neurologisch - Österreichische Gesellschaft für Neurologie
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P.b.b. 07Z037411M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien, ISSN 2223-0629 neurologisch Fachmagazin für Neurologie AUSGABE 4/11 Schwerpunkt Entrapment-Syndrome Kongresshighlights Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, ECTRIMS Neurologie in Österreich Evaluation der Schlafapnoe bei SchlaganfallpatientInnen Neurologie aktuell Effekt der AD-Risikofaktoren- Reduktion auf die Alzheimer- Prävalenz Offizielles Organ der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie MedMedia Verlags Ges.m.b.H.
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P.b.b. 07Z037411M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien, ISSN 2223-0629<br />
<strong>neurologisch</strong><br />
Fachmagazin <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> AUSGABE 4/11<br />
Schwerpunkt<br />
Entrapment-Syndrome<br />
Kongresshighlights<br />
Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />
ECTRIMS<br />
<strong>Neurologie</strong> in Österreich<br />
Evaluation der Schlafapnoe bei<br />
SchlaganfallpatientInnen<br />
<strong>Neurologie</strong> aktuell<br />
Effekt der AD-Risikofaktoren-<br />
Reduktion auf die Alzheimer-<br />
Prävalenz<br />
Offizielles Organ<br />
der <strong>Österreichische</strong>n<br />
<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Neurologie</strong><br />
MedMedia<br />
Verlags Ges.m.b.H.
Editorial<br />
Sehr geehrte Frau Kollegin,<br />
sehr geehrter Herr Kollege!<br />
2011 ist rasch vergangen, und Sie halten die<br />
letzte Ausgabe dieses Jahres von <strong>neurologisch</strong><br />
in Ihren Händen. Ich hoffe, es war auch <strong>für</strong><br />
Sie ein gutes Jahr, vielleicht manchmal turbulent<br />
und aufregend, aber insgesamt doch<br />
erfolgreich. Die <strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> hat sich jedenfalls bemüht,<br />
Sie in Ihrem beruflichen Wirkungskreis tatkräftig<br />
zu unterstützen. Wir werden dies<br />
auch 2012 genauso fortsetzen.<br />
Die aktuelle Ausgabe von <strong>neurologisch</strong> hat<br />
diesmal als Schwerpunktthema die peripheren<br />
Nervenkompressionssyndrome. Prof.<br />
Bruno Mamoli gebührt der Dank <strong>für</strong> die Zusammenstellung<br />
der einzelnen Beiträge.<br />
Prof. Stefan Quasthoff gibt einen Überblick<br />
über die pathophysiologischen Grundlagen.<br />
In der Praxis spielt das Karpaltunnelsyndrom<br />
aufgrund seiner Häufigkeit eine besondere<br />
Rolle. Dr. Andrea Vass beantwortet in ihrem<br />
Beitrag die wesentlichen Fragen zu Ursachen,<br />
Symptomatik, Diagnostik und Therapie.<br />
Prof. Wolfgang Löscher befasst sich mit<br />
dem ebenfalls häufigen Sulcus nervi ulnaris-<br />
Syndrom (Kubitaltunnelsyndrom). Der Beitrag<br />
über das differenzialdiagnostisch wichtige<br />
Thoracic Outlet-Syndrom wurde von<br />
Prof. Bruno Mamoli verfasst. Die Kompressionssyndrome<br />
an den unteren Extremitäten<br />
bzw. des Plexus lumbosacralis werden von<br />
Doz. Udo Zifko und Dr. Marcus Erdler dargestellt.<br />
Beide Beiträge gehen systematisch<br />
auf die anatomischen Grundlagen, Symptomatik,<br />
differenzialdiagnostischen Probleme<br />
und Therapiemöglichkeiten ein. Insgesamt<br />
erlauben die Beiträge einen praxisbezogenen,<br />
kompakten und aktuellen Überblick<br />
über diese wichtigen peripheren Nervenläsionen.<br />
Das Schwerpunktthema wird ergänzt durch<br />
Kongressberichte, diesmal u. a. mit Beiträgen<br />
zur Jahrestagung der DGN zu den Themen<br />
Schmerz, multiple Sklerose und Parkinson<br />
sowie zum ECTRIMS-Kongress.<br />
Ans Herz legen möchte ich Ihnen auch die<br />
Lektüre des Artikels unseres Gastautors Prof.<br />
Andreas Klein, der kritisch einige wesentliche<br />
Punkte zur Forschung im Umgang mit der<br />
Öffentlichkeit betrachtet.<br />
Die Vorbereitungen <strong>für</strong> die Jahrestagung der<br />
ÖGN (14. bis 17. März 2012 in Graz) sind<br />
voll im Gang, und wir freuen uns alle auf<br />
einen wissenschaftlich und praktisch interessanten,<br />
thematisch abwechslungsreichen<br />
Kongress. Bitte merken Sie sich den Termin<br />
vor und nehmen Sie teil.<br />
Ich darf Ihnen auf diesem Weg auch meine<br />
besten Wünsche <strong>für</strong> das neue Jahr übermitteln<br />
und mich <strong>für</strong> Ihre Unterstützung sehr<br />
herzlich bedanken! Bitte bleiben Sie der<br />
<strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />
als aktive Mitglieder auch im kommenden<br />
Jahr 2012 gewogen.<br />
Mit kollegialen Grüßen<br />
Ihr<br />
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />
Vorstand der Universitätsklinik <strong>für</strong><br />
<strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Wien,<br />
Präsident der ÖGN<br />
Wollen Sie mit uns<br />
in Kontakt treten?<br />
Leserbriefe erwünscht:<br />
<strong>neurologisch</strong>@medmedia.at oder<br />
Seidengasse 9/Top1.1,<br />
1070 Wien<br />
Chefredaktion<br />
<strong>neurologisch</strong><br />
Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />
SMZ Ost, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />
Generalsekretär der ÖGN<br />
3<br />
FOTO: MEDCOMMUNICATIONS
Wissenschaftlicher<br />
Beirat<br />
Bewegungsstörungen<br />
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />
Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe, Innsbruck<br />
Epilepsie<br />
Univ.-Prof. DI Dr. Christoph Baumgartner, Wien<br />
Priv.-Doz. Dr. Michael Feichtinger, Graz<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka, Salzburg<br />
Schlafstörungen<br />
Univ.-Prof. Dr. Birgit Högl, Innsbruck<br />
Univ.-Prof. DDr. Josef Zeitlhofer, Wien<br />
Neurorehabilitation<br />
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Heinrich Binder, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Leopold Saltuari, Hochzirl<br />
Schlaganfall<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz Aichner, Linz<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin, Tulln<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang, Wien<br />
Schmerz<br />
Dr. Gerhard Franz, Telfs<br />
Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Lampl, Linz<br />
Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Vöcklabruck<br />
Neuromuskuläre Erkrankungen<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Löscher, Innsbruck<br />
Univ.-Prof. Dr. Stefan Quasthoff, Graz<br />
Multiple Sklerose<br />
Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Innsbruck<br />
Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas, Graz<br />
Univ.-Prof. Dr. Karl Vass, Wien<br />
Demenz<br />
Univ.-Prof. Dr. Thomas Benke, Innsbruck<br />
Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt, Graz<br />
Autonome Störungen<br />
DI Dr. Heinz Lahrmann, Wien<br />
Dr. Walter Struhal, Linz<br />
Univ.-Prof. Dr. Gregor Wenning, Innsbruck<br />
Neurogeriatrie<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder, Salzburg<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr, Linz<br />
Prim. Univ.-Doz. Dr. Josef Spatt, Wien<br />
Neurochirurgie<br />
Univ.-Prof. Dr. Engelbert Knosp, Wien<br />
Prim. Univ.-Doz. Dr. Manfred Mühlbauer, Wien<br />
Prim. Doz. Dr. Gabriele Wurm, Linz<br />
Neuroimaging<br />
Univ.-Prof. MSc DDr. Susanne Asenbaum-Nan, Wien<br />
Assoz. Prof. Dr. Christian Enzinger, Graz<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller, Villach<br />
Leitmotiv der<br />
aktuellen Ausgabe <strong>neurologisch</strong><br />
Der 1983 in Kamoto, Sambia, geborene Künstler Mathias Kloser studierte in Wien von<br />
2004 bis 2009 an der Akademie der bildenden Künste bei Prof. Gunter Damisch bildende<br />
Kunst mit Schwerpunkt Malerei und Grafik. Seit 2008 nahm Kloser, der 2009 den Koschatzky-<br />
Kunstpreis erhielt, an verschiedenen Gruppenausstellungen teil. 2010 folgte eine Ausstellung<br />
in der Galerie Frey.<br />
„Um eine passende Form zu finden, Entrapment-Syndrome treffend darzustellen, hielt ich<br />
es <strong>für</strong> ratsam, die betroffenen Extremitäten zu integrieren. Diese habe ich letztlich zu so<br />
etwas wie Zahnrädern in einer Spürsinnmaschine verarbeitet. Diese habe ich dann mit<br />
ver schiedenen unscharfen, verschmierten Linien überlagert, um eine erhebliche Interferenz<br />
darzustellen, einen Geist in der Maschine evozierend.“<br />
Mathias Kloser<br />
Impressum Herausgeber: <strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Präsident der ÖGN. Chefredaktion: Univ.-Prof. Dr. Bruno<br />
Mamoli, Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager. Medieninhaber und Verlag: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien, Tel.: 01/407 31 11-0,<br />
E-Mail: office@medmedia.at. Verlagsleitung: Mag. Gabriele Jerlich. Redaktion: Maria Uhl. Lektorat: onlinelektorat@aon.at. Layout/DTP: Martin Grill. Projektbetreuung:<br />
Natascha Fial. Coverbild: Mathias Kloser. Print: „agensketterl“ Druckerei GmbH, Mauerbach. Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift ist zum Einzelpreis von 9,50 Euro plus MwSt. zu<br />
beziehen. Druckauflage: 8.150 Stück im 1. Halbjahr 2011, geprüft von der <strong>Österreichische</strong>n Auflagenkontrolle. Grundsätze und Ziele von <strong>neurologisch</strong>: Kontinuierliche medizinische<br />
Fortbildung <strong>für</strong> Neuro logen, Psychi ater und Allgemeinmediziner. Allgemeine Hinweise: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche und/oder wissenschaftliche<br />
Meinung des jeweiligen Autors wieder und fallen somit in den persönlichen Verantwortungsbereich des Verfassers. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen<br />
von pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Trotz sorgfältiger Prüfung übernehmen<br />
Medieninhaber und Herausgeber keinerlei Haftung <strong>für</strong> drucktechnische und inhaltliche Fehler. Ausgewählte Artikel dieser Ausgabe finden Sie auch unter<br />
www.medmedia.at zum Download. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil<br />
des Werkes darf in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter<br />
Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, verwertet oder verbreitet werden.<br />
5
Inhalt 4/2011<br />
GESELLSCHAFTSNACHRICHTEN<br />
8 Neuigkeiten aus der ÖGN<br />
109 Veranstaltungskalender<br />
SCHWERPUNKT: ENTRAPMENT-SYNDROME<br />
15 Einleitung<br />
B. Mamoli, Wien<br />
16 Pathophysiologie der<br />
Nervenkompressionssyndrome<br />
S. Quasthoff, Graz<br />
20 Das Karpaltunnelsyndrom<br />
A. Vass, Wien<br />
23 Das Sulcus nervi ulnaris-Syndrom<br />
W. Löscher, Innsbruck<br />
28 Das Thoracic Outlet-Syndrom<br />
B. Mamoli, Wien<br />
36 Proximale Drucksyndrome an den<br />
unteren Extremitäten<br />
M. Erdler, Wien<br />
40 Distale Nervenengpassyndrome<br />
der unteren Extremitäten<br />
U. Zifko, Wien<br />
NEUROLOGIE IN ÖSTERREICH<br />
44 Evaluation der Schlafapnoe<br />
bei SchlaganfallpatientInnen<br />
S. Kotzian, M. Saletu, Wien<br />
46 Review: Sporadische zerebrale<br />
Amyloidangiopathie<br />
Gliadysfunktion in der Pathogenese von<br />
