-Trias).<br />
Über Werfener Sandsteinen und Schiefern schließt sich eine salinare Folge mit<br />
Gips und Haselgebirge an, die mit Dolomit und verschiedenen Kalken verzahnt<br />
ist. Darüber folgt der dunkle Gutensteiner Dolomit, der Linsen von Gutensteiner<br />
Kalk enthält. Das vorherrschende Gestein der Mittleren Trias ist der Wetterstein-<br />
Dolomit, der die Basis aller hohen Gesäuseberge bildet. Er ist ursprünglich als<br />
Kalk in einem tropischen Meer entstanden und später zum größten Teil in Dolomit<br />
umgewandelt worden. Eine ganze Reihe von Kalkvorkommen ist jedoch nicht von<br />
dieser Umwandlung erfasst worden, das größte ist der Bruckstein. Darüber folgen<br />
die geringmächtigen Raibler Schichten, die im Norden aus Sandstein und Schiefer<br />
sowie im Süden aus buntem Kalk und Dolomit bestehen. Die Obere Trias besteht<br />
aus Dachsteindolomit und dem überlagernden Dachsteinkalk, aus dem die steilen
206 daS geSäuSe<br />
daS geSäuSe 207<br />
und landschaftsprägenden Felswände der hohen Berge bestehen. Der Dachsteinkalk<br />
kann ebenso wie der ältere Wettersteinkalk in einen zentralen Riffbereich und<br />
das Rückriff gegliedert werden. Gesteine aus der Jura- und Kreidezeit sind nur in<br />
tektonisch begünstigter Position erhalten geblieben. Dies sind<br />
Fleckenmergel und Crinoidenkalk des Jura sowie Gosau (Konglomerate, Sandstein<br />
mit Kohle und Ton). Aus dem Tertiär haben sich lokal Augensteinschotter auf<br />
hochgelegenen Altflächen erhalten, die noch vor der starken Heraushebung der<br />
Kalkalpen von Flüssen aus dem Süden heran transportiert worden sind. Im Quartär<br />
schließlich sind Moränen, Terrassen und zuletzt Moore entstanden.<br />
Natur<br />
Der größte Teil des Gesäuses wurde im Jahr 2002 zum Nationalpark Gesäuse<br />
erklärt. Er ist damit zurzeit der jüngste von sechs österreichischen Nationalparks.<br />
In freier Wildbahn können etwa 90 Brutvogelarten, Murmeltiere, Gämsen, Rehe und<br />
Hirsche beobachtet werden. Außerdem gibt es rund 50 Orchideenarten.<br />
Geschichte<br />
Im Johnsbachtal gibt es Kupfervorkommen, die bereits im 15. Jahrhundert v. Chr.<br />
ausgebeutet wurden, wie Schlackenfunde belegen. Im späten Mittelalter erfolgte<br />
die erste Nutzung von Almen und<br />
der Beginn der Holzfällertätigkeit in diesem Bereich. Weite Teile standen damals<br />
im Besitz des Benediktinerstiftes Admont (gegründet 1074). Die touristische Erschließung<br />
begann mit Eröffnung der Kronprinz-Rudolfsbahn (1872), die durch das<br />
Gesäuse führt. Als „Entdecker“ gilt der Wiener Bergpionier Heinrich Heß, der viele<br />
Erstbesteigungen durchführte (z. B. Hochtor, 1877). Er ist auch Autor des ersten<br />
Gesäuseführers, welcher als Prototyp für diese Art von Literatur gilt. Nach dem<br />
Gesäusepionier ist die Hesshütte benannt, der wichtigste Stützpunkt für Bergsteiger<br />
im Hochtorgebiet. In den 1920er-Jahren erfolgte die Erschließung zahlreicher<br />
Kletterrouten in den Nordwänden der Hochtorgruppe, am Admonter Reichenstein<br />
und am Buchstein.<br />
Berghütten<br />
• Admonter Haus (1723 m): am Grabnertörl in den Haller Mauern<br />
• Bosruckhütte (1043 m): an der Nordflanke des Bosruck,<br />
westlich der Haller Mauern<br />
• Buchsteinhaus (1546 m): unterhalb des Großen Buchsteins<br />
• Ennstaler Hütte (1544 m): am Sattel des Tamischbachturms in<br />
den Gesäusebergen<br />
• Goferhütte (978 m): am nördlichen Absturz des Admonter Reichensteins,<br />
Selbstversorgerhütte<br />
• Haindlkarhütte (1121 m): im Haindlkar am Fuß des Hochtors<br />
• Hesshütte (1699 m): im Ennseck, östlich vom Hochtor<br />
• Mödlinger Hütte (1523 m): auf der Treffner Alm südlich des<br />
Admonter Reichensteins<br />
• Oberst-Klinke-Hütte (1486 m): am Kalblinggatterl-Sattel südlich vom<br />
Admonter Kalbling<br />
(Quelle: Wikipedia, Ernst Kren Gesäuse, Steirische Verlagsgesellschaft, Graz<br />
2002, u.a.)<br />
Im Naturparkzentrum St.Gallen (<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale) erhalten Sie weitere<br />
Informationen zum Gesäuse, zu Wander und Bergtouren, zu Raftingtouren, zu den<br />
verschiedensten Ausflugszielen in der Region.
