württembergische seminar-nachrichten - Seminaristen Online
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2002 45. Heft<br />
WÜRTTEMBERGISCHE SEMINAR-NACHRICHTEN<br />
Mitteilungsblatt des Hilfsvereins für die Evangelischen Seminare<br />
1565
Inhalt<br />
Andacht (Klein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01567<br />
Die Uracher Seminarfamilie (Bloedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01571<br />
Dank der Evangelischen Landeskirche (Dieterich) . . . . . . . . . . . . . 01578<br />
Ansprache (Renz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01582<br />
Abschied aus Maulbronn (Henrich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01590<br />
Abitur 2002 und dann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01597<br />
Aus dem Kassenbuch des Rechners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01611<br />
Kurz notiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01612<br />
Unsere Jüngsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01620<br />
Abiturienten 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01625<br />
Wir gratulieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01625<br />
Terminkalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01626<br />
Titelbild: Blick in den Innenhof des ehem. Seminars, heute Stift Urach. Foto Walter Röhm, Bad Urach<br />
Die Schriftleitung für die Seminar<strong>nachrichten</strong> liegt beim Evang. Seminar Blaubeuren,<br />
89143 Blaubeuren, Klosterhof 2<br />
Unsere E-Mail-Adressen:<br />
Blaubeuren: evsem@ev<strong>seminar</strong>.ul.bw.schule.de<br />
Maulbronn: ephorat@aol.com<br />
Herausgeber: Hilfsverein für die Evang. Seminare Württemberg e.V.<br />
Konto Nr. 1 638 660 Kreissparkasse Blaubeuren (BLZ 630 500 00)<br />
Für dieses Heft verantwortlich: Ephorus G. Klein, OStR G. Adam, Blaubeuren<br />
Hergestellt in der Grafischen Werkstätte der Gustav Werner Stiftung zum Bruderhaus, 72762 Reutlingen<br />
Auflage: 2400<br />
Beilagenhinweis: Faltblatt »Die Evangelisch-theologischen Seminare Maulbronn und Blaubeuren«.<br />
Einem Teil der Auflage liegt ein Überweisungsträger des Hilfsvereins für die Evang. Seminare Württemberg bei.<br />
1566
Eröffnungsgottesdienst<br />
zum Schuljahranfang<br />
am 3. September 2002<br />
im Chor der Klosterkirche Blaubeuren<br />
Liebe Eltern,<br />
liebe Schülerinnen und Schüler,<br />
von Ephorus Gerhard Klein<br />
freie Flächen, großflächige Wände in unseren Städten sind meist voll von<br />
Graffiti. Unsere Klostermauer, vor nicht allzu langer Zeit frisch gestrichen,<br />
blieb nur wenige Tage unberührt, da begannen jene Graffiti-Künstler wieder<br />
ihr Werk. Man mag das bedauern, aber doch ist diese Kunst schon<br />
sehr alt. Auch in diesem ehrwürdigen Chorraum unserer Klosterkirche<br />
finden sich Graffiti, dort an der Südwand oberhalb des Chorgestühls.<br />
Lauter <strong>württembergische</strong> Pfarrersnamen können wir da lesen; kein wirklich<br />
berühmter ist darunter.<br />
Anders ist es mit einem Mann, der sich oben im Dorment verewigt hat.<br />
Sie finden den Namen oben bei der Uhr, dort, wo die Podeste stehen, und<br />
er gehört zur ersten Promotion nach der Neugründung des Seminars im<br />
Jahr 1817: »1818« steht dort und der Name »Hauff«. Es ist Wilhelm Hauff,<br />
der sich da verewigt hat, der romantische Erzähler, vor allem Märchenerzähler.<br />
Noch in diesem Jahr – am 29. November – feiern wir Hauffs 200.<br />
Geburtstag.<br />
Berühmt geworden ist er auch durch seinen Roman »Lichtenstein«, in<br />
dem eine Burg in so attraktiver Weise beschrieben wird, dass man danach<br />
der Meinung war, man müsse diese Burg so auch bauen. Man tat es, und<br />
noch heute thront sie auf der Alb hoch über dem Echaztal, wunderschön<br />
auch aus der Ferne anzuschauen. Der Held in diesem Roman – und darauf<br />
zielt meine Einleitung – hat einen Wahlspruch, eine Losung. Und ich<br />
vermute, der Autor Wilhelm Hauff hat sich da an seinen Lateinunterricht<br />
am Seminar erinnert; denn er hat dieses Motto dem Dichter Horaz entnommen.<br />
Es heißt:<br />
Si fractus illabatur orbis,<br />
impavidum ferient ruinae.<br />
Horaz, carm. 3,3,7f.<br />
Wenn die ganze Erde zerbrechen und in sich zusammenfallen sollte, dann<br />
werden die Trümmer auf einen unerschütterbaren Menschen treffen.<br />
1567
Es ist der stoische Weise, liebe Seminargemeinde, der uns hier als Ideal<br />
vor Augen gestellt wird, der charakterfest alles Schlimme, alles Unheil,<br />
schwerwiegende Schicksalsschläge und auch alle kleineren Unannehmlichkeiten<br />
an seinem unerschütterbaren Ich abprallen lässt, der Krankheit,<br />
Tod, Unglücksfälle als äußere Ereignisse abtut, die ihn im Innern, im<br />
Eigentlichen nicht treffen können.<br />
Früher habe ich zur Veranschaulichung oft gesagt: Das Ich des stoischen<br />
Weisen steht wie ein Fels in der Brandung. Die Fernsehbilder von den<br />
furchtbaren Überschwemmungen des vergangenen Monats bringen uns<br />
diese Vorstellung nun greifbar nahe. Wenn wir etwa an Prag denken, eine<br />
Stadt, die uns durch Frau Uhls jährliche Fahrten sehr nahe steht: Da sehen<br />
wir den Nepomuk hoch erhaben und unantastbar auf der Karls-Brücke,<br />
während in der einen Richtung die Kleinseite im Hochwasser der Moldau<br />
untergeht und auf der anderen Seite die Altstadt gerade noch einigermaßen<br />
gerettet werden kann. Eine Statue aus Bronze, der ein Hochwasser,<br />
eine Flut auf Zeit nichts anhaben kann!<br />
Ja, so ist das Lebensideal der Stoa, das uns bei Horaz ebenso begegnet<br />
wie bei Cicero und Seneca, das sich übrigens in diesem Punkt vom epikureischen<br />
Ideal kaum unterscheidet. Es war das Ideal des gehobenen<br />
Bürgertums damals überhaupt!<br />
Und es stellt sich mir heute bei meinem – wie Sie wissen – letzten Schuljahrsanfangsgottesdienst<br />
die Frage:<br />
Ist dieser stoische Held auch das Lebensideal, das wir unseren Schülerinnen<br />
und Schülern drei Jahre lang vermitteln wollen, damit sie in ihrem<br />
Leben mit allen Problemen und Schwierigkeiten fertig werden? Ist eine<br />
Auffassung von Menschsein tragfähig, die darauf setzt, das Ich so stark<br />
zu machen, dass alle erschütternden Ereignisse und Probleme daran<br />
abprallen, ob das nun eher belanglose Dinge sind oder auch tiefgreifende<br />
Erschütterungen wie<br />
– Fragen der eigenen Lebensbewältigung oder<br />
– Beziehungsprobleme oder<br />
– schulische Schwierigkeiten?<br />
All dies wird ja nicht ausbleiben.<br />
Um es klar zu sagen: Ich werde jetzt nicht die Theologie und den christlichen<br />
Glauben diesem antiken Denken entgegenstellen! Ich weiß zwar<br />
nicht, wie tragfähig jene stoische Haltung ist, und ich gebe zu: Ich habe<br />
da meine Zweifel. Aber mancher Psychologe und manche Psychotherapeutin<br />
werden bei der Idee der Ich-Stärkung in Jubelrufe ausbrechen.<br />
Und ich selbst bin der Letzte, der sich nicht mitfreut, wenn Leben auf<br />
diesem Weg – dem Weg der Stoa, dem Weg der Psychologie – gelingt!<br />
1568
Aber ich möchte Ihnen von der Bibel her eine zweite Möglichkeit anbieten<br />
und wähle dazu Worte aus dem Psalm, den Herr Reuß vor sechs Wochen<br />
beim Schuljahrsabschlussgottesdienst ins Zentrum gestellt hat, und versuche<br />
so eine Brücke zu schlagen vom alten zum neuen Schuljahr.<br />
In Psalm 91 heißt es in einer textnahen Übersetzung sehr anschaulich:<br />
Vers 2: Der Herr ist meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf<br />
den ich vertraue.<br />
Vers 3: Denn er holt dich heraus aus der Falle des Schlingenlegers,<br />
aus dem Rachen der Pest. Er deckt dich mit seinen Schwingen,<br />
unter seinen Flügeln kannst du dich bergen. Seine Treue ist wie<br />
ein großer Schild, wie ein Schutzwall.<br />
Vers 5: Du musst dich nicht fürchten,<br />
nicht vor dem Schrecken der Nacht,<br />
nicht vor dem Pfeil, der am Tag daherfliegt,<br />
nicht vor der Seuche, die im Finstern umgeht,<br />
nicht vor dem Fieber, das mittags Gewalt tut.<br />
Vers 7: Und wenn auch tausend neben dir sterben und zehntausend in<br />
deiner Nähe – dich trifft es nicht!<br />
Vers 9: Ja, du, Herr, bist meine Zuflucht!<br />
Ich denke, Sie alle empfinden die starke Parallelität zwischen dem Horaz-<br />
Zitat: Wenn die ganze Erde zerbrechen und in sich zusammenfallen sollte,<br />
dann werden die Trümmer auf einen unerschütterbaren Menschen treffen;<br />
und dem Psalmwort: Wenn auch tausend neben dir sterben und zehntausend<br />
in deiner Nähe – dich trifft es nicht!<br />
Und zugleich erkennen wir, dass es ein völlig anderer Denk- und Erfahrungshorizont<br />
ist, der sich im Psalm auftut. Es ist der Horizont des Glaubens<br />
an einen unerschütterbaren Gott, der den, der ihn anruft, hält.<br />
Die Ermutigung des 91. Psalms besteht in dem Bekenntnis einer überwältigenden<br />
Gotteserfahrung. Hier hat ein Mensch Gott, den »Höchsten«, als<br />
seinen eigenen Gott erlebt, als den ihm persönlich Zugewandten, der ihm<br />
»Zuflucht« bietet.<br />
Und – er ist überzeugt davon, dass seine persönliche Erfahrung nicht etwas<br />
Singuläres, Außergewöhnliches ist, sondern dass jeder, jede sie machen<br />
kann. Hier spricht kein autarker, selbstbestimmter Mensch, der davon ausgeht,<br />
dass er selbst immer und überall für sich selbst aufkommen muss.<br />
Hier spricht einer, der weiß, dass er ein Angewiesener ist, angewiesen auf<br />
einen Anderen, auf Schutz, auf Heimat und Geborgenheit.<br />
1569
Dabei lässt er sich nicht täuschen, erliegt keinen Versprechungen und Illusionen.<br />
Die Welt, in der er lebt, ist keine heile Welt – und alles andere als eine<br />
Idylle. Sie ist Wüste, Feindesland, Siechenhaus, Kampfschauplatz. Alle<br />
Bilder, die der Psalmist benützt, zielen auf das Gleiche: auf die Feststellung<br />
von der äußeren und inneren Bedrohtheit des Menschen. Die Fülle und Vielfalt<br />
der Gefahrenbilder sollen die Zuhörer aber nicht entmutigen oder gar<br />
erschrecken. Der Psalmist will vielmehr damit zeigen, dass Gott inmitten<br />
aller Schrecken und Bedrohungen anwesend ist, dass er den Menschen<br />
gerade dort aufsucht und ihn von dort in die Geborgenheit rettet.<br />
Liebe Schülerinnen und Schüler,<br />
ich weiß natürlich nicht genau, mit welchen Gefühlen und Erwartungen<br />
Sie heute nach Blaubeuren gefahren sind. Ich denke hoffentlich zu Recht,<br />
dass sie weit entfernt sind von dem, was unser Psalmist in seinen Bildern<br />
anklingen lässt, von Wüstenwanderung, sengender Sonne, von lauernden<br />
Feinden, Fallstricken und Gruben. Ja, ich hoffe, ich kann Ihnen allen<br />
– insbesondere den Neuen – drei gute, schöne und erfüllte, fruchtbare und<br />
erfolgreiche Jahre hier am Blaubeurer Seminar versprechen.<br />
Unsere Erfahrungen sind so, dass uns hier im Allgemeinen sehr bewusst<br />
ist, dass wir aufeinander Angewiesene sind, dass wir deshalb füreinander<br />
da sind und füreinander eintreten, so, dass Leben im Miteinander gelingen<br />
kann.<br />
Trotzdem werden uns allen die schwierigen Situationen nicht erspart bleiben.<br />
Ich denke an Misserfolge, Engpässe, Sorgen und Ängste im schulischen<br />
Bereich. Auch im privaten Bereich wird das Negative nicht ausbleiben.<br />
Freundschaften und Beziehungen können brechen oder zerbrechen. Und wir<br />
kennen das bohrende Gefühl, nicht oder nicht voll akzeptiert zu sein.<br />
Und dann werden uns viele Stimmen umgeben: schreiende, drohende,<br />
angstvolle, hass- und neiderfüllte. Die Stimme des Psalmisten dagegen<br />
ist leise, man kann sie leicht überhören. Aber ich hoffe, dass sie uns heute<br />
erreicht und dass sie mit uns geht in dieses Schuljahr hinein, die Stimme<br />
mit ihrer wunderbaren Ermutigung von Gott, dem Höchsten, der sich gütig<br />
und liebevoll um uns kümmert.<br />
Es mag sein, dass alles fällt,<br />
dass die Burgen dieser Welt<br />
um dich her in Trümmer brechen.<br />
Halte du den Glauben fest,<br />
dass dich Gott nicht fallen lässt:<br />
er hält sein Versprechen.<br />
Rudolf Alexander Schröder, EG 378<br />
Anmerkung: Teilen dieser Ansprache liegt eine Predigt zu Grunde, die Hildegund Fischer beim<br />
Gottesdienst zur Verabschiedung von Oberstudiendirektor Kast, Heidehofgymnasium, hielt.<br />
1570
Die Uracher Seminarfamilie<br />
am 28. Mai 2002<br />
Natürlich waren es viele Ältere, die sich an diesem Tag im Stift Urach<br />
trafen: Vor 25 Jahren hatte ja das Evangelisch-theologische Seminar<br />
schließen müssen. Deshalb fand dieses Enthüllungstreffen an einem<br />
Dienstag in den Pfingstferien statt: <strong>Seminaristen</strong> aus Blaubeuren hätten<br />
aktiv dabei sein sollen. Und trotzdem waren die Veranstaltungen fast bis<br />
auf den letzten Platz besetzt. Morgens sprach Kirchenrat Helmut Weingärtner<br />
(55/59) über »Überlegungen zur Zukunft der Seminare«. (Sein<br />
geplanter Beitrag kann wegen der offenen Entwicklung im Jahr 2002 und<br />
des Redaktionsschlusses leider nicht abgedruckt werden.) In der engagierten<br />
Aussprache wurde vehement die Fortführung der beiden jetzt<br />
bestehenden Seminare als »Mindestforderung« laut. Beim gemeinsamen<br />
Mittagessen konnten wir auch ehemalige Lehrer begrüßen. Und dann<br />
wurden es immer mehr Teilnehmer. Die eine Hälfte zog es nachmittags zu<br />
der sachkundigen Führung von Ephorus i. R. Dr. F. Schmid in die Amanduskirche<br />
und die andere begeisterte sich im »großen Hörsaal« an dem<br />
Schmalfilm von Prof. Dr. Thomas Meyer (40/41), der 1976/77 im letzten<br />
Jahr noch Griechisch zu geben hatte. Ein weiterer Griff in die Nostalgiekiste<br />
ergänzte diese Bilder: Aus dem Krankentagebuch ab 1945 wurde<br />
Ergötzliches – mit Einverständnis der Betroffenen – dargeboten.<br />
Als Höhepunkt war sie gedacht und zum Höhepunkt wurde sie: die Enthüllung<br />
der beiden Gedenktafeln. Unter medialer Begleitung, mit nicht<br />
allzu vielen Grußworten versehen (die alle nachgelesen werden können),<br />
wurde spürbar, was ein Pressebericht so überschrieb: Gegenbild<br />
zur Massenbildung. Es ging nicht um Nostalgie, nicht um Trauer, dass<br />
es 25 Jahre dauerte, bis die Präsenz der Seminarzeit 1818–1977 einen<br />
adäquaten Ausdruck gefunden hatte. Nein, es ging – und ich entscheide<br />
mich bewusst für diesen Ausdruck – um den Geist des Seminars und um<br />
die Seminarfamilie Schöntal/Urach. Die Schlichtheit der Tafeln soll auch<br />
davon künden, dass keine Heroisierung geplant war. Weder die Zeiten<br />
des Dritten Reiches noch der beiden Weltkriege fehlen, noch das Wissen<br />
um viele Traumatisierungen in entscheidenden Lebensjahren. Besonders<br />
wichtig war und ist uns die Verbindung zu den jetzigen Seminaren mit<br />
ihren komplexen Schulproblemen: und wieder eine Oberstufenreform.<br />
Das Wetter hatte gehalten. Aus dem Innenhof machten sich viele Besucher<br />
auf, um den liebevoll gerichteten Abendimbiss zu sich zu nehmen.<br />
Zuletzt war kein Stuhl im Erdgeschoss des Hauses mehr frei, aber alle<br />
wurden satt. Wie viele Gespräche wurden geführt, was für bewegende<br />
Szenen spielten sich ab. Und so war es gut, dass sich danach im Chor<br />
1571
der Amanduskirche zur Andacht mit Choralsingen fast alle einfanden.<br />
Gerhard Steiff (52/56) zusammen mit Prälat i. R. Heinrich Leube (38/41)<br />
gestalteten dies, was Dr. Wilfried Brandt (54/58) eine »Heimkehr« nannte.<br />
Was für ein Abschluss! Meine gastgebende Promotion (43/48) saß dann<br />
noch mit einigen anderen Freunden bei einer Hocketse im Stiftskeller bis<br />
über Mitternacht hinaus.<br />
Es sei nicht verschwiegen, dass dem vorbereitenden Arbeitskreis manche<br />
Mühe ins Haus gestanden hatte und auch noch nicht alles Geplante<br />
vorhanden war. Aber dieser schöne Tag machte alles wieder gut und bei<br />
der Schlussabrechnung der Geldspenden für das 4525,76 EURO teure<br />
Projekt stellte sich heraus, dass sogar noch 535,09 EURO übrig blieben,<br />
die dem Seminarhilfsverein überwiesen werden konnten. Allen Spendern<br />
– aus den Promotionen 1922 (!) bis 1977 – möchte ich im Namen des<br />
Arbeitskreises sehr herzlich danken und denen, die noch nicht zum Überweisen<br />
kamen, den beiliegenden Überweisungsträger empfehlen: Der<br />
Seminarhilfsverein hat’s nötiger denn je.<br />
Unsere der Landeskirche übereigneten Spendenobjekte sind nun in der<br />
Obhut des Uracher Stifts. Dr. Udo Hofmann, der Leiter desselben, sprach<br />
es bei der Begrüßung am 28. Mai so aus: »Ich verspreche, dass wir alles,<br />
was wir heute von Ihnen geschenkt bekommen, in Ehren halten und dafür<br />
sorgen werden, dass dadurch möglichst viele Menschen von der guten<br />
Vergangenheit und Gegenwart der Seminare erfahren und ihnen etwas<br />
von dem Geist vermittelt wird, von dem wir alle zehren.«<br />
Schauen Sie sich doch bei Gelegenheit in Urach die Tafeln, die kleine Vitrine<br />
und die PC-Station mit der kleinen »Handbibliothek« an. Dort ist noch<br />
Platz für weitere Bücher über das Seminar Urach und seine Geschichte.<br />
Sollten Sie etwas übrig haben und gerne in gute Hände übergeben,<br />
dann wenden Sie sich an unsern »Mann vor Ort«, Pfarrer i. R. J. Ernst,<br />
Frischlinweg 5, 72574 Bad Urach, Telefon 0 71 25 / 1 46 21 (48/52). Er<br />
ist gerne bereit, etwas entgegenzunehmen, zu prüfen und einzuordnen.<br />
Wann wird sich die »Uracher Seminarfamilie« wieder treffen? Es wird zwar<br />
2005 wieder ein Seminarjubiläum geben, aber manche wollen eigentlich<br />
nicht so lange warten . . .<br />
Dieter A. Bloedt (43/48)<br />
www-Adressen:<br />
Seminare Maulbronn/Blaubeuren: www.ev<strong>seminar</strong>.ul.bw.schule.de<br />
<strong>Seminaristen</strong>forum: www.<strong>seminar</strong>isten-online.de<br />
Hier findet sich ein Beitrag von H. Breymayer (37/41):<br />
»Die <strong>württembergische</strong>n Klosterschulen und Seminare«<br />
eine kurze Darstellung ihrer Geschichte<br />
1572
Grußwort des Bad Uracher Kulturamtsleiters Braun<br />
Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />
im Namen von Herrn Bürgermeister Markus Hase heiße ich Sie alle herzlich<br />
willkommen in Urach. Der Anlass, aus dem Sie gekommen sind, ist<br />
ein erfreulicher; um so mehr tut es dem Herrn Bürgermeister leid, dass<br />
er heute nicht unter Ihnen sein kann. Bitte nehmen Sie seine herzlichen<br />
Grüße entgegen.<br />
Als schwacher Ersatz stehe ich heute vor Ihnen und empfinde es als große<br />
Ehre, dass ich zu Ihnen sprechen darf.<br />
Ich bin noch nicht so lange im Amt, erst seit Dezember letzten Jahres, und<br />
doch habe ich folgenden Satz schon einige Male zu hören bekommen:<br />
»Wissen Sie, seit das Seminar nicht mehr hier ist, ist Urach geistig ein<br />
Stückle weniger geworden.«<br />
Ich verweise dann stets darauf, dass Urach mit dem Graf-Eberhard-Gymnasium<br />
doch eine bekannt gute höhere Bildungseinrichtung habe. Das<br />