�-Synucleinopathien: moderne Konzepte<br />
K. A. Jellinger, Wien<br />
KONGRESS-HIGHLIGHTS<br />
48 84. Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> (DGN) 2011<br />
T. Brücke, U. Baumhackl, Wien, N. Mitrovic, Vöcklabruck<br />
60 5. Gemeinsamer ECTRIMS-ACTRIMS-<br />
Kongress 2011, Amsterdam<br />
J. Kraus, Salzburg<br />
GASTARTIKEL<br />
83 Zufallsbefunde bei<br />
neurowissenschaftlichen Studien<br />
A. Klein, Wien<br />
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
86 Schlafstörungen<br />
G. Klösch, D. Moser, Wien<br />
88 Neurorehabilitation<br />
K. Fheodoroff, Hermagor<br />
90 Schlaganfall<br />
W. Lang, Wien<br />
92 Neuromuskuläre Erkrankungen<br />
W. Grisold, S. Meng, Wien<br />
94 Demenz<br />
P. Dal-Bianco, J. Marksteiner, R. Schmidt, Wien<br />
96 Autonome Störungen<br />
F. Krismer, G. K. Wenning, N. Stefanova, Innsbruck<br />
98 Neurogeriatrie<br />
J. Spatt, Wien<br />
101 Neuroimaging<br />
S. Asenbaum-Nan, Wien, C. Enzinger, Graz<br />
106 Pharma-News<br />
7
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
8<br />
SCHWERPUNKT<br />
Herbert Reisner wurde als Sohn einer Offiziers- und Ärztefamilie altösterreichischer<br />
Prägung am 1. Dezember 1912 in Wien geboren.<br />
Nach dem Abschluss seines Medizinstudiums an der Universität Wien<br />
am 18. Juli 1938 absolvierte Herbert Reisner seine Fachausbildung<br />
unter Otto Pötzl an der Wiener Psychiatrisch-Neurologischen<br />
Universitätsklinik. Ab 1942 war<br />
er klinischer Assistent, wurde er jedoch im Mai 1943<br />
zum Wehrdienst eingezogen und war während der<br />
Militärdienstzeit ein Jahr bei Viktor von Weizsäcker am<br />
Otfried-Förster-Institut, damals Hirnverletzten-Lazarett,<br />
in Breslau tätig. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
setzte Reisner ab August 1945 seine Tätigkeit an<br />
der Wiener Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik,<br />
nunmehr unter der Leitung von Otto Kauders,<br />
fort. 1949 habilitierte er als erster Assistent der Klinik<br />
<strong>für</strong> das Fachgebiet <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie und leitete<br />
1949/50 supplierend die Klinik.<br />
1951 wechselte Reisner als Ärztlicher Direktor an die Rothschild-Stiftung<br />
der Nervenheilanstalt der Stadt Wien-Rosenhügel, welche 1966<br />
in Neurologisches Krankenhaus der Stadt Wien-Rosenhügel umbenannt<br />
wurde. Er wirkte 17 Jahre an dieser Institution und war eine der<br />
prägenden Persönlichkeiten in der österreichischen <strong>Neurologie</strong> der<br />
Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit. 1958 wurde Reisner zum ao.<br />
Univ.-Prof. <strong>für</strong> „Forensische Psychiatrie“ ernannt.<br />
Im Jahr 1968 wurde er zum Vorstand der Psychiatrisch-Neurologischen<br />
Universitätsklinik Graz bestellt, am 1. September 1971 übernahm<br />
Reisner die Leitung der Neurologischen Universitätklinik in<br />
Wien, die erste selbstständige <strong>neurologisch</strong>e Universitätsklinik in<br />
Österreich, die er bis zu seinem Ableben 1982 leitete.<br />
Die Arbeitsgebiete von Reisner umspannten in großem Bogen die<br />
gesamte klinische <strong>Neurologie</strong> und einige wesentliche Gebiete der<br />
Psychiatrie. Seine wissenschaftlichen Aktivitäten schlugen sich in über<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Herbert Reisner<br />
Zum 100. Geburtstag (* 1. 12. 1912), zum 30. Todestag († 30. 3. 1982),<br />
zum 40-Jahres-Jubiläum Autonomie der Neurologischen Universitätsklinik<br />
Wien (ab 1. 9. 1971)<br />
Herbert Reisner<br />
(1912–1982)<br />
300 Publikationen nieder. Die größte Zahl der Arbeiten Reisners<br />
befasste sich mit den zerebrovaskulären Erkrankungen. Als wegweisender<br />
Meilenstein Reisners ist 1952 die Einrichtung der ersten<br />
Schlaganfallstation Österreichs am „Rosenhügel“ zu<br />
nennen, und 1961 war es ihm möglich, am Rosenhügel<br />
an rund 1000 SchlaganfallpatientInnen Katamnesen zu<br />
erheben, womit der Wert der konsequenten Rehabilitation<br />
erwiesen werden konnte. Reisner erkannte den<br />
Strukturwandel der später zumeist autonom gewordenen<br />
<strong>neurologisch</strong>en Wissenschaften, der in den<br />
1960/1970er Jahren eine Aufbruchsstimmung in der klinischen<br />
<strong>Neurologie</strong> bewirkte, und begründete die so<br />
genannten „Internationalen Symposien zur Koordination<br />
der <strong>neurologisch</strong>en Wissenschaften“, die im Jahresabstand<br />
abwechselnd in Wien, Graz, Erlangen und Heidelberg<br />
tagten und <strong>für</strong> viele der jüngeren Generation zu<br />
einem Forum ihrer vielfältigen wissenschaftlichen Arbeiten wurde. An<br />
der Wiener Neurologischen Universitätsklinik gelang es Reisner, eine<br />
moderne <strong>neurologisch</strong>e Institution aufzubauen, in welcher die Fachbereiche<br />
der Neuroradiologie, Hirnkreislauflabor, neurochemisches<br />
Labor, Elektro-Neurophysiologie, Neuropsychologie und Einrichtungen<br />
der Neurorehabilitation unter seiner Leitung vereint vertreten waren.<br />
Reisner war Präsident der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>Österreichische</strong>r Nervenärzte<br />
und Psychiater, Präsident der <strong>Österreichische</strong>n Multiple-Sklerose-<br />
<strong>Gesellschaft</strong> sowie Mitglied und Ehrenmitglied zahlreicher in- und ausländischer<br />
wissenschaftlicher <strong>Gesellschaft</strong>en. Die Stadt Wien ehrte ihn<br />
mit einem Ehrengrab am Hietzinger Friedhof. Im Gedenken an Reisner<br />
wird von der <strong>Österreichische</strong>n Sektion der Internationalen Liga gegen<br />
Epilepsie alle zwei Jahre der „Herbert-Reisner-Preis <strong>für</strong> klinische Epileptologie“<br />
verliehen.<br />
Univ.-Prof. Dr. Gernot Schnaberth
FOTO: PERO-DESIGN - FOTOLIA.COM<br />
Jobbörse<br />
Am A.ö. Bezirkskrankenhaus Kufstein/Abteilung <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> gelangt<br />
ab sofort eine Stelle <strong>für</strong><br />
Segeberger Kliniken Gruppe sucht halb- oder ganztags<br />
Assistenzärztinnen/Assistenzärzte <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />
Zusammengestellt von:<br />
Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />
und Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />
eine/einen Fachärztin/Facharzt <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und<br />
eine/einen Sekundarärztin/Sekundararzt <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> zur Besetzung.<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> die Facharztstelle ist Teamfähigkeit, erwünscht sind elektrophysiologische und sonografische Erfahrungen und Kenntnisse.<br />
Die Aufgaben umfassen fachärztliche Tätigkeit an der <strong>neurologisch</strong>en Allgemeinstation, Stroke Unit, Ambulanz, <strong>neurologisch</strong>e Zusatz -<br />
diagnostik sowie Absolvierung von Nacht- und Wochenenddiensten. Die Stelle ist auf ein Jahr befristet.<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> die Sekundararztstelle ist ein Ius practicandi als Allgemeinmediziner, Teamfähigkeit ist erwünscht. Die Aufgaben umfassen<br />
Stations- und Ambulanztätigkeit, Absolvierung von Nacht- und Wochenenddiensten sowie Bereitschaft zur Fortbildung und zur Mitarbeit an<br />
wissenschaftlichen Projekten. Die Stelle ist auf ein Jahr befristet.<br />
Für weitere Informationen steht Ihnen Prim. Univ.-Doz. Dr. Klaus Berek, Leiter der Abteilung <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> am A. ö. BKH Kufstein<br />
(klaus.berek@bkh-kufstein.at) zur Verfügung.<br />
Die Segeberger Kliniken Gruppe gehört mit ihren vielfältigen und hochspezialisierten medizinischen Leistungen und über 1600 Mitarbeitern<br />
zu den innovativen Kliniken in Norddeutschland. Die Segeberger Kliniken (Akademisches Lehrkrankenhaus der Christian-Albrechts-Universität<br />
zu Kiel und des Universitätsklinikums UKE, Hamburg) bietet in ihrem Neurologischen Zentrum mit insgesamt 300 Betten alle Phasen der<br />
<strong>neurologisch</strong>en Versorgung an. Hierzu zählen 80 Akutbetten, die sich jeweils zur Hälfte auf die Phase A (Akutneurologie) einschließlich einer<br />
Stroke Unit und die Phase B (Frührehabilitation) einschließlich 20 Beatmungsplätzen aufteilen.<br />
Bedingt durch das Ausscheiden langjähriger MitarbeiterInnen nach erfolgreichem Abschluss der Facharztausbildung<br />
suchen wir halb- oder ganztags Assistenzärztinnen/Assistenzärzte <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>.<br />
Wir garantieren die volle <strong>neurologisch</strong>e Weiterbildung durch ein strukturiertes Curriculum mit Rotation in die Akut-, Intensiv- und<br />
Reha-<strong>Neurologie</strong> sowie Freistellung <strong>für</strong> die enge ober- und chefärztlich supervidierte Ausbildung in der <strong>neurologisch</strong>en Funktionsdiagnostik<br />
und Neuroradiologie. Zusätzlich bieten wir Weiterbildungsmöglichkeiten in der Intensivmedizin (6 Mo.), Neurochirurgie (12 Mo.), Klinische<br />
Geriatrie (24 Mo.) und Sozialmedizin (12 Mo.) an. Wissenschaftliches Arbeiten wird unterstützt und im Falle einer Dissertation intensiv<br />
begleitet (aktueller Stand: zwei abgeschlossene und drei laufende Promotionen).<br />
Neurologisches Arbeiten findet bei uns auf höchstem Niveau statt. Zu unserem Leitungsteam gehören Mitarbeiter mit ausgewiesenem<br />
Schwerpunkt <strong>für</strong> vaskuläre <strong>Neurologie</strong>, Bewegungsstörungen, Neuroimmunologie und Intensivmedizin. Unsere Klinik zeichnet sich durch ein<br />
sehr gutes Arbeitsklima aus, mit guter Zusammenarbeit unter den Berufsgruppen und fachübergreifend. Aufgrund der Größe des ärztlichen<br />
Teams bieten wir geregelte Arbeitszeiten, eine niedrige Dienstfrequenz und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit. Mit der Note 1,9 schnitten wir<br />
in der Globalbeurteilung bei der ersten bundesweiten Evaluation der Weiterbildung sehr gut ab (siehe auch Team & Kontakte auf unserer<br />
Website). Die Vergütung ist an den TV-Ärzte/VKA angelehnt. Bad Segeberg ist aus Lübeck, Hamburg oder Kiel mit allen Verkehrsmitteln<br />
gut zu erreichen.<br />
Wir freuen uns über Ihr Interesse und stehen Ihnen gerne <strong>für</strong> weitere Informationen zur Verfügung:<br />
Chefarzt Prof. Dr. José M. Valdueza +49 (0)4551/802-5801 oder<br />
Assistenzärztin Serap Sever +49 (0)4551/802-6832).<br />
Bewerbung – per Post oder E-Mail an: Segeberger Kliniken GmbH, Am Kurpark 1, 23795 Bad Segeberg, jobs@segebergerkliniken.de<br />
9
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
10<br />
Jobbörse<br />
SCHWERPUNKT<br />
Nachfolger/Nachfolgerin gesucht<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Sehr erfolgreiche <strong>neurologisch</strong>e Praxis in der Schweiz (Region Basel) mit nahezu ausschließlich konsiliarischer Tätigkeit (inkl. EEG, EMG, ENG,<br />
evoz. Pot., Ultraschall) - <strong>für</strong> Detailinformationen nehmen Sie bitte telefonisch Kontakt auf:<br />
Dr. med. H.R. Stöckli, +41 (0)61/921 91 70<br />
