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württembergische seminar-nachrichten - Seminaristen Online

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2002 45. Heft<br />

WÜRTTEMBERGISCHE SEMINAR-NACHRICHTEN<br />

Mitteilungsblatt des Hilfsvereins für die Evangelischen Seminare<br />

1565


Inhalt<br />

Andacht (Klein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01567<br />

Die Uracher Seminarfamilie (Bloedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01571<br />

Dank der Evangelischen Landeskirche (Dieterich) . . . . . . . . . . . . . 01578<br />

Ansprache (Renz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01582<br />

Abschied aus Maulbronn (Henrich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01590<br />

Abitur 2002 und dann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01597<br />

Aus dem Kassenbuch des Rechners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01611<br />

Kurz notiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01612<br />

Unsere Jüngsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01620<br />

Abiturienten 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01625<br />

Wir gratulieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01625<br />

Terminkalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01626<br />

Titelbild: Blick in den Innenhof des ehem. Seminars, heute Stift Urach. Foto Walter Röhm, Bad Urach<br />

Die Schriftleitung für die Seminar<strong>nachrichten</strong> liegt beim Evang. Seminar Blaubeuren,<br />

89143 Blaubeuren, Klosterhof 2<br />

Unsere E-Mail-Adressen:<br />

Blaubeuren: evsem@ev<strong>seminar</strong>.ul.bw.schule.de<br />

Maulbronn: ephorat@aol.com<br />

Herausgeber: Hilfsverein für die Evang. Seminare Württemberg e.V.<br />

Konto Nr. 1 638 660 Kreissparkasse Blaubeuren (BLZ 630 500 00)<br />

Für dieses Heft verantwortlich: Ephorus G. Klein, OStR G. Adam, Blaubeuren<br />

Hergestellt in der Grafischen Werkstätte der Gustav Werner Stiftung zum Bruderhaus, 72762 Reutlingen<br />

Auflage: 2400<br />

Beilagenhinweis: Faltblatt »Die Evangelisch-theologischen Seminare Maulbronn und Blaubeuren«.<br />

Einem Teil der Auflage liegt ein Überweisungsträger des Hilfsvereins für die Evang. Seminare Württemberg bei.<br />

1566


Eröffnungsgottesdienst<br />

zum Schuljahranfang<br />

am 3. September 2002<br />

im Chor der Klosterkirche Blaubeuren<br />

Liebe Eltern,<br />

liebe Schülerinnen und Schüler,<br />

von Ephorus Gerhard Klein<br />

freie Flächen, großflächige Wände in unseren Städten sind meist voll von<br />

Graffiti. Unsere Klostermauer, vor nicht allzu langer Zeit frisch gestrichen,<br />

blieb nur wenige Tage unberührt, da begannen jene Graffiti-Künstler wieder<br />

ihr Werk. Man mag das bedauern, aber doch ist diese Kunst schon<br />

sehr alt. Auch in diesem ehrwürdigen Chorraum unserer Klosterkirche<br />

finden sich Graffiti, dort an der Südwand oberhalb des Chorgestühls.<br />

Lauter <strong>württembergische</strong> Pfarrersnamen können wir da lesen; kein wirklich<br />

berühmter ist darunter.<br />

Anders ist es mit einem Mann, der sich oben im Dorment verewigt hat.<br />

Sie finden den Namen oben bei der Uhr, dort, wo die Podeste stehen, und<br />

er gehört zur ersten Promotion nach der Neugründung des Seminars im<br />

Jahr 1817: »1818« steht dort und der Name »Hauff«. Es ist Wilhelm Hauff,<br />

der sich da verewigt hat, der romantische Erzähler, vor allem Märchenerzähler.<br />

Noch in diesem Jahr – am 29. November – feiern wir Hauffs 200.<br />

Geburtstag.<br />

Berühmt geworden ist er auch durch seinen Roman »Lichtenstein«, in<br />

dem eine Burg in so attraktiver Weise beschrieben wird, dass man danach<br />

der Meinung war, man müsse diese Burg so auch bauen. Man tat es, und<br />

noch heute thront sie auf der Alb hoch über dem Echaztal, wunderschön<br />

auch aus der Ferne anzuschauen. Der Held in diesem Roman – und darauf<br />

zielt meine Einleitung – hat einen Wahlspruch, eine Losung. Und ich<br />

vermute, der Autor Wilhelm Hauff hat sich da an seinen Lateinunterricht<br />

am Seminar erinnert; denn er hat dieses Motto dem Dichter Horaz entnommen.<br />

Es heißt:<br />

Si fractus illabatur orbis,<br />

impavidum ferient ruinae.<br />

Horaz, carm. 3,3,7f.<br />

Wenn die ganze Erde zerbrechen und in sich zusammenfallen sollte, dann<br />

werden die Trümmer auf einen unerschütterbaren Menschen treffen.<br />

1567


Es ist der stoische Weise, liebe Seminargemeinde, der uns hier als Ideal<br />

vor Augen gestellt wird, der charakterfest alles Schlimme, alles Unheil,<br />

schwerwiegende Schicksalsschläge und auch alle kleineren Unannehmlichkeiten<br />

an seinem unerschütterbaren Ich abprallen lässt, der Krankheit,<br />

Tod, Unglücksfälle als äußere Ereignisse abtut, die ihn im Innern, im<br />

Eigentlichen nicht treffen können.<br />

Früher habe ich zur Veranschaulichung oft gesagt: Das Ich des stoischen<br />

Weisen steht wie ein Fels in der Brandung. Die Fernsehbilder von den<br />

furchtbaren Überschwemmungen des vergangenen Monats bringen uns<br />

diese Vorstellung nun greifbar nahe. Wenn wir etwa an Prag denken, eine<br />

Stadt, die uns durch Frau Uhls jährliche Fahrten sehr nahe steht: Da sehen<br />

wir den Nepomuk hoch erhaben und unantastbar auf der Karls-Brücke,<br />

während in der einen Richtung die Kleinseite im Hochwasser der Moldau<br />

untergeht und auf der anderen Seite die Altstadt gerade noch einigermaßen<br />

gerettet werden kann. Eine Statue aus Bronze, der ein Hochwasser,<br />

eine Flut auf Zeit nichts anhaben kann!<br />

Ja, so ist das Lebensideal der Stoa, das uns bei Horaz ebenso begegnet<br />

wie bei Cicero und Seneca, das sich übrigens in diesem Punkt vom epikureischen<br />

Ideal kaum unterscheidet. Es war das Ideal des gehobenen<br />

Bürgertums damals überhaupt!<br />

Und es stellt sich mir heute bei meinem – wie Sie wissen – letzten Schuljahrsanfangsgottesdienst<br />

die Frage:<br />

Ist dieser stoische Held auch das Lebensideal, das wir unseren Schülerinnen<br />

und Schülern drei Jahre lang vermitteln wollen, damit sie in ihrem<br />

Leben mit allen Problemen und Schwierigkeiten fertig werden? Ist eine<br />

Auffassung von Menschsein tragfähig, die darauf setzt, das Ich so stark<br />

zu machen, dass alle erschütternden Ereignisse und Probleme daran<br />

abprallen, ob das nun eher belanglose Dinge sind oder auch tiefgreifende<br />

Erschütterungen wie<br />

– Fragen der eigenen Lebensbewältigung oder<br />

– Beziehungsprobleme oder<br />

– schulische Schwierigkeiten?<br />

All dies wird ja nicht ausbleiben.<br />

Um es klar zu sagen: Ich werde jetzt nicht die Theologie und den christlichen<br />

Glauben diesem antiken Denken entgegenstellen! Ich weiß zwar<br />

nicht, wie tragfähig jene stoische Haltung ist, und ich gebe zu: Ich habe<br />

da meine Zweifel. Aber mancher Psychologe und manche Psychotherapeutin<br />

werden bei der Idee der Ich-Stärkung in Jubelrufe ausbrechen.<br />

Und ich selbst bin der Letzte, der sich nicht mitfreut, wenn Leben auf<br />

diesem Weg – dem Weg der Stoa, dem Weg der Psychologie – gelingt!<br />

1568


Aber ich möchte Ihnen von der Bibel her eine zweite Möglichkeit anbieten<br />

und wähle dazu Worte aus dem Psalm, den Herr Reuß vor sechs Wochen<br />

beim Schuljahrsabschlussgottesdienst ins Zentrum gestellt hat, und versuche<br />

so eine Brücke zu schlagen vom alten zum neuen Schuljahr.<br />

In Psalm 91 heißt es in einer textnahen Übersetzung sehr anschaulich:<br />

Vers 2: Der Herr ist meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf<br />

den ich vertraue.<br />

Vers 3: Denn er holt dich heraus aus der Falle des Schlingenlegers,<br />

aus dem Rachen der Pest. Er deckt dich mit seinen Schwingen,<br />

unter seinen Flügeln kannst du dich bergen. Seine Treue ist wie<br />

ein großer Schild, wie ein Schutzwall.<br />

Vers 5: Du musst dich nicht fürchten,<br />

nicht vor dem Schrecken der Nacht,<br />

nicht vor dem Pfeil, der am Tag daherfliegt,<br />

nicht vor der Seuche, die im Finstern umgeht,<br />

nicht vor dem Fieber, das mittags Gewalt tut.<br />

Vers 7: Und wenn auch tausend neben dir sterben und zehntausend in<br />

deiner Nähe – dich trifft es nicht!<br />

Vers 9: Ja, du, Herr, bist meine Zuflucht!<br />

Ich denke, Sie alle empfinden die starke Parallelität zwischen dem Horaz-<br />

Zitat: Wenn die ganze Erde zerbrechen und in sich zusammenfallen sollte,<br />

dann werden die Trümmer auf einen unerschütterbaren Menschen treffen;<br />

und dem Psalmwort: Wenn auch tausend neben dir sterben und zehntausend<br />

in deiner Nähe – dich trifft es nicht!<br />

Und zugleich erkennen wir, dass es ein völlig anderer Denk- und Erfahrungshorizont<br />

ist, der sich im Psalm auftut. Es ist der Horizont des Glaubens<br />

an einen unerschütterbaren Gott, der den, der ihn anruft, hält.<br />

Die Ermutigung des 91. Psalms besteht in dem Bekenntnis einer überwältigenden<br />

Gotteserfahrung. Hier hat ein Mensch Gott, den »Höchsten«, als<br />

seinen eigenen Gott erlebt, als den ihm persönlich Zugewandten, der ihm<br />

»Zuflucht« bietet.<br />

Und – er ist überzeugt davon, dass seine persönliche Erfahrung nicht etwas<br />

Singuläres, Außergewöhnliches ist, sondern dass jeder, jede sie machen<br />

kann. Hier spricht kein autarker, selbstbestimmter Mensch, der davon ausgeht,<br />

dass er selbst immer und überall für sich selbst aufkommen muss.<br />

Hier spricht einer, der weiß, dass er ein Angewiesener ist, angewiesen auf<br />

einen Anderen, auf Schutz, auf Heimat und Geborgenheit.<br />

1569


Dabei lässt er sich nicht täuschen, erliegt keinen Versprechungen und Illusionen.<br />

Die Welt, in der er lebt, ist keine heile Welt – und alles andere als eine<br />

Idylle. Sie ist Wüste, Feindesland, Siechenhaus, Kampfschauplatz. Alle<br />

Bilder, die der Psalmist benützt, zielen auf das Gleiche: auf die Feststellung<br />

von der äußeren und inneren Bedrohtheit des Menschen. Die Fülle und Vielfalt<br />

der Gefahrenbilder sollen die Zuhörer aber nicht entmutigen oder gar<br />

erschrecken. Der Psalmist will vielmehr damit zeigen, dass Gott inmitten<br />

aller Schrecken und Bedrohungen anwesend ist, dass er den Menschen<br />

gerade dort aufsucht und ihn von dort in die Geborgenheit rettet.<br />

Liebe Schülerinnen und Schüler,<br />

ich weiß natürlich nicht genau, mit welchen Gefühlen und Erwartungen<br />

Sie heute nach Blaubeuren gefahren sind. Ich denke hoffentlich zu Recht,<br />

dass sie weit entfernt sind von dem, was unser Psalmist in seinen Bildern<br />

anklingen lässt, von Wüstenwanderung, sengender Sonne, von lauernden<br />

Feinden, Fallstricken und Gruben. Ja, ich hoffe, ich kann Ihnen allen<br />

– insbesondere den Neuen – drei gute, schöne und erfüllte, fruchtbare und<br />

erfolgreiche Jahre hier am Blaubeurer Seminar versprechen.<br />

Unsere Erfahrungen sind so, dass uns hier im Allgemeinen sehr bewusst<br />

ist, dass wir aufeinander Angewiesene sind, dass wir deshalb füreinander<br />

da sind und füreinander eintreten, so, dass Leben im Miteinander gelingen<br />

kann.<br />

Trotzdem werden uns allen die schwierigen Situationen nicht erspart bleiben.<br />

Ich denke an Misserfolge, Engpässe, Sorgen und Ängste im schulischen<br />

Bereich. Auch im privaten Bereich wird das Negative nicht ausbleiben.<br />

Freundschaften und Beziehungen können brechen oder zerbrechen. Und wir<br />

kennen das bohrende Gefühl, nicht oder nicht voll akzeptiert zu sein.<br />

Und dann werden uns viele Stimmen umgeben: schreiende, drohende,<br />

angstvolle, hass- und neiderfüllte. Die Stimme des Psalmisten dagegen<br />

ist leise, man kann sie leicht überhören. Aber ich hoffe, dass sie uns heute<br />

erreicht und dass sie mit uns geht in dieses Schuljahr hinein, die Stimme<br />

mit ihrer wunderbaren Ermutigung von Gott, dem Höchsten, der sich gütig<br />

und liebevoll um uns kümmert.<br />

Es mag sein, dass alles fällt,<br />

dass die Burgen dieser Welt<br />

um dich her in Trümmer brechen.<br />

Halte du den Glauben fest,<br />

dass dich Gott nicht fallen lässt:<br />

er hält sein Versprechen.<br />

Rudolf Alexander Schröder, EG 378<br />

Anmerkung: Teilen dieser Ansprache liegt eine Predigt zu Grunde, die Hildegund Fischer beim<br />

Gottesdienst zur Verabschiedung von Oberstudiendirektor Kast, Heidehofgymnasium, hielt.<br />

1570


Die Uracher Seminarfamilie<br />

am 28. Mai 2002<br />

Natürlich waren es viele Ältere, die sich an diesem Tag im Stift Urach<br />

trafen: Vor 25 Jahren hatte ja das Evangelisch-theologische Seminar<br />

schließen müssen. Deshalb fand dieses Enthüllungstreffen an einem<br />

Dienstag in den Pfingstferien statt: <strong>Seminaristen</strong> aus Blaubeuren hätten<br />

aktiv dabei sein sollen. Und trotzdem waren die Veranstaltungen fast bis<br />

auf den letzten Platz besetzt. Morgens sprach Kirchenrat Helmut Weingärtner<br />

(55/59) über »Überlegungen zur Zukunft der Seminare«. (Sein<br />

geplanter Beitrag kann wegen der offenen Entwicklung im Jahr 2002 und<br />

des Redaktionsschlusses leider nicht abgedruckt werden.) In der engagierten<br />

Aussprache wurde vehement die Fortführung der beiden jetzt<br />

bestehenden Seminare als »Mindestforderung« laut. Beim gemeinsamen<br />

Mittagessen konnten wir auch ehemalige Lehrer begrüßen. Und dann<br />

wurden es immer mehr Teilnehmer. Die eine Hälfte zog es nachmittags zu<br />

der sachkundigen Führung von Ephorus i. R. Dr. F. Schmid in die Amanduskirche<br />

und die andere begeisterte sich im »großen Hörsaal« an dem<br />

Schmalfilm von Prof. Dr. Thomas Meyer (40/41), der 1976/77 im letzten<br />

Jahr noch Griechisch zu geben hatte. Ein weiterer Griff in die Nostalgiekiste<br />

ergänzte diese Bilder: Aus dem Krankentagebuch ab 1945 wurde<br />

Ergötzliches – mit Einverständnis der Betroffenen – dargeboten.<br />

Als Höhepunkt war sie gedacht und zum Höhepunkt wurde sie: die Enthüllung<br />

der beiden Gedenktafeln. Unter medialer Begleitung, mit nicht<br />

allzu vielen Grußworten versehen (die alle nachgelesen werden können),<br />

wurde spürbar, was ein Pressebericht so überschrieb: Gegenbild<br />

zur Massenbildung. Es ging nicht um Nostalgie, nicht um Trauer, dass<br />

es 25 Jahre dauerte, bis die Präsenz der Seminarzeit 1818–1977 einen<br />

adäquaten Ausdruck gefunden hatte. Nein, es ging – und ich entscheide<br />

mich bewusst für diesen Ausdruck – um den Geist des Seminars und um<br />

die Seminarfamilie Schöntal/Urach. Die Schlichtheit der Tafeln soll auch<br />

davon künden, dass keine Heroisierung geplant war. Weder die Zeiten<br />

des Dritten Reiches noch der beiden Weltkriege fehlen, noch das Wissen<br />

um viele Traumatisierungen in entscheidenden Lebensjahren. Besonders<br />

wichtig war und ist uns die Verbindung zu den jetzigen Seminaren mit<br />

ihren komplexen Schulproblemen: und wieder eine Oberstufenreform.<br />

Das Wetter hatte gehalten. Aus dem Innenhof machten sich viele Besucher<br />

auf, um den liebevoll gerichteten Abendimbiss zu sich zu nehmen.<br />

Zuletzt war kein Stuhl im Erdgeschoss des Hauses mehr frei, aber alle<br />

wurden satt. Wie viele Gespräche wurden geführt, was für bewegende<br />

Szenen spielten sich ab. Und so war es gut, dass sich danach im Chor<br />

1571


der Amanduskirche zur Andacht mit Choralsingen fast alle einfanden.<br />

Gerhard Steiff (52/56) zusammen mit Prälat i. R. Heinrich Leube (38/41)<br />

gestalteten dies, was Dr. Wilfried Brandt (54/58) eine »Heimkehr« nannte.<br />

Was für ein Abschluss! Meine gastgebende Promotion (43/48) saß dann<br />

noch mit einigen anderen Freunden bei einer Hocketse im Stiftskeller bis<br />

über Mitternacht hinaus.<br />

Es sei nicht verschwiegen, dass dem vorbereitenden Arbeitskreis manche<br />

Mühe ins Haus gestanden hatte und auch noch nicht alles Geplante<br />

vorhanden war. Aber dieser schöne Tag machte alles wieder gut und bei<br />

der Schlussabrechnung der Geldspenden für das 4525,76 EURO teure<br />

Projekt stellte sich heraus, dass sogar noch 535,09 EURO übrig blieben,<br />

die dem Seminarhilfsverein überwiesen werden konnten. Allen Spendern<br />

– aus den Promotionen 1922 (!) bis 1977 – möchte ich im Namen des<br />

Arbeitskreises sehr herzlich danken und denen, die noch nicht zum Überweisen<br />

kamen, den beiliegenden Überweisungsträger empfehlen: Der<br />

Seminarhilfsverein hat’s nötiger denn je.<br />

Unsere der Landeskirche übereigneten Spendenobjekte sind nun in der<br />

Obhut des Uracher Stifts. Dr. Udo Hofmann, der Leiter desselben, sprach<br />

es bei der Begrüßung am 28. Mai so aus: »Ich verspreche, dass wir alles,<br />

was wir heute von Ihnen geschenkt bekommen, in Ehren halten und dafür<br />

sorgen werden, dass dadurch möglichst viele Menschen von der guten<br />

Vergangenheit und Gegenwart der Seminare erfahren und ihnen etwas<br />

von dem Geist vermittelt wird, von dem wir alle zehren.«<br />

Schauen Sie sich doch bei Gelegenheit in Urach die Tafeln, die kleine Vitrine<br />

und die PC-Station mit der kleinen »Handbibliothek« an. Dort ist noch<br />

Platz für weitere Bücher über das Seminar Urach und seine Geschichte.<br />

Sollten Sie etwas übrig haben und gerne in gute Hände übergeben,<br />

dann wenden Sie sich an unsern »Mann vor Ort«, Pfarrer i. R. J. Ernst,<br />

Frischlinweg 5, 72574 Bad Urach, Telefon 0 71 25 / 1 46 21 (48/52). Er<br />

ist gerne bereit, etwas entgegenzunehmen, zu prüfen und einzuordnen.<br />

Wann wird sich die »Uracher Seminarfamilie« wieder treffen? Es wird zwar<br />

2005 wieder ein Seminarjubiläum geben, aber manche wollen eigentlich<br />

nicht so lange warten . . .<br />

Dieter A. Bloedt (43/48)<br />

www-Adressen:<br />

Seminare Maulbronn/Blaubeuren: www.ev<strong>seminar</strong>.ul.bw.schule.de<br />

<strong>Seminaristen</strong>forum: www.<strong>seminar</strong>isten-online.de<br />

Hier findet sich ein Beitrag von H. Breymayer (37/41):<br />

»Die <strong>württembergische</strong>n Klosterschulen und Seminare«<br />

eine kurze Darstellung ihrer Geschichte<br />

1572


Grußwort des Bad Uracher Kulturamtsleiters Braun<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

im Namen von Herrn Bürgermeister Markus Hase heiße ich Sie alle herzlich<br />

willkommen in Urach. Der Anlass, aus dem Sie gekommen sind, ist<br />

ein erfreulicher; um so mehr tut es dem Herrn Bürgermeister leid, dass<br />

er heute nicht unter Ihnen sein kann. Bitte nehmen Sie seine herzlichen<br />

Grüße entgegen.<br />

Als schwacher Ersatz stehe ich heute vor Ihnen und empfinde es als große<br />

Ehre, dass ich zu Ihnen sprechen darf.<br />

Ich bin noch nicht so lange im Amt, erst seit Dezember letzten Jahres, und<br />

doch habe ich folgenden Satz schon einige Male zu hören bekommen:<br />

»Wissen Sie, seit das Seminar nicht mehr hier ist, ist Urach geistig ein<br />

Stückle weniger geworden.«<br />

Ich verweise dann stets darauf, dass Urach mit dem Graf-Eberhard-Gymnasium<br />

doch eine bekannt gute höhere Bildungseinrichtung habe. Das<br />

habe damit nichts zu tun, bekomme ich dann zur Antwort, das sei etwas<br />

ganz anderes.<br />

Ja, wo liegt denn der große Unterschied?<br />

Ist es vielleicht nicht nur der verklärte Blick auf die Stätte der Jugend, der<br />

bei denjenigen zu einer solchen Einschätzung führt, die im Seminar waren<br />

oder es eben gut kannten?<br />

Sicherlich nicht nur. Nach einem chinesischen Sprichwort »malt die Vergangenheit<br />

mit goldenem Pinsel.« Das mag dahingestellt sein. Doch es<br />

dürfte nicht nur Nostalgie sein, was diesen deutlichen positiven Ton in die<br />