208 kontakt/team<br />
kontakt/team 209<br />
Kontakt | <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Team<br />
Carlos Salzedo, ein enger Freund von Edgar Varèse, mit seinem Ruderboot „<strong>Arcana</strong>“ um 1930<br />
<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />
Markt 35<br />
8933 St.Gallen<br />
Österreich<br />
Büro Wien<br />
Feldgasse 21<br />
1080 Wien<br />
Österreich<br />
Intendant<br />
Peter Oswald<br />
Leitung Musikvermittlung / Konzeptionelle Mitarbeit<br />
Annemarie Mitterbäck<br />
Geschäftsführer ARGE <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong><br />
Erich Mitterbäck<br />
Referent des Intendanten / Koordination / Redaktion / Presse<br />
Andreas Karl<br />
Produktionsleitung / Regionale Koordination<br />
Reinhard Mitterbäck<br />
Produktionsleitung Bildende Kunst / Künstlerbetreuung<br />
Johanna Mitterbäck<br />
Programmtexte<br />
Magdalena Zorn<br />
Artdirection / Logotype<br />
Ecke Bonk, Richard Ferkl<br />
Leitung Medienarbeit<br />
Astrid Bader | BSX Bader & Schmölzer GmbH<br />
Medienarbeit<br />
Bernhard Mayer | BSX Bader & Schmölzer GmbH<br />
Internationale Beziehungen / Wissenschaft und Kunst<br />
Rubina Möhring<br />
Sponsoring<br />
Brigitte Bidovec<br />
Information / Kartenvorverkauf / Hotelreservierung<br />
Christiane Schneiber
210 muSIkVermIttlung<br />
InSerate 211
21. – 28.<br />
august<br />
festival<br />
st. gallen 2010<br />
21.8. Kurtags Ghosts - Marino Formenti<br />
22.8. Rock auf Gallenstein - CCR Band<br />
23.8. Schifanoia - Ensemble<br />
mit Werken von Mozart, Haydn und Mozart<br />
24.8. Wolfram Berger liest Erich Fried<br />
25.8. Kammerphilharmonie Amade<br />
Mozart Sinfonie und Klavierkonzert mit Alexei Lubimov<br />
26.8. Erwin´s Musiksalon<br />
27.8. Sanmera Salsa<br />
28.8. Paulus - Mendelssohn Bartholdy<br />
Info: Naturparkbüro A-8933 St. Gallen<br />
Tel. 03632 | 7714, Fax 03632 | 7714-10<br />
www.festival.stgallen.at
foto: BigsHoT/christian Jungwirth<br />
214 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung 215<br />
regionale10<br />
infos und TckeTs<br />
Zum gesamTen Programm der regionale10<br />
T. +43 676 848 119 119,<br />
fesTivalZemTrum lieZen<br />
im HoTel karow mo – so, 10 – 18 uHr
218 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung<br />
219
220 muSIkVermIttlung muSIkVermIttlung 221<br />
The best of nothing.<br />
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The best engine ever.<br />
www.avlcf.com
222 Die Zukunft<br />
muSIkVermIttlung<br />
der Musik<br />
entdecken ...<br />
Autoren im Verlag<br />
RicoRdi München<br />
Nikolaus Brass<br />
Reinhard Febel<br />
Dai Fujikura<br />
Vinko Globokar<br />
Heiner Goebbels<br />
Klaus Huber<br />
Thomas Lauck<br />
Fabien Lévy<br />
Liza Lim<br />
Olga Neuwirth<br />
Sergej Newski<br />
Emmanuel Nunes<br />
Samir Odeh-Tamimi<br />
Younghi Pagh-Paan<br />
Robert HP Platz<br />
Enno Poppe<br />
Rolf Riehm<br />
Annette Schlünz<br />
Bettina Skrzypczak<br />
Gerhard Stäbler<br />
Hubert Stuppner<br />
www.ricordi.de • www.ricordishop.de<br />
A division of<br />
Noch nie<br />
hat jemand<br />
das Entstehen<br />
einer Idee<br />
beobachtet.<br />
Wir sind<br />
nahe dran.<br />
www.cis.at
224 InSerate<br />
ImPreSSum 225<br />
Alexander Technik<br />
Von Jonathan Sheratte<br />