Sozialmedizinisches Zentrum Ost – Donauspital sucht<br />
eine/einen Fachärztin/Facharzt <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />
Im Sozialmedizinischen Zentrum Ost – Donauspital gelangt ab 1. 3. 2012 eine vorerst befristete Karenzstelle<br />
<strong>für</strong> einen Spitalsarzt/eine Spitalsärztin an der Neurologischen Abteilung mit Department <strong>für</strong> Akutgeriatrie zur Besetzung.<br />
Besondere Erfordernisse:<br />
Facharzt/Fachärztin <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />
Wünschenswert sind vertiefte Kenntnisse und Fertigkeiten, welche die selbstständige Ausübung zumindest einer der <strong>neurologisch</strong>en<br />
Zusatzuntersuchungen (Neurophysiologie, EEG, Neurosonologie) ermöglichen.<br />
Weitere Auskünfte und Bewerbung: Doz. Dr. Regina Katzenschlager, 01/288 02-4203 oder 01/288 02-744215<br />
Cotzias-Award<br />
<strong>für</strong> Professor Jellinger<br />
Im Rahmen der LXIII Jahrestagung<br />
der Spanischen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Neurologie</strong> (SEN) in Barcelona<br />
wurde Univ.-Prof.<br />
Dr. Kurt A. Jellinger am<br />
16. November 2011 der<br />
George-Cotzias-Preis der<br />
Movement Study Group<br />
der SEN verliehen.<br />
Bei dieser Tagung hielt Jellinger auch die vom<br />
Vorstand der SEN eingeladene Dr.-Luis-Barraquer-Ferré-Lecture<br />
„Clinico-pathological Correlations<br />
of Synucleinopathies“.<br />
Die ÖGN gratuliert zu dieser Auszeichnung.<br />
UEMS-Neuroradiologie<br />
Seitens der UEMS wurde ein offizielles Papier zur interventionellen Neuroradiologie<br />
herausgegeben, in dem eine strukturierte Ausbildung dargestellt wird. Die Ausbildung<br />
ist gemäß UEMS auch <strong>für</strong> NeurologInnen zugänglich.<br />
http://neuro.uemsradiology.eu/education.aspx
Lehrvideo zur Durchführung der Hirntoddiagnostik<br />
bei einer geplanten Organentnahme<br />
Im österreichischen Bundesgesetzblatt Nr. 273 aus dem Jahr 1982 wurden<br />
die rechtlichen Grundlagen <strong>für</strong> die Entnahme von Organen Verstorbener<br />
zum Zwecke der Transplantation geschaffen. Dabei wurde die<br />
Feststellung des Hirntodes als unabdingbare Voraussetzung vor der<br />
Durchführung einer Organentnahme rechtlich formuliert. Der Hirntod<br />
wird als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns,<br />
des Kleinhirns und des Hirnstamms definiert. Der Hirntod wird<br />
dem Individualtod eines Menschen gleichgesetzt.<br />
Leben und Tod sind biologische Kategorien. Die Grenzziehung zwischen<br />
Leben und Tod ist kulturell festgelegt. Das Subjekt des Todes ist das<br />
menschliche Individuum als leiblich-seelische Ganzheit. Es gibt nur einen<br />
Tod, aber unterschiedliche Todeszeitpunkte. Die Grenze zwischen Leben<br />
und Tod ist nicht durch den Funktionsausfall einzelner Organsysteme definiert,<br />
sondern durch die Fähigkeit der zentralen Steuerung und Integration<br />
im Gehirn. Der irreversible Verlust der Hirnfunktion ist ein Kriterium, den<br />
Todeszeitpunkt festzulegen, wie er in der Gesetzgebung enthalten ist.<br />
Die Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik in Österreich<br />
wurden im Jahre 1997 und im Jahre 2005 von einem interdisziplinär<br />
besetzten ExpertInnengremium erarbeitet und zuletzt vom obersten<br />
Sanitätsrat am 17. 12. 2005 beschlossen. Demnach gliedert sich das<br />
Hirntodverfahren in drei Phasen, nämlich jene der Prüfung der Voraussetzungen,<br />
der klinischen Diagnostik und der ergänzenden apparativen<br />
Hilfsuntersuchungen.<br />
Dieser Lehrfilm beabsichtigt die Aus- und Fortbildung zum Thema Hirntoddiagnostik<br />
zu unterstützen und einen Beitrag zur Qualitätssicherung<br />
zu leisten.<br />
Das Lehrvideo wurde in Zusammenarbeit mit der Landesnervenklinik<br />
Wagner-Jauregg, Linz und der ÖGN erstellt. Das Lehrvideo kann über<br />
das Sekretariat der ÖGN bezogen werden (Unkostenbeitrag € 15,00). Es<br />
steht ausschließlich FachärztInnen <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, FachärztInnen <strong>für</strong><br />
<strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie sowie ÄrztInnen in Ausbildung in den<br />
genannten Fächern zur Verfügung.<br />
Univ.-Prof. Dr. Franz Aichner<br />
Vorstand <strong>Neurologie</strong> LNK Wagner-Jauregg<br />
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />
Präsident der ÖGN<br />
Neuer Vorstand der Neurologischen Abteilung des LKH Feldbach<br />
Prim. Dr. Martin Heine<br />
Prim. Dr. Martin Heine übernimmt die Leitung der Neurologischen<br />
Abteilung des LKH Feldbach. Heine wurde 1966 in<br />
Oldenburg in Deutschland geboren und studierte nach dem<br />
Abitur von 1987 bis 1994 Medizin an der Medizinischen<br />
Hochschule Hannover, der Leopold-Franzens-Universität<br />
Innsbruck und der Georg-August-Universität Göttingen, wo<br />
er 1994 promovierte.<br />
Von 1994 bis 1996 war er Arzt im Praktikum an der Neurologischen<br />
Abteilung des evangelischen Krankenhauses<br />
Oldenburg, von 1996 bis 1999 Assistenzarzt an der Neurologischen Universitätsklinik<br />
Göttingen. Die psychiatrische Ausbildung absolvierte er<br />
1998 am LKH Göttingen. 1999 legte Heine die Facharztprüfung ab.<br />
Von 1999 bis 2010 war Heine als erster Oberarzt und Stellvertreter des<br />
Abteilungsvorstands der <strong>neurologisch</strong>en Abteilung des LKH Bruck/Mur<br />
tätig. Von 2001 bis 2004 hatte er die fachärztliche Leitung der <strong>neurologisch</strong>-interdisziplinären<br />
Intensivstation inne, von 2004 bis 2010 Leitung<br />
der Schlaganfalleinheit und der <strong>neurologisch</strong>en Akutbettenstation.<br />
Daneben absolvierte er den Universitätslehrgang <strong>für</strong><br />
Medizinische Führungskräfte an der Universität Graz.<br />
Sein wissenschaftliches Interesse gilt mit Vorträgen,<br />
Postern und Publikationen den Themen Schlaganfall,<br />
RLS, ZNS-Immunologie und Parkinson.<br />
Ziele <strong>für</strong> die <strong>neurologisch</strong>e Abteilung des LKH Feldbach:<br />
Die neu gegründete Abteilung nimmt seit dem<br />
1. Januar 2010 den akut<strong>neurologisch</strong>en Versorgungsauftrag<br />
<strong>für</strong> die südöstliche Steiermark wahr. Schwerpunkte des bisherigen<br />
Abteilungsaufbaus waren die Etablierung einer Stroke-Unit im Rahmen<br />
eines regionalen Versorgungskonzepts sowie der Aufbau einer guten<br />
Kooperation mit umliegenden Spitälern und den extramuralen Versorgungsstrukturen.<br />
Nach erfolgreichem Abteilungsaufbau im ersten Jahr<br />
stehen <strong>für</strong> die Zukunft die weitere Optimierung der Insultbehandlung<br />
(Bridging-Konzept etc.) und der weitere Ausbau der Spezialambulanzen<br />
(Schlaganfall, MS, Dystonie/Bewegungsstörungen) im Vordergrund.<br />
11
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
Am 1. November 2011 ist Univ.-Prof. Dr. Gunther Ladurner nach kurzer<br />
schwerer Krankheit nach Vollendung seines 69. Lebensjahres verstorben.<br />
Diese Nachricht hat uns alle überrascht und tief betroffen<br />
gemacht, umso mehr, da wir ihn mit vielen neuen Projekten, Ideen<br />
und Zukunftsplänen bis zuletzt beschäftigt sahen.<br />
Er wurde am 12. Oktober 1942 in Graz geboren, wo er auch nach<br />
Ablegen der Matura 1960 Medizin studierte und nach einem Auslandsjahr<br />
in der Schweiz – in Zürich – das Studium 1967 abschloss.<br />
Anschließend folgte die Facharztausbildung, anfangs mit psychiatrischem<br />
Schwerpunkt, später unter Univ.-Prof. Dr. Reisner die Ausbildung<br />
in <strong>Neurologie</strong> mit Schwerpunkt Neurophysiologie sowie die wissenschaftliche<br />
Tätigkeit, Beschäftigung mit Schlaganfall und erste<br />
Demenzstudie 1973/74.<br />
Im Rahmen eines Aufenthalts 1974/75 im National Hospital for Nervous<br />
Diseases, Queen Square, London, konnte er sich in die Computertomographie,<br />
die Hirnkreislaufforschung und Neurophysiologie vertiefen.<br />
Nach der Rückkehr nach Graz wurden weitere gemeinsame Forschungsprojekte<br />
mit London vollendet und führten 1978 zur Habilitation<br />
zum Thema „Messung des zerebralen Blutvolumens mit der<br />
Computertomographie“.<br />
Nach Ernennung 1983 zum außerordentlicher Universitätsprofessor in<br />
Graz wurde er 1984 zum Primararzt der Landesnervenklinik Salzburg<br />
<strong>für</strong> das Fach <strong>Neurologie</strong> bestellt, gefolgt von der Bestellung zum<br />
Honorarprofessor <strong>für</strong> physiologische Psychologie in der Paris-Lodron-<br />
Universität Salzburg.<br />
Nach 1986 lagen seine Schwerpunkte im Aufbau und der Entwicklung<br />
der Neurologischen Abteilung im Sinne der Vergrößerung und<br />
Neustrukturierung der <strong>Neurologie</strong> (EEG, Neurorehabilitation, Schlaganfall<br />
und Neuropathologie, Neurologische Intensivstation). Diese<br />
dienten auch als Modelle in der <strong>Neurologie</strong> in Österreich.<br />
Zunächst 1991 zum Stellvertretenden Ärztlichen Direktor der Landesnervenklinik<br />
bestellt, wurde er 1998 Ärztlicher Direktor der Christian-<br />
Doppler-Klinik. Er eröffnete 2002 eine Wirbelsäulenstation, die als<br />
Modellstation <strong>für</strong> eine interdisziplinär – gemeinsam mit der Neurochirurgie<br />
– erfolgreich geführte Station galt.<br />
2005 wurde er zum Professor <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> an der „Paracelsus Medizinische<br />
Privatuniversität“ ernannt. Es folgten enge Kooperationen<br />
mit der Psychologie Salzburg und Umsetzen gemeinsamer For-<br />
12<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
Nachruf<br />
Hofrat Univ.-Prof. Dr. Gunther Ladurner 1942–2011<br />
schungsvorhaben, der gemeinsame<br />
Erwerb einer Kernspintomographie 2009<br />
mit Einrichtung neuropsychologischer<br />
Forschung, die Entwicklung der Teleradiologie<br />
und „Telestroke“ sowie intensive<br />
Mitarbeit als E-Health-Beauftragter der<br />
SALK.<br />
Im April 2010 übergab er „seine“ <strong>neurologisch</strong>e<br />
Klinik an seinen Nachfolger und<br />
ehemaligen Schüler Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka. Ende Oktober 2010<br />
beendete er schließlich die Tätigkeit als Ärztlicher Direktor der Christian-Doppler-Klinik.<br />
Hervorzuheben sind seine zahlreichen wissenschaftliche Publikationen<br />
in peer-reviewed Journals (über 300) und viele weitere Buchbeiträge.<br />
Bis zuletzt war Ladurner aktiv in der Umsetzung vieler Gesundheitsprojekte<br />
in Salzburg führend tätig. Mit seinem enormen Gestaltungswillen<br />
und seiner großen Umsetzungskraft hat er die ehemalige Neurologische<br />
Abteilung zur modernen Universitätsklinik umgeformt und<br />
weiterentwickelt. Er war seinem Team durch seine Disziplin und Ausdauer,<br />
seine vorausschauende und visionäre Führung ein großes Vorbild<br />
und wurde von seinen MitarbeiterInnen sehr bewundert.<br />
Privat waren Kunst, Malerei und Musik neben seinem Hobby, dem<br />
Kochen – speziell im Familien- und Freundeskreis – ein wichtiger Kontrapunkt.<br />
Prof. Gunther Ladurner war viele Jahre Mitglied der <strong>Österreichische</strong>n<br />