Erinnerungen an diese historische Bildungsstätte bringt.<br />

Ich habe die Frage für mich zu beantworten versucht und habe drei mögliche<br />

Antworten gefunden. Falls ich arg danebenliege, bitte ich dies meiner<br />

fehlenden Zeitzeugenschaft zuzurechnen.<br />

1.<br />

Es könnte wohl das räumliche Beieinander einer überschaubaren Zahl<br />

von Schülern mit einer ebenso überschaubaren Anzahl von Lehrkräften in<br />

einer Heimschule gewesen sein, das ein besonderes Klima schuf.<br />

Die Möglichkeit, sich gegenseitig auch auf Ebenen kennen zu lernen, die<br />

sozusagen außerdienstlich bzw. außerschulisch anzusiedeln sind, bringt<br />

eine besondere, nicht näher zu beschreibende Atmosphäre hervor, die<br />

1573


auch die kennen, die nicht in einer Heimschule waren, aber so Dinge wie<br />

Schullandheime u. ä. kennen gelernt haben. Nach einer solchen intensiven<br />

Begegnung ist im Schüler-Lehrer-Verhältnis fast nichts mehr so, wie<br />

es vorher war. Für die Arbeitsatmosphäre in der Schule können daraus<br />

ganz besonders gute Effekte gewonnen werden. Das alles muss natürlich<br />

nicht zwangsweise nur etwas Positives sein; war es das aber, bleibt die<br />

Erinnerung daran lebenslang auch positiv.<br />

2.<br />

Ein Zweites mag auch dazu gehören: die nicht lebenszweckgerichtete<br />

Ausrichtung des Lehrstoffes an einem humanistischen Gymnasium. Das<br />

Ideal eines möglichst breiten Lehrfundaments, das nicht ausbilden, sondern<br />

bilden will, und das bei allem pädagogischen Ernst einen gewissen<br />

spielerischen Zug besitzt, kann einen guten schulischen Nährboden bilden,<br />

der nicht ausschließlich Schöngeister hervorzubringen geeignet ist,<br />

sondern, wie zu beweisen ist, auch Vertreter der angewandten Wissenschaften,<br />

die ihrer Spezialdisziplin aber dadurch nicht ausgeliefert sind,<br />

sondern darin von einem geistigen und geistlichen Unterbau gehalten<br />

werden.<br />

3.<br />

Und zuletzt mag vielleicht auch das gewisse Bewusstsein, einer Elite<br />

anzugehören, Mitglied einer kleinen homogenen Gruppe von humanistisch<br />

Gebildeten zu sein, innerhalb einer kleinen Stadt, die sich nahezu<br />

ausschließlich dem Gewerbefleiß widmet, eine Art von Korpsgeist hervorgerufen<br />

haben, der sich heute wie damals auf die Gruppe auswirkt.<br />

Eine Zeitlang galten genau diese Züge in der pädagogischen und gesellschaftspolitischen<br />

Provinz nicht eben viel. Heute aber, unter dem Eindruck<br />

der Schieflage unseres Bildungswesens und seiner geistigen<br />

Motivation, kommt einem Modell, wie es die Seminare vertraten und<br />

glücklicherweise ja noch vertreten, vielleicht neue Bedeutung zu. Die<br />

benediktinisch geführten humanistischen Klostergymnasien auf katholischer<br />

Seite, die damit vielleicht vergleichbar sind und die sich weiterhin<br />

zunehmender Beliebtheit erfreuen, scheinen dafür ein Beweis zu sein.<br />

Vielleicht täte dem staatlichen Bildungswesen, das immer mehr unter<br />

den Druck eines Anforderungskatalogs volkswirtschaftlicher Interessen<br />

gerät, das Modell »Seminar« als Gegenmodell zur höheren Massenbildungsanstalt<br />

gut.<br />

Wenn dem so wäre, wären konsequente Schritte in dieser Richtung wünschenswert.<br />

Vielleicht sehen Sie das aber alles ganz anders.<br />

Meine Damen und Herren, ich möchte nicht schließen, ohne Ihnen noch<br />

einen angenehmen Aufenthalt in unserem Bad Urach gewünscht zu haben.<br />

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

1574


Grußwort von Pfarrer Dr. Udo Hofmann, Leiter von Stift Urach<br />

Liebe Festversammlung!<br />

– 40 Jahre Haus der Brüder vom gemeinsamen Leben, – 6 Jahre<br />

Bibeldruckanstalt, – über 200 Jahre Uracher Leineweberzunft, – 7 Jahre<br />

Fohlenhof, – 159 Jahre Evangelisches Seminar, das sind die großen<br />

Abschnitte der Geschichte dieses Hauses, und an sie darf auch das Einkehrhaus<br />

mit seinen bisher 22 Jahren anknüpfen – zusammen mit den<br />

8 Jahren, in denen das Pastoralkolleg Urach hier gewirkt hat.<br />

Eine große und weite Geschichte mit Höhen und auch Tiefen. Beides<br />

wollen wir nicht vergessen.<br />

Alle diese Epochen haben dieses Haus geprägt, und viele, die uns besuchen,<br />

sagen, man spüre hier die besondere Atmosphäre, die von einer<br />

großen Vergangenheit zeugt und auch die Gegenwart trägt.<br />

Heute sind wir hier zusammengekommen, um des Evangelischen Seminars<br />

Urach zu gedenken, 25 Jahre nach seiner Schließung.<br />

Wir sind uns dessen bewusst, dass auch wir heute von dem Geist dieser<br />

Schule mit ihrer großen Ausstrahlung auf die Kultur Württembergs getragen<br />

sind.<br />

Um so mehr freut es mich, dass Sie heute einige sichtbare Spuren dieses<br />

Geistes bei uns hinterlassen wollen:<br />

– die beiden bronzenen Gedenktafeln,<br />

– einige Gegenstände, die stellvertretend sowohl vom geistigen Leben<br />

der Schule erzählen als auch davon anschaulich Kunde geben, wie für<br />

das leibliche Wohl hier gesorgt wurde,<br />

– und – wie könnte es in unserer Zeit anders sein?! – virtuelle, elektronische<br />

Zeugnisse, durch die man sich umfassend über die Evangelischen<br />

Seminare in Geschichte und Gegenwart und auch über die Evangelische<br />

Landeskirche in Württemberg im Allgemeinen informieren kann.<br />

Dies alles wollen Sie heute der Landeskirche und damit uns, dem Einkehrhaus<br />

als dem derzeitigen Nutznießer dieses schönen Hauses, schenken.<br />

Ich habe miterleben dürfen, mit welcher Begeisterung und Zielstrebigkeit,<br />

mit welchem Engagement und mit welcher Liebe zur Sache der<br />

Entschluss, dies alles herzustellen, zusammenzustellen und heute uns<br />

bereitzustellen, in die Tat umgesetzt wurde, und wie sorgfältig das heutige<br />

Fest vorbereitet worden ist. Dafür möchte ich auch von Seiten des Stifts<br />

herzlich danken. Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass das Fest gelinge<br />

und dass vom heutigen Tage Impulse in die Zukunft ausgehen. Ich verspreche,<br />

dass wir alles, was wir heute von Ihnen geschenkt bekommen,<br />

in Ehren halten und dafür sorgen werden, dass dadurch möglichst viele<br />

Menschen von der guten Vergangenheit und Gegenwart der Seminare<br />

erfahren und ihnen etwas von dem Geist vermittelt wird, von dem wir alle<br />

zehren.<br />

Nun wünsche ich Ihnen ein schönes Fest!<br />

1575


Grußwort von Ephorus Gerhard Klein<br />

Liebe ehemalige Uracher <strong>Seminaristen</strong> und vor allem:<br />

Sehr geehrter, lieber Herr Bloedt!<br />

Sie haben mich gebeten, im Namen der noch existierenden Seminare in<br />

Maulbronn und Blaubeuren am heutigen Tag ein Grußwort zu sagen. Ich<br />

könnte es mir jetzt ganz einfach machen und, zumal bei einem Grußwort<br />

Kürze gefragt ist, sagen:<br />

Das Seminar Blaubeuren grüßt als Nachfolge-Schule des Seminars Urach<br />

am heutigen Tag die ehemaligen Uracher <strong>Seminaristen</strong>, oder – wie man in<br />

einer akademischen Verbindung sagen würde – : die Aktivitas grüßt die so<br />

genannten Alten Herren!<br />

Ganz so einfach will ich mir’s doch nicht machen, sondern die Beziehung<br />

des heutigen Blaubeurer Seminars zum einstigen Uracher Seminar in<br />

zwei Aspekten ganz kurz nicht gerade ausleuchten, aber doch sozusagen<br />

anleuchten:<br />

1. Nachfolgeschule sind wir in der Tat in einem ganz äußeren, formalen<br />

Sinn: Schon immer waren die Seminare – bei aller Unterschiedlichkeit<br />

– eine Schule, bestehend aus vier Jahrgängen, seit zweieinhalb Jahrzehnten<br />

erweitert auf fünf Jahrgänge.<br />

Ganz formal sind wir im Seminar Blaubeuren zugleich die Schule der<br />

ehemaligen Uracher <strong>Seminaristen</strong>.<br />

Das heißt: Wenn Sie als ehemalige Uracher einen Besuch in Blaubeuren<br />

machen, dann besuchen Sie Ihre alte Schule, auch wenn der Ort und<br />

die Räume naturgemäß nicht dieselben sein können.<br />

Wenn ehemalige Uracher z. B. für ihren Rentenantrag eine Schulbescheinigung<br />

benötigen, erhalten sie diese im Blaubeurer Sekretariat.<br />

Und wenn sie wissen wollen, wie hervorragend sie einst in Latein und<br />

Griechisch waren, dann finden sich die Zeugnislisten von einst im<br />

Ephorat in Blaubeuren.<br />

2. Darüber hinaus – und das ist der zweite, wichtigere, weil innere Aspekt<br />

– gilt:<br />

Wir Blaubeurer verstehen uns auch so! Wir verstehen uns als Ihre, als<br />

die Uracher Nachfolgeschule. Wir fühlen uns nicht nur für die ehemaligen<br />

Blaubeurer <strong>Seminaristen</strong>, sondern ebenso für die Uracher <strong>Seminaristen</strong><br />

zuständig. Dass dies nicht nur Worte sind, können die ehemaligen<br />

Uracher ganz konkret erfahren, wenn sie z. B. mal in Blaubeuren ein<br />

Promotionstreffen veranstalten. Wir fühlen uns auch für sie zuständig,<br />

weil auch sie ehemalige Schüler unserer Schule sind.<br />

1576


Denn – und das ist doch die Idee des heutigen Tages – wir in Blaubeuren<br />

halten die Erinnerung an die Geschichte der Seminare wach und haben<br />

es leicht damit, weil uns noch immer dieselben Schwerpunkte bestimmen<br />

wie in den Zeiten des Seminars Urach, nämlich in der Theologie und in<br />

der Kulturgeschichte an die Wurzeln, an die Quellen zu gehen, Latein,<br />

Griechisch und noch immer sogar Hebräisch zu lernen.<br />

Hier in Urach, im heutigen Stift Urach, soll ab heute eine Tafel diese Erinnerung<br />

lebendig erhalten. Wir Blaubeurer wünschen dieser Idee und ihrer<br />

Umsetzung guten, bleibenden Erfolg. Wir ziehen sozusagen am gleichen<br />

Strang!<br />

Denn das, was hier in der Tafel zum Ausdruck kommt, ist nicht nur<br />

Erinnerung. Es ist zugleich ein Hinweis auf die noch bestehenden und<br />

übrigens lebendigen und seit Jahren wieder gefragten Seminare in<br />

Maulbronn und Blaubeuren.<br />

Vivat, crescat, floreat Seminarium!<br />

von links nach rechts: D. Bloedt (2. Vorsitzender des Seminar-Hilfsvereins),<br />

Altlandesbischof Renz, Kirchenrat Weingärtner, Ephorus Klein,<br />

Prälat Dieterich<br />

1577


Dank der Evangelischen Landeskirche Württemberg<br />

und von Stift Urach den ehemaligen <strong>Seminaristen</strong><br />

für die Gedenktafeln zur Erinnerung an das Seminar<br />

Urach 1818–1977 am 28. Mai 2002<br />

»Ich gedenke der alten Zeit, der vergangenen Jahre. Ich denke und sinne<br />

des Nachts und rede mit meinem Herzen«, heißt es im Psalm 77, 6.7. Und<br />

der Ton und Zusammenhang dieser Verse ist eher auf ein fragendes und<br />

fast grübelndes Moll gestimmt, etwa wie in jener Rede, die am 5. Juni<br />

1977 der einstige Uracher Seminarist Albrecht Goes als ›Abschiedswort‹<br />

vom Seminar Urach hielt. Sein trutzig-wehmütiges, ironisch John F. Kennedy<br />

entlehntes »Ich bin ein Uracher« klingt noch manchem im Ohr.<br />

Sie, liebe ›Uracher‹, liebe ehemalige Uracher <strong>Seminaristen</strong>, haben fünfundzwanzig<br />

Jahre danach der Landeskirche und dem Stift Urach diese<br />

beiden Tafeln geschenkt, die auch an die Seminarglocke erinnern, die<br />

1578


Sie in aller Frühe geweckt, Sie ebenso zu den Morgen- und Abendandachten<br />

wie zu den gemeinsamen Mahlzeiten gerufen hat, zu den Unterrichtsstunden<br />

im Hörsaal. Ein solch den Tag strukturierender Glockenton<br />

klingt gewiss durch Jahre und Jahrzehnte nach, weckt, führt zur Arbeit,<br />

erinnert aber auch an das Ende des Arbeitstages. Ich vermute, dass<br />

Ihnen die Strukturierung der Zeit, die der Glockenton gab, geblieben ist.<br />

Und auch die Einladung zur Stille und zum Gebet im Sinne des ›ora et<br />

labora‹.<br />

Und die Tafel, die an das Seminar Urach überhaupt erinnert, an diese<br />

159 Jahre, 1818 bis 1977, in denen hier vorwiegend künftige Theologen,<br />

aber auch Geistes- und Naturwissenschaftler, Lehrer, Historiker, Ärzte,<br />

Juris-ten, Techniker, Musiker, nicht zuletzt Dichter ausgebildet wurden<br />

in humanistischem wie christlichem Geist. Männer, die »zum Wohl des<br />

Landes und seiner Menschen« gewirkt haben.<br />

Die Evangelische Landeskirche in Württemberg dankt Ihnen herzlich für<br />

diese kostbare Gabe. Für Ihre Initiative. Für die Energie, sie in die Tat<br />

umzusetzen. Für den Geschmack, den Sinn für das Angemessene, mit<br />

dem Sie die Idee verwirklicht haben. Für das Geld, das Sie dafür einsetzen.<br />

Und nicht zuletzt auch für die heutige Feier, mit der Sie die Tafeln der<br />

Öffentlichkeit übergeben.<br />

Sie denken heute an Ihre eigene <strong>Seminaristen</strong>zeit zurück. Namen werden<br />

da eine Rolle spielen, Brecht, Stiefel, Bürck, Koch, dann besonders der<br />

Name des hier heute anwesenden letzten Ephorus Dr. Friedrich Schmid.<br />

Sie denken gewiss an die gründliche Bildung, die Sie hier erhielten, an<br />

erste Begegnungen mit dem Nt graece, mit Homer und Sokrates, mit der<br />

Biblia hebraica, aber auch mit Schiller, Hölderlin, Mörike, mit Hermann<br />

Hesse und Thomas Mann und wohl auch schon mit Bert Brecht, Franz<br />

Kafka, Albert Camus.<br />

Sie werden an Gottesdienste in der Amanduskirche denken. Als Sie unter<br />

der Kanzel saßen, an der vielleicht noch etwas an Karl Hartensteins Predigten<br />

erinnerte.<br />

Sie werden an Musikerlebnisse denken. An die Begegnung mit Heinrich<br />

Schütz und J. S. Bach so sehr wie mit Mozart, Schumann und vielleicht<br />

schon Hindemith, Bartok, Schönberg, Strawinski. Musik als Vorrecht von<br />

Menschen, die vor allem aufs Hören gestimmt sind, war hier ein Lebenselement.<br />

Vielleicht denken Sie auch an Spiel und Sport. Gehörten Sie vielleicht<br />

auch zu denen, die unter Absingen von Schillers »Wohlauf Kameraden,<br />

1579


aufs Pferd, aufs Pferd« zur Turnhalle schritten und sich dafür im Ermstalboten<br />

tadeln lassen mussten? »Frischauf, eh der Geist noch verdüftet«,<br />

haben Sie damals gesungen. »Und setzet ihr nicht das Leben ein, Nie<br />

wird euch das Leben gewonnen sein«, wahre, aber leider auch allzu oft<br />

missbrauchte Sätze . . .<br />

Die Tafeln, die Sie stiften, erinnern an eine geistige Tradition, in der<br />

zusammengehalten wurde, was zusammengehört: Seele, Geist und Leib;<br />

Gedanke und Tat, das Hören und das Reden; Himmel und Erde; das Göttliche<br />

und das Menschliche in seiner Gefährdung und Verheißung. Antike<br />

und Christentum. Philosophie und Theologie. Glaube und Naturwissenschaft.<br />

Dichtung und das Suchen in der Schrift.<br />

An alle diese Versuche, dem Zentrifugalen zu wehren, Auseinanderstrebendes<br />

zusammenzuhalten. »Starke Spannungen ergeben helle Funken«,<br />

sagt Bonhoeffer. Die kirchlichen Seminare halten – auch heute – fest an<br />

dieser spannungsvollen Einheit. Und sie tun damit einer Gesellschaft,<br />

die vom ›Verlust der Mitte‹ und darum von Erosionen, vom Auseinanderbröckeln<br />

und Auseinanderbröseln gezeichnet ist, einen wertvollen Dienst.<br />

Sie erinnern an dieses letzte Zusammengehören, das kein Mensch schaffen<br />

kann, das auch nicht in Ihrer Seminarzeit, auch nicht in der Zeit Mörikes<br />

und ebenso wenig zu Zeiten des Johannes Brenz und des Herzogs<br />

Christoph jemand ›machen‹ konnte. An die immer schon verlorene Einheit,<br />

die aber in Jesus Christus schon vor unserem Suchen und Machen<br />

aus dem Nichts neu geschaffenes Faktum ist, auf dessen Offenbarung<br />

wir zugehen und dessen Wegbereitung wir jetzt schon dienen wollen.<br />

Ihre Tafeln erinnern vor allem aber auch an Freundschaften, die Sie<br />

damals geschlossen haben. Viel zu wenig hat man in der Theologie das<br />

Phänomen ›Freundschaft‹ zu den Erhaltungsordnungen Gottes gezählt.<br />

Seit Eduard Mörike, Wilhelm Waiblinger, Friedrich Theodor Vischer,<br />

David Friedrich Strauß, Wilhelm Hartlaub bis in Ihre Jugendjahre gaben<br />

Freundschaften Halt und Orientierung; sie konnten sich in Urach entwickeln<br />

und gaben Ihnen Lebensfreude und Mut. Lebensfreundschaften<br />

sind entstanden. Mit Recht hat Ephorus Brecht zu diesen Freundschaften<br />

zitiert:<br />

Was vergangen, kehrt nicht wieder,<br />

Aber ging es leuchtend nieder,<br />

Leuchtet’s lange noch zurück.<br />

Albrecht Goes hat im Abschiedswort vor 25 Jahren auch an die ›Mathematik<br />

des geistigen Wirkens‹, wie sie Romano Guardini formuliert hat,<br />

erinnert: »Hundert mal eins ist hundert Mal mehr als einmal hundert«. Er<br />

1580


hat von der Würde des Einzelnen<br />

gegen den Machtanspruch<br />

des Kollektivs, von<br />

der kühnen Einsamkeit und<br />

Freiheit des Einen gesprochen.<br />

Und hat damit nicht der<br />

Freundschaft entgegengeredet,<br />

hat vielmehr nur angedeutet,<br />

wer zur Freundschaft<br />

fähig ist: der Mensch, der<br />

sich selbst werden darf.<br />

Ihre Tafeln, die nun auch<br />

unsere Tafeln werden, erinnern<br />

an das, was das Wort<br />

Seminar sagt: Pflanzschule.<br />

Pflanzschüler hätten sie einander<br />

bisweilen lachend genannt,<br />

sagte Albrecht Goes.<br />

Wo Lebendiges gepflanzt<br />

wird, da wachsen Früchte,<br />

oft lange Zeit im Boden, verborgen,<br />

vielleicht in winterlich<br />

erstarrter Erde – »Es wächst viel Brot in der Winternacht . . .« –, aber<br />

sie wachsen und sie tragen in sich Samen. Der Same ist mit den Kategorien<br />

von Effizienz und Effektivität nicht zu erfassen. Kein Computer zeichnet<br />

ihn auf. Nur die vertrauende Hoffnung nimmt ihn wahr. Er ist nicht tot.<br />

Er lebt. Auch heute in Urach, im Stift, in der Gemeinde, im Kirchenbezirk.<br />

Er lebt in der Landeskirche, trotz all der bedrängenden Probleme, mit<br />

denen wir uns mit offenem Ausgang herumschlagen. Mag vieles von diesem<br />

Samen verloren gehen. Ein Senfkorn kann zum Baum werden. Was in<br />

Urach gesät wurde, lebt und hinterlässt eine grüne Spur.<br />

Lassen Sie mich mein Dankeswort beschließen mit den letzten Zeilen von<br />

Mörikes ›Besuch in Urach‹. Er schildert, hinaufblickend zum Hohenurach,<br />

»wie die Wolken finstre Ballen schließen / um den ehrwürdgen Trotz der<br />

Burgruine«, wie »mit hoher Feuerhelle / der Blitz die Stirn und Wange mir<br />

verklärt« und er ruft »in die grelle Musik des Donners«:<br />

O Tal! du meines Lebens andre Schwelle!<br />

Du meiner tiefsten Kräfte stiller Herd!<br />

Du meiner Liebe Wundernest! ich scheide,<br />

Leb wohl! – und sei dein Engel mein Geleite!<br />

Prälat Paul Dieterich<br />

1581


Liebe Brüder vom gemeinsamen Leben,<br />

liebe Freundinnen und Freunde der Seminare,<br />

von 1477 an, also genau 500 Jahre vor der<br />

Schließung des Seminars Urach 1977, entstand<br />

der Uracher Mönchshof unter Graf<br />

Eberhard im Bart nach den Ideen von Gabriel<br />

Biel für die »Brüder vom gemeinsamen<br />

Leben«. Albrecht Goes hat wahrscheinlich<br />

recht, wenn er meinte: »etwas dergleichen<br />

wollten wir wohl auch sein«. Irgendwie hat<br />

das für uns <strong>Seminaristen</strong> alle gegolten, nicht<br />

nur im Tal der Erms, sondern auch im Tal der<br />

Jagst.<br />

»Wir Württemberger sind nun in der glücklichen Lage, dass wir in der<br />

Klosterschule eine Schulform von eigenartiger Geschlossenheit aufweisen<br />

können« (E II). Das habe ich bei meinem Schwiegervater gelesen.<br />

Er schrieb dies in einer wissenschaftlichen Abhandlung fürs Examen der<br />

Pädagogik an der Universität Tübingen im Jahr 1930. Seine wohlwollende<br />

Beurteilung dieser Schulen und der Seminare, die daraus wurden, hat es<br />

ihm wahrscheinlich leicht gemacht, mir seine Tochter als Frau anzuvertrauen,<br />

mir, dem ehemaligen <strong>Seminaristen</strong>, also einem, der von eben<br />

dieser besonderen Schulform geprägt worden ist.<br />

Ganz so selbstverständlich war das Seminar für mich 1952 freilich nicht.<br />

Wir waren nur noch zu zweit in der Familie. Meine zwei Brüder lebten nicht<br />

mehr, waren klein gestorben, der Vater war im Krieg gefallen. Warum sollte<br />

meine Mutter mich in ein Internat weggeben?<br />

Ich selbst hatte mir gewiss nicht vorgenommen, die »sapiens atque eloquens<br />

pietas« eines Johannes Sturm zu erwerben, der von Straßburg<br />

aus im Reformationszeitalter die Große Kirchenordnung in Württemberg<br />

beeinflusst haben mag, was die Konzeption der Klosterschulen angeht.<br />

Es war vielmehr »die Anhänglichkeit des Vaters an dieses ehrwürdige Institut«<br />