habe damit nichts zu tun, bekomme ich dann zur Antwort, das sei etwas<br />
ganz anderes.<br />
Ja, wo liegt denn der große Unterschied?<br />
Ist es vielleicht nicht nur der verklärte Blick auf die Stätte der Jugend, der<br />
bei denjenigen zu einer solchen Einschätzung führt, die im Seminar waren<br />
oder es eben gut kannten?<br />
Sicherlich nicht nur. Nach einem chinesischen Sprichwort »malt die Vergangenheit<br />
mit goldenem Pinsel.« Das mag dahingestellt sein. Doch es<br />
dürfte nicht nur Nostalgie sein, was diesen deutlichen positiven Ton in die<br />
Erinnerungen an diese historische Bildungsstätte bringt.<br />
Ich habe die Frage für mich zu beantworten versucht und habe drei mögliche<br />
Antworten gefunden. Falls ich arg danebenliege, bitte ich dies meiner<br />
fehlenden Zeitzeugenschaft zuzurechnen.<br />
1.<br />
Es könnte wohl das räumliche Beieinander einer überschaubaren Zahl<br />
von Schülern mit einer ebenso überschaubaren Anzahl von Lehrkräften in<br />
einer Heimschule gewesen sein, das ein besonderes Klima schuf.<br />
Die Möglichkeit, sich gegenseitig auch auf Ebenen kennen zu lernen, die<br />
sozusagen außerdienstlich bzw. außerschulisch anzusiedeln sind, bringt<br />
eine besondere, nicht näher zu beschreibende Atmosphäre hervor, die<br />
1573
auch die kennen, die nicht in einer Heimschule waren, aber so Dinge wie<br />
Schullandheime u. ä. kennen gelernt haben. Nach einer solchen intensiven<br />
Begegnung ist im Schüler-Lehrer-Verhältnis fast nichts mehr so, wie<br />
es vorher war. Für die Arbeitsatmosphäre in der Schule können daraus<br />
ganz besonders gute Effekte gewonnen werden. Das alles muss natürlich<br />
nicht zwangsweise nur etwas Positives sein; war es das aber, bleibt die<br />
Erinnerung daran lebenslang auch positiv.<br />
2.<br />
Ein Zweites mag auch dazu gehören: die nicht lebenszweckgerichtete<br />
Ausrichtung des Lehrstoffes an einem humanistischen Gymnasium. Das<br />
Ideal eines möglichst breiten Lehrfundaments, das nicht ausbilden, sondern<br />
bilden will, und das bei allem pädagogischen Ernst einen gewissen<br />
spielerischen Zug besitzt, kann einen guten schulischen Nährboden bilden,<br />
der nicht ausschließlich Schöngeister hervorzubringen geeignet ist,<br />
sondern, wie zu beweisen ist, auch Vertreter der angewandten Wissenschaften,<br />
die ihrer Spezialdisziplin aber dadurch nicht ausgeliefert sind,<br />
sondern darin von einem geistigen und geistlichen Unterbau gehalten<br />
werden.<br />
3.<br />
Und zuletzt mag vielleicht auch das gewisse Bewusstsein, einer Elite<br />
anzugehören, Mitglied einer kleinen homogenen Gruppe von humanistisch<br />
Gebildeten zu sein, innerhalb einer kleinen Stadt, die sich nahezu<br />
ausschließlich dem Gewerbefleiß widmet, eine Art von Korpsgeist hervorgerufen<br />
haben, der sich heute wie damals auf die Gruppe auswirkt.<br />
Eine Zeitlang galten genau diese Züge in der pädagogischen und gesellschaftspolitischen<br />
Provinz nicht eben viel. Heute aber, unter dem Eindruck<br />
der Schieflage unseres Bildungswesens und seiner geistigen<br />
Motivation, kommt einem Modell, wie es die Seminare vertraten und<br />
glücklicherweise ja noch vertreten, vielleicht neue Bedeutung zu. Die<br />
benediktinisch geführten humanistischen Klostergymnasien auf katholischer<br />
Seite, die damit vielleicht vergleichbar sind und die sich weiterhin<br />
zunehmender Beliebtheit erfreuen, scheinen dafür ein Beweis zu sein.<br />
Vielleicht täte dem staatlichen Bildungswesen, das immer mehr unter<br />
den Druck eines Anforderungskatalogs volkswirtschaftlicher Interessen<br />
gerät, das Modell »Seminar« als Gegenmodell zur höheren Massenbildungsanstalt<br />
gut.<br />
Wenn dem so wäre, wären konsequente Schritte in dieser Richtung wünschenswert.<br />
Vielleicht sehen Sie das aber alles ganz anders.<br />
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht schließen, ohne Ihnen noch<br />
einen angenehmen Aufenthalt in unserem Bad Urach gewünscht zu haben.<br />
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
1574
Grußwort von Pfarrer Dr. Udo Hofmann, Leiter von Stift Urach<br />
Liebe Festversammlung!<br />
– 40 Jahre Haus der Brüder vom gemeinsamen Leben, – 6 Jahre<br />
Bibeldruckanstalt, – über 200 Jahre Uracher Leineweberzunft, – 7 Jahre<br />
Fohlenhof, – 159 Jahre Evangelisches Seminar, das sind die großen<br />
Abschnitte der Geschichte dieses Hauses, und an sie darf auch das Einkehrhaus<br />
mit seinen bisher 22 Jahren anknüpfen – zusammen mit den<br />
8 Jahren, in denen das Pastoralkolleg Urach hier gewirkt hat.<br />
Eine große und weite Geschichte mit Höhen und auch Tiefen. Beides<br />
wollen wir nicht vergessen.<br />
Alle diese Epochen haben dieses Haus geprägt, und viele, die uns besuchen,<br />
sagen, man spüre hier die besondere Atmosphäre, die von einer<br />
großen Vergangenheit zeugt und auch die Gegenwart trägt.<br />
Heute sind wir hier zusammengekommen, um des Evangelischen Seminars<br />
Urach zu gedenken, 25 Jahre nach seiner Schließung.<br />
Wir sind uns dessen bewusst, dass auch wir heute von dem Geist dieser<br />
Schule mit ihrer großen Ausstrahlung auf die Kultur Württembergs getragen<br />
sind.<br />
Um so mehr freut es mich, dass Sie heute einige sichtbare Spuren dieses<br />
Geistes bei uns hinterlassen wollen:<br />
– die beiden bronzenen Gedenktafeln,<br />
– einige Gegenstände, die stellvertretend sowohl vom geistigen Leben<br />
der Schule erzählen als auch davon anschaulich Kunde geben, wie für<br />
das leibliche Wohl hier gesorgt wurde,<br />
– und – wie könnte es in unserer Zeit anders sein?! – virtuelle, elektronische<br />
Zeugnisse, durch die man sich umfassend über die Evangelischen<br />
Seminare in Geschichte und Gegenwart und auch über die Evangelische<br />
Landeskirche in Württemberg im Allgemeinen informieren kann.<br />
Dies alles wollen Sie heute der Landeskirche und damit uns, dem Einkehrhaus<br />
als dem derzeitigen Nutznießer dieses schönen Hauses, schenken.<br />
Ich habe miterleben dürfen, mit welcher Begeisterung und Zielstrebigkeit,<br />
mit welchem Engagement und mit welcher Liebe zur Sache der<br />
Entschluss, dies alles herzustellen, zusammenzustellen und heute uns<br />
bereitzustellen, in die Tat umgesetzt wurde, und wie sorgfältig das heutige<br />
Fest vorbereitet worden ist. Dafür möchte ich auch von Seiten des Stifts<br />
herzlich danken. Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass das Fest gelinge<br />
und dass vom heutigen Tage Impulse in die Zukunft ausgehen. Ich verspreche,<br />
dass wir alles, was wir heute von Ihnen geschenkt bekommen,<br />
in Ehren halten und dafür sorgen werden, dass dadurch möglichst viele<br />
Menschen von der guten Vergangenheit und Gegenwart der Seminare<br />
erfahren und ihnen etwas von dem Geist vermittelt wird, von dem wir alle<br />
zehren.<br />
Nun wünsche ich Ihnen ein schönes Fest!<br />
1575
Grußwort von Ephorus Gerhard Klein<br />
Liebe ehemalige Uracher <strong>Seminaristen</strong> und vor allem:<br />
Sehr geehrter, lieber Herr Bloedt!<br />
Sie haben mich gebeten, im Namen der noch existierenden Seminare in<br />
Maulbronn und Blaubeuren am heutigen Tag ein Grußwort zu sagen. Ich<br />
könnte es mir jetzt ganz einfach machen und, zumal bei einem Grußwort<br />
Kürze gefragt ist, sagen:<br />
Das Seminar Blaubeuren grüßt als Nachfolge-Schule des Seminars Urach<br />
am heutigen Tag die ehemaligen Uracher <strong>Seminaristen</strong>, oder – wie man in<br />
einer akademischen Verbindung sagen würde – : die Aktivitas grüßt die so<br />
genannten Alten Herren!<br />
Ganz so einfach will ich mir’s doch nicht machen, sondern die Beziehung<br />
des heutigen Blaubeurer Seminars zum einstigen Uracher Seminar in<br />
zwei Aspekten ganz kurz nicht gerade ausleuchten, aber doch sozusagen<br />
anleuchten:<br />
1. Nachfolgeschule sind wir in der Tat in einem ganz äußeren, formalen<br />
Sinn: Schon immer waren die Seminare – bei aller Unterschiedlichkeit<br />
– eine Schule, bestehend aus vier Jahrgängen, seit zweieinhalb Jahrzehnten<br />
erweitert auf fünf Jahrgänge.<br />
Ganz formal sind wir im Seminar Blaubeuren zugleich die Schule der<br />
ehemaligen Uracher <strong>Seminaristen</strong>.<br />
Das heißt: Wenn Sie als ehemalige Uracher einen Besuch in Blaubeuren<br />
machen, dann besuchen Sie Ihre alte Schule, auch wenn der Ort und<br />
die Räume naturgemäß nicht dieselben sein können.<br />
Wenn ehemalige Uracher z. B. für ihren Rentenantrag eine Schulbescheinigung<br />
benötigen, erhalten sie diese im Blaubeurer Sekretariat.<br />
Und wenn sie wissen wollen, wie hervorragend sie einst in Latein und<br />
Griechisch waren, dann finden sich die Zeugnislisten von einst im<br />
Ephorat in Blaubeuren.<br />
2. Darüber hinaus – und das ist der zweite, wichtigere, weil innere Aspekt<br />
– gilt:<br />
Wir Blaubeurer verstehen uns auch so! Wir verstehen uns als Ihre, als<br />
die Uracher Nachfolgeschule. Wir fühlen uns nicht nur für die ehemaligen<br />
Blaubeurer <strong>Seminaristen</strong>, sondern ebenso für die Uracher <strong>Seminaristen</strong><br />
zuständig. Dass dies nicht nur Worte sind, können die ehemaligen<br />
Uracher ganz konkret erfahren, wenn sie z. B. mal in Blaubeuren ein<br />
Promotionstreffen veranstalten. Wir fühlen uns auch für sie zuständig,<br />
weil auch sie ehemalige Schüler unserer Schule sind.<br />
1576
Denn – und das ist doch die Idee des heutigen Tages – wir in Blaubeuren<br />
halten die Erinnerung an die Geschichte der Seminare wach und haben<br />
es leicht damit, weil uns noch immer dieselben Schwerpunkte bestimmen<br />
wie in den Zeiten des Seminars Urach, nämlich in der Theologie und in<br />
der Kulturgeschichte an die Wurzeln, an die Quellen zu gehen, Latein,<br />
Griechisch und noch immer sogar Hebräisch zu lernen.<br />
Hier in Urach, im heutigen Stift Urach, soll ab heute eine Tafel diese Erinnerung<br />
lebendig erhalten. Wir Blaubeurer wünschen dieser Idee und ihrer<br />
Umsetzung guten, bleibenden Erfolg. Wir ziehen sozusagen am gleichen<br />
Strang!<br />
Denn das, was hier in der Tafel zum Ausdruck kommt, ist nicht nur<br />
Erinnerung. Es ist zugleich ein Hinweis auf die noch bestehenden und<br />
übrigens lebendigen und seit Jahren wieder gefragten Seminare in<br />
Maulbronn und Blaubeuren.<br />
Vivat, crescat, floreat Seminarium!<br />
von links nach rechts: D. Bloedt (2. Vorsitzender des Seminar-Hilfsvereins),<br />
Altlandesbischof Renz, Kirchenrat Weingärtner, Ephorus Klein,<br />
Prälat Dieterich<br />
1577
Dank der Evangelischen Landeskirche Württemberg<br />
und von Stift Urach den ehemaligen <strong>Seminaristen</strong><br />
für die Gedenktafeln zur Erinnerung an das Seminar<br />
Urach 1818–1977 am 28. Mai 2002<br />
»Ich gedenke der alten Zeit, der vergangenen Jahre. Ich denke und sinne<br />
des Nachts und rede mit meinem Herzen«, heißt es im Psalm 77, 6.7. Und<br />
der Ton und Zusammenhang dieser Verse ist eher auf ein fragendes und<br />
fast grübelndes Moll gestimmt, etwa wie in jener Rede, die am 5. Juni<br />
1977 der einstige Uracher Seminarist Albrecht Goes als ›Abschiedswort‹<br />
vom Seminar Urach hielt. Sein trutzig-wehmütiges, ironisch John F. Kennedy<br />
entlehntes »Ich bin ein Uracher« klingt noch manchem im Ohr.<br />
Sie, liebe ›Uracher‹, liebe ehemalige Uracher <strong>Seminaristen</strong>, haben fünfundzwanzig<br />
Jahre danach der Landeskirche und dem Stift Urach diese<br />
beiden Tafeln geschenkt, die auch an die Seminarglocke erinnern, die<br />
1578
Sie in aller Frühe geweckt, Sie ebenso zu den Morgen- und Abendandachten<br />
wie zu den gemeinsamen Mahlzeiten gerufen hat, zu den Unterrichtsstunden<br />
im Hörsaal. Ein solch den Tag strukturierender Glockenton<br />
klingt gewiss durch Jahre und Jahrzehnte nach, weckt, führt zur Arbeit,<br />
erinnert aber auch an das Ende des Arbeitstages. Ich vermute, dass<br />
Ihnen die Strukturierung der Zeit, die der Glockenton gab, geblieben ist.<br />
Und auch die Einladung zur Stille und zum Gebet im Sinne des ›ora et<br />
labora‹.<br />
Und die Tafel, die an das Seminar Urach überhaupt erinnert, an diese<br />
159 Jahre, 1818 bis 1977, in denen hier vorwiegend künftige Theologen,<br />
aber auch Geistes- und Naturwissenschaftler, Lehrer, Historiker, Ärzte,<br />
Juris-ten, Techniker, Musiker, nicht zuletzt Dichter ausgebildet wurden<br />
in humanistischem wie christlichem Geist. Männer, die »zum Wohl des<br />
Landes und seiner Menschen« gewirkt haben.<br />
Die Evangelische Landeskirche in Württemberg dankt Ihnen herzlich für<br />
diese kostbare Gabe. Für Ihre Initiative. Für die Energie, sie in die Tat<br />
umzusetzen. Für den Geschmack, den Sinn für das Angemessene, mit<br />
dem Sie die Idee verwirklicht haben. Für das Geld, das Sie dafür einsetzen.<br />
Und nicht zuletzt auch für die heutige Feier, mit der Sie die Tafeln der<br />
Öffentlichkeit übergeben.<br />
Sie denken heute an Ihre eigene <strong>Seminaristen</strong>zeit zurück. Namen werden<br />
da eine Rolle spielen, Brecht, Stiefel, Bürck, Koch, dann besonders der<br />
Name des hier heute anwesenden letzten Ephorus Dr. Friedrich Schmid.<br />
Sie denken gewiss an die gründliche Bildung, die Sie hier erhielten, an<br />
erste Begegnungen mit dem Nt graece, mit Homer und Sokrates, mit der<br />
Biblia hebraica, aber auch mit Schiller, Hölderlin, Mörike, mit Hermann<br />
Hesse und Thomas Mann und wohl auch schon mit Bert Brecht, Franz<br />
Kafka, Albert Camus.<br />
Sie werden an Gottesdienste in der Amanduskirche denken. Als Sie unter<br />
der Kanzel saßen, an der vielleicht noch etwas an Karl Hartensteins Predigten<br />
erinnerte.<br />
Sie werden an Musikerlebnisse denken. An die Begegnung mit Heinrich<br />
Schütz und J. S. Bach so sehr wie mit Mozart, Schumann und vielleicht<br />
schon Hindemith, Bartok, Schönberg, Strawinski. Musik als Vorrecht von<br />
Menschen, die vor allem aufs Hören gestimmt sind, war hier ein Lebenselement.<br />
Vielleicht denken Sie auch an Spiel und Sport. Gehörten Sie vielleicht<br />
auch zu denen, die unter Absingen von Schillers »Wohlauf Kameraden,<br />
1579
aufs Pferd, aufs Pferd« zur Turnhalle schritten und sich dafür im Ermstalboten<br />
tadeln lassen mussten? »Frischauf, eh der Geist noch verdüftet«,<br />
haben Sie damals gesungen. »Und setzet ihr nicht das Leben ein, Nie<br />
wird euch das Leben gewonnen sein«, wahre, aber leider auch allzu oft<br />
missbrauchte Sätze . . .<br />
Die Tafeln, die Sie stiften, erinnern an eine geistige Tradition, in der<br />
zusammengehalten wurde, was zusammengehört: Seele, Geist und Leib;<br />
Gedanke und Tat, das Hören und das Reden; Himmel und Erde; das Göttliche<br />
und das Menschliche in seiner Gefährdung und Verheißung. Antike<br />
und Christentum. Philosophie und Theologie. Glaube und Naturwissenschaft.<br />
Dichtung und das Suchen in der Schrift.<br />
An alle diese Versuche, dem Zentrifugalen zu wehren, Auseinanderstrebendes<br />
zusammenzuhalten. »Starke Spannungen ergeben helle Funken«,<br />
sagt Bonhoeffer. Die kirchlichen Seminare halten – auch heute – fest an<br />
dieser spannungsvollen Einheit. Und sie tun damit einer Gesellschaft,<br />
die vom ›Verlust der Mitte‹ und darum von Erosionen, vom Auseinanderbröckeln<br />
und Auseinanderbröseln gezeichnet ist, einen wertvollen Dienst.<br />
Sie erinnern an dieses letzte Zusammengehören, das kein Mensch schaffen<br />
kann, das auch nicht in Ihrer Seminarzeit, auch nicht in der Zeit Mörikes<br />
und ebenso wenig zu Zeiten des Johannes Brenz und des Herzogs<br />
Christoph jemand ›machen‹ konnte. An die immer schon verlorene Einheit,<br />
die aber in Jesus Christus schon vor unserem Suchen und Machen<br />
aus dem Nichts neu geschaffenes Faktum ist, auf dessen Offenbarung<br />
wir zugehen und dessen Wegbereitung wir jetzt schon dienen wollen.<br />
Ihre Tafeln erinnern vor allem aber auch an Freundschaften, die Sie<br />
damals geschlossen haben. Viel zu wenig hat man in der Theologie das<br />
Phänomen ›Freundschaft‹ zu den Erhaltungsordnungen Gottes gezählt.<br />
Seit Eduard Mörike, Wilhelm Waiblinger, Friedrich Theodor Vischer,<br />
David Friedrich Strauß, Wilhelm Hartlaub bis in Ihre Jugendjahre gaben<br />
Freundschaften Halt und Orientierung; sie konnten sich in Urach entwickeln<br />
und gaben Ihnen Lebensfreude und Mut. Lebensfreundschaften<br />
sind entstanden. Mit Recht hat Ephorus Brecht zu diesen Freundschaften<br />
zitiert:<br />
Was vergangen, kehrt nicht wieder,<br />
Aber ging es leuchtend nieder,<br />
Leuchtet’s lange noch zurück.<br />
Albrecht Goes hat im Abschiedswort vor 25 Jahren auch an die ›Mathematik<br />
des geistigen Wirkens‹, wie sie Romano Guardini formuliert hat,<br />
erinnert: »Hundert mal eins ist hundert Mal mehr als einmal hundert«. Er<br />
1580
hat von der Würde des Einzelnen<br />
gegen den Machtanspruch<br />
des Kollektivs, von<br />
der kühnen Einsamkeit und<br />
Freiheit des Einen gesprochen.<br />
Und hat damit nicht der<br />
Freundschaft entgegengeredet,<br />
hat vielmehr nur angedeutet,<br />
wer zur Freundschaft<br />
fähig ist: der Mensch, der<br />
sich selbst werden darf.<br />
Ihre Tafeln, die nun auch<br />
unsere Tafeln werden, erinnern<br />
an das, was das Wort<br />
Seminar sagt: Pflanzschule.<br />
Pflanzschüler hätten sie einander<br />
bisweilen lachend genannt,<br />
sagte Albrecht Goes.<br />
Wo Lebendiges gepflanzt<br />
wird, da wachsen Früchte,<br />
oft lange Zeit im Boden, verborgen,<br />
vielleicht in winterlich<br />
erstarrter Erde – »Es wächst viel Brot in der Winternacht . . .« –, aber<br />
sie wachsen und sie tragen in sich Samen. Der Same ist mit den Kategorien<br />
von Effizienz und Effektivität nicht zu erfassen. Kein Computer zeichnet<br />
ihn auf. Nur die vertrauende Hoffnung nimmt ihn wahr. Er ist nicht tot.<br />
Er lebt. Auch heute in Urach, im Stift, in der Gemeinde, im Kirchenbezirk.<br />
Er lebt in der Landeskirche, trotz all der bedrängenden Probleme, mit<br />
denen wir uns mit offenem Ausgang herumschlagen. Mag vieles von diesem<br />
Samen verloren gehen. Ein Senfkorn kann zum Baum werden. Was in<br />
Urach gesät wurde, lebt und hinterlässt eine grüne Spur.<br />
Lassen Sie mich mein Dankeswort beschließen mit den letzten Zeilen von<br />
Mörikes ›Besuch in Urach‹. Er schildert, hinaufblickend zum Hohenurach,<br />
»wie die Wolken finstre Ballen schließen / um den ehrwürdgen Trotz der<br />
Burgruine«, wie »mit hoher Feuerhelle / der Blitz die Stirn und Wange mir<br />
verklärt« und er ruft »in die grelle Musik des Donners«:<br />
O Tal! du meines Lebens andre Schwelle!<br />
Du meiner tiefsten Kräfte stiller Herd!<br />
Du meiner Liebe Wundernest! ich scheide,<br />
Leb wohl! – und sei dein Engel mein Geleite!<br />
Prälat Paul Dieterich<br />
1581
Liebe Brüder vom gemeinsamen Leben,<br />
liebe Freundinnen und Freunde der Seminare,<br />
