neurologisch - Österreichische Gesellschaft für Neurologie

neurologisch - Österreichische Gesellschaft für Neurologie neurologisch - Österreichische Gesellschaft für Neurologie

18.01.2013 Aufrufe

P.b.b. 07Z037411M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien, ISSN 2223-0629 neurologisch Fachmagazin für Neurologie AUSGABE 4/11 Schwerpunkt Entrapment-Syndrome Kongresshighlights Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, ECTRIMS Neurologie in Österreich Evaluation der Schlafapnoe bei SchlaganfallpatientInnen Neurologie aktuell Effekt der AD-Risikofaktoren- Reduktion auf die Alzheimer- Prävalenz Offizielles Organ der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie MedMedia Verlags Ges.m.b.H.

P.b.b. 07Z037411M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien, ISSN 2223-0629<br />

<strong>neurologisch</strong><br />

Fachmagazin <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> AUSGABE 4/11<br />

Schwerpunkt<br />

Entrapment-Syndrome<br />

Kongresshighlights<br />

Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />

ECTRIMS<br />

<strong>Neurologie</strong> in Österreich<br />

Evaluation der Schlafapnoe bei<br />

SchlaganfallpatientInnen<br />

<strong>Neurologie</strong> aktuell<br />

Effekt der AD-Risikofaktoren-<br />

Reduktion auf die Alzheimer-<br />

Prävalenz<br />

Offizielles Organ<br />

der <strong>Österreichische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Neurologie</strong><br />

MedMedia<br />

Verlags Ges.m.b.H.


Editorial<br />

Sehr geehrte Frau Kollegin,<br />

sehr geehrter Herr Kollege!<br />

2011 ist rasch vergangen, und Sie halten die<br />

letzte Ausgabe dieses Jahres von <strong>neurologisch</strong><br />

in Ihren Händen. Ich hoffe, es war auch <strong>für</strong><br />

Sie ein gutes Jahr, vielleicht manchmal turbulent<br />

und aufregend, aber insgesamt doch<br />

erfolgreich. Die <strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> hat sich jedenfalls bemüht,<br />

Sie in Ihrem beruflichen Wirkungskreis tatkräftig<br />

zu unterstützen. Wir werden dies<br />

auch 2012 genauso fortsetzen.<br />

Die aktuelle Ausgabe von <strong>neurologisch</strong> hat<br />

diesmal als Schwerpunktthema die peripheren<br />

Nervenkompressionssyndrome. Prof.<br />

Bruno Mamoli gebührt der Dank <strong>für</strong> die Zusammenstellung<br />

der einzelnen Beiträge.<br />

Prof. Stefan Quasthoff gibt einen Überblick<br />

über die pathophysiologischen Grundlagen.<br />

In der Praxis spielt das Karpaltunnelsyndrom<br />

aufgrund seiner Häufigkeit eine besondere<br />

Rolle. Dr. Andrea Vass beantwortet in ihrem<br />

Beitrag die wesentlichen Fragen zu Ursachen,<br />

Symptomatik, Diagnostik und Therapie.<br />

Prof. Wolfgang Löscher befasst sich mit<br />

dem ebenfalls häufigen Sulcus nervi ulnaris-<br />

Syndrom (Kubitaltunnelsyndrom). Der Beitrag<br />

über das differenzialdiagnostisch wichtige<br />

Thoracic Outlet-Syndrom wurde von<br />

Prof. Bruno Mamoli verfasst. Die Kompressionssyndrome<br />

an den unteren Extremitäten<br />

bzw. des Plexus lumbosacralis werden von<br />

Doz. Udo Zifko und Dr. Marcus Erdler dargestellt.<br />

Beide Beiträge gehen systematisch<br />

auf die anatomischen Grundlagen, Symptomatik,<br />

differenzialdiagnostischen Probleme<br />

und Therapiemöglichkeiten ein. Insgesamt<br />

erlauben die Beiträge einen praxisbezogenen,<br />

kompakten und aktuellen Überblick<br />

über diese wichtigen peripheren Nervenläsionen.<br />

Das Schwerpunktthema wird ergänzt durch<br />

Kongressberichte, diesmal u. a. mit Beiträgen<br />

zur Jahrestagung der DGN zu den Themen<br />

Schmerz, multiple Sklerose und Parkinson<br />

sowie zum ECTRIMS-Kongress.<br />

Ans Herz legen möchte ich Ihnen auch die<br />

Lektüre des Artikels unseres Gastautors Prof.<br />

Andreas Klein, der kritisch einige wesentliche<br />

Punkte zur Forschung im Umgang mit der<br />

Öffentlichkeit betrachtet.<br />

Die Vorbereitungen <strong>für</strong> die Jahrestagung der<br />

ÖGN (14. bis 17. März 2012 in Graz) sind<br />

voll im Gang, und wir freuen uns alle auf<br />

einen wissenschaftlich und praktisch interessanten,<br />

thematisch abwechslungsreichen<br />

Kongress. Bitte merken Sie sich den Termin<br />

vor und nehmen Sie teil.<br />

Ich darf Ihnen auf diesem Weg auch meine<br />

besten Wünsche <strong>für</strong> das neue Jahr übermitteln<br />

und mich <strong>für</strong> Ihre Unterstützung sehr<br />

herzlich bedanken! Bitte bleiben Sie der<br />

<strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />

als aktive Mitglieder auch im kommenden<br />

Jahr 2012 gewogen.<br />

Mit kollegialen Grüßen<br />

Ihr<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />

Vorstand der Universitätsklinik <strong>für</strong><br />

<strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Wien,<br />

Präsident der ÖGN<br />

Wollen Sie mit uns<br />

in Kontakt treten?<br />

Leserbriefe erwünscht:<br />

<strong>neurologisch</strong>@medmedia.at oder<br />

Seidengasse 9/Top1.1,<br />

1070 Wien<br />

Chefredaktion<br />

<strong>neurologisch</strong><br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />

SMZ Ost, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />

Generalsekretär der ÖGN<br />

3<br />

FOTO: MEDCOMMUNICATIONS


Wissenschaftlicher<br />

Beirat<br />

Bewegungsstörungen<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe, Innsbruck<br />

Epilepsie<br />

Univ.-Prof. DI Dr. Christoph Baumgartner, Wien<br />

Priv.-Doz. Dr. Michael Feichtinger, Graz<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka, Salzburg<br />

Schlafstörungen<br />

Univ.-Prof. Dr. Birgit Högl, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. DDr. Josef Zeitlhofer, Wien<br />

Neurorehabilitation<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Heinrich Binder, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Leopold Saltuari, Hochzirl<br />

Schlaganfall<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz Aichner, Linz<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin, Tulln<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang, Wien<br />

Schmerz<br />

Dr. Gerhard Franz, Telfs<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Lampl, Linz<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Vöcklabruck<br />

Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Löscher, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. Dr. Stefan Quasthoff, Graz<br />

Multiple Sklerose<br />

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas, Graz<br />

Univ.-Prof. Dr. Karl Vass, Wien<br />

Demenz<br />

Univ.-Prof. Dr. Thomas Benke, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt, Graz<br />

Autonome Störungen<br />

DI Dr. Heinz Lahrmann, Wien<br />

Dr. Walter Struhal, Linz<br />

Univ.-Prof. Dr. Gregor Wenning, Innsbruck<br />

Neurogeriatrie<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder, Salzburg<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr, Linz<br />

Prim. Univ.-Doz. Dr. Josef Spatt, Wien<br />

Neurochirurgie<br />

Univ.-Prof. Dr. Engelbert Knosp, Wien<br />

Prim. Univ.-Doz. Dr. Manfred Mühlbauer, Wien<br />

Prim. Doz. Dr. Gabriele Wurm, Linz<br />

Neuroimaging<br />

Univ.-Prof. MSc DDr. Susanne Asenbaum-Nan, Wien<br />

Assoz. Prof. Dr. Christian Enzinger, Graz<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller, Villach<br />

Leitmotiv der<br />

aktuellen Ausgabe <strong>neurologisch</strong><br />

Der 1983 in Kamoto, Sambia, geborene Künstler Mathias Kloser studierte in Wien von<br />

2004 bis 2009 an der Akademie der bildenden Künste bei Prof. Gunter Damisch bildende<br />

Kunst mit Schwerpunkt Malerei und Grafik. Seit 2008 nahm Kloser, der 2009 den Koschatzky-<br />

Kunstpreis erhielt, an verschiedenen Gruppenausstellungen teil. 2010 folgte eine Ausstellung<br />

in der Galerie Frey.<br />

„Um eine passende Form zu finden, Entrapment-Syndrome treffend darzustellen, hielt ich<br />

es <strong>für</strong> ratsam, die betroffenen Extremitäten zu integrieren. Diese habe ich letztlich zu so<br />

etwas wie Zahnrädern in einer Spürsinnmaschine verarbeitet. Diese habe ich dann mit<br />

ver schiedenen unscharfen, verschmierten Linien überlagert, um eine erhebliche Interferenz<br />

darzustellen, einen Geist in der Maschine evozierend.“<br />

Mathias Kloser<br />

Impressum Herausgeber: <strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Präsident der ÖGN. Chefredaktion: Univ.-Prof. Dr. Bruno<br />

Mamoli, Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager. Medieninhaber und Verlag: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien, Tel.: 01/407 31 11-0,<br />

E-Mail: office@medmedia.at. Verlagsleitung: Mag. Gabriele Jerlich. Redaktion: Maria Uhl. Lektorat: onlinelektorat@aon.at. Layout/DTP: Martin Grill. Projektbetreuung:<br />

Natascha Fial. Coverbild: Mathias Kloser. Print: „agensketterl“ Druckerei GmbH, Mauerbach. Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift ist zum Einzelpreis von 9,50 Euro plus MwSt. zu<br />

beziehen. Druckauflage: 8.150 Stück im 1. Halbjahr 2011, geprüft von der <strong>Österreichische</strong>n Auflagenkontrolle. Grundsätze und Ziele von <strong>neurologisch</strong>: Kontinuierliche medizinische<br />

Fortbildung <strong>für</strong> Neuro logen, Psychi ater und Allgemeinmediziner. Allgemeine Hinweise: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche und/oder wissenschaftliche<br />

Meinung des jeweiligen Autors wieder und fallen somit in den persönlichen Verantwortungsbereich des Verfassers. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen<br />

von pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Trotz sorgfältiger Prüfung übernehmen<br />

Medieninhaber und Herausgeber keinerlei Haftung <strong>für</strong> drucktechnische und inhaltliche Fehler. Ausgewählte Artikel dieser Ausgabe finden Sie auch unter<br />

www.medmedia.at zum Download. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil<br />

des Werkes darf in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter<br />

Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, verwertet oder verbreitet werden.<br />

5


Inhalt 4/2011<br />

GESELLSCHAFTSNACHRICHTEN<br />

8 Neuigkeiten aus der ÖGN<br />

109 Veranstaltungskalender<br />

SCHWERPUNKT: ENTRAPMENT-SYNDROME<br />

15 Einleitung<br />

B. Mamoli, Wien<br />

16 Pathophysiologie der<br />

Nervenkompressionssyndrome<br />

S. Quasthoff, Graz<br />

20 Das Karpaltunnelsyndrom<br />

A. Vass, Wien<br />

23 Das Sulcus nervi ulnaris-Syndrom<br />

W. Löscher, Innsbruck<br />

28 Das Thoracic Outlet-Syndrom<br />

B. Mamoli, Wien<br />

36 Proximale Drucksyndrome an den<br />

unteren Extremitäten<br />

M. Erdler, Wien<br />

40 Distale Nervenengpassyndrome<br />

der unteren Extremitäten<br />

U. Zifko, Wien<br />

NEUROLOGIE IN ÖSTERREICH<br />

44 Evaluation der Schlafapnoe<br />

bei SchlaganfallpatientInnen<br />

S. Kotzian, M. Saletu, Wien<br />

46 Review: Sporadische zerebrale<br />

Amyloidangiopathie<br />

Gliadysfunktion in der Pathogenese von<br />

�-Synucleinopathien: moderne Konzepte<br />

K. A. Jellinger, Wien<br />

KONGRESS-HIGHLIGHTS<br />

48 84. Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> (DGN) 2011<br />

T. Brücke, U. Baumhackl, Wien, N. Mitrovic, Vöcklabruck<br />

60 5. Gemeinsamer ECTRIMS-ACTRIMS-<br />

Kongress 2011, Amsterdam<br />

J. Kraus, Salzburg<br />

GASTARTIKEL<br />

83 Zufallsbefunde bei<br />

neurowissenschaftlichen Studien<br />

A. Klein, Wien<br />

NEUROLOGIE AKTUELL<br />

86 Schlafstörungen<br />

G. Klösch, D. Moser, Wien<br />

88 Neurorehabilitation<br />

K. Fheodoroff, Hermagor<br />

90 Schlaganfall<br />

W. Lang, Wien<br />

92 Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

W. Grisold, S. Meng, Wien<br />

94 Demenz<br />

P. Dal-Bianco, J. Marksteiner, R. Schmidt, Wien<br />

96 Autonome Störungen<br />

F. Krismer, G. K. Wenning, N. Stefanova, Innsbruck<br />

98 Neurogeriatrie<br />

J. Spatt, Wien<br />

101 Neuroimaging<br />

S. Asenbaum-Nan, Wien, C. Enzinger, Graz<br />

106 Pharma-News<br />

7


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

8<br />

SCHWERPUNKT<br />

Herbert Reisner wurde als Sohn einer Offiziers- und Ärztefamilie altösterreichischer<br />

Prägung am 1. Dezember 1912 in Wien geboren.<br />

Nach dem Abschluss seines Medizinstudiums an der Universität Wien<br />

am 18. Juli 1938 absolvierte Herbert Reisner seine Fachausbildung<br />

unter Otto Pötzl an der Wiener Psychiatrisch-Neurologischen<br />

Universitätsklinik. Ab 1942 war<br />

er klinischer Assistent, wurde er jedoch im Mai 1943<br />

zum Wehrdienst eingezogen und war während der<br />

Militärdienstzeit ein Jahr bei Viktor von Weizsäcker am<br />

Otfried-Förster-Institut, damals Hirnverletzten-Lazarett,<br />

in Breslau tätig. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

setzte Reisner ab August 1945 seine Tätigkeit an<br />

der Wiener Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik,<br />

nunmehr unter der Leitung von Otto Kauders,<br />

fort. 1949 habilitierte er als erster Assistent der Klinik<br />

<strong>für</strong> das Fachgebiet <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie und leitete<br />

1949/50 supplierend die Klinik.<br />

1951 wechselte Reisner als Ärztlicher Direktor an die Rothschild-Stiftung<br />

der Nervenheilanstalt der Stadt Wien-Rosenhügel, welche 1966<br />

in Neurologisches Krankenhaus der Stadt Wien-Rosenhügel umbenannt<br />

wurde. Er wirkte 17 Jahre an dieser Institution und war eine der<br />

prägenden Persönlichkeiten in der österreichischen <strong>Neurologie</strong> der<br />

Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit. 1958 wurde Reisner zum ao.<br />

Univ.-Prof. <strong>für</strong> „Forensische Psychiatrie“ ernannt.<br />

Im Jahr 1968 wurde er zum Vorstand der Psychiatrisch-Neurologischen<br />

Universitätsklinik Graz bestellt, am 1. September 1971 übernahm<br />

Reisner die Leitung der Neurologischen Universitätklinik in<br />

Wien, die erste selbstständige <strong>neurologisch</strong>e Universitätsklinik in<br />

Österreich, die er bis zu seinem Ableben 1982 leitete.<br />

Die Arbeitsgebiete von Reisner umspannten in großem Bogen die<br />

gesamte klinische <strong>Neurologie</strong> und einige wesentliche Gebiete der<br />

Psychiatrie. Seine wissenschaftlichen Aktivitäten schlugen sich in über<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Herbert Reisner<br />

Zum 100. Geburtstag (* 1. 12. 1912), zum 30. Todestag († 30. 3. 1982),<br />

zum 40-Jahres-Jubiläum Autonomie der Neurologischen Universitätsklinik<br />

Wien (ab 1. 9. 1971)<br />

Herbert Reisner<br />

(1912–1982)<br />

300 Publikationen nieder. Die größte Zahl der Arbeiten Reisners<br />

befasste sich mit den zerebrovaskulären Erkrankungen. Als wegweisender<br />

Meilenstein Reisners ist 1952 die Einrichtung der ersten<br />

Schlaganfallstation Österreichs am „Rosenhügel“ zu<br />

nennen, und 1961 war es ihm möglich, am Rosenhügel<br />

an rund 1000 SchlaganfallpatientInnen Katamnesen zu<br />

erheben, womit der Wert der konsequenten Rehabilitation<br />

erwiesen werden konnte. Reisner erkannte den<br />

Strukturwandel der später zumeist autonom gewordenen<br />

<strong>neurologisch</strong>en Wissenschaften, der in den<br />

1960/1970er Jahren eine Aufbruchsstimmung in der klinischen<br />

<strong>Neurologie</strong> bewirkte, und begründete die so<br />

genannten „Internationalen Symposien zur Koordination<br />

der <strong>neurologisch</strong>en Wissenschaften“, die im Jahresabstand<br />

abwechselnd in Wien, Graz, Erlangen und Heidelberg<br />

tagten und <strong>für</strong> viele der jüngeren Generation zu<br />

einem Forum ihrer vielfältigen wissenschaftlichen Arbeiten wurde. An<br />

der Wiener Neurologischen Universitätsklinik gelang es Reisner, eine<br />

moderne <strong>neurologisch</strong>e Institution aufzubauen, in welcher die Fachbereiche<br />

der Neuroradiologie, Hirnkreislauflabor, neurochemisches<br />

Labor, Elektro-Neurophysiologie, Neuropsychologie und Einrichtungen<br />

der Neurorehabilitation unter seiner Leitung vereint vertreten waren.<br />

Reisner war Präsident der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>Österreichische</strong>r Nervenärzte<br />

und Psychiater, Präsident der <strong>Österreichische</strong>n Multiple-Sklerose-<br />

<strong>Gesellschaft</strong> sowie Mitglied und Ehrenmitglied zahlreicher in- und ausländischer<br />

wissenschaftlicher <strong>Gesellschaft</strong>en. Die Stadt Wien ehrte ihn<br />

mit einem Ehrengrab am Hietzinger Friedhof. Im Gedenken an Reisner<br />

wird von der <strong>Österreichische</strong>n Sektion der Internationalen Liga gegen<br />

Epilepsie alle zwei Jahre der „Herbert-Reisner-Preis <strong>für</strong> klinische Epileptologie“<br />

verliehen.<br />

Univ.-Prof. Dr. Gernot Schnaberth


FOTO: PERO-DESIGN - FOTOLIA.COM<br />

Jobbörse<br />

Am A.ö. Bezirkskrankenhaus Kufstein/Abteilung <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> gelangt<br />

ab sofort eine Stelle <strong>für</strong><br />

Segeberger Kliniken Gruppe sucht halb- oder ganztags<br />

Assistenzärztinnen/Assistenzärzte <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />

Zusammengestellt von:<br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />

und Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />

eine/einen Fachärztin/Facharzt <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und<br />

eine/einen Sekundarärztin/Sekundararzt <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> zur Besetzung.<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> die Facharztstelle ist Teamfähigkeit, erwünscht sind elektrophysiologische und sonografische Erfahrungen und Kenntnisse.<br />

Die Aufgaben umfassen fachärztliche Tätigkeit an der <strong>neurologisch</strong>en Allgemeinstation, Stroke Unit, Ambulanz, <strong>neurologisch</strong>e Zusatz -<br />

diagnostik sowie Absolvierung von Nacht- und Wochenenddiensten. Die Stelle ist auf ein Jahr befristet.<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> die Sekundararztstelle ist ein Ius practicandi als Allgemeinmediziner, Teamfähigkeit ist erwünscht. Die Aufgaben umfassen<br />

Stations- und Ambulanztätigkeit, Absolvierung von Nacht- und Wochenenddiensten sowie Bereitschaft zur Fortbildung und zur Mitarbeit an<br />

wissenschaftlichen Projekten. Die Stelle ist auf ein Jahr befristet.<br />

Für weitere Informationen steht Ihnen Prim. Univ.-Doz. Dr. Klaus Berek, Leiter der Abteilung <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> am A. ö. BKH Kufstein<br />

(klaus.berek@bkh-kufstein.at) zur Verfügung.<br />

Die Segeberger Kliniken Gruppe gehört mit ihren vielfältigen und hochspezialisierten medizinischen Leistungen und über 1600 Mitarbeitern<br />

zu den innovativen Kliniken in Norddeutschland. Die Segeberger Kliniken (Akademisches Lehrkrankenhaus der Christian-Albrechts-Universität<br />

zu Kiel und des Universitätsklinikums UKE, Hamburg) bietet in ihrem Neurologischen Zentrum mit insgesamt 300 Betten alle Phasen der<br />

<strong>neurologisch</strong>en Versorgung an. Hierzu zählen 80 Akutbetten, die sich jeweils zur Hälfte auf die Phase A (Akutneurologie) einschließlich einer<br />

Stroke Unit und die Phase B (Frührehabilitation) einschließlich 20 Beatmungsplätzen aufteilen.<br />

Bedingt durch das Ausscheiden langjähriger MitarbeiterInnen nach erfolgreichem Abschluss der Facharztausbildung<br />

suchen wir halb- oder ganztags Assistenzärztinnen/Assistenzärzte <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>.<br />

Wir garantieren die volle <strong>neurologisch</strong>e Weiterbildung durch ein strukturiertes Curriculum mit Rotation in die Akut-, Intensiv- und<br />

Reha-<strong>Neurologie</strong> sowie Freistellung <strong>für</strong> die enge ober- und chefärztlich supervidierte Ausbildung in der <strong>neurologisch</strong>en Funktionsdiagnostik<br />

und Neuroradiologie. Zusätzlich bieten wir Weiterbildungsmöglichkeiten in der Intensivmedizin (6 Mo.), Neurochirurgie (12 Mo.), Klinische<br />

Geriatrie (24 Mo.) und Sozialmedizin (12 Mo.) an. Wissenschaftliches Arbeiten wird unterstützt und im Falle einer Dissertation intensiv<br />

begleitet (aktueller Stand: zwei abgeschlossene und drei laufende Promotionen).<br />

Neurologisches Arbeiten findet bei uns auf höchstem Niveau statt. Zu unserem Leitungsteam gehören Mitarbeiter mit ausgewiesenem<br />

Schwerpunkt <strong>für</strong> vaskuläre <strong>Neurologie</strong>, Bewegungsstörungen, Neuroimmunologie und Intensivmedizin. Unsere Klinik zeichnet sich durch ein<br />

sehr gutes Arbeitsklima aus, mit guter Zusammenarbeit unter den Berufsgruppen und fachübergreifend. Aufgrund der Größe des ärztlichen<br />

Teams bieten wir geregelte Arbeitszeiten, eine niedrige Dienstfrequenz und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit. Mit der Note 1,9 schnitten wir<br />

in der Globalbeurteilung bei der ersten bundesweiten Evaluation der Weiterbildung sehr gut ab (siehe auch Team & Kontakte auf unserer<br />

Website). Die Vergütung ist an den TV-Ärzte/VKA angelehnt. Bad Segeberg ist aus Lübeck, Hamburg oder Kiel mit allen Verkehrsmitteln<br />

gut zu erreichen.<br />

Wir freuen uns über Ihr Interesse und stehen Ihnen gerne <strong>für</strong> weitere Informationen zur Verfügung:<br />

Chefarzt Prof. Dr. José M. Valdueza +49 (0)4551/802-5801 oder<br />

Assistenzärztin Serap Sever +49 (0)4551/802-6832).<br />

Bewerbung – per Post oder E-Mail an: Segeberger Kliniken GmbH, Am Kurpark 1, 23795 Bad Segeberg, jobs@segebergerkliniken.de<br />

9


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

10<br />

Jobbörse<br />

SCHWERPUNKT<br />

Nachfolger/Nachfolgerin gesucht<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Sehr erfolgreiche <strong>neurologisch</strong>e Praxis in der Schweiz (Region Basel) mit nahezu ausschließlich konsiliarischer Tätigkeit (inkl. EEG, EMG, ENG,<br />

evoz. Pot., Ultraschall) - <strong>für</strong> Detailinformationen nehmen Sie bitte telefonisch Kontakt auf:<br />

Dr. med. H.R. Stöckli, +41 (0)61/921 91 70<br />

Sozialmedizinisches Zentrum Ost – Donauspital sucht<br />

eine/einen Fachärztin/Facharzt <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />

Im Sozialmedizinischen Zentrum Ost – Donauspital gelangt ab 1. 3. 2012 eine vorerst befristete Karenzstelle<br />

<strong>für</strong> einen Spitalsarzt/eine Spitalsärztin an der Neurologischen Abteilung mit Department <strong>für</strong> Akutgeriatrie zur Besetzung.<br />

Besondere Erfordernisse:<br />

Facharzt/Fachärztin <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />

Wünschenswert sind vertiefte Kenntnisse und Fertigkeiten, welche die selbstständige Ausübung zumindest einer der <strong>neurologisch</strong>en<br />

Zusatzuntersuchungen (Neurophysiologie, EEG, Neurosonologie) ermöglichen.<br />

Weitere Auskünfte und Bewerbung: Doz. Dr. Regina Katzenschlager, 01/288 02-4203 oder 01/288 02-744215<br />

Cotzias-Award<br />

<strong>für</strong> Professor Jellinger<br />

Im Rahmen der LXIII Jahrestagung<br />

der Spanischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Neurologie</strong> (SEN) in Barcelona<br />

wurde Univ.-Prof.<br />

Dr. Kurt A. Jellinger am<br />

16. November 2011 der<br />

George-Cotzias-Preis der<br />

Movement Study Group<br />

der SEN verliehen.<br />

Bei dieser Tagung hielt Jellinger auch die vom<br />

Vorstand der SEN eingeladene Dr.-Luis-Barraquer-Ferré-Lecture<br />

„Clinico-pathological Correlations<br />

of Synucleinopathies“.<br />

Die ÖGN gratuliert zu dieser Auszeichnung.<br />

UEMS-Neuroradiologie<br />

Seitens der UEMS wurde ein offizielles Papier zur interventionellen Neuroradiologie<br />

herausgegeben, in dem eine strukturierte Ausbildung dargestellt wird. Die Ausbildung<br />

ist gemäß UEMS auch <strong>für</strong> NeurologInnen zugänglich.<br />

http://neuro.uemsradiology.eu/education.aspx


Lehrvideo zur Durchführung der Hirntoddiagnostik<br />

bei einer geplanten Organentnahme<br />

Im österreichischen Bundesgesetzblatt Nr. 273 aus dem Jahr 1982 wurden<br />

die rechtlichen Grundlagen <strong>für</strong> die Entnahme von Organen Verstorbener<br />

zum Zwecke der Transplantation geschaffen. Dabei wurde die<br />

Feststellung des Hirntodes als unabdingbare Voraussetzung vor der<br />

Durchführung einer Organentnahme rechtlich formuliert. Der Hirntod<br />

wird als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns,<br />

des Kleinhirns und des Hirnstamms definiert. Der Hirntod wird<br />

dem Individualtod eines Menschen gleichgesetzt.<br />

Leben und Tod sind biologische Kategorien. Die Grenzziehung zwischen<br />

Leben und Tod ist kulturell festgelegt. Das Subjekt des Todes ist das<br />

menschliche Individuum als leiblich-seelische Ganzheit. Es gibt nur einen<br />

Tod, aber unterschiedliche Todeszeitpunkte. Die Grenze zwischen Leben<br />

und Tod ist nicht durch den Funktionsausfall einzelner Organsysteme definiert,<br />

sondern durch die Fähigkeit der zentralen Steuerung und Integration<br />

im Gehirn. Der irreversible Verlust der Hirnfunktion ist ein Kriterium, den<br />

Todeszeitpunkt festzulegen, wie er in der Gesetzgebung enthalten ist.<br />

Die Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik in Österreich<br />

wurden im Jahre 1997 und im Jahre 2005 von einem interdisziplinär<br />

besetzten ExpertInnengremium erarbeitet und zuletzt vom obersten<br />

Sanitätsrat am 17. 12. 2005 beschlossen. Demnach gliedert sich das<br />

Hirntodverfahren in drei Phasen, nämlich jene der Prüfung der Voraussetzungen,<br />

der klinischen Diagnostik und der ergänzenden apparativen<br />

Hilfsuntersuchungen.<br />

Dieser Lehrfilm beabsichtigt die Aus- und Fortbildung zum Thema Hirntoddiagnostik<br />

zu unterstützen und einen Beitrag zur Qualitätssicherung<br />

zu leisten.<br />

Das Lehrvideo wurde in Zusammenarbeit mit der Landesnervenklinik<br />

Wagner-Jauregg, Linz und der ÖGN erstellt. Das Lehrvideo kann über<br />

das Sekretariat der ÖGN bezogen werden (Unkostenbeitrag € 15,00). Es<br />

steht ausschließlich FachärztInnen <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, FachärztInnen <strong>für</strong><br />

<strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie sowie ÄrztInnen in Ausbildung in den<br />

genannten Fächern zur Verfügung.<br />

Univ.-Prof. Dr. Franz Aichner<br />

Vorstand <strong>Neurologie</strong> LNK Wagner-Jauregg<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />

Präsident der ÖGN<br />

Neuer Vorstand der Neurologischen Abteilung des LKH Feldbach<br />

Prim. Dr. Martin Heine<br />

Prim. Dr. Martin Heine übernimmt die Leitung der Neurologischen<br />

Abteilung des LKH Feldbach. Heine wurde 1966 in<br />

Oldenburg in Deutschland geboren und studierte nach dem<br />

Abitur von 1987 bis 1994 Medizin an der Medizinischen<br />

Hochschule Hannover, der Leopold-Franzens-Universität<br />

Innsbruck und der Georg-August-Universität Göttingen, wo<br />

er 1994 promovierte.<br />

Von 1994 bis 1996 war er Arzt im Praktikum an der Neurologischen<br />

Abteilung des evangelischen Krankenhauses<br />

Oldenburg, von 1996 bis 1999 Assistenzarzt an der Neurologischen Universitätsklinik<br />

Göttingen. Die psychiatrische Ausbildung absolvierte er<br />

1998 am LKH Göttingen. 1999 legte Heine die Facharztprüfung ab.<br />

Von 1999 bis 2010 war Heine als erster Oberarzt und Stellvertreter des<br />

Abteilungsvorstands der <strong>neurologisch</strong>en Abteilung des LKH Bruck/Mur<br />

tätig. Von 2001 bis 2004 hatte er die fachärztliche Leitung der <strong>neurologisch</strong>-interdisziplinären<br />

Intensivstation inne, von 2004 bis 2010 Leitung<br />

der Schlaganfalleinheit und der <strong>neurologisch</strong>en Akutbettenstation.<br />

Daneben absolvierte er den Universitätslehrgang <strong>für</strong><br />

Medizinische Führungskräfte an der Universität Graz.<br />

Sein wissenschaftliches Interesse gilt mit Vorträgen,<br />

Postern und Publikationen den Themen Schlaganfall,<br />

RLS, ZNS-Immunologie und Parkinson.<br />

Ziele <strong>für</strong> die <strong>neurologisch</strong>e Abteilung des LKH Feldbach:<br />

Die neu gegründete Abteilung nimmt seit dem<br />

1. Januar 2010 den akut<strong>neurologisch</strong>en Versorgungsauftrag<br />

<strong>für</strong> die südöstliche Steiermark wahr. Schwerpunkte des bisherigen<br />

Abteilungsaufbaus waren die Etablierung einer Stroke-Unit im Rahmen<br />

eines regionalen Versorgungskonzepts sowie der Aufbau einer guten<br />

Kooperation mit umliegenden Spitälern und den extramuralen Versorgungsstrukturen.<br />

Nach erfolgreichem Abteilungsaufbau im ersten Jahr<br />

stehen <strong>für</strong> die Zukunft die weitere Optimierung der Insultbehandlung<br />

(Bridging-Konzept etc.) und der weitere Ausbau der Spezialambulanzen<br />

(Schlaganfall, MS, Dystonie/Bewegungsstörungen) im Vordergrund.<br />

11


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

Am 1. November 2011 ist Univ.-Prof. Dr. Gunther Ladurner nach kurzer<br />

schwerer Krankheit nach Vollendung seines 69. Lebensjahres verstorben.<br />

Diese Nachricht hat uns alle überrascht und tief betroffen<br />

gemacht, umso mehr, da wir ihn mit vielen neuen Projekten, Ideen<br />

und Zukunftsplänen bis zuletzt beschäftigt sahen.<br />

Er wurde am 12. Oktober 1942 in Graz geboren, wo er auch nach<br />

Ablegen der Matura 1960 Medizin studierte und nach einem Auslandsjahr<br />

in der Schweiz – in Zürich – das Studium 1967 abschloss.<br />

Anschließend folgte die Facharztausbildung, anfangs mit psychiatrischem<br />

Schwerpunkt, später unter Univ.-Prof. Dr. Reisner die Ausbildung<br />

in <strong>Neurologie</strong> mit Schwerpunkt Neurophysiologie sowie die wissenschaftliche<br />

Tätigkeit, Beschäftigung mit Schlaganfall und erste<br />

Demenzstudie 1973/74.<br />

Im Rahmen eines Aufenthalts 1974/75 im National Hospital for Nervous<br />

Diseases, Queen Square, London, konnte er sich in die Computertomographie,<br />

die Hirnkreislaufforschung und Neurophysiologie vertiefen.<br />

Nach der Rückkehr nach Graz wurden weitere gemeinsame Forschungsprojekte<br />

mit London vollendet und führten 1978 zur Habilitation<br />

zum Thema „Messung des zerebralen Blutvolumens mit der<br />

Computertomographie“.<br />

Nach Ernennung 1983 zum außerordentlicher Universitätsprofessor in<br />

Graz wurde er 1984 zum Primararzt der Landesnervenklinik Salzburg<br />

<strong>für</strong> das Fach <strong>Neurologie</strong> bestellt, gefolgt von der Bestellung zum<br />

Honorarprofessor <strong>für</strong> physiologische Psychologie in der Paris-Lodron-<br />

Universität Salzburg.<br />

Nach 1986 lagen seine Schwerpunkte im Aufbau und der Entwicklung<br />

der Neurologischen Abteilung im Sinne der Vergrößerung und<br />

Neustrukturierung der <strong>Neurologie</strong> (EEG, Neurorehabilitation, Schlaganfall<br />

und Neuropathologie, Neurologische Intensivstation). Diese<br />

dienten auch als Modelle in der <strong>Neurologie</strong> in Österreich.<br />

Zunächst 1991 zum Stellvertretenden Ärztlichen Direktor der Landesnervenklinik<br />

bestellt, wurde er 1998 Ärztlicher Direktor der Christian-<br />

Doppler-Klinik. Er eröffnete 2002 eine Wirbelsäulenstation, die als<br />

Modellstation <strong>für</strong> eine interdisziplinär – gemeinsam mit der Neurochirurgie<br />

– erfolgreich geführte Station galt.<br />

2005 wurde er zum Professor <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> an der „Paracelsus Medizinische<br />

Privatuniversität“ ernannt. Es folgten enge Kooperationen<br />

mit der Psychologie Salzburg und Umsetzen gemeinsamer For-<br />

12<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

Nachruf<br />

Hofrat Univ.-Prof. Dr. Gunther Ladurner 1942–2011<br />

schungsvorhaben, der gemeinsame<br />

Erwerb einer Kernspintomographie 2009<br />

mit Einrichtung neuropsychologischer<br />

Forschung, die Entwicklung der Teleradiologie<br />

und „Telestroke“ sowie intensive<br />

Mitarbeit als E-Health-Beauftragter der<br />

SALK.<br />

Im April 2010 übergab er „seine“ <strong>neurologisch</strong>e<br />

Klinik an seinen Nachfolger und<br />

ehemaligen Schüler Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka. Ende Oktober 2010<br />

beendete er schließlich die Tätigkeit als Ärztlicher Direktor der Christian-Doppler-Klinik.<br />

Hervorzuheben sind seine zahlreichen wissenschaftliche Publikationen<br />

in peer-reviewed Journals (über 300) und viele weitere Buchbeiträge.<br />

Bis zuletzt war Ladurner aktiv in der Umsetzung vieler Gesundheitsprojekte<br />

in Salzburg führend tätig. Mit seinem enormen Gestaltungswillen<br />

und seiner großen Umsetzungskraft hat er die ehemalige Neurologische<br />

Abteilung zur modernen Universitätsklinik umgeformt und<br />

weiterentwickelt. Er war seinem Team durch seine Disziplin und Ausdauer,<br />

seine vorausschauende und visionäre Führung ein großes Vorbild<br />

und wurde von seinen MitarbeiterInnen sehr bewundert.<br />

Privat waren Kunst, Malerei und Musik neben seinem Hobby, dem<br />

Kochen – speziell im Familien- und Freundeskreis – ein wichtiger Kontrapunkt.<br />

Prof. Gunther Ladurner war viele Jahre Mitglied der <strong>Österreichische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und im Vorstand der <strong>neurologisch</strong>en Sektion<br />

der <strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie,<br />

wo er in verschiedenen Funktionen die <strong>Neurologie</strong> wesentlich beeinflusst<br />

hat und sich durch zahlreiche Preise und Ehrungen anderer<br />

Fachgesellschaften profilierte.<br />

Mit Prof. Ladurner verliert die <strong>Neurologie</strong> in Österreich eine markante<br />

Persönlichkeit.<br />

Unser tiefes Mitgefühl und unsere Anteilnahme gelten den trauernden<br />

Angehörigen.<br />

OA Dr. Gernot Luthringshausen<br />

Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> Salzburg<br />

FÜR DIE PRAXIS


FOTO: MEDCOMMUNICATIONS<br />

GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

LLäsionen peripherer Nerven werden vielfach<br />

als ein nur wenig interessanter Bereich der<br />

<strong>Neurologie</strong> angesehen. Diese irrige Ansicht<br />

stammt daher, dass sich die einzelnen Syndrome<br />

vorwiegend aus den anatomischen<br />

Strukturen ableiten, dass diese seit Jahrzehnten<br />

bekannt sind und somit das klinische Bild<br />

Allgemeingut der NeurologInnen ist. Während<br />

in der Zeit zwischen ca. 1950 und 1980<br />

die klinische Neurophysiologie beträchtliche<br />

Fortschritte hinsichtlich der Diagnostik und<br />

Prognose der Nervendrucksyndrome erbrachte,<br />

blieb die Anzahl kontrollierter prospektiver<br />

therapeutischer Studien gering. In den letzten<br />

Jahren verschob sich die Forschung von der<br />

Elektrophysiologie zu den Neuroimaging-Verfahren<br />

wie Ultraschall und MRI, Verfahren,<br />

die uns einerseits bei Versagen der elektrophysiologischen<br />

Methoden diagnostische<br />

Fortschritte erbracht haben, anderseits nichtinvasiv<br />

die Ätiologie der Drucksyndrome erfassen<br />

lassen, z. B. durch Darstellung aberranter<br />

Muskeln oder von anderen Pathologien.<br />

Dies kann wiederum therapeutische<br />

Konsequenzen nach sich ziehen. Leider hat<br />

uns das dazu geplante Manuskript nicht<br />

rechtzeitig erreicht. Wir werden es nach Möglichkeit<br />

in der nächsten Ausgabe von neuro -<br />

logisch publizieren.<br />

Ein weiterer Grund <strong>für</strong> die häufige Vernachlässigung<br />

der Krankheiten des peripheren<br />

Nervensystems ist, dass deren Abklärung und<br />

Behandlung meist keiner stationären Aufnahme<br />

bedarf und somit auch im Rahmen der<br />

Ausbildung, die vorwiegend an stationären<br />

PatientInnen erfolgt, nur ungenügend vermittelt<br />

wird.<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Zum Themenschwerpunkt:<br />

Entrapment-Syndrome<br />

„Tägliches Brot“<br />

<strong>für</strong> Niedergelassene<br />

Gerade Läsionen peripherer Nerven gehören<br />

aber zum „täglichen Brot“ der niedergelassenen<br />

FachärztInnen <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und<br />

Fachärztinnen <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> & Psychiatrie.<br />

Sowohl die <strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />

klinische Neurophysiologie als auch die <strong>Österreichische</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> haben<br />

die Änderung der Strukturen zur elektrophysiologischen<br />

Versorgung der PatientInnen mit<br />

peripheren Nervenläsionen dahingehend gefördert,<br />

dass im Gegensatz zu früher, als die<br />

Neurophysiologie in den Händen weniger Institute<br />

lag, nunmehr die Neurophysiologie<br />

zum verlängerten Arm der niedergelassenen<br />

NeurologInnen gehört.<br />

Dies gilt es auch aus standespolitischen Gründen<br />

gegenüber den FachärztInnen <strong>für</strong> physikalische<br />

Medizin und allgemeine Rehabilitation<br />

zu sichern. Die Abgrenzung kann nicht durch<br />

repetitives Versichern unseres Anspruches,<br />

sondern nur über höhere und ausgewiesene<br />

Kompetenz erfolgen. Isolierte Fertigkeiten der<br />

Elektroneurografie ohne Fertigkeiten in der<br />

Nadelelektromyografie sind abzulehnen. Als<br />

einfaches Beispiel hier<strong>für</strong> sei die Differenzialdiagnose<br />

zwischen einer Läsion des N. peronaeus<br />

und einer Läsion des N. ischiadicus bzw.<br />

Läsion der Wurzel L5 angeführt, die klinisch<br />

gelegentlich Schwierigkeiten bereitet.<br />

Stärkung der Kompetenz<br />

Der Themenschwerpunkt der Ausgabe von<br />

<strong>neurologisch</strong> 4/2011, nämlich Drucksyndro-<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Bruno Mamoli<br />

Generalsekretär der ÖGN,<br />

Wien<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

me peripherer Nerven, soll die Kompetenz<br />

durch Erweiterung und Aktualisierung unseres<br />

diagnostischen und therapeutischen Wissen<br />

stärken. Es ist nicht Absicht, das gesamte<br />

Spektrum abzudecken, sondern selektiv die<br />

häufigsten Nervendrucksyndrome, wie das<br />

Karpaltunnelsyndrom (OÄ Dr. A. Vass), das<br />

Sulcus ulnaris-Syndrom (Prof. Dr. W. Löscher)<br />

und weniger häufige Syndrome der unteren<br />

Extremitäten (OA Dr. M. Erdler und Doz. Dr.<br />

U. Zifko) zu erörtern. Von meiner Seite wurde<br />

versucht, das Thoracic Outlet-Syndrom zu<br />

entmystifizieren, ein Syndrom, von dem mein<br />

Mentor Prof. Dr. H. P. Ludin noch 1974 meinte:<br />

„Ich weiß nicht, ob es das wirklich gibt.“<br />

Auf die Fortschritte der pathophysiologischen<br />

Grundlagen der Nervendrucksyndrome geht<br />

Prof. Dr. St. Quasthoff ein und befreit uns<br />

von einem allzu mechanistischen Denken.<br />

Inhaltliches möge man diesen exzellenten<br />

Beiträgen entnehmen. n<br />

15


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Pathophysiologie der<br />

Nervenkompressionssyndrome<br />

Experimentelle Untersuchungen<br />

und Biomechanik<br />

Um über die pathophysiologischen Veränderungen<br />

in den komprimierten Nerven Aussagen<br />

machen zu können, müssen Nervenerregbarkeitsstudien<br />

gemacht werden, die eine<br />

örtliche Depolarisation der Axone aufzeigen<br />

und Hinweise auf die Umverteilung der nodalen<br />

und internodalen Ionenkanäle ergeben<br />

können 1 .<br />

Wesentliche morphologisch-anatomische Informationen<br />

über die Veränderungen akuter<br />

und chronischer Kompressionssyndrome<br />

kommen aus Post-mortem-Studien subklinischer<br />

N. medianus- und N. ulnaris-Kompressionssyndrome<br />

2 . Sie zeigen eine Verdickung<br />

des Endoneuriums, Perineuriums und Epineuriums<br />

im betroffenen Nervenabschnitt. Einzelfaseruntersuchungen<br />

dieser Nerven ergaben<br />

eine Ausdünnung und ein Zurückziehen<br />

der Myelinscheiden sowie Anzeichen <strong>für</strong><br />

stattgehabte Demyelinisierung und Remyelinisierung<br />

3 . Es gibt nur sehr wenige ähnliche<br />

Untersuchungen von komprimierten sensorischen<br />

Nerven des Menschen, die zur Behandlung<br />

refraktärer Schmerzen entfernt wurden<br />

und ähnliche Verdünnungen der Myelinscheiden<br />

und Verdickungen des Endoneuriums,<br />

der Mikrogefäße im Endoneurium und des<br />

Perineuriums in der Region der Kompression<br />

zeigten 4 . Die begrenzte Anzahl menschlichen<br />

Nervengewebes <strong>für</strong> die pathophysiologischen<br />

Untersuchungen hat zur Entwicklung verschiedener<br />

Tiermodelle geführt. Ein Tiermo-<br />

16<br />

dell verwendet ein Silikonröhrchen um den<br />

Ischiasnerv der Ratte. Ein anderes Tiermodell<br />

verwendet einen angioplastischen Katheter,<br />

der in den Karpaltunnel eingeführt wird und<br />

dort den vom Untersucher gewünschten<br />

Druck erzeugt 5–7 .<br />

Neben der Kompression durch Druckerhöhung<br />

in den Kanälen spielen auch mechanische<br />

Faktoren (Dehnen und Stauchen der<br />

Nerven) eine Rolle, da die Tunnelsyndrome<br />

häufig in der Nähe von Gelenken vorkommen<br />

und der Nerv erheblichen Dehnungs- und<br />

Kompressionsbeanspruchungen unterworfen<br />

ist. Der Nerv weist eine gewisse Eigenelastizität<br />

auf, sodass eine Dehnung seiner Struktur<br />

bis zu 8 % ohne funktionelle Beeinträchtigung<br />

möglich ist. Darüber hinaus kommt<br />

es zu einer Reduktion des venösen Blutflusses<br />

und bei Dehnung bis 13 % zu einer kompletten<br />

Ischämie. Dehnungen über 38 %<br />

schädigen das Perineurium 8 . Letztere sind bei<br />

der Defektüberbrückung traumatischer Nervenläsionen,<br />

weniger bei Nervenkompressionssyndromen<br />

von Bedeutung.<br />

Biomechanische und de- und regenerative<br />

Vorgänge: Bei den Kompressionsneuropathien<br />

können einzelnen Faktoren meist<br />

nicht isoliert betrachtet werden. Hier spielen<br />

sowohl akute biomechanische als auch chronische<br />

de- und regenerative Vorgänge eine<br />

wechselseitige Rolle und laufen meist gleichzeitig<br />

und nebeneinander ab. Wichtig sind<br />

die Drücke innerhalb der Kanäle bzw. Engstellen.<br />

Bei einem lokalen Druckanstieg tritt<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Obwohl Kompressionssyndrome ziemlich allgegenwärtig sind, wissen wir wenig über die pathophysiologischen<br />

Veränderungen, die in komprimierten Nerven auftreten. Ein Grund hier<strong>für</strong> ist sicherlich, dass es unethisch wäre,<br />

menschliches Nervengewebe bei Nervenkompressionssyndromen während der Operation zu entnehmen, da mit<br />

bleibenden Schäden zu rechnen ist. Die elektrophysiologischen Untersuchungen EMG und NLG erbringen zwar<br />

entscheidende Informationen über den Ort der Nervenkompression und das Ausmaß der Schädigung, über die<br />

pathophysiologischen Vorgänge sagen sie jedoch wenig oder nichts aus.<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Stefan Quasthoff<br />

Universitätsklinik<br />

<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität<br />

Graz<br />

rasch eine Ischämie ein. So führt ein Druckanstieg<br />

auf 2,66–3,99 kPa zu einem verzögerten<br />

venösen Fluss im Epineurium, ein<br />

Druck von 7,99–10,66 kPa zu einer kompletten<br />

intraneuralen Stase. Außerdem wird der<br />

axonale Transport in Abhängigkeit von der<br />

Dauer der Druckerhöhung gestört. Höhere<br />

Drücke von über 6,60 kPa <strong>für</strong> 2 Stunden sind<br />

in der Regel nach 24 Stunden noch reversibel.<br />

Eine Anhebung des interstitiellen Drucks des<br />

Nervs auf 5,99 kPa unterhalb des arteriellen<br />

Mitteldrucks führt innerhalb von 30 Minuten<br />

zum Block der sensiblen und motorischen<br />

Nervenleitung. Unphysiologisch hohe Drücke<br />

von mehr als 26,66 kPa führen zu einem endoneuralen<br />

Ödem, von 133,22 kPa zu strukturellen<br />

Veränderungen des Nervs mit Invagination<br />

des Ranvier-Schnürrings, Demyelinisierung<br />

und Axonschäden 9 .<br />

Beim Karpaltunnelsyndrom (KTS) beträgt der<br />

Ruhedruck 4,26 kPa und kann bei Handgelenksbeugung<br />

auf 1,99–13,33 kPa ansteigen.<br />

Beim Kubitaltunnelsyndrom gibt es bei aktiver<br />

Beugung des Ellenbogengelenks einen<br />

Anstieg auf 26,66 kPa. Beim Supinatortunnelsyndrom<br />

bei passiver Pronation 6,13 kPa,<br />

bei aktiver Anspannung sogar 25,33 kPa.