(E 98), die meine Mutter zu diesem Schritt bewog, ein Schritt, den<br />

sie, weil’s der Vater so gesehen hatte, nie in Frage stellte. Mein Vater war<br />

in Maulbronn und Blaubeuren und für ihn, der als Missionarskind im Knabenhaus<br />

in Basel ohne die Eltern in Indien aufwachsen musste, war das<br />

Seminar zu einem sonst nirgends erreichbaren Zuhause geworden.<br />

Nur vor dem Seminar stand das Landexamen, auch für mich. Und diese<br />

Prüfung, die früher einmal ›Pfingstexamen‹ hieß, weil sie in diese Zeit des<br />

Kirchenjahres fiel, wurde für mich alles andere als ein pfingstliches Ereig-<br />

1582


nis, weil es nur zu einer Gastschülerstelle reichte. Die konnte meine Mutter<br />

nicht bezahlen. Aber da kam uns die Schulreform zu Hilfe mit dem auf<br />

ein halbes Jahr verkürzten Schuljahr und die sonst von so vielen so oft<br />

in Frage gestellte Großzügigkeit des Oberkirchenrats, es noch einmal zu<br />

versuchen, und das dann mit besserem Erfolg. Erst viel später stieß ich<br />

auf die tröstliche Erkenntnis, dass etwa ein Philipp Matthäus Hahn fünf<br />

Mal am Landexamen teilnahm, ohne je das Seminar zu erreichen.<br />

Von einem Albdorf ins Hohenlohische hieß das für mich, ein ziemlich großer<br />

Schritt. Zwei Jahre später vom abgelegenen Schöntal in die Stadt,<br />

so empfanden wir zumindest Urach, wieder ein großer Schritt. Das war<br />

für eine zusammenwachsende Gemeinschaft von rund 40 jungen Leuten<br />

schon ein pädagogisches Kunststück und zugleich eine wesentliche<br />

menschliche Erfahrung. Bunt zusammengewürfelt, »arme und reiche,<br />

talentvolle und minderbegabte, stolze und bescheidene, witzige und<br />

beschränkte, verträgliche und zänkische, gutmütige und hartherzige,<br />

stille und laute, gewandte und unbeholfene Altersgenossen bilden ein<br />

Ganzes. Dieser Tatbestand ergibt für den Einzelnen nicht nur eine ausgezeichnete<br />

Grundlage für eine spätere Menschenkenntnis, sondern auch<br />

die Nötigung, die eigene Individualität an 40 anderen Individualitäten zu<br />

reiben, die Ansprüche des eigenen Ichs gegen die von 40 fremden Ichs<br />

auszugleichen, wenn er als Glied in die große Kette passen will« (E 151).<br />

So liest sich das bei meinem Schwiegervater, also von außen betrachtet.<br />

Ich finde, er hat eine Seminarpromotion damit treffend beschrieben.<br />

Da half, was die allermeisten von uns nicht kannten: eine klar vorgegebene<br />

Zeiteinteilung; nicht mehr ein Schulweg von 25 km mit Fahrrad, Zug<br />

und Bus; festgelegte Arbeits- und Freizeit; besondere Studiennachmittage;<br />

kaum eine Woche ohne eine Klassenarbeit. Diese Häufigkeit nahm<br />

der Klassenarbeit den Schrecken, als hinge der Rest der Karriere von<br />

eben dieser einen Note ab, die man gerade ausgehändigt bekam.<br />

Abschreiben voneinander war von einem Tag auf den andern tabu.<br />

Unvorstellbar eigentlich, bisher war es eine wichtige Form schulischen<br />

Überlebens gewesen. Und als Abschreiben doch einmal vorkam, sorgte<br />

die Tatsache, dass dies in unserer Stube passiert war, noch tagelang für<br />

Gesprächsstoff.<br />

Und nicht zuletzt die besondere menschliche species der Repetenten.<br />

Sie haben einiges von uns aushalten müssen. Sie haben sich redlich<br />

bemüht und ich habe mir irgendwann sogar überlegt, ob ich diese Stelle<br />

nicht einmal selbst übernehmen wollte! Sie waren gewiss nicht nur glänzende<br />

Pädagogen. Und ob sie dazu halfen, dass aus jedem von uns »ein<br />

in klösterlichem Geist erzogener, formal gut geschulter Mensch« wurde,<br />

der »Zugang erhalten soll zu protestantischer Denkungsart«, wie mein<br />

1583


Schwiegervater meinte, ich weiß es nicht. Aber wenn ein Korb Kirschen<br />

aus dem Remstal kam, legten wir ein paar wenigstens ins Repetentenzimmer,<br />

so dass sich der betreffende Repetent mit Schallplattenmusik bei<br />

geöffneten Türen revanchieren konnte. Immerhin, an fast alle Re-petenten<br />

kann ich mich noch gut erinnern.<br />

Anderes bleibt freilich genauso fest hängen, etwa die Tatsache, dass einer<br />

unserer Lehrer, dem wir in einer Arbeitszeit den Garten aufgeräumt hatten,<br />

versprach, auch uns – wie er sagte – einmal »einen Stein in den Garten<br />

zu werfen«. Nur hat er das nie wahr gemacht. Vergessen haben wir das<br />

nicht gehaltene Versprechen nicht. Haben wir daraus gefolgert, es selbst<br />

anders zu halten?<br />

Wenn man hinter Klostermauern lebt, gehört es einfach dazu, sie des<br />

Nachts gelegentlich zu übersteigen, der Äpfel, Zwetschgen oder Trauben<br />

des Jagsttals wegen, um in der Jagst zu baden, auf den Wiesen am<br />

Fluss bei Mondschein Geistertänze aufzuführen oder auf der Jagst Kahn<br />

zu fahren, was man freilich auch bei Tag tun konnte. Aber das war eben<br />

nicht dasselbe. Dann kehrte man voller Erlebnisse wieder ins warme Bett<br />

hinter den Klostermauern zurück. Vielleicht sind solche Erlebnisse auch<br />

Beispiele, zugegeben etwas außergewöhnliche Beispiele dafür, dass die<br />

Seminare mehr wollten als das pädagogische Denken »nur von zweckhaften<br />

Überlegungen bestimmen« zu lassen (E 12).<br />

Gewiss nicht alle haben das Seminar in gleicher Weise oder nur positiv<br />

erlebt. 40 Individualitäten und 40 Ichs schaffen sich ihre eigene Hackordnung.<br />

Das Kriterium, ob einer gut und gern Fußball oder Handball spielt,<br />

ist sicher nicht von der Großen Kirchenordnung oder ähnlichen Autoritäten<br />

vorgegeben. Aber es kann weit mehr Gewicht und Folgen haben als<br />

viele pädagogische und psychologische Finessen oder andere Talente.<br />

Nicht jeder hält das aus. So wie Hermann Hesse im Rückblick schrieb:<br />

»Hier ward mein erster Lebenstraum zunichte« (KG 120), mag es manchem<br />

gegangen sein, mehr als wir uns selbst klar machten. Zu den unvergessenen<br />

Ereignissen der Seminarzeit in Schöntal gehört eine »Feier«, die<br />

wir zusammen mit den Repetenten veranstalteten, als einer das Seminar<br />

verlassen hatte, weil er es unter uns nicht mehr aushielt. Hans Kümmel<br />

hat damals eine Rede gehalten, die uns alle nachdenklich gemacht hat,<br />

nachdenklich darüber, wie wir mit Menschen umgehen, die nicht ohne<br />

weiteres in das allgemein anerkannte Schema passen.<br />

Gemeinsam eine lustige Situation auszuhecken, gehört freilich genauso<br />

zum <strong>Seminaristen</strong>leben. Und oft genug waren die Repetenten, die nahe<br />

genug lebten, ein dankbares Ziel. Sie aßen mit uns im Speisesaal, natürlich<br />

an einem separaten Tisch, und hatten dafür zu sorgen, dass der<br />

Essenslärm in Grenzen blieb. Zu laut wurde mit Ausschluss bestraft, das<br />

hieß »Nachsitzen« mit dem Essen, wenn die andren schon die freie Zeit<br />

1584


genossen. Wir hatten entdeckt, dass die Tischplatte zu lockern war. Also<br />

provozierten wir den Ausschluss, der prompt ausgesprochen wurde, und<br />

so trugen wir die Tischplatte mit allem, was die Schwestern Lindner<br />

kreiert hatten, unter dem großen Gelächter der anderen triumphierend<br />

aus dem Speisesaal.<br />

Als Pfarrer, der es mit Kirchen und Gemeindehäusern zu tun hatte, schätze<br />

ich die Arbeit eines Hausmeisters überaus hoch ein. Ich bin ziemlich<br />

sicher, dass Hausmeister große Seelen haben müssen. Dies traf ganz<br />

gewiss auf unsere Hausmeister Sinn in Schöntal und Brick in Urach zu.<br />

Letzterer hat uns in einer »Schreiner-AG« nicht nur beigebracht, wie man<br />

einen Besenstiel dreht oder mit Schwalbenschwänzen eine Schublade<br />

zimmert. Er hat auch mit großer Geduld gewartet bis zum letzten Schlag<br />

der Uhr am Amanduskirchturm abends um 22 Uhr, bis wir im letzten<br />

Moment durchs Tor huschten. Ich hatte mir in der Tanzstunde ausgerechnet,<br />

dass die 24 Glockenschläge bei hohem Tempo reichten vom<br />

Haus meiner Angebeteten bis zum Seminartor. So horchte Herr Brick auf<br />

solch eilige Schritte in die Nacht hinaus, bevor er endgültig abschloss.<br />

Großzügig sein, in solch einfachen Situationen im Leben lässt sich’s<br />

lernen.<br />

Mit Hingabe haben wir Theater gespielt, immer so, dass jedem dabei eine<br />

Rolle zufiel. »Das große Welttheater« oder »Der Widerspenstigen Zähmung«,<br />

Stücke, mit deren Titel das Lehrerkollegium wahrscheinlich so<br />

manche Seminarpromotion hätte charakterisieren können. Die paar Zeilen<br />

aus dem »Rütlischwur« im Wilhelm Tell kann ich heute noch auswendig:<br />

»Die Urner sind es, die am längsten säumen, sie müssen weit um gehen<br />

im Gebirg«. Als Vater zweier Söhne, die als Deutsche in der Schweiz<br />

leben und als Jurist und Journalist genau verfolgen, wie schwer sich die<br />

Schweiz tut, sich Europa anzuschließen, bekommt dieser Schiller’sche<br />

Vers eine ganz aktuelle Bedeutung!<br />

Dass man Latein auch mit dem derben Humor des Abtes Knittel lernen<br />

kann, machte manche Lateinstunde zu einem fröhlicheren Unternehmen,<br />

als wir es von früher gewohnt waren, ebenso wie der Versuch, Szenen<br />

aus der Odyssee als Übersetzungsübung in Verse moderner Räubergeschichten<br />

zu übertragen. So eröffneten sich Räume, die wir selbst füllen<br />

konnten mit eigenen Ideen oder den Angeboten der Lehrer. Freilich gab<br />

es außerhalb des Stundenplans nicht nur Höhepunkte unseres freiwilligen<br />

Engagements, wenn ich etwa an das Landschaftsprofil des Jagsttals<br />

denke, das wir mühsam auszusägen versuchten, oder an das berühmt<br />

berüchtigte Aquarium in Schöntal, eine Herzensangelegenheit unseres<br />

Biologielehrers, ein Aquarium, das nie wasserdicht wurde, ungewollt<br />

oder gewollt. Erfolgreicher war da schon das Experiment, den Verlauf des<br />

römischen Limes durch Rauchzeichen zu bestimmen.<br />

1585


Ob nach der Tradition der Klöster, wie mein Schwiegervater schrieb,<br />

»der alte Glaube an die gemeinschaftsbildende Wirkung der musica<br />

sacra, die eine Menschengruppe ›auf einen Ton zu stimmen‹ vermag«<br />

so uneingeschränkt gilt, lasse ich dahingestellt. Aber ohne Zweifel hat<br />

uns allen das Musizieren viel Freude gebracht, der erste Auftritt eines<br />

Jazzorchesters zum nicht geringen Erstaunen des Ephorus in Schöntal<br />

wie der Beginn der »Gächinger Kantorei« von Urach aus. Wäre sie ohne<br />

<strong>Seminaristen</strong> überhaupt zustande gekommen? Ganz besonders denke<br />

ich an die »Treppenhauskonzerte« in Schöntal. Umgeben vom fröhlichen<br />

Barock des weit ausschwingenden Treppenaufgangs musizierten wir.<br />

Treppen und Absätze waren besetzt bis auf den letzten Platz. Ich bin nur<br />

froh, dass die Verantwortlichen erst nach unseren Seminarjahren darauf<br />

kamen, dass diese Konzerte im Treppenhaus aus statischen und feuerpolizeilichen<br />

Gründen absolut nicht zulässig waren. Bis heute höre ich<br />

die vier Paukenschläge, mit denen das Weihnachtsoratorium be-ginnt,<br />

immer mit dem Bild vor Augen, wie alle, die mitsangen – und das war ein<br />

großer Teil der Promotion –, gebannt auf Gerhard Steiff starrten. Denn<br />

von ihm, d. h. von seinen vier Paukenschlägen hing ab, ob das Tempus<br />

fürs ganze Weihnachtsoratorium stimmte.<br />

Ganz gewiss ist Lehrer im Seminar zu sein eine besondere Herausforderung.<br />

Das haben wir wohl alle begriffen, ohne deshalb mit unseren<br />

Lehrern barmherziger umgegangen zu sein. Neben dem Fachwissen<br />

war der Lehrer als Mensch gefragt, und das mehr außerhalb des Stundenplans<br />

als im Klassenzimmer. Aber so haben wir etwas von dem entdecken<br />

können, was der Kultminister von Wangenheim zur Zeit der<br />

Gründung des Seminars Urach allen Lehrern ins Stammbuch schrieb,<br />

nämlich Schüler, also auch <strong>Seminaristen</strong>, so schreibt er, »von Jugend<br />

auf daran zu gewöhnen, mit den Lehrbedürftigen sanftmütig und belehrend<br />

umzugehen, und sie früh die Erfahrung machen zu lassen, dass<br />

man lehrend am besten lernt« (E 128). Brunnenmacher sollten die Lehrer<br />

sein, hatte Johann Albrecht Bengel in der Klosterschule in Denkendorf<br />

gefordert. »Ein Brunnenmacher räumt die Hindernisse aus dem<br />

Weg, so läuft das Wasser von selbst« (E 85). Hohe Ideale! Zumindest<br />

bietet das Seminarleben viele Möglichkeiten, ihnen gelegentlich nahe<br />

zu kommen.<br />

Ein Lehrer muss nicht alles perfekt beherrschen, wichtig nur, dass er<br />

dies auch zugeben kann. Eine Passacaglia von Bach bleibt ein schweres<br />

Stück. Wir waren zu zweit auserkoren, umzublättern beim Orgelkonzert<br />

in der vollen Amanduskirche, lasen mit und bekamen dann auch mit,<br />

wo Spiel und Noten nicht mehr zusammenstimmten. Aber mit Schwung<br />

spielte unser Musiklehrer weiter mit der kurzen Bemerkung: Keiner hat’s<br />

gemerkt! Wir haben ihn ehrlich bewundert.<br />

1586


Ephorus im Seminar zu werden war ein kirchengeschichtlicher Akt. Da<br />

der Ephorus früher immer ein Prälat war, will ich aus einem Investiturbericht<br />

zitieren. Denn da wurde vor den höchsten Beamten des Staates<br />

und den obersten Dienern der Landeskirche gesagt, wie wichtig es sei,<br />

»dass der Prälatenstand als ein sonderbarer Landstand dieses Herzogtums<br />

in seinem Esse erhalten werde« (E 36f). Darüber lässt sich, lieber<br />

Paul Dieterich, immer mal wieder nachdenken.<br />

Ob Prälat, ob Ephorus, ob Lehrer, entscheidend ist der Mensch, der<br />

einem <strong>Seminaristen</strong> begegnet. Ich muss zugeben, dass ich vom Unterricht<br />

von Hermann Storz nicht mehr viel weiß. Natürlich hatten wir<br />

schnell herausgefunden, wenn er z. B. einen Aufsatz schreiben ließ über<br />

eine selbst gewählte große Gestalt der deutschen Geschichte, dass mit<br />

der Wahl etwa der Adelheid eine gute Note von vornherein garantiert<br />

war, was immer im Aufsatz selbst geschrieben stand. Aber dem<br />

Respekt vor seiner Person tat dies keinen Abbruch. Storz gab uns zum<br />

Wandern ohne weiteres ein Wochenende frei. Er lieh uns zum Klettern<br />

sein Seil. Er setzte beim Oberschulamt durch – nach der Katastrophe<br />

am Dachstein – mit seinen <strong>Seminaristen</strong> den Heilbronner Weg im Allgäu<br />

zu gehen.<br />

Bei Einladungen in seine Wohnung bot er Saft und Sprudel an, in einem<br />

Nachsatz erst Glühwein, um dann nach dem entsprechenden Wunsch<br />

unsrerseits zuzugeben, dass er an gar nichts anderes gedacht habe<br />

als an Glühwein, der auch schon fertig sei. Storz war zu unserer Zeit<br />

stellvertretender Bürgermeister in Urach, für uns ein Beispiel für das<br />

durchaus mögliche politische Engagement eines Kirchenmannes. Man<br />

mag dabei an die Bittschrift des Uracher Magistrats von 1818 denken<br />

und an seinen Beitrag von 10 000 Gulden, um zu erreichen, dass das<br />

neu zu gründende Seminar im Uracher Mönchshof eingerichtet werde,<br />

zumal – so heißt es in der Bittschrift – »die schöne Gebirgs-Natur gewiss<br />

auf jugendliche Gemüther den wohltätigsten Einfluss mache« und »der<br />

hiesige Ort wegen der bei seinen Bürgern herrschenden Ordnung, Eingezogenheit,<br />

Fleiß und Moralität auf das beste prädiziert sey« (KG 62).<br />

Die Tanzstunde hat der Ephorus zur Chefsache gemacht. Oft war er<br />

dabei, allerdings nicht bei der letzten Tanzstunde. Traurig, dass nun<br />

alles zu Ende sein sollte, marschierten wir alle, Damen und Herren, auf<br />

den Uracher Marktplatz und tanzten zu unserem eigenen Gesang noch<br />

Rheinländer. Es war just zur selben Zeit, dass die altpietistische Stunde<br />

zu Ende war und ihre Teilnehmer auch auf den Marktplatz kamen. Das<br />

frivole Tun der <strong>Seminaristen</strong> ward alsbald dem Ephorus zur Kenntnis<br />

gebracht. Die versammelte Promotion wurde am nächsten Morgen in<br />

aller Frühe mit einem Storz’schen Donnerwetter zusammengestaucht.<br />

1587


Selbst der Abschlussball am folgenden Tag schien in Gefahr, so<br />

schlimm war offensichtlich der Vorfall. Der Donner verzog sich – nichts<br />

Ungewöhnliches beim Ephorus Storz – und am Ende waren wir uns<br />

gar nicht mehr so sicher, ob er dieses unglückliche Zusammentreffen<br />

zweier ›protestantischer Denkungsarten‹ im Schoß der Landeskirche<br />

nicht insgeheim als vergnügliches Ereignis betrachtete. Jedenfalls<br />

bekam ich kurz danach selbstverständlich seinen Zylinder, den ich mir<br />

von ihm für den Abschlussball erbat. Vielleicht hat uns der Ephorus auf<br />

seine Art klar machen wollen, dass sich der Mensch nicht notwendig<br />

verbiegen muss, sondern zu seiner Meinung stehen kann, solange er<br />

eine andere Meinung gelten lässt, sie auch achtet, selbst wenn er sie<br />

nicht teilt.<br />

Bildung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche. Die <strong>württembergische</strong><br />

Landeskirche sieht dies als einen umfassenden Auftrag und möchte<br />

ihn mit Nachdruck verfolgen. So geht es heute, 25 Jahre nach der<br />

Schließung des Seminars Urach, nicht nur um Erinnerung an alte Zeiten,<br />

sondern um eine Verpflichtung für die Zukunft. In welcher Form auch<br />

immer, die Kirche muss Modelle für Bildung auf allen Ebenen kirchlichen<br />

Handelns anbieten. Und das Seminar ist ein solches Modell. Das ist für<br />

Württemberg nach wie vor wichtig, dieses Land und seine Kirche, das<br />

– wie es einmal im 19. Jahrhundert beschrieben wurde – »seiner andersgläubigen<br />

Umgebung entfremdet, eingeengt (ist) zwischen Alemannen<br />

und Donauschwaben, Main- und Rheinfranken, ein in sich selbst geschlossener,<br />

selbstbewusster, intelligenter, trotziger Splitter protestantischen<br />

Wesens inmitten des großen Stroms der barocken Kultur, der<br />

zwischen Wien und dem Rhein flutete« (E 95f).<br />

Ich wünsche mir, dass diese besondere Schulform des Seminars auch<br />

in Zukunft »protestantische Denkungsart« fördert, wie sich das schon<br />

die Große Kirchenordnung 1559 vorgestellt hat, und dass das Seminar<br />

»ein Mikrokosmos der Lebendigkeit und Freiheit« (E 151) ist und<br />

bleibt.<br />

E = »Das protestantische Klosterschulwesen Württembergs in seiner geschichtlichen Entwicklung«<br />

Wissenschaftliche Abhandlung zwecks Zulassung zur Höheren Prüfung für den Volksschuldienst<br />