von 1477 an, also genau 500 Jahre vor der<br />
Schließung des Seminars Urach 1977, entstand<br />
der Uracher Mönchshof unter Graf<br />
Eberhard im Bart nach den Ideen von Gabriel<br />
Biel für die »Brüder vom gemeinsamen<br />
Leben«. Albrecht Goes hat wahrscheinlich<br />
recht, wenn er meinte: »etwas dergleichen<br />
wollten wir wohl auch sein«. Irgendwie hat<br />
das für uns <strong>Seminaristen</strong> alle gegolten, nicht<br />
nur im Tal der Erms, sondern auch im Tal der<br />
Jagst.<br />
»Wir Württemberger sind nun in der glücklichen Lage, dass wir in der<br />
Klosterschule eine Schulform von eigenartiger Geschlossenheit aufweisen<br />
können« (E II). Das habe ich bei meinem Schwiegervater gelesen.<br />
Er schrieb dies in einer wissenschaftlichen Abhandlung fürs Examen der<br />
Pädagogik an der Universität Tübingen im Jahr 1930. Seine wohlwollende<br />
Beurteilung dieser Schulen und der Seminare, die daraus wurden, hat es<br />
ihm wahrscheinlich leicht gemacht, mir seine Tochter als Frau anzuvertrauen,<br />
mir, dem ehemaligen <strong>Seminaristen</strong>, also einem, der von eben<br />
dieser besonderen Schulform geprägt worden ist.<br />
Ganz so selbstverständlich war das Seminar für mich 1952 freilich nicht.<br />
Wir waren nur noch zu zweit in der Familie. Meine zwei Brüder lebten nicht<br />
mehr, waren klein gestorben, der Vater war im Krieg gefallen. Warum sollte<br />
meine Mutter mich in ein Internat weggeben?<br />
Ich selbst hatte mir gewiss nicht vorgenommen, die »sapiens atque eloquens<br />
pietas« eines Johannes Sturm zu erwerben, der von Straßburg<br />
aus im Reformationszeitalter die Große Kirchenordnung in Württemberg<br />
beeinflusst haben mag, was die Konzeption der Klosterschulen angeht.<br />
Es war vielmehr »die Anhänglichkeit des Vaters an dieses ehrwürdige Institut«<br />
(E 98), die meine Mutter zu diesem Schritt bewog, ein Schritt, den<br />
sie, weil’s der Vater so gesehen hatte, nie in Frage stellte. Mein Vater war<br />
in Maulbronn und Blaubeuren und für ihn, der als Missionarskind im Knabenhaus<br />
in Basel ohne die Eltern in Indien aufwachsen musste, war das<br />
Seminar zu einem sonst nirgends erreichbaren Zuhause geworden.<br />
Nur vor dem Seminar stand das Landexamen, auch für mich. Und diese<br />
Prüfung, die früher einmal ›Pfingstexamen‹ hieß, weil sie in diese Zeit des<br />
Kirchenjahres fiel, wurde für mich alles andere als ein pfingstliches Ereig-<br />
1582
nis, weil es nur zu einer Gastschülerstelle reichte. Die konnte meine Mutter<br />
nicht bezahlen. Aber da kam uns die Schulreform zu Hilfe mit dem auf<br />
ein halbes Jahr verkürzten Schuljahr und die sonst von so vielen so oft<br />
in Frage gestellte Großzügigkeit des Oberkirchenrats, es noch einmal zu<br />
versuchen, und das dann mit besserem Erfolg. Erst viel später stieß ich<br />
auf die tröstliche Erkenntnis, dass etwa ein Philipp Matthäus Hahn fünf<br />
Mal am Landexamen teilnahm, ohne je das Seminar zu erreichen.<br />
Von einem Albdorf ins Hohenlohische hieß das für mich, ein ziemlich großer<br />
Schritt. Zwei Jahre später vom abgelegenen Schöntal in die Stadt,<br />
so empfanden wir zumindest Urach, wieder ein großer Schritt. Das war<br />
für eine zusammenwachsende Gemeinschaft von rund 40 jungen Leuten<br />
schon ein pädagogisches Kunststück und zugleich eine wesentliche<br />
menschliche Erfahrung. Bunt zusammengewürfelt, »arme und reiche,<br />
talentvolle und minderbegabte, stolze und bescheidene, witzige und<br />
beschränkte, verträgliche und zänkische, gutmütige und hartherzige,<br />
stille und laute, gewandte und unbeholfene Altersgenossen bilden ein<br />
Ganzes. Dieser Tatbestand ergibt für den Einzelnen nicht nur eine ausgezeichnete<br />
Grundlage für eine spätere Menschenkenntnis, sondern auch<br />
die Nötigung, die eigene Individualität an 40 anderen Individualitäten zu<br />
reiben, die Ansprüche des eigenen Ichs gegen die von 40 fremden Ichs<br />
auszugleichen, wenn er als Glied in die große Kette passen will« (E 151).<br />
So liest sich das bei meinem Schwiegervater, also von außen betrachtet.<br />
Ich finde, er hat eine Seminarpromotion damit treffend beschrieben.<br />
Da half, was die allermeisten von uns nicht kannten: eine klar vorgegebene<br />
Zeiteinteilung; nicht mehr ein Schulweg von 25 km mit Fahrrad, Zug<br />
und Bus; festgelegte Arbeits- und Freizeit; besondere Studiennachmittage;<br />
kaum eine Woche ohne eine Klassenarbeit. Diese Häufigkeit nahm<br />
der Klassenarbeit den Schrecken, als hinge der Rest der Karriere von<br />
eben dieser einen Note ab, die man gerade ausgehändigt bekam.<br />
Abschreiben voneinander war von einem Tag auf den andern tabu.<br />
Unvorstellbar eigentlich, bisher war es eine wichtige Form schulischen<br />
Überlebens gewesen. Und als Abschreiben doch einmal vorkam, sorgte<br />
die Tatsache, dass dies in unserer Stube passiert war, noch tagelang für<br />
Gesprächsstoff.<br />
Und nicht zuletzt die besondere menschliche species der Repetenten.<br />
Sie haben einiges von uns aushalten müssen. Sie haben sich redlich<br />
bemüht und ich habe mir irgendwann sogar überlegt, ob ich diese Stelle<br />
nicht einmal selbst übernehmen wollte! Sie waren gewiss nicht nur glänzende<br />
Pädagogen. Und ob sie dazu halfen, dass aus jedem von uns »ein<br />
in klösterlichem Geist erzogener, formal gut geschulter Mensch« wurde,<br />
der »Zugang erhalten soll zu protestantischer Denkungsart«, wie mein<br />
1583
Schwiegervater meinte, ich weiß es nicht. Aber wenn ein Korb Kirschen<br />
aus dem Remstal kam, legten wir ein paar wenigstens ins Repetentenzimmer,<br />
so dass sich der betreffende Repetent mit Schallplattenmusik bei<br />
geöffneten Türen revanchieren konnte. Immerhin, an fast alle Re-petenten<br />
kann ich mich noch gut erinnern.<br />
Anderes bleibt freilich genauso fest hängen, etwa die Tatsache, dass einer<br />
unserer Lehrer, dem wir in einer Arbeitszeit den Garten aufgeräumt hatten,<br />
versprach, auch uns – wie er sagte – einmal »einen Stein in den Garten<br />
zu werfen«. Nur hat er das nie wahr gemacht. Vergessen haben wir das<br />
nicht gehaltene Versprechen nicht. Haben wir daraus gefolgert, es selbst<br />
anders zu halten?<br />
Wenn man hinter Klostermauern lebt, gehört es einfach dazu, sie des<br />
Nachts gelegentlich zu übersteigen, der Äpfel, Zwetschgen oder Trauben<br />
des Jagsttals wegen, um in der Jagst zu baden, auf den Wiesen am<br />
Fluss bei Mondschein Geistertänze aufzuführen oder auf der Jagst Kahn<br />
zu fahren, was man freilich auch bei Tag tun konnte. Aber das war eben<br />
nicht dasselbe. Dann kehrte man voller Erlebnisse wieder ins warme Bett<br />
hinter den Klostermauern zurück. Vielleicht sind solche Erlebnisse auch<br />
Beispiele, zugegeben etwas außergewöhnliche Beispiele dafür, dass die<br />
Seminare mehr wollten als das pädagogische Denken »nur von zweckhaften<br />
Überlegungen bestimmen« zu lassen (E 12).<br />
Gewiss nicht alle haben das Seminar in gleicher Weise oder nur positiv<br />
erlebt. 40 Individualitäten und 40 Ichs schaffen sich ihre eigene Hackordnung.<br />
Das Kriterium, ob einer gut und gern Fußball oder Handball spielt,<br />
ist sicher nicht von der Großen Kirchenordnung oder ähnlichen Autoritäten<br />
vorgegeben. Aber es kann weit mehr Gewicht und Folgen haben als<br />
viele pädagogische und psychologische Finessen oder andere Talente.<br />
Nicht jeder hält das aus. So wie Hermann Hesse im Rückblick schrieb:<br />
»Hier ward mein erster Lebenstraum zunichte« (KG 120), mag es manchem<br />
gegangen sein, mehr als wir uns selbst klar machten. Zu den unvergessenen<br />
Ereignissen der Seminarzeit in Schöntal gehört eine »Feier«, die<br />
wir zusammen mit den Repetenten veranstalteten, als einer das Seminar<br />
verlassen hatte, weil er es unter uns nicht mehr aushielt. Hans Kümmel<br />
hat damals eine Rede gehalten, die uns alle nachdenklich gemacht hat,<br />
nachdenklich darüber, wie wir mit Menschen umgehen, die nicht ohne<br />
weiteres in das allgemein anerkannte Schema passen.<br />
Gemeinsam eine lustige Situation auszuhecken, gehört freilich genauso<br />
zum <strong>Seminaristen</strong>leben. Und oft genug waren die Repetenten, die nahe<br />
genug lebten, ein dankbares Ziel. Sie aßen mit uns im Speisesaal, natürlich<br />
an einem separaten Tisch, und hatten dafür zu sorgen, dass der<br />
Essenslärm in Grenzen blieb. Zu laut wurde mit Ausschluss bestraft, das<br />
hieß »Nachsitzen« mit dem Essen, wenn die andren schon die freie Zeit<br />
1584
genossen. Wir hatten entdeckt, dass die Tischplatte zu lockern war. Also<br />
provozierten wir den Ausschluss, der prompt ausgesprochen wurde, und<br />
so trugen wir die Tischplatte mit allem, was die Schwestern Lindner<br />
kreiert hatten, unter dem großen Gelächter der anderen triumphierend<br />
aus dem Speisesaal.<br />
Als Pfarrer, der es mit Kirchen und Gemeindehäusern zu tun hatte, schätze<br />
ich die Arbeit eines Hausmeisters überaus hoch ein. Ich bin ziemlich<br />
sicher, dass Hausmeister große Seelen haben müssen. Dies traf ganz<br />
gewiss auf unsere Hausmeister Sinn in Schöntal und Brick in Urach zu.<br />
Letzterer hat uns in einer »Schreiner-AG« nicht nur beigebracht, wie man<br />
einen Besenstiel dreht oder mit Schwalbenschwänzen eine Schublade<br />
zimmert. Er hat auch mit großer Geduld gewartet bis zum letzten Schlag<br />
der Uhr am Amanduskirchturm abends um 22 Uhr, bis wir im letzten<br />
Moment durchs Tor huschten. Ich hatte mir in der Tanzstunde ausgerechnet,<br />
dass die 24 Glockenschläge bei hohem Tempo reichten vom<br />
Haus meiner Angebeteten bis zum Seminartor. So horchte Herr Brick auf<br />
solch eilige Schritte in die Nacht hinaus, bevor er endgültig abschloss.<br />
Großzügig sein, in solch einfachen Situationen im Leben lässt sich’s<br />
lernen.<br />
Mit Hingabe haben wir Theater gespielt, immer so, dass jedem dabei eine<br />
Rolle zufiel. »Das große Welttheater« oder »Der Widerspenstigen Zähmung«,<br />
Stücke, mit deren Titel das Lehrerkollegium wahrscheinlich so<br />
manche Seminarpromotion hätte charakterisieren können. Die paar Zeilen<br />
aus dem »Rütlischwur« im Wilhelm Tell kann ich heute noch auswendig:<br />
»Die Urner sind es, die am längsten säumen, sie müssen weit um gehen<br />
im Gebirg«. Als Vater zweier Söhne, die als Deutsche in der Schweiz<br />
leben und als Jurist und Journalist genau verfolgen, wie schwer sich die<br />
Schweiz tut, sich Europa anzuschließen, bekommt dieser Schiller’sche<br />
Vers eine ganz aktuelle Bedeutung!<br />
Dass man Latein auch mit dem derben Humor des Abtes Knittel lernen<br />
kann, machte manche Lateinstunde zu einem fröhlicheren Unternehmen,<br />
als wir es von früher gewohnt waren, ebenso wie der Versuch, Szenen<br />
aus der Odyssee als Übersetzungsübung in Verse moderner Räubergeschichten<br />
zu übertragen. So eröffneten sich Räume, die wir selbst füllen<br />
konnten mit eigenen Ideen oder den Angeboten der Lehrer. Freilich gab<br />
es außerhalb des Stundenplans nicht nur Höhepunkte unseres freiwilligen<br />
Engagements, wenn ich etwa an das Landschaftsprofil des Jagsttals<br />
denke, das wir mühsam auszusägen versuchten, oder an das berühmt<br />
berüchtigte Aquarium in Schöntal, eine Herzensangelegenheit unseres<br />
Biologielehrers, ein Aquarium, das nie wasserdicht wurde, ungewollt<br />
oder gewollt. Erfolgreicher war da schon das Experiment, den Verlauf des<br />
römischen Limes durch Rauchzeichen zu bestimmen.<br />
1585
Ob nach der Tradition der Klöster, wie mein Schwiegervater schrieb,<br />
»der alte Glaube an die gemeinschaftsbildende Wirkung der musica<br />
sacra, die eine Menschengruppe ›auf einen Ton zu stimmen‹ vermag«<br />
so uneingeschränkt gilt, lasse ich dahingestellt. Aber ohne Zweifel hat<br />
uns allen das Musizieren viel Freude gebracht, der erste Auftritt eines<br />
Jazzorchesters zum nicht geringen Erstaunen des Ephorus in Schöntal<br />
wie der Beginn der »Gächinger Kantorei« von Urach aus. Wäre sie ohne<br />
<strong>Seminaristen</strong> überhaupt zustande gekommen? Ganz besonders denke<br />
ich an die »Treppenhauskonzerte« in Schöntal. Umgeben vom fröhlichen<br />
Barock des weit ausschwingenden Treppenaufgangs musizierten wir.<br />
Treppen und Absätze waren besetzt bis auf den letzten Platz. Ich bin nur<br />
froh, dass die Verantwortlichen erst nach unseren Seminarjahren darauf<br />
kamen, dass diese Konzerte im Treppenhaus aus statischen und feuerpolizeilichen<br />
Gründen absolut nicht zulässig waren. Bis heute höre ich<br />
die vier Paukenschläge, mit denen das Weihnachtsoratorium be-ginnt,<br />
immer mit dem Bild vor Augen, wie alle, die mitsangen – und das war ein<br />
großer Teil der Promotion –, gebannt auf Gerhard Steiff starrten. Denn<br />
von ihm, d. h. von seinen vier Paukenschlägen hing ab, ob das Tempus<br />
fürs ganze Weihnachtsoratorium stimmte.<br />
Ganz gewiss ist Lehrer im Seminar zu sein eine besondere Herausforderung.<br />
Das haben wir wohl alle begriffen, ohne deshalb mit unseren<br />
Lehrern barmherziger umgegangen zu sein. Neben dem Fachwissen<br />
war der Lehrer als Mensch gefragt, und das mehr außerhalb des Stundenplans<br />
als im Klassenzimmer. Aber so haben wir etwas von dem entdecken<br />
können, was der Kultminister von Wangenheim zur Zeit der<br />
Gründung des Seminars Urach allen Lehrern ins Stammbuch schrieb,<br />
nämlich Schüler, also auch <strong>Seminaristen</strong>, so schreibt er, »von Jugend<br />
auf daran zu gewöhnen, mit den Lehrbedürftigen sanftmütig und belehrend<br />
umzugehen, und sie früh die Erfahrung machen zu lassen, dass<br />
man lehrend am besten lernt« (E 128). Brunnenmacher sollten die Lehrer<br />
sein, hatte Johann Albrecht Bengel in der Klosterschule in Denkendorf<br />
gefordert. »Ein Brunnenmacher räumt die Hindernisse aus dem<br />
Weg, so läuft das Wasser von selbst« (E 85). Hohe Ideale! Zumindest<br />
bietet das Seminarleben viele Möglichkeiten, ihnen gelegentlich nahe<br />
zu kommen.<br />
Ein Lehrer muss nicht alles perfekt beherrschen, wichtig nur, dass er<br />
dies auch zugeben kann. Eine Passacaglia von Bach bleibt ein schweres<br />
Stück. Wir waren zu zweit auserkoren, umzublättern beim Orgelkonzert<br />
in der vollen Amanduskirche, lasen mit und bekamen dann auch mit,<br />
wo Spiel und Noten nicht mehr zusammenstimmten. Aber mit Schwung<br />
spielte unser Musiklehrer weiter mit der kurzen Bemerkung: Keiner hat’s<br />
gemerkt! Wir haben ihn ehrlich bewundert.<br />
1586
Ephorus im Seminar zu werden war ein kirchengeschichtlicher Akt. Da<br />
der Ephorus früher immer ein Prälat war, will ich aus einem Investiturbericht<br />
zitieren. Denn da wurde vor den höchsten Beamten des Staates<br />
und den obersten Dienern der Landeskirche gesagt, wie wichtig es sei,<br />
»dass der Prälatenstand als ein sonderbarer Landstand dieses Herzogtums<br />
in seinem Esse erhalten werde« (E 36f). Darüber lässt sich, lieber<br />
Paul Dieterich, immer mal wieder nachdenken.<br />
Ob Prälat, ob Ephorus, ob Lehrer, entscheidend ist der Mensch, der<br />
einem <strong>Seminaristen</strong> begegnet. Ich muss zugeben, dass ich vom Unterricht<br />
von Hermann Storz nicht mehr viel weiß. Natürlich hatten wir<br />
schnell herausgefunden, wenn er z. B. einen Aufsatz schreiben ließ über<br />
eine selbst gewählte große Gestalt der deutschen Geschichte, dass mit<br />
der Wahl etwa der Adelheid eine gute Note von vornherein garantiert<br />
war, was immer im Aufsatz selbst geschrieben stand. Aber dem<br />
Respekt vor seiner Person tat dies keinen Abbruch. Storz gab uns zum<br />
Wandern ohne weiteres ein Wochenende frei. Er lieh uns zum Klettern<br />
sein Seil. Er setzte beim Oberschulamt durch – nach der Katastrophe<br />
am Dachstein – mit seinen <strong>Seminaristen</strong> den Heilbronner Weg im Allgäu<br />
zu gehen.<br />
Bei Einladungen in seine Wohnung bot er Saft und Sprudel an, in einem<br />
Nachsatz erst Glühwein, um dann nach dem entsprechenden Wunsch<br />
unsrerseits zuzugeben, dass er an gar nichts anderes gedacht habe<br />
als an Glühwein, der auch schon fertig sei. Storz war zu unserer Zeit<br />
stellvertretender Bürgermeister in Urach, für uns ein Beispiel für das<br />
durchaus mögliche politische Engagement eines Kirchenmannes. Man<br />
mag dabei an die Bittschrift des Uracher Magistrats von 1818 denken<br />
und an seinen Beitrag von 10 000 Gulden, um zu erreichen, dass das<br />
neu zu gründende Seminar im Uracher Mönchshof eingerichtet werde,<br />
zumal – so heißt es in der Bittschrift – »die schöne Gebirgs-Natur gewiss<br />
auf jugendliche Gemüther den wohltätigsten Einfluss mache« und »der<br />
hiesige Ort wegen der bei seinen Bürgern herrschenden Ordnung, Eingezogenheit,<br />
Fleiß und Moralität auf das beste prädiziert sey« (KG 62).<br />
Die Tanzstunde hat der Ephorus zur Chefsache gemacht. Oft war er<br />
dabei, allerdings nicht bei der letzten Tanzstunde. Traurig, dass nun<br />
alles zu Ende sein sollte, marschierten wir alle, Damen und Herren, auf<br />
den Uracher Marktplatz und tanzten zu unserem eigenen Gesang noch<br />
Rheinländer. Es war just zur selben Zeit, dass die altpietistische Stunde<br />
zu Ende war und ihre Teilnehmer auch auf den Marktplatz kamen. Das<br />
frivole Tun der <strong>Seminaristen</strong> ward alsbald dem Ephorus zur Kenntnis<br />
gebracht. Die versammelte Promotion wurde am nächsten Morgen in<br />
aller Frühe mit einem Storz’schen Donnerwetter zusammengestaucht.<br />
1587
Selbst der Abschlussball am folgenden Tag schien in Gefahr, so<br />
schlimm war offensichtlich der Vorfall. Der Donner verzog sich – nichts<br />
Ungewöhnliches beim Ephorus Storz – und am Ende waren wir uns<br />
gar nicht mehr so sicher, ob er dieses unglückliche Zusammentreffen<br />
zweier ›protestantischer Denkungsarten‹ im Schoß der Landeskirche<br />
nicht insgeheim als vergnügliches Ereignis betrachtete. Jedenfalls<br />
bekam ich kurz danach selbstverständlich seinen Zylinder, den ich mir<br />
von ihm für den Abschlussball erbat. Vielleicht hat uns der Ephorus auf<br />
seine Art klar machen wollen, dass sich der Mensch nicht notwendig<br />
verbiegen muss, sondern zu seiner Meinung stehen kann, solange er<br />
eine andere Meinung gelten lässt, sie auch achtet, selbst wenn er sie<br />
nicht teilt.<br />
Bildung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche. Die <strong>württembergische</strong><br />
Landeskirche sieht dies als einen umfassenden Auftrag und möchte<br />
ihn mit Nachdruck verfolgen. So geht es heute, 25 Jahre nach der<br />
Schließung des Seminars Urach, nicht nur um Erinnerung an alte Zeiten,<br />
sondern um eine Verpflichtung für die Zukunft. In welcher Form auch<br />
immer, die Kirche muss Modelle für Bildung auf allen Ebenen kirchlichen<br />