Im Tiermodell benutzt man eine Entzündung<br />

des umgebenden Gewebes, um eine Kompression<br />

der Nerven zu erreichen, da lokale<br />

Entzündungsvorgänge in der Pathophysiologie<br />

der Kompressionssyndrome eine Rolle<br />

spielen. Ein solches Verfahren benutzt chemische<br />

Substanzen, die eine Entzündung induzieren,<br />

die dann eine überschießende Bildung<br />

von Granulationsgewebe im Karpaltunnel<br />

bewirkt 10 . Egal welches Modell (Tier oder<br />

Mensch) herangezogen wird, in der Pathogenese<br />

der Kompressionssyndrome spielt das<br />

subsynoviale Bindegewebe eine entscheidende<br />

Rolle 11, 12 .<br />

Anatomisch morphologische Veränderungen<br />

Die chronische Kompression eines peripheren<br />

Nervs, ob durch akute oder subakute Druckschädigung,<br />

führt zu pathophysiologischen<br />

und morphologischen Veränderungen, die<br />

schon Sunderland 1975 beschrieb: eine zunächst<br />

noch reversible Veränderung durch<br />

Kompression der Venolen und Arteriolen des<br />

Epineuriums mit nachfolgender Ischämie des<br />

Nervs und Ausbildung eines intraneuralen<br />

Ödems.<br />

Durch eine mechanische Schädigung kommt<br />

es vermutlich zu einem verstärkten Einstrom<br />

von Kalzium in die Nervenzelle, der zur Aktivierung<br />

von zyklischem Adenosin-3,5-Monophosphat<br />

(cAMP) führt. Weitere biochemische<br />

Prozesse zerstören die Filamentstrukturen<br />

der zellulären Transportsysteme der<br />

Axone. Hieraus resultieren strukturelle Nervenfaserläsionen,<br />

die unter dem Begriff der<br />

Waller-Degeneration zusammengefasst sind:<br />

Verdünnung der Myelinscheide, besonders<br />

bei den großkalibrigen Nervenfasern, Veränderungen<br />

der intraneuralen Kapillaren und<br />

damit der Durchblutung. Ausfall großkalibriger<br />

und schnellleitender Fasern (axonale Degeneration),<br />

Regenerationsvorgänge mit Aussprossen<br />

dünner und wenig myelinisierter<br />

und somit langsamer leitender Nervenfasern<br />

sowie kollaterale Reinnervation der Muskulatur.<br />

Sekundär zur Waller-Degeneration<br />

durchlaufen Schwann-Zellen eine programmierte<br />

Dedifferenzierung, einschließlich der<br />

Herunterregulation von Myelin-Proteinen und<br />

zellulärer Proliferation, die zu einer Demyelinisierung<br />

führt 13 .<br />

Milde Form der Wallerschen Degeneration:<br />

Aufgrund der Ähnlichkeit zu akuten Nervenkompressionssyndromen<br />

vermutet man<br />

bei der chronischen Form als Schädigungstyp<br />

eine milde und langsame Form der Wallerschen<br />

Degeneration. Die Veränderung der<br />

Nervenleitgeschwindigkeit bei chronischen<br />

Kompressionsyndromen wird durch die allmähliche<br />

Demyelinisierung und nachfolgende<br />

Remyelinisierung der komprimierten<br />

Nerven erklärt. Dies konnte durch Untersuchungen<br />

von komprimierten menschlichen<br />

Nervensegmenten bestätigt werden 3 . Auch<br />

in Tiermodellen wurde eine ähnliche Ausdünnung<br />

des Myelins peripherer Nerven beschrieben<br />

14 .<br />

Das Auftreten neuer, dünner myelinisierter<br />

Nervenfasern wird als Zeichen der De- und<br />

Remyelinisierung gewertet 15 . Die Demyelinisierung<br />

beginnt nodal und schreitet nach paranodal<br />

fort 14 . In Übereinstimmung mit der<br />

Myelin-Degeneration wurden pathologische<br />

Strukturen in normalen paranodalen Regionen<br />

im benachbarten demyelinisierten Gebiet<br />

festgestellt und darüber hinaus zwischen den<br />

Regionen normalen Myelins Regionen von<br />

dünnem Myelin. Diese Regionen mit kürzeren<br />

Internodienlängen werden mit proliferierenden<br />

Schwann-Zellen in Verbindung gebracht.<br />

Die so geschädigten Nervenfasern haben<br />

auch eine erhöhte Anzahl der Schmidt-Lantermannschen<br />

Inzisuren 2 . Ihre Funktion ist<br />

umstritten, jedoch unterstützen sie die Stoffwechselprozesse<br />

der Myelinscheide 16 . Der<br />

Anstieg der Schmidt-Lantermannschen Inzisuren<br />

entlang des Axons entspricht somit am<br />

ehesten einem mit der De- und Remyelinisierung<br />

einhergehenden vermehrten metabolischen<br />

Bedarf der Nerven.<br />

Demyelinisierung, Proliferation und Apop -<br />

tose von Schwann-Zellen: In einem etab -<br />

lier ten Tiermodell <strong>für</strong> die chronische Nervenkompression<br />

wurde festgestellt, dass<br />

Schwann-Zellen innerhalb von 2 Wochen so-<br />

wohl in den komprimierten als auch distalen<br />

Nervensegmenten proliferieren. Der Höhepunkt<br />

der Proliferation ist nach einem Monat<br />

erreicht, was einer 6-fachen Erhöhung der<br />

Schwann-Zell-Anzahl entspricht. Bemerkenswert<br />

ist, dass während dieser Periode der<br />

Proliferation gleichzeitig eine deutlich erhöhte<br />

Schwann-Zell-Apoptose zu beobachten<br />

ist 5 . Diese Demyelinisierung, Proliferation und<br />

Apoptose von Schwann-Zellen wird zunächst<br />

in den distalen Nervenabschnitten gefunden.<br />

Diese Prozesse treten auch schon auf, ohne<br />

dass es Hinweise auf axonale Schäden oder<br />

Waller-Degeneration gibt. Von beiden Prozessen<br />

ist bekannt, dass sie eine Schwann-<br />

Zellen-Vermehrung induzieren. Bei Erwachsenen<br />

wird zum Teil die Aufrechterhaltung von<br />

Myelin der Schwann-Zellen durch die Expression<br />

von Myelin-Proteinen (MAG) gewährleistet.<br />

Nach chronischer Nervenkompression<br />

regulieren Schwann-Zellen in der Region des<br />

kompakten Myelin MAG als Teil der Demyelinisierung<br />

herunter 17 . Die Analyse von elektronenmikroskopischen<br />

Aufnahmen zum<br />

gleichen Zeitpunkt zeigt einen Anstieg der<br />

Zahl der kleinen marklosen Fasern um nichtmyelinisierende<br />

Schwann-Zellen, die als gruppierte<br />

Strukturen, die Remak-Bündel, bekannt<br />

sind und Ausdruck axonaler Sprossung<br />

sind 17 . Das Herunterregulieren von MAG erlaubt<br />

erst die axonale Aussprossung 17 .<br />

Durch lokale Demyelinisierung, Schwann-Zellen-Apoptose<br />

und Zellproliferation auch ohne<br />

Hinweise auf eine axonale Schädigung<br />

kommt es zu axonaler Sprossung. Diesen<br />

morphologischen Veränderungen ist die Entstehung<br />

des Pseudoneuroms zuzuordnen.<br />

Zum einen entsteht das Neurom durch Stauung<br />

proximal eines Engpasses (Pseudoneurom<br />

wie z. B. beim KTS) oder zum anderen<br />

durch zusätzliche mechanische Druck- und<br />

Friktionsschädigung, wie sie beim Pseudoneurom<br />

des N. ulnaris im Sulcusbereich zu<br />

finden sind. Beide Mechanismen verstärken<br />

einander zu einem Circulus vitiosus und führen<br />

zu einer endoneuralen Fibrosierung,<br />

d. h. zu strukturellen Veränderungen, die<br />

letztlich irreversibel sind. u<br />

17


Veränderung in DRG-Neuronen: Neben<br />

den oben genannten lokalen Veränderungen<br />

finden sich auch Veränderungen in den Dorsalganglienzellen<br />

(DRG-Neuronen). GAP-43,<br />

ein Wachstumskegelmolekül des aussprossenden<br />

Axons, wird hochreguliert 18 . Darüber<br />

hinaus gibt es eine vorübergehende Verschiebung<br />

der Populationen von sensorischen<br />

Neuronen innerhalb der DRG 18 . Eine Zunahme<br />

der Anzahl der Isolectin-B4-bindenden<br />

und Calcitonin gene-related peptide-positive<br />

Neuronen und eine entsprechende Abnahme<br />

der Neurofilament-200-Neuronen. Diese Veränderung<br />

in DRG-Neuronen wird unter anderem<br />

als ein möglicher Mechanismus <strong>für</strong> die<br />

Schmerzen bei chronischen Nervenkompressionssyndromen<br />

angenommen.<br />

Die Ursache der beobachteten phänotypischen<br />

Wechsel in DRG-Neuronen ist wahrscheinlich<br />

ein Downstream-Effekt als Folge<br />

der Expression von nerv growth factor (NGF)<br />

der aktivierten Schwann-Zellen. Neben NGF<br />

wird an der Verletzungsstelle auch GNDF von<br />

den Schwann-Zellen sezerniert und retrograd<br />

bis zum DRG transportiert 19 . Bei chronischen<br />

Nervenkompressionssyndromen kommt es zu<br />

einer schrittweise Infiltration von Makrophagen<br />

über einen Zeitraum von mehreren Wochen<br />

in das komprimierte und distale Segment<br />

des Nervs 20 . Der primäre Auslöser <strong>für</strong><br />

die Makrophagenrekrutierung ist eine Unterbrechung<br />

der axonalen Architektur der Nerven.<br />

Da Schwann-Zellen-Dedifferenzierung<br />

und -Demyelinisierung unabhängig von axonalem<br />

Schaden und Makrophagen-Signalisierung<br />

auftreten, muss ein alternativer Mechanismus<br />

<strong>für</strong> diesen Prozess existieren. Eine<br />

Möglichkeit besteht darin, dass Schwann-Zellen<br />

direkt auf mechanische Reize reagieren<br />

können. Hinweise hier<strong>für</strong> gibt es aus<br />

Schwann-Zellkulturen, die mechanischen Reizen<br />

ausgesetzt waren 21 . Der Mechanismus,<br />

durch den Schwann-Zellen auf mechanische<br />

Reize reagieren, ist derzeit nicht bekannt 22 .<br />

Funktionelle Veränderungen<br />

Die funktionellen Auswirkungen der chronischen<br />

Kompression sind mannigfaltig. Trotz<br />

18<br />

GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

möglicher Unterschiede von Tiermodell und<br />

Mensch haben beide eine gemeinsame pathophysiologische<br />

Auswirkung, nämlich den<br />

fortschreitenden Abfall der Nervenleitgeschwindigkeit<br />

und letztendlich axonalen Verlust<br />

über der Kompressionsstelle. Eine ungestörte<br />

Impulsleitung, d. h. eine regelrechte<br />

sensible und motorische Nervenleitgeschwindigkeit,<br />

ist ein wichtiges Zeichen einer normalen<br />

Nervenfunktion.<br />

Im Gefolge struktureller Veränderungen (veränderte<br />

Expression und Verteilung von Ionenkanälen<br />

nodal [vorwiegend Na-Kanäle]<br />

und paranodal [vorwiegend K-Kanäle]) sowie<br />

durch Demyelinisierung kommt es zur Verlangsamung<br />

der Impulsleitung des Nervs und<br />

gleichzeitig zu einer mehr oder weniger ausgeprägten<br />

Desynchronisierung der Muskeloder<br />

Nervenantwort. Die Verlangsamung<br />

kann diffus oder umschrieben sein und nur<br />

einen bestimmten oder mehrere Nerven oder<br />

ein lnnervationsgebiet von Plexusanteilen<br />

oder Nervenwurzeln umfassen. Somit lassen<br />

sich Hinweise auf eine umschriebene Nervenläsion<br />

und deren Lokalisation oder Hinweise<br />

auf eine nicht genau lokalisierte, eher diffuse<br />

Läsion im Bereich eines oder mehrerer Nerven<br />

gewinnen.<br />

Funktionsstörungen: Das klinische Korrelat<br />

einer gestörten Impulsleitung bzw. eines<br />

Leitungsblocks sind motorische, sensible<br />

und vegetative Funktionsstörungen. Es<br />

handelt sich um komplexe Vorgänge am<br />

Nerven mit De- und Remyelinisierung, axonaler<br />

De- und Regeneration sowie kollateraler<br />

Aussprossung von Nervenfasern. Weiterhin<br />

kommt es zu retrograden Veränderungen<br />

und schließlich zu völligem Ausfall<br />

von Nervenfasern oder auch des gesamten<br />

Nervs 23 . Hieraus ergeben sich typische Konstellationen,<br />

die nicht nur <strong>für</strong> die Lokalisation<br />

einer Läsion, sondern auch <strong>für</strong> die Einschätzung<br />

des Schweregrads der Schädigung<br />

und ihre Prognose bedeutsam sind 24 .<br />

Die demyelinisierte Nervenfaser verliert die<br />

Fähigkeit der normalen Nervenleitung<br />

sowie der Reaktion auf hochfrequente<br />

lmpulsserien.<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

Es kommt zu einer Verlangsamung und<br />

schließlich zu vollständigem Funktionsverlust.<br />

Beim Leitungsblock kommt es infolge des<br />

Ausfalls von schnellen Fasern zu einer Verlangsamung<br />

der NLG auf Werte unter 40 m/s<br />

sowie zu einer Amplitudenreduktion der Antwort<br />

des motorischen und sensiblen Potenzials.<br />

Gleichzeitig führen unterschiedliche<br />

Leitgeschwindigkeiten der einzelnen Nervenfasern<br />

zu einer Aufsplitterung des Antwortpotenzials.<br />

Ausgehend von der Nervenkompressionsstelle<br />

führt die Waller-Degeneration<br />

schließlich zum vollständigen Ausfall von einzelnen<br />

Nervenfasern oder häufiger des gesamten<br />

Nervs. Eine Leitungsverminderung<br />

kann sich auch proximal der Läsionsstelle finden<br />

(retrograde Degeneration). Bei chronischen<br />

Läsionen kommen Leitungsblock, Leitungsverzögerung<br />

und Waller-Degeneration<br />

in Kombination mit Regenerationsvorgängen,<br />

Remyelinisierung und kollateraler Reinnervation<br />

vor. Da die Reversibilität dieser Vorgänge<br />

eingeschränkt ist, sollte rechtzeitig gegengesteuert<br />

werden, z. B. in Form einer frühzeitigen<br />

operativen Behandlung (Dekompression).<br />

Ausblick<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Verbesserte In-vitro-Modelle akuter und<br />

chronischer Nervenkompression können in<br />

Zukunft möglicherweise unser Wissen über<br />

die Pathophysiologie der Kompressionssyndrome<br />

verbessern. Zahlreiche Untersuchungen<br />

haben gezeigt, dass hydrostatischer<br />

Druck alleine die Aktivität vieler verschiedener<br />

Zelltypen, einschließlich Chondro -<br />

zyten und Osteoblasten, beeinflussen<br />

kann 25, 26 . Schwann-Zellen sind zwar die primären<br />

Mediatoren in der Pathophysiologie<br />

der Kompressionssyndrome, jedoch erklären<br />

sie nur unvollständig, wie es schließlich<br />

zum axonalen Schaden kommt. Die wechselseitige<br />

Beziehung zwischen Axonen und<br />

Gliazellen bei chronischen Kompressionsyndromen<br />

werden noch nicht komplett verstanden.<br />

Es ist möglich, dass die Kombination aus<br />

Schwann-Zell-Mechanosensitivität und chro-


nischer, auch axonaler Ischämie einen wesentlichen Teil der Pathogenese<br />

von Nervenkompressionssyndromen darstellen. Dies müsste in<br />

In-vitro-Versuchen von Kokulturen von Schwann-Zellen und Neuronen<br />

noch weiter untersucht werden. Ein besseres Verständnis der Mechanismen<br />

der Demyelinisierung und Remyelinisierung durch den Einsatz<br />

von In-vivo- und In-vitro-Modellen wird <strong>für</strong> die Entwicklung neuartiger<br />

Behandlungsmöglichkeiten entscheidend sein und eventuell die<br />

manchmal schwierige Entscheidung, ob operiert werden muss und<br />

ab welchem Stadium chirurgisch eingegriffen werden muss, verbessern.<br />

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GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

Von allen Nervenkompressionssyndromen<br />

tritt das Karpaltunnelsyndrom am häufigsten<br />

auf. In der Literatur wird eine jährliche Inzidenz<br />

von etwa 3 : 1000 angegeben 1, 2 . Frauen<br />

sind dreimal öfter betroffen als Männer,<br />

vor allem in der Altersgruppe von 40 bis 60<br />

Jahren. Hier spielen einerseits hormonelle Einflüsse<br />

eine Rolle, andererseits Arbeiten mit<br />

repetitiver Beugung und Streckung im Handgelenk,<br />

die im Haushalt, aber auch in typischen<br />

Frauenberufen durchgeführt werden.<br />

Adipositas und Diabetes mellitus sind Prädispositionsfaktoren,<br />

weiters rheumatoide Arthritis<br />

und Hypothyreose. DialysepatientInnen<br />

haben ebenfalls eine höhere Prävalenz. Auch<br />

in der Schwangerschaft oder<br />

unmittelbar danach ist eine<br />

Häufung bekannt. Bei Männern<br />

führen Arbeiten mit Vibrationsbelastung,<br />

z. B. Kettensäge oder<br />

Drillbohrer, zu einem vermehrten<br />

Auftreten. Das Karpaltunnelsyndrom<br />

kann auch im<br />

hohen Alter vorkommen, bei<br />

Kindern tritt es jedoch sehr selten<br />

– im Rahmen von Stoffwechselstörungen(Mukopolysaccharidose)<br />

– auf.<br />

Ursachen<br />

Ursächlich <strong>für</strong> die Kompression<br />

des N. medianus im Karpaltunnel<br />

ist eine Zunahme des Tunnelinhaltes<br />

oder eine Verkleinerung<br />

des Tunnelquerschnittes:<br />

einerseits durch Schwellung der<br />

durch den Tunnel hindurchziehenden<br />

Beugesehnen durch<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Das Karpaltunnelsyndrom<br />

hormonelle, stoffwechselbedingte, entzündliche,<br />

überlastungsbedingte oder ganz selten<br />

tumoröse Ursachen, andererseits Bedrängung<br />

von außen durch Traumen wie Radiusfrakturen,<br />

eventuell auch Blutungen oder<br />

durch Handgelenksarthrosen. Dadurch<br />

kommt es zu einer Drucksteigerung im Karpalkanal,<br />

die bei Streck- und Beugebewegungen<br />

weiter ansteigt und das 30-Fache des<br />

normalen Drucks erreichen kann. Die Zunahme<br />

des Drucks im Karpalkanal führt einerseits<br />

direkt mechanisch zu einer Deformierung der<br />

Nervenfasern, andererseits zur Kompression<br />

der Venolen, später auch der Arteriolen und<br />

Kapillaren des Endo- und Perineuriums, was<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

zu einer Ischämie des Nerven und zur Ausbildung<br />

eines intraneuralen Ödems und einer<br />

fokalen Demyelinisierung führt. Die typische<br />

nächtliche Zunahme der Beschwerden wird<br />

auf das Abknicken des Handgelenks beim<br />

Schlafen zurückgeführt, das den Druck im<br />

Karpaltunnel weiter erhöht. In weiterer Folge<br />

sprießen in den geschwollenen<br />

Nerv Fibroblasten ein, dies führt<br />

zu Fibrosierung des Epi- und Perineuriums<br />

und dann zur Wallerschen<br />

Axondegeneration.<br />

Symptome<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Das Karpaltunnelsyndrom ist eine häufige Diagnose in der <strong>Neurologie</strong>. Sie ist meist klinisch zu stellen und durch<br />

elektrophysiologische Untersuchung oder bildgebende Zusatzuntersuchungen zu bestätigen. Die Entscheidung<br />

über die zu empfehlende Therapieform ergibt sich aus der individuellen Situation je nach Ursache, Symptomatik<br />

und Verlauf.<br />

20<br />

Abb. 1: Phalen-Test: Bei maximaler Beugung im<br />

Handgelenk kommt es nach 30 Sekunden zu Parästhesien<br />

in den Fingerkuppen.<br />

Grafik: Veronika Vass<br />

Dr. Andrea Vass<br />

Niedergelassene Fachärztin<br />

<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und<br />

Psychiatrie, Wien<br />

Anfänglich klagen PatientInnen<br />

über nächtliche Missempfindungen<br />

in den Händen, die sich<br />

durch Händeschütteln oder<br />

Hände-unters-kalte-Wasser-Halten<br />

beseitigen lassen (Brachialgia<br />

paraesthetica nocturna). Diese<br />

Missempfindungen können auch<br />

bei bestimmten Tätigkeiten wie<br />

z. B. beim Autofahren, Radfahren,<br />

Telefonieren oder Stricken<br />

auftreten. Sie betreffen anfänglich<br />

vor allem den Mittelfinger,<br />

dann auch Zeigefinger und Daumen,<br />

die Schmerzausstrahlung<br />

kann aber den ganzen Arm er-


fassen. Später treten dauernde<br />

Sensibilitätsstörungen auf, die<br />

oft „in der ganzen Hand“ beschrieben<br />

werden. Erst bei genauerer<br />

Befragung kann eine<br />

Aussparung des 5. Fingers differenziert<br />

werden. Oft beklagen<br />

die Betroffenen auch eine zunehmende<br />

Ungeschicklichkeit<br />

(„mir fällt alles aus der Hand“,<br />

„ich habe schon viele Häferln<br />

zerschlagen“), das Öffnen und<br />

Schließen kleiner Knöpfe bereitet<br />

Schwierigkeiten, eine Nähnadel<br />

zu halten gelingt nicht<br />

mehr, beim Kartoffelschälen treten<br />

Krämpfe in der Thenarmuskulatur<br />

auf. Schmerzen können<br />

im Handgelenk auftreten, sie<br />

strahlen über die radiale Unterarmseite<br />

oft bis in den Oberarm<br />

und bis zur Schulter aus.<br />

Diagnose<br />

Meist ist die Anamnese bereits<br />

sehr typisch. Bei der klinischen Untersuchung<br />

lassen sich oft nur geringe Ausfälle objektivieren.<br />

Bei der Inspektion zeigt sich bei lang<br />

dauernder Kompression eine Thenaratrophie.<br />

Eine Atrophie kann aber auch durch eine<br />

Rhizarthrose des Daumensattelgelenks vorgetäuscht<br />

werden.<br />

Die Sensibilitätsstörung betrifft in erster Linie<br />

die Mittelfingerkuppe, gefolgt von der Zeigefingerkuppe.<br />

Der Daumen und der Ringfinger<br />

sind in geringerem Ausmaß betroffen.<br />

Das Gebiet über dem Thenar und die radiale<br />

Handfläche sind immer ausgespart, denn der<br />

Ramus palmaris zweigt vor dem Karpaltunnel<br />

proximal des Handgelenks ab. In fortgeschrittenem<br />

Stadium können Zweipunktediskrimination<br />

und Semmes-Weinstein-Monofilament-Testung<br />

an den Fingerkuppen pathologisch<br />

sein.<br />

Die Muskelprüfung des M. abductor pollicis<br />

brevis erfolgt in der Vertikalebene zur Handfläche,<br />

auch der Flaschentest überprüft die<br />

Funktion dieses Muskels. Die Prüfung des M.<br />

opponens pollicis erfolgt durch Zusammendrücken<br />

des Daumens mit dem kleinen Finger.<br />

Abb. 2: Vergleich der motorischen Latenz des N. medianus<br />

zum M. lumbricalis I und N. ulnaris zum M. interosseus II.<br />

Provokationstests: Die typischen Beschwerden<br />

des Karpaltunnelsyndroms können auch<br />

durch Provokationstests ausgelöst werden.<br />

Hier ist vor allem der Phalen-Test zu erwähnen:<br />

Die PatientInnen werden aufgefordert,<br />

das Handgelenk über mehr als 60 Sekunden<br />

maximal, also 90 Grad zu beugen (Abb. 1).<br />

Zusätzlich kann man häufig durch leichtes<br />

Beklopfen des Handgelenks ein Tinel-Phänomen<br />

auslösen. Diese Provokationstests werden<br />

kontrovers beurteilt, sie sind diagnostisch<br />

nicht sehr hochwertig, können aber im Frühstadium<br />

einen – auf Grund der geringen Spezifität<br />

bescheidenen – Hinweis auf einen Reizzustand<br />

des Nerven liefern 3, 4 .<br />

Elektrophysiologische<br />

Untersuchung<br />

Die elektrophysiologische Untersuchung<br />

dient zur Bestätigung des klinischen Eindrucks<br />

und zur Abgrenzung anderer Ursachen<br />

einer Brachialgie. Sie dient auch der<br />

Evaluation des Schweregrades der Kompression<br />

und ist ein wichtiger Verlaufsparameter<br />

vor und nach konservativer oder operativer<br />

Therapie. Sie stellt eine wichtige<br />

und zuverlässige Methode zum<br />

Nachweis des Karpaltunnelsyndroms<br />

dar, sollte aber immer im<br />

Zusammenhang mit den klinischen<br />

Befunden und Symptomen<br />

interpretiert werden. An Untersuchungsmethoden<br />

stehen die motorische<br />

und sensible Neurographie<br />

und gegebenenfalls die Elektromyographie<br />

zur Verfügung.<br />

Bei der motorischen Neurographie<br />

wird die distale Latenz als<br />

Maß der am schnellsten über den<br />

Karpalkanal leitenden Nervenfasern,<br />

die Summenpotenzialamplitude<br />

als Maß der intakten Axone<br />

und die Nervenleitgeschwindigkeit<br />

am Unterarm bestimmt. Die<br />

distale Latenz ist bei 90 % der<br />

PatientInnen mit Karpaltunnelsyndrom<br />

verlängert. (Bei einer Dis -<br />

tanz von 6,5 cm gilt eine Latenz<br />

über 4,2 ms als pathologisch.) Die<br />

Summenamplitude kann bei Stimulation<br />

proximal des Handgelenks im Sinne<br />

eines Leitungsblockes reduziert sein, in diesem<br />

Fall kann versucht werden, in der Handfläche<br />

zu stimulieren, um eine axonale Läsion<br />

auszuschließen, wobei allerdings manchmal<br />

Reizartefakte auftreten können. Die Nervenleitgeschwindigkeit<br />

am Unterarm sollte unauffällig<br />

sein. Falls die Thenarmuskulatur bereits<br />

atroph ist und kein sicheres Potenzial<br />

vom M. abductor pollicis brevis abzuleiten<br />

ist, kann die motorische Latenz zum M. lumbricalis<br />

I im Vergleich mit der Latenz des N.<br />

ulnaris zum M. interosseus II bestimmt werden<br />

5 (Abb. 2).<br />

Die sensible Neurographie ist sensitiver als<br />

die motorische und wird meist antidrom und<br />

mit Oberflächenelektroden durchgeführt. Die<br />

Ableitung mit Ringelektroden kann von<br />

jedem der 4 vom N. medianus versorgten<br />

Finger erfolgen, in der Praxis bewährt es sich,<br />

den am meisten betroffenen Finger (meist<br />

Zeige- oder Mittelfinger) zu wählen. Sensitiver<br />

ist eine fraktionierte Messung über den<br />

Karpaltunnel 6, 7 (Abb. 3) oder eventuell ein u<br />

21


Inching über das Handgelenk. Bei<br />

pathologischem Befund soll ein<br />

Vergleich mit einem anderen sensiblen<br />

Handnerven erfolgen, z. B.<br />

ein direkter Vergleich der NLG des<br />

N. medianus und des N. ulnaris<br />

zum 4. Finger, wobei auch die Amplitude<br />

der sensiblen Nervenaktionspotenziale<br />

verglichen werden<br />

kann.<br />

Die Elektromyographie wird bei<br />

der Diagnostik des Karpaltunnelsyndroms<br />

nur selten eingesetzt,<br />

etwa um eine axonale Schädigung<br />

nachzuweisen, oder um andere Engpasssyndrome<br />

des N. medianus oder radikuläre Läsionen<br />

abzugrenzen.<br />

Bildgebung<br />

Bildgebende Untersuchungen, vor allem die<br />

hochauflösende Ultraschalluntersuchung, gewinnen<br />

zunehmend an Bedeutung. Den<br />

höchsten diagnostischen Wert hat die Messung<br />

der Querschnittsfläche des N. medianus<br />

am Eingang in den Karpaltunnel. Eine Fläche<br />

von mehr als 12 mm 2 bedeutet Ödembildung<br />

und damit Kompression. Zusätzlich lassen<br />

sich eine Verminderung der faszikulären<br />

Struktur im geschwollenen Nerven und Kaliberschwankungen<br />

am proximalen Rand des<br />

Retinaculum flexorum nachweisen. Auch vermehrte<br />

intraneurale und perineurale Vaskularisation<br />

kann entdeckt werden. Alle diese<br />

Veränderungen treten schon früh in der Entwicklung<br />

des Karpaltunnelsyndroms auf,<br />

daher wäre die Ultraschalluntersuchung vor<br />

allem im frühen Stadium eine zusätzliche Informationsquelle<br />

8 .<br />

In seltenen Fällen ist eine Magnetresonanztomographie<br />

indiziert, etwa bei PatientInnen<br />

mit klinischem Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom<br />

und nicht schlüssiger elektrophysiologischer<br />

Untersuchung, zur Identifikation von<br />

Muskelanomalien, von raumfordernden oder<br />

entzündlichen Prozessen und zum Nachweis<br />

einer postoperativ persistierenden Enge des<br />

Karpaltunnels 9 .<br />

Trotz der Fortschritte bildgebender Verfahren<br />

wird die klinische und elektrophysiologische<br />

22<br />

GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

Untersuchung als diagnostischer Goldstandard<br />

angesehen.<br />

Differenzialdiagnosen<br />

Die wichtigste Differenzialdiagnose stellen<br />

zervikale Radikulopathien C6 und C7 dar. Daneben<br />

können Läsionen des unteren Anteils<br />

des Plexus brachialis oder höher gelegene<br />

Medianuskompressionen zu Verwechslungen<br />

führen. Eine Polyneuropathie manifestiert<br />

sich nur sehr selten an den Armen vor den<br />

Beinen. Eine multifokal motorische Neuropathie,<br />

eine Mononeuritis multiplex oder eine<br />

hereditäre Neuropathie mit Neigung zu<br />

Druckparesen (HNPP) kann eine seltene Differenzialdiagnose<br />

darstellen. Häufiger werden<br />

Thenaratrophien als Erstsymptom einer<br />

Motoneuronenerkrankung als Karpaltunnelsyndrom<br />

fehlinterpretiert. Sehr selten können<br />

auch zentrale Läsionen zu Sensibilitätsstörungen<br />

an den Fingern führen.<br />

Therapie<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Abb. 3: Fraktionierte sensible Messung über das<br />

Handgelenk<br />

Je nach der subjektiven Beeinträchtigung und<br />

dem Leidensdruck des/der PatientIn sollte gemeinsam<br />

über die Therapie entschieden werden.<br />

Wenn nur paroxysmale Reizsymptome und<br />

noch keine anhaltenden Symptome bestehen,<br />

ist eine konservative Therapie sinnvoll. An ers -<br />

ter Stelle sollte eine Nachtlagerungsschiene<br />

verordnet werden, die in manchen Fällen auch<br />

tagsüber empfohlen werden kann.<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Physikalische Therapien wie Ultraschall<br />

oder Kryotherapie<br />

haben nur kurzfristige Verbesserungen<br />

gezeigt. Yoga und<br />

Nervengleitübungen haben<br />

ebenfalls im besten Fall zeitlich<br />

begrenzte Symptomlinderung<br />

gebracht. Die Gabe von nichtsteroidalen<br />

Antirheumatika, Diuretika<br />

oder Vitamin B 6 hat<br />

keine Wirksamkeit.<br />

Orale Kortisongabe (Prednisolon/Methylprednisolon<br />

20 mg/<br />

Tag) über maximal 2 Wochen<br />

hat kurzfristige Verbesserungen<br />

gezeigt 10 . Eine einmalige Kortisoninjektion in<br />

den Karpalkanal ist einer oralen Kortisongabe<br />

überlegen, die Wirkung hält über einige Wochen<br />

an 11 . Mehrfache Infiltrationen können<br />

derzeit nicht empfohlen werden, da keine<br />

weitere Verbesserung nachgewiesen werden<br />

konnte, und zwar selten aber doch die Gefahr<br />

einer Nerven- oder Sehnenschädigung<br />

besteht.<br />

Eine operative Entlastung ist bei anhaltenden<br />

sensiblen und/oder motorischen<br />

Störungen indiziert 12 . Der Eingriff wird sowohl<br />

in i. v. regionaler oder Plexusanästhesie<br />

als auch in Allgemeinnarkose durchgeführt.<br />

Ob eine offene oder endoskopische<br />

Operation durchgeführt werden soll, hängt<br />

vor allem von der Erfahrung und Technik<br />

des Operateurs/der Operateurin ab. Bei endoskopischen<br />

Eingriffen, die nach der Einportaltechnik<br />

oder Zweiportaltechnik<br />

durchgeführt werden, soll die Komplikationsrate<br />

bezüglich Nervenverletzung oder<br />

inkompletter Durchtrennung des Retinakulums<br />

größer sein; da<strong>für</strong> sind die Narbenschmerzen<br />

geringer und die PatientInnen<br />

möglicherweise etwas früher wieder arbeitsfähig.<br />

Die Kosten sind allerdings deutlich<br />

höher. Eine klare Überlegenheit einer<br />

Methode über die andere ließ sich bisher<br />

nicht nachweisen 13 .<br />

Wichtig zu erwähnen ist, dass gerade bei<br />

DiabetikerInnen, die eine höhere Prävalenz<br />

<strong>für</strong> Karpaltunnelsyndrom haben, und auch<br />

bei sehr alten Menschen mit „ausgebrann-


tem“ Karpaltunnelsyndrom eine operative<br />

Entlastung eine deutliche Verbesserung der<br />

Schmerzen und Gefühlsstörungen bewirkt 14, 15 .<br />

Auch wenn keine Erholung der Thenaratrophie<br />

erwartet werden kann, kann eine Operation<br />

empfohlen werden.<br />

Nachbehandlung<br />

und Komplikationen<br />

Am ersten postoperativen Tag kann bereits<br />

mit Funktionstraining und Narbenpflege be-<br />

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the italian CTS study group. Ital J Neurol Sci<br />

1999; b:20:315–20<br />

gonnen werden, um Handödem und Fingersteifigkeit<br />

vorzubeugen 16 . Die Dauer der<br />

postoperativen Arbeitsunfähigkeit beträgt je<br />

nach manueller Arbeitsbelastung 4–6 Wochen.<br />

Der Schmerz bessert sich meist sofort<br />

nach der Operation. Die sensiblen und motorischen<br />

Störungen haben naturgemäß eine<br />

längere Rückbildungszeit. Persistierende<br />

Schmerzen können entweder durch eine inkomplette<br />

Retinakulumspaltung oder durch<br />

eine intraoperative Nervenläsion, Rezidive<br />

nach anfänglicher Besserung vor allem bei<br />

7 Sander HW, Quinto C, Saadeh PB, Chokverty S, Median<br />

and ulnar palm-wrist studies. Clin Neurophysiology<br />

1999; 110:1462–1465<br />

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12 Verdugo RJ, Salinas RS, Castillo J, Cea JG, Surgical versus<br />

non-surgical treatment for carpal tunnel syndrome<br />

Das Sulcus nervi ulnaris-Syndrom<br />

Das SNU ist entsprechend einer populationsbasierten<br />

epidemiologischen Studie 20 nach<br />

dem Karpaltunnelsyndrom und der Mortonschen<br />

Metatarsalgie das dritthäufigste Nervenkompressionssyndrom.<br />

Die jährliche Inzidenz<br />

22 beträgt 24,7/100.000, wobei Frauen<br />

(32,77/100.000) häufiger betroffen sind als<br />

Männer (17,2/100.000). Die Angaben zu Risikofaktoren<br />

wie repetitive Arbeitsbelastung,<br />

Über- oder Untergewicht und Geschlecht sind<br />

widersprüchlich 4, 16, 29 .<br />

Symptome<br />

Ein SNU kann sich langsam entwickeln oder<br />

akut auftreten. Beim akuten SNU, das meist<br />

„über Nacht“ auftritt, sind Hypästhesie und<br />

Parese die führenden Symptome. Die Hypäs-<br />

rheumatischer Synovialitis mit starker Vernarbung<br />

und bei DialysepatientInnen vorkommen.<br />

In diesen Fällen muss eine sehr exakte<br />

diagnostische Aufarbeitung erfolgen<br />

und gegebenenfalls an ein spezialisiertes<br />

Handchirurgiezentrum überwiesen werden.<br />

Die elektroneurographischen Parameter<br />

müssen mit den präoperativen Werten verglichen<br />

und mit der aktuellen Symptomatik<br />

korreliert werden, denn sie sind oft auch bei<br />

erfolgreicher Operation noch weiter pathologisch<br />

17 . n<br />

(review). The Cochrane Database Syst Rev 2003; 2<br />

13 Scholten RJPM et al., Surgical treatment options for<br />

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tunnel syndrome: lessons from a randomized<br />

controlled trial. J Clin Neurophysiol 2005;<br />

22:216–221<br />

Die sensible oder sensomotorische Schädigung des N. ulnaris im Ellbogen wird allgemein Sulcus nervi ulnaris-<br />

Syndrom (SNU) genannt, auch wenn diese Bezeichnung anatomisch nicht vollkommen richtig ist 2 . Synonyme<br />

und eigentlich korrektere Begriffe wären Kubitaltunnelsyndrom und Ulnarisneuropathie am Ellbogen (ulnar<br />

neuropathy at the elbow). Der Begriff SNU, der aufgrund seiner weiten Verbreitung hier verwendet wird,<br />

bezieht sich eigentlich auf das Kubitaltunnelsyndrom.<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Wolfgang Löscher<br />

Universitätsklinik<br />

<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />

Medizinische<br />

Universität Innsbruck<br />

thesie umfasst Finger 5 und die ulnare Hälfte<br />

von Finger 4, die ulnare Handkante und u<br />

23


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

den ulnaren Handrücken. Die Schwäche betrifft<br />

die Fingerab- und -adduktion, und es<br />

findet sich auch eine Schwäche der Kleinfingerendgliedbeugung.<br />

Beim chronischen SNU bestehen initial vor<br />

allem lageabhängige Parästhesien der Finger<br />

4 und 5 bei prolongierter Ellbogenbeugung<br />

und Schmerzen im Ellbogen. Mit der Zeit entwickelt<br />

sich das oben beschriebene motorische<br />

und sensible Ulnarisdefizit, und je nach Dauer<br />

und Ausprägung auch eine Atrophie und die<br />

typische Krallenhand (Abb.). Als klinische Einteilung<br />

des Schweregrades wird meistens die<br />

Skala nach Dellon 13 verwendet (Tab. 1).<br />

Diagnostik<br />

Klinische Untersuchung<br />

Die typischen sensiblen und motorischen<br />

Funktionen des N. ulnaris und des N. medianus<br />

sollten überprüft werden. Eine Sensibilitätsstörung<br />

am ulnaren Handrücken und eine<br />

Schwäche der Kleinfingerendgliedbeugung<br />

grenzen das SNU von einer distalen Ulnarisläsion<br />

ab. Eine zusätzliche Schwäche des M.<br />

abductor pollicis brevis und des M. flexor pollicis<br />

longus sowie eine Sensibilitätsstörung am<br />

medialen Unterarm sprechen <strong>für</strong> eine Läsion<br />

des unteren Plexus brachialis oder eine Läsion<br />

C8/Th1. Rein motorische Paresen der intrinsischen<br />

Handmuskulatur sollten an eine Mo-<br />

24<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

toneuronerkrankung denken lassen, wobei<br />

auch hier die Schwäche über einen isolierten<br />

Befall der ulnarisversorgten Handmuskeln<br />

hinausgeht.<br />

Die häufig als wichtig genannten klinischen<br />

Provokationstests wie das Hoffmann-Tinel-Zeichen,<br />

Flexion-Kompression-Test und die Palpation<br />

bezüglich Verdickung und Schmerz bringen<br />

laut einer neueren Untersuchung nur einen<br />

minimalen diagnostischen Zuwachs zu einer<br />

gründlichen <strong>neurologisch</strong>en Untersuchung 7 .<br />

Elektrophysiologische Diagnostik<br />

Die klinische Diagnose eines SNU sollte durch<br />

eine elektrophysiologische Untersuchung ergänzt<br />

werden, die nicht nur die Diagnose<br />

bestätigen, sondern vor allem Informationen<br />

über die Art der zugrunde liegenden Pathologie<br />

liefern und etwaige Differenzialdiagnosen<br />

abklären soll.<br />

Die wichtigsten Parameter in der motorischen<br />

Neurographie sind die fokale Verlangsamung<br />

der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) im Kubitaltunnel<br />

und die Änderung des Muskelsummenpotenzials<br />

nach Stimulation proximal<br />

des Kubitaltunnels im Vergleich zum Potenzial<br />

nach Stimulation distal des Kubitaltunnels.<br />

Wichtig ist es, die NLG bei gebeugtem<br />

Unterarm zu bestimmen, also auch die Distanzmessung<br />

um den Epicondylus in dieser<br />

Position durchzuführen.<br />

Tab. 1: Klinische Einteilung des Sulcus nervi ulnaris-Syndroms nach Dellon 13<br />

Sensibilitätsstörung Kraftminderung<br />

Dellon I Intermittierende Parästhesie Subjektiv<br />

Dellon II Permanente Hypästhesie; Messbare Kraftminderung<br />

2-Punkt-Diskrimination pathologisch<br />

Dellon III Permanente Hypästhesie; 2-Punkt- Lähmung und Atrophie<br />

Diskrimination fehlt<br />

Tab. 2: Elektrophysiologische Klassifikation des SNU 26<br />

Negativ Normal<br />

Mild Verlangsamte motorische NLG im Sulcusabschnitt mit normalem<br />

sensiblem Reizantwortpotenzial<br />

Mäßig Verlangsamte motorische NLG im Sulcusabschnitt mit<br />

amplitudenreduziertem sensiblem Reizantwortpotenzial<br />

Schwer Verlangsamte motorische NLG im Sulcusabschnitt mit fehlendem<br />

sensiblem Reizantwortpotenzial<br />

Extrem Fehlendes motorisches (Hypothenar) und sensibles Reizantwortpotenzial<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Ist eines der folgenden Kriterien erfüllt, lässt<br />

sich die Diagnose einer Ulnarisneuropathie<br />

am Ellbogen stellen 1, 2, 10 :<br />

Die motorische NLG im Ellbogenabschnitt<br />

ist um > 16 m/s langsamer als<br />

die motorische NLG im Unterarmsegment.<br />

Die absolute motorische NLG im Sulcus -<br />

abschnitt beträgt < als 43 m/s (16 m/s<br />

Unterschied müssen nicht vorliegen).<br />

Die Amplitude des motorischen<br />

Antwortpotenzials nach Stimulation pro -<br />

ximal im Vergleich zur Stimulation distal<br />

des Sulcus ist um > 20 % reduziert.<br />

Die Form des motorischen Antwort -<br />

potenzials nach Stimulation proximal im<br />

Vergleich zur Stimulation distal des<br />

Sulcus ändert seine Form (temporale<br />

Dispersion).<br />

Die sensible Neurographie ist zu unzu -<br />

verlässig, um sie in der Routinediagnos -<br />

tik zur Lokalisation der Nervenläsion<br />

einzusetzen. Eine normale Amplitude des<br />

distalen sensiblen Reizantwortpotenzials<br />

scheint aber als prognostischer Marker<br />

<strong>für</strong> das operative Outcome günstig zu<br />

sein, ein fehlendes sensibles Potenzial<br />

zeigt eine eher ungünstige Prognose<br />

an 23, 32 .<br />

Zusätzliche elektrophysiologische Methoden<br />

können in besonderen Fällen hilfreich sein:<br />

Bei zusätzlicher Ableitung vom M.<br />

interosseus I lässt sich die diagnostische<br />

Sensitivität geringfügig erhöhen11, 33<br />

Mittels Inching des N. ulnaris entlang<br />

des Kubitaltunnels lässt sich die<br />

diagnostische Sensitivität geringgradig<br />

erhöhen3, 34 , allerdings unterliegt diese<br />

Methode zahlreichen Fehlerquellen, so<br />

dass sie nur mit Vorsicht und äußerster<br />

Gründlichkeit eingesetzt werden sollte.<br />

Bei axonalen Läsionen kann die NLG im<br />

Unterarm deutlich verzögert sein.<br />

Bei schwerer axonaler Läsion kann von<br />

der intrinsischen Handmuskulatur unter<br />

Umständen kein Potenzial abgeleitet<br />

werden. Dann kann die Latenz und<br />

Amplitude nach Stimulation proximal des<br />

Sulcus und bei Ableitung vom M. flexor<br />

carpi ulnaris im Seitenvergleich hilfreich<br />

sein. Eine Latenzunterschied vom > 1 ms<br />

und eine Amplitudendifferenz von > 50 %<br />

werden als pathologisch angesehen9 .