Im Frühjahr 1930 vorgelegt von Georg Eckle (unveröffentlicht) Universität Tübingen,<br />

Professor Oswald Kroh<br />

KG = »Das Evangelisch Theologische Seminar Urach 1818–1977<br />

Herausgegeben vom Verein für <strong>württembergische</strong> Kirchengeschichte in Zusammenarbeit<br />

mit dem Landeskirchlichen Archiv und dem Landeskirchlichen Museum<br />

Verlag Ernst Franz, Metzingen 1991<br />

1588<br />

Eberhardt Renz (52/56)


Uracher Gedenktag am 28. Mai 2002<br />

Andacht in der Amanduskirche – eine Heimkehr<br />

Die Feier zur Erinnerung an das Evangelisch-theologische Seminar Urach<br />

am 28. Mai 2002 schloss mit einer Einladung an die Gäste in die Amanduskirche<br />

zu einer »Abendandacht mit mehrstimmigem Choralsingen«. In<br />

dem hohen dämmrigen Chor mit seinen leuchtend bunten Fenstern und<br />

dem ehrwürdigen Chorgestühl wurde für die ehemaligen <strong>Seminaristen</strong><br />

und Se-minarlehrer, die daran teilnahmen, ein Stück Seminarleben wieder<br />

gegenwärtig.<br />

Das gilt besonders für das gemeinsame Singen. Kirchenmusikdirektor i. R.<br />

Gerhard Steiff (Urach 1954–1956) führte in einer kurzen Probe mit Humor<br />

und Disziplin die große Gemeinde zu einem Chor zusammen. Er musizierte<br />

mit uns vier Sätze aus dem Evangelischen Gesangbuch: »Wohl denen, die<br />

da wandeln . . .«, »Bleib bei uns, wenn der Tag entweicht . . .«, »Gloria sei dir<br />

gesungen . . .«, »Der Mond ist aufgegangen . . .«: Als wir mit den vertrauten<br />

Liedern den Raum füllten, jeder mit seiner Stimme ein Teil des klingenden<br />

Ganzen, da war das auch der Nach-Klang der musikalischen Arbeit im<br />

Seminar, die viele von uns geprägt hat.<br />

»Wie viel hundert Andachten haben <strong>Seminaristen</strong> erlebt, gehört und über<br />

sich ergehen lassen? Was haben sie bewirkt, was ist geblieben?« Prälat i.<br />

R. Heinrich Leube (Urach 1941) formulierte in seiner Ansprache eine Frage,<br />

die uns Ehemalige an diesem Erinnerungstag nicht nur im Blick auf das im<br />

Seminar von uns praktizierte geistliche Leben bewegte: Was ist geblieben?<br />

Er erinnerte an die erste, 1941 vom Staat erzwungene Schließung des<br />

Seminars und an das Wort, mit dem Ephorus Storz die zum Schlussappell<br />

versammelten <strong>Seminaristen</strong> entließ: »Weggetreten!« Denen, die damals<br />

gegen ihren Willen das Seminar verlassen mussten, und allen, die es auf<br />

dem Weg ihres Lebens hinter sich gelassen haben, bleibt aus ihrer Seminarzeit<br />

die Einladung im Herzen: »Lasset uns hinzutreten!« (Hebräer 10, 22)<br />

Nämlich zu dem, was wir damals bei unseren Lehrern und Kameraden für<br />

unseren Glauben und für unser Gewissen gelernt haben.<br />

Wilfried Brandt (56/58)<br />

1589


Abschied aus Maulbronn<br />

Persönliche Gedanken und Einschätzungen<br />

von Ephorus Markus Henrich (1993–2003)<br />

»Drunten pfeift ein Zug durchs grüne Land,<br />

Morgen, morgen fahr’ auch ich davon!<br />

Letzte Blumen pflückt verirrt die Hand,<br />

und sie welken, eh’ ich fort bin schon.«<br />

Diese Zeilen eines Gedichts von Hermann<br />

Hesse gehen mir durch den Kopf, wenn ich<br />

Gedanken zum Abschied formulieren soll.<br />

Zehn Jahre Maulbronn liegen nun bald hinter<br />

uns, eine wunderbare, bereichernde,<br />

belastende, intensive, spannende und keinen<br />

Tag langweilige Zeit, und nach diesen<br />

zehn Jahren wird die Familie Henrich<br />

Maulbronn verlassen. Die Gründe dafür<br />

sind persönlicher Natur. Die letzte Phase<br />

meines Lehrerdaseins möchte ich gerne<br />

noch einmal an einer Schule mit einer großen altersmäßigen Vielfalt unterrichten,<br />

und für das Seminar ist es sicher ein Gewinn, wenn in der wichtigen<br />

Umbruchphase, die nun ansteht, ein Nachfolger mit frischer Kraft zu<br />

Werke geht.<br />

1. Rückblick:<br />

Mit der Schülerschaft der elf Promotionen, die ich hier erleben durfte,<br />

verbinde ich Erinnerungen an die unterschiedlichsten Typen von Schülern,<br />

an eine ganze Reihe von unerwarteten Konflikten und Auseinandersetzungen<br />

und vor allem an eine große Zahl gelungener Begegnungen<br />

und Aktivitäten. Unvergessen die herausragenden musikalischen Darbietungen<br />

bei vielen Anlässen, die Vielfalt der außerschulischen Unternehmungen,<br />

die gemeinsamen Gottesdienste und Andachten, das meist<br />

un-komplizierte tägliche Miteinander hier im Haus, Spiel und Sport in vielerlei<br />

Ausprägung und der schulische Alltag mit seinen <strong>seminar</strong>typischen<br />

Gegebenheiten . . .<br />

Doch bei allem unterschiedlichen Profil, das einzelne Jahrgänge hier<br />

entwickelt haben, gibt es auch gemeinsame Eigenschaften, die man den<br />

meisten Promotionen attestieren kann.<br />

1590


Die Selbstständigkeit und das große Interessenspektrum unserer Schüler<br />

werden immer wieder hervorgehoben, ebenso wie ihre offene freundliche<br />

Art, auf Gäste im Haus oder auf andere Jugendliche zuzugehen. Ebenso<br />

ist die Qualität im Umgang miteinander bemerkenswert – für viele ist<br />

die Semi-Gemeinschaft wie eine zweite Familie geworden. Hinzu kommt<br />

die musikalische und schulische Leistungsfähigkeit sowie in unterschiedlichen<br />

Ausprägungen theologisches, ökologisches und durchaus auch<br />

gesamtgesellschaftliches Engagement. Doch – nobody is perfect – dem<br />

gegenüber stehen auch andere Seiten, die für manche fast zu einer<br />

Art Semi-Tradition geworden sind: Da wäre das, was Außenstehende<br />

schlicht als Arroganz der <strong>Seminaristen</strong> empfinden – mögen diese<br />

sich auch keinesfalls selbst so sehen; da ist der unangemessen hohe<br />

Stellenwert, den Alkoholkonsum und Rauchen für viele leider schon in<br />

Maulbronn bekommt. Und da war – was ich sehr selbstkritisch anmerke<br />

– die Ausprägung einer speziellen Art vieler Zehntklässler mit ihren Neuntklässlern<br />

umzugehen, die der Idee einer christlichen Gemeinschaft diametral<br />

entgegensteht und sich leider so manches Mal in Übergriffen primitiver<br />

und brutaler Art äußerte. Es bedurfte massiver Anstrengungen und<br />

der Kooperation einer ganzen Promotion, um dieses Rad der Dumpfheit<br />

und der verharmlosten Gewalt wieder zurückzudrehen.<br />

Nicht vergessen möchte ich Eigenschaften der Semis wie ihren Widerspruchsgeist,<br />

ihre Kritikfähigkeit und ihr Talent zu Parodie und Persiflage.<br />

Sie sind in einer Demokratie unverzichtbar, doch wer einmal Zielscheibe<br />

so mancher geäußerter Kritik war, der weiß, wie wichtig gerade hier Maß<br />

und Ziel sind.<br />

1591


Was konnte nun in den vergangenen Jahren in dieser Einrichtung bewegt,<br />

vorangetrieben werden, wie hat sie sich entwickelt? Einige Neuentwicklungen,<br />

für die ich verantwortlich zeichne, sind die Einführung der Kurzfreizeit<br />

in der ersten Semi-Woche für die Neuen auf dem Füllmenbacher Hof,<br />

die Durchführung von Klostertagen mit den <strong>Seminaristen</strong>, die Einrichtung<br />

einer Schulentwicklungsgruppe (die freilich von den aktuellen Ereignissen<br />

und Trends quasi überrollt wurde), die Installation von regelmäßigen (und<br />

sehr stark nachgefragten) Hesse-Führungen und im schulischen Bereich<br />

die Öffnung des Seminars für Schüler ohne Latein.<br />

Die Verbindung zur örtlichen Kirchengemeinde ist fester geworden, und<br />

es gibt gemeinsame Bemühungen von Seminar, Kirchengemeinde und<br />

dem neu gegründeten Klosterpfarramt, die spirituelle Ausstrahlung des<br />

Klosters zu stärken.<br />

Wir konnten in den vergangenen neun Jahren etliche Anschaffungen<br />

tätigen, die die Lebensqualität im Seminar deutlich verbessert haben.<br />

Projekte wie der Bootsbau oder die Neueinrichtung des Werkraums und<br />

unserer Teeküche wurden mit der Unterstützung des Seminarhilfsvereins<br />

durchgeführt und kommen nun vielen weiteren Promotionen zugute.<br />

Unter den vielen Höhepunkten, auf die ich zurückblicke, sind eben die<br />

erwähnten Klostertage (nach unserem letzten Schuljahr 2000/2001 sagten<br />

die Schüler übereinstimmend, die Ruhe habe ihnen unendlich gut<br />

getan, und man hätte dieses Projekt ruhig zwei oder drei Tage lang laufen<br />

lassen können), die Reihe großartiger Klosterkonzerte und vor allem die<br />

1592


Reisen des Seminars nach Rumänien/Siebenbürgen im Jahr 1998 und<br />

nach Indien im Frühjahr 2001.<br />

Auch die Feierlichkeiten zur Aufnahme Maulbronns in die Liste des<br />

Weltkulturerbes im April 1994, das 850-jährige Klosterjubiläum im Jahr<br />

1997 oder der Besuch des Bundespräsidenten im Kloster im Sommer<br />

2000 waren ganz besondere Anlässe, bei denen sich das Seminar als die<br />

Einrichtung präsentieren konnte, die in diesem Kloster seit nahezu 450<br />

Jahren geistliche Gemeinschaft lebt.<br />

Bei der Rückschau frage ich mich auch ›Was bleibt‹ und ›Was trägt‹?<br />

Es bleibt für mich das Wissen, dass es sich bei den Seminaren – nicht<br />

anders als in der Zeit ihrer Gründung – um ein kostbares Juwel in unserer<br />

Bildungslandschaft handelt, das ganz vorzüglich dazu geeignet ist, junge<br />

Menschen in besonderer Weise zu prägen. Gemeinschaftsfähigkeit,<br />

soziale Verantwortung, kirchliches Engagement, hohe musikalische<br />

Kompetenz und überdurchschnittliche schulische Leistungsfähigkeit<br />

zeichnen viele <strong>Seminaristen</strong> aus und befähigen sie, ihren Weg im Leben<br />

zu gehen.<br />

Getragen sind und waren die Seminare immer vom Wirken des Geistes,<br />

der seit 2000 Jahren Menschen dazu bringt, ihr Leben nicht aus sich<br />

selbst heraus zu leben, sondern aus Gottes guten Händen.<br />

2. Momentaufnahme:<br />

Das Kloster Maulbronn ist zur Zeit eine große Baustelle. Chorgestühl,<br />

Dachreiter und Innenschiff und selbst der Faustturm werden saniert und<br />

restauriert – dringend notwendige Erneuerungsarbeiten, die Versäumnisse<br />

vergangener Jahre reparieren helfen. Manchmal erscheint mir dieser<br />

Baustellencharakter geradezu als ein Symbol für den Gesamtzustand<br />

des Seminars der Gegenwart. Es gibt viele solcher Baustellen im Seminarbereich,<br />

und bei manchen lässt sich noch nicht absehen, wann denn<br />

die Hülle abgenommen und das Gerüst entfernt wird, damit alles sich im<br />

neuen Glanz bewundern lässt. Ich möchte nur die wichtigsten nennen:<br />

– Der immens hohe Investitionsbedarf im Seminar Maulbronn. Es stehen<br />

Komplettsanierungen an, insbesondere im sanitären und heizungstechnischen<br />

Bereich. Sie durchzuführen wird schmerzen, aber sie zu<br />

ignorieren würde ins Verderben führen.<br />

– Die nach wie vor ungeklärte Strukturfrage, d. h. mit welcher Konstellation<br />

wollen die Seminare auf die Verkürzung der Gymnasialzeit auf 12<br />

Jahre reagieren?<br />

– Die offene Frage nach dem zukünftigen Profil der Seminare. – Kommt<br />

nun ein Institut für Hochbegabte oder nicht? Die Eltern, die sich überlegen,<br />

ihre Kinder weiterhin auf das Seminar zu schicken, erwarten zu<br />

Recht Antwort auf diese Frage.<br />

1593


– Die hohe Fluktuation der Lehrer und Betreuer: Wer nur Schülerinnen<br />

und Schüler der Klasse 9 und 10 unterrichtet und mit ihnen sehr eng<br />

(häufig Wand an Wand) zusammen wohnt, überlegt sich sehr genau,<br />

wie lange er/sie das verkraften kann.<br />

– Eine gemeinsame pädagogische Linie der beiden Seminare muss<br />

formuliert und in enger Kooperation auch verwirklicht werden. Zu oft<br />

wurde in den vergangenen Jahren durch die unterschiedlichen Sicht-<br />

und Reaktionsweisen in Maulbronn und Blaubeuren die gemeinsame<br />

Arbeit erschwert.<br />

– Es ist gut, dass das Klosterpfarramt des Projekts ›Kloster für das Volk‹<br />

unter dem Dach des Seminars arbeitet, und eine erste, vorsichtige<br />

Bilanz stimmt hoffnungsvoll. Doch es ist ungewiss, ob das Projekt über<br />

die vereinbarte Zeit hinaus fortgeführt werden kann.<br />

3. Ausblick:<br />

In der Beschreibung der ›Baustellen‹ ist implizit das enthalten, was ich<br />

den Seminaren für die Zukunft wünsche: Eine konzeptionell abgesicherte,<br />

finanziell solide und strukturell stimmige Gestalt werden für Blaubeuren<br />

und Maulbronn die Zukunft sichern, doch das wird nicht einfach sein.<br />

Zur Konzeption: Wenn erwartete Fördermittel des Landes ausbleiben<br />

sollten, so möge bitte überdacht werden, ob die Schiene ›Hochbegabte‹<br />

für eine Schule, die ohnehin schon immer gut und besonders Begabte<br />

1594


aufgenommen hat (man betrachte nur die Blaubeurer Abiturschnitte!), die<br />

einzige Alternative ist. Wäre es nicht besser, unter Beibehaltung des bisherigen<br />

Profils den Bereich der Theologie zu schärfen? Es könnten in den<br />

einzelnen Jahren zusätzlich zum regulären Religionsunterricht Schwerpunkte<br />

gesetzt werden, die nicht in erster Linie ein Theologiestudium<br />

vorwegnehmen, sondern Lebens- und Glaubenskompetenz vermitteln,<br />

etwa in folgender Reihung:<br />

Klasse 9: Leben in Gemeinschaft, Klösterliches Leben, Geschichte der<br />

Klosterschulen<br />

Klasse 10: Diakonie<br />

Klasse 11: Weltweite Ökumene<br />

Klasse 12: Philosophie<br />

In neuen Arbeitsformen (Projektlernen, Internet-Recherche, Anfertigung<br />

von Facharbeiten mit Präsentation, Teamprojekte u.v.m.) könnten sich<br />

Schülerinnen und Schüler diese Themen erarbeiten und vor allem viel<br />

Praxis einüben, z. B. durch Besuch von Klöstern und Kommunitäten,<br />

durch Praktika in sozialen Einrichtungen und durch Kontakte mit und<br />

gegebenenfalls Besuche bei Partnerkirchen in der weltweiten Ökumene.<br />

Zu den Finanzen: Wenn es nicht in naher Zukunft zu einer Absichtserklärung<br />

oder einer regelrechten Verpflichtung seitens der Kirchenleitung und<br />

der Synode kommt, das Seminar Maulbronn zu erhalten, dann wird Maulbronn<br />

in einigen Jahren unbewohnbar sein. Zu marode sind die sanitären<br />

Anlagen, zu verrottet die Heizungssysteme und zu antiquiert ein großer Teil<br />

des Möbel- und Einrichtungsbestands. Ständig steigende Anforderungen<br />

an naturwissenschaftliche Arbeitsräume, Großküchen und Gemeinschaftseinrichtungen<br />

insgesamt in puncto Sicherheit, Arbeitsschutz, Hygiene<br />

und Brandschutz lassen den Bedarf an Maßnahmen in die Höhe schnellen.<br />

Ein Experte im Oberkirchenrat hat den derzeitigen Finanzbedarf für<br />

eine Generalsanierung der Räumlichkeiten in Maulbronn auf ca. 7 bis 9<br />

Millionen Euro errechnet. Ich wünsche den Verantwortlichen in der Landeskirche<br />

die Weitsicht und den Mut in dieser schwierigen Situation gute<br />

und zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen.<br />

Zur Struktur: Verschiedene Modelle werden derzeit diskutiert – soll man<br />

den Beginn in Maulbronn um ein Jahr vorziehen oder lieber ein Modell 9/<br />

10 in Maulbronn und 11/12 in Blaubeuren planen? Könnten beide Schulen<br />

unabhängig voneinander kleine Klassen von 9–12 aufnehmen? Würde ein<br />

Modell 9 und 11 für je zwei Jahre alternierend in Maulbronn und Blaubeuren<br />

Sinn machen?<br />

Ich bezweifle, ob es hier eine Ideallösung gibt. Aufgrund der Erfahrung<br />

aus zehn Jahren in Maulbronn würde ich für eine zukünftige Form plädieren,<br />

die zweierlei gewährleistet: erstens eine größere Konstanz des<br />

Lehrpersonals und zweitens zumindest auf der Ebene der Mittelstufe (also<br />

1595


Klasse 9–10) eine Trennung von Betreuer- und Lehrerfunktion. Das Repetentenmodell<br />

mag in der Vergangenheit viele Vorzüge gehabt ha-ben,<br />

aber realistisch betrachtet ist es für alle – außer pädagogische Genies<br />

– eine Überforderung. Kaum jemandem ist es gegeben die Funktionen<br />

von Lehrer, Erzieher, Kumpel, Aufsichtsperson und väterlichem Freund<br />

in einer Person zu vereinen. Für die Schüler ist es ebenso schwierig die<br />

Betreffenden in ihrer jeweiligen Rolle zu akzeptieren. Ein Lehrer, der bis<br />

um 16.00 Uhr im Seminar präsent ist und so Unterricht und Lernzeit<br />

begleitet, durchaus auch an den Mahlzeiten teilnimmt, aber ab 16.00<br />

Uhr die Sorge um die Betreuung in die Hände eines kompetenten Sozialpädagogenteams<br />

legen kann, wird möglicherweise länger in Maulbronn<br />

verweilen als nur zwei oder drei Jahre.<br />

Diese Gedanken mögen provokativ sein, unbequem oder für manche<br />

schlicht ärgerlich – ich erlaube mir dennoch sie zu äußern in der inständigen<br />

Hoffnung, dass weitere Überlegungen angestellt werden, die zu einer<br />

zukunftsfähigen Lösung für die Seminare führen.<br />

An den Schluss meiner Überlegungen möchte ich ein Wort des Apostels<br />

Paulus stellen, das ich mehrmals scheidenden Promotionen mit auf den<br />

Weg gegeben habe: In unnachahmlicher Kürze formuliert Paulus im 1.<br />

Korinther 6, 12 den Grundgedanken christlicher Freiheit so:<br />

»Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt,<br />

aber es soll mich nichts gefangen nehmen.«<br />

Wenn mein Wirken in den vergangenen Jahren ein wenig dazu beigetragen<br />

hat, diese Idee der christlichen Freiheit an junge Menschen weiterzugeben,<br />

dann bin ich zutiefst dankbar dafür.<br />

Familie Henrich mit den Söhnen (von links) Matthias, Manuel und Michael<br />

im Ephoratsgarten<br />

1596


Abitur 2002 und dann . . .<br />

Studienreise nach Siebenbürgen/Rumänien<br />

vom 8. bis 30. Juli 2002<br />

Ein ganzjähriger Auslandsaufenthalt nach dem Abitur kam für mich<br />

nicht in Frage – ich wollte so schnell wie möglich an die Universität. Es<br />

tut aber doch ganz gut, nach all den Strapazen, die das Abi so mit sich<br />

bringt und die unterschiedlichst beschaffen sind, eine Weile »rauszukommen«<br />