<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und im Vorstand der <strong>neurologisch</strong>en Sektion<br />
der <strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie,<br />
wo er in verschiedenen Funktionen die <strong>Neurologie</strong> wesentlich beeinflusst<br />
hat und sich durch zahlreiche Preise und Ehrungen anderer<br />
Fachgesellschaften profilierte.<br />
Mit Prof. Ladurner verliert die <strong>Neurologie</strong> in Österreich eine markante<br />
Persönlichkeit.<br />
Unser tiefes Mitgefühl und unsere Anteilnahme gelten den trauernden<br />
Angehörigen.<br />
OA Dr. Gernot Luthringshausen<br />
Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> Salzburg<br />
FÜR DIE PRAXIS
FOTO: MEDCOMMUNICATIONS<br />
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
LLäsionen peripherer Nerven werden vielfach<br />
als ein nur wenig interessanter Bereich der<br />
<strong>Neurologie</strong> angesehen. Diese irrige Ansicht<br />
stammt daher, dass sich die einzelnen Syndrome<br />
vorwiegend aus den anatomischen<br />
Strukturen ableiten, dass diese seit Jahrzehnten<br />
bekannt sind und somit das klinische Bild<br />
Allgemeingut der NeurologInnen ist. Während<br />
in der Zeit zwischen ca. 1950 und 1980<br />
die klinische Neurophysiologie beträchtliche<br />
Fortschritte hinsichtlich der Diagnostik und<br />
Prognose der Nervendrucksyndrome erbrachte,<br />
blieb die Anzahl kontrollierter prospektiver<br />
therapeutischer Studien gering. In den letzten<br />
Jahren verschob sich die Forschung von der<br />
Elektrophysiologie zu den Neuroimaging-Verfahren<br />
wie Ultraschall und MRI, Verfahren,<br />
die uns einerseits bei Versagen der elektrophysiologischen<br />
Methoden diagnostische<br />
Fortschritte erbracht haben, anderseits nichtinvasiv<br />
die Ätiologie der Drucksyndrome erfassen<br />
lassen, z. B. durch Darstellung aberranter<br />
Muskeln oder von anderen Pathologien.<br />
Dies kann wiederum therapeutische<br />
Konsequenzen nach sich ziehen. Leider hat<br />
uns das dazu geplante Manuskript nicht<br />
rechtzeitig erreicht. Wir werden es nach Möglichkeit<br />
in der nächsten Ausgabe von neuro -<br />
logisch publizieren.<br />
Ein weiterer Grund <strong>für</strong> die häufige Vernachlässigung<br />
der Krankheiten des peripheren<br />
Nervensystems ist, dass deren Abklärung und<br />
Behandlung meist keiner stationären Aufnahme<br />
bedarf und somit auch im Rahmen der<br />
Ausbildung, die vorwiegend an stationären<br />
PatientInnen erfolgt, nur ungenügend vermittelt<br />
wird.<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Zum Themenschwerpunkt:<br />
Entrapment-Syndrome<br />
„Tägliches Brot“<br />
<strong>für</strong> Niedergelassene<br />
Gerade Läsionen peripherer Nerven gehören<br />
aber zum „täglichen Brot“ der niedergelassenen<br />
FachärztInnen <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und<br />
Fachärztinnen <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> & Psychiatrie.<br />
Sowohl die <strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />
klinische Neurophysiologie als auch die <strong>Österreichische</strong><br />
<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> haben<br />
die Änderung der Strukturen zur elektrophysiologischen<br />
Versorgung der PatientInnen mit<br />
peripheren Nervenläsionen dahingehend gefördert,<br />
dass im Gegensatz zu früher, als die<br />
Neurophysiologie in den Händen weniger Institute<br />
lag, nunmehr die Neurophysiologie<br />
zum verlängerten Arm der niedergelassenen<br />
NeurologInnen gehört.<br />
Dies gilt es auch aus standespolitischen Gründen<br />
gegenüber den FachärztInnen <strong>für</strong> physikalische<br />
Medizin und allgemeine Rehabilitation<br />
zu sichern. Die Abgrenzung kann nicht durch<br />
repetitives Versichern unseres Anspruches,<br />
sondern nur über höhere und ausgewiesene<br />
Kompetenz erfolgen. Isolierte Fertigkeiten der<br />
Elektroneurografie ohne Fertigkeiten in der<br />
Nadelelektromyografie sind abzulehnen. Als<br />
einfaches Beispiel hier<strong>für</strong> sei die Differenzialdiagnose<br />
zwischen einer Läsion des N. peronaeus<br />
und einer Läsion des N. ischiadicus bzw.<br />
Läsion der Wurzel L5 angeführt, die klinisch<br />
gelegentlich Schwierigkeiten bereitet.<br />
Stärkung der Kompetenz<br />
Der Themenschwerpunkt der Ausgabe von<br />
<strong>neurologisch</strong> 4/2011, nämlich Drucksyndro-<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Bruno Mamoli<br />
Generalsekretär der ÖGN,<br />
Wien<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
me peripherer Nerven, soll die Kompetenz<br />
durch Erweiterung und Aktualisierung unseres<br />
diagnostischen und therapeutischen Wissen<br />
stärken. Es ist nicht Absicht, das gesamte<br />
Spektrum abzudecken, sondern selektiv die<br />
häufigsten Nervendrucksyndrome, wie das<br />
Karpaltunnelsyndrom (OÄ Dr. A. Vass), das<br />
Sulcus ulnaris-Syndrom (Prof. Dr. W. Löscher)<br />
und weniger häufige Syndrome der unteren<br />
Extremitäten (OA Dr. M. Erdler und Doz. Dr.<br />
U. Zifko) zu erörtern. Von meiner Seite wurde<br />
versucht, das Thoracic Outlet-Syndrom zu<br />
entmystifizieren, ein Syndrom, von dem mein<br />
Mentor Prof. Dr. H. P. Ludin noch 1974 meinte:<br />
„Ich weiß nicht, ob es das wirklich gibt.“<br />
Auf die Fortschritte der pathophysiologischen<br />
Grundlagen der Nervendrucksyndrome geht<br />
Prof. Dr. St. Quasthoff ein und befreit uns<br />
von einem allzu mechanistischen Denken.<br />
Inhaltliches möge man diesen exzellenten<br />
Beiträgen entnehmen. n<br />
15
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Pathophysiologie der<br />
Nervenkompressionssyndrome<br />
Experimentelle Untersuchungen<br />
und Biomechanik<br />
Um über die pathophysiologischen Veränderungen<br />
in den komprimierten Nerven Aussagen<br />
machen zu können, müssen Nervenerregbarkeitsstudien<br />
gemacht werden, die eine<br />
örtliche Depolarisation der Axone aufzeigen<br />
und Hinweise auf die Umverteilung der nodalen<br />
und internodalen Ionenkanäle ergeben<br />
können 1 .<br />
Wesentliche morphologisch-anatomische Informationen<br />
über die Veränderungen akuter<br />
und chronischer Kompressionssyndrome<br />
kommen aus Post-mortem-Studien subklinischer<br />
N. medianus- und N. ulnaris-Kompressionssyndrome<br />
2 . Sie zeigen eine Verdickung<br />
des Endoneuriums, Perineuriums und Epineuriums<br />
im betroffenen Nervenabschnitt. Einzelfaseruntersuchungen<br />
dieser Nerven ergaben<br />
eine Ausdünnung und ein Zurückziehen<br />
der Myelinscheiden sowie Anzeichen <strong>für</strong><br />
stattgehabte Demyelinisierung und Remyelinisierung<br />
3 . Es gibt nur sehr wenige ähnliche<br />
Untersuchungen von komprimierten sensorischen<br />
Nerven des Menschen, die zur Behandlung<br />
refraktärer Schmerzen entfernt wurden<br />
und ähnliche Verdünnungen der Myelinscheiden<br />
und Verdickungen des Endoneuriums,<br />
der Mikrogefäße im Endoneurium und des<br />
Perineuriums in der Region der Kompression<br />
zeigten 4 . Die begrenzte Anzahl menschlichen<br />
Nervengewebes <strong>für</strong> die pathophysiologischen<br />
Untersuchungen hat zur Entwicklung verschiedener<br />
Tiermodelle geführt. Ein Tiermo-<br />
16<br />
dell verwendet ein Silikonröhrchen um den<br />
Ischiasnerv der Ratte. Ein anderes Tiermodell<br />
verwendet einen angioplastischen Katheter,<br />
der in den Karpaltunnel eingeführt wird und<br />
dort den vom Untersucher gewünschten<br />
Druck erzeugt 5–7 .<br />
Neben der Kompression durch Druckerhöhung<br />
in den Kanälen spielen auch mechanische<br />
Faktoren (Dehnen und Stauchen der<br />
Nerven) eine Rolle, da die Tunnelsyndrome<br />
häufig in der Nähe von Gelenken vorkommen<br />
und der Nerv erheblichen Dehnungs- und<br />
Kompressionsbeanspruchungen unterworfen<br />
ist. Der Nerv weist eine gewisse Eigenelastizität<br />
auf, sodass eine Dehnung seiner Struktur<br />
bis zu 8 % ohne funktionelle Beeinträchtigung<br />
möglich ist. Darüber hinaus kommt<br />
es zu einer Reduktion des venösen Blutflusses<br />
und bei Dehnung bis 13 % zu einer kompletten<br />
Ischämie. Dehnungen über 38 %<br />
schädigen das Perineurium 8 . Letztere sind bei<br />
der Defektüberbrückung traumatischer Nervenläsionen,<br />
weniger bei Nervenkompressionssyndromen<br />
von Bedeutung.<br />
Biomechanische und de- und regenerative<br />
Vorgänge: Bei den Kompressionsneuropathien<br />
können einzelnen Faktoren meist<br />
nicht isoliert betrachtet werden. Hier spielen<br />
sowohl akute biomechanische als auch chronische<br />
de- und regenerative Vorgänge eine<br />
wechselseitige Rolle und laufen meist gleichzeitig<br />
und nebeneinander ab. Wichtig sind<br />
die Drücke innerhalb der Kanäle bzw. Engstellen.<br />
Bei einem lokalen Druckanstieg tritt<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Obwohl Kompressionssyndrome ziemlich allgegenwärtig sind, wissen wir wenig über die pathophysiologischen<br />
Veränderungen, die in komprimierten Nerven auftreten. Ein Grund hier<strong>für</strong> ist sicherlich, dass es unethisch wäre,<br />
menschliches Nervengewebe bei Nervenkompressionssyndromen während der Operation zu entnehmen, da mit<br />
bleibenden Schäden zu rechnen ist. Die elektrophysiologischen Untersuchungen EMG und NLG erbringen zwar<br />
entscheidende Informationen über den Ort der Nervenkompression und das Ausmaß der Schädigung, über die<br />
pathophysiologischen Vorgänge sagen sie jedoch wenig oder nichts aus.<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Stefan Quasthoff<br />
Universitätsklinik<br />
<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />
Medizinische Universität<br />
Graz<br />
rasch eine Ischämie ein. So führt ein Druckanstieg<br />
auf 2,66–3,99 kPa zu einem verzögerten<br />
venösen Fluss im Epineurium, ein<br />
Druck von 7,99–10,66 kPa zu einer kompletten<br />
intraneuralen Stase. Außerdem wird der<br />
axonale Transport in Abhängigkeit von der<br />
Dauer der Druckerhöhung gestört. Höhere<br />
Drücke von über 6,60 kPa <strong>für</strong> 2 Stunden sind<br />
in der Regel nach 24 Stunden noch reversibel.<br />
Eine Anhebung des interstitiellen Drucks des<br />
Nervs auf 5,99 kPa unterhalb des arteriellen<br />
Mitteldrucks führt innerhalb von 30 Minuten<br />
zum Block der sensiblen und motorischen<br />
Nervenleitung. Unphysiologisch hohe Drücke<br />
von mehr als 26,66 kPa führen zu einem endoneuralen<br />
Ödem, von 133,22 kPa zu strukturellen<br />
Veränderungen des Nervs mit Invagination<br />
des Ranvier-Schnürrings, Demyelinisierung<br />
und Axonschäden 9 .<br />
Beim Karpaltunnelsyndrom (KTS) beträgt der<br />
Ruhedruck 4,26 kPa und kann bei Handgelenksbeugung<br />
auf 1,99–13,33 kPa ansteigen.<br />
Beim Kubitaltunnelsyndrom gibt es bei aktiver<br />
Beugung des Ellenbogengelenks einen<br />
Anstieg auf 26,66 kPa. Beim Supinatortunnelsyndrom<br />
bei passiver Pronation 6,13 kPa,<br />
bei aktiver Anspannung sogar 25,33 kPa.