Mittels Nadelelektromyographie<br />

lässt sich das Ausmaß einer<br />

axonalen Schädigung abschätzen.<br />

Eine elektrophysiologische Klassifikation<br />

des SNU wurde von Padua 26 vorgeschlagen<br />

(Tab. 2).<br />

Bildgebende Diagnostik<br />

Knöcherne Veränderungen lassen sich<br />

mit einer Röntgenaufnahme des Ellbogens<br />

gut darstellen. Die hoch auflösende<br />

Ultraschalluntersuchung wird<br />

in den letzten Jahren immer wieder<br />

zur Diagnosestellung von Nervenkompressionen,<br />

u. a. des SNU, eingesetzt.<br />

Die Bedeutung dieser Verfahren zur<br />

reinen Diagnosestellung wird unterschiedlich<br />

bewertet 6, 24, 27, 30 . Allerdings<br />

ist ihre Bedeutung zur Abklärung<br />

eventueller den Nerv komprimierender<br />

Strukturen, wie z. B. Ganglien oder<br />

eines M. epitrochleoanconeus, und als dynamische<br />

Untersuchung sicherlich sehr sinnvoll.<br />

Bezüglich der genauen Lokalisation und in<br />

Fällen, wo kein Leitungsblock zu finden ist,<br />

dürfte die Ultraschalluntersuchung der elektrophysiologischen<br />

Untersuchung überlegen<br />

sein. Somit ist sie als ergänzende Untersuchung<br />

bei einem SNU sicherlich zu empfehlen.<br />

MRT-Untersuchungen bei PatientInnen<br />

mit einem SNU können eine Signalsteigerung<br />

und eine Nervenauftreibung an Kompres -<br />

sionsstellen zeigen 36 .<br />

Ursachen<br />

Der Begriff SNU ist anatomisch inkorrekt, da<br />

er den Läsionsort ungenau beschreibt. Typischerweise<br />

kann der N. ulnaris im Ellbogen<br />

an drei Stellen beeinträchtigt sein, die alle<br />

zusammen den Kubitaltunnel ausmachen 2 :<br />

im Bereich des Sulcus retrocondylaris,<br />

unter der humeroulnaren Arkade, die in<br />

die Faszie des M. flexor carpi ulnaris<br />

übergeht (dem Kubitaltunnelretinaculum)<br />

und<br />

im Bereich der tiefen Flexorenfaszie.<br />

Weiter distal davon gelegene Kompressionen<br />

unter der Flexorenaponeurose sind laut MRT-<br />

Studien eher seltener 36 .<br />

Ursächlich <strong>für</strong> das idiopathische SNU werden<br />

Abb.: Typische Handhaltung einer chronischen<br />

Ulnariskompression – Krallenhand mit Atrophie der<br />

intrinsischen Handmuskulatur<br />

Druckerhöhungen an den oben genannten<br />

Stellen angenommen, die vor allem bei Ellbogenbeugung<br />

und repetitiven Beuge- und<br />

Streckbewegungen auftreten. Habituelles<br />

Aufstützen der Ellbogen erhöht den Druck.<br />

Ein flacher Sulcus retrocondylaris mit Subluxation<br />

des Nervs bei Beugung, ein atavistischer<br />

M. epitrochleoanconaeus oder ein hypertrophierter<br />

oder dislozierter medialer<br />

Trizepskopf als anatomische Varianten begünstigen<br />

die Entstehung eines SNU. Ein so<br />

genanntes sekundäres SNU findet sich nach<br />

Ellbogengelenksverletzungen mit Fehlstellungen,<br />

bei extranervalen Kompressionen durch<br />

z. B. Lipome, Ganglien oder Venenplexus.<br />

Neurinome und Neurofibrome im Bereich des<br />

Kubitaltunnels sind selten. Das SNU tritt auch<br />

als ein nicht seltener Lagerungsschaden bei<br />

Operationen und Bettlägrigkeit auf 2 .<br />

Prognose und Therapie<br />

Die Prognose des unbehandelten elektrophysiologisch<br />

„milden“ oder „mäßigen“ SNU ist<br />

nicht ungünstig; ca. 50 % dieser Fälle besserten<br />

sich nach Aufklärung über die zugrunde<br />

liegenden pathophysiologischen Mechanismen<br />

wie repetitive Beugung des Unterarms<br />

und Druck auf den Ellbogen, und die<br />

meisten PatientInnen berichteten, dass sie<br />

nach der Diagnosestellung ihre Armhaltung<br />

geändert hatten 36 . Eine solche Aufklärung<br />

und eine regelmäßige <strong>neurologisch</strong>e<br />

Kontrolle sollten somit in den<br />

leichteren Fällen die ersten Maßnahmen<br />

darstellen 2, 21, 25 .<br />

Die Datenlage bezüglich konservativer<br />

und operativer Therapie des<br />

SNU ist insgesamt als sehr schlecht<br />

anzusehen. Eine Cochrane-Analyse<br />

identifizierte 1461 Arbeiten zu diesem<br />

Thema, aber nur 3 Studien zur<br />

operativen Therapie erfüllten die<br />

Kriterien <strong>für</strong> eine Metaanalyse 12 .<br />

Als konservative Maßnahme führte<br />

die nächtliche Ruhigstellung in<br />

leichter Flexion und Pronation mit<br />

einer gepolsterten Schiene zu einer<br />

Besserung der Beschwerden 31 . Die<br />

lokale Infiltration mit Steroiden<br />

brachte in einer kleineren Studie an<br />

10 PatientInnen keine Besserung<br />

und wird allgemein als unwirksam<br />

angesehen 2, 19 .<br />

Drei Operationsmethoden stehen in der<br />

Behandlung des SNU zur Verfügung 2 :<br />

die In-situ-Dekompression<br />

die Dekompression mit subkutaner,<br />

submuskulärer oder intramuskulärer<br />

Transposition<br />

die Dekompression mit medialer<br />

Epikondylektomie<br />

Eine Metaanalyse 12 zeigte, dass die einfache<br />

Dekompression und die Dekompression mit<br />

Transposition gleichwertig sind, wobei sich<br />

bei letzterer Methode allerdings häufiger<br />

Komplikationen fanden 5 . Bei der Transposition<br />

gilt die subkutane Variante als die erfolgreichste<br />

17 , bei allen Transpositionen ist allerdings<br />

darauf zu achten, dass Vasa nervorum,<br />

die das transponierte Nervensegment versorgen,<br />

geschont und ebenso verlagert werden<br />

müssen 14 .<br />

Insgesamt ist eine klinische relevante Besserung<br />

in ca. 70 % der Fälle zu erzielen 12 .<br />

Nachdem die einfache Dekompression einen<br />

erfolgreichen, minimal invasiven 28 und kostengünstigen<br />

Eingriff 12 darstellt, ist diese Variante<br />

sicherlich als erste Wahl anzusehen.<br />

Zur Epikondylektomie liegen keine randomisierte<br />

Studien oder Metaanalysen vor, und<br />

sie ist sicherlich nur in Ausnahmefällen indiziert.<br />

u<br />

25


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

Das Ausmaß des präoperativen Nervenschadens<br />

ist ein wichtiger prognostischer Faktor;<br />

je ausgeprägter er ist, umso ungünstiger ist<br />

die Prognose 37 . Hohes Alter, lange bestehende<br />

Symptome 37 , ein fehlendes sensibles<br />

Reizantwortpotenzial in der Ulnarisneurographie<br />

32 und eine deutliche sonographische<br />

Nervenverdickung 8 sind prognostisch ungüns -<br />

tige Parameter während elektrophysiologische<br />

Zeichen von Demyelinisierung 8, 18 und<br />

eine normale Amplitude des Muskelsummenpotenzials<br />

des M. abductor digiti minimi 18<br />

prognostisch günstige Marker sind.<br />

Therapeutisches Vorgehen<br />

Bei milderen Formen des SNU mit intermittierenden<br />

Sensibilitätsstörungen ohne persis -<br />

tierende <strong>neurologisch</strong>e Ausfälle ist es sinnvoll,<br />

die PatientInnen über die zugrunde liegenden<br />

Schädigungsmechanismen aufzuklären und<br />

zuzuwarten 25 . Regelmäßige <strong>neurologisch</strong>e<br />

Literatur in alphabetischer Reihenfolge:<br />

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26<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

und elektrophysiologische Kontrollen sollten<br />

allerdings erfolgen 15 . In diesen Fällen und<br />

auch bei persistierenden Parästhesien kann<br />

auch eine nächtliche Ruhigstellung empfohlen<br />

werden. Sollten sich in diesen Fällen die<br />

Beschwerden nicht bessern bzw. verschlechtern,<br />

sollte eine operative Dekompression in<br />

Betracht gezogen werden.<br />

Wenn sich sensible oder motorische Defizite<br />

entwickeln, ist eine operative Therapie angezeigt.<br />

Die einfache Dekompression dürfte<br />

das Verfahren der ersten Wahl beim idiopathischen<br />

SNU darstellen 2 . In Fällen mit posttraumatischen<br />

oder degenerativen Deformitäten<br />

des Ellbogens, bei schmerzhafter Subluxation<br />

und bei ausgeprägten narbigen<br />

Veränderungen um den Nerv ist eine subkutane<br />

Transposition zu erwägen 2 . Sollten<br />

Symptome nach einer Dekompression persistieren<br />

bzw. nach einem symptomfreien Intervall<br />

wieder auftreten, kann eine Revision<br />

erfolgen, in der Regel eine submuskuläre<br />

13 Dellon AL, Review of treatment results for ulnar nerve<br />

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2010.<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

oder subkutane Transposition 35 . Das Out -<br />

come von Revisionsoperationen dürfte allerdings<br />

schlechter sein als von Erstoperationen<br />

35 .<br />

Zur Behandlung von exogenen Ulnariskompressionen<br />

wie z. B. Lagerungsschäden oder<br />

Bettlägerigkeit existieren keine einheitlichen<br />

Behandlungsrichtlinien. Spontane Besserungen<br />

sind unter Umständen erst nach 8 bis<br />

12 Monaten möglich, so dass generell ein<br />

eher zuwartendes Vorgehen empfohlen wird.<br />

Gelegentlich kann aber bei fehlender Besserung<br />

eine operative Behandlung notwendig<br />

werden 2 .<br />

Dieses therapeutische Vorgehen entspricht<br />

auch den gemeinsamen Leitlinien der Deutschen,<br />

<strong>Österreichische</strong>n und Schweizerischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> (http://www.dgn.<br />

org/images/stories/dgn/leitlinien/LL2008/ll08k<br />

ap_050.pdf) und den Leitlinien der Deutschen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Handchirurgie (http://<br />

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GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Das Thoracic Outlet-Syndrom<br />

Klassifikation<br />

In der neueren Literatur unterscheidet man<br />

in Abhängigkeit von der betroffenen anatomischen<br />

Struktur ein arterielles, ein venöses<br />

und ein neurogenes TOS 1, 2 . Das neurogene<br />

TOS wird weiter subkategorisiert in ein sicheres<br />

TOS (true neurogenic TOS) und ein<br />

fragliches TOS (disputed TOS), wobei Ersteres<br />

durch das Bestehen objektiver diagnostischer<br />

Zeichen definiert ist, während bei Letzterem<br />

keine objektiven Zeichen einer neurogenen<br />

Läsion vorliegen.<br />

Epidemiologie<br />

Der Altersgipfel liegt zwischen dem 20. und<br />

50. Lebensjahr. Selten sind Kinder und Jugendliche<br />

betroffen. Frauen entwickeln dreibis<br />

viermal häufiger als Männer ein neurogenes<br />

TOS, wohingegen ein vaskuläres TOS bei<br />

Männern und Frauen gleich häufig auftritt.<br />

Eine Ausnahme stellen TOS bei Athleten dar.<br />

Anatomie, Ätiologie<br />

und Pathophysiologie<br />

Das neurovaskuläre Bündel mit dem Plexus<br />

brachialis sowie der A. und der Vena subclavia<br />

verläuft auf seinem Weg vom Nacken zur<br />

Axilla und dem proximalen Arm durch drei<br />

Engstellen. Die wichtigste Engstelle ist die<br />

Skalenuslücke, die vorne vom M. scalenus<br />

anterior, hinten vom M. scalenus medius und<br />

unten von der ersten Rippe gebildet wird<br />

(Abb.). Knapp danach verläuft das neurovaskuläre<br />

Bündel durch das Spatium costoclaviculare.<br />

Dieses wird medial vom Ligamentum<br />

costoclaviculare begrenzt, das die Clavicula<br />

an der 1. Rippe fixiert. Lateral bildet das Li-<br />

28<br />

gamentum coracoclaviculare die Begrenzung.<br />

Kranial liegt die Clavicula und an ihrer Unterseite<br />

der M. subclavius, der in die kräftige<br />

Fascia clavipectoralis eingescheidet ist. Das<br />

Spatium costoclaviculare dient dem neuromuskulären<br />

Bund als Durchtrittspforte zum<br />

Arm. Bei Schultersenkung kann in diesem Bereich<br />

Druck auf das neurovaskuläre Bündel<br />

entstehen. Anschließend wird dieses vom M.<br />

pectoralis minor überbrückt, der am Processus<br />

coracoideus inseriert. Diese Region wird<br />

auch als Spatium subcoracoidale bezeichnet.<br />

Zahlreiche verschiedene anatomische Varianten<br />

können die anatomischen Gegebenheiten<br />

komplizieren 3 .<br />

Pathophysiologisch sind in der Regel extrinsische<br />

Faktoren <strong>für</strong> die Symptomatik verantwortlich<br />

4–8 : (z. B. abnorme fibröse Bänder,<br />

die sich von einer Halsrippe oder vom Processus<br />

transversus des 7. Halswirbels zur ersten<br />

Rippe oder zur Pleura spannen, oder ein<br />

akzessorischer M. scalenus minimus). Sie<br />

üben Druck auf den unteren Plexus brachialis<br />

aus. Intrinsische Faktoren, wie über viele<br />

Jahre ausgeübte Tätigkeiten mit starker Inanspruchnahme<br />

und eventuell häufiger Armelevation,<br />

z. B. Baseballspieler 9 , aber auch<br />

ein Beschleunigungstrauma sollen ursächlich<br />

eine Rolle spielen können 10, 11 . Gelegentlich<br />

kann ein Aneurysma der A. subclavia die Situation<br />

erschweren 12 . Ort der Kompression<br />

ist die Gegend des Scalenusdreiecks. Dies<br />

haben auch intraoperative neurographische<br />

Messungen bei TOS-PatientInnen nachgewiesen<br />

13 . Kompressionen weiter distal, also im<br />

costoclaviculären oder im subcoracoidalem<br />

Raum, werden bestritten. Nach Sanders und<br />

Rao 14 haben mehr als drei Viertel aller PatientInnen<br />

mit einem neurogenen TOS auch<br />

ein Pectoralis minor-Syndrom.<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

Symptome<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Das Thoracic Outlet-Syndrom (TOS) ist eines der am meisten kontrovers diskutierten Engpasssyndrome<br />

peripherer Nerven. Dies ergibt sich aus unterschiedlichen Definitionen, den pathoanatomischen Grundlagen,<br />

der häufig vagen klinischen Symptomatik, den diagnostischen und differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten<br />

und dem Fehlen prospektiver randomisierter therapeutischer Studien.<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Bruno Mamoli<br />

Generalsekretär der ÖGN,<br />

Wien<br />

Die Symptome sind von der Lokalisation und<br />

dem Ausmaß der neurovaskulären Kompression<br />

abhängig. Sie reichen von leichten<br />

Schmerzen und Sensibilitätsstörungen bis zu<br />

schwersten sensomotorischen Ausfällen. Sie<br />

können uni- oder bilateral sein mit Beteiligung<br />

sowohl neurogener als auch vaskulärer<br />

Komponenten.<br />

Neurogenes TOS<br />

(98 % der Patienten)<br />

Die Symptomatik erklärt sich aus den anatomischen<br />

Gegebenheiten. Infolge Kompression<br />

des unteren Primärstranges von kaudal<br />

werden zunächst die aus der Wurzel Th1 und<br />

später C8 stammenden Fasern irritiert bzw.<br />

lädiert.<br />

Initial klagen die PatientInnen über Schmerzen<br />

und/oder Parästhesien am medialen Unterarm<br />

und eventuell motorische Ausfälle seitens<br />

des lateralen Daumenballens (M. abductor<br />

pollicis brevis), später über Parästhesien<br />

und/oder Schmerzen bzw. eine Schwäche<br />

vorwiegend der C8-innervierten Muskeln wie<br />

der Mm. interossei und des Hypothenars 15 .<br />

Ein Horner-Syndrom weist auf eine proximale<br />

Läsion Th1 hin.<br />

Vaskuläres TOS<br />

(2 % der Patienten)<br />

Arterielles TOS: Im Rahmen des arteriellen<br />

TOS kommt es zu einer Kompression der A.


subclavia oder der A. axillaris. Wesentlichste<br />

Symptome sind vorzeitige Ermüdung des<br />

Armes bei Belastung, Armblässe, Bamstigkeitsgefühl,<br />

Parästhesien, Kältegefühl und nichtradikulären<br />

Schmerzen, wobei sich die Symptomatik<br />

bei Kälte verschlechtert. Diese Symptome<br />

können vor allem in Armelevationshaltung<br />

auftreten 9 . Der Blutdruck kann im Seitenvergleich<br />

erniedrigt sein und das Pulsvolumen,<br />

vor allem bei abduziertem und außenrotiertem<br />

Arm, abnehmen. Es finden sich arterielle Verschlüsse,<br />

Dissektionen und Aneurysmen. Selten<br />

kommt es infolge Embolisation zu einer<br />

Fingergangrän. Vielfach wird, vor allem wenn<br />

im Vordergrund des TOS die neurogene Symptomatik<br />

steht, die konkomitierende arterielle<br />

Kompression übersehen. In einer retrospektiven<br />

Studie an 41 PatientInnen mit objektiven<br />

Zeichen einer arteriellen Kompression fand sich<br />

bei 63 % eine Stenose der A. subclavia mit<br />

poststenotischer Dilatation oder ohne solche,<br />

bei 29 % ein Aneurysma der A. subclavia, bei<br />

2,4 % ein alter Verschluss der A. subclavia<br />

und bei 5 % eine Kompression der A. axillaris.<br />

Bei 66 % aller PatientInnen war die Differenzierung<br />

zwischen neurogenen und<br />

vaskulären Beschwerden problematisch<br />

16 . Die Diagnose kann mittels Angiographie<br />

der oberen Extremität bei abduziertem<br />

und außenrotiertem Arm belegt<br />

werden. Sekundäre Folgen können<br />

ein Morbus Raynaud oder eine Stenose<br />

der A. subclavia mit eventueller Thrombosierung<br />

sein. Weiters kann es zu<br />

aneurysmatischen Erweiterungen kommen.<br />

Venöses TOS: Das venöse TOS ist<br />

durch eine Schwellung und Zyanose<br />

des Armes und tiefe Schmerzen in Arm<br />

und Brust charakterisiert. Bei tiefen Venenthrombosen<br />

am Arm muss unterschieden<br />

werden zwischen primären<br />

Thrombosen in Folge starker Betätigung<br />

des Armes, die zunächst eine<br />

gute Prognose haben hinsichtlich eines<br />

postthrombotischen Syndroms, und sekundären<br />

Thrombosen ohne zunächst<br />

erkennbare Ursachen, deren Prognose<br />

von der Ätiologie abhängt. Sekundäre tiefe<br />

Armthrombosen kommen typischerweise bei<br />

älteren Personen mit schweren Komorbiditäten<br />

vor, meist als Folge eines Malignoms oder<br />

eines Zentralvenenkatheters 17 .<br />

Diagnose<br />

Während sich die Diagnose des vaskulären<br />

TOS relativ einfach gestaltet, ergeben sich<br />

bei der Diagnostik des neurogenen TOS und<br />

insbesondere beim disputed TOS häufig Probleme,<br />

da es keinen objektiven Test gibt, der<br />

die Diagnose definitiv sichert. Die Diagnose<br />

erfolgt ähnlich einem Indizienprozess aus der<br />

Konstellation von klinischen, elektrophysiologischen,<br />

pharmakologischen und radiologischen<br />

Daten. Wichtigste Elemente sind eine<br />

exakte Anamnese und die <strong>neurologisch</strong>e Untersuchung<br />

18 .<br />

Provokationstests:<br />

a) Adson-Manöver: Kopfwendung zur be -<br />

troffenen Seite mit Anheben des Kinns<br />

Abb.: Engpässe im Schulterbereich, in dem eine<br />

neurovaskuläre Kompression stattfinden kann<br />

nach Mumenthaler et al., 2003<br />

und tiefer Inspiration sowie zusätzlicher<br />

Zug des Armes nach kaudal kann zu<br />

einem Verschwinden des Radialispulses<br />

und zu Symptomen führen.<br />

b) Stenosegeräusch über der A. subclavia<br />

c) Verschwinden des Radialispulses bei<br />

Elevation des Armes, beim Zurück -<br />

nehmen der Schulter bzw. bei Kopf -<br />

wendung.<br />

d) Armelevation <strong>für</strong> 3 Minuten mit Auf -<br />

treten von Parästhesien<br />

e) Druck auf den Erb’schen Punkt mit<br />

Auftreten von lokalen Schmerzen.<br />

Allen Provokationstests kommt nur eine bescheidene<br />

diagnostische Rolle infolge sehr<br />

niedriger Spezifität zu. Insbesondere sei darauf<br />

hingewiesen, dass oben erwähnte Tests<br />

auch bei Gesunden positiv sein können.<br />

Auch der von „TOS-Spezialisten“ als wichtiger<br />

diagnostischer Test angesehene<br />

schmerzhafte Druck auf den Erb’schen<br />

Punkt ist äußerst unspezifisch und z. B. bei<br />

45 % der PatientInnen mit Karpaltunnel-<br />

syndrom positiv. Ein positiver<br />

Armelevationstest findet<br />

sich bei 58 % der PatientInnen<br />

mit Karpaltunnelsyndrom<br />

19 . Die hohe Sensiti -<br />

vität verschiedener Tests<br />

beim neurogenen TOS 1 wird<br />

somit durch die sehr niedrige<br />

Spezifität der Tests hinsichtlich<br />

ihrer Bedeutung relativiert.<br />

Die Provokationstests sind<br />

auch keine wertvollen Prädiktoren<br />

des Outcomes nach<br />

chirurgischen Eingriffen 20 .<br />

Diagnostische<br />

Infiltrationen<br />

Ein weiterer Mosaikstein zur<br />

Bestätigung eines TOS ist die<br />

lokale Infiltration des M. scalenus<br />

anterior und M. scalenus<br />

medius mit Lidocain. Als<br />

positiv gilt der Test bei Schwin -<br />

den der Schmerzen 21 . u<br />

29


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

Elektrophysiologische<br />

Untersuchungen<br />

Die elektrophysiologische Untersuchung versteht<br />

sich als Zusatzuntersuchung nach eingehender<br />

klinischer Beurteilung. Ziele sind:<br />

Objektivierung klinisch verdächtiger Ausfälle,<br />

Lokalisation der Läsion und Differenzialdiagnose<br />

gegenüber Radikulopathien, Mononeuropathien<br />

oder Polyneuropathien.<br />

Die Nadelelektromyographie unterstützt<br />

durch Untersuchung verschiedener Muskeln<br />

die klinische topographische Diagnostik<br />

sowie die Differenzialdiagnose gegenüber<br />

einer Mononeuropathie, einer Radikulopathie<br />

oder einer Polyneuropathie.<br />

Zur Differenzialdiagnose gegenüber einer Radikulopathie<br />

kann von der paraspinalen Muskulatur<br />

abgeleitet werden. Eigene Erfahrungen<br />

lassen jedoch die Wertigkeit der elektromyographischen<br />

Untersuchung aus der<br />

paraspinalen Muskulatur relativieren. Die motorische<br />

und/oder sensible Nervenleitgeschwindigkeit<br />

erlaubt eine Differenzierung<br />

gegenüber weiter distal gelegenen Drucksyndromen.<br />

(Karpaltunnelsyndrom, Sulcus-ulnaris-Syndrom,<br />

Loge-de-Guyon-Syndrom usw.).<br />

Fehldiagnosen mit einer Verzögerung der<br />

Diagnose eines TOS kommen häufig vor22 .<br />

Als typische elektroneurographische Befunde<br />

<strong>für</strong> ein neurogenes TOS gelten<br />

Verminderung der Amplitude des<br />

Summenpotentials nach Stimulation des<br />

N. medianus<br />

niedrige Amplitude des sensiblen<br />

Nervenaktionspotentials des N. ulnaris<br />

gering erniedrigte oder normale<br />

Amplitude des Summenpotentials nach<br />

Stimulation des N. ulnaris<br />

normale Amplitude des sensiblen Nerven -<br />

aktionspotenzials des N. medianus4, 23<br />

niedrige Amplitude des sensiblen<br />

Nervenaktionspotenzials des N. cutaneus<br />

antebrachii medialis24 . Die Beteiligung<br />

des N. cutaneus antebrachii medialis ist<br />

insofern verständlich, als er vorwiegend<br />

aus den Nervenfasern von Th1 gebildet<br />

wird.<br />

Die Verminderung der Amplitude des Summenpotentials<br />

nach Medianusstimulation er-<br />

30<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

gibt sich daraus, dass die motorischen Fasern<br />

des N. medianus vorwiegend im unteren<br />

Truncus verlaufen.<br />

Die klinische Wertigkeit der F-Wellen-Untersuchung<br />

ist bei TOS beschränkt.<br />

F-Wellen-Parameter werden erst bei beträchtlichem<br />

Ausfall motorischer Fasern pathologisch.<br />

Darüber hinaus erlaubt sie keineswegs,<br />

zwischen einem TOS und einer Radikulopathie<br />

zu differenzieren.<br />

Der H-Reflex ist bei der Untersuchung des<br />

TOS ohne Bedeutung. Auch die Anwendung<br />

der kortikalen oder spinalen Magnetstimulation<br />

erbrachte keine wesentlichen Fortschritte<br />

in der Diagnostik des TOS.<br />

Die Untersuchung der somatosensorisch evozierten<br />

Potenziale nach Stimulation des N.<br />

ulnaris erlaubt, die somatosensiblen Bahnen<br />

sowohl im Bereich des peripheren als auch<br />

im Bereich des zentralen Nervensystems zu<br />

beurteilen. Die Ableitung erfolgt vom<br />

Erb’schen Punkt, spinal in Höhe C7 und/oder<br />

C2 und von der kontralateralen kortikalen<br />

Handarea. Nach Ableitung im Bereich des<br />

Erb’schen Punktes wird ein triphasisches Potenzial<br />

nach ca. 9 msec registriert (N9), dessen<br />

Generator im Plexus angenommen wird.<br />

Die bei spinaler Ableitung registrierte Komponente<br />

N13 reflektiert wahrscheinlich die<br />

postsynaptische Aktivität im Rückenmark und<br />

N20 die neuronale Aktivität der hinteren Zentralwindung.<br />

Die Untersuchung des SEP beim<br />

TOS ist sensitiver als die Untersuchung der<br />

F-Welle oder die sensible Neurographie. Dessen<br />

ungeachtet liegen häufig normale Befunde<br />

vor, naturgemäß vor allem bei fehlenden<br />

<strong>neurologisch</strong>en Ausfällen im Rahmen eines<br />

rein vaskulären oder venösen TOS25.<br />

Die diagnostische Sensitivität der SEP ist von<br />

der Schwere der <strong>neurologisch</strong>en Ausfälle abhängig.<br />

Bei Untersuchung der SEP nach Stimulation<br />

des N. ulnaris finden sich bei PatientInnen<br />

mit ausschließlich subjektiven<br />

Symptomen eines TOS in 18 % und bei PatientInnen<br />

mit sensiblen Störungen und/oder<br />

einer Schwäche der kleinen Handmuskeln bei<br />

44 % pathologische Befunde. Bei zusätzlicher<br />

Berücksichtigung des Quotienten der Amplitude<br />

von N9 nach Ulnarisstimulation zur Amplitude<br />

N9 nach Medianusstimulation erhöht<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

sich die Rate pathologischer Befunde auf 25<br />

bzw. 67 %. Häufigster pathologischer Parameter<br />

ist eine niedrige P9-Amplitude und/<br />

oder ein verlängertes Intervall N9–N13 25, 26 .<br />

Als weiterer Hinweis gilt eine Verminderung<br />

der Amplitude der motorischen Antwort nach<br />

Magnetstimulation unter Elevation des Armes<br />

über den Kopf, doch liegen nur Einzelmitteilungen<br />

vor 27 . Insgesamt zeigt sich, dass bei<br />

Fehlen <strong>neurologisch</strong>er Symptome elektrodiagnostische<br />

Tests zumeist normal sind 28 .<br />

Radiologische Befunde<br />

und Imaging-Verfahren<br />

Radiologisch sind eine Halsrippe oder ein verlängerter<br />

Processus transversus des 7. Halswirbels<br />

sichtbar. Halsrippen kommen bei<br />

0,27 % der gesunden Bevölkerung vor 29 . Nur<br />

10 % von ihnen sind symptomatisch. Das<br />

Fehlen einer radiologisch fassbaren Struktur<br />

schließt ein TOS allerdings nicht aus 30 . Bei<br />

Verdacht auf TOS ist deshalb eine AP-Aufnahme<br />

der oberen Thoraxapertur verpflichtend.<br />

Ein arterielles TOS (Kompression der A. subclavia)<br />

kann durch eine konventionelle oder MR-Angiographie<br />

der oberen Extremität bei abduziertem,<br />

außenrotiertem Arm nachgewiesen<br />

werden 9, 31, 32 . Beim venösen TOS wird die<br />

Diagnose durch Duplexsonographie bestätigt.<br />

Bei nichtkonklusivem Ergebnis ist eine Computertomographie<br />

oder ein MRI zu empfehlen.<br />

Schließlich kann auch eine Venographie<br />

bei abduziertem Arm durchgeführt werden,<br />

die meist eine Thrombose der V. subclavia in<br />

Höhe der 1. Rippe zeigt. Auch der Plexus<br />

selbst kann mittels MRI dargestellt werden<br />

und somit bei der Diagnose eines neurogenen<br />

TOS bzw. dessen Differenzialdiagnose<br />

hilfreich sein 33, 34 . Ein normaler MRI schließt<br />

jedoch ein TOS nicht aus.<br />

Konservative Therapie<br />

Neurogenes TOS<br />

Durch konservative Therapie kommt es bei<br />

ca. 50–90 % der PatientInnen zu einer Besserung<br />

der Symptomatik 35–39 . Die konservative<br />

Therapie des TOS besteht in der Kontrolle<br />

des Schmerzes sowie physikalischen Maßnahmen.<br />

Vordringliches Ziel ist die Schmerz- u


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

behandlung. Zur Schmerztherapie werden<br />

nichtsteroidale Antirheumatika, Muskelrelaxantien,<br />

Massage, Pulsgalvanisation, lokale<br />

Infiltration mit Anästhestika oder Steroiden<br />

sowie Relaxationsübungen und TENS empfohlen<br />

40, 41 .<br />

Als weitere wichtige Maßnahme, wenn vorhanden,<br />

wird eine Beseitigung von Ödemen<br />

angesehen. Ödeme können im Bereich des<br />

thoracic outlet liegen oder den gesamten<br />

Arm erfassen. Bei Vorliegen eines Ödems<br />

werden antiödematöse Maßnahmen zwecks<br />

Verringerung des lokalen Drucks wie Ödemhandschuhe,<br />

Kompressionsverbände, retrograde<br />

Massage, Armhochlagerung, Übungen<br />

zur Verbesserung des Gleitens der Muskeln,<br />

der Sehnen und der Nerven im Schulterbereich<br />

und Ultraschall empfohlen. Wichtig ist<br />

die Edukation der PatientInnen, um Compliance<br />

zu erreichen.<br />

Physiotherapie: Da Haltungsstörungen die<br />

TOS-Symptome aggravieren können 41 , wird<br />

eine Verbesserung der Körperhaltung angestrebt.<br />

Als optimal gilt eine aufrechte Oberkörperhaltung<br />

mit zurückgezogenen Schultern<br />

und gleichzeitiger Entspannung; dabei<br />

nimmt der Kopf automatisch eine gerade<br />

Position ein. Diese Haltung sollte im Sitzen,<br />

Stehen oder Gehen beibehalten werden. Im<br />

Schlaf sollten die PatientInnen auf der gesunden<br />

Seite liegen, mit einem Kissen unter<br />

dem Kopf und einem zweiten Kissen vor<br />

dem Körper, auf das der betroffene Arm gelegt<br />

werden soll. Eine Elevation der Arme,<br />

Schlaf in Bauchlage mit Seitwärtsdrehung<br />

des Kopfes und Seitwärtslagerung auf der<br />

betroffenen Seite sollte vermieden werden.<br />

Um eine nächtliche Abduktion des Armes zu<br />

vermeiden, kann der Pyjama-Arm auf der<br />

betroffenen Seite am Pyjama-Bein angenäht<br />

werden.<br />

Beim Autofahren sollte das Lenkrad im unteren<br />

Bereich entspannt gehalten werden.<br />

Eventuell kann eine Ellenbogenstütze nützlich<br />

sein. Der Arbeitsplatz sollte ebenfalls aus<br />

ergonomischer Sicht begutachtet werden.<br />

Physiotherapeutische Maßnahmen zielen auf<br />

die Verbesserung der Körperhaltung und auf<br />

32<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Druckentlastung hin. Dies kann durch unterschiedliche<br />

Strategien versucht werden:<br />

Erhöhung des Bewegungsumfanges im<br />

Sternoklavikulargelenk und Akro -<br />

mioklavikulargelenk.<br />

Erhöhung der Mobilität der ersten und<br />

der zweiten Rippe.<br />

Beseitigung von Verspannungen der<br />

Schultergürtelmuskulatur mit<br />

Wiedererlangung der Muskelelastizität.<br />

Neben der Korrektur der Körperhaltung kann<br />

dies durch manuelle Therapie mit Förderung<br />

der Gelenksmobilität, durch Dehnungsübungen,<br />

durch Massage und durch aktive Mobilisationsübungen<br />

versucht werden. Die<br />

Mm. scaleni und die Mm. pectorales sollen<br />

gezielt gedehnt werden. Weiters ist die Gleitfähigkeit<br />

des Nervenbündels im umgebenden<br />

Gewebe zu fördern. Dies muss jedoch durch<br />

langsame kontrollierte Übungen erfolgen,<br />

um neurale Dehnungsschäden zu vermeiden<br />

42, 43 .<br />

Die Übungen haben weiters zum Ziel, die<br />

Körperhaltung durch Wiederherstellung des<br />

Gleichgewichtes zwischen Nackenmuskulatur<br />

und Schultergürtelmuskulatur, durch Entspannung<br />

der Schultergürtelmuskulatur und<br />

des oberen Trapeziusanteiles, durch Dehnung<br />

der Mm. scaleni und der Mm. pectorales und<br />

durch Verstärkung der Nackenextensoren,<br />

der Adduktoren der Scapula und der Retraktoren<br />

der Schultern zu verbessern 37, 44–47 .<br />

Zu betonen ist, dass die derzeitige konservative<br />

Therapie sich vorwiegend auf theoretische<br />

und pathophysiologisch orientierte<br />

Überlegungen stützt. Es liegen keine randomisierten<br />

kontrollierten Studien vor. Auch liegen<br />

keine evidenzbasierten Daten vor, die<br />

Dauer, Frequenz und Intensität der verschiedenen<br />

physikalischen Methoden definieren.<br />

Diese Daten müssten darüber hinaus <strong>für</strong> spezifische<br />

PatientInnenpopulationen (unter Berücksichtigung<br />

der TOS-Klassifikation) erarbeitet<br />

werden.<br />

Auch gibt es keine vergleichende Studien<br />

zwischen dem natürlichen Verlauf und therapeutischen<br />

Interventionen 48 .<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Infiltrationen: Eine weitere therapeutische<br />