– und so bewarb ich mich schon im Februar bei der Orga-<br />

nisation ZIS – Studienreisen, die für Schüler Stipendien für vier- bis<br />

mehrwöchige Auslandsaufenthalte vergibt. Das Grundkonzept dieser<br />

Organisation ist folgendes – unter der Voraussetzung, völlig alleine zu<br />

reisen, bekommt der oder die Reisende einen Betrag von 500 EURO zur<br />

Verfügung gestellt. Innerhalb dieser Möglichkeiten ist es Aufgabe und<br />

Sinn, vier oder mehr Wochen ein Land der eigenen Wahl zu bereisen und<br />

sich dort mit einem ebenfalls selbstgewählten Thema oder einer Proble-<br />

matik, die für dieses Land typisch ist, zu beschäftigen. Auf diese Weise<br />

soll der Stipendiat Eigeninitiative bei der Vorbereitung und der Durchführung<br />

der Reise und im Umgang mit der dort lebenden Bevölkerung zei-<br />

gen. So soll vom rein konsumierenden Tourismus Abstand genommen<br />

und statt dessen Kontakte zu den Menschen geknüpft und die Beson-<br />

derheiten des Landes besser kennen gelernt werden. Unsere Promotion<br />

ist in Klasse 9 schon einmal in Siebenbürgen gewesen. Damals hat mich<br />

das Land so fasziniert, dass ich mich dafür entschied, unter dem Thema<br />

»Ökumene und Soziale Zusammenarbeit« noch einmal dorthin zu reisen<br />

– diesmal allein.<br />

Von einigen Siebenbürger Familien, die seit längerer Zeit wieder in<br />

Deutschland leben, bekam ich Adressen von rumänischen Familien. Ich<br />

schrieb sie an und sie antworteten mir sofort und wie selbstverständlich,<br />

dass sie mich aufnehmen und mir behilflich sein würden.<br />

Und so stieg ich dann eine Woche nach dem tränenreichen Abschied<br />

in Blaubeuren in Stuttgart in den Bus, um nach 36 Stunden Fahrt in<br />

Bistrita/Bistritz, der nördlichsten Station meiner Reise bei Maria Sig-<br />

arteu anzukommen. Später sollte mich mein Weg weiter in den Süden<br />

nach Sibiu/Hermannstadt zu Vasile Ciobanu und seiner Familie führen.<br />

In Begleitung der neunzehnjährigen Tochter Irina bekam ich viel von<br />

Stadt und Umgebung zu sehen, z. B. das einigen von uns schon bekann-<br />

te historische Freilichtmuseum etwas außerhalb der Stadt. Die beiden<br />

eindrücklichsten Erlebnisse waren in Sibiu jedoch die Tageswanderung<br />

in den Karpaten und das Wochenende in der mittelalterlichen, noch sehr<br />

gut erhaltenen Stadt Sighisoara/Schässburg.<br />

1597


In Alba Iulia/Karlsburg, meiner nächsten Station, wurde mir echtes Plattenbauleben<br />

wie in kommunistischen Zeiten zuteil. Hier teilten sich die<br />

vierköpfigen Familien Adriana Avrams und Ovidiu Podars eine Dreizimmerwohnung<br />

und brachten mich dennoch auf der ausziehbaren Couch<br />

im Wohnzimmer unter. Von Sorin, dem Theologie studierenden Sohn der<br />

Podars, und Andrada, der Tochter der Avrams, erfuhr ich alles Wissens-<br />

und Sehenswerte des orthodoxen Glaubens und wurde sogar von einem<br />

eifrigen Mitkommilitonen Sorins beschwatzt, mir eine Konversion doch<br />

gut zu überlegen. Glücklicherweise reiste ich weiter, bevor sich diese<br />

Überlegungen in Ernsthaftere zu wandeln begannen.<br />

Auf dem Rückweg nach Bistrita machte ich einen Zwischenstopp in<br />

der Universitätsstadt Cluj-Napoca/Klausenburg und ließ mir von Andrada<br />

und Sorin die Stadt zeigen. Sie blieb mir mit ihren blau-gelb-rot<br />

gestrichenen Straßenpfeilern, Gehwegbegrenzungen, Fahnenmasten,<br />

Kios-ken, Bänken und sogar Mülleimern besonders deutlich in Erinnerung<br />

– die von Datum und Jahreszeit unabhängige Dauerbeflaggung<br />

der Stra-ßen mit der rumänischen Trikolore nicht zu vergessen. Sorins<br />

bittere und oft zynische Kommentare ließen mich ahnen, was wohl nicht<br />

nur er, sondern der Großteil der rumänischen Bevölkerung von dieser Art<br />

übertriebener Vaterlandsliebe einiger Regierender hält.<br />

Meine Kontakte zur rumänischen Bevölkerung waren von offener Herzlichkeit<br />

und bedingungsloser Gastfreundschaft geprägt. Wie selbstverständlich<br />

nahmen mich die Familien als eine noch Unbekannte auf<br />

– stolz und glücklich darüber, dass sich jemand für ihr Land interessierte,<br />

und darüber, mir alles Sehenswerte zeigen zu können. Wäre es nach<br />

diesen Familien (und wohl auch nach mir . . .) gegangen, wäre ich wohl<br />

noch vier weitere Wochen geblieben, um Bukarest, die Moldauklöster<br />

und Constanta am Schwarzen Meer (für Lateiner: das ehemalige Tomis)<br />

zu besuchen. Die Gastfreundschaft ging hin bis zu Heiratsanträgen, die<br />

aber wohl eher mit dem Hintergedanken an eine Aufenthaltsgenehmigung<br />

in Deutschland als mit der plötzlich entflammten unsterblichen<br />

Liebe zu mir zusammenhingen.<br />

Weniger gute Erfahrungen machte ich dagegen mit dem rumänischen<br />

Klerus, gleich welcher Konfession, den ich im Rahmen meines Themenbereiches<br />

besuchte und befragte. Die Kirchen sind geprägt von<br />

einer konservativen, für den Osten Europas typischen patriarchalischen<br />

Struktur. So hatte ich als noch nicht einmal zwanzigjähriges junges Ding<br />

aus Deutschland nicht allzu große Chancen, von orthodoxen und katholischen<br />

Priestern etwas über eine Problematik – Ökumene bzw. die Bereitschaft,<br />

interkonfessionell zusammen zu arbeiten – zu erfahren. Diese<br />

Bereitschaft setzt Offenheit zum Dialog voraus, etwas, das in diesen<br />

1598


konservativen Kirchenstrukturen schwer zu finden ist. Auch mit protes-tantischen<br />

Amtskollegen machte ich nicht nur gute Erfahrungen:<br />

In einem evangelisch geführten Altenheim in Sibiu wurde ich nach drei<br />

Minuten buchstäblich vor die Tür gesetzt.<br />

Die in Rumänien herrschenden Lebensbedingungen habe ich während<br />

meines Aufenthaltes nie mit den unsrigen verglichen. Erst als ich wieder<br />

in Deutschland war, wurde mir bewusst, in welchem Überfluss wir leben.<br />

Ich werde keine allgemeingültigen Aussagen über »die rumänische<br />

Mentalität« machen oder darüber, »wie es da unten so ist«. Das steht<br />

mir nach einem dreieinhalbwöchigen Aufenthalt nicht zu. Ich kann nur<br />

sagen, dass ich sehr faszinierende und bewundernswerte Menschen<br />

kennengelernt habe und alle Erfahrungen und Begegnungen, die guten<br />

wie die schlechten, eine sehr große Bereicherung für mich waren.<br />

Anne-Christin Wahl (97/02)<br />

UNESCO-Sprachcamp 2002 in Bialogard (Polen)<br />

Nach dem Abitur im Juni 2002 und dem Abschied von Blaubeuren war<br />

das Internatsleben für mich noch nicht vorbei, da ich die Gelegenheit<br />

hatte, drei Wochen in einem polnischen Internat zu verbringen. Doch dieses<br />

Mal war ich nicht Schüler, sondern Lehrer.<br />

Ich hatte mich auf eine Anzeige in der ZEIT gemeldet, in der deutsche<br />

Schüler, Lehrer und Studenten gesucht wurden, die bereit wären, drei<br />

Wochen in einem Sprachcamp polnischen Schülern Deutsch beizubringen.<br />

Nachdem ich die Zusage bekommen hatte, erfuhr ich bei einem<br />

Vortreffen mehr über die Sprachcamps der UNESCO.<br />

Jedes Jahr finden in den Ferien in Polen Sprachcamps für polnische<br />

Schüler zwischen 16 bis 18 Jahren statt, die sich einen Aufenthalt im<br />

Ausland nicht leisten können. So haben die Schüler die Möglichkeit, in<br />

ihrem Heimatland Sprachunterricht von Muttersprachlern zu bekommen.<br />

Den Sprachcamps, die von der Polnischen und der Deutschen UNESCO-<br />

Kommission und mit Mitteln des Auswärtigen Amts finanziert werden, liegt<br />

das Konzept zu Grunde, dass das deutsche Team sowohl aus ausgebildeten<br />

Lehrern als auch aus »normalen« Jugendlichen besteht, die sich beim<br />

Unterrichten gegenseitig ergänzen und auch außerhalb der Sprachkurse<br />

in verschiedenen Workshops und anderen Freizeitaktivitäten Kontakt zu<br />

den polnischen Jugendlichen haben.<br />

Im Camp in Bialogard, einer Kleinstadt im Norden Polens zwischen Danzig<br />

und Stettin, waren fast 120 polnische Schüler verschiedener Niveau-<br />

1599


stufen. Gemeinsam mit einer Deutsch-Lehrerin hatte ich einen Anfängerkurs<br />

mit 12 Schülern. Dabei musste ich die Erfahrung machen, dass ein<br />

Lehrer nicht nur morgens ein bisschen unterrichtet, sondern dass auch<br />

viel Zeit für die Vorbereitung des Unterrichts investiert werden muss.<br />

So blieb uns nicht viel Freizeit, da wir auch noch die Workshops vorbereiten<br />

mussten, die jeden Nachmittag stattfanden: von einer Zeitung,<br />

die täglich die Stimmung im Camp wiedergab, über Chor, Theater und<br />

Jonglieren, bis zu einem Workshop über die Geschichte Bialogards war<br />

alles dabei.<br />

Die polnischen Schüler, die ich kennen gelernt habe, sind ehrgeizig<br />

und bereit, hart zu arbeiten, um ihre Wünsche und Ziele zu erreichen.<br />

Viele wollen Medizin, Jura, Politik oder Germanistik studieren, und um<br />

an einer guten Universität aufgenommen zu werden und damit auch<br />

die Chance zu haben, eine Arbeit zu finden, müssen die Schulabgänger<br />

schwere Aufnahmeprüfungen machen, auf die sie sich lange vorbereiten.<br />

Um ihre Chancen zu verbessern und vielleicht auch einige<br />

Zeit ins Ausland gehen zu können, verbringen sie ihre Ferien in Sprachcamps<br />

und einen Großteil ihrer Freizeit mit weiteren Sprachkursen.<br />

Entsprechend gut sind dann auch ihre Fremdsprachenkenntnisse in<br />

Deutsch und in Englisch. Doch ihre Aussichten auf angemessen bezahlte<br />

Arbeit sind zur Zeit nicht besonders gut. Auch oder gerade für Akademiker<br />

gibt es meist nur schlecht bezahlte Jobs. Unsere Dolmetscherin im<br />

Camp beispielsweise verdient als Lehrerin nicht genug, um ihre Familie<br />

zu ernähren und arbeitet deshalb noch zusätzlich als Dolmetscherin.<br />

Mit knapp 30 Prozent ist die Arbeitslosigkeit in der Region um Bialogard<br />

am höchsten in ganz Polen. Dort ist im Gegensatz zu den Großstädten<br />

wie Danzig oder Krakau die Armut vieler Menschen auch deutlich zu<br />

spüren.<br />

Trotz der bedrückenden Umgebung herrschte im Camp eine tolle<br />

Atmosphäre. Höhepunkte waren die gemeinsamen Ausflüge an die Ostsee<br />

zum Baden, ins Kino (glücklicherweise sind die Kinofilme in Polen<br />

auf Englisch) oder in die Disco. Regelmäßig gab es auch Fußball-, Volley-ball<br />

und Basketballturniere, bei denen unser deutsches Team meist<br />

bittere Niederlagen einstecken musste.<br />

Nach den schönen, aber auch anstrengenden drei Wochen Sprachkurs<br />

und dem Abschied von den Jugendlichen und Bialogard gab es dann<br />

für das deutsche Team eine Rundreise durch Polen als Dank für den<br />

freiwilligen Einsatz.<br />

1600


Wir fuhren über Czestochowa nach Zakopane im Tatra-Gebirge,<br />

machten in dem berühmten Wintersportgebiet eine Bergwanderung<br />

und erlebten einen traditionellen polnischen Abend mit viel Musik und<br />

Zywiec-Pivo in einem Bergdorf.<br />

Und dann der Höhepunkt unserer Reise: die Kulturstadt Krakau, die<br />

sich gerade auf die Ankunft »ihres« Papstes vorbereitete. Denn dieser<br />

stammt aus der Nähe von Krakau und hat dort auch das Priester<strong>seminar</strong><br />

besucht. Ungefähr 95 Prozent der polnischen Bevölkerung ist katholisch<br />

und die Kirchen, vor allem in den kleineren Städten, sind am Sonntag oft<br />

so voll, dass die Menschen vor der Tür stehen, um an der Messe teilzunehmen.<br />

In Krakau war an jeder Ecke und in jedem Fenster ein Bild des<br />

Papstes zu sehen, die ganze Stadt war voller Fahnen und zwei Tage lang<br />

durfte nirgendwo Alkohol verkauft werden.<br />

Krakau hat uns alle begeistert: die Altstadt mit dem großen Marktplatz<br />

und schon fast mediterranem Flair, da viele Gebäude von italienischen<br />

Architekten entworfen wurden, die Marienkirche mit dem Hochaltar<br />

von Veit Stoß und viele andere Sehenswürdigkeiten – und natürlich die<br />

Abende in Krakaus berühmten Jazzkellern.<br />

In den vier Wochen habe ich ungeheuer viel gesehen, viele interessante<br />

Menschen getroffen und vor allem ein mir bis dahin völlig fremdes Land<br />

näher kennen gelernt. Zu einigen Jugendlichen des Camps habe ich<br />

immer noch Kontakt und werde ihnen vielleicht im nächsten Jahr wieder<br />

begegnen – wenn die Camps im nächsten Jahr wieder stattfinden können,<br />

denn die Finanzierung ist noch nicht gesichert.<br />

Theater<br />

2003<br />

Salome Hölzle (97/02)<br />

Friedrich Dürrenmatt Die Physiker<br />

Aufführungen im Dorment des Klosters Blaubeuren:<br />

� Freitag, 21. März 2003, 19.30 Uhr<br />

� Samstag, 22. März 2003, 18.00 Uhr<br />

� Sonntag, 23. März 2003, 18.00 Uhr<br />

Vorverkauf ab 3. Februar: Mo.–Fr. 8.30 Uhr bis 12.00 Uhr<br />

Telefon: (0 73 44) 9 62 60<br />

1601


Ein Jahr in Norwegen<br />

Etwa 40 Kilometer südlich von Oslo, auf der östlichen Oslofjordseite,<br />

befindet sich der kleine Ort Vestby, in dem ich seit knapp zwei Monaten<br />

die Follo folkehøgskole besuche. Wenn ich aus meinem Fenster schaue,<br />

habe ich einen wunderbaren Ausblick auf eine buntgefärbte Herbstlandschaft<br />

mit Feldern, Wäldern und vereinzelten Häusern. Verglichen mit<br />

Blaubeuren ist diese Gegend noch um einiges ruhiger, neben der Schule<br />

gibt es drei Supermärkte und eine Kneipe, doch die Nähe zu Norwegens<br />

wunderschöner Hauptstadt lässt dies nebensächlich erscheinen.<br />

Die ersten folkehøgskolen, die nur in Skandinavien existieren, entstanden<br />

in Dänemark. Der Grundgedanke vor rund 150 Jahren war, auch der<br />

ländlichen Bevölkerung eine Möglichkeit zur Bildung und gesellschaftlichen<br />

Sozialisierung zu eröffnen. Inzwischen sind die folkehøgskolen<br />

– zumindest in Norwegen – für diejenigen gang und gäbe, die nach ihrem<br />

Schulabschluss etwas völlig anderes machen, ihre Gedanken sammeln<br />

und Zeit für Dinge haben wollen, die sonst zu kurz kommen.<br />

Ich erfuhr von den folkehøgskolen, die in Deutschland völlig unbekannt<br />

sind, über meinen norwegischen Patenonkel. Nach dem Abitur wollte<br />

ich sehr gerne für einige Zeit ins Ausland, um nach großem Latinum und<br />

Graecum neben Englisch noch eine weitere moderne Fremdsprache zu<br />

lernen. Dafür schien mir die folkehøgskole eine gute Möglichkeit.<br />

In Norwegen gibt es ca. 60 folkehøgskolen, von denen jede auf ein anderes<br />

Gebiet spezialisiert ist. Die Follo folkehøgskole bietet als Hauptkurse<br />

Tanzen, Chor, Kunst und Tourismus an. Ich bin in der Chorgruppe, in der<br />

jeden Morgen zwischen 9 und 12 Uhr gesungen und musiziert wird. Innerhalb<br />

des Kurses wird während des Jahres an verschiedenen Projekten<br />

– Auftritten, Konzerten etc. – gearbeitet. Dafür werden auch Musikaufnahmen<br />

im eigenen Studio gemacht. Die Nachmittage können je nach Belieben<br />

durch Kurse wie Tanzen, Photographie, Keramik u. ä. gestaltet und<br />

ausgefüllt werden. Ich genieße es sehr, ohne Druck Zeit für die eigenen<br />

Interessen zu haben und nebenbei Norwegisch zu lernen.<br />

In Follo haben die wenigen Ausländer wöchentlich gemeinsam fünf Stunden<br />

Norwegischunterricht. Es studieren hier zwei Inder, ein Chinese, ein<br />

Mädchen aus Israel, eins aus Uganda und zwei Deutsche – mich eingeschlossen.<br />

Da alle verständlicherweise völlig unterschiedliche Voraussetzungen<br />

zum Erlernen des Norwegischen haben, verläuft der Unterricht<br />

etwas anders als Fremdsprachenunterricht in einer homogenen Gruppe.<br />

Die Schulanlage ist in einigen Bereichen mit dem Seminar vergleichbar<br />

– die Gemeinschaft ist ähnlich groß, die Zimmer werden geteilt und man<br />

isst und verbringt seine Zeit zusammen. Zu Beginn des Schuljahres war<br />

die gesamte Schule drei Tage beim Wandern in den Bergen und zum Jah-<br />

1602


esabschluss wird immer eine größere Reise gemacht, die diesmal nach<br />

Barcelona gehen wird.<br />

Ich fühle mich in Norwegen besonders wohl, weil die Menschen herzlich<br />

auf einen zugehen. Besonders aber vermittelt mir die Natur – die Bäume,<br />

Felder, der Himmel und die Luft – ein so sauberes, reines und unberührtes<br />

Gefühl, das ich in dieser Form zuvor kaum erlebt habe. Man spürt, dass es<br />

den Menschen in diesem Land gut geht, was sich auch auf das Verhalten<br />

untereinander auswirkt. Kinderfreundlichkeit ist hier ganz selbstverständ-<br />

lich und Kinder werden nicht ausgeschlossen, sondern integriert. Es ist<br />

kein Geheimnis, dass Norwegens Frauen so gut wie in fast keinem anderen<br />

Land Familie und Beruf miteinander verbinden können.<br />

An Ausländer werden jährlich 25 Vollstipendien für 9 Monate folkehøg- folkehøgskole<br />

vergeben, um die man sich bewerben kann. Ohne Stipendium kos-<br />

tet das Schuljahr umgerechnet ca. 7000 EURO. Das Stipendium heißt<br />

»Minnefondet av 8. Mai 1970« (memorial fund) und geht auf die Völkerverständigung<br />

zurück, mit der Norwegen aktive Friedenspolitik betreibt.<br />

Italienisch lernen in Perugia<br />

Elisabeth Kremer (97/02)<br />

Ein Sprachaufenthalt ist eine prima Möglichkeit für alle, die – egal ob nach<br />

dem Abitur oder mitten im Berufsleben steckend – eine gewisse Zeit im<br />

Ausland verbringen möchten.<br />

Ich hatte ursprünglich einen Europäischen Freiwilligendienst geplant. In<br />

diesem Programm kam ich allerdings nicht unter und als Alternative bot<br />

sich der reine Sprachaufenthalt an, auch deshalb, weil er sich noch recht<br />

kurzfristig verwirklichen lässt.<br />

In Italien gibt es zwei Universitäten für Ausländer, Siena und Perugia, die<br />

sich auf das Vermitteln der italienischen Sprache und Kultur spezialisiert<br />

haben. Beide weisen eine lange Tradition auf, haben Universitätsstatus<br />

und ermöglichen einem deshalb nach jeweils dreimonatigem Kursbesuch<br />

den Erwerb eines anerkannten Abschlusses. Die Kurse, in fünf Schwierig-<br />

keitsstufen gegliedert, stehen Studenten aller Nationen und jeden Alters<br />

offen. Ich hatte bei meiner Ankunft in Perugia keinerlei Vorkenntnisse, was<br />

im Kurs kein Problem darstellte, im außerschulischen Leben aber doch.<br />

Zum einen können die meisten Italiener, die Studenten ausgenommen,<br />

kein oder kaum Englisch, zum anderen ist es immer unangenehm, die<br />

Sprache des Landes, in dem man lebt, nicht zu beherrschen. Aber das<br />

gerade ist wiederum ein großer Vorteil für uns Sprachschüler – es kann<br />

1603


wohl kaum eine größere Motivationsquelle geben als den Wunsch, alltägliche<br />

Dinge auf Italienisch erledigen oder sich mit Einheimischen<br />

unterhalten zu können. Man lernt schon allein dadurch, mit offenen Ohren<br />

durch die Stadt zu gehen. Der Kurs verhilft einem zum theoretischen<br />

Beherrschen der Grammatik und zu einem wachsenden Wortschatz; das<br />

tatsächliche Umsetzen, das Sprechen, lässt sich aber nur im Alltag oder<br />

auf der Straße lernen. Ohne die Überwindung, sich wirklich im Gespräch<br />

außerhalb des Unterrichts zu versuchen, ist eine Sprache nicht zu lernen.<br />

Ich habe das Glück, mit einem Italiener zusammenzuwohnen, der mich<br />

zwar – auf nette Weise – bei meinen Versuchen belächelt, aber mir natürlich<br />

in vielem helfen kann.<br />

Zur Stadt selbst: Perugia ist die Hauptstadt der Region Umbrien und trotz<br />

ihrer 150 000 Einwohner recht überschaubar; vor allem deshalb, da sich<br />

das historische Zentrum über einem mehrarmigen Bergrücken erstreckt,<br />

den man so wenig wie möglich hinab- bzw. hinaufsteigt. Bedingt durch<br />

die topografische Lage prägen das Stadtbild vor allem die vielen, kleinen<br />

Gassen, oft auch steilen Treppengassen. Es gibt wie in jeder italienischen<br />

Stadt eine große, belebte Piazza, die hier besonders schön ist, und viele<br />

historische Gebäude. Perugia ist mit seiner zentralen Lage ein nahezu<br />

perfekter Ausgangspunkt für Ausflüge in Umbrien, der Toskana oder nach<br />

Rom (es sei denn, man ist auf Bus und Bahn angewiesen). Auch das kulturelle<br />