Handelns anbieten. Und das Seminar ist ein solches Modell. Das ist für<br />
Württemberg nach wie vor wichtig, dieses Land und seine Kirche, das<br />
– wie es einmal im 19. Jahrhundert beschrieben wurde – »seiner andersgläubigen<br />
Umgebung entfremdet, eingeengt (ist) zwischen Alemannen<br />
und Donauschwaben, Main- und Rheinfranken, ein in sich selbst geschlossener,<br />
selbstbewusster, intelligenter, trotziger Splitter protestantischen<br />
Wesens inmitten des großen Stroms der barocken Kultur, der<br />
zwischen Wien und dem Rhein flutete« (E 95f).<br />
Ich wünsche mir, dass diese besondere Schulform des Seminars auch<br />
in Zukunft »protestantische Denkungsart« fördert, wie sich das schon<br />
die Große Kirchenordnung 1559 vorgestellt hat, und dass das Seminar<br />
»ein Mikrokosmos der Lebendigkeit und Freiheit« (E 151) ist und<br />
bleibt.<br />
E = »Das protestantische Klosterschulwesen Württembergs in seiner geschichtlichen Entwicklung«<br />
Wissenschaftliche Abhandlung zwecks Zulassung zur Höheren Prüfung für den Volksschuldienst<br />
Im Frühjahr 1930 vorgelegt von Georg Eckle (unveröffentlicht) Universität Tübingen,<br />
Professor Oswald Kroh<br />
KG = »Das Evangelisch Theologische Seminar Urach 1818–1977<br />
Herausgegeben vom Verein für <strong>württembergische</strong> Kirchengeschichte in Zusammenarbeit<br />
mit dem Landeskirchlichen Archiv und dem Landeskirchlichen Museum<br />
Verlag Ernst Franz, Metzingen 1991<br />
1588<br />
Eberhardt Renz (52/56)
Uracher Gedenktag am 28. Mai 2002<br />
Andacht in der Amanduskirche – eine Heimkehr<br />
Die Feier zur Erinnerung an das Evangelisch-theologische Seminar Urach<br />
am 28. Mai 2002 schloss mit einer Einladung an die Gäste in die Amanduskirche<br />
zu einer »Abendandacht mit mehrstimmigem Choralsingen«. In<br />
dem hohen dämmrigen Chor mit seinen leuchtend bunten Fenstern und<br />
dem ehrwürdigen Chorgestühl wurde für die ehemaligen <strong>Seminaristen</strong><br />
und Se-minarlehrer, die daran teilnahmen, ein Stück Seminarleben wieder<br />
gegenwärtig.<br />
Das gilt besonders für das gemeinsame Singen. Kirchenmusikdirektor i. R.<br />
Gerhard Steiff (Urach 1954–1956) führte in einer kurzen Probe mit Humor<br />
und Disziplin die große Gemeinde zu einem Chor zusammen. Er musizierte<br />
mit uns vier Sätze aus dem Evangelischen Gesangbuch: »Wohl denen, die<br />
da wandeln . . .«, »Bleib bei uns, wenn der Tag entweicht . . .«, »Gloria sei dir<br />
gesungen . . .«, »Der Mond ist aufgegangen . . .«: Als wir mit den vertrauten<br />
Liedern den Raum füllten, jeder mit seiner Stimme ein Teil des klingenden<br />
Ganzen, da war das auch der Nach-Klang der musikalischen Arbeit im<br />
Seminar, die viele von uns geprägt hat.<br />
»Wie viel hundert Andachten haben <strong>Seminaristen</strong> erlebt, gehört und über<br />
sich ergehen lassen? Was haben sie bewirkt, was ist geblieben?« Prälat i.<br />
R. Heinrich Leube (Urach 1941) formulierte in seiner Ansprache eine Frage,<br />
die uns Ehemalige an diesem Erinnerungstag nicht nur im Blick auf das im<br />
Seminar von uns praktizierte geistliche Leben bewegte: Was ist geblieben?<br />
Er erinnerte an die erste, 1941 vom Staat erzwungene Schließung des<br />
Seminars und an das Wort, mit dem Ephorus Storz die zum Schlussappell<br />
versammelten <strong>Seminaristen</strong> entließ: »Weggetreten!« Denen, die damals<br />
gegen ihren Willen das Seminar verlassen mussten, und allen, die es auf<br />
dem Weg ihres Lebens hinter sich gelassen haben, bleibt aus ihrer Seminarzeit<br />
die Einladung im Herzen: »Lasset uns hinzutreten!« (Hebräer 10, 22)<br />
Nämlich zu dem, was wir damals bei unseren Lehrern und Kameraden für<br />
unseren Glauben und für unser Gewissen gelernt haben.<br />
Wilfried Brandt (56/58)<br />
1589
Abschied aus Maulbronn<br />
Persönliche Gedanken und Einschätzungen<br />
von Ephorus Markus Henrich (1993–2003)<br />
»Drunten pfeift ein Zug durchs grüne Land,<br />
Morgen, morgen fahr’ auch ich davon!<br />
Letzte Blumen pflückt verirrt die Hand,<br />
und sie welken, eh’ ich fort bin schon.«<br />
Diese Zeilen eines Gedichts von Hermann<br />
Hesse gehen mir durch den Kopf, wenn ich<br />
Gedanken zum Abschied formulieren soll.<br />
Zehn Jahre Maulbronn liegen nun bald hinter<br />
uns, eine wunderbare, bereichernde,<br />
belastende, intensive, spannende und keinen<br />
Tag langweilige Zeit, und nach diesen<br />
zehn Jahren wird die Familie Henrich<br />
Maulbronn verlassen. Die Gründe dafür<br />
sind persönlicher Natur. Die letzte Phase<br />
meines Lehrerdaseins möchte ich gerne<br />
noch einmal an einer Schule mit einer großen altersmäßigen Vielfalt unterrichten,<br />
und für das Seminar ist es sicher ein Gewinn, wenn in der wichtigen<br />
Umbruchphase, die nun ansteht, ein Nachfolger mit frischer Kraft zu<br />
Werke geht.<br />
1. Rückblick:<br />
Mit der Schülerschaft der elf Promotionen, die ich hier erleben durfte,<br />
verbinde ich Erinnerungen an die unterschiedlichsten Typen von Schülern,<br />
an eine ganze Reihe von unerwarteten Konflikten und Auseinandersetzungen<br />
und vor allem an eine große Zahl gelungener Begegnungen<br />
und Aktivitäten. Unvergessen die herausragenden musikalischen Darbietungen<br />
bei vielen Anlässen, die Vielfalt der außerschulischen Unternehmungen,<br />
die gemeinsamen Gottesdienste und Andachten, das meist<br />
un-komplizierte tägliche Miteinander hier im Haus, Spiel und Sport in vielerlei<br />
Ausprägung und der schulische Alltag mit seinen <strong>seminar</strong>typischen<br />
Gegebenheiten . . .<br />
Doch bei allem unterschiedlichen Profil, das einzelne Jahrgänge hier<br />
entwickelt haben, gibt es auch gemeinsame Eigenschaften, die man den<br />
meisten Promotionen attestieren kann.<br />
1590
Die Selbstständigkeit und das große Interessenspektrum unserer Schüler<br />
werden immer wieder hervorgehoben, ebenso wie ihre offene freundliche<br />
Art, auf Gäste im Haus oder auf andere Jugendliche zuzugehen. Ebenso<br />
ist die Qualität im Umgang miteinander bemerkenswert – für viele ist<br />
die Semi-Gemeinschaft wie eine zweite Familie geworden. Hinzu kommt<br />
die musikalische und schulische Leistungsfähigkeit sowie in unterschiedlichen<br />
Ausprägungen theologisches, ökologisches und durchaus auch<br />
gesamtgesellschaftliches Engagement. Doch – nobody is perfect – dem<br />
gegenüber stehen auch andere Seiten, die für manche fast zu einer<br />
Art Semi-Tradition geworden sind: Da wäre das, was Außenstehende<br />
schlicht als Arroganz der <strong>Seminaristen</strong> empfinden – mögen diese<br />
sich auch keinesfalls selbst so sehen; da ist der unangemessen hohe<br />
Stellenwert, den Alkoholkonsum und Rauchen für viele leider schon in<br />
Maulbronn bekommt. Und da war – was ich sehr selbstkritisch anmerke<br />
– die Ausprägung einer speziellen Art vieler Zehntklässler mit ihren Neuntklässlern<br />
umzugehen, die der Idee einer christlichen Gemeinschaft diametral<br />
entgegensteht und sich leider so manches Mal in Übergriffen primitiver<br />
und brutaler Art äußerte. Es bedurfte massiver Anstrengungen und<br />
der Kooperation einer ganzen Promotion, um dieses Rad der Dumpfheit<br />
und der verharmlosten Gewalt wieder zurückzudrehen.<br />
Nicht vergessen möchte ich Eigenschaften der Semis wie ihren Widerspruchsgeist,<br />
ihre Kritikfähigkeit und ihr Talent zu Parodie und Persiflage.<br />
Sie sind in einer Demokratie unverzichtbar, doch wer einmal Zielscheibe<br />
so mancher geäußerter Kritik war, der weiß, wie wichtig gerade hier Maß<br />
und Ziel sind.<br />
1591
Was konnte nun in den vergangenen Jahren in dieser Einrichtung bewegt,<br />
vorangetrieben werden, wie hat sie sich entwickelt? Einige Neuentwicklungen,<br />
für die ich verantwortlich zeichne, sind die Einführung der Kurzfreizeit<br />
in der ersten Semi-Woche für die Neuen auf dem Füllmenbacher Hof,<br />
die Durchführung von Klostertagen mit den <strong>Seminaristen</strong>, die Einrichtung<br />
einer Schulentwicklungsgruppe (die freilich von den aktuellen Ereignissen<br />
und Trends quasi überrollt wurde), die Installation von regelmäßigen (und<br />
sehr stark nachgefragten) Hesse-Führungen und im schulischen Bereich<br />
die Öffnung des Seminars für Schüler ohne Latein.<br />
Die Verbindung zur örtlichen Kirchengemeinde ist fester geworden, und<br />
es gibt gemeinsame Bemühungen von Seminar, Kirchengemeinde und<br />
dem neu gegründeten Klosterpfarramt, die spirituelle Ausstrahlung des<br />
Klosters zu stärken.<br />
Wir konnten in den vergangenen neun Jahren etliche Anschaffungen<br />
tätigen, die die Lebensqualität im Seminar deutlich verbessert haben.<br />
Projekte wie der Bootsbau oder die Neueinrichtung des Werkraums und<br />
unserer Teeküche wurden mit der Unterstützung des Seminarhilfsvereins<br />
durchgeführt und kommen nun vielen weiteren Promotionen zugute.<br />
Unter den vielen Höhepunkten, auf die ich zurückblicke, sind eben die<br />
erwähnten Klostertage (nach unserem letzten Schuljahr 2000/2001 sagten<br />
die Schüler übereinstimmend, die Ruhe habe ihnen unendlich gut<br />
getan, und man hätte dieses Projekt ruhig zwei oder drei Tage lang laufen<br />
lassen können), die Reihe großartiger Klosterkonzerte und vor allem die<br />
1592
Reisen des Seminars nach Rumänien/Siebenbürgen im Jahr 1998 und<br />
nach Indien im Frühjahr 2001.<br />
Auch die Feierlichkeiten zur Aufnahme Maulbronns in die Liste des<br />
Weltkulturerbes im April 1994, das 850-jährige Klosterjubiläum im Jahr<br />
1997 oder der Besuch des Bundespräsidenten im Kloster im Sommer<br />
2000 waren ganz besondere Anlässe, bei denen sich das Seminar als die<br />
Einrichtung präsentieren konnte, die in diesem Kloster seit nahezu 450<br />
Jahren geistliche Gemeinschaft lebt.<br />
Bei der Rückschau frage ich mich auch ›Was bleibt‹ und ›Was trägt‹?<br />
Es bleibt für mich das Wissen, dass es sich bei den Seminaren – nicht<br />
anders als in der Zeit ihrer Gründung – um ein kostbares Juwel in unserer<br />
Bildungslandschaft handelt, das ganz vorzüglich dazu geeignet ist, junge<br />
Menschen in besonderer Weise zu prägen. Gemeinschaftsfähigkeit,<br />
soziale Verantwortung, kirchliches Engagement, hohe musikalische<br />
Kompetenz und überdurchschnittliche schulische Leistungsfähigkeit<br />
zeichnen viele <strong>Seminaristen</strong> aus und befähigen sie, ihren Weg im Leben<br />
zu gehen.<br />
Getragen sind und waren die Seminare immer vom Wirken des Geistes,<br />
der seit 2000 Jahren Menschen dazu bringt, ihr Leben nicht aus sich<br />
selbst heraus zu leben, sondern aus Gottes guten Händen.<br />
2. Momentaufnahme:<br />
Das Kloster Maulbronn ist zur Zeit eine große Baustelle. Chorgestühl,<br />
Dachreiter und Innenschiff und selbst der Faustturm werden saniert und<br />
restauriert – dringend notwendige Erneuerungsarbeiten, die Versäumnisse<br />
vergangener Jahre reparieren helfen. Manchmal erscheint mir dieser<br />
Baustellencharakter geradezu als ein Symbol für den Gesamtzustand<br />
des Seminars der Gegenwart. Es gibt viele solcher Baustellen im Seminarbereich,<br />
und bei manchen lässt sich noch nicht absehen, wann denn<br />
die Hülle abgenommen und das Gerüst entfernt wird, damit alles sich im<br />
neuen Glanz bewundern lässt. Ich möchte nur die wichtigsten nennen:<br />
– Der immens hohe Investitionsbedarf im Seminar Maulbronn. Es stehen<br />
Komplettsanierungen an, insbesondere im sanitären und heizungstechnischen<br />
Bereich. Sie durchzuführen wird schmerzen, aber sie zu<br />
ignorieren würde ins Verderben führen.<br />
– Die nach wie vor ungeklärte Strukturfrage, d. h. mit welcher Konstellation<br />
wollen die Seminare auf die Verkürzung der Gymnasialzeit auf 12<br />
Jahre reagieren?<br />
– Die offene Frage nach dem zukünftigen Profil der Seminare. – Kommt<br />
nun ein Institut für Hochbegabte oder nicht? Die Eltern, die sich überlegen,<br />
ihre Kinder weiterhin auf das Seminar zu schicken, erwarten zu<br />
Recht Antwort auf diese Frage.<br />
1593
– Die hohe Fluktuation der Lehrer und Betreuer: Wer nur Schülerinnen<br />
und Schüler der Klasse 9 und 10 unterrichtet und mit ihnen sehr eng<br />
(häufig Wand an Wand) zusammen wohnt, überlegt sich sehr genau,<br />
wie lange er/sie das verkraften kann.<br />
– Eine gemeinsame pädagogische Linie der beiden Seminare muss<br />
formuliert und in enger Kooperation auch verwirklicht werden. Zu oft<br />
wurde in den vergangenen Jahren durch die unterschiedlichen Sicht-<br />
und Reaktionsweisen in Maulbronn und Blaubeuren die gemeinsame<br />
Arbeit erschwert.<br />
– Es ist gut, dass das Klosterpfarramt des Projekts ›Kloster für das Volk‹<br />
unter dem Dach des Seminars arbeitet, und eine erste, vorsichtige<br />
Bilanz stimmt hoffnungsvoll. Doch es ist ungewiss, ob das Projekt über<br />
die vereinbarte Zeit hinaus fortgeführt werden kann.<br />
3. Ausblick:<br />
In der Beschreibung der ›Baustellen‹ ist implizit das enthalten, was ich<br />
den Seminaren für die Zukunft wünsche: Eine konzeptionell abgesicherte,<br />
finanziell solide und strukturell stimmige Gestalt werden für Blaubeuren<br />
und Maulbronn die Zukunft sichern, doch das wird nicht einfach sein.<br />
Zur Konzeption: Wenn erwartete Fördermittel des Landes ausbleiben<br />
sollten, so möge bitte überdacht werden, ob die Schiene ›Hochbegabte‹<br />
für eine Schule, die ohnehin schon immer gut und besonders Begabte<br />
1594
aufgenommen hat (man betrachte nur die Blaubeurer Abiturschnitte!), die<br />
einzige Alternative ist. Wäre es nicht besser, unter Beibehaltung des bisherigen<br />
Profils den Bereich der Theologie zu schärfen? Es könnten in den<br />
einzelnen Jahren zusätzlich zum regulären Religionsunterricht Schwerpunkte<br />
gesetzt werden, die nicht in erster Linie ein Theologiestudium<br />
vorwegnehmen, sondern Lebens- und Glaubenskompetenz vermitteln,<br />
etwa in folgender Reihung:<br />
Klasse 9: Leben in Gemeinschaft, Klösterliches Leben, Geschichte der<br />
Klosterschulen<br />
Klasse 10: Diakonie<br />
Klasse 11: Weltweite Ökumene<br />
Klasse 12: Philosophie<br />
In neuen Arbeitsformen (Projektlernen, Internet-Recherche, Anfertigung<br />
von Facharbeiten mit Präsentation, Teamprojekte u.v.m.) könnten sich<br />
Schülerinnen und Schüler diese Themen erarbeiten und vor allem viel<br />
Praxis einüben, z. B. durch Besuch von Klöstern und Kommunitäten,<br />
durch Praktika in sozialen Einrichtungen und durch Kontakte mit und<br />
gegebenenfalls Besuche bei Partnerkirchen in der weltweiten Ökumene.<br />
Zu den Finanzen: Wenn es nicht in naher Zukunft zu einer Absichtserklärung<br />
oder einer regelrechten Verpflichtung seitens der Kirchenleitung und<br />
der Synode kommt, das Seminar Maulbronn zu erhalten, dann wird Maulbronn<br />
in einigen Jahren unbewohnbar sein. Zu marode sind die sanitären<br />
Anlagen, zu verrottet die Heizungssysteme und zu antiquiert ein großer Teil<br />
des Möbel- und Einrichtungsbestands. Ständig steigende Anforderungen<br />
an naturwissenschaftliche Arbeitsräume, Großküchen und Gemeinschaftseinrichtungen<br />
insgesamt in puncto Sicherheit, Arbeitsschutz, Hygiene<br />
und Brandschutz lassen den Bedarf an Maßnahmen in die Höhe schnellen.<br />
Ein Experte im Oberkirchenrat hat den derzeitigen Finanzbedarf für<br />
eine Generalsanierung der Räumlichkeiten in Maulbronn auf ca. 7 bis 9<br />
Millionen Euro errechnet. Ich wünsche den Verantwortlichen in der Landeskirche<br />
die Weitsicht und den Mut in dieser schwierigen Situation gute<br />
und zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen.<br />
Zur Struktur: Verschiedene Modelle werden derzeit diskutiert – soll man<br />
den Beginn in Maulbronn um ein Jahr vorziehen oder lieber ein Modell 9/<br />
10 in Maulbronn und 11/12 in Blaubeuren planen? Könnten beide Schulen<br />
unabhängig voneinander kleine Klassen von 9–12 aufnehmen? Würde ein<br />
Modell 9 und 11 für je zwei Jahre alternierend in Maulbronn und Blaubeuren<br />
Sinn machen?<br />
Ich bezweifle, ob es hier eine Ideallösung gibt. Aufgrund der Erfahrung<br />
aus zehn Jahren in Maulbronn würde ich für eine zukünftige Form plädieren,<br />
die zweierlei gewährleistet: erstens eine größere Konstanz des<br />
Lehrpersonals und zweitens zumindest auf der Ebene der Mittelstufe (also<br />
1595
Klasse 9–10) eine Trennung von Betreuer- und Lehrerfunktion. Das Repetentenmodell<br />
mag in der Vergangenheit viele Vorzüge gehabt ha-ben,<br />
aber realistisch betrachtet ist es für alle – außer pädagogische Genies<br />
– eine Überforderung. Kaum jemandem ist es gegeben die Funktionen<br />
von Lehrer, Erzieher, Kumpel, Aufsichtsperson und väterlichem Freund<br />
in einer Person zu vereinen. Für die Schüler ist es ebenso schwierig die<br />
Betreffenden in ihrer jeweiligen Rolle zu akzeptieren. Ein Lehrer, der bis<br />
um 16.00 Uhr im Seminar präsent ist und so Unterricht und Lernzeit<br />
begleitet, durchaus auch an den Mahlzeiten teilnimmt, aber ab 16.00<br />
Uhr die Sorge um die Betreuung in die Hände eines kompetenten Sozialpädagogenteams<br />
legen kann, wird möglicherweise länger in Maulbronn<br />
verweilen als nur zwei oder drei Jahre.<br />
Diese Gedanken mögen provokativ sein, unbequem oder für manche<br />
schlicht ärgerlich – ich erlaube mir dennoch sie zu äußern in der inständigen<br />
Hoffnung, dass weitere Überlegungen angestellt werden, die zu einer<br />
zukunftsfähigen Lösung für die Seminare führen.<br />
An den Schluss meiner Überlegungen möchte ich ein Wort des Apostels<br />
Paulus stellen, das ich mehrmals scheidenden Promotionen mit auf den<br />
Weg gegeben habe: In unnachahmlicher Kürze formuliert Paulus im 1.<br />
Korinther 6, 12 den Grundgedanken christlicher Freiheit so:<br />
»Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt,<br />
aber es soll mich nichts gefangen nehmen.«<br />
Wenn mein Wirken in den vergangenen Jahren ein wenig dazu beigetragen<br />
hat, diese Idee der christlichen Freiheit an junge Menschen weiterzugeben,<br />
dann bin ich zutiefst dankbar dafür.<br />
Familie Henrich mit den Söhnen (von links) Matthias, Manuel und Michael<br />
im Ephoratsgarten<br />
1596
Abitur 2002 und dann . . .<br />
Studienreise nach Siebenbürgen/Rumänien<br />
vom 8. bis 30. Juli 2002<br />
Ein ganzjähriger Auslandsaufenthalt nach dem Abitur kam für mich<br />
nicht in Frage – ich wollte so schnell wie möglich an die Universität. Es<br />
tut aber doch ganz gut, nach all den Strapazen, die das Abi so mit sich<br />
bringt und die unterschiedlichst beschaffen sind, eine Weile »rauszukommen«<br />
– und so bewarb ich mich schon im Februar bei der Orga-<br />
nisation ZIS – Studienreisen, die für Schüler Stipendien für vier- bis<br />
mehrwöchige Auslandsaufenthalte vergibt. Das Grundkonzept dieser<br />
Organisation ist folgendes – unter der Voraussetzung, völlig alleine zu<br />