Option ist die Infiltration des M. scalenus<br />

anterior und des M. scalenus medius mit<br />

Botulinumtoxin zur Verminderung der<br />

Schmerzen. Christo et al. 49 infiltrierten den<br />

M. scalenus anterior mit Botulinumtoxin A<br />

(20 U) unter CT-Kontrolle. Nach 3 Monaten<br />

kam es zu einer Reduktion der Schmerzen<br />

(15 % Reduktion in der visuellen Analogskala)<br />

und einer Reduktion der Sensibilitätsstörung.<br />

Positive Ergebnisse unter sonographischer<br />

Kontrolle der Applikation von Botulinumtoxin<br />

fanden auch Torriani et al. 50 .<br />

Diese Ergebnisse wurden durch eine rezente<br />

randomisierte Doppelblindstudie an 38 PatientInnen<br />

mit TOS relativiert, in der keine<br />

Wirksamkeit von Botulinumtoxin Typ A zur<br />

Behebung von Schmerzen nachgewiesen<br />

werden konnte 51 .<br />

Neben der Botulinum-Infiltration wurden Infiltrationen<br />

der M. scaleni mittels Bupivacain<br />

beschrieben. Bereits nach der ersten Infiltration<br />

wurde bei 78 % der PatientInnen<br />

eine Besserung der Schmerzen erreicht.<br />

Nach einem Jahr waren 91 % der PatientInnen<br />

wieder arbeitsfähig. Die AutorInnen<br />

schließen daraus, dass Scalenusinfiltrationen<br />

vor allem zu Therapiebeginn zu erwägen<br />

sind 52 .<br />

Als Indikatoren einer schlechten Prognose<br />

unter konservativer Therapie gelten Übergewicht<br />

und Double-Crash-Syndrome.<br />

Venöses TOS<br />

Bei venösem TOS durch eine Thrombose<br />

(Paget-von-Schroetter-Syndrom) soll zur Vermeidung<br />

einer Progression des Thrombus<br />

rasch heparinisiert werden. Über die optimale<br />

Dauer der Heparinisierung liegen keine verlässlichen<br />

Daten vor. Randomisierte Studien<br />

zur Wertigkeit der Thrombolyse bei venösem<br />

TOS liegen ebenfalls nicht vor, dennoch wird<br />

sie vielfach als Akutmaßnahme dringend<br />

empfohlen. Vielfach wird auch eine anschließende<br />

Dekompression empfohlen, um das<br />

Risiko einer neuerlichen Thrombose nach Absetzen<br />

der Antikoagulantien zu vermindern 53 .<br />

Anderseits fanden Skalicka et al. 54 , dass die<br />

therapeutische Dekompression zwar die ve-


nöse Kompression reduziert, aber hinsichtlich<br />

der persistierenden Symptome nach 5 bzw.<br />

12 Monaten kein Unterschied gegenüber der<br />

endovaskulären oder konservativen Therapie<br />

besteht.<br />

Arterielles TOS<br />

Bei arteriellem Verschluss wird eine zügige<br />

bzw. sofortige – notfallmäßige – Operation<br />

empfohlen 45 .<br />

Chirurgische Therapie<br />

Obwohl unter einer konservativen Therapie<br />

zahlreichen PatientInnen geholfen werden<br />

kann, verbleibt eine selektierte PatientInnengruppe,<br />

die einer chirurgischen Therapie bedarf.<br />

Dies gilt insbesondere <strong>für</strong> vaskuläre TOS-<br />

Formen, um Komplikationen der arteriellen<br />

oder venösen Kompression zu vermeiden, <strong>für</strong><br />

PatientInnen mit neurogenem TOS und Bestehen<br />

von Lähmungen und Atrophien bzw.<br />

mit einer progredienten Symptomatik sowie<br />

PatientInnen mit relevanten behindernden<br />

Schmerzen und Versagen der konservativen<br />

Therapie.<br />

Ziel der Operation ist die Dekompression des<br />

Plexus brachialis, in aller Regel seines Truncus<br />

inferior. Ursache der Kompression sind entweder<br />

fibromuskuläre Besonderheiten in der<br />

Umgebung der Skalenuslücke bzw. proximal<br />

davon oder – seltener – eine Halsrippe. Um<br />

dieses Ziel zu erreichen, sind drei verschiedene<br />

chirurgische Zugänge beschrieben:<br />

1. Transaxilläre Entfernung der 1. Rippe.<br />

Diese Operation geht von der Prämisse<br />

aus, dass die 1. Rippe der gemeinsame<br />

Nenner aller TOS ist 55 . Diese Prämisse<br />

wurde aber später vom Erstbeschreiber<br />

Roos in Frage gestellt, denn bei 98 %<br />

seiner operierten PatientInnen waren<br />

fibromuskuläre Anomalien und nicht die<br />

1. Rippe Ursache des TOS 56 . Unter<br />

131 operierten PatientInnen fanden<br />

Karamustafaoglu et al. 57 bei 21 % eine<br />

zervikale Rippe und bei 62 % fibro -<br />

muskuläre Bänder. Allerdings inserieren<br />

die meisten dieser Bänder (z. B. Sibson-<br />

Faszie – Membrana subpleuralis) oder<br />

Muskeln (M. scalenus minimus) an der<br />

1. Rippe und werden in der Hand<br />

des/der Erfahrenen vor Entfernung der<br />

1. Rippe von dieser abgelöst, sodass der<br />

Plexus brachialis entlastet wird. Die<br />

zusätzliche Ent fer nung der 1. Rippe<br />

ergibt, verglichen mit der Beseitigung<br />

der Kompression durch fibromuskuläre<br />

Besonderheiten, keinen Vorteil 58 .<br />

Die transaxilläre Entfernung der<br />

1. Rippe wird von ThoraxchirurgInnen<br />

favorisiert.<br />

2. Supraklavikuläre Dekompression des<br />

Plexus brachialis. Dieser Zugang zielt<br />

direkt auf die Durchtrennung oder<br />

Resektion der fibromuskulären Struk -<br />

turen, ohne Entfernung der 1. Rippe. Es<br />

ist der kürzeste und direkteste Weg zum<br />

Plexus brachialis und wird deshalb von<br />

Nervenchirurg Innen bevorzugt. Sanders<br />

et al. haben deshalb den transaxillären<br />

Zugang zugunsten des supraklavikulären<br />

verlassen 59 . Auch eine Halsrippe kann<br />

auf diesem Wege sicher entfernt werden.<br />

Der Eingriff ist mikrochirurgisch.<br />

3. Dorsaler, paraskapularer Zugang. Bei<br />

diesem – aufwändigeren – Zugang<br />

müssen zunächst Muskeln zwischen<br />

Schulterblatt und Wirbelsäule<br />

durchtrennt und die 1., manchmal auch<br />

die 2. Rippe entfernt werden, um den<br />

Plexus darzustellen. Dann ist die<br />

Übersicht allerdings exzellent. Dieser<br />

Zugang ist Rezidiveingriffen vorbehalten,<br />

wenn man stärkere Narben um den<br />

Plexus brachialis be<strong>für</strong>chtet.<br />

4. Eingriffe mit dem Ziel der Erweiterung<br />

der Passage des Plexus zwischen<br />

Schlüsselbein oder M. pectoralis minor<br />

und Rippen sind nicht indiziert, da die<br />

Kompression nie dort, sondern sehr<br />

proximal liegt. Dies wurde auch<br />

intraoperativ mittels Neurographie am<br />

Plexus brachialis nachgewiesen 13 .<br />

5. Die Skalenotomie, also die alleinige<br />

Durchtrennung des M. scalenus anterior,<br />

ist obsolet, da sie die Kompression nicht<br />

beseitigt – es sei denn, es handelt sich<br />

um den seltenen Fall eines massiv<br />

hypertrophierten M. scalenus anterior<br />

oder medius.<br />

Die Langzeitergebnisse nach supraklavikulärem<br />

und transaxillärem Zugang sind wohl<br />

ähnlich. Man kann mit einem Verschwinden<br />

der Symptome bei 70–80 % der PatientInnen<br />

rechnen, natürlich auch abhängig von der<br />

Dauer und Schwere der muskulären Aus -<br />

fälle 60 . Allerdings waren in der Studie von<br />

Lepäntolo et al. 61 unter 103 PatientInnen<br />

einen Monat postoperativ nur 77 % und etwa<br />

6 Jahre später nur 37 % beschwerdefrei. Von<br />

33 PatientInnen mit einem mittleren Nachbeobachtungszeitraum<br />

von 8 Jahren beurteilten<br />

20 (61 %) die Operation als erfolgreich,<br />

13 (29 %) als erfolglos. Alle hatten subjektive<br />

Symptome eines TOS gehabt, aber nur etwa<br />

die Hälfte (56 %) motorische Ausfälle 62 .<br />

Cheng und Stone 63 fanden bei 39 Reoperationen,<br />

dass bei fast der Hälfte der PatientInnen<br />

(41 %) die Kompression bei der ersten<br />

Operation nicht beseitigt worden war.<br />

Nach Mackinnon 64 ist die transaxilläre Entfernung<br />

der 1. Rippe der häufigste Anlass<br />

unter den chirurgischen Eingriffen <strong>für</strong> einen<br />

Haftpflichtprozess vor US-amerikanischen<br />

Gerichten. Aber auch der supraklavikuläre<br />

Zugang ist nicht frei von Komplikationsmöglichkeiten.<br />

Einen Vergleich beider Methoden,<br />

der strengen wissenschaftlichen Kriterien<br />

standhält, gibt es nicht. Oft ist schon die<br />

Auswahl der PatientInnen <strong>für</strong> die Operation<br />

unklar oder zumindest inhomogen, die postoperativen<br />

Beobachtungszeiträume variieren<br />

erheblich, und NachuntersucherIn und OperateurIn<br />

sind identisch. Interessanterweise<br />

beurteilt der am gleichen Ort (Denver, Colorado)<br />

anwesende Neurologe die Ergebnisse<br />

der transaxilläre Entfernung der 1. Rippe wesentlich<br />

kritischer als der Chirurg 65 .<br />

In einer Cochrane-Analyse fand sich eine sehr<br />

geringe Evidenz <strong>für</strong> eine Überlegenheit der<br />

transaxillären Resektion der 1. Rippe gegenüber<br />

der supraklavikulären Neuroplastie, aber<br />

auf Grund fehlender randomisierter Studien<br />

keine randomisierte Evidenz, dass eine Therapie<br />

besser ist als der natürliche Verlauf des<br />

TOS 48 . n<br />

33


1 Jamieson W, Chinnick B, Thoracic Outlet Synrome: Fact<br />

or Fancy? A review of 409 consecutive patients who<br />

underwent operation. Can. J. Surg. 1996; 39:321–326<br />

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alone or accompanied by neurogenic thoracic outlet<br />

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23 Gillatt RW, Willison RG, Dietz V, Williams IR, Peripheral<br />

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band. Ann Neurol 1978; 4:124–129.<br />

34<br />

GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

24 Kothari MJ, Macintosh K, Heistand M, Logigian EL,<br />

Medical antebrachial cutaneous sensory studies in the<br />

evaluation of neurogenic thoracic outlet syndrome.<br />

Muscle Nerve 1998; 21:647–649<br />

25 Cakmur R, Idiman F, Akalin E, Genc A, Yener G, Öztürk<br />

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28 Rousseff R, Tzvetanov P, Valkov I, Utility (or futility?) of<br />

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29 Fisov 1974, Massenuntersuchung in der Sowjetunion.<br />

30 Cruz-Martinez A, Arpa J, Electrophysiological assessment<br />

in neurogenic thoracic outlet syndrome.<br />

Electromyogr Clin Neurophysiol 2001; 41:253–256<br />

31 Charon JP, Milne W, Sheppard DG, Houston JG,<br />

Evaluation of MR angiographic technique in the<br />

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2004; 59:588–595<br />

32 Razek AA, Saad E, Soliman N, Elatta HA, Assessment of<br />

vascular disorders of the upper extremity with contrastenhanced<br />

magnetic resonance angiography: pictorial<br />

review. Jpn J Radiol 2010; 28:87–94<br />

33 Van Es HW, Bollen TL, van Heesewijk HP, MRI of the<br />

brachial plexus: a pictorial review. Eur J Radiol 2010;<br />

74:391-402<br />

34 Aralasmak A, Karaali K, Cevikol C, Uysal H, Senol U,<br />

MR imaging findings in brachial plexopathy with<br />

thoracic outlet syndrome. J Neuroradiol. 2010 Mar;<br />

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35 Aligne C, Barral X, Rehabilitation of patients with thoracic<br />

outlet syndrome. Ann Vasc Surg 1992; 6:381–389<br />

36 Kenny RA, Traynor G, Withington D, Keegan DJ,<br />

Thoracic outlet syndrome: a useful exercise treatment<br />

option. Am J Surg 1993; 165:282–284<br />

37 Novak CB, Collins D, Mackinnon SE, Outcome<br />

following conservative management of thoracic outlet<br />

syndrome. J Hand Surg (Am) 1995; 20A:542-548<br />

38 Wilbourn AJ, The thoracic outlet syndrome is over -<br />

diagnosed. Arch Neurol 1990; 47:328-330<br />

39 Hooper TL, Denton J, McGalliard MK, Brismée J-M,<br />

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clinical condition. Part 2: non-surgical and surgical<br />

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40 Kaada B, Vasodilation induced by transcutaneous nerve<br />

stimulation in peripheral ischemia. Eur. Heart J. 1982;<br />

3:303<br />

41 Crosby C, Wehbé A, Conservative treatment for<br />

thoracic outlet syndrome. Hand Clin 2004; 20:43–49<br />

42 Totten PA, Hunter JM, Therapeutic techniques to<br />

enhance nerve gliding in thoracic outlet syndrome and<br />

carpal tunnel syndrome. Hand Clin 1991; 7:505–520<br />

43 Walsh MT, Rationale and indications for the use of<br />

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46 Liebenson CS, Thoracic outlet syndrome: diagnosis and<br />

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1988; 11:493–499<br />

47 Lindgren KA, Conservative treatment of thoracic outlet<br />

syndrome: a 2-year follow-up. Arch Phys Med Rehabil<br />

1997; 78:373–378<br />

48 Povlsen B, Belzberg A, Hansson T, Dorsi M, Treatment<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

for thoracic outlet syndrome. Cochrane Database Syst<br />

Rev. 2010<br />

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CT-guided chemodenervation of the anterior scalene<br />

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50 Torriani M, Gupta R, Donahue DM, Botulinum toxin<br />

injection in neurogenic thoracic outlet syndrome:<br />

results and experience using a ultrasound-guided<br />

approach. Skeletal Radiol 2010; 39:973–80<br />

51 Finlayson HC, O’Connor RJ, Brasher PM, Travlos A,<br />

Botulinum toxin injection for management of thoracic<br />

outlet syndrom: a double-blind, randomized, controlled<br />

trial. Pain 2011; 152:2023–8<br />

52 Lee GW, Kwon YH, Jeong JH, Kim JW, The Efficacy of<br />

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Neurosurg Soc. 2011; 50:36–39<br />

53 Divi V, Proctor M, Axelrod D, Greenfield L, Thoracic<br />

Outlet Decompression for Subclavian Vein Thrombosis.<br />

Arch Surg 2005; 140:54–57<br />

54 Skalicka L, Lubanda J.C, Jirat S, Varejka P, Beran S,<br />

Dostal O, Prochazka P, Mrazek V, Linhart A, Endovascular<br />

treatment combined with stratified surgery is effective<br />

in the management of venous thoracic outlet syndrome<br />

complications: a long term ultrasound follow-up<br />

study in patients with thrombotic events due to venous<br />

thoracic outlet syndrome. Heart Vessels, 2011; 26.<br />

55 Roos DB, Transaxillary approach for first rib resection to<br />

releive thoracic outlet syndrome. Ann Surg 1966;<br />

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56 Roos DB, Congenital anomalies associated with<br />

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Treatment. Am J Surg 1976; 132:771–778<br />

57 Karamustafaoglu YA, Yoruk Y, Tarladacalisir T, Kuzucuoglu<br />

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58 Cheng SWK, Reilly LM, Nelken NA, Ellis WV, Stoney R.J.<br />

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syndrome. Br J Surg 1989; 76:1255–1256<br />

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Ergebnisse und Komplikationen bei 38 Patienten. Akt<br />

Neurol 1996; 23:239–244<br />

63 Cheng SWK, Stoney RJ, Supraclavicular reoperation for<br />

neurogenic thoracic outlet syndrome. J Vasc Surg 1994;<br />

19:565–572<br />

64 Mackinnon SE, Diskussion zu: Urschel HC Neurovas cular<br />

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management over 50 years. Adv Surg 1999;<br />

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65 Cherington M, Happer I, Machanic B, Parry L, Surgery<br />

for thoracic outlet syndrome may be hazardous to your<br />

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Thoracic Outlet Syndrome Surgery: Long-Term<br />

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- Sanders RJ, Hammond SL, Rao NM, Diagnosis of<br />

thoracic outlet syndrome. J Vasc Surg. 2007; 46:601–4


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

Kompressionsbedingte<br />

Beinplexusläsionen<br />

SCHWERPUNKT<br />

Beinplexusparesen sind zwar seltener als<br />

Armplexusparesen, die Mechanismen der<br />

Schädigungen sind aber weitgehend ident.<br />

Echte Beinplexusparesen sind selten und werden<br />

häufig als Femoralis- oder Ischiadicuslähmung<br />

verkannt. Eine umfangreiche Funktionsprüfung<br />

der Becken- und Glutealmuskulatur<br />

sowie der proximalen Muskulatur, oft<br />

unter Zuhilfenahme des EMG, kann notwendig<br />

sein, um Plexusparesen gegen die häufigeren<br />

Paresen des Beckengürtels und der<br />

Beinmuskulatur abzugrenzen.<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Proximale Drucksyndrome<br />

an den unteren Extremitäten<br />

Tumoren: Initial bestehen oft starke Schmerzen,<br />

gefolgt von sensorischen und motorischen<br />

Ausfällen. Relativ häufig werden anfangs<br />

Fehldiagnosen gestellt, insbesondere<br />

Ischialgie oder aber es wird eine Wurzelschädigung<br />

als Ursache vermutet und durch Veränderungen<br />

an der Wirbelsäule auch fälschlich<br />

„bestätigt“, wodurch die Diagnose -<br />

stellung verzögert werden kann. Als<br />

verursachende Tumoren kommen am häufigsten<br />

Prostata-, Uterus- sowie Ovarialkarzinome<br />

und kolorektale Tumoren als auch Metastasen<br />

häufiger Tumoren vor. Selten können<br />

auch Sarkome, Dermoidzysten und Leiomyome<br />

den Plexus komprimieren.<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Bei den Kompressionssyndromen an den proximalen unteren Extremitäten erscheint es vorerst sinnvoll, zwischen<br />

Läsionen des Plexus lumbosacralis und kompressionsbedingten Läsionen einzelner Nerven im Beckenbereich und<br />

an den unteren Extremitäten im eigentlichen Sinne zu unterscheiden. Weiters muss man zwischen den vielen<br />

Möglichkeiten einer Schädigung wie beispielsweise durch operative Eingriffe, Strahlenspätsyndrome,<br />

entzündliche Prozesse wie die Beinplexusneuritis, diabetische Neuropathien, Unfälle, Injektionsschäden oder<br />

ischämische Läsionen bei Erkrankungen der Beckenarterien von den eigentlichen Kompressionssyndromen im<br />

engeren Sinn unterscheiden, wobei in der Folge ausschließlich auf Letztere eingegangen wird. Tabelle 1 gibt<br />

einen kurzen Überblick über die betroffenen Strukturen und die häufigsten Kompressionsursachen.<br />

36<br />

Tab. 1: Kompressionssyndrome an den proximalen unteren Extremitäten<br />

Nerv Betroffene Struktur Ätiologie Kompression<br />

Plexus lumbosacralis L1-S3 versorgte Muskulatur Tumoren, Schwangerschaft<br />

N. iliohypogastricus Relevant ist sensible Störung Äußerer Druck, Tumoren<br />

N. genitofemoralis Relevant ist sensible Störung Äußerer Druck, Tumoren<br />

N. ilioinguinalis Relevant ist sensible Störung Ilioinguinalissyndrom<br />

N. obturatorius Adduktorengruppe Tumoren, Hernie<br />

N. femoralis Mm. iliacus, pectineus, sartorius, Blutungen, Abszesse, Tumoren,<br />

quadriceps Entbindung<br />

N. cutaneus fem. lat. Rein sensibel Meralgia paraesthetica<br />

N. glutaeus sup. + inf. Mm. glutaeus med, min, fasciae Selten bei Spondylolisthese,<br />

latae + glutaeus max. Tumoren<br />

N. ischiadicus Ischiokrurale Muskulatur Hämatome, Tumoren,<br />

Tibialis- und peronaeusversorgte Piriformissyndrom<br />

Muskulatur<br />

OA Dr. Marcus Erdler<br />

2. Neurologische Abteilung,<br />

Neurologisches Zentrum<br />

Rosenhügel, Wien<br />

Aneurysmen: Am Beginn steht meist ein<br />

akut einsetzender Schmerz im Bein, ebenfalls<br />

oft mit einer Ischialgie verwechselt, im Vordergrund.<br />

Schmerzen im Abdomen können<br />

zur Diagnose leiten. Verursacher sind große<br />

Aneurysmen der A. iliaca communis oder externa,<br />

der A. hypogastrica oder aber der<br />

Aorta abdominalis.<br />

Blutungen: Insbesondere bei angeborenen<br />

Gerinnungsstörungen wie Hämophilie oder<br />

bei oraler Antikoagulation kann es, oft schon<br />

durch leichte Traumen ausgelöst, zu einer<br />

Einblutung unter die Psoasfaszie mit möglicher<br />

Plexusläsion kommen. Retroperitoneale<br />

Hämatome werden auch in Folge von den<br />

häufig durchgeführten Hüftgelenksoperationen<br />

beobachtet, die vor allem den Plexus sacralis<br />

betreffen. Schmerzen mit Ausstrahlung<br />

in die Leistenregion und Adduktorenregion<br />

mit Paresen vor allem des Quadrizeps, aber<br />

auch der Adduktoren und Hüftbeuger sind<br />

gemeinsam mit Störungen der Sensibilität im<br />

Versorgungsgebiet des N. femoralis wie auch<br />

des N. cutaneus femoris lateralis als klinische<br />

Symptome zu beobachten. Gelegentlich kann


man eine Dynamik der Symptome durch das<br />

schwerkraftbedingte Absinken des Hämatoms<br />

feststellen. Therapeutisch muss die betroffene<br />

Extremität ruhiggestellt werden, die<br />

Prognose ist meist günstig.<br />

Schwangerschaft: Initialsymptom einer<br />

meist gegen Ende der Schwangerschaft auftretenden<br />

Plexusparese ist ein in das Bein ziehender,<br />

nicht einem einzelnen Nerven zuordenbarer<br />

Schmerz, gefolgt von sensomotorischen<br />

Ausfallerscheinungen. Meist ist der<br />

sakrale Anteil des Plexus durch eine Kompression<br />

durch den kindlichen Kopf betroffen.<br />

Die Prognose ist auch hier in der Regel<br />

gut.<br />

Kompression des Nervus<br />

femoralis (L1–L4)<br />

Die klinische Symptomatik von Läsionen des<br />

N. femoralis ergibt sich entsprechend der innervierten<br />

Muskulatur. Der M. iliopsoas ist<br />

der kräftigste Beuger im Hüftgelenk und in<br />

neutraler Stellung ein Außenroller und Adduktor,<br />

der M. sartorius ist ebenfalls ein Hüftbeuger<br />

und Außenroller, während die Vastusgruppe<br />

ausschließlich als Strecker im Kniegelenk<br />

fungiert. Sensibilitätsstörungen finden<br />

sich im Versorgungsgebiet der Rr. cutanei anteriores<br />

n. femoralis und des N. saphenus.<br />

Das Verteilungsmuster der Symptome ist abhängig<br />

von der Höhe des Läsionsortes (Tab. 2).<br />

Der Funktionsausfall des<br />

M. iliopsoas bei einer Läsion<br />

im Becken wird nicht<br />

völlig sein, da der Muskel<br />

auch durch direkte Plexus -<br />

äste versorgt wird und in<br />

seiner Funktion durch den<br />

M. sartorius, M. rectus und<br />

M. tensor fasciae latae unterstützt<br />

wird. PatientInnen<br />

klagen über Schwierigkeiten<br />

beim Gehen und<br />

besonders beim Stiegensteigen.<br />

Die distalere Läsion,<br />

also nach dem Abgang<br />

des Astes zum M. iliopsoas<br />

ist wesentlich häufiger. Klinisch<br />

wesentlich ist hier die<br />

Schwäche der Vastusgrup-<br />

Abb. 1: Genu recurvatum<br />

Tab. 2: Läsion des N. femoralis<br />

Läsionsort Status Funktionsausfall<br />

Becken Atrophie Oberschenkel Flexion Hüfte + unten angeführte<br />

Leiste Atrophie Oberschenkel Kniestrecker, leichte Parese<br />

Hüftflexion, Sensibilitätsausfall<br />

Oberschenkelvorderseite und<br />

Unterschenkelinnenseite<br />

pe, die bewirkt, dass das Knie nicht gestreckt<br />

werden kann und sich auch im Bild eines<br />

Genu recurvatum äußern kann (Abb. 1).<br />

Neben der typischen Klinik kann die Elektrophysiologie<br />

zur Diagnose beitragen, setzt<br />

aber aufgrund der oft erschwerten Untersuchungsbedingungen<br />

entsprechende Erfahrungen<br />

des Untersuchers voraus.<br />

Hämatome sind nach den intraoperativen<br />

Verletzungen die häufigste Ursache <strong>für</strong> die<br />

vergleichsweise eher seltenen Femoralisläsionen.<br />

PatientInnen mit Hämophilie oder oraler<br />

Antikoagulation sind davon besonders betroffen.<br />

Gelegentlich können diese Hämatome<br />

auch beidseitig auftreten. Dadurch, dass<br />

mehrere Faszienschichten um den M. iliacus<br />

angelegt sind, wird die Entstehung von Kompartimenten<br />

begünstigt, die sich bis zum Leistenband<br />

ausdehnen können, wo der Nerv<br />

besonders druckdolent ist. In der Computertomographie<br />

ist das Hämatom meist gut<br />

darstellbar (Abb. 2). Die Frage, ob eine chirurgische<br />

Intervention einer<br />

konservativen Therapie vorzuziehen<br />

ist, wird nicht einheitlich<br />

beantwortet. Zusammenfassend<br />

scheint aber<br />

eine Heilung auch ohne chirurgische<br />

Sanierung die Regel<br />

zu sein. Eigene Erfahrungen<br />

sind auch dem entsprechend.<br />

Weitere Ursachen sind<br />

Psoasabszesse, z. B. im Rahmen<br />

einer Appendizitis, ein<br />

Aneurysma der Art. femo -<br />

ralis, Neurinome, Sarkome<br />

oder wiederum Drucklä -<br />

sionen durch den Kopf des<br />

Kindes während der Geburt.<br />

Kompression des Nervus<br />

cutaneus femoris lateralis<br />

(L2/L3) – Meralgia paraesthetica<br />

Der rein sensible Nerv verlässt das Becken<br />

medial der Spina iliaca anterior durch das Ligamentum<br />

inguinale, um unter und/oder<br />

zwischen dessen Sehnenfasern zum lateralen<br />

Rand des Oberschenkels zu ziehen, wobei<br />

der Nerv an dieser Stelle je nach Beckenstellung<br />

um einen Winkel bis zu 90 Grad abgeknickt<br />

wird (Abb. 3). Bei Hüftextension wird<br />

er gedehnt, bei Hüftbeugung entlastet.<br />

Meralgia paraesthetica: Selten kann der Nerv<br />

auch durch direkte Läsionen, Tumoren oder<br />

Traumen, vor allem bei Operation oder Punktionen<br />

geschädigt werden, aber am häufigsten<br />

ist die Meralgia paraesthetica, die durch eine<br />

mechanische Belastung und Kompression des<br />

Nerven im Bereich des Durchtritts durch das<br />

Ligament ausgelöst wird. Wesentlicher Mechanismus<br />

ist die aufrechte Haltung beziehungsweise<br />

Überstreckung des Hüftgelenks. Oft können<br />

konkrete Auslöser, wie zu enge Gürtel,<br />

Schwangerschaft, lange Märsche, starke Gewichtszunahme<br />

oder außergewöhnliche mechanische<br />

Belastung z. B.: durch Tragen schwerer<br />

Gegenstände festgemacht werden. u<br />

Abb. 2: Psoashämatom<br />

37


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

Abb. 3 zeigt die Nähe des N. cutaneus fem.<br />

lat. zum Leistenband<br />

Betroffene klagen zunächst meist über brennende<br />

Schmerzen und Parästhesien in einem<br />

in etwa handtellergroßen Areal an der Außenseite<br />

des Oberschenkels. Anfangs treten<br />

diese Beschwerden meist intermittierend auf,<br />

häufig durch langes Stehen ausgelöst. Durch<br />

Beugen der Hüfte verschwinden diese Beschwerden<br />

wieder. Erst nach mehreren Schüben<br />

kann es zu einer dauerhaften Schädigung<br />

mit Parästhesien, Schmerzen, vor allem<br />

auch schmerzhafter Hyperästhesie kommen.<br />

Besonders auffällig ist eine ausgedehnte Störung<br />

des Temperaturempfindens, das nach<br />

Remission der Hauptbeschwerden noch lange<br />

bestehen kann. Selten finden sich auch trophische<br />

Störungen. In der Untersuchung ist<br />

meist auch ein druckdolenter Punkt medial<br />

der Spina iliaca anterior superior auffindbar.<br />

Durch einen umgekehrten Lasègue sind die<br />

Symptome meist auslösbar oder verstärkbar.<br />

Mit entsprechender Erfahrung kann der Nerv<br />

elektrophysiologisch untersucht werden,<br />

meist leitet die eindeutige Klinik aber bereits<br />

zur Diagnose.<br />

Männer leiden etwa dreimal häufiger als<br />

Frauen unter einer Meralgia. Einer der berühmtesten<br />

Patienten war Sigmund Freud,<br />

der über das Syndrom eine Arbeit verfasste,<br />

in der er den betroffenen Nerv und auch den<br />

auslösenden Mechanismus bereits erkannte<br />

und gut beschrieb (Abb. 4).<br />

Therapie: Oft ist eine Vermeidung auslösender<br />

Ursachen ausreichend, um eine Heilung,<br />

die in über 90 % der Fälle zu erwarten ist,<br />

zu erreichen. Die Injektion von Kortison kann<br />

einerseits Linderung verschaffen, andererseits<br />

aber zu unangenehmen lokalen Nebenwirkungen<br />

führen.<br />

38<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Wenn eine operative Sanierung<br />

notwendig wird, ist vorerst eine<br />

Neurolyse anzustreben, mit der<br />

meist bereits völlige Beschwerdefreiheit<br />

erreichbar ist. Erst wenn<br />

aus verschiedenen Gründen wie<br />

Narbenbildungen oder abnorme<br />

Verläufe eine Neurolyse nicht<br />

durchführbar ist, sollte eine Durchtrennung<br />

erwogen werden. Erstrebenswert<br />

ist, dass solche Eingriffe<br />

durch erfahrene plastische ChirurgInnen<br />

durchgeführt werden. Erinnerlich<br />

ist ein Chirurg, der durch die stehende<br />

Tätigkeit eine Meralgia entwickelte<br />

und erst nach chirurgischer Neurolyse wieder<br />

in der Lage war, seinen Beruf auszuüben.<br />

Kompression des Nervus<br />

ischiadicus (L4–S3)<br />

Der Nervus ischiadicus ist der längste und<br />

dickste periphere Nerv, der aus sämtlichen<br />

ventralen Ästen des Plexus gebildet wird. Das<br />

Becken verlässt er durch das Foramen infrapiriforme.<br />

Eine Schädigung des Nervenstamms<br />

hat einerseits eine Parese der von<br />

den beiden Endästen, Nervus peronaeus und<br />

Nervus tibialis, innervierten Muskeln zur Folge<br />

und wird in dem entsprechenden Artikel behandelt.<br />

Eine proximale Schädigung des Nerven hat<br />

andererseits zusätzlich eine Parese der von<br />

ihm versorgten ischiokruralen Muskulatur zur<br />

Folge. Die davon betroffenen Muskeln sind<br />

der M. biceps femoris, M. semitendinosus,<br />

M. semimembranosus und M. adductor magnus.<br />

Das bedeutet klinisch, dass eine proximale<br />

Läsion des N. ischiadicus neben den<br />

Paresen der Unterschenkel- und Fußmuskulatur<br />

auch zu einer meist hochgradigen Parese<br />

der Knieflexion führt. Aber selbst bei<br />

einer Plegie der ischiokruralen Muskulatur ist<br />

die Flexion des Knies durch den M. gracilis<br />

und den M. sartorius und damit auch das<br />

Gehen zu einem gewissen Grad möglich.<br />

Schädigungen des Nerven durch Kompressionen<br />

machen je nach Untersuchung zwischen<br />

10 % und 20 % aus.<br />

Hämatome: Schädigungen durch Hämatome<br />

entstehen auch beim N. ischiadicus meist<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Abb. 4: Sigmund Freud litt unter<br />

einer Meralgia paraesthetica und<br />

erkannte bereits den auslösenden<br />

Mechanismus<br />

im Rahmen einer oralen Antikoagulantientherapie<br />

durch Stürze auf das Gesäß und<br />

führen meist abrupt zu heftigen Schmerzen<br />

mit folgender Parese.<br />

Tumoren: Neurogene Tumoren im Bereich des<br />

Oberschenkels, häufiger als im Gesäßbereich,<br />

sind gar nicht so selten. In mehr als der Hälfte<br />

der Fälle handelt es sich um Neurofibrosarkome,<br />

seltener um Neurofibrome und Schwannome.<br />

Weiters können natürlich auch nervennahe<br />

Metastasen, insbesondere von Rektumkarzinomen<br />

eine Schädigung verursachen.<br />

Äußere Druckeinwirkung: Kompressionen<br />

im Gesäßbereich entstehen vor allem durch<br />

eine Kompression des Nerven zwischen Trochanter<br />

minor und Sitz beziehungsweise<br />

Liege. Besonders prädisponiert sind natürlich<br />

PatientInnen oder Personen, die lange auf<br />

dem Rücken liegen und aufgrund eines<br />

Komas oder anderer Beeinträchtigungen,<br />

ähnlich z. B. der Parkbanklähmung des N.<br />

radialis, in dieser Position verharren. Dementsprechend<br />

sollte also auch bei Operationen<br />

entsprechend gelagert beziehungsweise<br />

eine entsprechende Unterlage verwendet<br />

werden. Bei komatösen oder relaxierten PatientInnen<br />

wird durch die Erschlaffung der<br />

Glutealmuskulatur eine Druckschädigung begünstigt.<br />

Insbesondere bei kachektischen Pa-


Abb. 5 zeigt die Nähe des N.<br />

ischiadicus zum M. piriformis und<br />

die dadurch begünstigte<br />

Druckschädigung in diesem Bereich<br />

tientInnen oder Kindern sollte dies in Betracht<br />

gezogen werden.<br />

Piriformissyndrom: Dieses eigenständige<br />

Syndrom wurde bereits vor 60 Jahren erstmals<br />

beschrieben und ist durch eine Kompression<br />

des Nerven durch den M. piriformis<br />

ausgelöst. Dies wird dadurch begünstigt, dass<br />

der Nerv sehr knapp beim Muskel vorbeioder<br />

teilweise sogar durch den Muskel hindurchzieht<br />

(Abb. 5). Der M. piriformis ist ein<br />

kurzer, dicker Muskel, der durch Fehl-, aber<br />

auch Überbelastung hypertrophieren kann.<br />

Insbesondere Läufer mit Fehlbelastung können<br />

davon betroffen sein. Andererseits kann<br />

aber auch Inaktivität und Übergewicht zu<br />

einem Piriformissyndrom durch die gewichtsbedingte<br />

Druckwirkung auf den Nerv führen.<br />

Auch Druckeinwirkungen von außen können<br />

ein Piriformissyndrom auslösen.<br />

Klinisch im Vordergrund steht ein meist in<br />

das Bein ziehender Schmerz, der einerseits<br />

durch Bücken, Heben schwerer Lasten,<br />

Gehen oder Laufen ausgelöst oder verstärkt<br />

werden kann, andererseits auch durch Druck<br />

auf das Foramen ischiadicus majus (Abb. 6).<br />

Während früher eine chirurgische Exploration<br />

und Dekompression bevorzugt wurde, bietet<br />

sich heute eine zielgerichtete Physiotherapie<br />

mit Dehnungsübungen an, die meist zu einer<br />

Remission der Beschwerden führt.<br />

Kompression des Nervus<br />

ilioinguinalis (L1) –<br />

Ilioinguinalissyndrom<br />

Motorisch ist der N. ilioinguinalis an der Innervation<br />

des Mm. obliquus internus und<br />

transversus abdominis mitbeteiligt. Klinisch<br />

Abb. 6: Schmerzauslösung und<br />

Schmerzlokalisation beim<br />

Piriformissyndrom<br />

relevant ist vor allem eine Schädigung des<br />

sensiblen Endastes, des R. cutaneus anterior,<br />

der über den Leistenkanal läuft und die Haut<br />

über der Symphyse und als Rr. scrotales<br />

beziehungsweise Rr labialis Skrotum, Radix<br />

penis beziehungsweise Labia majora und<br />

einen anschließenden Teil der Haut des Oberschenkels<br />

versorgt.<br />

Ilioinguinalissyndrom: Dieses entsteht<br />

durch eine Kompression des Nerven meist an<br />

seinen Durchtrittsstellen durch den M. transversus<br />

abdominis beziehungsweise M. obliquus<br />

internus. Betroffene klagen vor allem<br />

über teils starke Schmerzen, die entlang des<br />

Leistenkanals in Skrotum oder Labia majora<br />

ziehen, mit Verstärkung durch Hüftextension.<br />

Meist wird zur Entlastung auch eine nach<br />

vorn gebeugte Haltung eingenommen. Ursache<br />

ist häufig ein Narbenzug nach Herniotomien<br />

oder anderen operativen Eingriffen in<br />

der Leiste oder auch einer Appendizitis. Wir<br />

sahen einmal eine Patientin, die nach beidseitigem<br />

Herzkatheter ein Ilioinguinalissyndrom<br />

entwickelte.<br />

Bei starken Schmerzen, die durch eine medikamentöse<br />

Therapie nicht zu beherrschen<br />

sind, sollte eine Neurolyse durch einen/eine<br />

plastische/n ChirurgIn durchgeführt werden,<br />

die meist zu einer völligen Remission der Beschwerden<br />

führt.<br />

Seltene<br />

Kompressionssyndrome<br />

Nervus iliohypogastricus (Th12/L1): Der<br />

Nerv kann selten durch einen retroperitonealen<br />

Tumor oder der sensible Endast (R. cutaneus<br />

lateralis) auch durch äußere Druckein-<br />

wirkung (enge Hosen, Gürtel etc.) geschädigt<br />

werden. Die Paresen der mitversorgten Mm.<br />

transversus abdominis und obliquus internus<br />

sind klinisch meist irrelevant.<br />

Nervus genitofemoralis: Der Nerv ist an<br />

der sensiblen Versorgung der Leistenbeuge,<br />

des Skrotum beziehungsweise Labia majores<br />

beteiligt und innerviert motorisch den M. cremaster.<br />

Eine Kompression führt ähnlich dem<br />

Ilioinguinalissyndrom zu einem Sensibilitätsausfall<br />

und gelegentlich auch zu heftigen,<br />

brennenden Schmerzen.<br />

Nervus obturatorius: Dieser versorgt motorisch<br />

die Adduktorengruppe und sensibel ein<br />

kleines Areal an der medialen Seite des distalen<br />

Oberschenkels. Kompressionsyndrome im eigentlichen<br />

Sinn sind sehr selten und können<br />

im Rahmen eines Tumors im kleinen Becken<br />

oder einer Hernia obturatoria entstehen.<br />

Nn. glutaeus superior, glutaeus inferior:<br />

Eine Schädigung des N. glutaeus superior<br />

führt zu einer Abduktionsschwäche des Beines,<br />

eine des N. glutaeus inferior zu einer<br />

Schwäche <strong>für</strong> die Hüftstreckung. Eine Kompressionsschädigung<br />

beider Nerven kann<br />

während der Entbindung, durch Einklemmung<br />

im Foramen supra- oder infrapiriforme<br />

bei Spondylolisthese oder durch kolorektale<br />

Karzinome auftreten. n<br />

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39


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

Distale Nervenengpasssyndrome<br />

der unteren Extremitäten<br />

Druckläsionen<br />

des Nervus peronaeus<br />

Druckparesen des Nervus peronaeus<br />

in Höhe des Fibulaköpfchens<br />

Klinische Befunde: Bei der Läsion des Nervus<br />

peronaeus communis kommt es zu einem<br />

Befall aller langen Dorsalextensoren des<br />

Fußes und der Zehen sowie der kurzen Zehenextensoren<br />

und des Musculus peronaeus<br />

longus. Das charakteristische Bild der Parese<br />

ist das schlaffe Herabhängen des Fußes, der<br />

daher beim Gehen nur mit der Spitze zuerst<br />

aufgesetzt werden kann. PatientInnen sind<br />

nicht in der Lage, im Stand aktiv eine Dorsalextension<br />

des Fußes durchzuführen. Dementsprechend<br />

müssen die PatientInnen beim<br />

Gehen das Bein abnorm stark anheben, was<br />

zum Begriff des Stepperganges geführt hat.<br />

Der isolierte Befall des Nervus peronaeus superficialis<br />

führt beim Gehen zu einem Aufsetzen<br />

am seitlichen Fußrand.<br />

Die sensiblen Ausfälle betreffen das Hautareal<br />

über dem Spatium interosseum I sowie an<br />

der lateralen Unterschenkelseite und Fußrü -<br />

cken.<br />

Ursachen: Die direkte Lage des Nervus peronaeus<br />

communis in Höhe des Fibulaköpfchens<br />

unmittelbar über dem Knochen und die damit<br />

verbundene erhöhte Vulnerabilität sowie die<br />

vermehrte Beweglichkeit des Nerven durch Extension<br />

und Flexion im Kniegelenk bei knienden<br />

Tätigkeiten erklären die Häufigkeit der<br />

Druckschädigung in dieser Höhe. Die Tabelle 1<br />

gibt einen Überblick über zahlreiche Ursachen<br />

dieser Druckschädigungen.<br />

Die Vielzahl der angeführten Ursachen zeigt<br />

die hohe Vulnerabilität des Nerven in Höhe<br />

des Fibulaköpfchens. Für den klinischen Alltag<br />

besonders relevant sind die postoperativ<br />

beobachteten Peronaeusparesen, die meist<br />

durch einen abnormen intraoperativen Druck<br />

auf den Nerven entstehen sowie etwa in gleichem<br />

Maße häufig auch durch die Lagerung<br />

des Beines am Operationstisch mit mangelhaften<br />

Schutz des Fibulaköpfchenbereiches<br />

auf der harten Unterlage. Dies passiert vor<br />

allem in seitlicher bzw. Halbseiten-Lagerung.<br />

Neben der unzureichenden Unterpolsterung<br />

des Operationstisches sind auch fehlerhaftes<br />

Anbringen von Beinhalterungen mögliche Ursachen.<br />

Peronaeusdruckparesen sind die<br />

zweithäufigste Form von Nervendruckschädigungen<br />

in der Narkose (nach Ulnarisparesen).<br />

Tabelle 2 gibt eine Übersicht über Operationen<br />

mit erhöhtem Risiko <strong>für</strong> Peronaeuspa -<br />

resen.<br />

Traumatische direkte Läsionen des Nervus peronaeus<br />

entstehen durch Aufprall von harten<br />

Gegenständen im wenig geschützten Bereich<br />

des Fibulaköpfchens. Dies wird beispielhaft<br />

durch Stürze beim Schifahren mit Druck der<br />

harten Metallkanten auf das Bein beobachtet.<br />

Weitere direkte Traumen umfassen die<br />

Fibulaköpfchenfrakturen sowie die Luxationen<br />

des Kniegelenkes. Bei Zerreißungen der<br />

Kreuzbänder im Rahmen von Abduktionsverletzungen<br />

kann es auch zu direkten Nervenläsionen<br />

kommen. Neben direkten Nervenläsionen<br />

sind auch Druckläsionen durch Hämatome<br />

möglich.<br />

Prädisponierende Faktoren: Die hereditäre<br />

Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen<br />

(HNLPP) wird nicht selten nach dem erstma-<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Der vorliegende Artikel beschreibt Nervenengpasssyndrome der unteren Extremitäten und geht vor allem<br />

auf die klinische Präsentation und mögliche Ursachen ein. Weiters werden die diagnostischen Schritte,<br />

differenzialdiagnostische Überlegungen und allgemeine Empfehlungen zur Therapie dargestellt.<br />

40<br />

Univ.-Doz. Dr.<br />

Udo Zifko<br />

Zentrum <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />

Rudolfinerhaus,<br />

Wien<br />

ligen oder wiederholten Auftreten von Nervendruckparesen<br />

und insbesondere bei<br />

Druckläsionen des Nervus peronaeus in Höhe<br />

des Fibulaköpfchens diagnostiziert. Neben<br />

der Anamnese ist vor allem die ausführliche<br />

neurophysiologische Diagnostik mit Untersuchung<br />

der klassischen Nervenengpassstellen<br />

wesentlich. Weiterführende genetische Untersuchungen<br />

sind nach ausführlicher Aufklärung<br />

der PatientInnen sinnvoll.<br />

Druckparesen des Nervus peronaeus in Höhe<br />

des Fibulaköpfchens werden vor allem bei<br />

besonders mageren Menschen gesehen<br />

sowie bei PatientInnen mit starkem Gewichtsverlust<br />

(von 15 % oder mehr) und werden<br />

im angloamerikanischen Raum als slimmers<br />

paralysis beschrieben.<br />

Weiters sind Häufungen von Peronaeusdruckparesen<br />

bei stoffwechselbedingten Polyneuropathien,<br />

wie der diabetischen Polyneuropathie<br />

oder der alkoholischen Polyneuropathie,<br />

sowie bei HIV-positiven und bei<br />

onkologischen PatientInnen als kombinierte<br />

paraneoplastisch-mechanisch bedingte Ursache<br />

beschrieben.<br />

Peronaeusdruckläsionen sind nicht nur im Erwachsenenalter,<br />

sondern auch bei Neuge -<br />

borenen möglich. Diesbezüglich wird in der<br />

Literatur die Möglichkeit einer Peronaeusdruckparese<br />

durch intrauterine Umschlin-


gung der Nabelschnur in Höhe des Fibulaköpfchens<br />

ebenso beschrieben wie das wiederholte<br />

Blutdruckmessen von Neugeborenen<br />

im Oberschenkelbereich. Bei Kindern<br />

kann auch abnorm langes Sitzen mit überschlagenen<br />

Füßen sowie abnorm langes Einhängen<br />

des Fußes an Turngeräten mit herabhängendem<br />

Oberkörper zu Druckparesen<br />

des N. peronaeus führen.<br />

Differenzialdiagnose: Die häufigste Differenzialdiagnose<br />

ist die radikuläre Läsion L5.<br />

Neben der unterschiedlichen Anamnese erlaubt<br />

die klinisch-<strong>neurologisch</strong>e Untersuchung<br />

mit der unterschiedlichen sensiblen<br />

und motorischen Verteilung meist klinisch bereits<br />

eine ausreichende Differenzierung. Vor<br />

allem ist beim Auftreten einer motorischen<br />

L5-Läsion der Befall des vom N.-tibialis-innervierten<br />

M. tibialis posterior, der als reiner L5-<br />

Muskel beschrieben werden kann, charakteristisch.<br />

Bei Notwendigkeit kann die neurografische<br />

und myografische Untersuchung eine sichere<br />

Differenzierung erlauben.<br />

Der häufig zu sehende überwiegende peronaeale<br />

Befall bei Läsion des Nervus ischiadicus<br />

kann die Differenzierung zu einer proximal<br />

gelegenen Ischiadicusläsion gelegentlich<br />

schwierig machen. In diesen Fällen sind die<br />

exakte klinisch-<strong>neurologisch</strong>e Untersuchung<br />

und auch die elektromyografische Untersuchung<br />

des kurzen Kopfes des Musculus biceps<br />

femoris eine besonders wichtige Hilfestellung.<br />

Die Mononeuritis multiplex kann mit einer<br />

isolierten Läsion des Nervus peronaeus beginnen.<br />

Weiters können bei Polyneuropathien<br />

die distale Extensionschwäche der Zehen und<br />

eventuell des Vorfußes im Vordergrund stehen.<br />

Bei der Mononeuritis multiplex ist der<br />

weitere klinische Verlauf und die entsprechende<br />

Labordiagnostik entscheidend, bei<br />

Polyneuropathien ist vor allem die weiterführende<br />

<strong>neurologisch</strong>e und neurophysiologische<br />

Untersuchung wesentlich.<br />

Gelegentlich können auch beginnende Vorderhornprozesse<br />

wie die amyotrophe Lateralsklerose<br />

dem Bild einer Peronaeusparese<br />

ähneln. Auch hier zeigt die klinisch-neurolo-<br />

Tab. 1: Druckschädigung des Nervus peronaeus in Höhe des Fibulaköpfchens<br />

Lagerung auf dem Operationstisch<br />

Druck durch Schienen oder Gipsverband<br />

Lagerung des Bewusstlosen auf hartem Untergrund<br />

Wiederholtes oder langes Übereinanderschlagen der Beine<br />

Lange körperliche Betätigungen in kniender Stellung<br />

Zu enge Strumpfbänder<br />

Elektroschocktherapie<br />

Ganglion des Tibiofibulargelenkes<br />

Baker-Zyste<br />

Exostosen am Fibulaköpfchen<br />

Osteochondrome<br />

Tab. 2: Operationen mit Risiko <strong>für</strong> Peronaeusparesen<br />

Osteosynthese bei per- und suprakondylärer Femurfraktur<br />

Kniegelenksarthrodese<br />

Subkapitale Tibiakorrekturosteotomie<br />

Osteosynthese über dem Tibiakopf und Tibiaschaftfrakturen<br />

Arthroskopische Knieoperationen – isolierter Befall des Nervus peronaeus profundus<br />