Angebot ist vielseitig; der Besuch des Teatro Morlacchi lohnt sich<br />

beispielsweise schon allein des Gebäudes wegen.<br />

Ich habe mich hier sehr schnell eingelebt und hätte mir nichts Besseres<br />

für die Monate nach dem Abitur vorstellen können. Eine Sprache zu lernen<br />

ist immer ein großer Gewinn; aber gleichzeitig das Land, die Menschen<br />

und deren Kultur kennenzulernen und darin mitzuleben intensiviert diesen<br />

Lernprozess, erleichtert ihn und schafft neben dem Beherrschen der<br />

Sprache eine persönliche Verbindung zu dem Land.<br />

Und das italienische Leben ist so beschaffen, dass ich voll neuer Eindrücke<br />

zurückkehren und mit mir ein Stück Italien nach Deutschland<br />

bringen werde.<br />

Teresa Frick (97/02)<br />

Diakonisches Jahr in Schweden<br />

Die Organisation »Ev. Freiwilligendienste für junge Menschen« gibt jedes<br />

Jahr über hundert jungen Freiwilligen die Chance, ein diakonisches Jahr<br />

im europäischen Ausland zu leisten. Ein solches Jahr mache ich gerade in<br />

Knivsta, einer Gemeinde zwischen Stockholm und Uppsala. Wir sind 17<br />

deutsche Freiwillige, die für ein Jahr in der Schwedischen Kirche angestellt<br />

sind. Die meisten von uns arbeiten in einer Gemeinde. Die Schwe-<br />

1604


dische Kirche gibt uns die Möglichkeit, einen Sprachkurs zu machen und<br />

organisiert auch Seminare für alle Freiwilligen. Auf diesen Seminaren<br />

lernen wir Verschiedenes über christlichen Glauben, Diakonie sowie<br />

Aufbau und Geschichte der schwedischen Kirche. Gustav Vasa verfügte<br />

als Anhänger Martin Luthers 1527 die Säkularisierung des Kirchenbesitzes.<br />

Die unblutige Durchführung der Reformation dauerte noch bis 1593.<br />

Seit dieser Zeit bis ins Jahr 2000 existierte in Schweden eine lutherische<br />

Staatskirche. Auch jetzt noch ist der Hauptpfarrer jeder Gemeinde vom<br />

Staat angestellt und mehr als 90 Prozent der Schweden sind Mitglieder<br />

der Kirche. Dementsprechend bieten die einzelnen Gemeinden auch Programme<br />

an: Kinder- und Jugendgruppen, Seniorenarbeit, Hausbesuche<br />

bei alten oder kranken Menschen, tägliche Andachten, »offenes Haus«,<br />

verschiedene Chöre usw. Für so viele Angebote bedarf es natürlich vieler<br />

Mitarbeiter: In meiner Gemeinde mit ca. 8000 Mitgliedern gibt es 25<br />

von der Kirche angestellte Mitarbeiter: Pfarrer, Kirchenmusiker, Diakone,<br />

Freizeitleiter, Sekretäre und Hausmeister, dazu noch eine schwedische<br />

Freiwillige und ich. Mit dieser Schwedin teile ich mir eine uns zur Verfügung<br />

gestellte Wohnung. Wir beiden Volontäre hatten anfangs die<br />

Möglichkeit, uns verschiedene Gruppen anzuschauen und haben dann<br />

zu-sammen mit unseren Betreuern einen Stundenplan zusammengestellt,<br />

der für jede von uns knapp 40 Wochenstunden umfasst. Unsere Aufgabe<br />

ist es, in Gruppen mitzuhelfen ohne diese selbstständig zu leiten. So<br />

bin ich jetzt in mehreren Kindergruppen für Kinder im Kindergartenalter<br />

dabei; auch als ich noch kein Schwedisch konnte, konnte ich zumindest<br />

beim Basteln helfen. Mittlerweile bin ich auch dafür zuständig, Geschichten<br />

vorzulesen. Außerdem helfe ich in einem Kinderchor für Grundschulkinder<br />

und in einer Mutter-Kind-Gruppe, wo ich mit den Kindern spiele,<br />

bastle und singe. In der Konfirmandenarbeit haben wir es dieses Jahr mit<br />

hundert Konfirmanden zu tun. Damit man da nicht die Übersicht verliert<br />

und auch einen persönlichen Kontakt herstellen kann, haben wir sie in<br />

kleine Gruppen eingeteilt. Mit den Konfirmanden arbeiten drei Pfarrer,<br />

zwei Freizeitleiter, ein Musiker, beide Freiwillige und noch zusätzlich einige<br />

Jugendliche. Neben der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen arbeite<br />

ich auch mit älteren Menschen, denen man schon dadurch eine große<br />

Freude macht, dass man einfach nur da ist und zuhört oder selber ein<br />

bisschen etwas erzählt. Dies geschieht bei Hausbesuchen, die ich selbstständig<br />

mache, oder beim gemeinsamen Mittagessen, das wir einmal pro<br />

Woche in der Gemeinde kochen. Darüber hinaus bin ich noch in einer<br />

Gruppe dabei, die regelmäßig Senioren aus dem Altenheim, die im Rollstuhl<br />

sitzen, spazieren fährt. Auch musikalisch kann ich mich einbringen:<br />

So habe ich schon im Gottesdienst Bratsche gespielt und singe in einem<br />

Vokalensemble mit. Außerhalb der eigenen Gemeinde singe ich im Kammerchor<br />

der Domkirche von Uppsala.<br />

Rebekka Eberhardt (97/02)<br />

1605


Freiwilligendienst in einem Kinderheim in Omsk/<br />

Westsibirien<br />

Hier in Omsk ist alles in Ordnung.<br />

Mittlerweile waren wir schon dreimal beim Russischunterricht, der wirklich<br />

anspruchsvoll ist und eine Menge bringt. Eigentlich spricht unsere Lehrerin<br />

fast nur russisch, und für mich ist es immer noch eine extreme Herausforderung,<br />

längere Zeit jemandem zuzuhören und auch noch alles zu<br />

verstehen. Doch geht es mit meinem Russisch schon erstaunlich gut. Die<br />

Sprache ist bedeutend schwerer als ich dachte, ein bisschen, als ob man<br />

plötzlich Latein sprechen müsste. Aber wenn die Leute verstehen, dass ich<br />

noch nicht besonders gut spreche, geben sie sich Mühe, sich ein bisschen<br />

verständlicher auszudrücken. Bei den Kindern ist es schon schwerer sie<br />

zu verstehen, da die meisten ziemlich undeutlich reden. Aber wenn ich ein<br />

paar Mal nachfrage, geht es.<br />

Die Zustände im Kinderheim habe ich Euch ja im letzten Brief schon ein<br />

wenig beschrieben. Einfach unbeschreiblich ist der Geruch im Heim, vor<br />

allem in unserer Gruppe. Man nimmt ihn zwar nach einer Weile nicht mehr<br />

wahr, aber wenn man wieder zu Hause ist, spürt man ihn überall an sich kleben.<br />

Der Geruch der Kinder ist aber auch kein Wunder, wenn man bedenkt,<br />

dass sie nur einmal in der Woche gewaschen werden, nicht oft neue Kleider<br />

bekommen und sich nie die Zähne putzen. Viele von ihnen laufen stundenlang<br />

mit nassen Windeln herum, ohne dass man es merkt. Manche Kinder<br />

liegen den ganzen Tag im Bett und starren an die Decke. Die Kinderpflegerinnen<br />

verstehen einfach nicht, dass wir uns auch und vor allem mit diesen<br />

Kindern beschäftigen wollen.<br />

Am Anfang haben sie uns nicht einmal gesagt, wie diese Kinder heißen,<br />

sondern einfach nur gesagt, das seien die Liegenden und mit den Schultern<br />

gezuckt. Aber daran werden sie sich wohl gewöhnen, und ich denke, sie<br />

halten uns zwar für ein bisschen komisch und unsere Zeit für verschwendet,<br />

aber im Großen und Ganzen interessieren sie sich nicht richtig für das,<br />

was wir tun. Nur manchmal stehen sie im Türeingang und sehen uns zu, wie<br />

wir mit den Kindern spielen, und das ist schon sehr seltsam.<br />

Den Kindern fehlt hier jede Art von Nähe und Zuneigung. Bei den körperlich<br />

fitteren und aktiveren Kindern merkt man das daran, dass sie immer zu uns<br />

rennen, krabbeln oder kriechen, wenn sie uns sehen und uns gar nicht mehr<br />

weglassen wollen. Da reichen dann zwei Hände einfach nicht aus, um zu<br />

zweit den über 30 Kindern, die hier zusammenwohnen, gerecht zu werden.<br />

Nimmt man den einen in den Arm, weint der andere, setzt man sich auf<br />

jedes Bein einen, schlagen sie sich. Trotzdem merken wir, dass wir die<br />

Kinder auch nur mit ein paar Minuten Aufmerksamkeit glücklich machen<br />

können. Sie haben aber auch gar nichts, womit sie sich beschäftigen kön-<br />

1606


nen. Das so genannte »Spielzimmer« (das ich mich eigentlich weigere so<br />

zu nennen) besteht aus einer Reihe winziger Holzstühlchen für die Kinder,<br />

ein paar Sofas für die Kinderpflegerinnen und einem Fernseher – das ist<br />

alles. Wenn wir nicht da sind, beschäftigen sich die Kinder also mit nichts.<br />

Die einen streiten sich, die ruhigeren sitzen auf einem – oft viel zu kleinen<br />

– Holzstühlchen oder in einer Ecke, kauen an sich oder ihren Kleidern<br />

und tun gar nichts. Es gibt auch noch ein Klassenzimmer, in dem ein paar<br />

Spielsachen stehen, aber dort dürfen immer nur ein paar Kinder während<br />

des Unterrichts hinein, ansonsten ist dieser Raum abgeschlossen. Der<br />

Unterricht ist, obwohl es wahrscheinlich gut ist, dass die Kinder überhaupt<br />

gefördert werden, nicht unbedingt etwas, was ihnen Spaß macht.<br />

Es wird sehr auf Disziplin geachtet (Hände auf den Knien!), und alles geht<br />

sehr schnell, ohne dass auf die einzelnen Kinder eingegangen wird.<br />

Viele Kinder hatten zunächst Angst vor uns oder reagierten erschreckt,<br />

wenn sie uns sahen. Eine von ihnen, Olja, hat immer nur geschrien, wenn<br />

ich sie angesprochen oder berührt habe. Mir wurde gesagt, sie möchte<br />

eben am liebsten allein sein (und ich solle sie auch besser allein lassen<br />

– Geschrei der Kinder nervt eben, egal warum). Heute habe ich sie – entgegen<br />

allen Warnungen – mit in die Turnhalle genommen (eine kleine Halle,<br />

sehr ungemütlich, aber immerhin gibt es hier ein Bällchenbad, Matten und<br />

Bälle, und wir können hier mit ein paar wenigen Kindern ungestört sein, was<br />

ansonsten wegen Platzmangels unmöglich ist). Olja jedenfalls ließ sich von<br />

mir in die Turnhalle tragen, setzte sich neben mich, hörte ohne zu schreien<br />

zu, als ich ein bisschen Gitarre gespielt und gesungen habe und nahm<br />

mich anschließend von sich aus in den Arm. Irgendwann ist die Kleine, die<br />

angeblich immer allein sein will, sogar auf meinem Schoß eingeschlafen. An<br />

so etwas freut man sich dann den ganzen Tag.<br />

Die Arbeit ist schon sehr anstrengend für mich, auch einfach deshalb,<br />

weil die Sprache mir noch sehr fremd ist und mit 19 Jahren geht das nicht<br />

mehr so schnell wie mit 10 Jahren, eine neue Sprache zu lernen (Heute<br />

abend sind allerdings noch Vokabeln dran, das eilt!). Ach, und außerdem<br />

tut einem so vieles, was hier passiert, einfach im Herzen weh. Wenn kleine<br />

Kinder innerhalb von ein paar Minuten auf einem riesigen Metalllöffel ihr<br />

Essen hinein geschaufelt bekommen und es für 20 Kinder, die gefüttert<br />

werden, nur drei oder vier Löffel gibt, die nicht zwischendurch gespült werden,<br />

dann wird es, so glaube ich, jedem anders. Zu trinken bekommen sie<br />

alle aus einer (!) riesigen Schnabeltasse, und wer nicht mehr will oder sich<br />

verschluckt, bekommt nichts mehr, egal, wie viel er schon getrunken hat.<br />

Heute hat uns ein kleiner Junge gefragt, warum denn eine Kanne Saft für<br />

alle reicht. Was soll man darauf antworten?<br />

Das klingt jetzt wahrscheinlich recht negativ und deprimiert, aber das bin<br />

ich überhaupt nicht.<br />

1607


Die Anhänger verschiedener Kirchen hier sind sehr auf unser Seelenheil<br />

bedacht, vor allem die Baptisten. Eine russlanddeutsche Mitarbeiterin aus<br />

dem Kinderheim, die uns sehr mag und unsere Arbeit stets unterstützt, hat<br />

uns am Sonntag quasi zwangsverpflichtet, mit ihr in den Gottesdienst zu<br />

kommen. Die Russen haben allgemein eine Art, sehr freundlich zu sein, nur<br />

das Beste zu wollen und einem trotzdem keine Wahl zu lassen. So saßen<br />

wir also am Sonntag in einem zweistündigen baptistischen Gottesdienst,<br />

in dem fast nur von alten Männern gepredigt wurde (auf russisch natürlich<br />

– ich habe in dem ganzen Gottesdienst einen (!) Satz verstanden, ansonsten<br />

nur Wörter wie »deshalb«, »weil« und »Amen«), auf einer Bank ohne<br />

Lehne und – dank der Geschlechter-, Jugend- und Kindertrennung – von<br />

allen Seiten angestarrt. Nun ja, und dafür bin ich am einzigen freien Tag in<br />

der Woche – wir haben in dieser Woche ausnahmsweise auch am Samstag<br />

gearbeitet – morgens um halb acht aufgestanden. Ich bin sicher, Gott verzeiht<br />

mir, wenn ich hier nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe.<br />

Während des Gottesdienstes ist es hier Winter geworden. Als wir ins<br />

Gemeindehaus gegangen sind, haben wir uns die Erde von den Füßen<br />

getreten. Als wir wieder heraus kamen, lag zentimeterhoch Schnee. Nach<br />

einem heftigen Schneesturm liegt jetzt ein halber Meter Schnee, und das<br />

ist für hiesige Verhältnisse noch sehr wenig. Kalt ist es noch nicht, aber<br />

ohne meine Wollmütze gehe ich schon länger nicht mehr aus dem Haus.<br />

Unser Weg ins Kinderheim, der keine Viertelstunde lang ist, führt durch eine<br />

Datschensiedlung und ein Birkenwäldchen. Vor allem jetzt, da es geschneit<br />

hat, sieht es dort aus wie im Märchen.<br />

Den Kindern ist dieser Ausblick leider verwehrt, denn erstens gibt es in<br />

unserer Abteilung keinen Rollstuhl mit aufgepumpten Rädern, zweitens<br />

ist es zu kalt (wenn man bedenkt, dass es erst im April oder Mai wieder<br />

Frühling wird, könnte man heulen) und drittens hat nur die Hälfte der Kinder<br />

überhaupt Jacken oder zumindest warme Pullover und nur ein Teil der Kinder<br />

besitzt Schuhe. Wenn uns in dieser Hinsicht nicht bald etwas einfällt,<br />

werden die Kinder im nächsten halben Jahr das Haus nicht verlassen (welch<br />

haarsträubende Vorstellung). – Aber das sind nun mal die Gedanken, die<br />

uns selbst beim Anblick des schönsten Winterwaldes nicht loslassen, und<br />

es wäre wohl auch seltsam, wenn es anders wäre.<br />

Das wäre fast alles, wobei: grad fällt mir noch ein, dass eine Rolle Selbstklebefolie<br />

auch sehr schön wäre, weil wir Dinge für die Kinder fest anbringen<br />

müssen, so dass die anderen es nicht abreißen können. Ach ja, und<br />

wenn ich schon an »meine« Kinder denke, fällt mir ein, dass es hier einen<br />

blinden Jungen gibt, der von all unseren Verschönerungsmaßnahmen<br />

wenig haben wird. Wenn in unserem Kuscheltierhaufen noch irgendwo eine<br />

von unseren beiden alten Spieluhren zu finden wäre, würdet ihr diesem<br />

Jungen, der mir schon sehr ans Herz gewachsen ist, eine unbeschreibli-<br />

1608


che Freude machen. Wenn nicht, ist es auch nicht weiter schlimm, schickt<br />

mir dann bitte ein oder zwei (oder ein paar mehr, aber nicht so viele) von<br />

meinen alten Kuscheltieren. Es müssen keine großen sein, dafür möglichst<br />

unzerstörbar. Schickt vielleicht dafür mir ein bisschen weniger, wenn es<br />

ansonsten zu viel wird. Auszug aus einem Brief. Anita Kötter (97/02)<br />

MISIONES – Das Land der Roten Erde<br />

Die Provinz Misiones liegt im Nordosten Argentiniens in der Grenzregion zu<br />

Brasilien im Norden und zu Paraguay im Westen. Im Dreiländereck im Nordwesten<br />

liegen die Iguaçú-Fälle (der Name leitet sich aus der Indianersprache<br />

Guaraní ab und bedeutet übersetzt »Große Wasser«), die mit ihren 275<br />

Kaskaden und einer Höhe von 70 m den Niagarafällen Konkurrenz machen.<br />

Sie gelten nicht nur aufgrund ihrer Dimension, sondern auch wegen der<br />

Iguaçú-endemischen Flora und Fauna, die sich im Urwald um die Katarakte<br />

ausbreitet, als Weltwunder. Grenzflüsse sind im Westen zu Paraguay der<br />

Río Paraná und im Osten der Río Uruguay. Die Ausmaße der Provinz liegen<br />

bei etwa 32.000 qkm Gesamtfläche, das entspricht einer Breite von ca.<br />

120 km und einer Länge von ca. 320 km. Insgesamt leben etwa 960.000<br />

Menschen in Misiones, davon noch ca. 3000 Ureinwohner (größtenteils<br />

Guaraní-Indianer aus dem Volk der M`bya) und viele Immigranten aus europäischen<br />

Ländern. Die Hauptstadt Posadas, am Südausgang gelegen, hat<br />

ca. 300.000 Einwohner. Die Hauptstadt Buenos Aires liegt etwa 17 Busstunden<br />

entfernt.<br />

Der 26. Breitengrad (südliche Breite) durchläuft die Provinz. Das Klima ist<br />

subtropisch-feuchtwarm. Die heißeste Periode liegt zwischen Dezember<br />

und Februar, die kälteste mit kurzen Frösten zwischen Juni und August.<br />

Das Landschaftsbild wird in erster Linie durch große Waldflächen (natürlicher<br />

Mischwald und Forstwald) und die eisenhaltige rote Erde geprägt. Die<br />

Hügelketten sind durch kleine Bäche durchschnitten.<br />

Ich bin seit Mitte Oktober im Lande und werde bis Mitte April bleiben. Eine<br />

Verwandte von mir lebt seit 10 Jahren in Capiovisiño, einer kleinen Siedlung<br />

im Herzen der Provinz. Sie unterhält eine »chacra« (Bauernhof) mit Kühen,<br />

Büffeln, ein wenig Ackerbau, Yerba-Mate-Plantagen von etwa 3 ha Größe<br />

und aufgeforstetem Pinienwald von ebenfalls etwa 3 ha Ausmaß. Die Weideflächen<br />

umfassen nochmals ca. 5 ha Fläche, die restlichen 9 ha bestehen<br />

aus ausgeholztem Naturwald. Hinzu kommen 20 ha, die von Naturwald<br />

bewachsen sind. Das Wohnhaus verfügt über zwei kleine Schlafzimmer,<br />

eine Küche mit fließend Wasser und Holz- sowie Gasherd und ein Bad mit<br />

Dusche und WC. Das (Trink-)Wasser muss aus der eigenen Quelle ins Haus<br />

gepumpt werden, Strom liefern Solarzellen auf dem wellblechgedeckten<br />

Dach. Die ganze Ökonomie des Hauses ist folglich autark und ökologisch.<br />

1609


Ebenso ist meine Verwandte bei der Deckung des eigenen Lebensbedarfs<br />

bemüht, so unabhängig wie möglich zu wirtschaften. Aus dem Garten<br />

sowie von den zahlreichen Obstbäumen (Orangen, Zitronen, Mandarinen,<br />

Bananen, Papaya, Guaven, Maulbeeren, Feigen, Pfirsiche, Avocados)<br />

deckt sie ihren täglichen Eigenbedarf und stellt Produkte (Marmeladen,<br />

Liköre, Sirup, Nachtische, Saucen etc.) für den Verkauf auf dem Wochenmarkt<br />

in Posadas her. Außerdem hat sie eine Bienenzucht zur Honiggewinnung<br />

und zahlreiche Heilkräuter, aus denen Naturheilmittel hergestellt<br />

werden. Hinzu kommt die Verarbeitung von Soja. Aus der Bohne gewinnt<br />

sie Milch, Joghurt, Mayonnaise, Tofu, Kleie – kombiniert mit Mehl ergeben<br />

sich außerdem Nudeln, Gnocchi und verschiedene Backwaren. All dies<br />

wird zum größten Teil auf dem Markt vertrieben.<br />

Zudem lehrt sie die Soja-Verarbeitung interessierten Frauen aus der Umgebung.<br />

Da Soja eine Vielfalt an Anwendungen bietet und viele Nährstoffe<br />

enthält, die z. B. große Mengen an Fleisch, Eiern, Fetten ersetzen können,<br />

stellt es für viele argentinische Haushalte, die aufgrund der ökonomischen<br />

Lage sparsam leben müssen, und selbstverständlich auch aus gesundheitlichen<br />

Aspekten, eine wichtige Alternative dar.<br />

Für mich ist es sehr interessant diese Lebensweise mitzuerleben. Ich helfe<br />

bei allen anfallenden Arbeiten mit und lerne dabei eine ganze Menge. Die<br />

Kontakte zu verschiedenen Menschen, die sich z. B. bei den Soja-Kursen<br />

ergeben, ermöglichen mir tiefe Einblicke in das Leben der Menschen hier.<br />

Die bekanntlich katastrophale wirtschaftliche Lage der Republik ist mehr<br />

oder weniger deutlich zu spüren. In gewissen Kreisen wird natürlich viel<br />

darüber gesprochen und über die Korruption, die sich bei allen »Eliten«<br />

(insbesondere Politikern, Ärzten und Juristen) findet, geschimpft. Die Mehrheit<br />

der Bevölkerung setzt sich jedoch weniger mit den Ursachen auseinander,<br />

sondern hat eben unter den Folgen zu leiden. Die Arbeitslosigkeit liegt<br />

bei etwa 40%, Sozialversicherungen existieren so gut wie gar nicht und die<br />

Inflation, die seit Aufhebung der Dollarbindung ungehindert steigt, treibt<br />

die Lebenshaltungskosten in astronomische Höhen. Dies bedeutet für viele<br />

Familien eine ernsthafte Existenzbedrohung, beispielsweise können viele<br />

Jugendliche aus finanziellen Gründen nicht mehr studieren.<br />

Trotz dieser schwierigen Lage und der vielen Probleme erlebe ich das<br />

Land sehr positiv. Die Menschen, denen ich begegne, sind freundlich und<br />

aufgeschlossen. Immer hat man Zeit, um zusammen einen Mate-Tee zu<br />

trinken und ein bisschen zu plaudern. An Wochenenden finden in jedem<br />

noch so kleinen Ort Veranstaltungen statt, meist mit Tanz und Musik bis<br />

spät in die Nacht (allerdings ist die Tango-Hochburg Buenos Aires zu weit,<br />

um dieses Flair bis hier hoch zu wehen!). Die Natur und die klimatischen<br />

Bedingungen genieße ich natürlich auch sehr. Bestimmt werde ich in den<br />

verbleibenden 5 Monaten meines Aufenthaltes noch viele schöne Dinge<br />

sehen und Interessantes erfahren und entdecken können.<br />

Helen Duhm (97/02)<br />

1610


Aus dem Kassenbuch des Rechners<br />

Einnahmen:<br />

Spenden<br />

Zinsen<br />

Rückzahlungen von Wertpapieren<br />

Ausgaben:<br />

Ausschüttung<br />

Mann-Preis<br />

NT-Stiftung<br />

Seminar-Nachrichten<br />

<strong>Seminaristen</strong>verzeichnis<br />

Sonderzuweisung (Blaubeuren)<br />

Sonderzuweisung (Maulbronn)<br />

Sonstiges<br />

Kauf von Wertpapieren<br />

Kontostand<br />

Wertpapiere (Nennwert)<br />

2001 (30. 9.)<br />

38.919,56 DM<br />

5.340,93 DM<br />

47.000,–– DM<br />

91.260,49 DM<br />

10.000,–– DM<br />

2.250,–– DM<br />

1.250,–– DM<br />

11.710,58 DM<br />

10.323,83 DM<br />

1.702,–– DM<br />

8.290,–– DM<br />

1.770,31 DM<br />

45.469,48 DM<br />

92.766,20 DM<br />

6.523,84 DM<br />

62.000,–– DM<br />

Konto des Seminar-Hilfsvereins:<br />

1638 660 (BLZ 630 500 00) Sparkasse Blaubeuren<br />

Allen Spendern herzlichen Dank!<br />

2002 (30. 9.)<br />

17.250,85 �<br />

1.724,57 �<br />

1.072,36 �<br />

20.047,78 �<br />

5.056,46 �<br />

667,24 �<br />

–– �<br />

5.902,78 �<br />

–– �<br />

1.244,–– �<br />

5.875,57 �<br />

814,50 �<br />

–– �<br />

19.560,55 �<br />

3.812,32 �<br />

30.000,–– �<br />

Unserem Heft ist der neue Seminarprospekt beigelegt, der seinen Zweck<br />

am besten erfüllt, wenn Sie ihn an mögliche Interessenten weitergeben.<br />

Für die Versammlung der Vertrauensleute steht jetzt der Termin fest:<br />

Freitag, 14. November 2003, 15.30 Uhr im Mutterhaus der Diakonissenanstalt,<br />