reisen, bekommt der oder die Reisende einen Betrag von 500 EURO zur<br />
Verfügung gestellt. Innerhalb dieser Möglichkeiten ist es Aufgabe und<br />
Sinn, vier oder mehr Wochen ein Land der eigenen Wahl zu bereisen und<br />
sich dort mit einem ebenfalls selbstgewählten Thema oder einer Proble-<br />
matik, die für dieses Land typisch ist, zu beschäftigen. Auf diese Weise<br />
soll der Stipendiat Eigeninitiative bei der Vorbereitung und der Durchführung<br />
der Reise und im Umgang mit der dort lebenden Bevölkerung zei-<br />
gen. So soll vom rein konsumierenden Tourismus Abstand genommen<br />
und statt dessen Kontakte zu den Menschen geknüpft und die Beson-<br />
derheiten des Landes besser kennen gelernt werden. Unsere Promotion<br />
ist in Klasse 9 schon einmal in Siebenbürgen gewesen. Damals hat mich<br />
das Land so fasziniert, dass ich mich dafür entschied, unter dem Thema<br />
»Ökumene und Soziale Zusammenarbeit« noch einmal dorthin zu reisen<br />
– diesmal allein.<br />
Von einigen Siebenbürger Familien, die seit längerer Zeit wieder in<br />
Deutschland leben, bekam ich Adressen von rumänischen Familien. Ich<br />
schrieb sie an und sie antworteten mir sofort und wie selbstverständlich,<br />
dass sie mich aufnehmen und mir behilflich sein würden.<br />
Und so stieg ich dann eine Woche nach dem tränenreichen Abschied<br />
in Blaubeuren in Stuttgart in den Bus, um nach 36 Stunden Fahrt in<br />
Bistrita/Bistritz, der nördlichsten Station meiner Reise bei Maria Sig-<br />
arteu anzukommen. Später sollte mich mein Weg weiter in den Süden<br />
nach Sibiu/Hermannstadt zu Vasile Ciobanu und seiner Familie führen.<br />
In Begleitung der neunzehnjährigen Tochter Irina bekam ich viel von<br />
Stadt und Umgebung zu sehen, z. B. das einigen von uns schon bekann-<br />
te historische Freilichtmuseum etwas außerhalb der Stadt. Die beiden<br />
eindrücklichsten Erlebnisse waren in Sibiu jedoch die Tageswanderung<br />
in den Karpaten und das Wochenende in der mittelalterlichen, noch sehr<br />
gut erhaltenen Stadt Sighisoara/Schässburg.<br />
1597
In Alba Iulia/Karlsburg, meiner nächsten Station, wurde mir echtes Plattenbauleben<br />
wie in kommunistischen Zeiten zuteil. Hier teilten sich die<br />
vierköpfigen Familien Adriana Avrams und Ovidiu Podars eine Dreizimmerwohnung<br />
und brachten mich dennoch auf der ausziehbaren Couch<br />
im Wohnzimmer unter. Von Sorin, dem Theologie studierenden Sohn der<br />
Podars, und Andrada, der Tochter der Avrams, erfuhr ich alles Wissens-<br />
und Sehenswerte des orthodoxen Glaubens und wurde sogar von einem<br />
eifrigen Mitkommilitonen Sorins beschwatzt, mir eine Konversion doch<br />
gut zu überlegen. Glücklicherweise reiste ich weiter, bevor sich diese<br />
Überlegungen in Ernsthaftere zu wandeln begannen.<br />
Auf dem Rückweg nach Bistrita machte ich einen Zwischenstopp in<br />
der Universitätsstadt Cluj-Napoca/Klausenburg und ließ mir von Andrada<br />
und Sorin die Stadt zeigen. Sie blieb mir mit ihren blau-gelb-rot<br />
gestrichenen Straßenpfeilern, Gehwegbegrenzungen, Fahnenmasten,<br />
Kios-ken, Bänken und sogar Mülleimern besonders deutlich in Erinnerung<br />
– die von Datum und Jahreszeit unabhängige Dauerbeflaggung<br />
der Stra-ßen mit der rumänischen Trikolore nicht zu vergessen. Sorins<br />
bittere und oft zynische Kommentare ließen mich ahnen, was wohl nicht<br />
nur er, sondern der Großteil der rumänischen Bevölkerung von dieser Art<br />
übertriebener Vaterlandsliebe einiger Regierender hält.<br />
Meine Kontakte zur rumänischen Bevölkerung waren von offener Herzlichkeit<br />
und bedingungsloser Gastfreundschaft geprägt. Wie selbstverständlich<br />
nahmen mich die Familien als eine noch Unbekannte auf<br />
– stolz und glücklich darüber, dass sich jemand für ihr Land interessierte,<br />
und darüber, mir alles Sehenswerte zeigen zu können. Wäre es nach<br />
diesen Familien (und wohl auch nach mir . . .) gegangen, wäre ich wohl<br />
noch vier weitere Wochen geblieben, um Bukarest, die Moldauklöster<br />
und Constanta am Schwarzen Meer (für Lateiner: das ehemalige Tomis)<br />
zu besuchen. Die Gastfreundschaft ging hin bis zu Heiratsanträgen, die<br />
aber wohl eher mit dem Hintergedanken an eine Aufenthaltsgenehmigung<br />
in Deutschland als mit der plötzlich entflammten unsterblichen<br />
Liebe zu mir zusammenhingen.<br />
Weniger gute Erfahrungen machte ich dagegen mit dem rumänischen<br />
Klerus, gleich welcher Konfession, den ich im Rahmen meines Themenbereiches<br />
besuchte und befragte. Die Kirchen sind geprägt von<br />
einer konservativen, für den Osten Europas typischen patriarchalischen<br />
Struktur. So hatte ich als noch nicht einmal zwanzigjähriges junges Ding<br />
aus Deutschland nicht allzu große Chancen, von orthodoxen und katholischen<br />
Priestern etwas über eine Problematik – Ökumene bzw. die Bereitschaft,<br />
interkonfessionell zusammen zu arbeiten – zu erfahren. Diese<br />
Bereitschaft setzt Offenheit zum Dialog voraus, etwas, das in diesen<br />
1598
konservativen Kirchenstrukturen schwer zu finden ist. Auch mit protes-tantischen<br />
Amtskollegen machte ich nicht nur gute Erfahrungen:<br />
In einem evangelisch geführten Altenheim in Sibiu wurde ich nach drei<br />
Minuten buchstäblich vor die Tür gesetzt.<br />
Die in Rumänien herrschenden Lebensbedingungen habe ich während<br />
meines Aufenthaltes nie mit den unsrigen verglichen. Erst als ich wieder<br />
in Deutschland war, wurde mir bewusst, in welchem Überfluss wir leben.<br />
Ich werde keine allgemeingültigen Aussagen über »die rumänische<br />
Mentalität« machen oder darüber, »wie es da unten so ist«. Das steht<br />
mir nach einem dreieinhalbwöchigen Aufenthalt nicht zu. Ich kann nur<br />
sagen, dass ich sehr faszinierende und bewundernswerte Menschen<br />
kennengelernt habe und alle Erfahrungen und Begegnungen, die guten<br />
wie die schlechten, eine sehr große Bereicherung für mich waren.<br />
Anne-Christin Wahl (97/02)<br />
UNESCO-Sprachcamp 2002 in Bialogard (Polen)<br />
Nach dem Abitur im Juni 2002 und dem Abschied von Blaubeuren war<br />
das Internatsleben für mich noch nicht vorbei, da ich die Gelegenheit<br />
hatte, drei Wochen in einem polnischen Internat zu verbringen. Doch dieses<br />
Mal war ich nicht Schüler, sondern Lehrer.<br />
Ich hatte mich auf eine Anzeige in der ZEIT gemeldet, in der deutsche<br />
Schüler, Lehrer und Studenten gesucht wurden, die bereit wären, drei<br />
Wochen in einem Sprachcamp polnischen Schülern Deutsch beizubringen.<br />
Nachdem ich die Zusage bekommen hatte, erfuhr ich bei einem<br />
Vortreffen mehr über die Sprachcamps der UNESCO.<br />
Jedes Jahr finden in den Ferien in Polen Sprachcamps für polnische<br />
Schüler zwischen 16 bis 18 Jahren statt, die sich einen Aufenthalt im<br />
Ausland nicht leisten können. So haben die Schüler die Möglichkeit, in<br />
ihrem Heimatland Sprachunterricht von Muttersprachlern zu bekommen.<br />
Den Sprachcamps, die von der Polnischen und der Deutschen UNESCO-<br />
Kommission und mit Mitteln des Auswärtigen Amts finanziert werden, liegt<br />
das Konzept zu Grunde, dass das deutsche Team sowohl aus ausgebildeten<br />
Lehrern als auch aus »normalen« Jugendlichen besteht, die sich beim<br />
Unterrichten gegenseitig ergänzen und auch außerhalb der Sprachkurse<br />
in verschiedenen Workshops und anderen Freizeitaktivitäten Kontakt zu<br />
den polnischen Jugendlichen haben.<br />
Im Camp in Bialogard, einer Kleinstadt im Norden Polens zwischen Danzig<br />
und Stettin, waren fast 120 polnische Schüler verschiedener Niveau-<br />
1599
stufen. Gemeinsam mit einer Deutsch-Lehrerin hatte ich einen Anfängerkurs<br />
mit 12 Schülern. Dabei musste ich die Erfahrung machen, dass ein<br />
Lehrer nicht nur morgens ein bisschen unterrichtet, sondern dass auch<br />
viel Zeit für die Vorbereitung des Unterrichts investiert werden muss.<br />
So blieb uns nicht viel Freizeit, da wir auch noch die Workshops vorbereiten<br />
mussten, die jeden Nachmittag stattfanden: von einer Zeitung,<br />
die täglich die Stimmung im Camp wiedergab, über Chor, Theater und<br />
Jonglieren, bis zu einem Workshop über die Geschichte Bialogards war<br />
alles dabei.<br />
Die polnischen Schüler, die ich kennen gelernt habe, sind ehrgeizig<br />
und bereit, hart zu arbeiten, um ihre Wünsche und Ziele zu erreichen.<br />
Viele wollen Medizin, Jura, Politik oder Germanistik studieren, und um<br />
an einer guten Universität aufgenommen zu werden und damit auch<br />
die Chance zu haben, eine Arbeit zu finden, müssen die Schulabgänger<br />
schwere Aufnahmeprüfungen machen, auf die sie sich lange vorbereiten.<br />
Um ihre Chancen zu verbessern und vielleicht auch einige<br />
Zeit ins Ausland gehen zu können, verbringen sie ihre Ferien in Sprachcamps<br />
und einen Großteil ihrer Freizeit mit weiteren Sprachkursen.<br />
Entsprechend gut sind dann auch ihre Fremdsprachenkenntnisse in<br />
Deutsch und in Englisch. Doch ihre Aussichten auf angemessen bezahlte<br />
Arbeit sind zur Zeit nicht besonders gut. Auch oder gerade für Akademiker<br />
gibt es meist nur schlecht bezahlte Jobs. Unsere Dolmetscherin im<br />
Camp beispielsweise verdient als Lehrerin nicht genug, um ihre Familie<br />
zu ernähren und arbeitet deshalb noch zusätzlich als Dolmetscherin.<br />
Mit knapp 30 Prozent ist die Arbeitslosigkeit in der Region um Bialogard<br />
am höchsten in ganz Polen. Dort ist im Gegensatz zu den Großstädten<br />
wie Danzig oder Krakau die Armut vieler Menschen auch deutlich zu<br />
spüren.<br />
Trotz der bedrückenden Umgebung herrschte im Camp eine tolle<br />
Atmosphäre. Höhepunkte waren die gemeinsamen Ausflüge an die Ostsee<br />
zum Baden, ins Kino (glücklicherweise sind die Kinofilme in Polen<br />
auf Englisch) oder in die Disco. Regelmäßig gab es auch Fußball-, Volley-ball<br />
und Basketballturniere, bei denen unser deutsches Team meist<br />
bittere Niederlagen einstecken musste.<br />
Nach den schönen, aber auch anstrengenden drei Wochen Sprachkurs<br />
und dem Abschied von den Jugendlichen und Bialogard gab es dann<br />
für das deutsche Team eine Rundreise durch Polen als Dank für den<br />
freiwilligen Einsatz.<br />
1600
Wir fuhren über Czestochowa nach Zakopane im Tatra-Gebirge,<br />
machten in dem berühmten Wintersportgebiet eine Bergwanderung<br />
und erlebten einen traditionellen polnischen Abend mit viel Musik und<br />
Zywiec-Pivo in einem Bergdorf.<br />
Und dann der Höhepunkt unserer Reise: die Kulturstadt Krakau, die<br />
sich gerade auf die Ankunft »ihres« Papstes vorbereitete. Denn dieser<br />
stammt aus der Nähe von Krakau und hat dort auch das Priester<strong>seminar</strong><br />
besucht. Ungefähr 95 Prozent der polnischen Bevölkerung ist katholisch<br />
und die Kirchen, vor allem in den kleineren Städten, sind am Sonntag oft<br />
so voll, dass die Menschen vor der Tür stehen, um an der Messe teilzunehmen.<br />
In Krakau war an jeder Ecke und in jedem Fenster ein Bild des<br />
Papstes zu sehen, die ganze Stadt war voller Fahnen und zwei Tage lang<br />
durfte nirgendwo Alkohol verkauft werden.<br />
Krakau hat uns alle begeistert: die Altstadt mit dem großen Marktplatz<br />
und schon fast mediterranem Flair, da viele Gebäude von italienischen<br />
Architekten entworfen wurden, die Marienkirche mit dem Hochaltar<br />
von Veit Stoß und viele andere Sehenswürdigkeiten – und natürlich die<br />
Abende in Krakaus berühmten Jazzkellern.<br />
In den vier Wochen habe ich ungeheuer viel gesehen, viele interessante<br />
Menschen getroffen und vor allem ein mir bis dahin völlig fremdes Land<br />
näher kennen gelernt. Zu einigen Jugendlichen des Camps habe ich<br />
immer noch Kontakt und werde ihnen vielleicht im nächsten Jahr wieder<br />
begegnen – wenn die Camps im nächsten Jahr wieder stattfinden können,<br />
denn die Finanzierung ist noch nicht gesichert.<br />
Theater<br />
2003<br />
Salome Hölzle (97/02)<br />
Friedrich Dürrenmatt Die Physiker<br />
Aufführungen im Dorment des Klosters Blaubeuren:<br />
� Freitag, 21. März 2003, 19.30 Uhr<br />
� Samstag, 22. März 2003, 18.00 Uhr<br />
� Sonntag, 23. März 2003, 18.00 Uhr<br />
Vorverkauf ab 3. Februar: Mo.–Fr. 8.30 Uhr bis 12.00 Uhr<br />
Telefon: (0 73 44) 9 62 60<br />
1601
Ein Jahr in Norwegen<br />
Etwa 40 Kilometer südlich von Oslo, auf der östlichen Oslofjordseite,<br />
befindet sich der kleine Ort Vestby, in dem ich seit knapp zwei Monaten<br />
die Follo folkehøgskole besuche. Wenn ich aus meinem Fenster schaue,<br />
habe ich einen wunderbaren Ausblick auf eine buntgefärbte Herbstlandschaft<br />
mit Feldern, Wäldern und vereinzelten Häusern. Verglichen mit<br />
Blaubeuren ist diese Gegend noch um einiges ruhiger, neben der Schule<br />
gibt es drei Supermärkte und eine Kneipe, doch die Nähe zu Norwegens<br />
wunderschöner Hauptstadt lässt dies nebensächlich erscheinen.<br />
Die ersten folkehøgskolen, die nur in Skandinavien existieren, entstanden<br />
in Dänemark. Der Grundgedanke vor rund 150 Jahren war, auch der<br />
ländlichen Bevölkerung eine Möglichkeit zur Bildung und gesellschaftlichen<br />
Sozialisierung zu eröffnen. Inzwischen sind die folkehøgskolen<br />
– zumindest in Norwegen – für diejenigen gang und gäbe, die nach ihrem<br />
Schulabschluss etwas völlig anderes machen, ihre Gedanken sammeln<br />
und Zeit für Dinge haben wollen, die sonst zu kurz kommen.<br />
Ich erfuhr von den folkehøgskolen, die in Deutschland völlig unbekannt<br />
sind, über meinen norwegischen Patenonkel. Nach dem Abitur wollte<br />
ich sehr gerne für einige Zeit ins Ausland, um nach großem Latinum und<br />
Graecum neben Englisch noch eine weitere moderne Fremdsprache zu<br />
lernen. Dafür schien mir die folkehøgskole eine gute Möglichkeit.<br />
In Norwegen gibt es ca. 60 folkehøgskolen, von denen jede auf ein anderes<br />
Gebiet spezialisiert ist. Die Follo folkehøgskole bietet als Hauptkurse<br />
Tanzen, Chor, Kunst und Tourismus an. Ich bin in der Chorgruppe, in der<br />
jeden Morgen zwischen 9 und 12 Uhr gesungen und musiziert wird. Innerhalb<br />
des Kurses wird während des Jahres an verschiedenen Projekten<br />
– Auftritten, Konzerten etc. – gearbeitet. Dafür werden auch Musikaufnahmen<br />
im eigenen Studio gemacht. Die Nachmittage können je nach Belieben<br />
durch Kurse wie Tanzen, Photographie, Keramik u. ä. gestaltet und<br />
ausgefüllt werden. Ich genieße es sehr, ohne Druck Zeit für die eigenen<br />
Interessen zu haben und nebenbei Norwegisch zu lernen.<br />
In Follo haben die wenigen Ausländer wöchentlich gemeinsam fünf Stunden<br />
Norwegischunterricht. Es studieren hier zwei Inder, ein Chinese, ein<br />
Mädchen aus Israel, eins aus Uganda und zwei Deutsche – mich eingeschlossen.<br />
Da alle verständlicherweise völlig unterschiedliche Voraussetzungen<br />
zum Erlernen des Norwegischen haben, verläuft der Unterricht<br />
etwas anders als Fremdsprachenunterricht in einer homogenen Gruppe.<br />
Die Schulanlage ist in einigen Bereichen mit dem Seminar vergleichbar<br />
– die Gemeinschaft ist ähnlich groß, die Zimmer werden geteilt und man<br />
isst und verbringt seine Zeit zusammen. Zu Beginn des Schuljahres war<br />
die gesamte Schule drei Tage beim Wandern in den Bergen und zum Jah-<br />
1602
esabschluss wird immer eine größere Reise gemacht, die diesmal nach<br />
Barcelona gehen wird.<br />
Ich fühle mich in Norwegen besonders wohl, weil die Menschen herzlich<br />
auf einen zugehen. Besonders aber vermittelt mir die Natur – die Bäume,<br />
Felder, der Himmel und die Luft – ein so sauberes, reines und unberührtes<br />
Gefühl, das ich in dieser Form zuvor kaum erlebt habe. Man spürt, dass es<br />
den Menschen in diesem Land gut geht, was sich auch auf das Verhalten<br />
untereinander auswirkt. Kinderfreundlichkeit ist hier ganz selbstverständ-<br />
lich und Kinder werden nicht ausgeschlossen, sondern integriert. Es ist<br />
kein Geheimnis, dass Norwegens Frauen so gut wie in fast keinem anderen<br />
Land Familie und Beruf miteinander verbinden können.<br />
An Ausländer werden jährlich 25 Vollstipendien für 9 Monate folkehøg- folkehøgskole<br />
vergeben, um die man sich bewerben kann. Ohne Stipendium kos-<br />
tet das Schuljahr umgerechnet ca. 7000 EURO. Das Stipendium heißt<br />
»Minnefondet av 8. Mai 1970« (memorial fund) und geht auf die Völkerverständigung<br />
zurück, mit der Norwegen aktive Friedenspolitik betreibt.<br />
Italienisch lernen in Perugia<br />
Elisabeth Kremer (97/02)<br />
Ein Sprachaufenthalt ist eine prima Möglichkeit für alle, die – egal ob nach<br />
dem Abitur oder mitten im Berufsleben steckend – eine gewisse Zeit im<br />
Ausland verbringen möchten.<br />
Ich hatte ursprünglich einen Europäischen Freiwilligendienst geplant. In<br />
diesem Programm kam ich allerdings nicht unter und als Alternative bot<br />
sich der reine Sprachaufenthalt an, auch deshalb, weil er sich noch recht<br />
kurzfristig verwirklichen lässt.<br />
In Italien gibt es zwei Universitäten für Ausländer, Siena und Perugia, die<br />
sich auf das Vermitteln der italienischen Sprache und Kultur spezialisiert<br />
haben. Beide weisen eine lange Tradition auf, haben Universitätsstatus<br />
und ermöglichen einem deshalb nach jeweils dreimonatigem Kursbesuch<br />
den Erwerb eines anerkannten Abschlusses. Die Kurse, in fünf Schwierig-<br />
keitsstufen gegliedert, stehen Studenten aller Nationen und jeden Alters<br />
offen. Ich hatte bei meiner Ankunft in Perugia keinerlei Vorkenntnisse, was<br />
im Kurs kein Problem darstellte, im außerschulischen Leben aber doch.<br />
Zum einen können die meisten Italiener, die Studenten ausgenommen,<br />
kein oder kaum Englisch, zum anderen ist es immer unangenehm, die<br />
Sprache des Landes, in dem man lebt, nicht zu beherrschen. Aber das<br />
gerade ist wiederum ein großer Vorteil für uns Sprachschüler – es kann<br />
1603
wohl kaum eine größere Motivationsquelle geben als den Wunsch, alltägliche<br />
Dinge auf Italienisch erledigen oder sich mit Einheimischen<br />
unterhalten zu können. Man lernt schon allein dadurch, mit offenen Ohren<br />
durch die Stadt zu gehen. Der Kurs verhilft einem zum theoretischen<br />
Beherrschen der Grammatik und zu einem wachsenden Wortschatz; das<br />
tatsächliche Umsetzen, das Sprechen, lässt sich aber nur im Alltag oder<br />
auf der Straße lernen. Ohne die Überwindung, sich wirklich im Gespräch<br />
außerhalb des Unterrichts zu versuchen, ist eine Sprache nicht zu lernen.<br />
Ich habe das Glück, mit einem Italiener zusammenzuwohnen, der mich<br />
zwar – auf nette Weise – bei meinen Versuchen belächelt, aber mir natürlich<br />
in vielem helfen kann.<br />
Zur Stadt selbst: Perugia ist die Hauptstadt der Region Umbrien und trotz<br />
ihrer 150 000 Einwohner recht überschaubar; vor allem deshalb, da sich<br />
das historische Zentrum über einem mehrarmigen Bergrücken erstreckt,<br />