Im Tiermodell benutzt man eine Entzündung<br />
des umgebenden Gewebes, um eine Kompression<br />
der Nerven zu erreichen, da lokale<br />
Entzündungsvorgänge in der Pathophysiologie<br />
der Kompressionssyndrome eine Rolle<br />
spielen. Ein solches Verfahren benutzt chemische<br />
Substanzen, die eine Entzündung induzieren,<br />
die dann eine überschießende Bildung<br />
von Granulationsgewebe im Karpaltunnel<br />
bewirkt 10 . Egal welches Modell (Tier oder<br />
Mensch) herangezogen wird, in der Pathogenese<br />
der Kompressionssyndrome spielt das<br />
subsynoviale Bindegewebe eine entscheidende<br />
Rolle 11, 12 .<br />
Anatomisch morphologische Veränderungen<br />
Die chronische Kompression eines peripheren<br />
Nervs, ob durch akute oder subakute Druckschädigung,<br />
führt zu pathophysiologischen<br />
und morphologischen Veränderungen, die<br />
schon Sunderland 1975 beschrieb: eine zunächst<br />
noch reversible Veränderung durch<br />
Kompression der Venolen und Arteriolen des<br />
Epineuriums mit nachfolgender Ischämie des<br />
Nervs und Ausbildung eines intraneuralen<br />
Ödems.<br />
Durch eine mechanische Schädigung kommt<br />
es vermutlich zu einem verstärkten Einstrom<br />
von Kalzium in die Nervenzelle, der zur Aktivierung<br />
von zyklischem Adenosin-3,5-Monophosphat<br />
(cAMP) führt. Weitere biochemische<br />
Prozesse zerstören die Filamentstrukturen<br />
der zellulären Transportsysteme der<br />
Axone. Hieraus resultieren strukturelle Nervenfaserläsionen,<br />
die unter dem Begriff der<br />
Waller-Degeneration zusammengefasst sind:<br />
Verdünnung der Myelinscheide, besonders<br />
bei den großkalibrigen Nervenfasern, Veränderungen<br />
der intraneuralen Kapillaren und<br />
damit der Durchblutung. Ausfall großkalibriger<br />
und schnellleitender Fasern (axonale Degeneration),<br />
Regenerationsvorgänge mit Aussprossen<br />
dünner und wenig myelinisierter<br />
und somit langsamer leitender Nervenfasern<br />
sowie kollaterale Reinnervation der Muskulatur.<br />
Sekundär zur Waller-Degeneration<br />
durchlaufen Schwann-Zellen eine programmierte<br />
Dedifferenzierung, einschließlich der<br />
Herunterregulation von Myelin-Proteinen und<br />
zellulärer Proliferation, die zu einer Demyelinisierung<br />
führt 13 .<br />
Milde Form der Wallerschen Degeneration:<br />
Aufgrund der Ähnlichkeit zu akuten Nervenkompressionssyndromen<br />
vermutet man<br />
bei der chronischen Form als Schädigungstyp<br />
eine milde und langsame Form der Wallerschen<br />
Degeneration. Die Veränderung der<br />
Nervenleitgeschwindigkeit bei chronischen<br />
Kompressionsyndromen wird durch die allmähliche<br />
Demyelinisierung und nachfolgende<br />
Remyelinisierung der komprimierten<br />
Nerven erklärt. Dies konnte durch Untersuchungen<br />
von komprimierten menschlichen<br />
Nervensegmenten bestätigt werden 3 . Auch<br />
in Tiermodellen wurde eine ähnliche Ausdünnung<br />
des Myelins peripherer Nerven beschrieben<br />
14 .<br />
Das Auftreten neuer, dünner myelinisierter<br />
Nervenfasern wird als Zeichen der De- und<br />
Remyelinisierung gewertet 15 . Die Demyelinisierung<br />
beginnt nodal und schreitet nach paranodal<br />
fort 14 . In Übereinstimmung mit der<br />
Myelin-Degeneration wurden pathologische<br />
Strukturen in normalen paranodalen Regionen<br />
im benachbarten demyelinisierten Gebiet<br />
festgestellt und darüber hinaus zwischen den<br />
Regionen normalen Myelins Regionen von<br />
dünnem Myelin. Diese Regionen mit kürzeren<br />
Internodienlängen werden mit proliferierenden<br />
Schwann-Zellen in Verbindung gebracht.<br />
Die so geschädigten Nervenfasern haben<br />
auch eine erhöhte Anzahl der Schmidt-Lantermannschen<br />
Inzisuren 2 . Ihre Funktion ist<br />
umstritten, jedoch unterstützen sie die Stoffwechselprozesse<br />
der Myelinscheide 16 . Der<br />
Anstieg der Schmidt-Lantermannschen Inzisuren<br />
entlang des Axons entspricht somit am<br />
ehesten einem mit der De- und Remyelinisierung<br />
einhergehenden vermehrten metabolischen<br />
Bedarf der Nerven.<br />
Demyelinisierung, Proliferation und Apop -<br />
tose von Schwann-Zellen: In einem etab -<br />
lier ten Tiermodell <strong>für</strong> die chronische Nervenkompression<br />
wurde festgestellt, dass<br />
Schwann-Zellen innerhalb von 2 Wochen so-<br />
wohl in den komprimierten als auch distalen<br />
Nervensegmenten proliferieren. Der Höhepunkt<br />
der Proliferation ist nach einem Monat<br />
erreicht, was einer 6-fachen Erhöhung der<br />
Schwann-Zell-Anzahl entspricht. Bemerkenswert<br />
ist, dass während dieser Periode der<br />
Proliferation gleichzeitig eine deutlich erhöhte<br />
Schwann-Zell-Apoptose zu beobachten<br />
ist 5 . Diese Demyelinisierung, Proliferation und<br />
Apoptose von Schwann-Zellen wird zunächst<br />
in den distalen Nervenabschnitten gefunden.<br />
Diese Prozesse treten auch schon auf, ohne<br />
dass es Hinweise auf axonale Schäden oder<br />
Waller-Degeneration gibt. Von beiden Prozessen<br />
ist bekannt, dass sie eine Schwann-<br />
Zellen-Vermehrung induzieren. Bei Erwachsenen<br />
wird zum Teil die Aufrechterhaltung von<br />
Myelin der Schwann-Zellen durch die Expression<br />
von Myelin-Proteinen (MAG) gewährleistet.<br />
Nach chronischer Nervenkompression<br />
regulieren Schwann-Zellen in der Region des<br />
kompakten Myelin MAG als Teil der Demyelinisierung<br />
herunter 17 . Die Analyse von elektronenmikroskopischen<br />
Aufnahmen zum<br />
gleichen Zeitpunkt zeigt einen Anstieg der<br />
Zahl der kleinen marklosen Fasern um nichtmyelinisierende<br />
Schwann-Zellen, die als gruppierte<br />
Strukturen, die Remak-Bündel, bekannt<br />
sind und Ausdruck axonaler Sprossung<br />
sind 17 . Das Herunterregulieren von MAG erlaubt<br />
erst die axonale Aussprossung 17 .<br />
Durch lokale Demyelinisierung, Schwann-Zellen-Apoptose<br />
und Zellproliferation auch ohne<br />
Hinweise auf eine axonale Schädigung<br />
kommt es zu axonaler Sprossung. Diesen<br />
morphologischen Veränderungen ist die Entstehung<br />
des Pseudoneuroms zuzuordnen.<br />
Zum einen entsteht das Neurom durch Stauung<br />
proximal eines Engpasses (Pseudoneurom<br />
wie z. B. beim KTS) oder zum anderen<br />
durch zusätzliche mechanische Druck- und<br />
Friktionsschädigung, wie sie beim Pseudoneurom<br />
des N. ulnaris im Sulcusbereich zu<br />
finden sind. Beide Mechanismen verstärken<br />
einander zu einem Circulus vitiosus und führen<br />
zu einer endoneuralen Fibrosierung,<br />
d. h. zu strukturellen Veränderungen, die<br />
letztlich irreversibel sind. u<br />
17
Veränderung in DRG-Neuronen: Neben<br />
den oben genannten lokalen Veränderungen<br />
finden sich auch Veränderungen in den Dorsalganglienzellen<br />
(DRG-Neuronen). GAP-43,<br />
ein Wachstumskegelmolekül des aussprossenden<br />
Axons, wird hochreguliert 18 . Darüber<br />
hinaus gibt es eine vorübergehende Verschiebung<br />
der Populationen von sensorischen<br />
Neuronen innerhalb der DRG 18 . Eine Zunahme<br />
der Anzahl der Isolectin-B4-bindenden<br />
und Calcitonin gene-related peptide-positive<br />
Neuronen und eine entsprechende Abnahme<br />
der Neurofilament-200-Neuronen. Diese Veränderung<br />
in DRG-Neuronen wird unter anderem<br />
als ein möglicher Mechanismus <strong>für</strong> die<br />
Schmerzen bei chronischen Nervenkompressionssyndromen<br />
angenommen.<br />
Die Ursache der beobachteten phänotypischen<br />
Wechsel in DRG-Neuronen ist wahrscheinlich<br />
ein Downstream-Effekt als Folge<br />
der Expression von nerv growth factor (NGF)<br />
der aktivierten Schwann-Zellen. Neben NGF<br />
wird an der Verletzungsstelle auch GNDF von<br />
den Schwann-Zellen sezerniert und retrograd<br />
bis zum DRG transportiert 19 . Bei chronischen<br />
Nervenkompressionssyndromen kommt es zu<br />
einer schrittweise Infiltration von Makrophagen<br />
über einen Zeitraum von mehreren Wochen<br />
in das komprimierte und distale Segment<br />
des Nervs 20 . Der primäre Auslöser <strong>für</strong><br />
die Makrophagenrekrutierung ist eine Unterbrechung<br />
der axonalen Architektur der Nerven.<br />
Da Schwann-Zellen-Dedifferenzierung<br />
und -Demyelinisierung unabhängig von axonalem<br />
Schaden und Makrophagen-Signalisierung<br />
auftreten, muss ein alternativer Mechanismus<br />
<strong>für</strong> diesen Prozess existieren. Eine<br />
Möglichkeit besteht darin, dass Schwann-Zellen<br />
direkt auf mechanische Reize reagieren<br />
können. Hinweise hier<strong>für</strong> gibt es aus<br />
Schwann-Zellkulturen, die mechanischen Reizen<br />
ausgesetzt waren 21 . Der Mechanismus,<br />
durch den Schwann-Zellen auf mechanische<br />
Reize reagieren, ist derzeit nicht bekannt 22 .<br />
Funktionelle Veränderungen<br />
Die funktionellen Auswirkungen der chronischen<br />
Kompression sind mannigfaltig. Trotz<br />
18<br />
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
möglicher Unterschiede von Tiermodell und<br />
Mensch haben beide eine gemeinsame pathophysiologische<br />
Auswirkung, nämlich den<br />
fortschreitenden Abfall der Nervenleitgeschwindigkeit<br />
und letztendlich axonalen Verlust<br />
über der Kompressionsstelle. Eine ungestörte<br />
Impulsleitung, d. h. eine regelrechte<br />
sensible und motorische Nervenleitgeschwindigkeit,<br />
ist ein wichtiges Zeichen einer normalen<br />
Nervenfunktion.<br />
Im Gefolge struktureller Veränderungen (veränderte<br />
Expression und Verteilung von Ionenkanälen<br />
nodal [vorwiegend Na-Kanäle]<br />
und paranodal [vorwiegend K-Kanäle]) sowie<br />
durch Demyelinisierung kommt es zur Verlangsamung<br />
der Impulsleitung des Nervs und<br />
gleichzeitig zu einer mehr oder weniger ausgeprägten<br />
Desynchronisierung der Muskeloder<br />
Nervenantwort. Die Verlangsamung<br />
kann diffus oder umschrieben sein und nur<br />
einen bestimmten oder mehrere Nerven oder<br />
ein lnnervationsgebiet von Plexusanteilen<br />
oder Nervenwurzeln umfassen. Somit lassen<br />
sich Hinweise auf eine umschriebene Nervenläsion<br />
und deren Lokalisation oder Hinweise<br />
auf eine nicht genau lokalisierte, eher diffuse<br />
Läsion im Bereich eines oder mehrerer Nerven<br />
gewinnen.<br />
Funktionsstörungen: Das klinische Korrelat<br />
einer gestörten Impulsleitung bzw. eines<br />
Leitungsblocks sind motorische, sensible<br />
und vegetative Funktionsstörungen. Es<br />
handelt sich um komplexe Vorgänge am<br />
Nerven mit De- und Remyelinisierung, axonaler<br />
De- und Regeneration sowie kollateraler<br />
Aussprossung von Nervenfasern. Weiterhin<br />
kommt es zu retrograden Veränderungen<br />
und schließlich zu völligem Ausfall<br />
von Nervenfasern oder auch des gesamten<br />
Nervs 23 . Hieraus ergeben sich typische Konstellationen,<br />
die nicht nur <strong>für</strong> die Lokalisation<br />
einer Läsion, sondern auch <strong>für</strong> die Einschätzung<br />
des Schweregrads der Schädigung<br />
und ihre Prognose bedeutsam sind 24 .<br />
Die demyelinisierte Nervenfaser verliert die<br />
Fähigkeit der normalen Nervenleitung<br />
sowie der Reaktion auf hochfrequente<br />
lmpulsserien.<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
Es kommt zu einer Verlangsamung und<br />
schließlich zu vollständigem Funktionsverlust.<br />
Beim Leitungsblock kommt es infolge des<br />
Ausfalls von schnellen Fasern zu einer Verlangsamung<br />
der NLG auf Werte unter 40 m/s<br />
sowie zu einer Amplitudenreduktion der Antwort<br />
des motorischen und sensiblen Potenzials.<br />
Gleichzeitig führen unterschiedliche<br />
Leitgeschwindigkeiten der einzelnen Nervenfasern<br />
zu einer Aufsplitterung des Antwortpotenzials.<br />
Ausgehend von der Nervenkompressionsstelle<br />
führt die Waller-Degeneration<br />
schließlich zum vollständigen Ausfall von einzelnen<br />
Nervenfasern oder häufiger des gesamten<br />
Nervs. Eine Leitungsverminderung<br />
kann sich auch proximal der Läsionsstelle finden<br />
(retrograde Degeneration). Bei chronischen<br />
Läsionen kommen Leitungsblock, Leitungsverzögerung<br />
und Waller-Degeneration<br />
in Kombination mit Regenerationsvorgängen,<br />
Remyelinisierung und kollateraler Reinnervation<br />
vor. Da die Reversibilität dieser Vorgänge<br />
eingeschränkt ist, sollte rechtzeitig gegengesteuert<br />
werden, z. B. in Form einer frühzeitigen<br />
operativen Behandlung (Dekompression).<br />
Ausblick<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Verbesserte In-vitro-Modelle akuter und<br />
chronischer Nervenkompression können in<br />
Zukunft möglicherweise unser Wissen über<br />
die Pathophysiologie der Kompressionssyndrome<br />
verbessern. Zahlreiche Untersuchungen<br />
haben gezeigt, dass hydrostatischer<br />
Druck alleine die Aktivität vieler verschiedener<br />
Zelltypen, einschließlich Chondro -<br />
zyten und Osteoblasten, beeinflussen<br />
kann 25, 26 . Schwann-Zellen sind zwar die primären<br />
Mediatoren in der Pathophysiologie<br />