Rosenbergstraße 40, 70176 Stuttgart.<br />

Hierzu erfolgt noch eine besondere Einladung. Gerhard Adam (55/59)<br />

1611


Maulbronn<br />

Wir gratulieren<br />

Herrn KMD Jürgen Budday zur Berufung zum Vorsitzendern des Hauptausschusses<br />

Deutscher Chorwettbewerb durch den Deutschen Musikrat.<br />

Herr Budday hat dieses Ehrenamt von LKMD Siegfried Bauer übernommen<br />

– es ist eines der höchsten Ehrenämter innerhalb des Bereiches<br />

deutscher Chormusik. Mit dieser Auszeichnung wird Herrn Buddays<br />

jahrzehntelanges Wirken im Bereich der Chormusik auf allen Ebenen<br />

gewürdigt. Herzlichen Glückwunsch!<br />

Wir danken<br />

Frau StR’in Christina Maier-Frey, die nach vierjähriger Tätigkeit als<br />

Seminarlehrerin innerhalb Maulbronns den Standort wechselt, indem sie<br />

künftig vorwiegend am Progymnasium Maulbronn tätig sein wird. Frau<br />

Maier-Frey ist am Seminar als Verbindungslehrerin und als ›Theatermacherin‹<br />

vielfältig hervorgetreten und hat zu vielen Promotionen ein gutes<br />

Verhältnis aufgebaut. Wir sind deshalb sehr froh, dass sie uns von ›auswärts‹<br />

weiterhin für den Deutschunterricht zur Verfügung steht.<br />

Herrn StAss Carsten Heinz, der das Seminar nach insgesamt zweijähriger<br />

Tätigkeit als Lehrer für Mathematik, Griechisch und Latein und als<br />

Repetent mit Ablauf des Schuljahres 2001/2002 verlassen hat. Herr Heinz<br />

wechselte an das Schönborn-Gymnasium in Bruchsal. Wir wünschen ihm<br />

alles Gute.<br />

Herrn StAss Michael Herrlich (abgeordnet vom Theodor-Heuss-Gymnasium<br />

Mühlacker) für seinen einjährigen Dienst als Lehrer für Bildende<br />

Kunst am Seminar Maulbronn.<br />

Herrn LiA Gerhard Austen für seinen engagierten Französisch- und<br />

Sportunterricht am Seminar von September 2001 bis März 2002. Leider<br />

musste uns Herr Austen aus gesundheitlichen Gründen verlassen – wir<br />

wünschen ihm gute Genesung.<br />

Frau OStR’in Martina Dihlmann-Schnigula (THG Mühlacker) und Herrn<br />

StR Hügel (PGM Maulbronn) dafür, dass sie ab April 2002 als Vertretungskräfte<br />

für den Französisch-Unterricht zur Verfügung standen.<br />

Den Herren StAss Michael Maier-Frey und StAss Frey für ihren engagierten<br />

Einsatz im Internatsdienst, der ab November 2001 nötig wurde, da<br />

Herr Heinz nicht mehr für den Betreuungsdienst zur Verfügung stand.<br />

1612<br />

Kurz notiert


Wir begrüßen<br />

Frau Chantal Domenech, die für dieses Schuljahr als Internatsbetreuerin<br />

tätig ist und sicher dem einen oder anderen in Französisch auf die Sprünge<br />

helfen kann . . .<br />

Herrn StAss Helmut Spahmann (Unterrichtsfächer Sport und Latein) als<br />

neuen Repetenten am Ev. Seminar.<br />

Und freuen uns darüber,<br />

dass die ›Oldies‹ OStR’in Heidrun Raichle (Französisch), StR Burkhart<br />

Hanstein (Bildende Kunst) und OStR Wilhelm Widmann (Mathematik),<br />

die alle in früheren Jahren schon am Seminar unterrichtet haben, in diesem<br />

Schuljahr zu uns zurückgekehrt sind.<br />

Studienassessor Helmut Spahmann<br />

Ich heiße Helmut Spahmann, bin 45 Jahre alt, unterrichte<br />

die Fächer Latein und Sport und bin einigen<br />

aus der »Seminargemeinde« sicher kein Unbekannter,<br />

denn ich habe selbst die Seminare Maulbronn<br />

und Blaubeuren von 1972 bis 1976 durchlaufen.<br />

Weitere Stationen waren Zivildienst in einem Kinderheim<br />

für milieugeschädigte Kinder bei Ludwigsburg,<br />

Studium und Referendariat in Heidelberg und seit<br />

1988 die pädagogische und unterrichtliche Arbeit am Michelbacher Aufbaugymnasium<br />

und Schulzentrum in der Nähe von Schwäbisch Hall. Ein<br />

Hauptschwerpunkt meiner Arbeit in Michelbach war der Internatsbereich<br />

der Oberstufe, in dem 100 Schülerinnen und Schüler leben, und für den ich<br />

12 Jahre lang verantwortlich war.<br />

Doch, um mit Hermann Hesse zu reden: »Nur wer bereit zu Aufbruch ist und<br />

Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen . . .«<br />

Insofern reizt es mich sehr, in Maulbronn eine neue Aufgabe zu übernehmen,<br />

die im Heimbereich Vertrautes und Neues verbindet. Auch freue ich<br />

mich darauf, in Maulbronn Latein zu unterrichten, ein Fach, das dort unbestritten<br />

einen hohen Stellenwert genießt.<br />

Meine persönlichen Hobbies und Interessen, Laufen, Volleyball, Ski- und<br />

Bergsport, der Umgang mit Holz und die digitale Fotografie lassen sich vielleicht<br />

auch für meine Arbeit im Heimbereich gelegentlich nutzbar machen.<br />

Familiär betrachtet gehen wir natürlich eher unruhigen Zeiten entgegen, da<br />

meine Frau Susanna mit unseren Töchtern Laura (15 Jahre) und Franziska<br />

(13 Jahre) zunächst in Michelbach bleibt. Sie unterrichtet weiterhin am Ev.<br />

Schulzentrum Michelbach die Fächer Latein, Religion und Diakonie.<br />

Vorerst pendle ich also wochenweise zwischen Michelbach und Maulbronn,<br />

bis sich in den nächsten zwei bis drei Jahren herauskristallisiert,<br />

wie es beruflich bei uns weitergeht.<br />

1613


HAP Grieshabers ›Basler Totentanz‹<br />

im Evangelischen Seminar Maulbronn<br />

Welcher ehemalige Maulbronner Seminarist der Promotionen nach 1970<br />

erinnert sich nicht an die Holzschnitte in Glasrahmen, die zunächst an<br />

vielen Stellen im Seminar aufgehängt waren, allmählich durch herumfliegende<br />

Fußbälle und ähnliche ›Unfälle‹ ziemlich dezimiert wurden und<br />

zuletzt noch in ca. 8 Exemplaren im Bereich vor dem Oratorium ihr Dasein<br />

fristeten? Es handelt sich dabei um ein bedeutendes Geschenk, das der<br />

Künstler HAP Grieshaber im Jahr 1969 auf Vermittlung des Buchhändlers<br />

Krüger dem Seminar machte: einen kompletten Satz (d. h. vierzig verschiedene<br />

Bilder) seines Holzschnitt-Zyklus ›Basler Totentanz‹.<br />

Freilich mag man geteilter Meinung darüber sein, ob ein solches Motiv (das<br />

der bis 1857 an einer Basler Friedhofsmauer zu besichtigenden mittelalterlichen<br />

Darstellung des Totentanzes nachempfunden ist) für ein Internat<br />

junger Leute der richtige Präsentationsort ist. Und vielleicht waren es ja<br />

auch solche unterschwelligen Gedanken, die bewirkten, dass der Zyklus<br />

mehr und mehr ein Schattendasein in Maulbronn fristete. Zuletzt waren über<br />

dreißig der Bilder auf Schränken gestapelt, teilweise waren Glasrahmen<br />

beschädigt, die Passepartouts eingerissen und und und . . .<br />

In diese Zeit fiel eine Anfrage von Pfarrer Hörnig (selbst ein ehemaliger<br />

Maulbronner Seminarist). Er hatte im nahegelegenen Mühlacker-Dürrmenz<br />

eine Hospiz-Gruppe ins Leben gerufen. Zugunsten dieser Initiative<br />

sollte eine Veranstaltung im Seminar den Totentanz präsentieren und ein<br />

Experte sollte einen Vortrag darüber halten. Die Bewirtung wurde von den<br />

Damen des Inner Wheel Clubs Kraichgau-Stromberg übernommen.<br />

In Ermangelung besserer Möglichkeiten stellten wir die Bilder auf Stühlen<br />

im Oratorium aus. Die Veranstaltung hatte eine gute Resonanz, aber nicht<br />

wenige der Besucher waren vom schlechten Zustand, in dem sich die<br />

Holzschnitte befanden, schockiert.<br />

Hieraus erwuchs eine Initiative eben der Damen des Inner Wheel Clubs<br />

Kraichgau-Stromberg. Sie traten an uns heran mit der Frage, ob sie uns<br />

durch verschiedenerlei Aktivitäten behilflich sein könnten, die Bilder<br />

komplett zu restaurieren und neu zu rahmen. Aus dieser Idee wurde nach<br />

und nach Wirklichkeit: Begleitet von der Beratung des Stiefsohns von<br />

HAP Grieshaber, Cornelius Hansmann, und unter Heranziehung eines<br />

renommierten Papierrestaurators wurden die Farbholzschnitte sämtlich<br />

gereinigt, in neue Passepartouts eingelegt und fachgerecht gerahmt. Herr<br />

Hansmann konnte überdies Drucke der Texttafeln, die jedem Holzschnitt<br />

beigegeben sind, besorgen, und im März 2002 war es so weit, dass alles<br />

zusammen in der Abt-Entenfuß-Halle präsentiert werden konnte. Für gut<br />

zwei Monate blieben die Bilder dort aufgehängt, ehe sie Ende Mai der<br />

Hesse-Ausstellung weichen mussten.<br />

1614


Ein großer Dank gebührt den Damen des Inner Wheel Clubs, die es<br />

durch beispielhaftes Engagement und harte Knochenarbeit dem Seminar<br />

ermöglicht haben, diesen Schatz wieder angemessen zu präsentieren.<br />

Damit die Bilder in Zukunft auch von Interessenten betrachtet werden können,<br />

haben wir uns vorgenommen, sie alljährlich zwischen Januar und April<br />

in der Entenfuß-Halle zu präsentieren. Es werden über die Presse einzelne<br />

Sonntage bekannt gegeben werden, an denen eine Besichtigung möglich<br />

ist. Interessierte Gruppen können natürlich auch direkt mit dem Seminarephorat<br />

einen Besichtigungstermin vereinbaren. M. Henrich<br />

Plätzlesturnier 2003<br />

Das Plätzlesturnier findet am Samstag,19. Juli 2003 statt,<br />

Spielbeginn um 10.00 Uhr.<br />

Die gemeldeten Mannschaften sind:<br />

1. Dichter<br />

2. HDT<br />

3. KGK<br />

4. Emma<br />

5. Surprise<br />

6. Becks Pistols<br />

7. Kl. 10 Maulbronn<br />

08. Massendefekt<br />

09. Rapid Elch<br />

10. Dezibals Rache<br />

11. Not Schlä/echter<br />

12. Schlolles Erben<br />

13. Lungies<br />

14. Bravo Girl<br />

15. DZR<br />

16. Klosterfrau<br />

Melissengeist<br />

17. Dynamo Windrad<br />

18. TLPP<br />

Sollte eine bereits gemeldete Mannschaft nicht antreten können, bitte<br />

zugunsten von Nachrückern rechtzeitig Bescheid geben an<br />

Johannes Schmid (72/76), Telefon (0 70 71) 5 11 87.<br />

1615


Musica Sacra Maulbronn 2002<br />

Der im Jahr 2000 erfolgreich begonnene Versuch, im Rahmen der Klosterkonzerte<br />

Maulbronn eine themenorientierte Musica Sacra einzurichten,<br />

wurde im Jahr 2002 fortgeführt und soll zu einer ständigen Einrichtung<br />

innerhalb dieser international bekannten Konzertreihe werden.<br />

Neben dem Händel-Oratorien-Zyklus (seit 1993 wurden bereits sieben<br />

Händel-Oratorien unter der Thematik »Führergestalten des Alten Testaments«<br />

aufgeführt) und dem Mozart-Klavierkonzerte-Zyklus (Aufführung<br />

sämtlicher Mozart-Klavierkonzerte seit 1996) erhielten die Klosterkonzerte<br />

Maulbronn damit ein drittes, umfassendes und sehr gewichtiges<br />

Schwerpunktthema.<br />

Der Überbegriff für die Musica Sacra 2002 war das Thema »Wege nach<br />

Innen«. Dies wird auch in Zukunft das Generalthema sein, das dann<br />

jeweils in Einzelaspekte untergliedert wird. In Gottesdiensten, liturgischen<br />

Veranstaltungen und Begleitprogramm wurde pro Tag ein Aspekt<br />

beleuchtet, erarbeitet und schließlich zu einem Abendkonzert hingeführt.<br />

Die einzelnen Tage folgten den Themen »Sehnsucht«, »den Atem spüren<br />

– dem Klang lauschen«, »es werde Licht«, »es ist noch eine Ruhe vorhanden<br />

dem Volke Gottes«, »dass Trost im Herzen grüne«.<br />

Für die zugeordneten Konzerte konnten höchst profilierte und renommierte<br />

Ensembles engagiert werden. Das Thema »Sehnsucht« wurde musikalisch<br />

über Klezmermusik mit dem Ensemble David Orlowsky’s Klezmorim verdeutlicht,<br />

das Ensemble Ordo virtutum widmete sich dem Thema »Klage«<br />

durch die Interpretation der mittelalterlichen Wolfenbütteler Marienklage in<br />

einer höchst eindringlichen halbszenischen Aufführung. Sowohl in einem<br />

sonntäglichen Gottesdienst als auch im abendlichen Konzert ließ die Schola<br />

Gregoriana Pragensis mit ihren gregorianischen Gesängen das Thema<br />

»Ruhe« nachhaltig erlebbar und spürbar werden.<br />

In einer Chornacht zum Thema »Licht« vereinigten sich in drei nacheinander<br />

folgenden Konzerten der Maulbronner Kammerchor unter Leitung von<br />

Jürgen Budday, der Bonner Kammerchor unter Leitung von Peter Henn und<br />

die Grupo Canto Coral aus Buenos Aires (Leitung Nestor Andrenacci) zu<br />

einem grandiosen Chorerlebnis, wie es auch in der langen Geschichte der<br />

Maulbronner Klosterkonzerte bislang einmalig war.<br />

Das Thema »Trauer-Trost« wurde durch die Kantorei Maulbronn und das<br />

Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg (Leitung Jürgen<br />

Budday) zusammen mit den Solisten Christel Erkes und Gotthold Schwarz<br />

in einer Interpretation des Deutschen Requiems von Johannes Brahms<br />

umgesetzt. Auch über dieses Thema »Ein Deutsches Requiem« wurde ein<br />

musikalischer Gottesdienst zusammen mit Pfarrer Ernst-Dietrich Egerer<br />

gefeiert, der in exemplarischer Weise die Verbindung zwischen Kirchenmusik<br />

und Bibelwort zum Klingen bzw. zum Sprechen brachte.<br />

1616


Die künstlerische und konzeptionelle Gestaltung der Musica Sacra liegt in<br />

den Händen von KMD Jürgen Budday in enger Zusammenarbeit mit dem<br />

Maulbronner Ortspfarrer Ernst-Dietrich Egerer. In Zukunft wird auch das<br />

neue Klosterpfarramt in Person von Pfarrer Klaus Hoof in dieses Konzept<br />

mit einbezogen sein. Für den liturgischen Bereich war 2002 die Hamburger<br />

Theologin und Kommunikationswissenschaftlerin Heidemarie Langer<br />

zuständig, die in liturgischen und meditativen Übungen auf die jeweilige<br />

Thematik des Tages und das nachfolgende Konzert einstimmte. So ergab<br />

sich ein insgesamt schlüssiges Konzept, das jeden Tag mit einer Vesper in<br />

der Klosterkirche begann, seine Fortsetzung in der liturgisch-meditativen<br />

Arbeit durch Heidemarie Langer fand und schließlich zum Konzert des<br />

jeweiligen Tages hinführte. Dass die verschiedenen Räume des Maulbronner<br />

Klosters bei diesem Konzept eine ganz wesentliche Rolle spielen, versteht<br />

sich von selbst.<br />

Dies wurde deutlich, indem zu Beginn der Veranstaltungsreihe das<br />

Ensemble David Orlowsky’s Klezmorim zur Einstimmung in die Thematik<br />

musizierend durch die verschiedenen Räume der Klausur wandelte.<br />

Gleichzeitig wurden in anderen Räumen Texte gelesen. Das Publikum<br />

folgte den jeweiligen Akteuren und konnte sich so innerlich auf den<br />

Abend einstimmen. Dazu gehörte auch, dass nach jedem Konzert die<br />

Möglichkeit eines individuellen Ausklangs in den dezent und stimmungsvoll<br />

beleuchteten Räumen der Klausur sowie des Kreuzganges gegeben<br />

war und von den Teilnehmern reichlich und mit großer innerer Erfülltheit in<br />

Anspruch genommen wurde.<br />

Die enge thematische Verzahnung von Gottesdienst, liturgischen Veranstaltungen,<br />

Konzerten und individueller Raumerfahrung in Bezug auf eine<br />

Gesamtthematik wurde geradezu exemplarisch verdeutlicht. Damit haben<br />

die Klosterkonzerte Maulbronn dem Kloster ein zusätzliches musikalisch-theologisches<br />

Profil verliehen.<br />

Die nächste Musica Sacra findet unter dem Titel ». . . aber dennoch bete<br />

ich« in der Zeit vom 14.–22. Juni 2003 statt. Sie folgt derselben konzeptionellen<br />

Anlage und wird als Besonderheit am 21. 6. einen so genannten<br />

Klostertag beinhalten, an dem von morgens 9.00 Uhr bis in die Nacht<br />

hinein der Rhythmus des Klosterlebens aufgenommen werden soll mit<br />

Stundengebeten und Aktionsgruppen, Meditationsgruppen und musikalischen<br />

Aktivitäten zwischen den Gebetszeiten. Ein abendliches Konzert<br />

zum 850. Todestag Bernhards von Clairvaux mit dem Ensemble officium<br />

rundet den Tag ab. Das Gesamtkonzept für Musica Sacra 2003 in Maulbronn<br />

soll folgendermaßen aussehen:<br />

(endgültige und vollständige Fassung in der Klosterkonzertbroschüre 2003,<br />

erhältlich ab Ende Februar über Stadtverwaltung Maulbronn, Postfach 47,<br />

75429 Maulbronn, Telefon (0 70 43) 103-11 / Fax (0 70 43) 103-45, e-mail-<br />

Adresse: stadtverwaltung@maulbronn.de oder info@klosterkonzerte.de)<br />

1617


Programm 2003<br />

Musica Sacra vom 14.–22. 6. 03<br />

Wege nach innen ». . . aber dennoch bete ich«<br />

Sa. 14. 6. 03, 21 Uhr Eröffnungsgottesdienst »Dein ist der Tag,<br />

Klosterkirche dein ist die Nacht«<br />

mit dem Maulbronner Kammerchor<br />

So. 15. 6. 03, 20 Uhr »Macht Gebete aus meinen Geschichten«<br />

Klosterkirche Cantus Cölln, Ltg. Konrad Junghänel<br />

C. Monteverdi: Selva morale e spirituale<br />

Mi. 18. 6. 03, 20 Uhr »Die Welt ins Gebet nehmen« –<br />

Klosterkirche Bitte und Fürbitte<br />

N. N.<br />

Do. 19. 6. 03, 20 Uhr »Meine Seele weint – Klage«<br />

Klosterkirche Orgelkonzert Erika Krautter-Budday,<br />

Prof. Dr. Karl-Joseph Kuschel<br />

liest und kommentiert Texte von<br />

Heinrich Heine<br />

Sa. 21. 6. 03, 9–23 Uhr Klostertag »Von morgens früh . . .<br />

und bis zur Nacht«<br />

20 Uhr, Klosterkirche Ensemble officium, Ltg. W. Rombach<br />

Gregorianische Gesänge der Zisterzienser<br />

Zum 850. Todestag<br />

von Bernhard von Clairvaux<br />

So. 22. 6. 03, 10 Uhr Schlussgottesdienst »Du verwandelst<br />

Klosterkirche meine Klage in einen Reigen«<br />

mit der Kantorei Maulbronn.<br />

Teile aus dem »Elias« von Mendelssohn<br />

1618


Hohe Ehre für Jürgen Budday<br />

Pforzheimer Zeitung 20. 7. 02<br />

Der künstlerische Leiter der Klosterkonzerte Maulbronn, Kirchenmusikdirektor<br />