Umstellungsosteotomien<br />

Kniegelenksersatz<br />

gische Untersuchung bereits entscheidende<br />

Aufschlüsse, die dann durch die neurophysiologische<br />

Diagnostik objektiviert werden<br />

können. Auf das Tibialis anterior-Syndrom als<br />

differenzialdiagnostische Überlegung wird<br />

weiter unten eingegangen.<br />

Gelegentlich können umschriebene hoch kortikale<br />

Läsionen isolierte zentrale Paresen bedingen,<br />

die dem Lähmungsbild einer Peronaeusparese<br />

ähneln können. Die klinisch<strong>neurologisch</strong>e<br />

Untersuchung und die<br />

Beobachtung des Gangbildes mit Zirkumduktion<br />

bei der zentralen Läsion geben aber wiederum<br />

ausreichend klinische Unterscheidungsmöglichkeiten.<br />

Diagnose: Wie bereits mehrfach angeführt,<br />

ist neben der Anamnese die klinisch-<strong>neurologisch</strong>e<br />

Untersuchung mit dem isolierten Befall<br />

der vom N. peroneus innervierten Muskeln<br />

und der Hypästhesie im Interspatium I bei<br />

sonst regelrechtem <strong>neurologisch</strong>en Befund<br />

der entscheidende Hinweis <strong>für</strong> das Vorliegen<br />

einer Peronaeusparese in Höhe des Fibulaköpfchens.<br />

Der wesentlichste Diagnoseschritt ist die neurophysiologische<br />

Untersuchung. Hierbei ist<br />

die elektroneurografische Untersuchung des<br />

Nervus peronaeus communis mit Stimulation<br />

distal und proximal des Fibulaköpfchens entscheidend.<br />

Ein Leitungsblock ist sofort nachweisbar.<br />

Die Untersuchung sollte ab dem 5.<br />

bis 7. Krankheitstag positiv sein, wobei die<br />

Amplitudenreduktion proximal um mehr als<br />

20 % gegenüber der Amplitude distal des<br />

Fibulaköpfchens ebenso entscheidend ist wie<br />

die Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit<br />

im Bereich des Fibulaköpfchens. Wesentlich<br />

sind der Seitenvergleich mit der klinisch<br />

nicht betroffenen Seite sowie der Nervenleitgeschwindigkeitsvergleich<br />

auf der<br />

betroffenen Seite mit dem Unterschenkelsegment,<br />

wobei eine Verlangsamung um mehr<br />

als 10 m/sec pathologisch ist. Weiters ist auch<br />

die weiterführende neurophysiologische Diagnostik<br />

bezüglich der Erfassung der oben u<br />

41


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

beschriebenen prädisponierenden Faktoren,<br />

insbesondere der hereditären Neuropathie<br />

mit Neigung zu Druckparesen oder zugrunde<br />

liegenden Polyneuropathien, wichtig.<br />

Die elektromyografische Untersuchung ist<br />

frühestens ab dem 14., spätestens ab dem<br />

21. Krankheitstag insbesondere <strong>für</strong> differenzialdiagnostische<br />

Unterscheidungen zu proximal<br />

gelegenen Ischiadicusläsionen und zu<br />

L5-Läsionen hilfreich. Neben der Diagnostik<br />

ist die Elektromyografie <strong>für</strong> die Erfassung des<br />

Schweregrades der Läsion entsprechend der<br />

Graduierung einer Neurapraxie versus Axon -<br />

otmesis versus Neurotmesis entscheidend.<br />

Die Differenzierung einer radikulären Läsion<br />

42<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Abb. 1: (A) Anatomie des N. peroneus; (B) Anatomie des N. tibialis<br />

N. per.<br />

superficialis<br />

Abb. 2: N.-tibialis-Läsionen<br />

N.<br />

ischiadicus<br />

N. per.<br />

profundus<br />

Der N. tibialis<br />

entspringt aus<br />

dem N. ischiadicus<br />

proximal des<br />

Kniegelenkes in<br />

unterschiedlicher<br />

Höhe.<br />

A B<br />

Quelle: Atlas of neuromuscular diseases. Feldman, Grisold, Russel, Zifko. Springer Verlag, 2005<br />

A) fehlendes Abspreizen<br />

der Zehen bei linksseitiger<br />

Läsion des N. tibialis<br />

B1) regelrechtes<br />

Fußgewölbe<br />

B2) Atrophie der plantaren<br />

Fußmuskeln<br />

C) Hyperkeratose der<br />

Fußsohle bei kompletter<br />

N.-tibialis-Läsion<br />

Quelle: Atlas of neuromuscular diseases. Feldman, Grisold, Russel, Zifko. Springer Verlag, 2005<br />

L5 zu einer Peronaeuslähmung stellt eine der<br />

häufigsten Fragestellungen <strong>für</strong> ein neurophysiologisches<br />

Labor dar. Neben den weniger<br />

spezifischen neurografischen Befunden einer<br />

Latenzverzögerung und allfälligen Amplitudenreduktion<br />

(wiederum im Seitenvergleich)<br />

sind myografische Veränderungen der L5-innervierten<br />

Muskeln entscheidend, wobei insbesondere<br />

die Untersuchung des M. tibialis<br />

posterior als N.-tibialis-innervierter L5-Muskel<br />

wesentlich ist.<br />

Therapie: Die konservative Therapie ist bei<br />

Weitem die führende Therapiemaßnahme.<br />

Neben dem weiteren Vermeiden eines Dru -<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

ckes auf den Nervus peronaeus stellen forcierte<br />

heilgymnastische Übungen und Elektrostimulationen<br />

des Musculus tibialis anterior<br />

die primäre Therapie der Wahl dar.<br />

Bei länger dauernden Peronaeusdruckparesen<br />

ist die Versorgung des Patienten mit einer<br />

Peronaeusschiene <strong>für</strong> das physiologische<br />

Gangbild und zur Sturzprophylaxe wichtig.<br />

Die Prognose ist gleich zu allen anderen Nervendruckparesen<br />

im Wesentlichen abhängig<br />

von der Dauer und der Intensität des Druckes<br />

auf den Nerven.<br />

Operative Maßnahmen im Sinne von Wiederherstellungsoperationen<br />

und Nerventransfer<br />

haben üblicherweise kein gutes Operationsergebnis<br />

und werden nur in Ausnahmefällen<br />

durchgeführt.<br />

Ersatzoperationen wie die subtalare Arthrodese<br />

haben ebenfalls an Stellenwert verloren,<br />

ebenso wie die Verlagerung des Musculus<br />

tibialis posterior auf die Streckseite des<br />

Fußes.<br />

Tibialis anterior-Syndrom<br />

Dieses deutlich seltener auftretende Krankheitsbild<br />

ist durch eine ischämische Läsion<br />

des durch das vordere Unterschenkelcompartment<br />

durchtretenden Nervus peronaeus<br />

profundus gekennzeichnet. Auslösend sind<br />

abnorme Beanspruchungen sowie eine<br />

Druckerhöhung in der Tibialis anterior-Loge.<br />

Im Vordergrund stehen die deutliche<br />

Schmerzsymptomatik im dorsalen Unterschenkelgebiet<br />

sowie auch die neurogene<br />

Funktionseinbuße der Fuß- und Zehenheber<br />

sowie die Sensibilitätsstörung.<br />

Bei progredienter Symptomatik ist die rasche<br />

operative Entfernung des Druckes auf den<br />

Nerven zu veranlassen. Bei einem Tibialis anterior-Syndrom<br />

nach Überbeanspruchung<br />

sind die Ruhigstellung sowie abschwellende<br />

lokale und systemische Maßnahmen meist<br />

ausreichend.<br />

Vorderes Tarsaltunnelsyndrom<br />

Dieses seltene Nervenengpasssyndrom betrifft<br />

den Endast des Nervus peronaeus profundus<br />

am Vorfuß unter dem Retinaculum<br />

extensorum. Es ist durch einen Sensibilitäts-


ausfall über dem Interspatium I und durch<br />

Schmerzen über dem Fußrücken gekennzeichnet.<br />

Klinisch-<strong>neurologisch</strong> lässt sich eine Schwäche<br />

der kurzen Zehenextensoren darstellen.<br />

Ursächlich sind abnorme Überbeanspruchungen<br />

sowie das Tragen von Stöckelschuhen<br />

beschrieben.<br />

Läsionen von Hautästen<br />

am Fußrücken<br />

Schmerzen am Fußrücken sowie Gefühlsstörungen<br />

in Form von Missempfindungen mit<br />

verminderter Hautwahrnehmung im Zehenund<br />

Fußrückenbereich sind nach dem Tragen<br />

enger Schuhe wie Berg- oder Schischuhe gesehen<br />

worden. Spezifische therapeutische<br />

Maßnahmen sind – bis auf das Meiden der<br />

auslösenden Faktoren – nicht erforderlich.<br />

Läsionen des Nervus tibialis<br />

Bei Läsionen des Nervus tibialis ist das Tarsaltunnelsyndrom<br />

die häufigste Nervendruckläsion.<br />

Hinteres Tarsaltunnelsyndrom<br />

Beim hinteren Tarsaltunnelsyndrom kommt es<br />

zu einer Druckschädigung des Nervus tibialis<br />

hinter dem Innenknöchel unterhalb des Retinaculum<br />

musculorum flexorum. Durch die<br />

Kompression des Nervenstammes selbst bzw.<br />

seiner Endäste, dem Nervus plantaris laterialis<br />

und dem Nervus plantaris medialis, kommt<br />

es zu schmerzhaften Missempfindungen der<br />

Fußsohlen, die vor allem beim Gehen verstärkt<br />

werden. Gelegentlich klagen die PatientInnen<br />

auch über starke Dysästhesien in<br />

den Nachtstunden.<br />

Für die Diagnose wesentlich sind neben vorliegenden<br />

Schmerzen auch die Sensibilitätsstörung<br />

im Ausbreitungsgebiet der Hautäste<br />

des Nervus tibialis und auch die Parese der<br />

kleinen Fußsohlenmuskeln mit einer Krallenzehenstellung.<br />

Die Druckempfindlichkeit entlang<br />

des Nervus tibialis kann zusätzlich gesehen<br />

werden, ist aber kein alleiniger diagnostischer<br />

Hinweis.<br />

Die neurophysiologische Diagnostik zur Objektivierung<br />

des Tarsaltunnelsyndrom ist wesentlich.<br />

Der sensitivste Parameter ist die sensible<br />

Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus<br />

plantaris medialis. Diese Technik ist nicht<br />

immer einfach und sollte <strong>für</strong> eine sichere Diagnose<br />

unbedingt im Seitenvergleich durchgeführt<br />

werden und eine eindeutige pathologische<br />

Seitendifferenz zeigen.<br />

Die allfällig verlängerte motorische distale Latenz<br />

des Nervus tibialis ist ebenfalls nur im<br />

Seitenvergleich zu interpretieren.<br />

Die elektromyografische Untersuchung des<br />

Musculus quadratus plantae mit Nachweis<br />

der axonalen Schädigung im Sinne von pathologischer<br />

Spontanaktivität und neurogenen<br />

motorischen Einheiten ist prinzipiell wünschenswert.<br />

Allerdings ist die Untersuchung<br />

teilweise sehr schmerzhaft und dadurch häu-<br />

RESÜMEE<br />

Nervenengpasssyndrome der distalen unteren<br />

Extremitäten sind seltener als im<br />

Vergleich zu den oberen Extremitäten.<br />

Führend sind Schädigungen des Nervus<br />

peronaeus mit Läsionen in Höhe des Fibulaköpfchens.<br />

Im Unterschenkelbereich<br />

können schmerzhafte Druckläsionen wie<br />

das Tibialis anterior-Syndrom zu sehen<br />

sein. Im Knöchel-Vorfuß-Bereich ist die<br />

Kompression sowohl des vorderen als<br />

auch des hinteren Tarsaltunnels möglich.<br />

Druckläsionen des Nervus suralis sind selten<br />

und treten vor allem durch übermäßigen<br />

Druck von Schuhen auf. Ebenfalls<br />

vor allem durch Schuhwerk ausgelöste<br />

distale Läsionen von Hautästen am Fußrücken<br />

führen zu sensiblen Störungen im<br />

Vorfuß- und/oder Zehenbereich.<br />

Neben der klinischen Diagnose sind elektrophysiologische<br />

Untersuchungen <strong>für</strong><br />

die Diagnose entscheidend, die durch<br />

bildgebende Verfahren, wie insbesondere<br />

die Magnetresonanztomografie, vor<br />

allem <strong>für</strong> die präoperative Diagnostik, ergänzt<br />

werden können.<br />

fig eine fehlende Entspannung und Kooperationsmöglichkeit<br />

der PatientInnen gegeben<br />

und so die Aussagekraft vermindert.<br />

Bei unsicherer Diagnostik bzw. bei allfälliger<br />

operativer Therapieplanung ist eine zusätzliche<br />

Magnetresonanztomografie des Tarsaltunnels<br />

sinnvoll.<br />

Bei gesicherter Diagnosestellung ist die operative<br />

Freilegung des Tarsaltunnels das Mittel<br />

der Wahl.<br />

Läsionen der Endäste<br />

Durch abnormen Druck von Schuhen können<br />

die sensiblen Endäste komprimiert werden.<br />

Folge sind schmerzhafte Sensibilitätsstörungen<br />

an der Innenseite der Großzehe.<br />

Läsionen des Nervus suralis<br />

Spontane Kompressionssyndrome bzw.<br />

Drucksyndrome auf den Nerven durch ein<br />

Ganglion können im Bereich des Außenknöchels<br />

auftreten. Selten können auch hier abnormer<br />

Druck vom Schuhwerk und das Tragen<br />

einer engen Fußgelenkskette zu Kompressionssyndromen<br />

des Nervus suralis<br />

führen.<br />

Häufiger als die Druckläsion ist eine Läsion<br />

des Nervus suralis bei Venenoperationen mit<br />

einem Operationsrisiko von knapp unter 2 %<br />

bzw. Symptome nach diagnostischen Suralisbiopsien.<br />

Die klinische Symptomatik ist durch sensible<br />

Missempfindungen geprägt. Therapeutisch<br />

ist meist eine Druckentlastung zur Symptomlinderung<br />

ausreichend. n<br />

Weiterführende Literatur:<br />

- Mumenthaler M, Stöhr M, Müller-Fahl H, Läsionen<br />

peripherer Nerven und radikulärer Syndrome., 8. Aufl.,<br />

Thieme Verlag<br />

- Jones HR, Electromyographie. Lipincot Verlag.<br />

- Feldman EL, Grisold W, Russel JW, Zifko UA, Atlas of<br />

Neuromuscular Diseases, Springer Wien, New York 2005<br />

- Jugenheimer M, Junginger T, Endoscopic subfascial<br />

sectioning of incompetent perforating veins in treatment<br />

of primary varicosis. World J Surg 1992; 16:971–975<br />

- Knezevic W, Mastaglia FL, Neuropathy Associated With<br />

Brescia-Cimino Arteriovenous Fistulas. Arch Neurol<br />

1984; 41:1184–1186<br />

- Stöhr M, Schegelmann K, Erregerbedingte und Immunvermittelte<br />

Neuropathien. GBI 2001; 21:286–291<br />

- Blumen SC, Nisipeanu P, Inzelberg R et al., Peroneal<br />

nerves after diet (Slimmers paralysis). Europ J Medicine<br />

1998; 5,43<br />

- Heinkes W, Stotz S, Wolf K et al., Das Tarsaltunnel -<br />

syndrom. Ortho 1984; 22:221–224<br />

43


Evaluation der Schlafapnoe<br />

bei SchlaganfallpatientInnen<br />

Klinische Interviews sind bei SchlaganfallpatientInnen nicht ausreichend, um schlafbezogene Atmungsstörungen<br />

zu identifizieren. Im Sinne eines optimalen Risikofaktormanagements sollten bei jedem/jeder Schlaganfall -<br />

patientIn standardmäßig in der Frührehabilitation respirographische Untersuchungen eingesetzt werden.<br />

Hintergrund: Die obstruktive Schlafapnoe<br />

(SA) hat bei SchlaganfallpatientInnen<br />

eine Prävalenz von 30–70 % und wird<br />

häufig mit einem schlechteren klinischen<br />

Outcome assoziiert. Im allgemeinmedizinischen<br />

Bereich und in der pulmologischen<br />

Rehabilitation hat der Berliner Fragebogen<br />

(BF) als Screening-Instrument eine ausreichende<br />

Sensitivität und Spezifität gezeigt.<br />

Der Fragebogen beinhaltet subjektive<br />

Angaben des/der PatientIn oder seiner<br />

Lebenspartnerin/ihres Lebenspartners zu<br />

den Symptomen Schläfrigkeit und Schnarchen<br />

und bezieht auch die Risikofaktoren<br />

Bluthochdruck und Adipositas mit ein. Als<br />

rasch verfügbare objektive Methode zum<br />

Nachweis einer SA dient die kardiorespiratorische<br />

Polygraphie – neben der kompletten<br />

Polysomnographie in einem Schlaflabor.<br />

Ziel der vorliegenden Studie war es, den<br />

klinischen Nutzen des BF zur Detektion<br />

von Schlafapnoe bei SchlaganfallpatientInnen<br />

in einer <strong>neurologisch</strong>en Rehabilitationseinrichtung<br />

zu prüfen und die Assoziation<br />

der Schlafapnoe mit dem funktionellen<br />

Status in der subakuten Phase nach<br />

dem Schlaganfall zu erheben.<br />

Methodik: Bei 68 SchlaganfallpatientInnen<br />

wurden nächtliche respirographische<br />

Untersuchungen durchgeführt und der<br />

Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) ermittelt.<br />

Alle PatientInnen füllten gemeinsam mit<br />

einem/einer Neurologen/-in den BF aus. In<br />

Kategorie 3 (Risikofaktoren) wurden Ge -<br />

wicht und Größe des/der PatientIn zur<br />

Berechnung des BMI erhoben sowie der<br />

Blutdruck gemessen. Das funktionelle<br />

44<br />

GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

1 2<br />

Out come wurde mittels Barthel-Index<br />

erhoben. Sensitivität und Spezifität des BF<br />

wurden berechnet.<br />

Ergebnisse: Die respirographischen Un -<br />

tersuchungen zeigten eine hohe Prävalenz<br />

mittelschwerer und schwerer Schlafapnoe<br />

(AHI > 15/h) von 56 %. Die Sensitivität des<br />

BF <strong>für</strong> Schlafapnoe betrug 0,69, die Spezifität<br />

0,15. Die Fläche unter der ROC-Kurve<br />

(receiver operating characteristics) zur<br />

Detektion der Schlafapnoe war 0,58. Der<br />

AHI korrelierte signifikant mit dem BI (r =<br />

–0,57, P � 0,001).<br />

Schlussfolgerungen: Sowohl unsere Da -<br />

ten als auch die Ergebnisse rezenter Studien<br />

belegen die Bedeutung eines geeigneten<br />

Screening-Instruments <strong>für</strong> Schlafapnoe<br />

in der Neurorehabilitation zur Se -<br />

kundärprophylaxe nach Schlaganfall. Das<br />

klinische Interview, das subjektiv wahr -<br />

genommene Symptome (Schläfrigkeit,<br />

Schnarchen) und Risikofaktoren <strong>für</strong><br />

Schlafapnoe (Bluthochdruck, Adipositas)<br />

bewertet, erwies sich dabei als unzureichend.<br />

Im Sinne eines optimalen Risikofaktormanagements<br />

und einer erfolgreichen Neurorehabilitation<br />

sollte bei allen SchlaganfallpatientInnen<br />

eine kardiorespiratorische<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Mag. Stefan Kotzian 1 ,<br />

Priv.-Doz. Dr. Michael Saletu 2<br />

Neurologisches Rehabilitationszentrum<br />

Rosenhügel, Wien<br />

Polygraphie erfolgen. Die polysomnographische<br />

Untersuchung ist teuer und in der<br />

<strong>neurologisch</strong>en Rehabilitation kaum<br />

implementiert. Ein respirographisches<br />

System kann leichter eingesetzt werden<br />

und Art und Schwere einer Schlafapnoe<br />

feststellen. In einer rezenten Metaanalyse 1<br />

ergaben polysomnographische und respirographische<br />

Untersuchungen keine signifikanten<br />

Unterschiede in der Prävalenz<br />

von Schlafapnoe bei SchlaganfallpatientInnen<br />

(63 % vs. 58 %).<br />

Ein Schlaflaborteam in der <strong>neurologisch</strong>en<br />

Rehabilitation kann mit Hilfe der Respirographie<br />

die Indikation <strong>für</strong> eine CPAP-Therapie<br />

stellen und im Rahmen des Rehabilitationsaufenthaltes<br />

weiter forcieren sowie<br />

die Compliance diesbezüglich wesentlich<br />

verbessern.<br />

Subjective evaluation of sleep apnea<br />

is not sufficient in neurorehabilitation.<br />

AutorInnen: Kotzian S, Stanek J, Pinter<br />

M, Grossmann W, Saletu M<br />

Topics in Stroke Rehabilitation; in press<br />

1 Johnson KG, Johnson DC, Frequency of sleep apnea in<br />

stroke and TIA patients: a meta-analysis. J Clin Sleep<br />

Med Apr 15; 6(2):131–137


Review: Sporadische<br />

zerebrale Amyloidangiopathie<br />

DDie zerebrale Amyloidangiopathie (CAA)<br />

kann durch fokale bis ausgedehnte Ablagerungen<br />

von Amyloid-�-Protein (A�) in<br />

den meningealen und intrakortikalen Blutgefäßen<br />

entstehen. Zusätzlich entspricht<br />

perikapilläres A� dessen Ablagerungen in<br />

der Glia limitans und dem angrenzenden<br />

Neuropil während bei kapillärer CAA A�-<br />

Ablagerungen in der Wand von Kapillaren<br />

bestehen. CAA kann lobäre intrazerebrale<br />

Blutungen sowie Mikroblutungen hervorrufen.<br />

Minderperfusion und verminderte<br />

vaskuläre Autoregulation durch CAA können<br />

Infarkte und Läsionen der weißen<br />

Substanz bewirken.<br />

CAA verursacht daher vaskuläre Läsionen,<br />

die potenziell zu (vaskulärer) Demenz führen<br />

und weiters zu Demenz infolge Störung<br />

des Abtransports von Lösungen aus<br />

MM. Parkinson (MP), Demenz mit Lewy-Körpern<br />

(DLB) und Multisystematrophie (MSA)<br />

sind neurodegenerative Erkrankungen mit<br />

Beginn im Erwachsenenalter, gekennzeichnet<br />

durch intrazelluläre Ablagerungen von<br />

�-Synuclein (�-Synucleinopathien). Der<br />

Beitrag der Glia zur Neurodegeneration bei<br />

�-Synucleinopathien wurde bis vor Kurzem<br />

unterschätzt. Die Gehirne von Patienten<br />

mit MP und DLB zeigen jedoch nicht<br />

nur neuronale Einschlüsse wie Lewy-Körper<br />

und Lewy-Neuriten, sondern auch �-<br />

Synucleinanhäufungen in der Glia. Zunehmende<br />

experimentelle Daten bei MP-<br />

Modellen weisen darauf hin, dass Astround<br />

Mikrogliose als Mediatoren der Neurodegeneration<br />

<strong>für</strong> die Auslösung und<br />

Progression beider Erkrankungen eine<br />

wesentliche Rolle spielen. Bei der MSA<br />

dem Gehirn sowie infolge Transport von<br />

Nährstoffen durch die Blut-Hirn-Schranke<br />

beitragen. Schwere CAA ist ein unabhängiger<br />

Risikofaktor <strong>für</strong> kognitive Einbußen.<br />

Die klinische Diagnose der CAA beruht<br />

auf Erfassung der begleitenden zerebrovaskulären<br />

Läsionen. Zusätzlich können<br />

erweiterte perivaskuläre Räume in der<br />

weißen Substanz sowie verminderte Konzentrationen<br />

von A�-40 und A�-42 auf<br />

die CAA hinweisen.<br />

Transgene Mausmodelle, die humanes<br />

A�-Vorläuferprotein (APP) exprimieren,<br />

zeigen Ablagerungen von A� im Hirnparenchym<br />

und Gefäßen und bestätigen<br />

damit das aktuelle Konzept der CAA-<br />

Pathogenese: neuronales A� kommt in<br />

die perivaskuläre Drainagebahn und kann<br />

sich infolge erhöhter Bildung und/oder<br />

sind Oligodendrozyten massiv durch Ablagerungen<br />

von �-Synuclein im Zytoplasma<br />

(gliale cytoplasmatische Einschlüsse oder<br />

Papp-Lantos-Körper) betroffen. Hinweise<br />

aus postmortalen humanen Untersuchungen<br />

und transgenen MSA-Modellen lassen<br />

vermuten, dass eine Dysfunktion der Oligodendroglia<br />

die neuronale Degeneration<br />

sowohl triggert als auch intensiviert.<br />

Während im gesamten Gehirn die Neuronen<br />

intakt sind, die Mikroglia sich in<br />

einem Ruhezustand befindet und Astroglia<br />

und Oligodendroglia normale Funktionen<br />

aufweisen, führt bei PD/DLB die<br />

Ablagerung von �-Synuclein zu dramatischen<br />

Neuronenveränderungen, Mikroglia -<br />

aktivierung und degenerativen dopaminergen<br />

Neuronen. Bei MSA ist �-Synuclein<br />

vorwiegend in Oligodendroglia abgela-<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Kurt A. Jellinger<br />

Institute of Clinical<br />

Neurobiology, Wien<br />

vermindertem Abbau von A� anhäufen.<br />

Wir vermuten, dass perikapilläres A� eine<br />

frühe Störung der perivaskulären Drainagebahnen<br />

darstellt, während kapilläres A�<br />

mit verminderter transendothelialer Clear -<br />

ance von A� einhergeht. CAA spielt eine<br />

wichtige Rolle im multimorbiden Verhalten<br />

des alternden Gehirnes, doch muss ihr<br />

Beitrag zur Neurodegeneration abgeklärt<br />

werden.<br />

Review: Sporadic cerebral amyloid<br />

angiopathy (sporadische zerebrale<br />

Amyloidangiopathie).<br />

Autoren: Attems J, Jellinger KA,<br />

Thal DR, Van Nostrand W<br />

Erschienen in:<br />

Neuropathol Appl. Neurobiol 2011; 37:7593<br />

Gliadysfunktion in der Pathogenese von<br />

�-Synucleinopathien: moderne Konzepte<br />

46<br />

GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

gert, was zu Entmarkung und sekundärer<br />

Axondegeneration, starker Mikrogliaaktivierung<br />

und Produktion proinflammatorischer<br />

Cytokine führt, die in reaktiver Gliaund<br />

Neurodegeneration münden. Die<br />

Rolle der Glia bei �-Synucleinopathien<br />

könnte die Förderung einer chronisch<br />

erkrankten glialen Mikroumgebung um -<br />

fassen, die zu verheerenden Neuronenschäden<br />

samt Zellverlust beitragen.<br />

Glial dysfunction in the pathogenesis<br />

of �-synucleinopathies: emerging<br />

concepts.<br />

AutorInnen: Fellner L, Jellinger KA,<br />

Wenning GK, Stefanova N<br />

Erschienen in: Acta Neuropathol 2011; 121:675–693


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

Eines der Hauptthemen des diesjährigen Kongresses der DGN in Wiesbaden waren neurodegenerative<br />

Erkrankungen. Eine große Zahl von Symposien, Hauptvorträgen, Kursen und Satellitensymposien sowie<br />

zahlreiche Poster und freie Vorträge hatten die Parkinson’sche Erkrankung zum Thema und spannten den<br />

Bogen von der Grundlagenforschung bis zur Klinik.<br />

Molekulare Grundlagen<br />

und kausale Therapieansätze<br />

SCHWERPUNKT<br />

T. Outiero, Göttingen, berichtete über ein<br />

einfaches Modell zur Untersuchung und Beeinflussung<br />

der �-Synuclein-Pathologie in<br />

Hefezellen. Durch genetische Manipulation<br />

dieser Zellen, die zu vermehrter �-Synu -<br />

clein-Expression führt, kommt es zu pathologischen<br />

Veränderungen mit der Bildung<br />

von Einschlusskörperchen und mitochondrialer<br />

Dysfunktion. An diesem Modell wurden<br />

über 1.000 verschiedene Substanzen<br />

getestet und davon 16 identifiziert, die die<br />

toxischen Effekte antagonisierten und die<br />

mitochondriale Dysfunktion korrigierten.<br />

Durch direkte Visualisierung der �-Synu -<br />

clein-Aggregation mit Bildung von Dimeren,<br />

Oligomeren und Protofibrillen konnte der<br />

Effekt dieser Substanzen auf die Aggregation<br />

gezeigt werden. Mit dieser Technik<br />

konnten auch verschiedene Gene identi -<br />

fiziert werden, die die �-Synuclein-Oligomerisierung<br />

hemmen bzw. verstärken können<br />

1 .<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Auch die folgenden Vorträge dieses Symposiums<br />

befassten sich mit der Beeinflussung<br />

der Proteinaggregation in Modellen verschiedener<br />

neurodegenerativer Erkrankungen. Es<br />

konnte gezeigt werden, dass zelleigene Proteine,<br />

wie BAG1 und HSP70 zur Restrukturierung<br />

fehlgefalteter Proteine führen 2 . So genannte<br />

SUMO-Proteine können die �-Synu -<br />

clein-Aggregation hemmen und damit die<br />

Toxizität der Aggregate vermindern 3 .<br />

Dass die Hemmung der Protein-Aggregation<br />

eine wirksame Therapiemöglichkeit der Neurodegeneration<br />

darstellt, wurde von A. Giese<br />

aus München gezeigt. Er berichtete über die<br />

Identifikation einer Substanzgruppe (Diphenyl-Pyrazol<br />

DPP), die diesen Wirkmechanismus<br />

hat und an Mausmodellen der Prionen-<br />

Erkrankungen und der Parkinson’schen Erkrankung<br />

sowohl die pathologischen<br />

Ver änderungen als auch die Überlebenszeit<br />

signifikant verbessert 4 .<br />

Alle diese Befunde zeigen einen Hoffnungsschimmer<br />

<strong>für</strong> die kausale Behandlung der<br />

Parkinson’schen Erkrankung und anderer<br />

neurodegenerativer Erkrankungen.<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

84. Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> (DGN) 2011<br />

Highlights zum Thema Parkinson und<br />

anderen neurodegenerativen Erkrankungen<br />

48<br />

Rolle von Tau, �-Amyloid,<br />

TDP 43 und FUS<br />

Prim. Prof. Dr.<br />

Thomas Brücke<br />

Neurologische Abteilung,<br />

Wilheminenspital, Wien<br />

Ein Präsidentensymposium befasste sich mit<br />

der Rolle von Tau, �-Amyloid, TDP 43 und<br />

FUS <strong>für</strong> die Neurodegeneration bei Demenz<br />

und Motoneuronenerkrankungen.<br />

C. Masters, Melbourne, berichtete über die<br />

Rolle von �-Amyloid bei der Alzheimer’schen<br />

Demenz (AD) und gab einen kurzen Überblick<br />

über klinische Studien zur Senkung der zerebralen<br />

�-Amyloid-Ablagerung. Einige dieser<br />

Studien zeigen eine �-Amyloid-Abnahme<br />

im ZNS (gemessen im PIB-PET) oder im Liquor,<br />

aber keinen Effekt auf die kognitiven Funktionen<br />

5 .<br />

FOTO: FOTOTAMARA - FOTOLIA.COM


P. Heutink, Amsterdam, sprach über die „Tau-<br />

Story“ unter anderem über die Bedeutung<br />

von Tau <strong>für</strong> die frontotemporale Demenz<br />

(FTD). Die FTD macht 5–15 % aller Demenzen<br />

aus und hat häufig eine positive Familienanamnese.<br />

Bei den autosomal dominant vererbten<br />

Formen (etwa 30–50 %) sind es Mutationen<br />

im mikrotubuliassoziierten Protein<br />

Tau (MAPT) Gen, im Progranulin Gen (GRN)<br />

und in einem neu entdeckten Gen<br />

(C9ORF72), die die Erkrankung verursachen.<br />

Die fast gleichzeitig mit dem Zeitpunkt der<br />

DGN beschriebene Mutation im C9ORF72-<br />

Gen ist <strong>für</strong> etwa 12 % aller familiär vorkommenden<br />

FTD-Fälle verantwortlich und <strong>für</strong> fast<br />

ein Viertel der familiären ALS-Fälle 6, 7 !<br />

Mutationen im MAPT-Gen erhöhen das Risiko<br />

<strong>für</strong> die progressive supranukleäre Blickparese<br />

(PSP) und die kortikobasale Degeneration<br />

(CBD) und genomweite Assoziationsstudien<br />

zeigen neben dem �-Synuclein (SNCA) Gen<br />

auch Assoziationen mit MAPT bei diesen neurodegenerativen<br />

Erkrankungen 8 .<br />

Sport als Therapie der<br />

Parkinson’schen Erkrankung<br />

Körperliche Aktivität und physiotherapeutische<br />

Maßnahmen werden mit Erfolg als Begleittherapie<br />

der motorischen Symptome der<br />

Parkinson’schen Erkrankung eingesetzt. Zahlreiche<br />

tierexperimentelle Untersuchungen an<br />

Parkinson-Modellen zeigen, dass motorische<br />

Aktivität zu einer Freisetzung von Wachstumsfaktoren<br />

und einer Stimulierung der<br />

Neurogenese im Hippocampus und in der<br />

Substantia nigra führt und der Neurodegeneration<br />

entgegen wirkt 9, 10 . Untersuchungen<br />

an älteren Personen belegen eine Verbesserung<br />

kognitiver Funktionen durch motorische<br />

Aktivität und eine Volumenzunahme des präfrontalen<br />

motorischen Kortex. Auch konnte<br />

eine Zunahme der kortikalen funktionellen<br />

Konnektivität durch motorische Aktivität<br />

nachgewiesen werden.<br />

Ähnliche Untersuchungen bei Parkinson-PatientInnen<br />

sind im Gang und lassen hoffen,<br />

dass körperliches Training einen positiv krankheitsmodifizierenden<br />

und neuroprotektiven<br />

Effekt hat 11 . Eine rezente Metaanalyse von<br />

epidemiologischen Untersuchungen an größeren<br />

Studienpopulationen durch Xu et al.<br />

zeigte, dass körperliche Aktivität zu einer Reduktion<br />

der Inzidenz von Parkinson von bis<br />

zu 40 % führt 12 .<br />

G. Ebersbach, Berlin, stellte die Berliner LSVT-<br />

BIG-Studie vor, eine physiotherapeutische Behandlungsmethode<br />

der Parkinson’schen Erkrankung.<br />

Die Methode leitet sich von dem<br />

„Lee Silverman Voice Training (LSVT)“ ab und<br />

beinhaltet intensives Training von Bewegungen<br />

mit großer Amplitude. In der kontrollierten<br />

Studie konnte im Vergleich zu anderen<br />

Bewegungstherapien eine signifikante Verbesserung<br />

des UPDRS-Motorscores nachgewiesen<br />

werden 13 .<br />

Medikamentöse und<br />

chirurgische Parkinson-Therapie<br />

K. Eggert aus Marburg berichtete über nicht<br />

dopaminerge Therapiestudien bei Parkinson<br />

14 . Eine Studie untersuchte die Wirkung<br />

des mGLUR5-Antagonisten (metabotroper<br />

GLU-Rezeptor) AFQ056 auf Dyskinesien und<br />

konnte eine signifikante Verbesserung ohne<br />

Verschlechterung der motorischen Symptomatik<br />

zeigen 15 . Mit einer weiteren ähnlichen<br />

Substanz wurden vor Kurzem klinische Phase-<br />

II-Studien begonnen.<br />

Preladenant, ein A 2A-Antagonist, zeigt in<br />

einer Studie an 250 Parkinson-PatientInnen<br />

in höherer Dosierung eine signifikante Reduktion<br />

der täglichen Off-Zeiten 16 . Pitolisant,<br />

ein inverser Histamin-H3-Rezeptor-Antagonist,<br />

wird als Mittel gegen Tagesmüdigkeit<br />

bei Parkinson getestet.<br />

Über die tiefe Hirnstimulation (THS) im Nucleus<br />

subthalamicus (STN) wurde von J. Volkmann<br />

aus Würzburg berichtet. Die THS zeigt<br />

auch nach über 8 Jahren einen positiven Effekt<br />

auf die Motorik. Die Abnahme der Alltagsfähigkeiten<br />

vom 5. bis 8. Jahr postoperativ<br />

ist auf das Auftreten von Demenz und<br />

zunehmender Gangstörung zurückzuführen.<br />

Prinzipiell gilt, dass die Langzeitergebnisse<br />

der THS umso schlechter sind, je älter die<br />

PatientInnen zum Operationszeitpunkt sind.<br />

Die Frage, ob es sinnvoll ist, Parkinson-PatientInnen<br />

schon früher im Krankheitsverlauf<br />

zu operieren, soll in der EARLY-STIM-Studie<br />

beantwortet werden, die noch nicht abgeschlossen<br />

ist.<br />

Der beste Zielpunkt im STN sei laut Volkmann<br />

das vordere laterale Segment. PatientInnen<br />

mit ausgeprägtem Freezing profitieren möglicherweise<br />

von einer niedrigeren Stimulationsfrequenz<br />

(80 Hz vs. üblicherweise � 130<br />

Hz) 17 .<br />

Fazit: Insgesamt muss man, was die medikamentöse<br />

Parkinson-Therapie betrifft, leider<br />

sagen, dass große Durchbrüche oder Neuerungen<br />

derzeit nicht in Sicht scheinen. Mit<br />

großer Spannung und Hoffnung ist daher die<br />

weitere Entwicklung kausaler Therapieansätze,<br />

wie der Hemmung der �-Synuclein-Aggregation,<br />

zu erwarten. Diese ist derzeit noch<br />

im experimentellen Stadium, zeigt aber vielversprechende<br />

Ergebnisse. n<br />

1 Outiero T, Unravelling the molecular basis of<br />

Parkinson’s disease to develop novel therapeutic<br />

interven tions; M32<br />

2 Kermer P, Modulation of protein metabolism by BAG1:<br />

a new therapeutic target in neurodegenerative<br />

diseases?; M33<br />

3 Weishaupt J, Sumoylation deficiency in Parkinson’s<br />

disease: directed manipulation of protein solubility,<br />

fibrillation and targeting; M34<br />

4 Giese A, Causal therapy of prion and Parkinson’s<br />

disease with novel protein aggregation inhibitors; M35<br />

5 Masters C, The history of amyloid and its future: a<br />

personal perspective; V144<br />

6 Renton AE et al., A Hexanucleotide Repeat Expansion<br />

in C9ORF72 is the Cause of Chromosome 9p21-Linked<br />

ALS-FTD, Neuron 2011; 72:257<br />

7 Dejesus-Hernandez M et al., Expanded GGGGCC<br />

Hexanucleotide Repeat in Noncoding Region of<br />

C9ORF72 causes Chromosome 9p-Linked FTD and ALS;<br />

Neuron 2011; 72:245<br />

8 Heutink P, The story of Tau and its impact on<br />

neurodegeneration; V145<br />

9 Steiner B, Molekulare und zelluläre Mechanismen<br />

kognitiver und motorischer Effekte von körperlicher<br />

Aktivität am Tiermodell <strong>für</strong> IPS; V89<br />

10 Brandt M, Dopamin – Systemfaktor neuropsychia -<br />

trischer Effekte körperlicher Aktivität? V90<br />

11 Flöel A, Sport bei IPS: Kognitive und neuronale<br />

Korrelate; V92<br />

12 Xu Q. et al., Physical activities and future risk of<br />

Parkinson’s disease; Neurology 2010; 75:341<br />

13 Ebersbach G, Comparing exercise in Parkinson’s disease<br />

– the Berlin LSVT ® BIG study, Mov Dis 2010; 25:1902<br />

14 Eggert K, Nicht dopaminerge medikamentöse<br />

Behandlung- neue Entwicklungen; V199<br />

15 Berg et al., AFQ056 treatment of levodopa-induced<br />

dyskinesias: results of 2 randomized controlled trials;<br />

Mov Dis 2011; 26:1243<br />

16 Hauser RA et al., Preladenant in patients with Parkinson’s<br />

disease and motor fluctuations: a phase 2, double-blind<br />

randomised trial; Lancet Neurol 2011; 10:221<br />

17 Volkmann J, Trends bei der Tiefen Hirnstimulation;<br />

V200<br />

49


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

DGN-Kongress 2011<br />

Aktuelles zum Thema „Multiple Sklerose“<br />

Mehr als 50 Vorträge und Poster, die sich der multiplen Sklerose (MS) gewidmet haben, wurden beim<br />