der Kompressionssyndrome, jedoch erklären<br />
sie nur unvollständig, wie es schließlich<br />
zum axonalen Schaden kommt. Die wechselseitige<br />
Beziehung zwischen Axonen und<br />
Gliazellen bei chronischen Kompressionsyndromen<br />
werden noch nicht komplett verstanden.<br />
Es ist möglich, dass die Kombination aus<br />
Schwann-Zell-Mechanosensitivität und chro-
nischer, auch axonaler Ischämie einen wesentlichen Teil der Pathogenese<br />
von Nervenkompressionssyndromen darstellen. Dies müsste in<br />
In-vitro-Versuchen von Kokulturen von Schwann-Zellen und Neuronen<br />
noch weiter untersucht werden. Ein besseres Verständnis der Mechanismen<br />
der Demyelinisierung und Remyelinisierung durch den Einsatz<br />
von In-vivo- und In-vitro-Modellen wird <strong>für</strong> die Entwicklung neuartiger<br />
Behandlungsmöglichkeiten entscheidend sein und eventuell die<br />
manchmal schwierige Entscheidung, ob operiert werden muss und<br />
ab welchem Stadium chirurgisch eingegriffen werden muss, verbessern.<br />
n<br />
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GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
Von allen Nervenkompressionssyndromen<br />
tritt das Karpaltunnelsyndrom am häufigsten<br />
auf. In der Literatur wird eine jährliche Inzidenz<br />
von etwa 3 : 1000 angegeben 1, 2 . Frauen<br />
sind dreimal öfter betroffen als Männer,<br />
vor allem in der Altersgruppe von 40 bis 60<br />
Jahren. Hier spielen einerseits hormonelle Einflüsse<br />
eine Rolle, andererseits Arbeiten mit<br />
repetitiver Beugung und Streckung im Handgelenk,<br />
die im Haushalt, aber auch in typischen<br />
Frauenberufen durchgeführt werden.<br />
Adipositas und Diabetes mellitus sind Prädispositionsfaktoren,<br />
weiters rheumatoide Arthritis<br />
und Hypothyreose. DialysepatientInnen<br />
haben ebenfalls eine höhere Prävalenz. Auch<br />
in der Schwangerschaft oder<br />
unmittelbar danach ist eine<br />
Häufung bekannt. Bei Männern<br />
führen Arbeiten mit Vibrationsbelastung,<br />
z. B. Kettensäge oder<br />
Drillbohrer, zu einem vermehrten<br />
Auftreten. Das Karpaltunnelsyndrom<br />
kann auch im<br />
hohen Alter vorkommen, bei<br />
Kindern tritt es jedoch sehr selten<br />
– im Rahmen von Stoffwechselstörungen(Mukopolysaccharidose)<br />
– auf.<br />
Ursachen<br />
Ursächlich <strong>für</strong> die Kompression<br />
des N. medianus im Karpaltunnel<br />
ist eine Zunahme des Tunnelinhaltes<br />
oder eine Verkleinerung<br />
des Tunnelquerschnittes:<br />
einerseits durch Schwellung der<br />
durch den Tunnel hindurchziehenden<br />
Beugesehnen durch<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Das Karpaltunnelsyndrom<br />
hormonelle, stoffwechselbedingte, entzündliche,<br />
überlastungsbedingte oder ganz selten<br />
tumoröse Ursachen, andererseits Bedrängung<br />
von außen durch Traumen wie Radiusfrakturen,<br />
eventuell auch Blutungen oder<br />
durch Handgelenksarthrosen. Dadurch<br />
kommt es zu einer Drucksteigerung im Karpalkanal,<br />
die bei Streck- und Beugebewegungen<br />
weiter ansteigt und das 30-Fache des<br />
normalen Drucks erreichen kann. Die Zunahme<br />
des Drucks im Karpalkanal führt einerseits<br />
direkt mechanisch zu einer Deformierung der<br />
Nervenfasern, andererseits zur Kompression<br />
der Venolen, später auch der Arteriolen und<br />
Kapillaren des Endo- und Perineuriums, was<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
zu einer Ischämie des Nerven und zur Ausbildung<br />
eines intraneuralen Ödems und einer<br />
fokalen Demyelinisierung führt. Die typische<br />
nächtliche Zunahme der Beschwerden wird<br />
auf das Abknicken des Handgelenks beim<br />
Schlafen zurückgeführt, das den Druck im<br />
Karpaltunnel weiter erhöht. In weiterer Folge<br />
sprießen in den geschwollenen<br />
Nerv Fibroblasten ein, dies führt<br />
zu Fibrosierung des Epi- und Perineuriums<br />
und dann zur Wallerschen<br />
Axondegeneration.<br />
Symptome<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Das Karpaltunnelsyndrom ist eine häufige Diagnose in der <strong>Neurologie</strong>. Sie ist meist klinisch zu stellen und durch<br />
elektrophysiologische Untersuchung oder bildgebende Zusatzuntersuchungen zu bestätigen. Die Entscheidung<br />
über die zu empfehlende Therapieform ergibt sich aus der individuellen Situation je nach Ursache, Symptomatik<br />
und Verlauf.<br />
20<br />
Abb. 1: Phalen-Test: Bei maximaler Beugung im<br />
Handgelenk kommt es nach 30 Sekunden zu Parästhesien<br />
in den Fingerkuppen.<br />
Grafik: Veronika Vass<br />
Dr. Andrea Vass<br />
Niedergelassene Fachärztin<br />
<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und<br />
Psychiatrie, Wien<br />
Anfänglich klagen PatientInnen<br />
über nächtliche Missempfindungen<br />
in den Händen, die sich<br />
durch Händeschütteln oder<br />
Hände-unters-kalte-Wasser-Halten<br />
beseitigen lassen (Brachialgia<br />
paraesthetica nocturna). Diese<br />
Missempfindungen können auch<br />
bei bestimmten Tätigkeiten wie<br />
z. B. beim Autofahren, Radfahren,<br />
Telefonieren oder Stricken<br />
auftreten. Sie betreffen anfänglich<br />
vor allem den Mittelfinger,<br />
dann auch Zeigefinger und Daumen,<br />
die Schmerzausstrahlung<br />
kann aber den ganzen Arm er-
fassen. Später treten dauernde<br />
Sensibilitätsstörungen auf, die<br />
oft „in der ganzen Hand“ beschrieben<br />
werden. Erst bei genauerer<br />
Befragung kann eine<br />
Aussparung des 5. Fingers differenziert<br />
werden. Oft beklagen<br />
die Betroffenen auch eine zunehmende<br />
Ungeschicklichkeit<br />
(„mir fällt alles aus der Hand“,<br />
„ich habe schon viele Häferln<br />
zerschlagen“), das Öffnen und<br />
Schließen kleiner Knöpfe bereitet<br />
Schwierigkeiten, eine Nähnadel<br />
zu halten gelingt nicht<br />
mehr, beim Kartoffelschälen treten<br />
Krämpfe in der Thenarmuskulatur<br />
auf. Schmerzen können<br />
im Handgelenk auftreten, sie<br />
strahlen über die radiale Unterarmseite<br />
oft bis in den Oberarm<br />
und bis zur Schulter aus.<br />
Diagnose<br />
Meist ist die Anamnese bereits<br />
sehr typisch. Bei der klinischen Untersuchung<br />
lassen sich oft nur geringe Ausfälle objektivieren.<br />
Bei der Inspektion zeigt sich bei lang<br />
dauernder Kompression eine Thenaratrophie.<br />
Eine Atrophie kann aber auch durch eine<br />
Rhizarthrose des Daumensattelgelenks vorgetäuscht<br />
werden.<br />
Die Sensibilitätsstörung betrifft in erster Linie<br />
die Mittelfingerkuppe, gefolgt von der Zeigefingerkuppe.<br />
Der Daumen und der Ringfinger<br />
sind in geringerem Ausmaß betroffen.<br />
Das Gebiet über dem Thenar und die radiale<br />
Handfläche sind immer ausgespart, denn der<br />
Ramus palmaris zweigt vor dem Karpaltunnel<br />
proximal des Handgelenks ab. In fortgeschrittenem<br />
Stadium können Zweipunktediskrimination<br />
und Semmes-Weinstein-Monofilament-Testung<br />
an den Fingerkuppen pathologisch<br />
sein.<br />
Die Muskelprüfung des M. abductor pollicis<br />
brevis erfolgt in der Vertikalebene zur Handfläche,<br />
auch der Flaschentest überprüft die<br />
Funktion dieses Muskels. Die Prüfung des M.<br />
opponens pollicis erfolgt durch Zusammendrücken<br />
des Daumens mit dem kleinen Finger.<br />
Abb. 2: Vergleich der motorischen Latenz des N. medianus<br />
zum M. lumbricalis I und N. ulnaris zum M. interosseus II.<br />
Provokationstests: Die typischen Beschwerden<br />
des Karpaltunnelsyndroms können auch<br />
durch Provokationstests ausgelöst werden.<br />
Hier ist vor allem der Phalen-Test zu erwähnen:<br />
Die PatientInnen werden aufgefordert,<br />
das Handgelenk über mehr als 60 Sekunden<br />
maximal, also 90 Grad zu beugen (Abb. 1).<br />
Zusätzlich kann man häufig durch leichtes<br />
Beklopfen des Handgelenks ein Tinel-Phänomen<br />
auslösen. Diese Provokationstests werden<br />
kontrovers beurteilt, sie sind diagnostisch<br />
nicht sehr hochwertig, können aber im Frühstadium<br />
einen – auf Grund der geringen Spezifität<br />
bescheidenen – Hinweis auf einen Reizzustand<br />
des Nerven liefern 3, 4 .<br />
Elektrophysiologische<br />
Untersuchung<br />
Die elektrophysiologische Untersuchung<br />
dient zur Bestätigung des klinischen Eindrucks<br />
und zur Abgrenzung anderer Ursachen<br />
einer Brachialgie. Sie dient auch der<br />
Evaluation des Schweregrades der Kompression<br />
und ist ein wichtiger Verlaufsparameter<br />
vor und nach konservativer oder operativer<br />
Therapie. Sie stellt eine wichtige<br />
und zuverlässige Methode zum<br />
Nachweis des Karpaltunnelsyndroms<br />
dar, sollte aber immer im<br />
Zusammenhang mit den klinischen<br />
Befunden und Symptomen<br />
interpretiert werden. An Untersuchungsmethoden<br />
stehen die motorische<br />
und sensible Neurographie<br />
und gegebenenfalls die Elektromyographie<br />
zur Verfügung.<br />
Bei der motorischen Neurographie<br />
wird die distale Latenz als<br />
Maß der am schnellsten über den<br />
Karpalkanal leitenden Nervenfasern,<br />
die Summenpotenzialamplitude<br />
als Maß der intakten Axone<br />
und die Nervenleitgeschwindigkeit<br />
am Unterarm bestimmt. Die<br />
distale Latenz ist bei 90 % der<br />
PatientInnen mit Karpaltunnelsyndrom<br />
verlängert. (Bei einer Dis -<br />
tanz von 6,5 cm gilt eine Latenz<br />
über 4,2 ms als pathologisch.) Die<br />
Summenamplitude kann bei Stimulation<br />
proximal des Handgelenks im Sinne<br />
eines Leitungsblockes reduziert sein, in diesem<br />
Fall kann versucht werden, in der Handfläche<br />
zu stimulieren, um eine axonale Läsion<br />
auszuschließen, wobei allerdings manchmal<br />
Reizartefakte auftreten können. Die Nervenleitgeschwindigkeit<br />
am Unterarm sollte unauffällig<br />
sein. Falls die Thenarmuskulatur bereits<br />
atroph ist und kein sicheres Potenzial<br />
vom M. abductor pollicis brevis abzuleiten<br />
ist, kann die motorische Latenz zum M. lumbricalis<br />
I im Vergleich mit der Latenz des N.<br />
ulnaris zum M. interosseus II bestimmt werden<br />
5 (Abb. 2).<br />
Die sensible Neurographie ist sensitiver als<br />
die motorische und wird meist antidrom und<br />
mit Oberflächenelektroden durchgeführt. Die<br />
Ableitung mit Ringelektroden kann von<br />
jedem der 4 vom N. medianus versorgten<br />
Finger erfolgen, in der Praxis bewährt es sich,<br />
den am meisten betroffenen Finger (meist<br />
Zeige- oder Mittelfinger) zu wählen. Sensitiver<br />
ist eine fraktionierte Messung über den<br />
Karpaltunnel 6, 7 (Abb. 3) oder eventuell ein u<br />
21
Inching über das Handgelenk. Bei<br />
pathologischem Befund soll ein<br />
Vergleich mit einem anderen sensiblen<br />
Handnerven erfolgen, z. B.<br />
ein direkter Vergleich der NLG des<br />
N. medianus und des N. ulnaris<br />
zum 4. Finger, wobei auch die Amplitude<br />
der sensiblen Nervenaktionspotenziale<br />
verglichen werden<br />
kann.<br />
Die Elektromyographie wird bei<br />
der Diagnostik des Karpaltunnelsyndroms<br />
nur selten eingesetzt,<br />
etwa um eine axonale Schädigung<br />
nachzuweisen, oder um andere Engpasssyndrome<br />
des N. medianus oder radikuläre Läsionen<br />
abzugrenzen.<br />
Bildgebung<br />
Bildgebende Untersuchungen, vor allem die<br />
hochauflösende Ultraschalluntersuchung, gewinnen<br />
zunehmend an Bedeutung. Den<br />
höchsten diagnostischen Wert hat die Messung<br />
der Querschnittsfläche des N. medianus<br />
am Eingang in den Karpaltunnel. Eine Fläche<br />
von mehr als 12 mm 2 bedeutet Ödembildung<br />
und damit Kompression. Zusätzlich lassen<br />
sich eine Verminderung der faszikulären<br />
Struktur im geschwollenen Nerven und Kaliberschwankungen<br />
am proximalen Rand des<br />
Retinaculum flexorum nachweisen. Auch vermehrte<br />
intraneurale und perineurale Vaskularisation<br />
kann entdeckt werden. Alle diese<br />
Veränderungen treten schon früh in der Entwicklung<br />
des Karpaltunnelsyndroms auf,<br />
daher wäre die Ultraschalluntersuchung vor<br />
allem im frühen Stadium eine zusätzliche Informationsquelle<br />
8 .<br />
In seltenen Fällen ist eine Magnetresonanztomographie<br />
indiziert, etwa bei PatientInnen<br />
mit klinischem Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom<br />
und nicht schlüssiger elektrophysiologischer<br />
Untersuchung, zur Identifikation von<br />
Muskelanomalien, von raumfordernden oder<br />
entzündlichen Prozessen und zum Nachweis<br />
einer postoperativ persistierenden Enge des<br />
Karpaltunnels 9 .<br />
Trotz der Fortschritte bildgebender Verfahren<br />
wird die klinische und elektrophysiologische<br />
22<br />
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
Untersuchung als diagnostischer Goldstandard<br />
angesehen.<br />
Differenzialdiagnosen<br />
Die wichtigste Differenzialdiagnose stellen<br />
zervikale Radikulopathien C6 und C7 dar. Daneben<br />
können Läsionen des unteren Anteils<br />
des Plexus brachialis oder höher gelegene<br />
Medianuskompressionen zu Verwechslungen<br />