den man so wenig wie möglich hinab- bzw. hinaufsteigt. Bedingt durch<br />
die topografische Lage prägen das Stadtbild vor allem die vielen, kleinen<br />
Gassen, oft auch steilen Treppengassen. Es gibt wie in jeder italienischen<br />
Stadt eine große, belebte Piazza, die hier besonders schön ist, und viele<br />
historische Gebäude. Perugia ist mit seiner zentralen Lage ein nahezu<br />
perfekter Ausgangspunkt für Ausflüge in Umbrien, der Toskana oder nach<br />
Rom (es sei denn, man ist auf Bus und Bahn angewiesen). Auch das kulturelle<br />
Angebot ist vielseitig; der Besuch des Teatro Morlacchi lohnt sich<br />
beispielsweise schon allein des Gebäudes wegen.<br />
Ich habe mich hier sehr schnell eingelebt und hätte mir nichts Besseres<br />
für die Monate nach dem Abitur vorstellen können. Eine Sprache zu lernen<br />
ist immer ein großer Gewinn; aber gleichzeitig das Land, die Menschen<br />
und deren Kultur kennenzulernen und darin mitzuleben intensiviert diesen<br />
Lernprozess, erleichtert ihn und schafft neben dem Beherrschen der<br />
Sprache eine persönliche Verbindung zu dem Land.<br />
Und das italienische Leben ist so beschaffen, dass ich voll neuer Eindrücke<br />
zurückkehren und mit mir ein Stück Italien nach Deutschland<br />
bringen werde.<br />
Teresa Frick (97/02)<br />
Diakonisches Jahr in Schweden<br />
Die Organisation »Ev. Freiwilligendienste für junge Menschen« gibt jedes<br />
Jahr über hundert jungen Freiwilligen die Chance, ein diakonisches Jahr<br />
im europäischen Ausland zu leisten. Ein solches Jahr mache ich gerade in<br />
Knivsta, einer Gemeinde zwischen Stockholm und Uppsala. Wir sind 17<br />
deutsche Freiwillige, die für ein Jahr in der Schwedischen Kirche angestellt<br />
sind. Die meisten von uns arbeiten in einer Gemeinde. Die Schwe-<br />
1604
dische Kirche gibt uns die Möglichkeit, einen Sprachkurs zu machen und<br />
organisiert auch Seminare für alle Freiwilligen. Auf diesen Seminaren<br />
lernen wir Verschiedenes über christlichen Glauben, Diakonie sowie<br />
Aufbau und Geschichte der schwedischen Kirche. Gustav Vasa verfügte<br />
als Anhänger Martin Luthers 1527 die Säkularisierung des Kirchenbesitzes.<br />
Die unblutige Durchführung der Reformation dauerte noch bis 1593.<br />
Seit dieser Zeit bis ins Jahr 2000 existierte in Schweden eine lutherische<br />
Staatskirche. Auch jetzt noch ist der Hauptpfarrer jeder Gemeinde vom<br />
Staat angestellt und mehr als 90 Prozent der Schweden sind Mitglieder<br />
der Kirche. Dementsprechend bieten die einzelnen Gemeinden auch Programme<br />
an: Kinder- und Jugendgruppen, Seniorenarbeit, Hausbesuche<br />
bei alten oder kranken Menschen, tägliche Andachten, »offenes Haus«,<br />
verschiedene Chöre usw. Für so viele Angebote bedarf es natürlich vieler<br />
Mitarbeiter: In meiner Gemeinde mit ca. 8000 Mitgliedern gibt es 25<br />
von der Kirche angestellte Mitarbeiter: Pfarrer, Kirchenmusiker, Diakone,<br />
Freizeitleiter, Sekretäre und Hausmeister, dazu noch eine schwedische<br />
Freiwillige und ich. Mit dieser Schwedin teile ich mir eine uns zur Verfügung<br />
gestellte Wohnung. Wir beiden Volontäre hatten anfangs die<br />
Möglichkeit, uns verschiedene Gruppen anzuschauen und haben dann<br />
zu-sammen mit unseren Betreuern einen Stundenplan zusammengestellt,<br />
der für jede von uns knapp 40 Wochenstunden umfasst. Unsere Aufgabe<br />
ist es, in Gruppen mitzuhelfen ohne diese selbstständig zu leiten. So<br />
bin ich jetzt in mehreren Kindergruppen für Kinder im Kindergartenalter<br />
dabei; auch als ich noch kein Schwedisch konnte, konnte ich zumindest<br />
beim Basteln helfen. Mittlerweile bin ich auch dafür zuständig, Geschichten<br />
vorzulesen. Außerdem helfe ich in einem Kinderchor für Grundschulkinder<br />
und in einer Mutter-Kind-Gruppe, wo ich mit den Kindern spiele,<br />
bastle und singe. In der Konfirmandenarbeit haben wir es dieses Jahr mit<br />
hundert Konfirmanden zu tun. Damit man da nicht die Übersicht verliert<br />
und auch einen persönlichen Kontakt herstellen kann, haben wir sie in<br />
kleine Gruppen eingeteilt. Mit den Konfirmanden arbeiten drei Pfarrer,<br />
zwei Freizeitleiter, ein Musiker, beide Freiwillige und noch zusätzlich einige<br />
Jugendliche. Neben der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen arbeite<br />
ich auch mit älteren Menschen, denen man schon dadurch eine große<br />
Freude macht, dass man einfach nur da ist und zuhört oder selber ein<br />
bisschen etwas erzählt. Dies geschieht bei Hausbesuchen, die ich selbstständig<br />
mache, oder beim gemeinsamen Mittagessen, das wir einmal pro<br />
Woche in der Gemeinde kochen. Darüber hinaus bin ich noch in einer<br />
Gruppe dabei, die regelmäßig Senioren aus dem Altenheim, die im Rollstuhl<br />
sitzen, spazieren fährt. Auch musikalisch kann ich mich einbringen:<br />
So habe ich schon im Gottesdienst Bratsche gespielt und singe in einem<br />
Vokalensemble mit. Außerhalb der eigenen Gemeinde singe ich im Kammerchor<br />
der Domkirche von Uppsala.<br />
Rebekka Eberhardt (97/02)<br />
1605
Freiwilligendienst in einem Kinderheim in Omsk/<br />
Westsibirien<br />
Hier in Omsk ist alles in Ordnung.<br />
Mittlerweile waren wir schon dreimal beim Russischunterricht, der wirklich<br />
anspruchsvoll ist und eine Menge bringt. Eigentlich spricht unsere Lehrerin<br />
fast nur russisch, und für mich ist es immer noch eine extreme Herausforderung,<br />
längere Zeit jemandem zuzuhören und auch noch alles zu<br />
verstehen. Doch geht es mit meinem Russisch schon erstaunlich gut. Die<br />
Sprache ist bedeutend schwerer als ich dachte, ein bisschen, als ob man<br />
plötzlich Latein sprechen müsste. Aber wenn die Leute verstehen, dass ich<br />
noch nicht besonders gut spreche, geben sie sich Mühe, sich ein bisschen<br />
verständlicher auszudrücken. Bei den Kindern ist es schon schwerer sie<br />
zu verstehen, da die meisten ziemlich undeutlich reden. Aber wenn ich ein<br />
paar Mal nachfrage, geht es.<br />
Die Zustände im Kinderheim habe ich Euch ja im letzten Brief schon ein<br />
wenig beschrieben. Einfach unbeschreiblich ist der Geruch im Heim, vor<br />
allem in unserer Gruppe. Man nimmt ihn zwar nach einer Weile nicht mehr<br />
wahr, aber wenn man wieder zu Hause ist, spürt man ihn überall an sich kleben.<br />
Der Geruch der Kinder ist aber auch kein Wunder, wenn man bedenkt,<br />
dass sie nur einmal in der Woche gewaschen werden, nicht oft neue Kleider<br />
bekommen und sich nie die Zähne putzen. Viele von ihnen laufen stundenlang<br />
mit nassen Windeln herum, ohne dass man es merkt. Manche Kinder<br />
liegen den ganzen Tag im Bett und starren an die Decke. Die Kinderpflegerinnen<br />
verstehen einfach nicht, dass wir uns auch und vor allem mit diesen<br />
Kindern beschäftigen wollen.<br />
Am Anfang haben sie uns nicht einmal gesagt, wie diese Kinder heißen,<br />
sondern einfach nur gesagt, das seien die Liegenden und mit den Schultern<br />
gezuckt. Aber daran werden sie sich wohl gewöhnen, und ich denke, sie<br />
halten uns zwar für ein bisschen komisch und unsere Zeit für verschwendet,<br />
aber im Großen und Ganzen interessieren sie sich nicht richtig für das,<br />
was wir tun. Nur manchmal stehen sie im Türeingang und sehen uns zu, wie<br />
wir mit den Kindern spielen, und das ist schon sehr seltsam.<br />
Den Kindern fehlt hier jede Art von Nähe und Zuneigung. Bei den körperlich<br />
fitteren und aktiveren Kindern merkt man das daran, dass sie immer zu uns<br />
rennen, krabbeln oder kriechen, wenn sie uns sehen und uns gar nicht mehr<br />
weglassen wollen. Da reichen dann zwei Hände einfach nicht aus, um zu<br />
zweit den über 30 Kindern, die hier zusammenwohnen, gerecht zu werden.<br />
Nimmt man den einen in den Arm, weint der andere, setzt man sich auf<br />
jedes Bein einen, schlagen sie sich. Trotzdem merken wir, dass wir die<br />
Kinder auch nur mit ein paar Minuten Aufmerksamkeit glücklich machen<br />
können. Sie haben aber auch gar nichts, womit sie sich beschäftigen kön-<br />
1606
nen. Das so genannte »Spielzimmer« (das ich mich eigentlich weigere so<br />
zu nennen) besteht aus einer Reihe winziger Holzstühlchen für die Kinder,<br />
ein paar Sofas für die Kinderpflegerinnen und einem Fernseher – das ist<br />
alles. Wenn wir nicht da sind, beschäftigen sich die Kinder also mit nichts.<br />
Die einen streiten sich, die ruhigeren sitzen auf einem – oft viel zu kleinen<br />
– Holzstühlchen oder in einer Ecke, kauen an sich oder ihren Kleidern<br />
und tun gar nichts. Es gibt auch noch ein Klassenzimmer, in dem ein paar<br />
Spielsachen stehen, aber dort dürfen immer nur ein paar Kinder während<br />
des Unterrichts hinein, ansonsten ist dieser Raum abgeschlossen. Der<br />
Unterricht ist, obwohl es wahrscheinlich gut ist, dass die Kinder überhaupt<br />
gefördert werden, nicht unbedingt etwas, was ihnen Spaß macht.<br />
Es wird sehr auf Disziplin geachtet (Hände auf den Knien!), und alles geht<br />
sehr schnell, ohne dass auf die einzelnen Kinder eingegangen wird.<br />
Viele Kinder hatten zunächst Angst vor uns oder reagierten erschreckt,<br />
wenn sie uns sahen. Eine von ihnen, Olja, hat immer nur geschrien, wenn<br />
ich sie angesprochen oder berührt habe. Mir wurde gesagt, sie möchte<br />
eben am liebsten allein sein (und ich solle sie auch besser allein lassen<br />
– Geschrei der Kinder nervt eben, egal warum). Heute habe ich sie – entgegen<br />
allen Warnungen – mit in die Turnhalle genommen (eine kleine Halle,<br />
sehr ungemütlich, aber immerhin gibt es hier ein Bällchenbad, Matten und<br />
Bälle, und wir können hier mit ein paar wenigen Kindern ungestört sein, was<br />
ansonsten wegen Platzmangels unmöglich ist). Olja jedenfalls ließ sich von<br />
mir in die Turnhalle tragen, setzte sich neben mich, hörte ohne zu schreien<br />
zu, als ich ein bisschen Gitarre gespielt und gesungen habe und nahm<br />
mich anschließend von sich aus in den Arm. Irgendwann ist die Kleine, die<br />
angeblich immer allein sein will, sogar auf meinem Schoß eingeschlafen. An<br />
so etwas freut man sich dann den ganzen Tag.<br />
Die Arbeit ist schon sehr anstrengend für mich, auch einfach deshalb,<br />
weil die Sprache mir noch sehr fremd ist und mit 19 Jahren geht das nicht<br />
mehr so schnell wie mit 10 Jahren, eine neue Sprache zu lernen (Heute<br />
abend sind allerdings noch Vokabeln dran, das eilt!). Ach, und außerdem<br />
tut einem so vieles, was hier passiert, einfach im Herzen weh. Wenn kleine<br />
Kinder innerhalb von ein paar Minuten auf einem riesigen Metalllöffel ihr<br />
Essen hinein geschaufelt bekommen und es für 20 Kinder, die gefüttert<br />
werden, nur drei oder vier Löffel gibt, die nicht zwischendurch gespült werden,<br />
dann wird es, so glaube ich, jedem anders. Zu trinken bekommen sie<br />
alle aus einer (!) riesigen Schnabeltasse, und wer nicht mehr will oder sich<br />
verschluckt, bekommt nichts mehr, egal, wie viel er schon getrunken hat.<br />
Heute hat uns ein kleiner Junge gefragt, warum denn eine Kanne Saft für<br />
alle reicht. Was soll man darauf antworten?<br />
Das klingt jetzt wahrscheinlich recht negativ und deprimiert, aber das bin<br />
ich überhaupt nicht.<br />
1607
Die Anhänger verschiedener Kirchen hier sind sehr auf unser Seelenheil<br />
bedacht, vor allem die Baptisten. Eine russlanddeutsche Mitarbeiterin aus<br />
dem Kinderheim, die uns sehr mag und unsere Arbeit stets unterstützt, hat<br />
uns am Sonntag quasi zwangsverpflichtet, mit ihr in den Gottesdienst zu<br />
kommen. Die Russen haben allgemein eine Art, sehr freundlich zu sein, nur<br />
das Beste zu wollen und einem trotzdem keine Wahl zu lassen. So saßen<br />
wir also am Sonntag in einem zweistündigen baptistischen Gottesdienst,<br />
in dem fast nur von alten Männern gepredigt wurde (auf russisch natürlich<br />
– ich habe in dem ganzen Gottesdienst einen (!) Satz verstanden, ansonsten<br />
nur Wörter wie »deshalb«, »weil« und »Amen«), auf einer Bank ohne<br />
Lehne und – dank der Geschlechter-, Jugend- und Kindertrennung – von<br />
allen Seiten angestarrt. Nun ja, und dafür bin ich am einzigen freien Tag in<br />
der Woche – wir haben in dieser Woche ausnahmsweise auch am Samstag<br />
gearbeitet – morgens um halb acht aufgestanden. Ich bin sicher, Gott verzeiht<br />
mir, wenn ich hier nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe.<br />
Während des Gottesdienstes ist es hier Winter geworden. Als wir ins<br />
Gemeindehaus gegangen sind, haben wir uns die Erde von den Füßen<br />
getreten. Als wir wieder heraus kamen, lag zentimeterhoch Schnee. Nach<br />
einem heftigen Schneesturm liegt jetzt ein halber Meter Schnee, und das<br />
ist für hiesige Verhältnisse noch sehr wenig. Kalt ist es noch nicht, aber<br />
ohne meine Wollmütze gehe ich schon länger nicht mehr aus dem Haus.<br />
Unser Weg ins Kinderheim, der keine Viertelstunde lang ist, führt durch eine<br />
Datschensiedlung und ein Birkenwäldchen. Vor allem jetzt, da es geschneit<br />
hat, sieht es dort aus wie im Märchen.<br />
Den Kindern ist dieser Ausblick leider verwehrt, denn erstens gibt es in<br />
unserer Abteilung keinen Rollstuhl mit aufgepumpten Rädern, zweitens<br />
ist es zu kalt (wenn man bedenkt, dass es erst im April oder Mai wieder<br />
Frühling wird, könnte man heulen) und drittens hat nur die Hälfte der Kinder<br />
überhaupt Jacken oder zumindest warme Pullover und nur ein Teil der Kinder<br />
besitzt Schuhe. Wenn uns in dieser Hinsicht nicht bald etwas einfällt,<br />
werden die Kinder im nächsten halben Jahr das Haus nicht verlassen (welch<br />
haarsträubende Vorstellung). – Aber das sind nun mal die Gedanken, die<br />
uns selbst beim Anblick des schönsten Winterwaldes nicht loslassen, und<br />
es wäre wohl auch seltsam, wenn es anders wäre.<br />
Das wäre fast alles, wobei: grad fällt mir noch ein, dass eine Rolle Selbstklebefolie<br />
auch sehr schön wäre, weil wir Dinge für die Kinder fest anbringen<br />
müssen, so dass die anderen es nicht abreißen können. Ach ja, und<br />
wenn ich schon an »meine« Kinder denke, fällt mir ein, dass es hier einen<br />
blinden Jungen gibt, der von all unseren Verschönerungsmaßnahmen<br />
wenig haben wird. Wenn in unserem Kuscheltierhaufen noch irgendwo eine<br />
von unseren beiden alten Spieluhren zu finden wäre, würdet ihr diesem<br />
Jungen, der mir schon sehr ans Herz gewachsen ist, eine unbeschreibli-<br />
1608
che Freude machen. Wenn nicht, ist es auch nicht weiter schlimm, schickt<br />
mir dann bitte ein oder zwei (oder ein paar mehr, aber nicht so viele) von<br />
meinen alten Kuscheltieren. Es müssen keine großen sein, dafür möglichst<br />
unzerstörbar. Schickt vielleicht dafür mir ein bisschen weniger, wenn es<br />
ansonsten zu viel wird. Auszug aus einem Brief. Anita Kötter (97/02)<br />
MISIONES – Das Land der Roten Erde<br />
Die Provinz Misiones liegt im Nordosten Argentiniens in der Grenzregion zu<br />
Brasilien im Norden und zu Paraguay im Westen. Im Dreiländereck im Nordwesten<br />
liegen die Iguaçú-Fälle (der Name leitet sich aus der Indianersprache<br />
Guaraní ab und bedeutet übersetzt »Große Wasser«), die mit ihren 275<br />
Kaskaden und einer Höhe von 70 m den Niagarafällen Konkurrenz machen.<br />
Sie gelten nicht nur aufgrund ihrer Dimension, sondern auch wegen der<br />
Iguaçú-endemischen Flora und Fauna, die sich im Urwald um die Katarakte<br />
ausbreitet, als Weltwunder. Grenzflüsse sind im Westen zu Paraguay der<br />
Río Paraná und im Osten der Río Uruguay. Die Ausmaße der Provinz liegen<br />
bei etwa 32.000 qkm Gesamtfläche, das entspricht einer Breite von ca.<br />
120 km und einer Länge von ca. 320 km. Insgesamt leben etwa 960.000<br />
Menschen in Misiones, davon noch ca. 3000 Ureinwohner (größtenteils<br />
Guaraní-Indianer aus dem Volk der M`bya) und viele Immigranten aus europäischen<br />
Ländern. Die Hauptstadt Posadas, am Südausgang gelegen, hat<br />
ca. 300.000 Einwohner. Die Hauptstadt Buenos Aires liegt etwa 17 Busstunden<br />
entfernt.<br />
Der 26. Breitengrad (südliche Breite) durchläuft die Provinz. Das Klima ist<br />
subtropisch-feuchtwarm. Die heißeste Periode liegt zwischen Dezember<br />
und Februar, die kälteste mit kurzen Frösten zwischen Juni und August.<br />
Das Landschaftsbild wird in erster Linie durch große Waldflächen (natürlicher<br />
Mischwald und Forstwald) und die eisenhaltige rote Erde geprägt. Die<br />
Hügelketten sind durch kleine Bäche durchschnitten.<br />
Ich bin seit Mitte Oktober im Lande und werde bis Mitte April bleiben. Eine<br />
Verwandte von mir lebt seit 10 Jahren in Capiovisiño, einer kleinen Siedlung<br />
im Herzen der Provinz. Sie unterhält eine »chacra« (Bauernhof) mit Kühen,<br />
Büffeln, ein wenig Ackerbau, Yerba-Mate-Plantagen von etwa 3 ha Größe<br />
und aufgeforstetem Pinienwald von ebenfalls etwa 3 ha Ausmaß. Die Weideflächen<br />
umfassen nochmals ca. 5 ha Fläche, die restlichen 9 ha bestehen<br />
aus ausgeholztem Naturwald. Hinzu kommen 20 ha, die von Naturwald<br />
bewachsen sind. Das Wohnhaus verfügt über zwei kleine Schlafzimmer,<br />
eine Küche mit fließend Wasser und Holz- sowie Gasherd und ein Bad mit<br />
Dusche und WC. Das (Trink-)Wasser muss aus der eigenen Quelle ins Haus<br />
gepumpt werden, Strom liefern Solarzellen auf dem wellblechgedeckten<br />
Dach. Die ganze Ökonomie des Hauses ist folglich autark und ökologisch.<br />
1609
Ebenso ist meine Verwandte bei der Deckung des eigenen Lebensbedarfs<br />
bemüht, so unabhängig wie möglich zu wirtschaften. Aus dem Garten<br />
sowie von den zahlreichen Obstbäumen (Orangen, Zitronen, Mandarinen,<br />
Bananen, Papaya, Guaven, Maulbeeren, Feigen, Pfirsiche, Avocados)<br />
deckt sie ihren täglichen Eigenbedarf und stellt Produkte (Marmeladen,<br />
Liköre, Sirup, Nachtische, Saucen etc.) für den Verkauf auf dem Wochenmarkt<br />
in Posadas her. Außerdem hat sie eine Bienenzucht zur Honiggewinnung<br />
und zahlreiche Heilkräuter, aus denen Naturheilmittel hergestellt<br />
werden. Hinzu kommt die Verarbeitung von Soja. Aus der Bohne gewinnt<br />
sie Milch, Joghurt, Mayonnaise, Tofu, Kleie – kombiniert mit Mehl ergeben<br />
sich außerdem Nudeln, Gnocchi und verschiedene Backwaren. All dies<br />
wird zum größten Teil auf dem Markt vertrieben.<br />
Zudem lehrt sie die Soja-Verarbeitung interessierten Frauen aus der Umgebung.<br />
Da Soja eine Vielfalt an Anwendungen bietet und viele Nährstoffe<br />
enthält, die z. B. große Mengen an Fleisch, Eiern, Fetten ersetzen können,<br />
stellt es für viele argentinische Haushalte, die aufgrund der ökonomischen<br />
Lage sparsam leben müssen, und selbstverständlich auch aus gesundheitlichen<br />
Aspekten, eine wichtige Alternative dar.<br />
Für mich ist es sehr interessant diese Lebensweise mitzuerleben. Ich helfe<br />
bei allen anfallenden Arbeiten mit und lerne dabei eine ganze Menge. Die<br />