DGN-Kongress 2011 präsentiert. Es folgt eine kurze Überblicksdarstellung von einigen der insgesamt<br />

sehr interessanten Beiträge.<br />

Kognition und MS<br />

Bei 54 PatientInnen mit schubförmiger MS<br />

wurde über eine neuropsychologische Tes -<br />

tung ein „kognitiver Score“ errechnet und<br />

mit Atrophie-Markern der zerebralen MRT<br />

korreliert. Der Corpus-callosum-Index (sagittale<br />

Schichten) könnte <strong>für</strong> künftige Therapiestudien<br />

wertvolle Informationen liefern.<br />

Ein computergesteuertes Untersuchungsverfahren<br />

(MAT: Merkfähigkeits- und Aufmerksamkeitstest)<br />

wurde in einigen <strong>neurologisch</strong>en<br />

Praxen und MS-Spezialambulanzen angewendet.<br />

Der Test kann von ProbandInnen<br />

allein angewendet werden und dauert ca. 45<br />

min. Die Erfahrungen der ersten 400 PatientInnen<br />

(Anteil schubförmige MS 78 %) zeigten,<br />

dass 8,5 % eine Depression hatten, die<br />

an der Verstärkung der Beeinträchtigung des<br />

Arbeitsgedächtnisses beteiligt war. Andererseits<br />

führte eine Fatigue (26,5 %) nicht zu<br />

einer Leistungsminderung. Der MAT erwies<br />

sich unter Praxisbedingungen als gut durchführbar.<br />

Rivastigmin-Pflaster könnten eine Behandlungsoption<br />

bei PatientInnen mit kognitiver<br />

Einschränkung darstellen. Die über 16 Wochen<br />

laufende Phase-IIb-Studie EXCITING<br />

brachte ein positives Ergebnis, es sind aber<br />

größere Studien notwendig, bis eine klare<br />

Antwort vorliegt.<br />

Psychische Störungen als Einflussfaktoren auf<br />

Behandlung und Prognose der MS wurden<br />

bei 60 PatientInnen und ihren Lebenspartnern<br />

über ein strukturiertes Interview untersucht.<br />

Dabei zeigte sich eine hohe Prävalenz<br />

von Angststörungen und Depression in beiden<br />

Gruppen.<br />

52<br />

Diagnostik<br />

Der Frage, welche Bedeutung Surrogatmarker<br />

in einer individualisierten Therapie zurzeit<br />

einnehmen, wurde in einem Minisymposium<br />

nachgegangen. Für eine sehr frühe Basistherapie<br />

mit Interferon beta oder Glatirameracetat<br />

wäre die Identifizierung von Respondern<br />

von großer Bedeutung, beim Einsatz von Arzneimitteln<br />

zur Eskalationstherapie spielt eine<br />

Risikostratifizierung eine wesentliche Rolle.<br />

Valide Surrogatmarker könnten helfen, Kos -<br />

ten zu senken und PatientInnen zu identifizieren,<br />

die ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil<br />

aufweisen. Es sind aber weitere größere Studien<br />

erforderlich, um potenzielle Marker zu<br />

etablieren.<br />

RION: Ob die „relapsing inflammatory optic<br />

neuropathy“ (RION) der MS oder der Neuromyelitis<br />

optica hinzugerechnet werden soll,<br />

ist umstritten. Diese Frage wurde anhand von<br />

11 PatientInnen mit einer steroidresponsiven<br />

entzündlichen Optikus-Neuropathie, die<br />

einen negativen Aquaporin-4-IgG-Antikörperbefund<br />

im Serum aufwiesen und mit verschiedenen<br />

immunsuppressiven Medikamenten<br />

behandelt wurden, diskutiert. Letztlich<br />

sollen weitere Beobachtungen herangezogen<br />

werden, ob RION als eigene Entität dargestellt<br />

werden kann.<br />

Immuntherapie<br />

Der Einsatz von Dimethylfumarat (DMF) bei<br />

schubförmiger MS ergab Hinweise auf eine<br />

zellschützende Funktion; die zum Teil durch<br />

oxidativen Stress vermittelte Degeneration<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Prim. Dr. Ulf Baumhackl<br />

Neurologisches Psychiatrisches<br />

Zentrum Belvedere Wien<br />

kann durch die protektive Wirkung von DMF<br />

über eine Hemmung der Glutathionsynthese<br />

beeinflusst werden.<br />

REFLEX: Daten der REFLEX-Studie (REbif FLE-<br />

Xible dosing in early Multiple Sclerosis) wurden<br />

in der Sitzung „Neuroprotektion“ vorgestellt.<br />

Beurteilt wurde das Risiko einer Konversion<br />

(McDonald-MS und CDMS) nach dem<br />

ersten klinischen Ereignis (CIS). In dieser Studie<br />

erhielten PatientInnen s. c. Interferon<br />

beta-1a, wöchentlich 3-mal 44 mcg oder 1mal<br />

44 mcg oder Placebo. Bezüglich der jährlichen<br />

Schubrate zeigte sich die höhere Dosis<br />

wirksamer, beide Interferon-Therapien waren<br />

der Placebobehandlung deutlich überlegen.<br />

Die Zeitspanne bis zur Diagnose MS wird<br />

durch die aktive Therapie signifikant verlängert.<br />

Für die Eskalationstherapie des steroidrefraktären<br />

Schubes bewährte sich die Immunadsorption<br />

bei 12 von 14 PatientInnen. Die<br />

gute Verträglichkeit wurde besonders betont.<br />

Fingolimod: In den beiden Phase-III-Studien<br />

mit Fingolimod (TRANSFORMS, FREEDOMS)<br />

wurde zur Verlaufsbeurteilung halbjährlich<br />

auch der MSFC eingesetzt. Im Vergleich zu<br />

Placebo konnte gemessen am mittleren z-<br />

Wert eine signifikante Reduktion der Behinderung<br />

demonstriert werden. Die Phase-II-Ex-


tensionsstudie mit Fingolimod bei schubförmiger<br />

MS wird weitergeführt, über Erfahrungen<br />

der Langzeitbehandlung wurde berichtet:<br />

Etwa die Hälfte der PatientInnen führte<br />

die Therapie auch nach 5 Jahren weiter, die<br />

jährliche Schubrate blieb mit 0,2 niedrig. Leberwerterhöhungen<br />

wurden bei 16,5 % beobachtet.<br />

Der juvenilen MS (Erkrankungsbeginn vor<br />

dem 18.Lebensjahr) waren mehrere Beiträge<br />

gewidmet. In einer retrospektiven Analyse<br />

wurden die Therapiekonzepte bei 22 PatientInnen<br />

mit einer durchschnittlichen Krankheitsdauer<br />

von 11 Jahren berichtet. Bemerkenswert<br />

war, dass eine Eskalationstherapie bei 59 %<br />

durchgeführt wurde (Natalizumab, Rituximab,<br />

Mitoxantron), gegenüber bei 30 % der erwachsenen<br />

MS-PatientInnen dieser Klinik.<br />

Natalizumab: In einem Schweizer MS-Zentrum<br />

wurden seit 2007 115 PatientInnen mit<br />

Natalizumab therapiert. Erwähnenswert sind<br />

diese Erfahrungen vor allem auch wegen der<br />

relativ hohen Zahl der PatientInnen (n = 31),<br />

welche die Substanz als „First-Line-Therapie“<br />

erhielten. Diese als „hot naive patients“ bezeichnete<br />

Gruppe reagierte besonders positiv,<br />

da mehr als 2 Drittel nach im Durchschnitt<br />

2 Jahren klinisch keinerlei Krankheitsaktivität<br />

aufwiesen.<br />

In einem Minisymposium wurden Natalizumab-Erfahrungen<br />

des MS-Zentrums Zürich<br />

diskutiert. Beobachtungen über einen Zeitraum<br />

von 3 Jahren mit dieser Behandlung bei<br />

schubförmiger MS ergaben, dass bei vielen<br />

PatientInnen in der täglichen Praxis eine Progressionsminderung<br />

(gemessen am EDSS)<br />

festgestellt werden kann. Die Verfügbarkeit<br />

und die Bedeutung des Einsatzes des STRA-<br />

TIFY-JC-Virus-AK-Tests <strong>für</strong> die Auswahl von<br />

PatientInnen und die Therapieentscheidungen<br />

wurden speziell hervorgehoben, da die Entstehung<br />

einer PML (progressiven multifokalen<br />

Leukoenzephalopathie) eine vorherige Exposition<br />

gegenüber dem JC-Virus voraussetzt.<br />

Sehr geehrte Leserinnen und Leser!<br />

Wenn Sie sich <strong>für</strong> die Themen der DFP-Artikel der bereits erschienenen<br />

Ausgaben der PUNKTE <strong>Neurologie</strong> interessieren, besteht die<br />

Möglichkeit, diese unter <strong>neurologisch</strong>@medmedia.at anzufordern:<br />

die PUNKTE NEUROLOGIE 1/10<br />

Diagnose und Therapie der Epilepsie<br />

Karpaltunnelsyndrom und andere Engpasssyndrome<br />

des Nervus medianus<br />

die PUNKTE NEUROLOGIE 2/10<br />

Morbus Parkinson: Diagnose und Therapie<br />

Neuroborreliose und Frühsommermeningoenzephalitis<br />

die PUNKTE NEUROLOGIE 1/11<br />

Migräne – Klinik, Diagnostik, Akuttherapie und Prophylaxe<br />

Die PUNKTE NEUOLOGIE 2/11<br />

Multiple Sklerose – von der Immunpathogenese zur Therapie<br />

Schlafstörungen – Diagnose und Therapie<br />

Retardiertes Fampridin (ein Kaliumkanalblocker),<br />

zur symptomatischen Therapie von<br />

Gehstörungen, wurde in einer Dosierung von<br />

2-mal 10 mg pro Tag bei 65 PatientInnen<br />

mit unterschiedlichen Verlaufsformen und<br />

Schweregraden in einem MS-Zentrum eingesetzt.<br />

Als Therapie-Responder wurden 71 %<br />

eingestuft, die Einschätzung einer Wirksamkeit<br />

des Arzneimittels soll bereits innerhalb<br />

weniger Tage nach Therapiebeginn möglich<br />

gewesen sein.<br />

Compliance: In einem ambulanten MS-<br />

Therapiezentrum wurde die Therapietreue<br />

bei 258 PatientInnen (auswertbarer Rücklauf<br />

der ausführlichen Fragebogen etwa 2<br />

Drittel) untersucht. Eine erfreulich hohe<br />

„Adhärenzbereitschaft“ (85 %) wurde festgestellt.<br />

Die wesentlichen Variablen <strong>für</strong> eine<br />

positive Einflussnahme waren: Vertrauen in<br />

die Medikation, Vertrauen in den Arzt/<br />

die Ärztin und Engagement des Arztes/<br />

der Ärztin. n<br />

53


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

CCK scheint einigen epidemiologischen Studien<br />

zufolge so häufig zu sein wie die multiple<br />

Sklerose. Obwohl viele PatientInnen zufrieden<br />

stellend medikamentös eingestellt werden<br />

können, haben nach wie vor ca. 25 %<br />

der Betroffenen im Verlauf der Erkrankung<br />

Suizidgedanken, nicht wenige begehen tatsächlich<br />

Suizid.<br />

Obwohl die meisten Erkrankten RaucherInnen<br />

sind, ist nicht klar, in welcher Weise das<br />

Rauchen die Krankheit beeinflusst. Die Pathophysiologie<br />

der Erkrankung ist noch nicht<br />

geklärt, die bildgebenden Verfahren deuten<br />

darauf hin, dass der hintere Hypothalamus<br />

bei der Entstehung des CK eine entscheidende<br />

Rolle spielen könnte.<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

84. Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> (DGN) 2011<br />

Neues zum Cluster-Kopfschmerz<br />

Medikamentöse Therapie<br />

Für die Diagnosestellung ist u. a. das Ansprechen<br />

auf Sauerstoff wichtig. Empfohlen ist<br />

die Gabe von 8–12 l/min, am besten in einer<br />

sitzenden Position, über eine Mund-Nase-<br />

Maske. Ca. 80 % der Betroffenen werden<br />

innerhalb von 15 Minuten kopfschmerzfrei.<br />

Wichtig <strong>für</strong> den Therapieerfolg ist, dass Sauerstoff<br />

direkt nach Beginn der Attacke verabreicht<br />

wird. Bei der medikamentösen Akuttherapie<br />

sind zusätzlich zur Sauerstoffgabe<br />

nach wie vor Triptane die Therapie der Wahl.<br />

Vor allem die subkutane Gabe von Sumatriptan<br />

und die nasale Gabe von Zolmitriptan<br />

oder Sumatriptan führen bei ca. 40 % der<br />

PatientInnen zu einer deutlichen Schmerzre-<br />

duktion nach 15 Minuten. In der Prophylaxe<br />

sind Verapamil, die Steroide, Lithium (vor<br />

allem <strong>für</strong> die chronische Form) oder Topiramat<br />

(100–150 mg/d) die Therapie der Wahl.<br />

Interventionelle Verfahren<br />

Trotz der multimodalen Therapieangebote<br />

gibt es noch viele CK-PatientInnen, die nicht<br />

suffizient eingestellt werden können. Vor einigen<br />

Jahren konnte gezeigt werden, dass<br />

eine lokale Infiltration des N. occipitalis mit<br />

Kortikoiden und Lokalanästhetika bei 85 %<br />

der PatientInnen einen positiven Effekt auf<br />

den Schmerz hat. Basierend auf diesem Ergebnis<br />

wurden einige interventionelle Verfahren<br />

entwickelt. C. Gaul stellte eine kleine<br />

prospektive Studie vor, bei der eine beidsei-<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Cluster-Kopfschmerz (CK) ist ein heftiger, einseitiger Kopfschmerz, begleitet von trigeminoautonomen<br />

Begleiterscheinungen sowie ausgeprägter Unruhe. C. Gaul aus Essen berichtete beim DGN-Kongress über die<br />

neuesten Erkenntnisse in der Diagnostik und der Therapie des CK.<br />

54<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr.<br />

Nenad Mitrovic<br />

Abteilung <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />

Landeskrankenhaus<br />

Vöcklabruck<br />

tige N.-occipitalis-Stimulation bei 9 von 10<br />

PatientInnen mit chronischem CK zu einer<br />

Schmerzreduktion geführt hatte. Ähnliche Ergebnisse<br />

wurden von den anderen Forschungsgruppen<br />

berichtet. Das Prozedere der<br />

Elektrodenimplantation scheint nicht besonders<br />

schwierig zu sein, sollte jedoch nur in<br />

erfahrenen Zentren durchgeführt werden.<br />

Wichtig <strong>für</strong> den Therapieerfolg ist lediglich<br />

eine räumliche Nähe der Elektrode zum Nerv,<br />

ein direkter Kontakt sei nicht notwendig.<br />

Eine tiefe Hirnstimulation im Bereich des hinteren<br />

Hypothalamus führte in 2 Studien bei<br />

ca. 50 % der PatientInnen zu einer Schmerzverbesserung<br />

und kann <strong>für</strong> einzelne PatientInnen<br />

als Therapieoption in Betracht gezogen<br />

werden. Stimulationen im Bereich des<br />

Ganglion sphenopalatinum, des N. vagus<br />

oder des zervikalen Rückenmarks scheinen<br />

ebenfalls vorteilhaft <strong>für</strong> die Erkrankten zu<br />

sein, die Effektivität kann jedoch noch nicht<br />

endgültig bewertet werden. Auch wenn neue<br />

Therapiemöglichkeiten <strong>für</strong> den CK sehr erfolgversprechend<br />

erscheinen, stellt die medikamentöse<br />

Therapie nach wie vor die Basis<br />

<strong>für</strong> die Behandlung der PatientInnen dar. n<br />

FOTO: THESUPE87 - FOTOLIA.COM


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

Im Oktober fand in Amsterdam der 5. gemeinsame Kongress des europäischen und auch amerikanischen<br />

Komitees <strong>für</strong> Behandlung und Forschung bei multipler Sklerose (ECTRIMS und ACTRIMS) statt. ECTRIMS und<br />

ACTRIMS halten alle 3 Jahre eine gemeinsame Tagung ab, wobei dieses Mal die bislang größte TeilnehmerInnenzahl<br />

mit fast 7.200 registrierten BesucherInnen aus 94 Ländern zu verzeichnen war. Diese Zahl unterstreicht<br />

eindrucksvoll das weiterhin bestehende außerordentliche Interesse am Krankheitsbild multiple Sklerose. Die<br />

kürzlich innerhalb der Europäischen Union zugelassenen neuen Medikamente und die möglicherweise in naher<br />

Zukunft neu erscheinenden Therapieoptionen in diesem Bereich erklären zumindest teilweise das große Interesse.<br />

DDer Kongress bot die Möglichkeit, sich in<br />

etwa 116 freien Vorträgen sowie 1000 wissenschaftlichen<br />

Postern und zusätzlich bei<br />

einer Vielzahl von Fortbildungskursen einen<br />

breiten Überblick über die aktuellen Entwicklungen<br />

bei der multiplen Sklerose zu verschaffen.<br />

Es fällt schwer, aus dem sehr breit<br />

gefächerten Programm Themenschwerpunkte<br />

herauszuarbeiten, wobei sicherlich die<br />

neuen diagnostischen Kriterien (Überarbeitung<br />

der McDonald-Kriterien 2010) sowie die<br />

neu zugelassenen Medikamente (Fingolimod,<br />

Fampridin) und zukünftige therapeutische<br />

Entwicklungen die Schwerpunkte darstellten.<br />

Eine lokale Note erhielt das wissenschaftliche<br />

Programm durch einen Schwerpunkt mit Darstellung<br />

unterschiedlicher MRI-Techniken, die<br />

möglicherweise in den nächsten Jahren Einzug<br />

in die klinische Diagnostik halten werden.<br />

Da ein umfassender Überblick wegen des<br />

vielfältigen Programms nicht möglich ist, sollen<br />

im Folgenden einige wenige interessante<br />

Neuentwicklungen und Beobachtungen vorgestellt<br />

werden.<br />

Ausreichender Respons? In einer der ersten<br />

wissenschaftlichen Sitzungen wurde der in<br />

der Praxis manchmal sehr schwierigen Entscheidung,<br />

ob ein(e) PatientIn ausreichend<br />

auf die jeweilige Therapie anspricht, Rechnung<br />

getragen. Dabei stellte M. Romeo<br />

Daten aus einer Mailänder Untersuchung vor,<br />

in der serielle MRI-Daten von ursprünglich<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

668 PatientInnen bis zu einem Zeitraum von<br />

5 Jahren untersucht wurden. Es zeigte sich,<br />

dass 15,4 % 3 oder mehr aktive Läsionen 6<br />

oder 12 Monate nach Therapiebeginn mit<br />

einem Interferon-beta oder Glatiramerazetat<br />

aufwiesen. Dabei wurde ein 1–4-fach erhöhtes<br />

Risiko eines klinischen Nichtansprechens<br />

des Medikaments nach 5 Jahren erhoben,<br />

sobald die PatientInnen innerhalb des ersten<br />

Jahres 2 oder mehr aktive Läsionen im MRI<br />

zeigten. In der gleichen Sitzung stellte Prof.<br />

Tintoré aus Barcelona aufgrund von Daten<br />

von weiteren Studien ebenfalls fest, dass<br />

mehr als 2 Läsionen im MRI nach einjähriger<br />

Therapie sehr eng mit einem Nichtansprechen<br />

auf ein Medikament korrelierten. Prof.<br />

Tintoré schlug als Definition <strong>für</strong> nicht ausreichendes<br />

Ansprechen und Indikation zur Umstellung<br />

vor, wenn mindestens 2 der 3 folgenden<br />

Parameter <strong>für</strong> einen nicht optimalen<br />

Therapieerfolg vorliegen:<br />

Schübe<br />

MRI-Aktivität<br />

zunehmende Behinderung<br />

Neu zugelassenene Medikamente: Die Satellitensymposien<br />

der Firmen Biogen-Idec und<br />

Novartis, in denen die in diesem Jahr neu zu -<br />

gelassenen Medikamente Fampridin (Fampyra ®<br />

in Europa, Ampyra ® in Nordamerika) sowie<br />

Fingolimod (Gilenya ® ) vorgestellt wurden,<br />

fanden sehr großes Interesse. Amit Bar-Or<br />

aus Montreal in Kanada erklärte den Wirk-<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

5. gemeinsamer ECTRIMS-ACTRIMS-Kongress<br />

2011, Amsterdam<br />

60<br />

OA Priv.-Doz. Dr.<br />

Jörg Kraus<br />

Universitätsklinik<br />

<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />

Christian-Doppler-Klinik,<br />

Salzburg<br />

mechanismus von Fingolimod. Dabei kommt<br />

es durch eine Blockade des Sphingosin-1-Rezeptors<br />

dazu, dass Lymphozyten im Lymphknoten<br />

zurückgehalten werden. Es wurden<br />

erneut die Daten aus den beiden Zulassungsstudien,<br />

TRANSFORMS und FREEDOMS, vorgestellt,<br />

wobei sich hier eine etwa 50%ige<br />

Schubratenreduktion im Vergleich zu wöchentlich<br />

intramuskulär applizierten Interferon-Beta<br />

1a und auch zu Placebo zeigte. Prof.<br />

Kieseier aus Düsseldorf sowie Prof. Singer aus<br />

St. Louis, USA, stellten in ihrer gemeinsamen<br />

Präsentation ihre Erfahrungen mit dem neuen<br />

Medikament dar. Sie berichteten übereinstimmend,<br />

dass das orale Medikament von den<br />

von ihnen behandelnden PatientInnen ausgezeichnet<br />

vertragen wird, wobei entsprechend<br />

der Zulassung innerhalb der EU Fingolimod<br />

nur bei hoch aktiven PatientInnen,<br />

überwiegend in der Therapieeskalation eingesetzt<br />

wird. Demgegenüber ist die Zulassung<br />

in den USA auch als First-Line-Präparat<br />

gegeben.<br />

PML-Risiko: Im Satellitensymposium der<br />

Firma Biogen-Idec wurden von Prof. Soelberg


Sørensen aus Kopenhagen, Dänemark, die<br />

aktuellen Erkenntnisse aus dem STRATIFY-<br />

Programm vorgestellt. Das STRATIFY-Programm<br />

dient der Evaluierung des Risikos des<br />

Auftretens einer progressiven multifokalen<br />

Leukenzephalopathie (PML) unter Therapie<br />

mit Natalizumab. Als Risikofaktoren <strong>für</strong> das<br />

Auftreten einer PML sind sowohl eine mehr<br />

als 24-monatige Tysabri ® -Therapie als auch<br />

die Vorbehandlung mit einem Immunsuppressivum<br />

anzusehen. Laut aktuellen Erkenntnissen<br />

gibt weiters die Durchführung<br />

eines JC-Virus-Antikörpertests Auskunft über<br />

das zu erwartende PML-Risiko. Dieses Risiko<br />

ist insbesondere beim Vorliegen eines negativen<br />

JC-Antikörperbefundes als sehr gering<br />

einzuschätzen.<br />

Prof. Berger aus Innsbruck gab dem Symposium<br />

eine österreichische Note, wobei er in<br />

einem sehr anschaulichen Vortrag über den<br />

möglichen Nutzen einer Fampridin-Behandlung<br />

referierte. Dabei berichtete Prof. Berger,<br />

dass es laut aktueller Datenlage unter Fampridin<br />

bei etwa 40 % der behandelten PatientInnen<br />

zu einer Verbesserung des Gehens<br />

kommt. Besondere Vorteile sind die orale Verabreichungsform,<br />

die gute Verträglichkeit,<br />

aber auch die Möglichkeit, dass von Fampridin<br />

auch MS-Betroffene mit den chronisch<br />

progredienten Verlaufsformen der multiplen<br />

Sklerose profitieren können, <strong>für</strong> die die sonstigen<br />

Therapieoptionen bekanntermaßen<br />

sehr begrenzt sind.<br />

DEFINE-Studie: Ganz sicher war die Präsentation<br />

der Daten aus der DEFINE-Studie durch<br />

Prof. Gold aus Bochum eines der wohl am<br />

meisten erwarteten wissenschaftlichen Kongresshighlights.<br />

In dieser Phase-III-Studie wurden<br />

2 unterschiedliche Dosierungen des Medikaments<br />

BG-12 im Vergleich zu Placebo an<br />

1.237 PatientInnen mit schubförmig remittierender<br />

multipler Sklerose untersucht. Dabei<br />

zeigten beide Dosierungen des oralen Medikaments<br />

mit Wirkstoff Fumarsäure eine etwa<br />

50%ige Reduktion der Schubrate im Ver-<br />

gleich zu Placebo. Interessanterweise war die<br />

nur zweimalige Verabreichung von 240 mg<br />

der dreimaligen Dosierung überlegen – sowohl<br />

in Bezug auf die Schubrate als auch<br />

auf die Krankheitsprogression.<br />

Als häufigste Nebenwirkungen wurde eine<br />

Flush-Symptomatik berichtet, die sich zumeist<br />

nach einmonatiger Therapie zurückbildete.<br />

Da ein weiteres Fumarsäure-Präparat seit vielen<br />

Jahren in Deutschland in der Therapie<br />

der Psoriasis eingesetzt wird und dazu sehr<br />

gute Sicherheitsdaten existieren, ist es anhand<br />

der aktuellen Studiendaten wahrscheinlich,<br />

dass das Präparat in relativ naher Zukunft<br />

zur Behandlung der schubförmig remittierenden<br />

multiplen Sklerose eingesetzt werden<br />

kann.<br />

TEMSO-Studie: In einem Poster wurden von<br />

Prof. O’Connor aus Toronto, Kanada, die<br />

Daten der so genannten TEMSO-Studie, einer<br />

Phase-III-Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit<br />

von Teriflunomid bei schubförmig remittierender<br />

multipler Sklerose präsentiert.<br />

Dabei ergab sich bei untersuchten 1.088 PatientInnen<br />

über 2 Jahre eine 31,2%ige beziehungsweise<br />

31,5%ige Schubratenreduktion<br />

von 7 mg beziehungsweise 14 mg Teriflunomid<br />

im Vergleich zu Placebo. Auch<br />

Teriflunomid wurde sehr gut vertragen, die<br />

häufigste Nebenwirkung war ein Leberwertanstieg.<br />

Ocrelizumab: Auf großes Interesse stießen<br />

weiters die Studiendaten aus der Phase-II<br />

über den monoklonalen Antikörper Ocrelizumab,<br />

der gegen B-Zellen gerichtet ist. Prof.<br />

Kappos aus Basel präsentierte die eindrucksvollen<br />

Studiendaten unter anderem auf<br />

einem Poster. Dabei konnte nach 24 Wochen<br />

eine 73%ige beziehungsweise 80%ige Reduktion<br />

der jährlichen Schubrate unter Ocrelizumab<br />

im Vergleich zu Placebo erhoben<br />

werden. Es wurde weiters festgehalten, dass<br />

bei dem allerdings sehr kurzen Untersuchungszeitraum<br />

von 220 PatientInnen Ocre-<br />

lizumab gut vertragen wurde und keine opportunistischen<br />

Infektionen auftraten.<br />

Langzeit-Follow-up: Weiters wurden die<br />

Daten aus den Langzeitverlängerungserhebungen<br />

der Phase-II-Studien <strong>für</strong> Fingolimod<br />

und Teriflunomid präsentiert. Die 5-Jahres-<br />

Daten <strong>für</strong> Fingolimod zeigen eine weiterhin<br />

niedrige jährliche Schubrate von 0,17 bis 0,19<br />

bei sehr guter Verträglichkeit. Ebenso zeigten<br />

die 9-Jahres-Follow-up-Daten der Phase-II-Studie<br />

von Teriflunomid <strong>für</strong> die beiden untersuchten<br />

Dosierungen von 7 mg und 14 mg ein<br />

sehr gutes Sicherheitsprofil.<br />

Therapieumstellung: Schließlich soll noch<br />

über 2 überraschende und auch zum Nachdenken<br />

anregende Studien berichtet werden.<br />

Es wurden in Britisch-Kolumbien, Kanada,<br />

knapp 1.900 PatientInnen und in Australien<br />

mehr als 1.100 PatientInnen untersucht.<br />

Dabei zeigte sich in Kanada ein mittlerer Zeitraum<br />

von nur 2,9 Jahren und in Australien<br />

sogar nur von 1,8 Jahren bis die PatientInnen<br />

von ihrer primären immunmodulatorischen<br />

Basistherapie auf ein Alternativpräparat umgestellt<br />

wurden. In der kanadischen Studie<br />

konnte kein Unterschied im Verhalten <strong>für</strong><br />

eine Medikamentenumstellung im Zeitraum<br />

von 1999 bis 2009 nachgewiesen werden.<br />

Weiters konnte nicht erhoben werden, ob<br />

die Therapieumstellung jeweils gerechtfertigt<br />

war. Die AutorInnen beider Studien kamen<br />

zu dem Schluss, dass dieses Ergebnis weiter<br />

genauer untersucht werden muss, da diese<br />

Daten in der Praxis eine enorme Relevanz<br />

aufweisen.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden,<br />

dass bei der multiplen Sklerose im Moment<br />

vieles im Umbruch ist, wobei sich durch<br />

die aktuellen neuen Therapien das Behandlungsspektrum<br />

deutlich verbessert hat und<br />

sich <strong>für</strong> die nahe Zukunft in wenigen Jahren<br />

weitere interessante Therapiealternativen ergeben<br />

werden. n<br />

61


GASTARTIKEL<br />

Zufallsbefunde bei<br />

neurowissenschaftlichen Studien<br />

KONTEXT: Derzeit lässt sich eine geradezu atemberaubende Expansion neurowissenschaftlicher<br />

Studien beobachten, die der Wissenschaft und letztlich auch dem alltäglichen<br />

menschlichen Erleben zugutekommen sollen. Beginnend von rein wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />

bis hin zu therapeutischen oder auch marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten<br />

ist die Palette der zu erwartenden – oder jedenfalls erhofften – Einflussnahmen aufgrund<br />

neurobiologischer Untersuchungen breit gefächert. Dies kann bisweilen auch groteske<br />

Formen annehmen, als etwa gezeigt werden konnte, dass häufig allein schon durch das<br />

Hinzufügen von Screening-Bildern (PET, fMRT) zu Vorträgen oder öffentlichen Präsentationen<br />

von den HörerInnen oder LeserInnen eine größere Wissenschaftlichkeit und damit<br />

wohl auch Wahrheitsfähigkeit (immerhin wird gewöhnlich den Wissenschaften die Suche<br />

nach Wahrheit nachgesagt) unterstellt wird.<br />

Es ist wenig überraschend, wenn verstärkt auf – zumeist recht kostspielige – neurowissenschaftliche<br />

Studien abgestellt wird. Die bereits 1990 von George Bush sen. ausgerufene<br />

„Dekade des Gehirns“ hat sich längst über das Jahr 2000 hinaus als breiter Forschungsstrom<br />

etabliert und verfolgt ungebremst das Ziel der Entzauberung des Gehirns, korreliert<br />

mit Erwartungen und Hoffnungen im Hinblick auf Verbesserungen, Erweiterungen, Einflussnahmen<br />

(alles unter Enhancement subsumierbar) und Therapiemöglichkeiten. Dies<br />

kann und muss durchaus begrüßt werden, wenngleich zwischen formulierten Ansprüchen,<br />

erregten Zukunftshoffnungen und faktisch Realisierbarem kritisch zu unterscheiden ist.<br />

Unstrittig sind damit freilich auch große monetäre Gesichtspunkte im Blick, sowohl auf<br />

der Seite der Industrie (Pharma, Rüstung usw.) als auch auf der Seite von wissenschaftlichen<br />

Projektfinanzierungen (Drittmittel).<br />

EEs ist von enormer Bedeutung, diese rasant<br />

fortschreitende neurowissenschaftliche Forschung<br />

mit ihren immer besseren und detailreicheren<br />

Instrumentarien (PET, fMRT, SPECT)<br />

mit kritisch-ethischen Fragestellungen und<br />

Differenzierungen zu begleiten. Dies ist aber<br />

leider schon aufgrund der Geschwindigkeit<br />

der Forschungsvorhaben und der daraus resultierenden<br />

Ergebnisse nur in eingeschränktem<br />

Umfang zu erreichen, so dass die notwendige<br />

ethische Begleitbearbeitung meist<br />

hinterherhinkt und immer wieder auch zu<br />

spät kommt. Zwar ist es vielerorts Usus, neurowissenschaftliche<br />

Studienprojekte durch<br />

entsprechend installierte Ethikkommissionen<br />

auf ihre ethische Verträglichkeit hin zu begutachten.<br />

Gleichwohl ergeben sich zahlreiche<br />

ethisch relevante Fragestellungen auch<br />

abseits dieser herkömmlichen Begutachtungsprozesse.<br />

An dieser Stelle soll lediglich einer von vielen<br />

Problembereichen herausgegriffen werden,<br />

der zunehmend der Aufmerksamkeit bedürfen<br />

wird. Dabei geht es einerseits auch um<br />

die ethische wie möglicherweise auch in Zukunft<br />

um die rechtliche Selbstverortung von<br />

ForscherInnen im Bereich neurobiologischer<br />

Studien, andererseits aber um Klärungsprozesse,<br />

die nicht allein bei den betroffenen<br />

ForscherInnen angesiedelt bleiben können,<br />

sondern einer umfangreicheren Strategiebildung<br />

zugeführt werden müssen.<br />

Informed Consent<br />

und Zufallsbefunde<br />

Neurowissenschaftliche Studien oder Untersuchungen<br />

umreißen zunächst bestimmte<br />

abgegrenzte Zielvorstellungen, die detailliert<br />

formuliert und dokumentiert werden müssen.<br />

Diese Studienvorhaben müssen sodann<br />

einer ethischen Begutachtung unterzogen<br />

werden, die mit bestimmten Bewertungskriterien<br />

die ethische Verträglichkeit eruiert.<br />

Ass.-Prof. Dr. Andreas Klein<br />

Assistenzprofessor am Institut<br />

<strong>für</strong> Systematische Theologie<br />

und Religionswissenschaft der<br />

Evangelisch-Theologischen<br />

Fakultät, Interner Mitwirkender<br />

am Institut <strong>für</strong> Ethik und Recht<br />

in der Medizin, Wien<br />

Dabei wird das Augenmerk u. a. auf die entsprechende<br />

Informationspflicht und auf einen<br />

hinreichenden „informed consent“ gelegt,<br />

auf entsprechende Ausstiegsszenarien aus<br />

dem Experiment (Widerrufsrecht), auf die Einwilligungsfähigkeit<br />

der ProbandInnen, auf<br />

das Prinzip des Nichtschadens und der Nichttäuschung<br />

(jeweils unter spezifischen Bedingungen<br />

der Ausrichtung der Untersuchung),<br />

auf die adäquate Einhaltung von Datenschutzbestimmungen,<br />

auf moderate (finanzielle)<br />

Anreize usw. gelegt. Diese Bedingungen<br />

müssen von den VersuchsleiterInnen<br />

bzw. vom geplanten Experiment erfüllt sein<br />

und auch dezidiert angegeben werden. Es<br />

besteht zumeist die Möglichkeit, bei Bedarf<br />

entsprechende Anpassungen des Versuchsdesigns<br />

vorzunehmen.<br />

Nun bringen es neurowissenschaftliche Studienprojekte<br />

aufgrund ihrer technischen und<br />

methodischen Ausstattung mit sich, dass<br />

neben den primär anvisierten Untersuchungszielen<br />

auch andere bzw. zusätzliche Ergebnisse<br />

zutage treten können, die ursprünglich<br />

nicht Gegenstand des Projekts waren. So<br />

können etwa neuronale Abweichungen, Abnormitäten<br />

oder auch pathologische Gehirnveränderungen<br />

sichtbar werden, etwa Tumoren<br />

oder künftig auch die Möglichkeit von<br />

Demenzprognosen – ganz zu schweigen von<br />

der eventuell zur Verfügung stehenden Möglichkeit,<br />

auch Neigungen wie z. B. zu Aggressivität<br />

oder Suizid zu erkennen. Wie mit<br />

diesen Zufallsbefunden (incidental findings)<br />

umzugehen ist, ist bislang nicht hinreichend u<br />

83


GASTARTIKEL<br />

geklärt und bedarf der umsichtigen, kritischen<br />

Erörterung. Die Inzidenz klinisch relevanter<br />

Zufallsbefunde wird gewöhnlich mit<br />

1–8 % (bzw. 3–6 %) be ziffert. Dabei ist festzuhalten,<br />

dass solche unerwarteten Befunde,<br />

sofern sie auf pathologische Bedingungen<br />

verweisen, <strong>für</strong> den Betreffenden erhebliche<br />

persönliche Konsequenzen und psychische<br />

Belastungen nach sich ziehen können (Einschränkung<br />

der Berufsausübung, Konsequenzen<br />

<strong>für</strong> den/die ArbeitgeberIn oder auch<br />

<strong>für</strong> Lebensversicherungen).<br />

Nun ist allerdings das Verhältnis zwischen<br />

ForscherInnen und ProbandInnen ein grundsätzlich<br />

anderes als jenes zwischen ÄrztInnen<br />

und PatientInnen. Das Verhältnis zwischen<br />

ÄrztIn und PatientIn ist durch die Notwendigkeit<br />

therapeutischen Handelns und des individuellen<br />

therapeutischen Nutzens <strong>für</strong><br />

den/die PatientIn charakterisiert. Grundprinzipien<br />

sind dabei das Gebot des therapeutischen<br />

Nutzens und jenes der Einwilligung<br />

des/der PatientIn als Wahrnehmung der<br />

Selbstbestimmung bzw. der eigenen Autonomie.<br />

Diese Charakteristika weist das Verhältnis<br />

zwischen ForscherInnen und ProbandInnen<br />

nicht auf. Gleichwohl können auftretende<br />

Zufallsbefunde <strong>für</strong> ForscherInnen ethische<br />

Problemsituationen erzeugen, so etwa, wenn<br />

der/die ProbandIn keine Mitteilung über Zufallsbefunde<br />

wünscht (das ist sein Recht auf<br />

Wahrnehmung der eigenen Autonomie),<br />

diese gleichwohl von klinischer Relevanz sind.<br />

Dieses Problem kann sich dadurch steigern,<br />

wenn von der Gehirnpathologie auch Dritte<br />

betroffen sein können (etwa bei Fahrunfähigkeit<br />

oder Einschränkung der Berufsausübung<br />

usw.). Problematisch wird es aber<br />

auch, wenn eine Gehirnpathologie entdeckt<br />

wird, <strong>für</strong> diese aber (derzeit) keine Therapie<br />

zur Verfügung steht. Hier sind insgesamt sowohl<br />

seitens der ForscherInnen als auch seitens<br />

der ProbandInnen Unsicherheiten verbunden,<br />

die einer eingehenden Bearbeitung<br />

bedürfen.<br />

84<br />

Zufallsbefund<br />

und weitere Schritte<br />

Angesichts dieser offensichtlichen Szenarien<br />

wäre primär im Hinblick auf bildgebende<br />

Hirnstudien darauf zu drängen, dass im Rahmen<br />

des informed consent in Bezug auf das<br />

jeweilige Studienprojekt auch eine hinreichende<br />

Aufklärung des/der ProbandIn über<br />

mögliche Zufallsbefunde erfolgt. Dies sollte<br />

fester Bestandteil des Informationsgesprächs<br />

bei neurowissenschaftlichen Studien werden<br />

und auch von den zuständigen Ethikkommissionen<br />

als Beurteilungskriterium herangezogen<br />

werden.<br />

Damit ist freilich noch nichts darüber gesagt,<br />

was bei einer positiven hirnpathologischen<br />

Diagnose als nächster Schritt zu erfolgen<br />

habe. Es kann und darf jedenfalls nicht sein,<br />

dass der/die ProbandIn bei Mitteilung einer<br />

derartigen Diagnose am Ende ohne Hilfestellung<br />

zurückbleibt (dies würde auch gegen<br />

das Nichtschadenprinzip verstoßen). Es muss<br />

auf jeden Fall von dem/der ForscherIn zeitnah<br />

ein Gespräch angeboten werden, das auch<br />

<strong>für</strong> Rückfragen offen ist und mögliche weitere<br />

Schritte in Aussicht stellt. Wünschenswert<br />

wäre, vor der Mitteilung eines solchen<br />

Befundes die Expertise eines/einer Neuroradiologen/-in<br />

einzuholen und eventuell auch<br />

einen/eine EthikerIn zu Rate zu ziehen.<br />

In diesem Kontext ist auch zu diskutieren,<br />

wie es um eventuelle Haftungsverpflichtungen<br />

steht: Obliegt dem/der ForscherIn überhaupt<br />

– und wenn ja, ab wann? – eine Haftungsverpflichtung?<br />

Nicht ratsam erscheint<br />

der mancherorts betretene Weg (etwa am<br />

National Institute of Health), zu einer neurowissenschaftlichen<br />

Studie zusätzlich eine klinische<br />

Bildgebung durchzuführen und eine<br />

zusätzliche Befundung vorzunehmen. Dies<br />

hätte neben anderen unangenehmen Konsequenzen<br />

auch sichtbare Folgen <strong>für</strong> das gesamte<br />

Gesundheitssystem und die damit korrelierte<br />

Gesundheitsökonomie.<br />

Prinzipiell sollte eine Rollenvermischung (Arzt/<br />

Ärztin/PatientIn – ForscherIn/ProbandIn) vermieden<br />

werden. ForscherInnen sollten eine<br />

eng umgrenzte Ziel- und Methodenwahl anstreben.<br />

Ob es aber sinnvoll ist, vor der Studie<br />

eine Einwilligung des/der Probanden/-in zu<br />

einer Mitteilung eines eventuell auftretenden<br />

Zufallsbefundes einzuholen, ist m. E. noch<br />

weiterzudiskutieren. Immerhin steht damit<br />

das legitime Prinzip des Rechtes auf Nichtwissen<br />

auf dem Spiel. Verweigert man potenziellen<br />

ProbandInnen die Teilnahme an<br />

einer Studie lediglich aus dem Grund, dass<br />

der/die ProbandIn sein/ihr Recht auf Nichtwissen<br />

in Anspruch nimmt, scheint diese Strategie<br />

primär eventuellen Haftungsansprüchen<br />

aus dem Weg gehen zu wollen.<br />

Angemessene Mitteilung<br />

Ein veritables Problem stellt das der angemessenen<br />

Mitteilung von Zufallsbefunden<br />

dar. Hier lohnt ein Blick in das <strong>Österreichische</strong><br />

Gentechnikgesetz (GTG), vor allem § 71 (2)<br />

2.: „Der untersuchten Person sind unerwartete<br />

Ergebnisse mitzuteilen, die von unmittelbarer<br />

klinischer Bedeutung sind oder nach<br />

denen sie ausdrücklich gefragt hat. Diese Mitteilung<br />

ist insbesondere dann, wenn die untersuchte<br />

Person nicht danach gefragt hat,<br />

so zu gestalten, dass sie auf die untersuchte<br />

Person nicht beunruhigend wirkt; in Grenzfällen<br />

kann diese Mitteilung gänzlich unterbleiben.“<br />

Dieser Text bezieht sich auf Genanalysen (zu<br />

wissenschaftlichen und medizinischen Zwekken),<br />

die unter bestimmten Bedingungen (Indikation,<br />

Informations- und Aufklärungsgespräch,<br />

Datenschutz usw.) durchgeführt werden.<br />

In dieser Passage wird zunächst<br />

festgehalten, dass unerwartete Ergebnisse<br />

der untersuchten Person mitzuteilen sind, sofern<br />

diese von klinischer Relevanz sind – oder<br />

wenn die Person dezidiert nach diesen gefragt<br />

hat. Gleichwohl kann in Grenzfällen auf<br />

diese Mitteilung verzichtet werden. Diese Angaben<br />

sind freilich vage und präzisierungs-


edürftig. Denn zunächst fragt eine zu untersuchende<br />

Person nicht nach spezifischen<br />

unerwarteten Ergebnissen (woher soll man<br />

diese ohne Fachexpertise wissen), sondern<br />

höchstens generell nach unerwarteten Ergebnissen.<br />

Fragwürdig ist jedoch, was unter<br />

„Grenzfällen“ verstanden wird und wer hier<br />

der/die EntscheidungsträgerIn ist – auch im<br />

Hinblick auf eventuelle Haftungsfragen.<br />

Ethische und<br />

kommunikative Kompetenz<br />

Problematisch ist jedoch auch der mittlere<br />

Abschnitt, sofern davon die Rede ist, dass<br />

die jeweilige Mitteilung so zu gestalten ist,<br />

dass sie nicht beunruhigend auf die untersuchte<br />

Person wirkt. Bei Genanalysen ebenso<br />

wie bei bildgebenden Hirnuntersuchungen ist<br />

doch gerade häufig davon auszugehen, dass<br />

unerwartete Ergebnisse von sich aus beunruhigend<br />

sind und erhebliche psychische und<br />

persönliche Konsequenzen zu erwarten sind.<br />

Um überhaupt annähernd dieser idealtypischen<br />

Forderung gerecht zu werden, bedürfte<br />

es jedoch seitens der mitteilenden Person<br />

(ForscherIn oder Arzt/Ärztin) entsprechender<br />

ethischer wie kommunikativer Kompetenzen.<br />

Es kann jedoch nicht von vornherein davon<br />

ausgegangen werden, dass ForscherInnen<br />

oder Ärzte/-innen diese Kompetenzen schon<br />

qua Berufsbild bzw. Berufsbeschreibung aufweisen.<br />

ForscherInnen und Ärzte/-innen sind<br />

zunächst durch ihre jeweilige Fachkompetenz<br />

charakterisiert, zu welcher jedoch die angesprochenen<br />

Kompetenzen nicht ohne Weiteres<br />

zu zählen sind. Zudem könnte es zu einer<br />

vermehrten Überforderung des Berufsbildes<br />

beitragen, auch diese Kompetenzen – wenn<br />

möglich noch in einer überprüf- und evaluierbaren<br />

Form – noch aufzubringen, sind<br />

diese doch bereits in der jeweiligen Ausbildungsphase<br />

keineswegs intensiver integraler<br />

Bestandteil.<br />

Offenbar verlässt man sich hier durchaus noch<br />

auf so etwas wie einen „gesunden Menschenoder<br />

Hausverstand“, was freilich ein trügerisches<br />

Vertrauen darstellen kann, wie wir aus<br />

historischen Erinnerungen wissen. Sollte dennoch<br />

auf diese weiterreichenden Kompetenzen<br />

abgestellt werden, wäre es vonnöten,<br />

diese bereits in der Ausbildungsphase (also<br />

bereits im Studium und darüber hinaus) fest<br />

zu installieren und <strong>für</strong> entsprechende Weiterbildungen<br />

zu sorgen.<br />

Andernfalls wäre auf adäquat geschulte und<br />

erfahrene, ethisch, kommunikativ und psychologisch<br />

versierte Fachpersonen oder Ethikkomitees<br />

zu rekurrieren. Dies würde auch eine<br />

entsprechende Entlastungsfunktion <strong>für</strong> ForscherInnen<br />

und ÄrztInnen nach sich ziehen.<br />

Gleichwohl bedürften aber auch Ethikkomitees,<br />

wie sie beispielsweise im Bereich der<br />

Palliativmedizin vermehrt installiert werden<br />

(aber eben nicht nur dort), ihrerseits der ethischen,<br />

rechtlichen und kommunikativen<br />

Kompetenz. Es ist jedenfalls durchaus erstaunlich,<br />

dass eigens ausgewiesene Ethike-<br />

rInnen hier nur recht rudimentär einbezogen<br />

werden. Jedenfalls wäre es wünschenswert,<br />

dass einerseits Ethikkomitees in noch breiterer<br />

Form eingesetzt werden und dass andererseits<br />

auch in rechtlicher und ethischer Hinsicht<br />

diese Komitees mit prinzipiellen und bereits<br />

häufig als Standard anerkannten<br />

Guidelines versehen werden, die <strong>für</strong> alle Komitees<br />

verbindlich sind und von diesen auch<br />

nicht jeweils eigens erarbeitet zu werden<br />

brauchen. So ließen sich flächendeckend<br />

Standards etablieren, die auch zu einer weiteren<br />

wünschenswerten Transparenzbildung<br />

innerhalb des Gesundheitswesens beitragen.<br />

Insgesamt muss gesagt werden, dass Ethikkomitees<br />

eine wichtige Bereicherung im klinischen<br />

Bereich und somit auch eine enorme<br />

Entlastungsfunktion darstellen (können) und<br />

nicht als Einschränkung von Entscheidungsprozessen<br />

betrachtet werden dürfen/sollten.<br />

Um die jeweiligen Entscheidungen kommt<br />

man so oder so nicht herum, mit Ethikkomitees<br />

lassen sich diese aber auf eine breitere<br />

Grundlage stellen und sind nicht in gleicher<br />

Weise abhängig von den einzelnen persönlichen<br />

Charakteristika der EntscheidungsträgerInnen.<br />

n<br />

Literatur:<br />

- Schleim S et al., Zufallsbefunde in der bildgebenden<br />

Hirnforschung. Empirische, rechtliche und ethische<br />

Aspekte, Nervenheilkunde 2007; 26:1041–1045<br />

- Heinemann T et al., Zufallsbefunde bei bildgebenden<br />

Verfahren in der Hirnforschung. Ethische Überlegungen<br />

und Lösungsvorschläge, Deutsches Ärzteblatt 2007;<br />

104/27:1982–1987<br />

- Check E, Brain-scan ethics come under the spotlight,<br />

Nature 2005; 433:185<br />

85


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schlafstörungen<br />

Nächtliche Autofahrten – ein unterschätztes Risiko<br />

Nach der Unfallstatistik des Bundesministeriums<br />

<strong>für</strong> Inneres wurden im Jahr 2010 auf<br />

österreichischen Straßen 552 Personen getötet.<br />

Bei „nur“ 28 Verkehrstoten wird Übermüdung<br />

als Hauptunfallursache vermutet.<br />

Doch die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen,<br />

da viele Unfälle mit typischen müdigkeitsbedingten<br />

Merkmalen als „Abkommensunfälle“<br />

oder „Alleinunfälle“ eingeordnet<br />

werden, vor allem, wenn es keinerlei Spuren<br />

bzw. Unfallgegner gibt. Empirische Studien<br />

zum nächtlichen Fahrverhalten sind selten,<br />

und fast alle Untersuchungen wurden an<br />

Fahrsimulatoren durchgeführt. Inwiefern<br />

Ergebnisse dieser Studien auch auf eine reale<br />

nächtliche Fahrsituation zu übertragen sind,<br />

kann meist nicht geklärt werden.<br />

Übermüdung, Sekundenschlaf und<br />

Power Nap: Aus diesem Grund wurden in<br />

Zusammenarbeit mit SchlafexpertInnen der<br />

Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> der Medizinischen<br />

Universität Wien, dem Institut <strong>für</strong><br />

Schlaf-Wach-Forschung (ISWF), dem ÖAMTC<br />

und der ASFINAG eine Studie zu den Auswirkungen<br />

nächtlicher Autofahrten durchgeführt.<br />

Das Versuchsdesign sah vor, unter<br />

möglichst realitätsnahen Bedingungen, aber<br />

unter Gewährleistung eines Optimums an<br />

Fahrsicherheit freiwillige Testpersonen während<br />

einer nächtlichen Autofahrt in Hinblick<br />

auf übermüdungsbedingte Fahrfehler bzw.<br />

auf Anzeichen von Sekundenschlaf hin zu<br />

untersuchen. Die idealen Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> eine solche Studie fanden sich am<br />