führen. Eine Polyneuropathie manifestiert<br />
sich nur sehr selten an den Armen vor den<br />
Beinen. Eine multifokal motorische Neuropathie,<br />
eine Mononeuritis multiplex oder eine<br />
hereditäre Neuropathie mit Neigung zu<br />
Druckparesen (HNPP) kann eine seltene Differenzialdiagnose<br />
darstellen. Häufiger werden<br />
Thenaratrophien als Erstsymptom einer<br />
Motoneuronenerkrankung als Karpaltunnelsyndrom<br />
fehlinterpretiert. Sehr selten können<br />
auch zentrale Läsionen zu Sensibilitätsstörungen<br />
an den Fingern führen.<br />
Therapie<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Abb. 3: Fraktionierte sensible Messung über das<br />
Handgelenk<br />
Je nach der subjektiven Beeinträchtigung und<br />
dem Leidensdruck des/der PatientIn sollte gemeinsam<br />
über die Therapie entschieden werden.<br />
Wenn nur paroxysmale Reizsymptome und<br />
noch keine anhaltenden Symptome bestehen,<br />
ist eine konservative Therapie sinnvoll. An ers -<br />
ter Stelle sollte eine Nachtlagerungsschiene<br />
verordnet werden, die in manchen Fällen auch<br />
tagsüber empfohlen werden kann.<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Physikalische Therapien wie Ultraschall<br />
oder Kryotherapie<br />
haben nur kurzfristige Verbesserungen<br />
gezeigt. Yoga und<br />
Nervengleitübungen haben<br />
ebenfalls im besten Fall zeitlich<br />
begrenzte Symptomlinderung<br />
gebracht. Die Gabe von nichtsteroidalen<br />
Antirheumatika, Diuretika<br />
oder Vitamin B 6 hat<br />
keine Wirksamkeit.<br />
Orale Kortisongabe (Prednisolon/Methylprednisolon<br />
20 mg/<br />
Tag) über maximal 2 Wochen<br />
hat kurzfristige Verbesserungen<br />
gezeigt 10 . Eine einmalige Kortisoninjektion in<br />
den Karpalkanal ist einer oralen Kortisongabe<br />
überlegen, die Wirkung hält über einige Wochen<br />
an 11 . Mehrfache Infiltrationen können<br />
derzeit nicht empfohlen werden, da keine<br />
weitere Verbesserung nachgewiesen werden<br />
konnte, und zwar selten aber doch die Gefahr<br />
einer Nerven- oder Sehnenschädigung<br />
besteht.<br />
Eine operative Entlastung ist bei anhaltenden<br />
sensiblen und/oder motorischen<br />
Störungen indiziert 12 . Der Eingriff wird sowohl<br />
in i. v. regionaler oder Plexusanästhesie<br />
als auch in Allgemeinnarkose durchgeführt.<br />
Ob eine offene oder endoskopische<br />
Operation durchgeführt werden soll, hängt<br />
vor allem von der Erfahrung und Technik<br />
des Operateurs/der Operateurin ab. Bei endoskopischen<br />
Eingriffen, die nach der Einportaltechnik<br />
oder Zweiportaltechnik<br />
durchgeführt werden, soll die Komplikationsrate<br />
bezüglich Nervenverletzung oder<br />
inkompletter Durchtrennung des Retinakulums<br />
größer sein; da<strong>für</strong> sind die Narbenschmerzen<br />
geringer und die PatientInnen<br />
möglicherweise etwas früher wieder arbeitsfähig.<br />
Die Kosten sind allerdings deutlich<br />
höher. Eine klare Überlegenheit einer<br />
Methode über die andere ließ sich bisher<br />
nicht nachweisen 13 .<br />
Wichtig zu erwähnen ist, dass gerade bei<br />
DiabetikerInnen, die eine höhere Prävalenz<br />
<strong>für</strong> Karpaltunnelsyndrom haben, und auch<br />
bei sehr alten Menschen mit „ausgebrann-
tem“ Karpaltunnelsyndrom eine operative<br />
Entlastung eine deutliche Verbesserung der<br />
Schmerzen und Gefühlsstörungen bewirkt 14, 15 .<br />
Auch wenn keine Erholung der Thenaratrophie<br />
erwartet werden kann, kann eine Operation<br />
empfohlen werden.<br />
Nachbehandlung<br />
und Komplikationen<br />
Am ersten postoperativen Tag kann bereits<br />
mit Funktionstraining und Narbenpflege be-<br />
1 Mondelli M, Giannini F, Giacchi M, Carpal tunnel<br />
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gonnen werden, um Handödem und Fingersteifigkeit<br />
vorzubeugen 16 . Die Dauer der<br />
postoperativen Arbeitsunfähigkeit beträgt je<br />
nach manueller Arbeitsbelastung 4–6 Wochen.<br />
Der Schmerz bessert sich meist sofort<br />
nach der Operation. Die sensiblen und motorischen<br />
Störungen haben naturgemäß eine<br />
längere Rückbildungszeit. Persistierende<br />
Schmerzen können entweder durch eine inkomplette<br />
Retinakulumspaltung oder durch<br />
eine intraoperative Nervenläsion, Rezidive<br />
nach anfänglicher Besserung vor allem bei<br />
7 Sander HW, Quinto C, Saadeh PB, Chokverty S, Median<br />
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12 Verdugo RJ, Salinas RS, Castillo J, Cea JG, Surgical versus<br />
non-surgical treatment for carpal tunnel syndrome<br />
Das Sulcus nervi ulnaris-Syndrom<br />
Das SNU ist entsprechend einer populationsbasierten<br />
epidemiologischen Studie 20 nach<br />
dem Karpaltunnelsyndrom und der Mortonschen<br />
Metatarsalgie das dritthäufigste Nervenkompressionssyndrom.<br />
Die jährliche Inzidenz<br />
22 beträgt 24,7/100.000, wobei Frauen<br />
(32,77/100.000) häufiger betroffen sind als<br />
Männer (17,2/100.000). Die Angaben zu Risikofaktoren<br />
wie repetitive Arbeitsbelastung,<br />
Über- oder Untergewicht und Geschlecht sind<br />
widersprüchlich 4, 16, 29 .<br />
Symptome<br />
Ein SNU kann sich langsam entwickeln oder<br />
akut auftreten. Beim akuten SNU, das meist<br />
„über Nacht“ auftritt, sind Hypästhesie und<br />
Parese die führenden Symptome. Die Hypäs-<br />
rheumatischer Synovialitis mit starker Vernarbung<br />
und bei DialysepatientInnen vorkommen.<br />
In diesen Fällen muss eine sehr exakte<br />
diagnostische Aufarbeitung erfolgen<br />
und gegebenenfalls an ein spezialisiertes<br />
Handchirurgiezentrum überwiesen werden.<br />
Die elektroneurographischen Parameter<br />
müssen mit den präoperativen Werten verglichen<br />
und mit der aktuellen Symptomatik<br />
korreliert werden, denn sie sind oft auch bei<br />
erfolgreicher Operation noch weiter pathologisch<br />
17 . n<br />
(review). The Cochrane Database Syst Rev 2003; 2<br />
13 Scholten RJPM et al., Surgical treatment options for<br />
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controlled trial. J Clin Neurophysiol 2005;<br />
22:216–221<br />
Die sensible oder sensomotorische Schädigung des N. ulnaris im Ellbogen wird allgemein Sulcus nervi ulnaris-<br />
Syndrom (SNU) genannt, auch wenn diese Bezeichnung anatomisch nicht vollkommen richtig ist 2 . Synonyme<br />
und eigentlich korrektere Begriffe wären Kubitaltunnelsyndrom und Ulnarisneuropathie am Ellbogen (ulnar<br />
neuropathy at the elbow). Der Begriff SNU, der aufgrund seiner weiten Verbreitung hier verwendet wird,<br />
bezieht sich eigentlich auf das Kubitaltunnelsyndrom.<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Wolfgang Löscher<br />
Universitätsklinik<br />
<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />
Medizinische<br />
Universität Innsbruck<br />
thesie umfasst Finger 5 und die ulnare Hälfte<br />
von Finger 4, die ulnare Handkante und u<br />
23
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
den ulnaren Handrücken. Die Schwäche betrifft<br />
die Fingerab- und -adduktion, und es<br />
findet sich auch eine Schwäche der Kleinfingerendgliedbeugung.<br />
Beim chronischen SNU bestehen initial vor<br />
allem lageabhängige Parästhesien der Finger<br />
4 und 5 bei prolongierter Ellbogenbeugung<br />
und Schmerzen im Ellbogen. Mit der Zeit entwickelt<br />
sich das oben beschriebene motorische<br />
und sensible Ulnarisdefizit, und je nach Dauer<br />
und Ausprägung auch eine Atrophie und die<br />
typische Krallenhand (Abb.). Als klinische Einteilung<br />
des Schweregrades wird meistens die<br />
Skala nach Dellon 13 verwendet (Tab. 1).<br />
Diagnostik<br />
Klinische Untersuchung<br />
Die typischen sensiblen und motorischen<br />
Funktionen des N. ulnaris und des N. medianus<br />
sollten überprüft werden. Eine Sensibilitätsstörung<br />
am ulnaren Handrücken und eine<br />
Schwäche der Kleinfingerendgliedbeugung<br />
grenzen das SNU von einer distalen Ulnarisläsion<br />
ab. Eine zusätzliche Schwäche des M.<br />
abductor pollicis brevis und des M. flexor pollicis<br />
longus sowie eine Sensibilitätsstörung am<br />
medialen Unterarm sprechen <strong>für</strong> eine Läsion<br />
des unteren Plexus brachialis oder eine Läsion<br />
C8/Th1. Rein motorische Paresen der intrinsischen<br />
Handmuskulatur sollten an eine Mo-<br />
24<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
toneuronerkrankung denken lassen, wobei<br />
auch hier die Schwäche über einen isolierten<br />
Befall der ulnarisversorgten Handmuskeln<br />
hinausgeht.<br />
Die häufig als wichtig genannten klinischen<br />
Provokationstests wie das Hoffmann-Tinel-Zeichen,<br />
Flexion-Kompression-Test und die Palpation<br />
bezüglich Verdickung und Schmerz bringen<br />
laut einer neueren Untersuchung nur einen<br />
minimalen diagnostischen Zuwachs zu einer<br />
gründlichen <strong>neurologisch</strong>en Untersuchung 7 .<br />
Elektrophysiologische Diagnostik<br />
Die klinische Diagnose eines SNU sollte durch<br />
eine elektrophysiologische Untersuchung ergänzt<br />
werden, die nicht nur die Diagnose<br />
bestätigen, sondern vor allem Informationen<br />
über die Art der zugrunde liegenden Pathologie<br />
liefern und etwaige Differenzialdiagnosen<br />
abklären soll.<br />
Die wichtigsten Parameter in der motorischen<br />
Neurographie sind die fokale Verlangsamung<br />
der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) im Kubitaltunnel<br />
und die Änderung des Muskelsummenpotenzials<br />
nach Stimulation proximal<br />
des Kubitaltunnels im Vergleich zum Potenzial<br />
nach Stimulation distal des Kubitaltunnels.<br />
Wichtig ist es, die NLG bei gebeugtem<br />
Unterarm zu bestimmen, also auch die Distanzmessung<br />
um den Epicondylus in dieser<br />
Position durchzuführen.<br />
Tab. 1: Klinische Einteilung des Sulcus nervi ulnaris-Syndroms nach Dellon 13<br />
Sensibilitätsstörung Kraftminderung<br />
Dellon I Intermittierende Parästhesie Subjektiv<br />
Dellon II Permanente Hypästhesie; Messbare Kraftminderung<br />
2-Punkt-Diskrimination pathologisch<br />
Dellon III Permanente Hypästhesie; 2-Punkt- Lähmung und Atrophie<br />
Diskrimination fehlt<br />
Tab. 2: Elektrophysiologische Klassifikation des SNU 26<br />
Negativ Normal<br />
Mild Verlangsamte motorische NLG im Sulcusabschnitt mit normalem<br />
sensiblem Reizantwortpotenzial<br />
Mäßig Verlangsamte motorische NLG im Sulcusabschnitt mit<br />
amplitudenreduziertem sensiblem Reizantwortpotenzial<br />
Schwer Verlangsamte motorische NLG im Sulcusabschnitt mit fehlendem<br />
sensiblem Reizantwortpotenzial<br />
Extrem Fehlendes motorisches (Hypothenar) und sensibles Reizantwortpotenzial<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Ist eines der folgenden Kriterien erfüllt, lässt<br />
sich die Diagnose einer Ulnarisneuropathie<br />
am Ellbogen stellen 1, 2, 10 :<br />
Die motorische NLG im Ellbogenabschnitt<br />
ist um > 16 m/s langsamer als<br />
die motorische NLG im Unterarmsegment.<br />
Die absolute motorische NLG im Sulcus -<br />
abschnitt beträgt < als 43 m/s (16 m/s<br />
Unterschied müssen nicht vorliegen).<br />
Die Amplitude des motorischen<br />
Antwortpotenzials nach Stimulation pro -<br />
ximal im Vergleich zur Stimulation distal<br />
des Sulcus ist um > 20 % reduziert.<br />
Die Form des motorischen Antwort -<br />
potenzials nach Stimulation proximal im<br />
Vergleich zur Stimulation distal des<br />
Sulcus ändert seine Form (temporale<br />
Dispersion).<br />
Die sensible Neurographie ist zu unzu -<br />
verlässig, um sie in der Routinediagnos -<br />
tik zur Lokalisation der Nervenläsion<br />
einzusetzen. Eine normale Amplitude des<br />
distalen sensiblen Reizantwortpotenzials<br />
scheint aber als prognostischer Marker<br />
<strong>für</strong> das operative Outcome günstig zu<br />
sein, ein fehlendes sensibles Potenzial<br />
zeigt eine eher ungünstige Prognose<br />
an 23, 32 .<br />
Zusätzliche elektrophysiologische Methoden<br />
können in besonderen Fällen hilfreich sein:<br />
Bei zusätzlicher Ableitung vom M.<br />
interosseus I lässt sich die diagnostische<br />
Sensitivität geringfügig erhöhen11, 33<br />
Mittels Inching des N. ulnaris entlang<br />
des Kubitaltunnels lässt sich die<br />
diagnostische Sensitivität geringgradig<br />
erhöhen3, 34 , allerdings unterliegt diese<br />
Methode zahlreichen Fehlerquellen, so<br />
dass sie nur mit Vorsicht und äußerster<br />
Gründlichkeit eingesetzt werden sollte.<br />
Bei axonalen Läsionen kann die NLG im<br />
Unterarm deutlich verzögert sein.<br />
Bei schwerer axonaler Läsion kann von<br />
der intrinsischen Handmuskulatur unter<br />
Umständen kein Potenzial abgeleitet<br />
werden. Dann kann die Latenz und<br />
Amplitude nach Stimulation proximal des<br />
Sulcus und bei Ableitung vom M. flexor<br />
carpi ulnaris im Seitenvergleich hilfreich<br />
sein. Eine Latenzunterschied vom > 1 ms<br />
und eine Amplitudendifferenz von > 50 %<br />
werden als pathologisch angesehen9 .