Kontakte zu verschiedenen Menschen, die sich z. B. bei den Soja-Kursen<br />
ergeben, ermöglichen mir tiefe Einblicke in das Leben der Menschen hier.<br />
Die bekanntlich katastrophale wirtschaftliche Lage der Republik ist mehr<br />
oder weniger deutlich zu spüren. In gewissen Kreisen wird natürlich viel<br />
darüber gesprochen und über die Korruption, die sich bei allen »Eliten«<br />
(insbesondere Politikern, Ärzten und Juristen) findet, geschimpft. Die Mehrheit<br />
der Bevölkerung setzt sich jedoch weniger mit den Ursachen auseinander,<br />
sondern hat eben unter den Folgen zu leiden. Die Arbeitslosigkeit liegt<br />
bei etwa 40%, Sozialversicherungen existieren so gut wie gar nicht und die<br />
Inflation, die seit Aufhebung der Dollarbindung ungehindert steigt, treibt<br />
die Lebenshaltungskosten in astronomische Höhen. Dies bedeutet für viele<br />
Familien eine ernsthafte Existenzbedrohung, beispielsweise können viele<br />
Jugendliche aus finanziellen Gründen nicht mehr studieren.<br />
Trotz dieser schwierigen Lage und der vielen Probleme erlebe ich das<br />
Land sehr positiv. Die Menschen, denen ich begegne, sind freundlich und<br />
aufgeschlossen. Immer hat man Zeit, um zusammen einen Mate-Tee zu<br />
trinken und ein bisschen zu plaudern. An Wochenenden finden in jedem<br />
noch so kleinen Ort Veranstaltungen statt, meist mit Tanz und Musik bis<br />
spät in die Nacht (allerdings ist die Tango-Hochburg Buenos Aires zu weit,<br />
um dieses Flair bis hier hoch zu wehen!). Die Natur und die klimatischen<br />
Bedingungen genieße ich natürlich auch sehr. Bestimmt werde ich in den<br />
verbleibenden 5 Monaten meines Aufenthaltes noch viele schöne Dinge<br />
sehen und Interessantes erfahren und entdecken können.<br />
Helen Duhm (97/02)<br />
1610
Aus dem Kassenbuch des Rechners<br />
Einnahmen:<br />
Spenden<br />
Zinsen<br />
Rückzahlungen von Wertpapieren<br />
Ausgaben:<br />
Ausschüttung<br />
Mann-Preis<br />
NT-Stiftung<br />
Seminar-Nachrichten<br />
<strong>Seminaristen</strong>verzeichnis<br />
Sonderzuweisung (Blaubeuren)<br />
Sonderzuweisung (Maulbronn)<br />
Sonstiges<br />
Kauf von Wertpapieren<br />
Kontostand<br />
Wertpapiere (Nennwert)<br />
2001 (30. 9.)<br />
38.919,56 DM<br />
5.340,93 DM<br />
47.000,–– DM<br />
91.260,49 DM<br />
10.000,–– DM<br />
2.250,–– DM<br />
1.250,–– DM<br />
11.710,58 DM<br />
10.323,83 DM<br />
1.702,–– DM<br />
8.290,–– DM<br />
1.770,31 DM<br />
45.469,48 DM<br />
92.766,20 DM<br />
6.523,84 DM<br />
62.000,–– DM<br />
Konto des Seminar-Hilfsvereins:<br />
1638 660 (BLZ 630 500 00) Sparkasse Blaubeuren<br />
Allen Spendern herzlichen Dank!<br />
2002 (30. 9.)<br />
17.250,85 �<br />
1.724,57 �<br />
1.072,36 �<br />
20.047,78 �<br />
5.056,46 �<br />
667,24 �<br />
–– �<br />
5.902,78 �<br />
–– �<br />
1.244,–– �<br />
5.875,57 �<br />
814,50 �<br />
–– �<br />
19.560,55 �<br />
3.812,32 �<br />
30.000,–– �<br />
Unserem Heft ist der neue Seminarprospekt beigelegt, der seinen Zweck<br />
am besten erfüllt, wenn Sie ihn an mögliche Interessenten weitergeben.<br />
Für die Versammlung der Vertrauensleute steht jetzt der Termin fest:<br />
Freitag, 14. November 2003, 15.30 Uhr im Mutterhaus der Diakonissenanstalt,<br />
Rosenbergstraße 40, 70176 Stuttgart.<br />
Hierzu erfolgt noch eine besondere Einladung. Gerhard Adam (55/59)<br />
1611
Maulbronn<br />
Wir gratulieren<br />
Herrn KMD Jürgen Budday zur Berufung zum Vorsitzendern des Hauptausschusses<br />
Deutscher Chorwettbewerb durch den Deutschen Musikrat.<br />
Herr Budday hat dieses Ehrenamt von LKMD Siegfried Bauer übernommen<br />
– es ist eines der höchsten Ehrenämter innerhalb des Bereiches<br />
deutscher Chormusik. Mit dieser Auszeichnung wird Herrn Buddays<br />
jahrzehntelanges Wirken im Bereich der Chormusik auf allen Ebenen<br />
gewürdigt. Herzlichen Glückwunsch!<br />
Wir danken<br />
Frau StR’in Christina Maier-Frey, die nach vierjähriger Tätigkeit als<br />
Seminarlehrerin innerhalb Maulbronns den Standort wechselt, indem sie<br />
künftig vorwiegend am Progymnasium Maulbronn tätig sein wird. Frau<br />
Maier-Frey ist am Seminar als Verbindungslehrerin und als ›Theatermacherin‹<br />
vielfältig hervorgetreten und hat zu vielen Promotionen ein gutes<br />
Verhältnis aufgebaut. Wir sind deshalb sehr froh, dass sie uns von ›auswärts‹<br />
weiterhin für den Deutschunterricht zur Verfügung steht.<br />
Herrn StAss Carsten Heinz, der das Seminar nach insgesamt zweijähriger<br />
Tätigkeit als Lehrer für Mathematik, Griechisch und Latein und als<br />
Repetent mit Ablauf des Schuljahres 2001/2002 verlassen hat. Herr Heinz<br />
wechselte an das Schönborn-Gymnasium in Bruchsal. Wir wünschen ihm<br />
alles Gute.<br />
Herrn StAss Michael Herrlich (abgeordnet vom Theodor-Heuss-Gymnasium<br />
Mühlacker) für seinen einjährigen Dienst als Lehrer für Bildende<br />
Kunst am Seminar Maulbronn.<br />
Herrn LiA Gerhard Austen für seinen engagierten Französisch- und<br />
Sportunterricht am Seminar von September 2001 bis März 2002. Leider<br />
musste uns Herr Austen aus gesundheitlichen Gründen verlassen – wir<br />
wünschen ihm gute Genesung.<br />
Frau OStR’in Martina Dihlmann-Schnigula (THG Mühlacker) und Herrn<br />
StR Hügel (PGM Maulbronn) dafür, dass sie ab April 2002 als Vertretungskräfte<br />
für den Französisch-Unterricht zur Verfügung standen.<br />
Den Herren StAss Michael Maier-Frey und StAss Frey für ihren engagierten<br />
Einsatz im Internatsdienst, der ab November 2001 nötig wurde, da<br />
Herr Heinz nicht mehr für den Betreuungsdienst zur Verfügung stand.<br />
1612<br />
Kurz notiert
Wir begrüßen<br />
Frau Chantal Domenech, die für dieses Schuljahr als Internatsbetreuerin<br />
tätig ist und sicher dem einen oder anderen in Französisch auf die Sprünge<br />
helfen kann . . .<br />
Herrn StAss Helmut Spahmann (Unterrichtsfächer Sport und Latein) als<br />
neuen Repetenten am Ev. Seminar.<br />
Und freuen uns darüber,<br />
dass die ›Oldies‹ OStR’in Heidrun Raichle (Französisch), StR Burkhart<br />
Hanstein (Bildende Kunst) und OStR Wilhelm Widmann (Mathematik),<br />
die alle in früheren Jahren schon am Seminar unterrichtet haben, in diesem<br />
Schuljahr zu uns zurückgekehrt sind.<br />
Studienassessor Helmut Spahmann<br />
Ich heiße Helmut Spahmann, bin 45 Jahre alt, unterrichte<br />
die Fächer Latein und Sport und bin einigen<br />
aus der »Seminargemeinde« sicher kein Unbekannter,<br />
denn ich habe selbst die Seminare Maulbronn<br />
und Blaubeuren von 1972 bis 1976 durchlaufen.<br />
Weitere Stationen waren Zivildienst in einem Kinderheim<br />
für milieugeschädigte Kinder bei Ludwigsburg,<br />
Studium und Referendariat in Heidelberg und seit<br />
1988 die pädagogische und unterrichtliche Arbeit am Michelbacher Aufbaugymnasium<br />
und Schulzentrum in der Nähe von Schwäbisch Hall. Ein<br />
Hauptschwerpunkt meiner Arbeit in Michelbach war der Internatsbereich<br />
der Oberstufe, in dem 100 Schülerinnen und Schüler leben, und für den ich<br />
12 Jahre lang verantwortlich war.<br />
Doch, um mit Hermann Hesse zu reden: »Nur wer bereit zu Aufbruch ist und<br />
Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen . . .«<br />
Insofern reizt es mich sehr, in Maulbronn eine neue Aufgabe zu übernehmen,<br />
die im Heimbereich Vertrautes und Neues verbindet. Auch freue ich<br />
mich darauf, in Maulbronn Latein zu unterrichten, ein Fach, das dort unbestritten<br />
einen hohen Stellenwert genießt.<br />
Meine persönlichen Hobbies und Interessen, Laufen, Volleyball, Ski- und<br />
Bergsport, der Umgang mit Holz und die digitale Fotografie lassen sich vielleicht<br />
auch für meine Arbeit im Heimbereich gelegentlich nutzbar machen.<br />
Familiär betrachtet gehen wir natürlich eher unruhigen Zeiten entgegen, da<br />
meine Frau Susanna mit unseren Töchtern Laura (15 Jahre) und Franziska<br />
(13 Jahre) zunächst in Michelbach bleibt. Sie unterrichtet weiterhin am Ev.<br />
Schulzentrum Michelbach die Fächer Latein, Religion und Diakonie.<br />
Vorerst pendle ich also wochenweise zwischen Michelbach und Maulbronn,<br />
bis sich in den nächsten zwei bis drei Jahren herauskristallisiert,<br />
wie es beruflich bei uns weitergeht.<br />
1613
HAP Grieshabers ›Basler Totentanz‹<br />
im Evangelischen Seminar Maulbronn<br />
Welcher ehemalige Maulbronner Seminarist der Promotionen nach 1970<br />
erinnert sich nicht an die Holzschnitte in Glasrahmen, die zunächst an<br />
vielen Stellen im Seminar aufgehängt waren, allmählich durch herumfliegende<br />
Fußbälle und ähnliche ›Unfälle‹ ziemlich dezimiert wurden und<br />
zuletzt noch in ca. 8 Exemplaren im Bereich vor dem Oratorium ihr Dasein<br />
fristeten? Es handelt sich dabei um ein bedeutendes Geschenk, das der<br />
Künstler HAP Grieshaber im Jahr 1969 auf Vermittlung des Buchhändlers<br />
Krüger dem Seminar machte: einen kompletten Satz (d. h. vierzig verschiedene<br />
Bilder) seines Holzschnitt-Zyklus ›Basler Totentanz‹.<br />
Freilich mag man geteilter Meinung darüber sein, ob ein solches Motiv (das<br />
der bis 1857 an einer Basler Friedhofsmauer zu besichtigenden mittelalterlichen<br />
Darstellung des Totentanzes nachempfunden ist) für ein Internat<br />
junger Leute der richtige Präsentationsort ist. Und vielleicht waren es ja<br />
auch solche unterschwelligen Gedanken, die bewirkten, dass der Zyklus<br />
mehr und mehr ein Schattendasein in Maulbronn fristete. Zuletzt waren über<br />
dreißig der Bilder auf Schränken gestapelt, teilweise waren Glasrahmen<br />
beschädigt, die Passepartouts eingerissen und und und . . .<br />
In diese Zeit fiel eine Anfrage von Pfarrer Hörnig (selbst ein ehemaliger<br />
Maulbronner Seminarist). Er hatte im nahegelegenen Mühlacker-Dürrmenz<br />
eine Hospiz-Gruppe ins Leben gerufen. Zugunsten dieser Initiative<br />
sollte eine Veranstaltung im Seminar den Totentanz präsentieren und ein<br />
Experte sollte einen Vortrag darüber halten. Die Bewirtung wurde von den<br />
Damen des Inner Wheel Clubs Kraichgau-Stromberg übernommen.<br />
In Ermangelung besserer Möglichkeiten stellten wir die Bilder auf Stühlen<br />
im Oratorium aus. Die Veranstaltung hatte eine gute Resonanz, aber nicht<br />
wenige der Besucher waren vom schlechten Zustand, in dem sich die<br />
Holzschnitte befanden, schockiert.<br />
Hieraus erwuchs eine Initiative eben der Damen des Inner Wheel Clubs<br />
Kraichgau-Stromberg. Sie traten an uns heran mit der Frage, ob sie uns<br />
durch verschiedenerlei Aktivitäten behilflich sein könnten, die Bilder<br />
komplett zu restaurieren und neu zu rahmen. Aus dieser Idee wurde nach<br />
und nach Wirklichkeit: Begleitet von der Beratung des Stiefsohns von<br />
HAP Grieshaber, Cornelius Hansmann, und unter Heranziehung eines<br />
renommierten Papierrestaurators wurden die Farbholzschnitte sämtlich<br />
gereinigt, in neue Passepartouts eingelegt und fachgerecht gerahmt. Herr<br />
Hansmann konnte überdies Drucke der Texttafeln, die jedem Holzschnitt<br />
beigegeben sind, besorgen, und im März 2002 war es so weit, dass alles<br />
zusammen in der Abt-Entenfuß-Halle präsentiert werden konnte. Für gut<br />
zwei Monate blieben die Bilder dort aufgehängt, ehe sie Ende Mai der<br />
Hesse-Ausstellung weichen mussten.<br />
1614
Ein großer Dank gebührt den Damen des Inner Wheel Clubs, die es<br />
durch beispielhaftes Engagement und harte Knochenarbeit dem Seminar<br />
ermöglicht haben, diesen Schatz wieder angemessen zu präsentieren.<br />
Damit die Bilder in Zukunft auch von Interessenten betrachtet werden können,<br />
haben wir uns vorgenommen, sie alljährlich zwischen Januar und April<br />
in der Entenfuß-Halle zu präsentieren. Es werden über die Presse einzelne<br />
Sonntage bekannt gegeben werden, an denen eine Besichtigung möglich<br />
ist. Interessierte Gruppen können natürlich auch direkt mit dem Seminarephorat<br />
einen Besichtigungstermin vereinbaren. M. Henrich<br />
Plätzlesturnier 2003<br />
Das Plätzlesturnier findet am Samstag,19. Juli 2003 statt,<br />
Spielbeginn um 10.00 Uhr.<br />
Die gemeldeten Mannschaften sind:<br />
1. Dichter<br />
2. HDT<br />
3. KGK<br />
4. Emma<br />
5. Surprise<br />
6. Becks Pistols<br />
7. Kl. 10 Maulbronn<br />
08. Massendefekt<br />
09. Rapid Elch<br />
10. Dezibals Rache<br />
11. Not Schlä/echter<br />
12. Schlolles Erben<br />
13. Lungies<br />
14. Bravo Girl<br />
15. DZR<br />
16. Klosterfrau<br />
Melissengeist<br />
17. Dynamo Windrad<br />
18. TLPP<br />
Sollte eine bereits gemeldete Mannschaft nicht antreten können, bitte<br />
zugunsten von Nachrückern rechtzeitig Bescheid geben an<br />
Johannes Schmid (72/76), Telefon (0 70 71) 5 11 87.<br />
1615
Musica Sacra Maulbronn 2002<br />
Der im Jahr 2000 erfolgreich begonnene Versuch, im Rahmen der Klosterkonzerte<br />
Maulbronn eine themenorientierte Musica Sacra einzurichten,<br />
wurde im Jahr 2002 fortgeführt und soll zu einer ständigen Einrichtung<br />
innerhalb dieser international bekannten Konzertreihe werden.<br />
Neben dem Händel-Oratorien-Zyklus (seit 1993 wurden bereits sieben<br />
Händel-Oratorien unter der Thematik »Führergestalten des Alten Testaments«<br />
aufgeführt) und dem Mozart-Klavierkonzerte-Zyklus (Aufführung<br />
sämtlicher Mozart-Klavierkonzerte seit 1996) erhielten die Klosterkonzerte<br />
Maulbronn damit ein drittes, umfassendes und sehr gewichtiges<br />
Schwerpunktthema.<br />
Der Überbegriff für die Musica Sacra 2002 war das Thema »Wege nach<br />
Innen«. Dies wird auch in Zukunft das Generalthema sein, das dann<br />
jeweils in Einzelaspekte untergliedert wird. In Gottesdiensten, liturgischen<br />
Veranstaltungen und Begleitprogramm wurde pro Tag ein Aspekt<br />
beleuchtet, erarbeitet und schließlich zu einem Abendkonzert hingeführt.<br />
Die einzelnen Tage folgten den Themen »Sehnsucht«, »den Atem spüren<br />
– dem Klang lauschen«, »es werde Licht«, »es ist noch eine Ruhe vorhanden<br />
dem Volke Gottes«, »dass Trost im Herzen grüne«.<br />
Für die zugeordneten Konzerte konnten höchst profilierte und renommierte<br />
Ensembles engagiert werden. Das Thema »Sehnsucht« wurde musikalisch<br />
über Klezmermusik mit dem Ensemble David Orlowsky’s Klezmorim verdeutlicht,<br />
das Ensemble Ordo virtutum widmete sich dem Thema »Klage«<br />
durch die Interpretation der mittelalterlichen Wolfenbütteler Marienklage in<br />
einer höchst eindringlichen halbszenischen Aufführung. Sowohl in einem<br />
sonntäglichen Gottesdienst als auch im abendlichen Konzert ließ die Schola<br />
Gregoriana Pragensis mit ihren gregorianischen Gesängen das Thema<br />
»Ruhe« nachhaltig erlebbar und spürbar werden.<br />
In einer Chornacht zum Thema »Licht« vereinigten sich in drei nacheinander<br />
folgenden Konzerten der Maulbronner Kammerchor unter Leitung von<br />
Jürgen Budday, der Bonner Kammerchor unter Leitung von Peter Henn und<br />
die Grupo Canto Coral aus Buenos Aires (Leitung Nestor Andrenacci) zu<br />
einem grandiosen Chorerlebnis, wie es auch in der langen Geschichte der<br />
Maulbronner Klosterkonzerte bislang einmalig war.<br />
Das Thema »Trauer-Trost« wurde durch die Kantorei Maulbronn und das<br />
Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg (Leitung Jürgen<br />
Budday) zusammen mit den Solisten Christel Erkes und Gotthold Schwarz<br />
in einer Interpretation des Deutschen Requiems von Johannes Brahms<br />
umgesetzt. Auch über dieses Thema »Ein Deutsches Requiem« wurde ein<br />
musikalischer Gottesdienst zusammen mit Pfarrer Ernst-Dietrich Egerer<br />
gefeiert, der in exemplarischer Weise die Verbindung zwischen Kirchenmusik<br />
und Bibelwort zum Klingen bzw. zum Sprechen brachte.<br />
1616
Die künstlerische und konzeptionelle Gestaltung der Musica Sacra liegt in<br />
den Händen von KMD Jürgen Budday in enger Zusammenarbeit mit dem<br />
Maulbronner Ortspfarrer Ernst-Dietrich Egerer. In Zukunft wird auch das<br />
neue Klosterpfarramt in Person von Pfarrer Klaus Hoof in dieses Konzept<br />
mit einbezogen sein. Für den liturgischen Bereich war 2002 die Hamburger<br />
Theologin und Kommunikationswissenschaftlerin Heidemarie Langer<br />
zuständig, die in liturgischen und meditativen Übungen auf die jeweilige<br />
Thematik des Tages und das nachfolgende Konzert einstimmte. So ergab<br />
sich ein insgesamt schlüssiges Konzept, das jeden Tag mit einer Vesper in<br />
der Klosterkirche begann, seine Fortsetzung in der liturgisch-meditativen<br />
Arbeit durch Heidemarie Langer fand und schließlich zum Konzert des<br />
jeweiligen Tages hinführte. Dass die verschiedenen Räume des Maulbronner<br />
Klosters bei diesem Konzept eine ganz wesentliche Rolle spielen, versteht<br />
sich von selbst.<br />
Dies wurde deutlich, indem zu Beginn der Veranstaltungsreihe das<br />
Ensemble David Orlowsky’s Klezmorim zur Einstimmung in die Thematik<br />
musizierend durch die verschiedenen Räume der Klausur wandelte.<br />
Gleichzeitig wurden in anderen Räumen Texte gelesen. Das Publikum<br />
folgte den jeweiligen Akteuren und konnte sich so innerlich auf den<br />
Abend einstimmen. Dazu gehörte auch, dass nach jedem Konzert die<br />
Möglichkeit eines individuellen Ausklangs in den dezent und stimmungsvoll<br />
beleuchteten Räumen der Klausur sowie des Kreuzganges gegeben<br />
war und von den Teilnehmern reichlich und mit großer innerer Erfülltheit in<br />
Anspruch genommen wurde.<br />
Die enge thematische Verzahnung von Gottesdienst, liturgischen Veranstaltungen,<br />
Konzerten und individueller Raumerfahrung in Bezug auf eine<br />
Gesamtthematik wurde geradezu exemplarisch verdeutlicht. Damit haben<br />
die Klosterkonzerte Maulbronn dem Kloster ein zusätzliches musikalisch-theologisches<br />
Profil verliehen.<br />
Die nächste Musica Sacra findet unter dem Titel ». . . aber dennoch bete<br />
ich« in der Zeit vom 14.–22. Juni 2003 statt. Sie folgt derselben konzeptionellen<br />
Anlage und wird als Besonderheit am 21. 6. einen so genannten<br />
Klostertag beinhalten, an dem von morgens 9.00 Uhr bis in die Nacht<br />
hinein der Rhythmus des Klosterlebens aufgenommen werden soll mit<br />
Stundengebeten und Aktionsgruppen, Meditationsgruppen und musikalischen<br />
Aktivitäten zwischen den Gebetszeiten. Ein abendliches Konzert<br />
zum 850. Todestag Bernhards von Clairvaux mit dem Ensemble officium<br />
rundet den Tag ab. Das Gesamtkonzept für Musica Sacra 2003 in Maulbronn<br />
soll folgendermaßen aussehen:<br />
(endgültige und vollständige Fassung in der Klosterkonzertbroschüre 2003,<br />
erhältlich ab Ende Februar über Stadtverwaltung Maulbronn, Postfach 47,<br />
75429 Maulbronn, Telefon (0 70 43) 103-11 / Fax (0 70 43) 103-45, e-mail-<br />
Adresse: stadtverwaltung@maulbronn.de oder info@klosterkonzerte.de)<br />
1617
Programm 2003<br />
Musica Sacra vom 14.–22. 6. 03<br />
Wege nach innen ». . . aber dennoch bete ich«<br />
Sa. 14. 6. 03, 21 Uhr Eröffnungsgottesdienst »Dein ist der Tag,<br />