Jürgen Budday, wurde vom Präsidium des Deutschen Musikrats<br />

berufen, den Vorsitz des Chor-Hauptausschusses zu übernehmen.<br />

Der Chor-Hauptausschuss ist das höchste Gremium in der Deutschen<br />

Chormusik. Es vereinigt die Präsidenten der verschiedenen deutschen<br />

Chorverbände, Vertreter der Musikhochschulen sowie von ARD und ZDF.<br />

Buddays Hauptaufgabe wird sein, den nächsten Deutschen Chorwettbewerb<br />

inhaltlich und künstlerisch vorzubereiten und zu leiten. Daneben<br />

wird er als Juror bei nationalen und internationalen Chorfestivals und<br />

Wettbewerben agieren.<br />

Der Hauptausschuss des Deutschen Chorwettbewerbs nimmt einerseits<br />

Entwicklungen und Tendenzen in der Chormusik auf und versucht sie in<br />

das künstlerische Konzept des Deutschen Chorwettbewerbs mit einzubringen,<br />

andererseits wirkt das Gremium durch Kriterien und Vorgaben<br />

beim Chorwettbewerb maßgeblich auf die weitere Entwicklung der deutschen<br />

Chorszene ein.<br />

Diese Berufung zum Vorsitzenden des Chorhauptausschusses stellt auch<br />

eine Würdigung der kontinuierlichen Chorarbeit in Maulbronn auf höchstem<br />

Niveau dar. Budday wurde Mitte September in Bonn in sein neues<br />

Amt eingeführt. pm<br />

Herzlich laden wir Sie ein<br />

zum Tag der offenen Tür<br />

im Ev. Seminar Maulbronn<br />

am Sonntag, 23. Februar<br />

2003, ab 14.00 Uhr<br />

Anmeldeschluss für das<br />

Landexamen: 30. April 2003<br />

Landexamen:<br />

23.–26. Juni 2003 in Kürnbach<br />

Geboten werden:<br />

Führung durch das Haus<br />

Kaffee und Kuchen<br />

Musikalische<br />

und andere Darbietungen<br />

Gespräche mit der Schulleitung<br />

für Interessierte und ihre Eltern<br />

(insbesondere<br />

Schülerinnen und Schüler der<br />

8. Gymnasialklassen)<br />

1619


Unsere Jüngsten – Die Promotion 2002–2007<br />

Es sind (von links nach rechts):<br />

vorne: Eva-Maria Herrmann (Herrenberg), Marianne Sievers (Neustadt),<br />

Jana Kaschdailewitsch (Neckartenzlingen), Sonja Gurit (Dettingen),<br />

Mirjam Gauli (Ohmden), Henrike Wagner (Vaihingen/Enz), Nora Hohmann<br />

(Calw), Franka Salomon (Jonaswalde), Christiana Riek (Bühlenhausen),<br />

Anne-Christin Thumm (Vaihingen/Enz);<br />

hinten: Till Kalmbach (Leutkirch), Amrei Kriener (Pforzheim), Joana Scharnowski<br />

(Leutkirch), Fabian Vogl (Olching), Jonathan Wahl (Neuweiler-Breitenberg)<br />

1620


Blaubeuren<br />

Pfarrerin Renate Holder hat das Seminar zum Schuljahrsende verlassen. In<br />

Backnang hat sie einen Übergangsdienstauftrag übernommen. Wir danken<br />

ihr für ihren Dienst am Seminar in den letzten 12 Jahren und wünschen ihr<br />

vor allem, dass sie bald die Stelle findet, die ihr entspricht.<br />

Ihre Nachfolgerin ist Pfarrerin z. A. Silvia Schmelzer. Leider musste diese<br />

Pfarrstelle auf 50% reduziert werden. Frau Schmelzer hat sich schon gut<br />

eingelebt; wir wünschen ihr eine erfüllte Zeit und viel Freude bei ihrem<br />

Dienst.<br />

Ich bin die »Neue« im Blaubeurer Kollegium. Silvia<br />

Schmelzer heiße ich und bin seit einigen Wochen<br />

am Seminar als Repetentin und Pfarrerin z. A. mit<br />

halbem Dienstauftrag. Ich bin 32 Jahre alt und<br />

komme aus Zell unterm Aichelberg im Kreis Göppingen.<br />

In den beiden Jahren der Oberstufe spielte<br />

ich in verschiedenen Kirchen um Göppingen und<br />

Kirchheim die Orgel. Die Kirchenmusik und der<br />

Religionsunterricht am Freihof-Gymnasium Göppingen<br />

weckten damals mein Interesse, Theologie<br />

zu studieren. Nach dem »Diakonischen Jahr« in der<br />

Nachbarschaftshilfe der Diakoniestation Göppingen habe ich am Sprachenkolleg<br />

in Stuttgart Griechisch und Hebräisch gelernt. 1992 begann ich,<br />

in Tübingen Theologie zu studieren, zunächst als »Stadtstudentin«, ab dem<br />

zweiten Semester im Evangelischen Stift. Die exegetischen Fächer und die<br />

Praktische Theologie lagen mir besonders am Herzen. Zwei Semes-ter studierte<br />

ich an der evangelischen Fakultät der Universität Straßburg.<br />

Nach dem ersten Examen zog ich im Frühjahr 1998 vom Neckar an die<br />

Donau: nach Ulm, wo mein Mann arbeitete und auch zur Zeit noch arbeitet.<br />

In der Wartezeit zwischen erstem Examen und Vikariat beschäftigte ich<br />

mich mit dem Thema Öffentlichkeitsarbeit, zunächst in einer einjährigen<br />

Fortbildung, dann beim Evangelischen Diakonieverband Ulm/Alb-Donau.<br />

Nach zwei Jahren begann ich in der Christuskirchengemeinde in Ulm-<br />

Söflingen das Vikariat. Ich blicke auf eine sehr spannende und vielfältige,<br />

schöne und lehrreiche Zeit als Vikarin zurück.– Das letzte Jahr des Vikariats<br />

habe ich am Kepler-Gymnasium Ulm in der Mittelstufe Religion unterrichtet.<br />

Neu ist für mich daher die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern der<br />

Oberstufe und das Leben im Internat. In der kurzen Zeit, in der ich hier bin,<br />

habe ich jedoch entdeckt, dass beides reizvoll ist und viele Möglichkeiten<br />

eröffnet. Dieses Schuljahr unterrichte ich in der 12. und in der 13. Klasse<br />

Religion und eine kleine Gruppe der Klasse 11 in Hebräisch.<br />

Zusammen mit meinem Mann wohne ich im oberen Geschoss im Klosterhof<br />

10. Wir haben uns inzwischen gut eingelebt und fühlen uns sehr wohl<br />

in dem schönen Umfeld, welches das Seminar bietet.<br />

1621


Viel Wechsel gab es in der Seminarküche.<br />

Zunächst verließ uns Mitte Mai<br />

2002 Frau Irene Wegst, die 11<br />

Jahre lang als Hauswirtschaftsleiterin<br />

an der Spitze unserer<br />

Küche stand. Sie nahm dieses<br />

Amt wahr, wie es besser gar<br />

nicht sein kann:<br />

Sie war für die Mitarbeiterinnen<br />

eine einfühlsame Chefin, die<br />

delegieren konnte und zugleich<br />

klar die Richtung vorgab. Mit<br />

den Schülerinnen und Schülern<br />

verstand sie sich ausgezeichnet.<br />

Der Lehrerschaft und dem<br />

Ephorus war sie eine zuverlässige Partnerin. Und – fast das Wichtigste!<br />

–: In ihrer Zeit wurde die hohe Qualität der Blaubeurer Seminarküche fast<br />

sprichwörtlich; es wurde äußerst schmackhaft und mit Liebe gekocht; ich<br />

denke dabei auch an die Gestaltung der Räume und Tische und an den<br />

Einfallsreichtum in der Dekoration bei Festen.<br />

Frau Wegst suchte eine neue Aufgabe in der Arbeit mit Behinderten; sie<br />

leitet jetzt die Küche im »Kaffeehäusle« in Reutlingen; wir wünschen ihr<br />

dabei vor allem die Erfüllung ihrer Erwartungen.<br />

Frau Kathrin Hagn hat das Amt der Küchenleiterin Anfang Juni übernommen.<br />

Schon jetzt können wir sagen, dass wir in ihr eine sehr gute Nachfolgerin<br />

gefunden haben. Sie fühlt sich wohl bei uns. Und wir können nur<br />

hoffen, dass dies lange anhält.<br />

Frau Josefine Kerwien ging nach 17 Jahren als Mitarbeiterin in der<br />

Küche Ende August 2002 in den Ruhestand. Wir danken ihr für ihren<br />

einsatzfreudigen Dienst zum Wohl unserer Schülerinnen und Schüler und<br />

wünschen ihr zusammen mit ihrem Mann einen erfüllten Ruhestand bei<br />

guter Gesundheit.<br />

Ihre Nachfolgerin ist Frau Hildegard Niegl.<br />

Wir wünschen ihr eine gute Zeit in der Blaubeurer Seminarküche.<br />

Frau Annerose Weitmann, 5 Jahre lang zu 50% stellvertretende Küchenleiterin,<br />

hat uns Ende Oktober 2002 aus privaten Gründen (Fortbildung<br />

u. ä.) verlassen. Wir danken ihr für ihren gewissenhaften Dienst; sie war<br />

uns in ihrer ruhigen Art eine wichtige Mitarbeiterin. Unsere guten Wünschen<br />

begleiten sie.<br />

Ihre Nachfolgerin ist Frau Irma Gromut, die erst Mitte Dezember bei uns<br />

angefangen hat. Ihr wünschen wir einen guten Start.<br />

1622


Blaubeuren, Karlstraße 21<br />

Denn keiner wird zuschanden,<br />

der auf dich harrt. Psalm 25.3<br />

Ein erfülltes Leben ist zu Ende gegangen.<br />

Heinrich Tews<br />

12. 7. 1909 † 12. 4. 2002<br />

In stiller Trauer:<br />

Reinhard Tews, Neffe<br />

Ev. theologisches Seminar Blaubeuren<br />

und alle Bekannten.<br />

Beerdigung am Dienstag, dem 16. April 2002, um 13.00 Uhr auf dem<br />

Friedhof in Blaubeuren.<br />

Nach der Vertreibung und Flucht aus seiner Heimat<br />

im Osten kam Heinrich Tews 1947 als Hausmeistergehilfe<br />

ans Seminar nach Blaubeuren. Er<br />

war damals nicht nur jung und stattlich, er war<br />

ungemein stark, kräftig und ausdauernd. Oft hat er<br />

selbst anschaulich erzählt, wie viele Eimer Briketts<br />

einst täglich zum Dorment geschleppt werden<br />

mussten, als es noch keine Zentralheizung gab.<br />

In den zurückliegenden Jahrzehnten kannten die<br />

Blaubeurer ihn vor allem als den Gärtner, der den<br />

großen Seminargarten betreute. Auch als er körperlich<br />

und gesundheitlich schwächer geworden<br />

war und 1996 ins Altenheim »Spital« umziehen<br />

musste, hat er den Kontakt zum Seminar gehalten.<br />

Bis zuletzt waren seine Gedanken ganz klar.<br />

Oft sagte er nach einem Besuch zum Abschied:<br />

»Vielen Dank für die liebenswürdige Menschlichkeit«.<br />

Von seiner »liebenswürdigen Menschlichkeit«<br />

hat das Seminar ein halbes Jahrhundert lang<br />

profitiert. Wir danken es ihm, über den Tod hinaus.<br />

Im Seminar gibt es eine alte Sammlung von Versteinerungen, die von<br />

einer fachkundigen Person neu geordnet und deren Beschriftungen überprüft<br />

bzw. erneuert werden müssten.<br />

Gibt es diese Person unter den Ehemaligen?<br />

1623


Friedemann Samrock, Andrea Giesen,<br />

Conrad Schmitz, Leonie Eckert<br />

Oscar Wilde: Eine Frau ohne Bedeutung<br />

Aufgeführt von der Theater-AG des<br />

Ev.-theol. Seminars Blaubeuren, März 2002<br />

Wilde verhandelt in seinem Stück ganz<br />

grundsätzlich das Problem menschlichen<br />

Selbstbewusstseins. Was befähigt uns<br />

da-zu, zu uns selbst zu stehen? Die soziale<br />

Stellung, wie bei Lady Hunstanton, die als<br />

Hausherrin souverän bleibt, trotz ihrer Schwächen, zu denen sie stehen<br />

kann, weil sie weiß, wer sie ist? Der erotische Appeal, wie bei Mrs Allonby,<br />

die ganz aus ihrer Wirkung auf Männer heraus lebt? Die gesellschaftliche<br />

Anerkennung, wie bei Lord Illingworth, der sich ständig von allen seine<br />

Überlegenheit bestätigen lassen muss? Oder die Treue zu sich selbst, wie<br />

bei Mrs Arbuthnot, die auf den persönlichen Verrat mit Rückzug reagiert?<br />

Wilde hat in Hester eine Figur geschaffen, in der er sein Ideal verkörpert:<br />

Sie geht als Einzige durch einen intensiven Lernprozess hindurch: wo sie<br />

zu Beginn noch sehr schnell bereit ist, aus grundsätzlichen Überlegungen<br />

heraus zu urteilen, begreift sie, dass nicht eine verallgemeinerbare Moral<br />

wirklich weiterhilft, sondern allein die liebende Offenheit für die Menschen<br />

in ihrem Kampf um Anerkennung und Gemeinschaft.<br />

Slavomir Mrozek:<br />

Auf hoher See, Drama (1961/1963)<br />

Nach dem Untergang der Titanic treibt ein<br />

Floß mitten auf dem Atlantik. An Bord: Drei<br />

Mann und ein Klavier. Die Vorräte sind völlig<br />

erschöpft und auch die Angelversuche des<br />

Praktikers zeigen nicht den gewünschten<br />

Erfolg. Was also tun? Ganz klar, einer der<br />

drei muss aufgegessen werden. Aber die<br />

Entscheidung darüber, wer aufgegessen<br />

wird, machen sich die drei nicht leicht.<br />

Demokratie, Gerechtigkeit und ähnliche Themen werden intensiv bemüht,<br />

bis es zu einer überraschenden Entscheidung kommt.<br />

Premiere der Theater-AG des Seminars Blaubeuren im Café 4 am 17. 11. 2002<br />

Unsere Besetzung: Der dicke Schiffbrüchige: Philipp Heideker – Der mittlere<br />

Schiffbrüchige: Sebastian Thimm – Der schmächtige Schiffbrüchige:<br />

Andreja Dörr – Ein Briefträger: Bettina Wagner – Ein Laki: Leonie Eckert<br />

Geplant ist die Teilnahme an den Schultheatertagen am Ulmer Theater im<br />

Juni 2003<br />

1624


Daniel Anhorn, Paul-Theodor Bräuchle, Helen Duhm,<br />

Rebekka Eberhardt, Teresa Frick, Mirjam Gerber, Sarah Gläser,<br />

Claudia Göhring, Katharina Heyer, Salome Hölzle, Stephanie Jaekel,<br />

Jitka Kehrel, Ferdinand Koch, Daniel Köhler, Anita Kötter,<br />

Benjamin Krebs, Elisabeth Kremer, Hanna Kungl,<br />

Anne Nonnenmann, Max Rang, Dorle Reichelt, Johanna Rothaupt,<br />

Friedemann Samrock, Benjamin Schneider, Berta Schüle,<br />

Anne-Christin Wahl, Hosea Walter<br />

zu Preisen beim Mann-Preis-Wettbewerb 2002, und zwar<br />

2. Preis: Antje Griasch<br />

Anerkennung: Thomas Däubler<br />

zum Scheffelpreis 2002<br />

Anne-Christin Wahl<br />

Abiturienten 2002<br />

Wir gratulieren<br />

zum Bogner-Oppermann-Preis 2002<br />

Anne Nonnenmann<br />

zu Preisen der Landeskirche im Fach Religion<br />

Sarah Gläser<br />

Anita Kötter<br />

zu Preisen der Stiftung Humanismus Heute<br />

Rebekka Eberhardt<br />

Salome Hölzle<br />

Sarah Gläser<br />

zu einem Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft<br />

Mirjam Gerber<br />

Zu Fachpreisen für hervorragende Leistungen<br />

in verschiedenen Fächern<br />

Helen Duhm, Rebekka Eberhardt, Teresa Frick, Mirjam Gerber,<br />

Sarah Gläser, Katharina Heyer, Salome Hölzle, Anita Kötter,<br />

Elisabeth Kremer, Hanna Kungl, Anne Nonnenmann, Johanna<br />

Rothaupt, Benjamin Schneider, Anne-Christin Wahl und<br />

Hosea Walter<br />

1625


Terminkalender 2001/2002 Maulbronn<br />

10. 9. 2001 Aufnahmefeier der Promotion 2001-2006<br />

11./12. 9. Einführungsfreizeit für Klasse 9 auf dem Füllmenbacher Hof<br />

5. 11. Pädagogischer Tag mit den Kolleginnen und Kollegen aus<br />

Blaubeuren<br />

21. 11. Vom Seminar gestalteter Schülergottesdienst zum Buß- und<br />

Bettag, im Anschluss daran Exkursion ins Melanchthonhaus in<br />

Bretten<br />

14. 12. Hausmusik im Advent<br />

20. 12. Seminarweihnachtsfeier mit traditionellem Weihnachtsspiel der<br />

Klasse 9<br />

6. 2. 2002 Faschingsparty im Seminar – ›Thema Horror‹<br />

20.–22. 2. Gemeinsame Musikfreizeit in Ochsenhausen der Seminare<br />

Blaubeuren und Maulbronn<br />

22./23. 2. Aufführungen von B. Peder Holbech, Missa brevis rhythmica,<br />

und John Rutter, Magnificat, in Blaubeuren und Maulbronn unter<br />

der Leitung von KMD J. Budday<br />

24. 2. Tag der Offenen Tür<br />

9. 3. Abschlussball des Tanzkurses der Klasse 9<br />

16. 3. Präsentation des wiederhergestellten Zyklus ›Basler Totentanz‹<br />

von HAP Grieshaber in der Abt-Entenfuß-Halle,<br />

Sponsoren: Inner Wheel Club Kraichgau-Stromberg<br />

16. 4. Besuch der Promotion 1940/41 bei Klasse 10 im Rahmen des<br />

Gemeinschaftskundeunterrichts zum Thema ›Das Seminar im<br />

Dritten Reich‹<br />

18. 5. Eröffnungskonzert der Maulbronner Klosterkonzerte<br />

29. 5.–2. 6. Schwerpunktveranstaltungen der Musica Sacra 2002<br />

unter dem Thema ›Weg nach Innen‹, am 1. 6. Chornacht mit<br />

dem Maulbronner Kammerchor, dem Bonner Kammerchor<br />

und dem Grupo Canto Coral aus Buenos Aires<br />

7.–30. 6. Große Hesse-Ausstellung in der Abt-Entenfuß-Halle in<br />

Zusammenarbeit mit der Stadt Maulbronn<br />

12. 6. Aufzeichnung einer großen Hesse-Sendung des SWR im<br />

Kreuzganggarten ›Hermann Hesse – Wegbereiter eines neuen<br />

Denkens?‹<br />

17.–20. 6. Landexamen in Kürnbach<br />

23. 6. Plätzlesturnier mit 16 Mannschaften ehemaliger und jetziger<br />

<strong>Seminaristen</strong><br />

24.–28. 6. Segelschullandheim Klasse 9 in Überlingen, Städtefahrt Klasse<br />

10 nach Straßburg<br />

20. 7. Fahrradexkursion der Klasse 9 zur römischen Villa Rustica in<br />

Enzberg<br />

23. 7. Abschlussfeier mit Verabschiedung der Klasse 10<br />

1626


Terminkalender 2001/2002 Blaubeuren<br />

14.-21.9. 2001 Studienfahrt des Jahrgangs 13 nach Rom, Sorrent und an die<br />

Spree<br />

16. 9. Jazzfrühstück im Kreuzgarten<br />

30. 9. Klosterkonzert: Klavier-Abend Martin Vorreiter<br />

14. 10. Seminar im Seminar: Vortrag von Dr. Brigitte Wilke »Sophokles,<br />

Aias«<br />

25. 10. Abschiedsfest für Hausmeister Hans Schwarzenbolz<br />

11. 11. Klosterkonzert: Peer Gynt-Suite, Orchester des Seminars<br />

8. 12. so genanntes »Edelfest« im Neubau<br />

16. 12. Weihnachtsmusik des Seminars<br />

18. 1. 2002 Probenfreizeit der beiden Seminare in Blaubeuren<br />

30. 1. Exkursion des Leistungskurses Geschichte der Kl. 12 nach<br />

Nürnberg mit Frau Uhl<br />

20.–22. 2. Musikfreizeit der beiden Seminare in Ochsenhausen<br />

22. 2. Konzert der beiden Seminare in der Stadtkirche:<br />

Rutter, Magnificat; Holbech, Missa Rhythmica<br />

2. 3. Klosterkonzert: Duo Pao Blues und Jazz<br />

3. 3. Seminar im Seminar: Vortrag von Prof. Dr. Holger Sonnabend,<br />

Stuttgart: »Römische Exilliteratur: Cicero, Ovid, Seneca«<br />

15./16./17.3. Aufführungen der Theater-AG: Oscar Wilde, »Eine Frau ohne<br />

Bedeutung«<br />

21. 3. Fachpraktische Abiturprüfung in Musik<br />

22. 3. Blues-Abend mit Roland Ganzenmüller<br />

9.–22. 4. schriftliches Abitur<br />

12. 4. Konzert der PreisträgerInnen von »Jugend musiziert« des Alb-<br />

Donau-Kreises im Dorment<br />

14. 4. Kabarett »Kulturbeutel«, Ulm, mit Albrecht Schmid, im Dorment<br />

25. 4. Festakt im Hörsaal zum 50. Landesjubiläum<br />

Grußadresse der Jahrgangsstufe 13 aus Süd-Baden<br />

28. 4. Klosterkonzert: Kammermusikabend »Jugend musiziert«<br />

2.–5. 5. Kirchenmusikalische Exkursion nach Leipzig<br />

7. 5. Abschiedsfest für die Küchenleiterin Irene Wegst<br />

14.–29. 5. Studienfahrt nach Griechenland<br />

2. 6. Klosterkonzert: Viola und Violoncello<br />

21./22. 6. Chorfahrt nach Möhringen bei Tuttlingen<br />

Kirchenkonzert zum Jubiläum »50 Jahre Kreuzkirche Möhringen«<br />

24./25. 6. mündliches Abitur<br />

29. 6. Abitur-Abschlussfeier<br />

30. 6. Schüler des Musikleistungskurses 12 konzertieren im Dorment<br />

8.–14. 7. Klasse 11 in Prag<br />

14. 7. Klosterkonzert: 6 Duos von J. Haydn<br />

20./21. 7. »24-Stunden-Kick« Ev. Jugendwerk gegen Ev. Seminar<br />

28. 7. Klosterkonzert: El Canto de la Gitarra<br />

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