Die Alexander Technik ist eine Methode die den ‘Gebrauch des Selbst’ vermittelt.<br />
Sie betrachtet den Körper als eine Art Musikinstrument. Die Art und Weise wie wir<br />
dieses Instrument einsetzten bestimmt die Qualität in unserem Handeln.<br />
Von Natur aus kreativ, werden die senso-motorischen Fähigkeiten des Körpers<br />
durch Gewohnheiten begrenzt. Starre Reaktionsweisen, übermäßige Verspannung,<br />
Steifheit und Atonie beschränken unsere Möglichkeiten, hindern unsere<br />
Entwicklung, können Schmerzen verursachen und zu schwerwiegenden Krankheiten<br />
führen.<br />
In der Einzelstunde geht es darum Gewohnheitsmuster zu erkennen, diese zu<br />
unterbinden und innezuhalten. Die begleitende Erfahrung einer Beweglichkeit die<br />
dem natürlichen Selbst-Gebrauch entspricht - leicht, flexibel, koordiniert, wachsam,<br />
differenziert und wohltuend – erhöht die allgemeine Sinneswahrnehmung<br />
und hilft Bewegungsabläufe besser zu koordinieren.<br />
Akute Beschwerden werden gelindert, uns beeinträchtigende Haltungs- und Bewegungsmuster<br />
werden gelöst; das Atmen wird leichter, das Sprechen klarer und<br />
Bewegung geschmeidiger. Die Entdeckung von präziserem und authentischerem<br />
Ausdruck und Handeln, erzeugt eine lebendige Selbst-Verständlichkeit, die<br />
Wachstum in professionellen und alltäglichen Aktivitäten fördert.<br />
„Je mehr wir den Einfluss unsere Gewohnheiten und Muster in uns erkennen und<br />
innehalten, kommen wir in Kontakt mit unserem Nicht-Tun. In diesem Zustand<br />
können wir unseren Flow - unserer angeborenen Leichtigkeit und dem natürlichen<br />
Lebensfluss - begegnen.“<br />
Dan Armon, Schulungsleiter Alexander Technik<br />
Termine können über das <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrum vereinbart werden.<br />
Impressum<br />
Medieninhaber | Herausgeber<br />
ARGE <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse<br />
<strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale<br />
Markt 35<br />
8933 St.Gallen, Österreich<br />
info@arcanafestival.at<br />
T + 43 3632 77 14 11<br />
F + 43 3632 77 14 10<br />
Für den Inhalt verantwortlich<br />
Peter Oswald<br />
Erich Mitterbäck<br />
Redaktion <strong>Programmbuch</strong><br />
Andreas Karl<br />
Logotype ARCANA<br />
Ecke Bonk, Karlsruhe<br />
Satz und Layout<br />
Medienmanufaktur Admont<br />
Fotonachweis<br />
Ernst Kren (Fotos Gesäuse/Region)<br />
Anna Furtmüller (Musikvermittlung | Education, Von Sternen, Nebeln und Galaxien …)<br />
Andreas Karl (Schwarzer Peter, Haindlkar)<br />
Irena Rosc (Alle Fotos zu Satt sehen)<br />
PRINZGAU/podgorschek (Schwanenstille)<br />
Abdrucknachweis<br />
Wir danken Franz Schuh für Abdruckgenehmigung des Textes Vom Essen reden und schreiben.<br />
Besonders danken wir auch den KomponistInnen und Verlagen für die Abdruckgenehmigungen von<br />
Noten, Texten und Skizzen. Urheber, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher<br />
Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.<br />
Dieses <strong>Programmbuch</strong> ist auch über die <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> Zentrale erhältlich.<br />
Änderungen vorbehalten.<br />
© 2010 <strong>Arcana</strong> <strong>Festival</strong> St.Gallen/Gesäuse
226 ImPreSSum 227<br />
Am Johsbacher Steg
www.arcanafestival.at