ÖAMTC-Fahrtechnikzentrum in Teesdorf/Niederösterreich<br />

(Abb. 1).<br />

86<br />

Abb. 1: ÖAMTC-Fahrtechnikzentrum in Teesdorf/Niederösterreich<br />

Darüber hinaus sollte das Projekt auch klären,<br />

wie sich eine kurze Schlafpause („Power<br />

Nap“) während einer Nachtfahrt auf die<br />

Befindlichkeit und die Fahrleistung auswirken.<br />

In verschiedenen Studien konnte gezeigt<br />

werden, dass ein so genanntes „Power Napping“<br />

eine Möglichkeit darstellt, in kurzer<br />

Zeit höchst effiziente Erholung zu gewähren,<br />

jedoch nur, wenn die Schlafpause eine Dauer<br />

von 30 Minuten nicht überschreitet. Nur<br />

dadurch kann ein Abgleiten in tiefere Schlafstadien<br />

vermieden werden, da sonst der<br />

Erholungseffekt durch die dem Erwachen<br />

nachfolgende Schlaftrunkenheit reduziert<br />

wird. In wenigen Studien wurden bis dato<br />

Schlafpausen während einer nächtlichen<br />

Autofahrt untersucht, vor allem in jener Zeit,<br />

wenn der Schlafdruck am größten ist (zwischen<br />

3 und 6 Uhr morgens).<br />

Die Studie: Als TestfahrerInnen wurden<br />

gesunde Frauen und Männer im Erwachsenenalter<br />

ausgesucht, mit ausreichender Lenkerfahrung<br />

(Führerschein seit mindestens 7<br />

Jahren und eine jährliche Fahrdistanz von ca.<br />

10.000 km), die jedoch keine BerufskraftfahrerInnen<br />

waren. Gefahren wurde selbst, ohne<br />

BeifahrerIn im eigenen (gewohnten) Wagen<br />

während 2.00 und 4.00 Uhr in der Nacht auf<br />

einem Rundparcours am Testgelände in Teesdorf/Niederösterreich.<br />

Die Autos der StudienteilnehmerInnen<br />

wurden mit Überwachungsgeräten<br />

(GPS-Sender, Videokameras, tragbare<br />

EEG-Geräte) ausgestattet, und alle Daten<br />

wurden auch aufgezeichnet (Abb. 2). Jeweils<br />

vor Fahrtantritt und nach der Fahrt mussten<br />

die TestfahrerInnen eine Reihe von Fragebögen<br />

(z. B. Karolinska-Schläfrigkeitsskala,<br />

Beurteilung der Befindlichkeit) und psycho-


metrische Tests durchführen (Aufmerksamkeits-<br />

und Konzentrationstests).<br />

Nach eineinhalb Stunden Fahrzeit hatte ein<br />

Teil der FahrerInnen die Möglichkeit, eine<br />

30-minütige Pause zu machen, in der sie<br />

auch schlafen konnten. Die Zuteilung zu<br />

einer der Gruppen erfolgte per Los. Danach<br />

mussten sie nochmals <strong>für</strong> eine halbe Stunde<br />

auf die Fahrstrecke. Um zu kontrollieren, ob<br />

die TestfahrerInnen in der Pause auch tatsächlich<br />

schlafen konnten, wurde eine<br />

Schlaf-Polygrafie (PSG) durchgeführt. Um<br />

den Effekt der Schlafpause auf Aufmerksamkeit,<br />

Konzentration, Reaktionsgeschwindigkeit,<br />

Befindlichkeit und Müdigkeit<br />

zu untersuchen, wurden die Ergebnisse der<br />

Testung vor den Nachtfahrten mit denen<br />

danach verglichen.<br />

Für die Teilnahme an der Studie wurden 60<br />

Personen ausgewählt (Durchschnittsalter:<br />

40,8a +/–7,03; 26 Frauen). Die Testfahrten<br />

fanden zwischen September und Dezember<br />

2010 statt, und jede Person musste in den<br />

Testnächten etwa 80 km zurücklegen.<br />

Abb. 2: Datenaufzeichnung während der Testfahrten<br />

Vorläufige Ergebnisse: Nach den nächtlichen<br />

Autofahrten zeigte sich bei allen StudienteilnehmerInnen<br />

ein hohes Maß an subjektiv<br />

empfundener Müdigkeit/Schläfrigkeit.<br />

Allerdings waren die objektiv nachweisbaren<br />

Einschränkungen in der Aufmerksamkeitsund<br />

Konzentrationsleistung nicht so gravierend,<br />

dass gröbere Fehler beim Lenken der<br />

Fahrzeuge auftraten.<br />

Bei 20 der 28 TestfahrerInnen in der „Schlafpausenbedingung“<br />

(11 Frauen, 17 Männer)<br />

wurde eine PSG durchgeführt, und 12 Personen<br />

(63 %) sind auch nachweislich eingeschlafen<br />

(darunter 6 Frauen). Im Durchschnitt<br />

benötigten die TestfahrerInnen 10 Minuten,<br />

um einzuschlafen. 2 Personen schliefen nur<br />

leicht, allerdings mit den typischen Merkmalen<br />

des Schlafstadiums N1 (Vigilanzabfall,<br />

Verlangsamung der kortikalen Aktivität), 8 zeigten<br />

Charakteristika des Stadium N2 (Schlafspindeln<br />

und K-Komplexe), und 2 Personen<br />

erreichten das Stadium N3 (Deltawellen).<br />

Die überwiegende Mehrheit der TestfahrerInnen<br />

(89 %) war auch subjektiv der Meinung,<br />

Zusammengestellt <strong>für</strong> den<br />

Beirat „Schlafstörungen“:<br />

Gerhard Klösch, MPH Dr. Doris Moser<br />

Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Wien, AKH Wien<br />

in der Pause, wenn nicht geschlafen, dann<br />

zumindest gedöst zu haben. Lediglich 3 Personen<br />

waren der Meinung, während der<br />

Pause gar nicht geschlafen zu haben. Ein<br />

Vergleich der Testleistungen zwischen den<br />

Personen, die in der Pause tatsächlich<br />

geschlafen hatten, mit denen, die nicht<br />

geschlafen hatten, zeigte keine signifikanten<br />

Unterschiede. Im Gegensatz dazu konnten<br />

deutlich individuell geprägte Reaktions -<br />

muster gefunden werden. Das Geschlecht<br />

und das Alter dürften dabei ebenso eine<br />

Rolle spielen wie auch der Chronotyp. Ausgeprägte<br />

Morgenmenschen tolerieren Fahrten<br />

in den frühen Morgenstunden besser als<br />

ausgeprägte Abendmenschen, und Frauen<br />

tendierten dazu, im Laufe der 2-stündigen<br />

Autofahrt etwas langsamer zu fahren als<br />

Männer.<br />

Zusammenfassend kann aus jetziger Sichtung<br />

der Datenlage festgehalten werden,<br />

dass nächtliche Autofahrten unter möglichst<br />

realistischen Fahrbedingungen zu anderen<br />

Ergebnissen führen als Fahrsimulatorstudien.<br />

Es zeigte sich, dass TestfahrerInnen deutlich<br />

„wacher“ und daher auch in ihrer Fahrleistung<br />

besser waren, als das Studien unter<br />

Laborbedingungen vermuten lassen.<br />

Andere vorliegende Studienergebnisse sprechen<br />

auch da<strong>für</strong>, dass Power Naps während<br />

einer nächtlichen Autofahrt den Schlafdruck<br />

signifikant reduzieren und dadurch die<br />

Befindlichkeit verbessern. Allerdings sollte<br />

dabei genau auf die Dauer (maximale Schlafzeit:<br />

20 Minuten) geachtet werden, um ein<br />

Abgleiten in den Tiefschlaf zu verhindern.<br />

Danksagung: Die AutorInnen bedanken sich<br />

bei den Firmen B.E.S.T. medical systems Dr.<br />

Grossegger und SOMNOmedics <strong>für</strong> die technische<br />

Unterstützung. n<br />

87


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neurorehabilitation<br />

ICF – Anwendungen in der <strong>Neurologie</strong><br />

Vor nunmehr 10 Jahren wurde die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und<br />

Gesundheit“ (ICF) im Rahmen der 54. WHO-Vollversammlung verabschiedet. Diese Klassifikation bietet einen<br />

einheitlichen Rahmen zur Beschreibung von krankheitsbezogenen Einschränkungen der Funktionsfähigkeit<br />

(Behinderung).<br />

DDie ICF enthält zwei Hauptbereiche:<br />

Teil 1: Funktionsfähigkeit/Behinderung<br />

bezieht sich auf die Durchführung von<br />

Aufgaben und Handlungen (9 Domänen)<br />

sowie auf (Störungen von) Körperfunktionen<br />

und -strukturen (8 Domänen).<br />

Teil 2: Kontextfaktoren (5 Domänen) können<br />

als Förderfaktoren oder als Barrieren<br />

wirksam werden.<br />

Damit können letalitäts- und mortalitätsbezogene<br />

Daten, die mit der ICD-10 erfasst werden,<br />

um gesundheits- und morbiditätsbezogene<br />

Daten vor dem Hintergrund der jeweiligen<br />

Kontextfaktoren erweitert werden<br />

(Abb.).<br />

Informationen über Funktionsfähigkeit,<br />

Behinderung und Gesundheit sind wesentlich<br />

<strong>für</strong> einheitliche Gesundheitsberichte, <strong>für</strong> die<br />

Planung und Entwicklung von Dienstleistungssystemen<br />

und <strong>für</strong> die Bewertung von<br />

Interventionen unterschiedlichster Art 1 . Um<br />

diese Ziele verfolgen zu können, sind standardisierte<br />

und harmonisierte Datenerfassungsmethoden<br />

unerlässlich. Die ICF deckt diese<br />

Bedürfnisse weitgehend ab und entwickelt<br />

sich zunehmend zu diesem Standard.<br />

Insgesamt umfasst die Klassifikation 1.424<br />

Einzelkonstrukte. Ein Beispiel <strong>für</strong> einen<br />

Datensatz zur optimalen und minimalen<br />

Erhebungen gesundheitsrelevanter Informationen<br />

ist in der Tabelle angeführt. Die Auswahl<br />

der einzelnen Konstrukte obliegt jedoch<br />

erfahrenen AnwenderInnen. Die WHO empfiehlt,<br />

mit 3–18 Konstrukten zur Beschreibung<br />

der individuellen Funktionsfähigkeit<br />

auszukommen.<br />

88<br />

Abb.: ICD und ICF als ergänzende Systeme<br />

Umweltbezogener Kontext (ICF: exxx.x)<br />

Personenbezogener Kontext (Alter, Geschlecht, Bildung, ...)<br />

Produkte/<br />

Technologien<br />

Aufgaben<br />

Handlungen<br />

(ICF: dxxx.x)<br />

Umwelt/Klima<br />

Standardisierte Anwenderschulung: Eine<br />

besondere Herausforderung stellt die Erfassung<br />

des Schweregrades der jeweiligen Einschränkung<br />

(leicht – mittel – schwer – nicht<br />

möglich) dar. Im Anhang 2 der Klassifikation<br />

finden sich zwar Angaben zu Kodierungskonventionen.<br />

Problematisch erscheint jedoch<br />

die Skalierung von Bereichen, <strong>für</strong> die keine<br />

standardisierten Assessment-Verfahren publiziert<br />

sind (z. B. d175: einfache/komplexe Probleme<br />

lösen; d240: mit Stress/Verantwortung<br />

umgehen; d7203: sozialen Regeln gemäß<br />

interagieren).<br />

Daher erfordert die Anwendung der ICF eine<br />

eingehende und standardisierte Schulung,<br />

wie sie in den ersten Jahren nicht zur Verfügung<br />

stand. Seit Sommer 2010 wird von der<br />

ICF Research Branch Group ein „ICF eLear-<br />

Krankheit<br />

Diagnose<br />

(ICD-10)<br />

Manifestation<br />

Folgen<br />

Unterstützung<br />

Beziehung<br />

Einstellungen<br />

und Werte<br />

Körperfunktion<br />

Körperstruktur<br />

(ICF: b/sxxx.x)<br />

Dienste, Systeme,<br />

Handlungsgrundsätze<br />

ning Tool“ angeboten. Ziel dieser Initiative ist<br />

es, die unterschiedlichen Anwenderschulungen<br />

zu homogenisieren und zu standardisieren<br />

2 .<br />

Mittlerweile gibt es eine Fülle von Literatur,<br />

die sich mit unterschiedlichen Themenbereichen<br />

im Zusammenhang mit konzeptionellen<br />

Fragen, der Entwicklung von ICF-basierten<br />

Assessment-Verfahren sowie Fragen der<br />

Anwendung im klinischen, rehabilitativen<br />

und sozialpolitischen Kontext auseinandersetzt<br />

(Übersicht bei Cerniauskaite et al. 3 ).<br />

In Österreich wurde die ICF im Jahre 2004<br />

erstmals in den ÖBIG-Rehabilitationsplan aufgenommen.<br />

Die ÖGNR empfiehlt bereits seit<br />

2001 eine einheitliche Basisdokumentation<br />

mit erprobten Skalen, welche die Lebensbereiche<br />

„Kommunikation“, „Mobilität“, „fein-


Tab.: ICF Research Branch: Minimal Generic Set (MGS)<br />

ICF code Bezeichnung<br />

Mobilität b455 Kardiorespiratorische Belastbarkeit<br />

b710 Gelenksbeweglichkeit<br />

b730 Muskelkraft<br />

d450 Gehen<br />

d455 Sich auf andere Weise fortbewegen<br />

d470 Transportmittel benutzen<br />

Selbstversorgung d510 Sich waschen<br />

d540 Sich kleiden<br />

d570 Auf seine Gesundheit achten<br />

Schmerz b280 Schmerz<br />

Interpersonelle Aktivitäten d710 Elementare interpersonelle Aktivitäten<br />

d920 Erholung und Freizeit<br />

Schlaf und Energie b130 Psychische Energie und Antrieb<br />

b134 Funktionen des Schlafes<br />

Affekt b152 Emotionale Funktionen<br />

b640 Sexuelle Funktionen<br />

d240 Mit Stress/anderen psychischen<br />

Anforderungen umgehen<br />

d640 Hausarbeiten erledigen<br />

d660 Anderen helfen<br />

d770 Intime Beziehungen aufnehmen/<br />

aufrechterhalten<br />

Allgemeine Aufgaben/ d230 Die tägliche Routine durchführen<br />

Anforderungen d850 Bezahlte Tätigkeit ausüben<br />

Fett = Items <strong>für</strong> die Minimalliste: bxxx = Ebene: Körperfunktionen; dxxx = Ebene: Handlungen/Aufgaben<br />

Zusammengestellt <strong>für</strong> den Beirat „Neurorehabilitation“:<br />

OA Dr. Klemens Fheodoroff<br />

Abteilung <strong>für</strong> Neurorehabilitation, Gailtal-Klinik Hermagor<br />

motorischer Handgebrauch“ und „Selbstversorgung“<br />

sowie die Körperfunktionen „Orien -<br />

tierung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis“,<br />

„Harn- und Stuhlkontrolle“ sowie „Schmerzen“<br />

abdecken 4 .<br />

Im September 2011 wurden die Qualitätskriterien<br />

<strong>für</strong> die Rehabilitation des Hauptverbandes<br />

der österreichischen Sozialversicherungsträger<br />

aktualisiert. Das Kriterium „Zielvereinbarungen<br />

nach ICF“ wurde neu aufgenommen.<br />

Damit wird der Fokus in Richtung Ziele<br />

und Maßnahmenplanung/-bewertung verschoben.<br />

Dies entspricht durchaus der<br />

gegenwärtigen Neurorehabilitationspraxis,<br />

erlaubt jedoch zusätzlich eine Zuordnung der<br />

gesetzten Ziele zu den Hauptdomänen der<br />

ICF. Damit kann die individuelle Patientenorientierung<br />

leichter erfasst und überprüft werden.<br />

n<br />

1 Leonardi M et al., Integrating research into policy<br />

planning: MHADIE policy recommendations. Disabil<br />

Rehabil 2010; 32:139–147<br />

2 www.icf-research-branch.org/educationicf-training/<br />

icf-e-learning-tool.html<br />

3 Cerniauskaite M et al., Systematic literature review on<br />

ICF from 2001 to 2009: its use, implementation and<br />

operationalisation. Disabil Rehabil 2011; 33:281–309<br />

4 www.neuroreha.at/SkalenDownload.html<br />

89


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schlaganfall<br />

Ergebnisse des<br />

12. Stroke-Unit-Betreibertreffens in Wien<br />

Schlaganfall-Register: Am 18. November<br />

fand im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder<br />

Wien das 12. Stroke-Unit-Betreibertreffen<br />

statt. Dabei wurden von Mag. Gollmer<br />

(Bundesinstitut <strong>für</strong> Qualität im Gesundheitswesen,<br />

BIQG) die Ergebnisse des gemeinsamen<br />

Schlaganfall-Registers berichtet: Mit<br />

über 70.000 konsekutiv dokumentierten<br />

Schlaganfall-PatientInnen handelt es sich um<br />

eines der umfassendsten Schlaganfall-Re -<br />

gister der Welt. Der Anteil der PatientInnen<br />

mit ischämischem Schlaganfall, die eine sys -<br />

temische Thrombolyse erhalten, steigt kontinuierlich<br />

und liegt nun österreichweit im<br />

Mittel bei 18 %. Immer mehr PatientInnen<br />

erreichen frühzeitig eine der Stroke Units<br />

und können daher im „therapeutischen Zeitfenster“<br />

von 4 ½ Stunden behandelt werden.<br />

Die Möglichkeiten zur Verbesserung der Zeitabläufe<br />

im Spital („Door-to-Needle time“,<br />

DNT) war Thema einer „Benchmarking“-Veranstaltung<br />

im Rahmen des Treffens. Möglichkeiten<br />

zur weiteren Optimierung der DNT<br />

sind eine häufigere Ankündigung (Aviso)<br />

durch die Rettung, Laboruntersuchungen am<br />

Krankenbett (Gerinnung etc.) und Beginn der<br />

Thrombolyse bereits unmittelbar nach der<br />

Bildgebung (CCT, MRT) bei Krankenhäusern<br />

mit großer räumlicher Trennung zwischen<br />

Die <strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Schlaganfallforschung<br />

(ÖGSF), die in diesem Jahr in<br />

<strong>Österreichische</strong> Schlaganfall-<strong>Gesellschaft</strong><br />

umbenannt wurde, lädt zur 15. Jahrestagung<br />

am 26.–28. Jänner 2012 ein. Die Tagung wird<br />

von Univ.-Prof. Dr. Johann Willeit (Präsident<br />

90<br />

den Einrichtungen der Bildgebung und der<br />

Stroke Unit.<br />

Die endovaskuläre Behandlung bei proximalen<br />

Verschlüssen der A. cerebri media bzw.<br />

der A. basilaris wird in zunehmendem Maße<br />

eingesetzt. Die mechanische Rekanalisation<br />

mit auf- und wieder zusammenklappbaren<br />

Stents hat die Rekanalisationsrate erhöht und<br />

die Zeit bis zur Rekanalisation verkürzt. Es<br />

wurde ein österreichweites, einheitliches Datenblatt<br />

besprochen, und dieses soll – nach<br />

einigen Änderungen – im Jänner (nach der<br />

Schlaganfall-Tagung) freigegeben werden.<br />

Besonders erfreulich ist die gemeinsame wissenschaftliche<br />

Auswertung des Schlaganfall-<br />

Registers: Im Jahr 2010 wurden zwei Arbeiten<br />

in internationalen Top-Journalen zu Themen<br />

TIA und Ablauforganisation der<br />

Thrombolyse (Neurology, Stroke) veröffentlicht.<br />

Auch in diesem Jahr erschienen zwei<br />

Arbeiten: eine befasst sich mit den Hubschraubertransporten<br />

an die Stroke Units<br />

(Stroke). In der zweiten Arbeit (Neurology)<br />

wurde der Einfluss des Alters auf die Rehabilitation<br />

nach Schlaganfall untersucht.<br />

Stroke on Awakening: Bei der heurigen Tagung<br />

stellte Dr. Topakian (Wagner-Jauregg-KH<br />

Linz) eine Auswertung der Schlaganfälle vor,<br />

15. Jahrestagung der <strong>Österreichische</strong>n<br />

Schlaganfall-<strong>Gesellschaft</strong> (ÖGSF)<br />

der <strong>Gesellschaft</strong>) und Univ.-Prof. Dr. Stefan<br />

Kiechl (Tagungspräsident) organisiert. Inhalte<br />

der Tagung sind:<br />

Pflegesymposium (26. 1. 2012)<br />

Ein wesentlicher Grund <strong>für</strong> die Umbenen-<br />

die in der Früh beim Erwachen (Stroke on Awakening)<br />

bemerkt werden und einen unklaren<br />

Ereignisbeginn haben. Bei ca. 25 % der PatientInnen,<br />

die an der Stroke Unit aufgenommen<br />

werden, ist der Beginn des Ereignisses<br />

unklar. Meist handelt es sich um Schlaganfälle<br />

beim Erwachen. Das MRT kann Kernzone des<br />

Infarkts von der Randzone (Penumbra) abgrenzen,<br />

was zunehmend als Entscheidungskriterium<br />

<strong>für</strong> den Einsatz einer systemischen Thrombolyse<br />

oder einer endovaskulären Therapie<br />

dient. Die Vorgangsweise erwies sich als sicher<br />

(sekundäre Einblutung). Der Einsatz der Thrombolyse<br />

war ein Prädiktor <strong>für</strong> ein günstiges funktionelles<br />

Ergebnis nach 3 Monaten.<br />

Spastik: Eine Stichprobenerhebung an Stroke<br />

Units und Einheiten der Frührehabilitation<br />

(Phase B) ergab, dass 43 von 199 PatientInnen<br />

unter einer Spastik leiden. Betroffen<br />

waren insbesondere PatientInnen mit einem<br />

niedrigen Barthel-Index bzw. einem hohen<br />

Wert nach der Rankin-Skala. Bei 19 der 43<br />

betroffenen PatientInnen war die Spastik bereits<br />

zu einem frühen Zeitpunkt nach der<br />

Akutbehandlung des Schlaganfalls (Stroke<br />

Unit/Phase B) behandlungsbedürftig: Alle 19<br />

PatientInnen erhielten eine Neurophysiotherapie,<br />

7 zusätzlich Botulinumtoxin und 5 orale<br />

Antispastika. n<br />

nung der <strong>Gesellschaft</strong> war die Einbeziehung<br />

aller Personen, die sich dem Thema Schlaganfall<br />

widmen. Zum zweiten Mal wird die<br />

Tagung daher mit dem Pflegesymposium eröffnet.<br />

Durch die intensive Zusammenarbeit<br />

von Pflege, Medizin und Rehabilitation konn-


ten Fortschritte bei der Akutbehandlung des<br />

Schlaganfalls erzielt werden, und die Zusammenarbeit<br />

ist die Basis <strong>für</strong> weitere Fortschritte.<br />

Inhalte des Symposiums sind: Ablauforganisation<br />

(Aufnahme-Assessment), Konzepte<br />

der Mobilisation, Früherkennung und<br />

Maßnahmen zur Erfassung von Schlaganfallkomplikationen,<br />

Ernährung und Dysphagie-<br />

Abklärung und rechtliche Aspekte bei freiheitsentziehenden<br />

Maßnahmen.<br />

Fortbildungsakademie <strong>für</strong> Ärzte<br />

(26.–27. 1. 2012)<br />

Die Fortbildung ist durch Interdisziplinarität<br />

(<strong>Neurologie</strong>, Kardiologie, Hämostaseologie,<br />

Herz-Thorax-Chirurgie, interventionelle Radiologie,<br />

Neurochirurgie) und die Aufbereitung<br />

der Themen in Form von Impulsrefe -<br />

raten mit Diskutanten geprägt. Themen sind<br />

i. v. Thrombolyse oder endovaskuläre Therapie<br />

– was <strong>für</strong> wen? Intravenöse Thrombolyse<br />

– jenseits der Zulassung; Operation versus<br />

Stent bei symptomatischer Karotisstenose;<br />

Operation versus<br />

Stent versus medikamentöse<br />

Therapie bei asymptomatischer<br />

Karotisstenose; medikamentöse<br />

versus endovaskuläre Therapie<br />

intrakranieller Stenosen; extra-/<br />

intrakranieller Bypass, wo stehen<br />

wir? Gibt es einen akzeptierten<br />

Test <strong>für</strong> die Plättchenfunktion?<br />

Neue Plättchenfunktionshemmer:<br />

Indikationsbereiche bei InsultpatientInnen;Vitamin-K-Antagonisten,<br />

Dabigatran, Rivaroxaban,<br />

Apixaban – was <strong>für</strong> wen?<br />

Um- und Einstellung auf die<br />

neuen Antikoagulantien – wie<br />

geht man vor? Thromboembolisches<br />

Risiko bei verschiedenen<br />

Klappenprothesen; Besteht noch<br />

Raum <strong>für</strong> den PFO-Verschluss?<br />

Schlaganfall durch Kopfschmerz<br />

– Kopfschmerz durch Schlaganfall;<br />

LDL-Zielwerte beim Schlag-<br />

Zusammengestellt im Namen des Beirats „Schlaganfall“:<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang<br />

Abteilung <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Wien<br />

anfall – 70 oder 100? Diabetestherapie an<br />

der Stroke Unit.<br />

Wissenschaftliches Programm<br />

(27.–28. 1. 2012)<br />

Die Hans-Chiari-Vorlesung wird Prof. Bo<br />

Norrving, Lund, Schweden über den juvenilen<br />

Schlaganfall halten. Prof. Norrving ist Präsident<br />

der World Stroke Organisation (WSO)<br />

und einer der Koordinatoren der Fabry-Studie.<br />

Es handelt sich um die weltweit größte<br />

Studie zum juvenilen Schlaganfall, die Genetik,<br />

MR-Bildgebung und eine detaillierte Abklärung<br />

der Ätiopathogenese umfasst.<br />

Vorhofflimmern: Auswertungen des österreichischen<br />

Schlaganfall-Registers zeigen die<br />

Bedeutung des Vorhofflimmerns (VHF): In der<br />

Altersgruppe von 76–85 Jahren fand sich bei<br />

38,5 % der PatientInnen VHF als Ursache des<br />

Schlaganfalls. In der Altersgruppe über 85<br />

Jahre lag die Inzidenz des VHF bei 47,9 %.<br />

Hörsäle Medizinzentrum Anichstraße,<br />

Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Innsbruck<br />

Informationen:<br />

Kongress-Sekretariat (simone.kluckner@uki.at)<br />

und www.oegsf.at<br />

Die Detektion eines paroxysmalen VHF nach<br />

einem stattgehabten ischämischen Ereignis ist<br />

von entscheidender Bedeutung <strong>für</strong> die Wahl<br />

der geeigneten Sekundärprävention. Zur Detektion<br />

des Vorhofflimmerns wurde eine multizentrische<br />

Studie mit implantierten EKG-Recordern<br />

durchgeführt. Prof. Krieger, Kopenhagen,<br />

wird Ergebnisse berichten. Als Alternative<br />

zur oralen Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten<br />

(Marcoumar ® , Sintrom ® ) wurde der<br />

Thrombininhibitor Dabigatran (Pradaxa ® ) in<br />

Europa zugelassen. Eine zweite Substanz, der<br />

Faktor-Xa-Antagonist Rivaroxaban, wurde in<br />

den USA zugelassen und steht kurz vor der<br />

Zulassung in Europa. Auch die dritte Substanz<br />

ist ein Faktor-Xa-Antagonist (Apixaban) und<br />

war bei der Vorbeugung von Schlaganfall und<br />

peripherer Embolie bei Vorhofflimmern wirksamer<br />

als die Vitamin-K-Antagonisten. Eine<br />

Zulassung in den USA und in Europa wurde<br />

beantragt. Was diese neuen Substanzen <strong>für</strong><br />

die <strong>Neurologie</strong> bedeuten werden, ist Inhalt des<br />

Hauptthemas (Prof. Kyrle, Wien).<br />

Die Akuttherapie, das zweite Hauptthema,<br />

stellt ebenfalls einen Höhepunkt der Tagung<br />

dar. Prof. Grotta, Houston, Texas, ist einer<br />

der Pioniere bei der Entwicklung neuer Behandlungsstrategien<br />

des Schlaganfalls. Die<br />

systemische Thrombolyse, neue Thrombolytika,<br />

mechanische Rekanalisation und Neuroprotektion<br />

sind die Inhalte des Vortrags. Prof.<br />

Franz Aichner, Linz, wird die bisherige Entwicklung<br />

und die Perspektiven der Schlaganfall-Versorgung<br />

in Österreich darstellen.<br />

Der Arteriosklerose-Forschung, Biomarkern<br />

und der Sekundärprävention widmet sich das<br />

dritte Hauptthema, das mit international prominenten<br />

ReferentInnen besetzt ist. Neben<br />

den Hauptthemen sollen in gewohnter Weise<br />

die Ergebnisse der Schlaganfall-Forschung in<br />

Österreich berichtet werden. Die <strong>Österreichische</strong><br />

Schlaganfall-<strong>Gesellschaft</strong> ist auch stolz,<br />

bei der Tagung ihren Wissenschaftspreis vergeben<br />

zu können! n<br />

91


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

Ultraschall in der Diagnostik der ALS<br />

DDie Diagnostik der amyotrophen Lateralsklerose<br />

(ALS) basiert auf dem klinischen Verlauf,<br />

der klassischen Elektrophysiologie und Kriterien<br />

wie den ALS-El-Escorial-Kriterien, zu<br />

denen es zusätzlich elektrophysiologische Kriterien<br />

gibt1 . Lediglich bei einer kleinen Gruppe<br />

bestehen genetische Veränderungen. Zusätzlich<br />

zu der elektrophysiologischen Diagnostik<br />

sind weitere Biomarker bei der<br />

Diagnose erwünscht.<br />

Zwei Publikationen2, 3 und ein Editorial4 beschäftigen<br />

sich mit der Rolle der Ultraschalldiagnostik<br />

bei der Diagnose der ALS.<br />

Einerseits werden periphere Nerven und<br />

Muskeln morphologisch untersucht, andererseits<br />

wird der Nachweis der Faszikulationen<br />

im Ultraschall (US) hervorgehoben,<br />

was besonders bei schlecht zugänglichen<br />

Muskeln, wie der Zunge, eine wichtige<br />

Rolle spielt.<br />

Abb. 1: Peripherer Nerv im US: N. medianus längs (A)<br />

und quer (B)<br />

A<br />

B<br />

92<br />

Morphologische Untersuchung<br />

peripherer Nerven und Muskeln<br />

Die US-Untersuchungen der Studie von<br />

Cartwright et al. 2 wurden mit einer 18-MHz-<br />

Sonde durchgeführt, und alle Untersuchungen<br />

wurden im Seitenvergleich erfasst. Die<br />

Querschnittsfläche des N. medianus war signifikant<br />

gegen die Kontrollen vermindert,<br />

während die Querschnittsfläche der Nn. surales<br />

gleich war. Diese Ergebnisse wurden auf<br />

den Verlust von motorischen Axonen in der<br />

ALS-Gruppe zurückgeführt. Bei der Muskulatur<br />

wurde lediglich auf den reduzierten<br />

Durchmesser eingegangen und die Echotextur<br />

nicht weiter beschrieben. Allerdings fand<br />

sich bei zahlreichen anderen Muskeln eine<br />

Verminderung der Dicke, verglichen mit Normalpersonen.<br />

Damit wird resümiert, dass die<br />

Ultraschallmessung von gemischten senso-<br />

motorischen Nerven und Muskeln zu zukünftigen<br />

Biomarkern bei der ALS zählen könnten.<br />

In der Diskussion wird auf die Problematik<br />

der unterschiedlichen Verteilung und<br />

Beteiligung der Muskeln bei der ALS und der<br />

damit verbundenen lokalisatorischen Schwierigkeiten<br />

eingegangen. Möglicherweise kann<br />

das US-Monitoring von einzelnen Muskelgruppen<br />

im Verlauf hilfreich sein<br />

Diskussion: Neben den klinischen und konventionellen<br />

NLG/EMG-Methoden sind bisher<br />

keine apparativ diagnostischen Methoden<br />

bekannt, die Eingang in den praktischen Alltag<br />

gefunden haben. Zusätzliche objektivierbare<br />

morphologische Messungen des peripheren<br />

Nervensystems könnten sinnvolle Ergänzungen<br />

des diagnostischen Spektrums<br />

sein. Bereits bei anderen neuromuskulären<br />

Krankheiten wie CMT, CIDP und multifokaler<br />

Abb. 2: US der Zunge: typische „Mickey Mouse“-artige<br />

Form. Mit dieser Technik können Zungenbewegungen<br />

und Faszikulationen gesehen werden.


Neuropathie mit Leitungsblock wurden bereits<br />

im Ultraschall Nervenverdickungen festgestellt,<br />

die zur Diagnose beitragen.<br />

US und Faszikulationen<br />

In der Publikation von Misawa et al. 3 , die in<br />

Neurology erschien, weisen die AutorInnen<br />

auf die nichtinvasive und schmerzlose Technik<br />

hin, die es erlaubt, Muskelkontraktionen, Faszikulationen<br />

und möglicherweise sogar Fibrillationen<br />

im US zu erkennen. Mit der US-Methode<br />

können Faszikulationen festgestellt<br />

werden, was auch in der Arbeit von Misawa<br />

et al. beschrieben wird. Hier konnte festgestellt<br />

werden, dass US sensitiver in der Zunge,<br />

im M. biceps und M. tibialis ant. gegenüber<br />

dem Nadel-EMG ist. In der Zusammenfassung<br />

der Studie werden die leichte Anwendbarkeit<br />

und bessere Empfindlichkeit unterstrichen.<br />

Besonders in der Zunge sind Nadel-EMG-Untersuchungen<br />

nicht nur unangenehm, sondern<br />

auch weniger aussagekräftig. Ein weiteres<br />

wichtiges Argument ist die Betonung<br />

der Wichtigkeit der Faszikulationen bei den<br />

elektrophysiologischen Kriterien 1 .<br />

Kommentar<br />

Zusammengestellt im Namen des Beirats<br />

„Neuromuskuläre Erkrankungen“:<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr.<br />

Wolfgang Grisold<br />

Neurologische Abteilung,<br />

Kaiser-Franz-Josef-Spital,<br />

Wien<br />

Abb. 3: Muskelultraschall: Texturveränderungen der Muskulatur bei einer Patientin mit Myopathie (A);<br />

Muskelbiopsie (B) (Pathol. Institut KFJ, Prof. Klimpfinger)<br />

A<br />

B<br />

Diese beiden Arbeiten machen einerseits auf<br />

die Möglichkeit einer quantitativen Erfassung<br />

von Nerven und Muskeln aufmerksam, andererseits<br />

wird in der Studie von Misawa in<br />

einem Vergleich die große Aussagekraft des<br />

Muskelultraschalls gegenüber dem Nadel-<br />

EMG demonstriert. In beiden Artikeln wird<br />

Dr. Stefan Meng<br />

FA <strong>für</strong> Radiologie,<br />

Zentralröntgeninstitut,<br />

Kaiser-Franz-Josef-<br />

Spital, Wien<br />

die Textur des Muskels nicht ausgewertet, die<br />

aus unserer Sicht Hinweise <strong>für</strong> verändertes<br />

Muskelgewebe (z. B. Atrophie bei neurogenen<br />

Schäden) zulässt. Besonders die sorgfältige<br />

Untersuchung zum Thema Faszikulationen<br />

untermauert den zunehmenden Stellenwert<br />

des Ultraschalls und insgesamt der<br />

Bildgebung in der neuromuskulären Diagnos -<br />

tik. n<br />

1 De Carvalho M, Dengler R, Eisen A et al., Electro -<br />

diagnostic criteria for the diagnosis of ALS. Clin<br />

Neurophysiol 2008; 119:497–503<br />

2 Cartwright MS, Walker FO, Griffin LP et al. Peripheral<br />

nerve and muscle ultrasound in amyotrophic lateral<br />

sclerosis. Muscle Nerve 2011; 44(3):346–51<br />

3 Misawa S, Noto Y, Shibuya K et al., Ultrasonographic<br />

detection of fasciculations markedly increases diagnostic<br />

sensitivity of ALS. Neurology 2011; 77:1532<br />

4 Swash M, de Carvalho M, Muscle ultrasound detects<br />

fasciculations and facilitates diagnosis in ALS.<br />

Neurology 2011; 77:1508<br />

93


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Demenz<br />

Der Effekt der AD-Risikofaktoren-Reduktion<br />

auf die Alzheimer-Prävalenz<br />

DDie Alzheimer-Demenz (AD) ist eine progrediente<br />

neurodegenerative Hirnerkrankung,<br />

die im Verlauf zu kognitiven Defiziten und<br />

damit zum Verlust der Selbstständigkeit und<br />

letztlich zu Persönlichkeitsstörungen führt.<br />

Die Prävalenz steigt dramatisch an. Derzeit<br />

leiden weltweit etwa 34 Millionen Menschen<br />

an der Alzheimer-Erkrankung. Laut Prognosen<br />

sollen 2030 bereits 63 Millionen, und im<br />

Jahr 2050 sogar 114 Millionen Menschen betroffen<br />

sein1 . In den kommenden Jahren liegen<br />

daher die Forschungsziele im Bereich Prävention,<br />

Früherkennung und krankheitsmodifizierender<br />

Therapien.<br />

„The Bad Seven“ sind Treiber<br />

der Alzheimer-Krankheit –<br />

nicht Verursacher<br />

Was unter Alzheimer-Prävention gemeint ist,<br />

soll durch ein Beispiel aus dem Hochwasserschutz<br />

klar werden: Die Hochwasser-Schutzmaßnahmen<br />

verhindern kein Hochwasser. Sie<br />

beeinflussen nicht die Regenmenge, nicht die<br />

Beschaffenheit des Bodens, nicht das Berggefälle,<br />

aber sie beeinflussen die Art und<br />

Abb.: The bad 7<br />

94<br />

Weise des Wasserablaufs mit dem Ziel der<br />

Schadensminimierung <strong>für</strong> Menschen und Objekte.<br />

So ähnlich kann auch die Alzheimer-<br />

Vorsorge gesehen werden: AD-Risikofaktoren<br />

wie Alter, Geschlecht, Genom (z. B. APOE4)<br />

sind unbeeinflussbare Größen – aber Beginn<br />

und Verlauf (Symptomprogression) der klinischen<br />

Alzheimer-Symptomatik werden durch<br />

Beachtung oder Beseitigung angeführter Faktoren<br />

positiv beeinflusst.<br />

Im Folgenden werden die „Demenztreiber“<br />

durch Angabe der weltweiten Prävalenz, des<br />

relativen Risikofaktors und der Vorsorgewirkung<br />

bei 10 % bzw. 20 % Prävalenzminderung<br />

beschrieben 2 :<br />

Bewegungsmangel<br />

Häufigkeit: 17,7 % aller Menschen sind bewegungsträge<br />

(Bewegungsmangel betrifft<br />

Frauen, SeniorInnen und StadtbewohnerInnen<br />

am häufigsten)<br />

Risikofaktor: 1,8 <strong>für</strong> Alzheimer, 1,4 <strong>für</strong> alle<br />