Klosterkirche dein ist die Nacht«<br />
mit dem Maulbronner Kammerchor<br />
So. 15. 6. 03, 20 Uhr »Macht Gebete aus meinen Geschichten«<br />
Klosterkirche Cantus Cölln, Ltg. Konrad Junghänel<br />
C. Monteverdi: Selva morale e spirituale<br />
Mi. 18. 6. 03, 20 Uhr »Die Welt ins Gebet nehmen« –<br />
Klosterkirche Bitte und Fürbitte<br />
N. N.<br />
Do. 19. 6. 03, 20 Uhr »Meine Seele weint – Klage«<br />
Klosterkirche Orgelkonzert Erika Krautter-Budday,<br />
Prof. Dr. Karl-Joseph Kuschel<br />
liest und kommentiert Texte von<br />
Heinrich Heine<br />
Sa. 21. 6. 03, 9–23 Uhr Klostertag »Von morgens früh . . .<br />
und bis zur Nacht«<br />
20 Uhr, Klosterkirche Ensemble officium, Ltg. W. Rombach<br />
Gregorianische Gesänge der Zisterzienser<br />
Zum 850. Todestag<br />
von Bernhard von Clairvaux<br />
So. 22. 6. 03, 10 Uhr Schlussgottesdienst »Du verwandelst<br />
Klosterkirche meine Klage in einen Reigen«<br />
mit der Kantorei Maulbronn.<br />
Teile aus dem »Elias« von Mendelssohn<br />
1618
Hohe Ehre für Jürgen Budday<br />
Pforzheimer Zeitung 20. 7. 02<br />
Der künstlerische Leiter der Klosterkonzerte Maulbronn, Kirchenmusikdirektor<br />
Jürgen Budday, wurde vom Präsidium des Deutschen Musikrats<br />
berufen, den Vorsitz des Chor-Hauptausschusses zu übernehmen.<br />
Der Chor-Hauptausschuss ist das höchste Gremium in der Deutschen<br />
Chormusik. Es vereinigt die Präsidenten der verschiedenen deutschen<br />
Chorverbände, Vertreter der Musikhochschulen sowie von ARD und ZDF.<br />
Buddays Hauptaufgabe wird sein, den nächsten Deutschen Chorwettbewerb<br />
inhaltlich und künstlerisch vorzubereiten und zu leiten. Daneben<br />
wird er als Juror bei nationalen und internationalen Chorfestivals und<br />
Wettbewerben agieren.<br />
Der Hauptausschuss des Deutschen Chorwettbewerbs nimmt einerseits<br />
Entwicklungen und Tendenzen in der Chormusik auf und versucht sie in<br />
das künstlerische Konzept des Deutschen Chorwettbewerbs mit einzubringen,<br />
andererseits wirkt das Gremium durch Kriterien und Vorgaben<br />
beim Chorwettbewerb maßgeblich auf die weitere Entwicklung der deutschen<br />
Chorszene ein.<br />
Diese Berufung zum Vorsitzenden des Chorhauptausschusses stellt auch<br />
eine Würdigung der kontinuierlichen Chorarbeit in Maulbronn auf höchstem<br />
Niveau dar. Budday wurde Mitte September in Bonn in sein neues<br />
Amt eingeführt. pm<br />
Herzlich laden wir Sie ein<br />
zum Tag der offenen Tür<br />
im Ev. Seminar Maulbronn<br />
am Sonntag, 23. Februar<br />
2003, ab 14.00 Uhr<br />
Anmeldeschluss für das<br />
Landexamen: 30. April 2003<br />
Landexamen:<br />
23.–26. Juni 2003 in Kürnbach<br />
Geboten werden:<br />
Führung durch das Haus<br />
Kaffee und Kuchen<br />
Musikalische<br />
und andere Darbietungen<br />
Gespräche mit der Schulleitung<br />
für Interessierte und ihre Eltern<br />
(insbesondere<br />
Schülerinnen und Schüler der<br />
8. Gymnasialklassen)<br />
1619
Unsere Jüngsten – Die Promotion 2002–2007<br />
Es sind (von links nach rechts):<br />
vorne: Eva-Maria Herrmann (Herrenberg), Marianne Sievers (Neustadt),<br />
Jana Kaschdailewitsch (Neckartenzlingen), Sonja Gurit (Dettingen),<br />
Mirjam Gauli (Ohmden), Henrike Wagner (Vaihingen/Enz), Nora Hohmann<br />
(Calw), Franka Salomon (Jonaswalde), Christiana Riek (Bühlenhausen),<br />
Anne-Christin Thumm (Vaihingen/Enz);<br />
hinten: Till Kalmbach (Leutkirch), Amrei Kriener (Pforzheim), Joana Scharnowski<br />
(Leutkirch), Fabian Vogl (Olching), Jonathan Wahl (Neuweiler-Breitenberg)<br />
1620
Blaubeuren<br />
Pfarrerin Renate Holder hat das Seminar zum Schuljahrsende verlassen. In<br />
Backnang hat sie einen Übergangsdienstauftrag übernommen. Wir danken<br />
ihr für ihren Dienst am Seminar in den letzten 12 Jahren und wünschen ihr<br />
vor allem, dass sie bald die Stelle findet, die ihr entspricht.<br />
Ihre Nachfolgerin ist Pfarrerin z. A. Silvia Schmelzer. Leider musste diese<br />
Pfarrstelle auf 50% reduziert werden. Frau Schmelzer hat sich schon gut<br />
eingelebt; wir wünschen ihr eine erfüllte Zeit und viel Freude bei ihrem<br />
Dienst.<br />
Ich bin die »Neue« im Blaubeurer Kollegium. Silvia<br />
Schmelzer heiße ich und bin seit einigen Wochen<br />
am Seminar als Repetentin und Pfarrerin z. A. mit<br />
halbem Dienstauftrag. Ich bin 32 Jahre alt und<br />
komme aus Zell unterm Aichelberg im Kreis Göppingen.<br />
In den beiden Jahren der Oberstufe spielte<br />
ich in verschiedenen Kirchen um Göppingen und<br />
Kirchheim die Orgel. Die Kirchenmusik und der<br />
Religionsunterricht am Freihof-Gymnasium Göppingen<br />
weckten damals mein Interesse, Theologie<br />
zu studieren. Nach dem »Diakonischen Jahr« in der<br />
Nachbarschaftshilfe der Diakoniestation Göppingen habe ich am Sprachenkolleg<br />
in Stuttgart Griechisch und Hebräisch gelernt. 1992 begann ich,<br />
in Tübingen Theologie zu studieren, zunächst als »Stadtstudentin«, ab dem<br />
zweiten Semester im Evangelischen Stift. Die exegetischen Fächer und die<br />
Praktische Theologie lagen mir besonders am Herzen. Zwei Semes-ter studierte<br />
ich an der evangelischen Fakultät der Universität Straßburg.<br />
Nach dem ersten Examen zog ich im Frühjahr 1998 vom Neckar an die<br />
Donau: nach Ulm, wo mein Mann arbeitete und auch zur Zeit noch arbeitet.<br />
In der Wartezeit zwischen erstem Examen und Vikariat beschäftigte ich<br />
mich mit dem Thema Öffentlichkeitsarbeit, zunächst in einer einjährigen<br />
Fortbildung, dann beim Evangelischen Diakonieverband Ulm/Alb-Donau.<br />
Nach zwei Jahren begann ich in der Christuskirchengemeinde in Ulm-<br />
Söflingen das Vikariat. Ich blicke auf eine sehr spannende und vielfältige,<br />
schöne und lehrreiche Zeit als Vikarin zurück.– Das letzte Jahr des Vikariats<br />
habe ich am Kepler-Gymnasium Ulm in der Mittelstufe Religion unterrichtet.<br />
Neu ist für mich daher die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern der<br />
Oberstufe und das Leben im Internat. In der kurzen Zeit, in der ich hier bin,<br />
habe ich jedoch entdeckt, dass beides reizvoll ist und viele Möglichkeiten<br />
eröffnet. Dieses Schuljahr unterrichte ich in der 12. und in der 13. Klasse<br />
Religion und eine kleine Gruppe der Klasse 11 in Hebräisch.<br />
Zusammen mit meinem Mann wohne ich im oberen Geschoss im Klosterhof<br />
10. Wir haben uns inzwischen gut eingelebt und fühlen uns sehr wohl<br />
in dem schönen Umfeld, welches das Seminar bietet.<br />
1621
Viel Wechsel gab es in der Seminarküche.<br />
Zunächst verließ uns Mitte Mai<br />
2002 Frau Irene Wegst, die 11<br />
Jahre lang als Hauswirtschaftsleiterin<br />
an der Spitze unserer<br />
Küche stand. Sie nahm dieses<br />
Amt wahr, wie es besser gar<br />
nicht sein kann:<br />
Sie war für die Mitarbeiterinnen<br />
eine einfühlsame Chefin, die<br />
delegieren konnte und zugleich<br />
klar die Richtung vorgab. Mit<br />
den Schülerinnen und Schülern<br />
verstand sie sich ausgezeichnet.<br />
Der Lehrerschaft und dem<br />
Ephorus war sie eine zuverlässige Partnerin. Und – fast das Wichtigste!<br />
–: In ihrer Zeit wurde die hohe Qualität der Blaubeurer Seminarküche fast<br />
sprichwörtlich; es wurde äußerst schmackhaft und mit Liebe gekocht; ich<br />
denke dabei auch an die Gestaltung der Räume und Tische und an den<br />
Einfallsreichtum in der Dekoration bei Festen.<br />
Frau Wegst suchte eine neue Aufgabe in der Arbeit mit Behinderten; sie<br />
leitet jetzt die Küche im »Kaffeehäusle« in Reutlingen; wir wünschen ihr<br />
dabei vor allem die Erfüllung ihrer Erwartungen.<br />
Frau Kathrin Hagn hat das Amt der Küchenleiterin Anfang Juni übernommen.<br />
Schon jetzt können wir sagen, dass wir in ihr eine sehr gute Nachfolgerin<br />
gefunden haben. Sie fühlt sich wohl bei uns. Und wir können nur<br />
hoffen, dass dies lange anhält.<br />
Frau Josefine Kerwien ging nach 17 Jahren als Mitarbeiterin in der<br />
Küche Ende August 2002 in den Ruhestand. Wir danken ihr für ihren<br />
einsatzfreudigen Dienst zum Wohl unserer Schülerinnen und Schüler und<br />
wünschen ihr zusammen mit ihrem Mann einen erfüllten Ruhestand bei<br />
guter Gesundheit.<br />
Ihre Nachfolgerin ist Frau Hildegard Niegl.<br />
Wir wünschen ihr eine gute Zeit in der Blaubeurer Seminarküche.<br />
Frau Annerose Weitmann, 5 Jahre lang zu 50% stellvertretende Küchenleiterin,<br />
hat uns Ende Oktober 2002 aus privaten Gründen (Fortbildung<br />
u. ä.) verlassen. Wir danken ihr für ihren gewissenhaften Dienst; sie war<br />
uns in ihrer ruhigen Art eine wichtige Mitarbeiterin. Unsere guten Wünschen<br />
begleiten sie.<br />
Ihre Nachfolgerin ist Frau Irma Gromut, die erst Mitte Dezember bei uns<br />
angefangen hat. Ihr wünschen wir einen guten Start.<br />
1622
Blaubeuren, Karlstraße 21<br />
Denn keiner wird zuschanden,<br />
der auf dich harrt. Psalm 25.3<br />
Ein erfülltes Leben ist zu Ende gegangen.<br />
Heinrich Tews<br />
12. 7. 1909 † 12. 4. 2002<br />
In stiller Trauer:<br />
Reinhard Tews, Neffe<br />
Ev. theologisches Seminar Blaubeuren<br />
und alle Bekannten.<br />
Beerdigung am Dienstag, dem 16. April 2002, um 13.00 Uhr auf dem<br />
Friedhof in Blaubeuren.<br />
Nach der Vertreibung und Flucht aus seiner Heimat<br />
im Osten kam Heinrich Tews 1947 als Hausmeistergehilfe<br />
ans Seminar nach Blaubeuren. Er<br />
war damals nicht nur jung und stattlich, er war<br />
ungemein stark, kräftig und ausdauernd. Oft hat er<br />
selbst anschaulich erzählt, wie viele Eimer Briketts<br />
einst täglich zum Dorment geschleppt werden<br />
mussten, als es noch keine Zentralheizung gab.<br />
In den zurückliegenden Jahrzehnten kannten die<br />
Blaubeurer ihn vor allem als den Gärtner, der den<br />
großen Seminargarten betreute. Auch als er körperlich<br />
und gesundheitlich schwächer geworden<br />
war und 1996 ins Altenheim »Spital« umziehen<br />
musste, hat er den Kontakt zum Seminar gehalten.<br />
Bis zuletzt waren seine Gedanken ganz klar.<br />
Oft sagte er nach einem Besuch zum Abschied:<br />
»Vielen Dank für die liebenswürdige Menschlichkeit«.<br />
Von seiner »liebenswürdigen Menschlichkeit«<br />
hat das Seminar ein halbes Jahrhundert lang<br />
profitiert. Wir danken es ihm, über den Tod hinaus.<br />
Im Seminar gibt es eine alte Sammlung von Versteinerungen, die von<br />
einer fachkundigen Person neu geordnet und deren Beschriftungen überprüft<br />
bzw. erneuert werden müssten.<br />
Gibt es diese Person unter den Ehemaligen?<br />
1623
Friedemann Samrock, Andrea Giesen,<br />
Conrad Schmitz, Leonie Eckert<br />
Oscar Wilde: Eine Frau ohne Bedeutung<br />
Aufgeführt von der Theater-AG des<br />
Ev.-theol. Seminars Blaubeuren, März 2002<br />
Wilde verhandelt in seinem Stück ganz<br />
grundsätzlich das Problem menschlichen<br />
Selbstbewusstseins. Was befähigt uns<br />
da-zu, zu uns selbst zu stehen? Die soziale<br />
Stellung, wie bei Lady Hunstanton, die als<br />
Hausherrin souverän bleibt, trotz ihrer Schwächen, zu denen sie stehen<br />
kann, weil sie weiß, wer sie ist? Der erotische Appeal, wie bei Mrs Allonby,<br />
die ganz aus ihrer Wirkung auf Männer heraus lebt? Die gesellschaftliche<br />
Anerkennung, wie bei Lord Illingworth, der sich ständig von allen seine<br />
Überlegenheit bestätigen lassen muss? Oder die Treue zu sich selbst, wie<br />
bei Mrs Arbuthnot, die auf den persönlichen Verrat mit Rückzug reagiert?<br />
Wilde hat in Hester eine Figur geschaffen, in der er sein Ideal verkörpert:<br />
Sie geht als Einzige durch einen intensiven Lernprozess hindurch: wo sie<br />
zu Beginn noch sehr schnell bereit ist, aus grundsätzlichen Überlegungen<br />
heraus zu urteilen, begreift sie, dass nicht eine verallgemeinerbare Moral<br />
wirklich weiterhilft, sondern allein die liebende Offenheit für die Menschen<br />
in ihrem Kampf um Anerkennung und Gemeinschaft.<br />
Slavomir Mrozek:<br />
Auf hoher See, Drama (1961/1963)<br />
Nach dem Untergang der Titanic treibt ein<br />
Floß mitten auf dem Atlantik. An Bord: Drei<br />
Mann und ein Klavier. Die Vorräte sind völlig<br />
erschöpft und auch die Angelversuche des<br />
Praktikers zeigen nicht den gewünschten<br />
Erfolg. Was also tun? Ganz klar, einer der<br />
drei muss aufgegessen werden. Aber die<br />
Entscheidung darüber, wer aufgegessen<br />
wird, machen sich die drei nicht leicht.<br />
Demokratie, Gerechtigkeit und ähnliche Themen werden intensiv bemüht,<br />
bis es zu einer überraschenden Entscheidung kommt.<br />
Premiere der Theater-AG des Seminars Blaubeuren im Café 4 am 17. 11. 2002<br />
Unsere Besetzung: Der dicke Schiffbrüchige: Philipp Heideker – Der mittlere<br />
Schiffbrüchige: Sebastian Thimm – Der schmächtige Schiffbrüchige:<br />
Andreja Dörr – Ein Briefträger: Bettina Wagner – Ein Laki: Leonie Eckert<br />
Geplant ist die Teilnahme an den Schultheatertagen am Ulmer Theater im<br />
Juni 2003<br />
1624
Daniel Anhorn, Paul-Theodor Bräuchle, Helen Duhm,<br />
Rebekka Eberhardt, Teresa Frick, Mirjam Gerber, Sarah Gläser,<br />
Claudia Göhring, Katharina Heyer, Salome Hölzle, Stephanie Jaekel,<br />
Jitka Kehrel, Ferdinand Koch, Daniel Köhler, Anita Kötter,<br />
Benjamin Krebs, Elisabeth Kremer, Hanna Kungl,<br />
Anne Nonnenmann, Max Rang, Dorle Reichelt, Johanna Rothaupt,<br />
Friedemann Samrock, Benjamin Schneider, Berta Schüle,<br />
Anne-Christin Wahl, Hosea Walter<br />
zu Preisen beim Mann-Preis-Wettbewerb 2002, und zwar<br />
2. Preis: Antje Griasch<br />
Anerkennung: Thomas Däubler<br />
zum Scheffelpreis 2002<br />
Anne-Christin Wahl<br />
Abiturienten 2002<br />
Wir gratulieren<br />
zum Bogner-Oppermann-Preis 2002<br />
Anne Nonnenmann<br />
zu Preisen der Landeskirche im Fach Religion<br />
Sarah Gläser<br />
Anita Kötter<br />
zu Preisen der Stiftung Humanismus Heute<br />
Rebekka Eberhardt<br />
Salome Hölzle<br />
Sarah Gläser<br />
zu einem Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft<br />
Mirjam Gerber<br />
Zu Fachpreisen für hervorragende Leistungen<br />
in verschiedenen Fächern<br />
Helen Duhm, Rebekka Eberhardt, Teresa Frick, Mirjam Gerber,<br />
Sarah Gläser, Katharina Heyer, Salome Hölzle, Anita Kötter,<br />
Elisabeth Kremer, Hanna Kungl, Anne Nonnenmann, Johanna<br />
Rothaupt, Benjamin Schneider, Anne-Christin Wahl und<br />
Hosea Walter<br />
1625
Terminkalender 2001/2002 Maulbronn<br />
10. 9. 2001 Aufnahmefeier der Promotion 2001-2006<br />
11./12. 9. Einführungsfreizeit für Klasse 9 auf dem Füllmenbacher Hof<br />
5. 11. Pädagogischer Tag mit den Kolleginnen und Kollegen aus<br />
Blaubeuren<br />
21. 11. Vom Seminar gestalteter Schülergottesdienst zum Buß- und<br />
Bettag, im Anschluss daran Exkursion ins Melanchthonhaus in<br />
Bretten<br />
14. 12. Hausmusik im Advent<br />
20. 12. Seminarweihnachtsfeier mit traditionellem Weihnachtsspiel der<br />
Klasse 9<br />
6. 2. 2002 Faschingsparty im Seminar – ›Thema Horror‹<br />
20.–22. 2. Gemeinsame Musikfreizeit in Ochsenhausen der Seminare<br />
Blaubeuren und Maulbronn<br />
22./23. 2. Aufführungen von B. Peder Holbech, Missa brevis rhythmica,<br />
und John Rutter, Magnificat, in Blaubeuren und Maulbronn unter<br />
der Leitung von KMD J. Budday<br />
24. 2. Tag der Offenen Tür<br />
9. 3. Abschlussball des Tanzkurses der Klasse 9<br />
16. 3. Präsentation des wiederhergestellten Zyklus ›Basler Totentanz‹<br />
von HAP Grieshaber in der Abt-Entenfuß-Halle,<br />
Sponsoren: Inner Wheel Club Kraichgau-Stromberg<br />
16. 4. Besuch der Promotion 1940/41 bei Klasse 10 im Rahmen des<br />
Gemeinschaftskundeunterrichts zum Thema ›Das Seminar im<br />
Dritten Reich‹<br />
18. 5. Eröffnungskonzert der Maulbronner Klosterkonzerte<br />
29. 5.–2. 6. Schwerpunktveranstaltungen der Musica Sacra 2002<br />
unter dem Thema ›Weg nach Innen‹, am 1. 6. Chornacht mit<br />
dem Maulbronner Kammerchor, dem Bonner Kammerchor<br />
und dem Grupo Canto Coral aus Buenos Aires<br />
7.–30. 6. Große Hesse-Ausstellung in der Abt-Entenfuß-Halle in<br />
Zusammenarbeit mit der Stadt Maulbronn<br />
12. 6. Aufzeichnung einer großen Hesse-Sendung des SWR im<br />
Kreuzganggarten ›Hermann Hesse – Wegbereiter eines neuen<br />
Denkens?‹<br />
17.–20. 6. Landexamen in Kürnbach<br />
23. 6. Plätzlesturnier mit 16 Mannschaften ehemaliger und jetziger<br />
<strong>Seminaristen</strong><br />
24.–28. 6. Segelschullandheim Klasse 9 in Überlingen, Städtefahrt Klasse<br />
10 nach Straßburg<br />
20. 7. Fahrradexkursion der Klasse 9 zur römischen Villa Rustica in<br />
Enzberg<br />
23. 7. Abschlussfeier mit Verabschiedung der Klasse 10<br />
1626
Terminkalender 2001/2002 Blaubeuren<br />
14.-21.9. 2001 Studienfahrt des Jahrgangs 13 nach Rom, Sorrent und an die<br />
Spree<br />
16. 9. Jazzfrühstück im Kreuzgarten<br />
30. 9. Klosterkonzert: Klavier-Abend Martin Vorreiter<br />
14. 10. Seminar im Seminar: Vortrag von Dr. Brigitte Wilke »Sophokles,<br />
Aias«<br />
25. 10. Abschiedsfest für Hausmeister Hans Schwarzenbolz<br />
11. 11. Klosterkonzert: Peer Gynt-Suite, Orchester des Seminars<br />
8. 12. so genanntes »Edelfest« im Neubau<br />
16. 12. Weihnachtsmusik des Seminars<br />
18. 1. 2002 Probenfreizeit der beiden Seminare in Blaubeuren<br />
30. 1. Exkursion des Leistungskurses Geschichte der Kl. 12 nach<br />
Nürnberg mit Frau Uhl<br />
20.–22. 2. Musikfreizeit der beiden Seminare in Ochsenhausen<br />
22. 2. Konzert der beiden Seminare in der Stadtkirche:<br />
Rutter, Magnificat; Holbech, Missa Rhythmica<br />
2. 3. Klosterkonzert: Duo Pao Blues und Jazz<br />
3. 3. Seminar im Seminar: Vortrag von Prof. Dr. Holger Sonnabend,<br />
Stuttgart: »Römische Exilliteratur: Cicero, Ovid, Seneca«<br />
15./16./17.3. Aufführungen der Theater-AG: Oscar Wilde, »Eine Frau ohne<br />
Bedeutung«<br />
21. 3. Fachpraktische Abiturprüfung in Musik<br />
22. 3. Blues-Abend mit Roland Ganzenmüller<br />
9.–22. 4. schriftliches Abitur<br />
12. 4. Konzert der PreisträgerInnen von »Jugend musiziert« des Alb-<br />
Donau-Kreises im Dorment<br />
14. 4. Kabarett »Kulturbeutel«, Ulm, mit Albrecht Schmid, im Dorment<br />
25. 4. Festakt im Hörsaal zum 50. Landesjubiläum<br />
Grußadresse der Jahrgangsstufe 13 aus Süd-Baden<br />
28. 4. Klosterkonzert: Kammermusikabend »Jugend musiziert«<br />
2.–5. 5. Kirchenmusikalische Exkursion nach Leipzig<br />
7. 5. Abschiedsfest für die Küchenleiterin Irene Wegst<br />
14.–29. 5. Studienfahrt nach Griechenland<br />
2. 6. Klosterkonzert: Viola und Violoncello<br />
21./22. 6. Chorfahrt nach Möhringen bei Tuttlingen<br />
Kirchenkonzert zum Jubiläum »50 Jahre Kreuzkirche Möhringen«<br />
24./25. 6. mündliches Abitur<br />
29. 6. Abitur-Abschlussfeier<br />
30. 6. Schüler des Musikleistungskurses 12 konzertieren im Dorment<br />
8.–14. 7. Klasse 11 in Prag<br />
14. 7. Klosterkonzert: 6 Duos von J. Haydn<br />
20./21. 7. »24-Stunden-Kick« Ev. Jugendwerk gegen Ev. Seminar<br />
28. 7. Klosterkonzert: El Canto de la Gitarra<br />
1627