Demenzen; d. h. um 80 % erhöhtes Alzheimer-Risiko<br />

gegenüber bewegungsaktiven<br />

Menschen<br />

Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />

würden ca. 380.000<br />

Personen, bei 25 % Reduktion<br />

ca. 1 Million Menschen<br />

die AD nicht erleben.<br />

Diabetes<br />

mellitus Typ II<br />

Häufigkeit: 2010 6,4 %, d.<br />

h. 280 Millionen, 2030 440<br />

Millionen Menschen<br />

Relativer Risikofaktor: 1,4<br />

<strong>für</strong> Alzheimer, d.h. 40 %<br />

erhöhtes Alzheimer-Risiko<br />

<strong>für</strong> unbehandelte DiabetespatientInnen<br />

Vorsorgewirkung: Bei 10 %<br />

Prävalenzreduktion würden<br />

etwa 80.000 Personen,<br />

bei 25 % Reduktion etwa<br />

200.000 Menschen die Alzheimer-Symptomatik<br />

nicht erleben.<br />

Bluthochdruck<br />

Häufigkeit: 9 % weltweit<br />

Risikofaktor: 1,6 (d.h. 60 % erhöhtes Alzheimer-Risiko<br />

der unbehandelten HochdruckpatientInnen<br />

im Vergleich zu Personen mit normalen<br />

Blutdruckwerten). Bluthochdruck im<br />

mittleren Lebensalter (30–60 a) ist verbunden<br />

mit erhöhtem Alzheimer-Risiko.<br />

Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />

würden etwa > 160.000 Personen, bei 25<br />

% Reduktion mehr als 400.000 Menschen die<br />

Alzheimer-Symptomatik nicht erleben müssen.<br />

Übergewicht<br />

Häufigkeit: 3,4 % der Erwachsenen weltweit<br />

waren 2005 im mittleren Alter übergewichtig.<br />

Frauen leiden häufiger an Übergewicht<br />

als Männer. In den Industrieländern<br />

liegt die Übergewichtsrate im mittleren Alter<br />

bei 13 %.<br />

Risikofaktor: 1,8 <strong>für</strong> Alzheimer. Es besteht<br />

ein statistisch signifikanter Zusammenhang<br />

zwischen Übergewicht und Alzheimer. Übergewicht<br />

im mittleren Lebensalter (30–60a)<br />

ist verbunden mit erhöhtem Demenzrisiko.<br />

Übergewicht im späten Lebensalter (> 60a)<br />

ist assoziiert mit einem um 40 % vermindertem,<br />

während Untergewicht im späten<br />

Lebensalter mit einem um 62 % erhöhtem<br />

Demenzrisiko assoziiert ist. 2 % (678.000)<br />

aller Alzheimer-PatientInnen erleben die klinische<br />

Alzheimer-Symptomatik wegen ihres<br />

Übergewichts im mittleren Lebensalter.<br />

Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />

würden etwa 67.000 Personen, bei 25 %<br />

Reduktion etwa 167.000 Menschen, die Alzheimer<br />

nicht erleben müssen.<br />

Zigarettenrauchen<br />

Häufigkeit weltweit 27,4 % (3,9–36 %)<br />

Relativer Risikofaktor: 1,8 <strong>für</strong> Alzheimer, 1,27<br />

<strong>für</strong> alle Demenzarten


Zusammengestellt im Namen<br />

des Beirats „Demenz“:<br />

Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />

würden etwa 412.000 Personen, bei 25<br />

% Reduktion etwa > 1 Million Menschen AD<br />

nicht erleben müssen.<br />

Ausbildung und geistige Aktivität<br />

Häufigkeit: 40 % der Menschen leben mit<br />

geringer Ausbildung (Stichproben von 146<br />

Ländern), 15 % davon haben keine formale<br />

Schulbildung, 25 % besuchten nur die<br />

Grundschule<br />

Risikofaktor: 1,6 <strong>für</strong> Alzheimer<br />

Das Demenzrisiko war um etwa 50 % verringert<br />

bei Personen mit:<br />

hohem Bildungsgrad<br />

beruflicher Herausforderung<br />

hoher Intelligenz<br />

stimulierenden Freizeitaktivitäten.<br />

Das Demenzrisiko ist bei Personen mit geringer<br />

„brain reserve“ um etwa 85 % erhöht.<br />

Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />

würden etwa 540.000 Personen, bei<br />

25 % Reduktion würden etwa 1,4 Million<br />

Menschen die Alzheimer-Symptomatik nicht<br />

erleben müssen.<br />

Depression<br />

Häufigkeit weltweit: 13 %.<br />

Relativer Risikofaktor: 1,9 <strong>für</strong> Alzheimer<br />

Vorsorgewirkung: Bei 10% Prävalenzreduktion<br />

würden etwa 326.000 Personen, bei 25 %<br />

Reduktion etwa 827.000 Menschen die Alzheimer-Symptomatik<br />

nicht erleben.<br />

Fazit<br />

Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco,<br />

Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Wien<br />

Falls die Häufigkeit aller 7 „Treiber“ um 10 %<br />

gesenkt würde, gäbe es weltweit eine Million<br />

weniger AD-Patienten, würde sie um 25 %<br />

gesenkt, wären es 3 Millionen. Insgesamt<br />

könnte die Zahl der Patienten mit AD-Symptomatik<br />

weltweit halbiert werden (17,2 Millionen),<br />

falls alle 7 Treiber auf null reduziert<br />

wären. n<br />

1 Wimo A et al., The magnitude of dementia occurrence<br />

in the world. Alzheimer Dis Assoc Sisord 2003; 17(2):63–7<br />

2 www.thelancet.com/neurology, Vol 10, Sep. 2011<br />

D<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr.<br />

Josef Marksteiner<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Reinhold Schmidt<br />

<strong>Österreichische</strong> Alzheimer <strong>Gesellschaft</strong><br />

Aricept ® wird generisch<br />

Ein Statement der <strong>Österreichische</strong>n<br />

Alzheimer <strong>Gesellschaft</strong> zu<br />

möglichen Konsequenzen<br />

Die Wirksamkeit von Acetylcholinesterasehemmern<br />

wurde in multiplen placebokontrollierten<br />

Studien an vielen tausenden PatientInnen<br />

untersucht nachgewiesen.<br />

In Österreich sowie in anderen Ländern wird<br />

ein stadienabhängiges Erstattungsschema <strong>für</strong><br />

Antidementivaverordnungen praktiziert. Die<br />

Erstverordnung und Therapiekontrolle erfolgt<br />

durch FachärztInnen <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und/oder<br />

Psychiatrie. Anfang des kommenden Jahres<br />

wird Aricept ® (Donepezil) generisch und<br />

könnte bei Zuordnung in die Grüne Box des<br />

Erstattungskodex als bewilligungsfreies Medikament<br />

definiert werden. Eine solche Entwicklung<br />

wird beispielgebend <strong>für</strong> alle anderen Antidementiva<br />

sein, deren Patente auslaufen.<br />

Die <strong>Österreichische</strong> Alzheimer <strong>Gesellschaft</strong><br />

unterstützt einen möglichst frühen und einfachen<br />

Zugang zur Antidementivatherapie,<br />

warnt aber gleichzeitig davor, dass Acetylcholinesterasehemmer<br />

und alle anderen zur<br />

Verfügung stehenden antidementiven Therapieformen<br />

außerhalb der bisher evidenzbasierten<br />

Indikationsstellungen und Kautelen<br />

eingesetzt werden.<br />

Die <strong>Österreichische</strong> Alzheimer <strong>Gesellschaft</strong><br />

hat mehrfach in Konsensus-Statements, zuletzt<br />

im Jahr 2010 1 , darauf hingewiesen, dass<br />

1) die Diagnose einer Alzheimer-Krankheit<br />

mit hoher Spezifität und Sensitivität<br />

gestellt werden kann,<br />

2) die obligatorischen diagnostischen<br />

Schritte strukturiert und sequenziell<br />

erfolgen müssen und<br />

3) fachärztliche Kompetenz erforderlich ist.<br />

Auch der klinische Verlauf einer demenziellen<br />

Erkrankung erfordert stadienspezifische diagnostische<br />

und therapeutische Interventio-<br />

nen, weshalb auch im Krankheitsverlauf eine<br />

fachärztliche Konsultation und Therapiekontrolle<br />

erforderlich ist.<br />

Idealerweise erfolgt die Betreuung von Alzheimer-PatientInnen<br />

in einem multidiszipli -<br />

nären Ansatz, der sowohl FachärztInnen <strong>für</strong><br />

<strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie als auch AllgemeinmedizinerInnen<br />

einbezieht. Im Sinne der<br />

optimalen Versorgung von PatientInnen mit<br />

Demenz spricht die <strong>Österreichische</strong> Alzheimer<br />

<strong>Gesellschaft</strong> im Lichte sich möglicherweise<br />

ändernder Verordnungsrichtlinien <strong>für</strong> Antidementiva<br />

folgende Empfehlungen aus:<br />

1) Die Diagnose, Differenzialdiagnose und<br />

die Therapieeinleitung einer demenziellen<br />

Erkrankung muss weiterhin ausschließlich<br />

über den/die Facharzt/-ärztin <strong>für</strong><br />

<strong>Neurologie</strong> und/oder Psychiatrie erfolgen.<br />

2) Wie bisher besteht die Notwendigkeit<br />

der Feststellung von Therapierespons von<br />

Cholinesterasehemmern unabhängig von<br />

ihrer Boxenzuordnung nach<br />

Erstverordnung mittels strukturierter<br />

fachärztlicher Untersuchung bei<br />

gleichzeitigem Einsatz systematischer<br />

Testverfahren wie Mini Mental State<br />

Examination. Erst nach fachärztlicher<br />

Feststellung des Therapierespons ist die<br />

uneingeschränkte weitere Verordnung zu<br />

unterstützen. n<br />

Für die <strong>Österreichische</strong> Alzheimer<br />

<strong>Gesellschaft</strong>:<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Josef Marksteiner<br />

(Präsident)<br />

Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt<br />

(Past-Präsident)<br />

1 Neuropsychiatrie 2010; 24(2):67–87)<br />

95


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Autonome Störungen<br />

Intakte Olfaktion als Schlüsselmerkmal der<br />

Multisystematrophie vom Parkinson-Typ:<br />

experimentelle Evidenz<br />

Die Multisystematrophie (MSA) ist eine seltene<br />

und rasch fortschreitende neurodegenerative<br />

Erkrankung, die sich klinisch mit autonomem<br />

Versagen, begleitet von einem Levodopa-refraktären<br />

Parkinson-Syndrom oder<br />

einem zerebellären Syndrom präsentiert. Die<br />

autonome Dysfunktion im Rahmen der MSA<br />

umfasst häufig urogenitale Symptome und<br />

orthostatische Blutdruckregulationsstörungen.<br />

Die zugrunde liegenden pathophysiologischen<br />

Mechanismen konnten bislang nicht<br />

abschließend geklärt werden. Die Pathologie<br />

definiert sich durch oligodendrogliale zytoplasmatische<br />

Einschlüsse, deren Hauptkomponente<br />

�-Synuclein ist. Daher wird die MSA<br />

neben dem Morbus Parkinson und der Lewy-<br />

Körperchen-Demenz zur Gruppe der �-Synu -<br />

cleinopathien gezählt.<br />

Eine Unterscheidung der Parkinson-Variante<br />

der MSA (MSA-P) und des Morbus Parkinson<br />

ist <strong>für</strong> NeurologInnen in der frühen Krankheitsphase<br />

aufgrund der überlappenden<br />

Symptomatik häufig eine herausfordernde<br />

Aufgabe. Ein Unterscheidungsmerkmal scheint<br />

das Vorhandensein und die Ausprägung einer<br />

96<br />

Abb. 1: Versuchsaufbau und Ablauf der Geruchstestung<br />

etwaigen Riechstörung darzustellen. So ist<br />

bereits seit einiger Zeit bekannt, dass der<br />

Großteil der Parkinson-PatientInnen ein ausgeprägtes<br />

Geruchsdefizit aufweist, hingegen<br />

in klinisch-pathologischen Untersuchungen<br />

bei MSA-PatientInnen keine Hinweise auf olfaktorische<br />

Defizite gefunden werden konnten.<br />

Dies wurde in einer rezenten Fallserie<br />

von Glass et al., die 4 Patienten mit patho-<br />

Abb. 2: Ergebnisse der Verhaltenstests<br />

s<br />

12 -<br />

10 -<br />

8 -<br />

6 -<br />

4 -<br />

2 -<br />

0 -<br />

-<br />

Erdnussbutter<br />

-<br />

Wildtyp<br />

Transgen<br />

-<br />

logisch gesicherter MSA untersuchte, nochmals<br />

bestätigt.<br />

Geruchssinn im MSA-Mausmodell: Die<br />

MSA konnte in der Maus durch transgene<br />

Überexpression von �-Synuklein unter dem<br />

oligodendroglialen Proteolipid-Promoter<br />

(PLP) nachgebildet werden. Kürzlich konnte<br />

experimentell gezeigt werden, dass dieses<br />

-<br />

Wasser Vanille Zimt<br />

-


Mausmodell neben der typischen motorischen<br />

auch die autonome Pathologie abbildet.<br />

Darüber hinaus wurde in einer bislang<br />

nicht veröffentlichten Versuchsreihe der Geruchssinn<br />

im MSA-Mausmodell untersucht.<br />

Dabei wurden 10 transgene PLP-�-Synu -<br />

klein-Mäuse im Alter von 10 Monaten mit<br />

10 altersentsprechenden C57BL-Wildtyp-Tieren<br />

verglichen.<br />

Der Geruchssinn wurde mit Hilfe des folgenden<br />

Verhaltenstests überprüft: Zunächst<br />

wurden die Mäuse <strong>für</strong> einen Gesamtzeitraum<br />

von einer Stunde an die unbekannte<br />

Umgebung eines Versuchskäfigs gewöhnt.<br />

NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neuroonkologie<br />

Zusammengestellt <strong>für</strong> den Beirat<br />

„Autonome Störungen“:<br />

Danach wurden den Mäusen 4 unterschiedliche<br />

Gerüche auf Filterpapier <strong>für</strong> einen Zeitraum<br />

von 3 Minuten präsentiert, nämlich<br />

Erdnussbutter, Zimt, Vanille und Wasser<br />

(entspricht dem Eigengeruch des Filterpapiers).<br />

Mit Hilfe einer Videoaufzeichnung<br />

wurde der Zeitraum erhoben, über welchen<br />

die Mäuse die Geruchsproben mit ihrer Nase<br />

inspiziert hatten. Eine Annäherung der Nasenspitze<br />

auf unter 1 Millimeter Abstand<br />

zum Filterpapier wurde als Inspektion gewertet<br />

(Abb. 1).<br />

Die Ergebnisse zeigten, dass beide Versuchsgruppen<br />

die erwarteten Inspektionszeiten<br />

EANO – European Association<br />

of Neuro-Oncology<br />

Eines der Ziele der EANO ist es, die Vernetzung von<br />

NeuroonkologInnen zu fördern und sie bei ihren (inter-)nationalen<br />

Forschungsprojekten zu unterstützen. Angeboten werden<br />

verschiedene Förderungsmöglichkeiten:<br />

Klinische/Forschungsstipendien: Stipendien <strong>für</strong> klinische oder<br />

wissenschaftliche Projekte, die auf eine Verbesserung der<br />

Behandlungsmöglichkeiten von neuroonkologischen PatientInnen<br />

abzielen (Dauer: 6–12 Monate)<br />

Unterstützung <strong>für</strong> Fortbildungsaufenthalte: Zuschuss <strong>für</strong> Reise-<br />

Dr. Florian<br />

Krismer<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Gregor K. Wenning<br />

Priv.-Doz. Dr.<br />

Nadia Stefanova<br />

Abteilung <strong>für</strong> Klinische Neurobiologie, Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Innsbruck<br />

und Aufenthaltskosten in einem<br />

Neuroonkologie- oder Gehirntumor-<br />

Zentrum bzw. einer Forschungseinrichtung<br />

in einem anderen Land<br />

(Dauer: bis zu 6 Wochen)<br />

aufwiesen. Die Erdnussbutter war <strong>für</strong> die<br />

Tiere der verlockendste Geruch. Darauf folgten<br />

Vanille und Zimt sowie schließlich der Eigengeruch<br />

des Filterpapiers (Wasser). Hinsichtlich<br />

der Gruppenunterschiede konnten<br />

keinerlei signifikanten Differenzen beobachtet<br />

werden (Abb. 2). Somit kann zusammenfassend<br />

gesagt werden, dass im Einklang mit<br />

der humanen Krankheitssymptomatik im<br />

transgenen MSA-Tiermodell keine signifikante<br />

Beeinträchtigung des Geruchssinns beobachtet<br />

werden konnte. n<br />

Unterstützt durch Fördermittel des Austrian Science Fund<br />

(FWF): F04404-B19<br />

Reisekostenzuschuss: zur Unterstützung von jungen klinisch oder<br />

wissenschaftlich tätigen NeurologInnen, die einen Abstract oder ein<br />

Poster beim EANO-Kongress präsentieren<br />

Weitere Informationen: www.eano.eu<br />

97


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neurogeriatrie<br />

Der Zusammenhang von Gefäßerkrankungen<br />

mit Lebensstilfaktoren und allgemeinem Gesundheitsverhalten<br />

ist weithin bekannt. Bei<br />

neurodegenerativen Erkrankungen wie der<br />

Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) wird hingegen<br />

häufig davon ausgegangen, dass sie<br />

schicksalhaft und im Wesentlichen ohne Zusammenhang<br />

mit anderen gesundheitlichen<br />

Faktoren auftreten – obwohl sich in den letzten<br />

Jahren zeigte, dass vaskuläre Risikofaktoren<br />

auch bei der Entstehung der DAT eine<br />

Rolle spielen.<br />

Mehrere Artikel, die zuletzt in Neurology erschienen<br />

sind, werfen in teilweise überraschender<br />

Form ein neues Licht auf dieses<br />

Thema. Trotz aller Einschränkungen zeigen<br />

die Ergebnisse, dass Faktoren, die bislang<br />

nicht direkt mit der Pathophysiologie der DAT<br />

in Zusammenhang gebracht wurden, eine<br />

Rolle spielen dürften.<br />

Gebrechlichkeitsindex als Prädiktor: Aufbauend<br />

auf Hinweisen, dass Gebrechlichkeit<br />

(frailty) ein Risikofaktor <strong>für</strong> das Auftreten<br />

einer Demenz bzw. kognitiven Störung sein<br />

könnte, haben Song und KollegInnen 1 die<br />

Daten der Canadian Study of Health and<br />

Aging reevaluiert. Sie bildeten einen Gebrechlichkeitsindex<br />

aus gesundheitsbezogenen<br />

Variablen, die nicht als Risikofaktoren <strong>für</strong><br />

das Auftreten von Demenzerkrankungen bekannt<br />

sind. Inkludiert waren hier sehr allgemeine<br />

Variablen wie die Antwort auf die<br />

Frage, wie gesund sich jemand fühle, bis zu<br />

speziellen wie die Frage nach dem Sitz der<br />

Zahnprothese.<br />

Während die einzelnen Variablen nur geringen<br />

Voraussagewert hatten, konnte der ge-<br />

98<br />

Zusammengestellt im Namen des Beirats „Neurogeriatrie“:<br />

Univ.-Doz. Dr. Josef Spatt<br />

Ärztlicher Direktor, Neurologisches Rehabilitationszentrum Rosenhügel, Wien<br />

Allgemeiner Gesundheitszustand<br />

und Gebrechlichkeit als Risikofaktoren<br />

<strong>für</strong> Demenzerkrankungen<br />

wonnene Index das Auftreten von kognitiven<br />

Störungen, DAT und Nicht-Alzheimer-Demenzen<br />

vorhersagen. Bemerkenswert war,<br />

dass der Gebrechlichkeitsindex zwar hoch mit<br />

dem Alter und bekannten vaskulären Risikofaktoren<br />

korrelierte, aber dennoch seine Voraussagekraft<br />

nicht verlor, wenn diese Faktoren<br />

statistisch berücksichtigt wurden. Die<br />

Daten können also in der Weise interpretiert<br />

werden, dass – über welchen Mechanismus<br />

immer – der allgemeine Gesundheitszustand<br />

einen Einfluss auf das Auftreten von Demenzerkrankungen<br />

und insbesondere der DAT hat.<br />

Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes:<br />

In ähnlicher Weise und darauf aufbauend,<br />

dass die Selbsteinschätzung des eigenen<br />

Gesundheitszustandes ein Prädiktor<br />

<strong>für</strong> Mortalität und vor allem kardiovaskuläre<br />

Morbidität darstellt, haben Montlahuc und<br />

Kollegen 2 in einer prospektiven Kohortenstudie<br />

untersucht, ob dies auch <strong>für</strong> Demenzerkrankungen<br />

zutrifft. Tatsächlich kam es bei<br />

den TeilnehmerInnen, die zu Studieneintritt<br />

ihren Gesundheitszustand selbst als schlecht<br />

einstuften, in der Beobachtungszeit bei 70 %<br />

mehr Fällen zur Entwicklung einer Demenz,<br />

wobei die Daten unter anderem bezüglich<br />

Alter und dem Vorliegen vaskulärer Erkrankungen<br />

und Risikofaktoren kontrolliert<br />

waren. Ein starker prädiktiver Effekt fand sich<br />

<strong>für</strong> die Entwicklung einer vaskulären Demenz<br />

(mehr als 3-fach erhöhtes Risiko), aber ein<br />

Zusammenhang wurde auch <strong>für</strong> die DAT gefunden<br />

(1,5-faches Risiko). Wichtig ist festzustellen,<br />

dass dieser Zusammenhang nicht<br />

auf den Angaben reduzierter kognitiver Leis -<br />

tungsfähigkeit beruhte.<br />

Kommentar<br />

Die vorgestellten Studien sind zwar gut durchgeführt,<br />

jedoch von den verwendeten Methodiken<br />

her nicht unproblematisch. So lassen die<br />

sehr komplexen Konstrukte (z. B. Gebrechlichkeit)<br />

und statistischen Analysen die Möglichkeit<br />

unbekannter bzw. übersehener konfundierender<br />

Variablen zu. Außerdem wurde der<br />

rein explorative Charakter der Studien betont. 3<br />

Bei allen Einschränkungen zeigen die vorgestellten<br />

Arbeiten doch das komplexe Zusammenwirken<br />

von bekannten und teilweise<br />

noch nicht erkannten Risikofaktoren <strong>für</strong> das<br />

Auftreten von Demenzerkrankungen, insbesondere<br />

auch der DAT. Studien wie diese können<br />

vielleicht helfen, in Zukunft den abstrakten<br />

und nicht beeinflussbaren Faktor Alter in<br />

potenziell modifizierbare, individuell unterschiedliche<br />

altersassoziierte Faktoren aufzulösen.<br />

Schließlich ist es nicht das Alter an<br />

sich, im Sinne ablaufender Zeit, sondern die<br />

Akkumulation von Gesundheitsproblemen<br />

und Risikofaktoren (Folge des so genannten<br />

„Zahns der Zeit“), die eine Rolle <strong>für</strong> die Entstehung<br />

von Erkrankungen spielt.<br />

Praktisch betrachtet, sollten wir meines Erachtens<br />

den Hinweis, dass zumindest manche<br />

der untersuchten Faktoren durch eine gesunde<br />

und aktive Lebensführung beeinflusst werden<br />

können, auch an unsere PatientInnen<br />

weitergeben. n<br />

1 Song X et al., Nontraditional risk factors combine to<br />

predict Alzheimer disease and dementia. Neurology<br />

2011; 77:227–234<br />

2 Montlahuc C et al., Self-rated health and risk of incident<br />

dementia: A community-based elderly cohort, the 3C<br />

Study. Neurology 2011; 77:1457–1464<br />

3 Dartigues JF et al., Risk factors for Alzheimer disease:<br />

aging beyond age? Neurology 2011; 77:206–207


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neuroimaging<br />

MRT-Highlights beim ECTRIMS-ACTRIMS-Kongress<br />

Die MRT nahm bei diesem Kongress der Superlative<br />

mit knapp einem Drittel der im Kongressband<br />

publizierten Posterbeiträge (353/<br />

1133) einen bedeutenden Stellenwert ein. Im<br />

Folgenden wird nur ein kurzes Panoptikum<br />

subjektiv ausgewählten MRT-„Highlights“<br />

geboten.<br />

Lokalisation fokaler MRT-Läsionen: Giorgio<br />

et al., Siena, gingen der Frage nach, ob<br />

die anatomische Lokalisation fokaler MRT-Läsionen<br />

beim klinisch isolierten Syndrom (CIS)<br />

Implikationen <strong>für</strong> die Konversion in eine klinisch<br />

definitive MS trägt. Da<strong>für</strong> wurden probabilistische<br />

Läsionskarten von 657 CIS-PatientInnen<br />

(mittleres Alter: 30,6 ± 7,5 Jahre,<br />

455 Frauen, 202 Männer) aus verschiedenen<br />

MAGNIMS-Netzwerkpartnern errechnet.<br />

Nach einem Jahr war bei 23 % eine Konversion<br />

eingetreten, wobei diese Gruppe ein<br />

höheres T2-Ausgangsläsionvolumen aufwies<br />

(7,3 ± 8,3 vs 4,8 ± 6,7 cm3, p = 0.02), davon<br />

unabhängig aber auch häufiger Läsionen in<br />

Projektions-, Assoziations- und kommissuralen<br />

Bahnen zeigte. Dies deutet in gewissem<br />

Maße auf eine Bedeutung der strategischen<br />

Abb. 1: Pseudo-T1-Bilder der Gehirnatrophie<br />

Lokalisation von Läsionen <strong>für</strong> den weiteren<br />

klinischen Verlauf hin.<br />

Zerebrale Volumenänderungen: Eine weitere<br />

MAGNIMS-Arbeit einer ECTRIMS-Stipendiatin<br />

wurde schließlich auch prämiert. Popescu<br />

et al., Amsterdam, untersuchten den<br />

langfristigen prognostischen Wert zerebraler<br />

Volumensänderungen auf den Verlauf der<br />

MS. Während zerebrale Atrophie in bisherigen<br />

Studien über kurz- und mittelfristige Intervalle<br />

mit dem klinischen Schweregrad der<br />

Erkrankung korrelierte, erschwerten technische<br />

Limitationen bislang die Verwendung<br />

historischer MRT zur Verlängerung des Beobachtungsintervalls.<br />

Um dies zu überwinden, wurden sog. Pseudo-T1-Bilder<br />

(Abb. 1) in einem Kollektiv von<br />

268 MS PatientInnen aus 7 MAGNIMS-Zentren<br />

generiert, bei denen 2 MRT im 1–2-<br />

Jahre-Intervall vor 10 Jahren angefertigt worden<br />

waren. Die Information zu den Atrophieraten<br />

wurde schließlich in Beziehung zur<br />

EDSS nach 10 Jahren gesetzt. Die Kohorte<br />

wurde dabei nach Präsentationsmodus zu<br />

Beginn und finalem Behinderungsgrad auf-<br />

V.l.n.r.: Pseudo-T1-Bild; Pseudo-T1-Bild mit gesamter Hirnatrophie;<br />

Pseudo-T1-Bild mit zentraler Atrophie; PD-gewichtetes Bild mit Läsionsmaske<br />

Zusammengestellt im Namen<br />

des Beirats „Neuroimaging“:<br />

Univ.-Prof. DDr. Susanne<br />

Asenbaum-Nan, MSc<br />

Universitätsklinik <strong>für</strong><br />

<strong>Neurologie</strong>, Medizinische<br />

Universität Wien<br />

Assoz. Prof. Dr.<br />

Christian Enzinger<br />

Universitätsklinik<br />

<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische<br />

Universität Graz<br />

geteilt (Abb. 2). Die zerebrale jährliche Atrophierate<br />

lag zwischen –0,91 % und –0,64 %.<br />

Trotz hoher Variabilität im Erkrankungsverlauf<br />

korrelierten MRT-Parameter in diesen klinischen<br />

Kollektiven mit dem langfristigen klinischen<br />

Status. (Insbesondere zentrale) Hirnatrophie<br />

zeigte sich hier<strong>für</strong> prädiktiv in der<br />

wenig behinderten Gruppe mit schubförmigem<br />

Beginn (Beta = 0.185, p < 0.001), margi -<br />

nal auch bei PPMS (Beta = -0,239, p = 0,018).<br />

Für klinisch stärker beeinträchtigte PatientInnen<br />

mit schubförmigem Beginn erwies sich<br />

das T2-Läsionsvolumen (Beta = 0,344, p = 0,005)<br />

als stärkster MRT-Prädiktor. Die Ergebnisse<br />

sind in Abbildung 3 zusammengefasst.<br />

Kortikale Läsionen: Neben diesen Aspekten<br />

nahm auch die Darstellung der kortikalen Läsionen<br />

mittels MRT einen breiten Raum ein.<br />

Besonders interessant war eine Untersuchung<br />

von Calabrese et al., Padua, die der Frage<br />

nachgingen, ob PatientInnen mit Neuromyelitis<br />

optica (NMO) eine kortikale Pathologie aufweisen.<br />

Unter Verwendung von DIR (Double<br />

Inversion Recovery) Sequenzen konnten zwar<br />

bei 2/3 der (klinisch sehr gut gematchten)<br />

Vergleichsgruppe mit schubför miger MS kortikale<br />

Läsionen nachgewiesen werden, jedoch<br />

bei keinem/keiner einzigen NMO-Patienten/-in<br />

(und bei keiner gesunden Kontrollperson).<br />

Auch zeigten sich bei NMO keine Veränderungen<br />

hinsichtlich Kortexdicke bzw. keine regionale<br />

Kortexatrophie, wie es nachweislich<br />

multifokal bei MS-PatientInnen der Fall war.<br />

Die AutorInnen sahen damit histologische Untersuchungen<br />

bestätigt, in denen ein Fehlen<br />

kortikaler Demyelinisierung bei NMO beschrieben<br />

worden war, und postulierten kortikale<br />

Läsionen als differenzialdiagnostisches Unterscheidungsmerkmal<br />

zwischen NMO und MS. u<br />

101


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neuroimaging<br />

Abb. 2: Aufteilung nach MS-Typus und Behinderungsgrad<br />

Der Nachweis kortikaler Läsionen bei PatientInnen<br />

mit einem radiologisch isolierten Syndrom<br />

(RIS) gelang einer anderen italienischen<br />

Arbeitsgruppe (Stromillo et al., Siena). Unter<br />

Einsatz von DIR und MRT fanden sich solche<br />

bei 40 % der Personen mit RIS, und zwar in<br />

fast allen Fällen zusammen mit positiven oligoklonalen<br />

Banden oder MRT-Läsionen mit<br />

102<br />

gesamte Gruppe<br />

(n = 280)<br />

Zentrale Atrophie<br />

gesamte Gruppe<br />

minimale Beeinträchtigung<br />

schubförmiger Beginn<br />

schubförmiger Beginn<br />

(n = 202)<br />

progredienter Beginn<br />

(n = 78)<br />

minimale Beeinträchtigung (n = 118)<br />

mittlere Beeinträchtigung (n = 57)<br />

RRMS (n = 103)<br />

SPVS (n = 74)<br />

Abb. 3: Ergebnisse: MRT-Prädiktoren <strong>für</strong> langfristigen klinischen Status<br />

Hirnathrophie<br />

PPMS<br />

Läsionsvolumen<br />

mittlere<br />

Beeinträchtigung<br />

schubförmiger Beginn<br />

zeitlicher Dissemination. Das Management<br />

des RIS wird in Zukunft wohl noch weiterzudiskutieren<br />

sein!<br />

Myelin-Imaging: Ein anderer Schwerpunkt<br />

der MRT-Forschung lag auf dem Gebiet des<br />

„Myelin-Imaging“. Während die Berechnung<br />

und Darstellung der Magnetization Transfer<br />

Ratio (MTR) seit einigen Jahren an spezialisierten<br />

Zentren vorgenommen wird und das<br />

„Myelin Water Imaging“/die „Myelin Water<br />

Fraction“ lediglich Kennern ein Begriff ist, erreichte<br />

das Diffusion Tensor Imaging (DTI) allgemeine<br />

Bekanntheit. DTI erlaubt nicht nur<br />

das Fiber Tracking, sondern auch die Herleitung<br />

der Diffusivität: Die so genannte radiale<br />

Diffusivität (RD) soll dabei den Myelingehalt<br />

repräsentieren. So konnten Preziosa et al.,<br />

Mailand, bei MS-PatientInnen u. a. eine solche<br />

Änderung der radialen Diffusivität im Bereich<br />

der kortikospinalen und thalamokortikalen<br />

Bahnen in Abhängigkeit von der klinischen<br />

Symptomatik aufzeigen. Auch eine<br />

andere Maßzahl des DTI, die fraktionale Anisotropie<br />

(FA), korreliert histologisch ebenfalls<br />

mit Myelin. Ein Zusammenhang zwischen<br />

ausgedehnten FA-Veränderungen im Marklager,<br />

bis juxtakortikal und Thalamus reichend,<br />

sowie der kognitiven Leistung wurde von<br />

Hulst et al., Amsterdam, beschrieben.<br />

Filippi et al., Mailand, stellten nicht nur pathologische<br />

Werte <strong>für</strong> RD (erhöht) oder FA<br />

(vermindert) in der normal erscheinenden<br />

weißen (und grauen) Substanz (NAWM,<br />

NAGM) dar, sondern auch Veränderungen<br />

dieser Parameter in den kortikalen Läsionen<br />

selbst.<br />

Abschließend kann festgehalten werden,<br />

dass die neuen, nichtkonventionellen MRT-<br />

Methoden auch in der Zukunft weitere, spannende<br />

Erkenntnisse in vivo über MS und<br />

deren zu Grunde liegenden Pathologie liefern<br />

werden. n


Service –Veranstaltungstermine<br />

Akademie Neuromuskuläre Erkrankungen der<br />

<strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />

13.–14. Jänner<br />

Klagenfurt<br />

Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />

51. Fachtagung <strong>für</strong> klinische Neurophysiologie<br />

und angrenzende Gebiete<br />

14.–21. Jänner<br />

Gemeindehaus Damüls<br />

Information: Ines Mathis<br />

Tel.: +43 (0)5574/202-1038<br />

Fax: +43 (0)5574/202-9<br />

E-Mail: ines-eliane.mathis@aks.or.at<br />

Webinfo: www.neuro-alpin.net/Meeting-2012.htm<br />

Multiple Sklerose – 4. Interdisziplinäres MS-Gespräch<br />

„Aspekte der <strong>Neurologie</strong> und Physikalischen<br />

Medizin“<br />

18. Jänner<br />

OK-Zentrum Linz<br />

Antwortfax: +43 (0)732/78 06 68-19<br />

E-Mail: neurologie@akh.linz.at<br />

Ultraschalldiagnostik der hirnversorgenden<br />

Arterien – C Einführungs-Aufbaukurs<br />

21.–22. Jänner<br />

Hotel Mercure, Graz<br />

Information: Univ.-Prof. Dr. Kurt Niederkorn<br />

E-Mail: office@niederkorn.at<br />

15. Jahrestagung der <strong>Österreichische</strong>n<br />

Schlaganfall-<strong>Gesellschaft</strong> mit Pflegesymposium<br />

und Fortbildungsakademie<br />

26.–28.Jänner<br />

Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> Innsbruck<br />

Information: Simone Kluckner<br />

E-Mail: simone.kluckner@uki.at<br />

„Neurologischer Donnerstag“<br />

26. Jänner<br />

Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg<br />

Ausbildungszentrum, Niedernharter Straße 20, 4020 Linz<br />

Information: Univ.-Prof. Prim. Dr. Franz Aichner<br />

Tel.: +43 (0)50 55 462-25701<br />

E-Mail: franz.aichner@gespag.at<br />

Jubiläumstagung Kopfschmerz<br />

26.–28. Jänner<br />

Hörsaalzentrum MedUni Wien<br />

Information: Wiener Medizinische Akademie, Anna Vodenik<br />

Tel.: +43 (0)1/405 13 83-31<br />

Fax: +43 (0)1/407 82 74<br />

E-Mail: kopfschmerz2012@medacad.org<br />

Schmerzakademie der ÖGN und ÖGPP „Modul 3“<br />

10.–12. Februar<br />

Hotel Friesacher, Anif/Salzburg<br />

Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />

7 th International Update Neuro-Anesthesia &<br />

Neuro-Intensive Care EuroNeuro<br />

16.–18. Februar<br />

Altes AKH, University of Vienna, Campus – Hof 2<br />

Information: Campus-GmbH<br />

E-Mail: office@kongressmanagement.at<br />

The 8 th Annual Update Symposium Series on Clinical<br />

Neurology & Neurophysiology 2012<br />

22.–23. Februar<br />

David Intercontinental Hotel, Tel Aviv, Israel<br />

Tel.: +972 2/652 0574<br />

Fax: +972 2/652 0558<br />

E-Mail: register@isas.co.il<br />

Webinfo: www.neurophysiology-symposium.com<br />

1 st Annual Winter School for Young Neurologists<br />

24.–26. Februar<br />

Innsbruck<br />

Webinfo: www.movementdisorders.org/education<br />

Doppler- und Duplexsonographie der<br />

hirnversorgenden Arterien: Ultraschallkurse der<br />

ARGE Neurosonologie (FORTGESCHRITTENENKURS)<br />

25.–26. Februar<br />

Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> Innsbruck<br />

Information: Sekretariat des Neurosonologischen Labors<br />

Tel.: +43 (0)512/504-23871<br />

E-Mail: neurosonologie@gmail.com<br />

The 6 th World Congress on Controversies<br />

in Neurology (CONy)<br />

8.–11. März<br />

Wien<br />

Webinfo: www.comtecmed.com/cony/2012/<br />

Forum <strong>für</strong> Geriatrie und Gerontologie<br />

10.–13. März<br />

Neues Kongresszentrum, Bad Hofgastein<br />

Information: Ilse Howanietz<br />

<strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Geriatrie und Gerontologie<br />

c/o SMZ Sophienspital Wien<br />

Tel.: +43 (0)1/521 03-5770<br />

E-Mail: ilse.howanietz@wienkav.at<br />

Webinfo: www.geriatrie-online.at<br />

10. Jahrestagung der <strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />

14.–17. März<br />

Messe Graz<br />

Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />

Curriculum Neurorehabilitation<br />

Modul 5 – Interdisziplinäre Neuro-Rehabilitation<br />

14. März<br />

Graz<br />

Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />

109


Service –Veranstaltungstermine<br />

Ultraschalldiagnostik der hirnversorgenden<br />

Arterien – B (Fortgeschrittenenkurs)<br />

24.–25. März<br />

Hotel Mercure, Waltendorfer Gürtel 18-20, 8010 Graz<br />

Information: Univ.-Prof. Dr. Kurt Niederkorn<br />

E-Mail: office@niederkorn.at<br />

Schmerzakademie der ÖGN und ÖGPP „Modul 4“<br />

30. März bis 1. April<br />

Hotel Friesacher, Hellbrunnerstrasse 17, 5081 Anif/Salzburg<br />

Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />

3 rd International Symposium<br />

PAIN IN THE BALTICS 2012<br />

13.–14. April<br />

Vilnius, Lithuania<br />

Webinfo: www.balticpain2012.com<br />

„Neurologischer Donnerstag“<br />

19. April<br />

Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg<br />

Ausbildungszentrum, Niedernharter Straße 20, 4020 Linz<br />

Information: Univ.-Prof. Prim. Dr. Franz Aichner<br />

Tel.: +43 (0)50 55462 25701<br />

E-Mail: franz.aichner@gespag.at<br />

„Neurologischer Donnerstag“<br />

14. Juni<br />

AKH Linz, Med. Ausbildungszentrum, Hörsaal 1 bzw. 3a/b<br />

Information: Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr<br />

Tel.: +43 (0)732/7806-6811<br />

E-Mail: gerhard.ransmayr@akh.linz.at<br />

Jahrestagung der <strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> Schlafmedizin und Schlafforschung<br />

27.–28. April<br />

Grand Hotel Sauerhof, 2500 Baden/Wien<br />

Webinfo: www.asra2012.at<br />

7 th International Symposium on Neuroprotection<br />

and Neurorepair<br />

2.–5. Mai<br />

Kongresshotel Potsdam am Templiner See<br />

Information: event lab. GmbH<br />

Tel.: +49 (0)341/24 05 96-81<br />

Fax: +49 (0)341/24 05 96-51<br />

E-Mail: abrannolte@eventlab.org<br />

8 th International Congress on Mental Dysfunction &<br />

Other Non-Motor Features in Parkinson’s Disease<br />

3.–6. Mai<br />

Berlin<br />

Information: Kenes International<br />

E-Mail: mdpd@kenes.com<br />

The 7 th Baltic Congress of Neurology<br />

9.–12. Mai<br />

Tartu, Estonia<br />

Webinfo: www.balcone2012.ee<br />

110<br />

„Neurologischer Donnerstag“<br />

10. Mai<br />

AKH Linz, Med. Ausbildungszentrum, Hörsaal 1 bzw. 3a/b<br />

Information: Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr<br />

Tel.: +43 (0)732/7806-6811<br />

E-Mail: gerhard.ransmayr@akh.linz.at<br />

XXI European Stroke Conference<br />

22.–25. Mai<br />

Lissabon, Portugal<br />

Tel.: +41 (0)61/686 77 11<br />

Fax: +41 (0)61/686 77 88<br />

E-Mail: congrextravel@congrex.com<br />

Schmerzakademie der ÖGN und ÖGPP „Modul 5“<br />

25.–27. Mai<br />

Hotel Friesacher, Anif/Salzburg<br />

Information: ÖGN Sekretariat, oegn@admicos.com<br />

RIMS 2012 – Rehabilitation in Multiple Sclerosis<br />

17 th Annual Conference<br />

31. Mai–2. Juni<br />

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf<br />

Webinfo: www.rims2012.org<br />

16 th International Congress of Parkinson’s Disease<br />

and Movement Disorders<br />

17.–21. Juni<br />

Dublin<br />

Webinfo: www.mdscongress2012.org/<br />

22 nd Meeting of the European Neurological<br />

Society (ENS)<br />

9.–12. Juni<br />

Prag, Czech Republic<br />

Information: European Neurological Society, Basel<br />

Tel.: +41 (0)61/691 51 11<br />

E-Mail: info@ensinfo.org<br />

Webinfo: www.ensinfo.org<br />

9. Innere Medizin Update-Refresher<br />

12.–16. Juni<br />

Aula der Wissenschaften, Wien<br />

Information: Forum <strong>für</strong> medizinische Fortbildung<br />

Tel.: +43 (0)2252/26 32 63-10<br />

Fax: +43 (0)2252/26 32 63-40<br />

E-Mail: info@fomf.at<br />

Webinfo: www.fomf.at<br />

6. Kongress der Arbeitsgemeinschaft<br />

<strong>für</strong> Notfallmedizin: Notfallmedizin 2.0<br />

14.–16. Juni<br />

Messe Congress Graz<br />

Webinfo: www.agn.at/index.php/kongress


The 8 th International Conference on<br />

Frontotemporal Dementias<br />

5.–7. September<br />

Manchester<br />

Webinfo: www.ftd2012.org<br />

16 th EFNS Congress<br />

8.–10. September<br />

Stockholm, Sweden<br />

E-Mail: stockholm2010@efns.org<br />

Webinfo: www.efns.org/efns2012<br />

57. Jahrestagung der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN)<br />

12.–15. September<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Information: Nadia Al Hamadi<br />

Tel.: +49 (0)3641/311 63 15<br />

Fax: +49 (0)3641/311 62 41<br />

E-Mail: neuropathology2012@conventus.de<br />

Webinfo: www.conventus.de<br />

8 th World Stroke Congress<br />

10.–13. Oktober<br />

Brasilien<br />

Webinfo: www2.kenes.com/stroke/pages/home.aspx<br />

ÖGN-Sekretariat: Tanja Weinhart<br />

Skodagasse 14–16, 1080 Wien<br />

Tel.: +43 (0)1/512 80 91-19<br />

E-Mail: oegn@admicos.com<br />

Intensivkurs Neuroanatomie 2012<br />

Schwerpunkt-Themen 2012:<br />

Kleinhirn, Rückenmark, Frontallappen<br />

10.–13. Oktober<br />

Anatomische Anstalt der Universität München<br />

E-Mail: info@intensivkurs-neuroanatomie.de<br />

Webinfo: www.intensivkurs-neuroanatomie.de<br />

Jahrestagung der ÖPG<br />

18.–20. Oktober<br />

Innsbruck<br />

Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />

22. Jahrestagung der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> Neurorehabilitation e. V. (DGNR) 2012<br />

22.–24. November<br />

Stadthalle Fürth<br />

Information: Claudia Voigtmann<br />

Tel.: +49 (0)3641/311 63 35<br />

Fax: +49 (0)3641/311 62 41<br />

E-Mail: claudia.voigtmann@conventus.de<br />

111

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