Mittels Nadelelektromyographie<br />
lässt sich das Ausmaß einer<br />
axonalen Schädigung abschätzen.<br />
Eine elektrophysiologische Klassifikation<br />
des SNU wurde von Padua 26 vorgeschlagen<br />
(Tab. 2).<br />
Bildgebende Diagnostik<br />
Knöcherne Veränderungen lassen sich<br />
mit einer Röntgenaufnahme des Ellbogens<br />
gut darstellen. Die hoch auflösende<br />
Ultraschalluntersuchung wird<br />
in den letzten Jahren immer wieder<br />
zur Diagnosestellung von Nervenkompressionen,<br />
u. a. des SNU, eingesetzt.<br />
Die Bedeutung dieser Verfahren zur<br />
reinen Diagnosestellung wird unterschiedlich<br />
bewertet 6, 24, 27, 30 . Allerdings<br />
ist ihre Bedeutung zur Abklärung<br />
eventueller den Nerv komprimierender<br />
Strukturen, wie z. B. Ganglien oder<br />
eines M. epitrochleoanconeus, und als dynamische<br />
Untersuchung sicherlich sehr sinnvoll.<br />
Bezüglich der genauen Lokalisation und in<br />
Fällen, wo kein Leitungsblock zu finden ist,<br />
dürfte die Ultraschalluntersuchung der elektrophysiologischen<br />
Untersuchung überlegen<br />
sein. Somit ist sie als ergänzende Untersuchung<br />
bei einem SNU sicherlich zu empfehlen.<br />
MRT-Untersuchungen bei PatientInnen<br />
mit einem SNU können eine Signalsteigerung<br />
und eine Nervenauftreibung an Kompres -<br />
sionsstellen zeigen 36 .<br />
Ursachen<br />
Der Begriff SNU ist anatomisch inkorrekt, da<br />
er den Läsionsort ungenau beschreibt. Typischerweise<br />
kann der N. ulnaris im Ellbogen<br />
an drei Stellen beeinträchtigt sein, die alle<br />
zusammen den Kubitaltunnel ausmachen 2 :<br />
im Bereich des Sulcus retrocondylaris,<br />
unter der humeroulnaren Arkade, die in<br />
die Faszie des M. flexor carpi ulnaris<br />
übergeht (dem Kubitaltunnelretinaculum)<br />
und<br />
im Bereich der tiefen Flexorenfaszie.<br />
Weiter distal davon gelegene Kompressionen<br />
unter der Flexorenaponeurose sind laut MRT-<br />
Studien eher seltener 36 .<br />
Ursächlich <strong>für</strong> das idiopathische SNU werden<br />
Abb.: Typische Handhaltung einer chronischen<br />
Ulnariskompression – Krallenhand mit Atrophie der<br />
intrinsischen Handmuskulatur<br />
Druckerhöhungen an den oben genannten<br />
Stellen angenommen, die vor allem bei Ellbogenbeugung<br />
und repetitiven Beuge- und<br />
Streckbewegungen auftreten. Habituelles<br />
Aufstützen der Ellbogen erhöht den Druck.<br />
Ein flacher Sulcus retrocondylaris mit Subluxation<br />
des Nervs bei Beugung, ein atavistischer<br />
M. epitrochleoanconaeus oder ein hypertrophierter<br />
oder dislozierter medialer<br />
Trizepskopf als anatomische Varianten begünstigen<br />
die Entstehung eines SNU. Ein so<br />
genanntes sekundäres SNU findet sich nach<br />
Ellbogengelenksverletzungen mit Fehlstellungen,<br />
bei extranervalen Kompressionen durch<br />
z. B. Lipome, Ganglien oder Venenplexus.<br />
Neurinome und Neurofibrome im Bereich des<br />
Kubitaltunnels sind selten. Das SNU tritt auch<br />
als ein nicht seltener Lagerungsschaden bei<br />
Operationen und Bettlägrigkeit auf 2 .<br />
Prognose und Therapie<br />
Die Prognose des unbehandelten elektrophysiologisch<br />
„milden“ oder „mäßigen“ SNU ist<br />
nicht ungünstig; ca. 50 % dieser Fälle besserten<br />
sich nach Aufklärung über die zugrunde<br />
liegenden pathophysiologischen Mechanismen<br />
wie repetitive Beugung des Unterarms<br />
und Druck auf den Ellbogen, und die<br />
meisten PatientInnen berichteten, dass sie<br />
nach der Diagnosestellung ihre Armhaltung<br />
geändert hatten 36 . Eine solche Aufklärung<br />
und eine regelmäßige <strong>neurologisch</strong>e<br />
Kontrolle sollten somit in den<br />
leichteren Fällen die ersten Maßnahmen<br />
darstellen 2, 21, 25 .<br />
Die Datenlage bezüglich konservativer<br />
und operativer Therapie des<br />
SNU ist insgesamt als sehr schlecht<br />
anzusehen. Eine Cochrane-Analyse<br />
identifizierte 1461 Arbeiten zu diesem<br />
Thema, aber nur 3 Studien zur<br />
operativen Therapie erfüllten die<br />
Kriterien <strong>für</strong> eine Metaanalyse 12 .<br />
Als konservative Maßnahme führte<br />
die nächtliche Ruhigstellung in<br />
leichter Flexion und Pronation mit<br />
einer gepolsterten Schiene zu einer<br />
Besserung der Beschwerden 31 . Die<br />
lokale Infiltration mit Steroiden<br />
brachte in einer kleineren Studie an<br />
10 PatientInnen keine Besserung<br />
und wird allgemein als unwirksam<br />
angesehen 2, 19 .<br />
Drei Operationsmethoden stehen in der<br />
Behandlung des SNU zur Verfügung 2 :<br />
die In-situ-Dekompression<br />
die Dekompression mit subkutaner,<br />
submuskulärer oder intramuskulärer<br />
Transposition<br />
die Dekompression mit medialer<br />
Epikondylektomie<br />
Eine Metaanalyse 12 zeigte, dass die einfache<br />
Dekompression und die Dekompression mit<br />
Transposition gleichwertig sind, wobei sich<br />
bei letzterer Methode allerdings häufiger<br />
Komplikationen fanden 5 . Bei der Transposition<br />
gilt die subkutane Variante als die erfolgreichste<br />
17 , bei allen Transpositionen ist allerdings<br />
darauf zu achten, dass Vasa nervorum,<br />
die das transponierte Nervensegment versorgen,<br />
geschont und ebenso verlagert werden<br />
müssen 14 .<br />
Insgesamt ist eine klinische relevante Besserung<br />
in ca. 70 % der Fälle zu erzielen 12 .<br />
Nachdem die einfache Dekompression einen<br />
erfolgreichen, minimal invasiven 28 und kostengünstigen<br />
Eingriff 12 darstellt, ist diese Variante<br />
sicherlich als erste Wahl anzusehen.<br />
Zur Epikondylektomie liegen keine randomisierte<br />
Studien oder Metaanalysen vor, und<br />
sie ist sicherlich nur in Ausnahmefällen indiziert.<br />
u<br />
25
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
Das Ausmaß des präoperativen Nervenschadens<br />
ist ein wichtiger prognostischer Faktor;<br />
je ausgeprägter er ist, umso ungünstiger ist<br />
die Prognose 37 . Hohes Alter, lange bestehende<br />
Symptome 37 , ein fehlendes sensibles<br />
Reizantwortpotenzial in der Ulnarisneurographie<br />
32 und eine deutliche sonographische<br />
Nervenverdickung 8 sind prognostisch ungüns -<br />
tige Parameter während elektrophysiologische<br />
Zeichen von Demyelinisierung 8, 18 und<br />
eine normale Amplitude des Muskelsummenpotenzials<br />
des M. abductor digiti minimi 18<br />
prognostisch günstige Marker sind.<br />
Therapeutisches Vorgehen<br />
Bei milderen Formen des SNU mit intermittierenden<br />
Sensibilitätsstörungen ohne persis -<br />
tierende <strong>neurologisch</strong>e Ausfälle ist es sinnvoll,<br />
die PatientInnen über die zugrunde liegenden<br />
Schädigungsmechanismen aufzuklären und<br />
zuzuwarten 25 . Regelmäßige <strong>neurologisch</strong>e<br />
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26<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
und elektrophysiologische Kontrollen sollten<br />
allerdings erfolgen 15 . In diesen Fällen und<br />
auch bei persistierenden Parästhesien kann<br />
auch eine nächtliche Ruhigstellung empfohlen<br />
werden. Sollten sich in diesen Fällen die<br />
Beschwerden nicht bessern bzw. verschlechtern,<br />
sollte eine operative Dekompression in<br />
Betracht gezogen werden.<br />
Wenn sich sensible oder motorische Defizite<br />
entwickeln, ist eine operative Therapie angezeigt.<br />
Die einfache Dekompression dürfte<br />
das Verfahren der ersten Wahl beim idiopathischen<br />
SNU darstellen 2 . In Fällen mit posttraumatischen<br />
oder degenerativen Deformitäten<br />
des Ellbogens, bei schmerzhafter Subluxation<br />
und bei ausgeprägten narbigen<br />
Veränderungen um den Nerv ist eine subkutane<br />
Transposition zu erwägen 2 . Sollten<br />
Symptome nach einer Dekompression persistieren<br />
bzw. nach einem symptomfreien Intervall<br />
wieder auftreten, kann eine Revision<br />
erfolgen, in der Regel eine submuskuläre<br />
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measurements for surgical outcome. Electromyogr Clin<br />
Neurophysiol 2004; 44(6):349–356.<br />
24 Ng ES et al., High resolution ultrasonography in the<br />
diagnosis of ulnar nerve lesions with particular<br />
reference to post-traumatic lesions and sites outside<br />
the elbow. Clinical neurophysiology: official journal of<br />
the International Federation of Clinical Neurophysiology<br />
2010.<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
oder subkutane Transposition 35 . Das Out -<br />
come von Revisionsoperationen dürfte allerdings<br />
schlechter sein als von Erstoperationen<br />
35 .<br />
Zur Behandlung von exogenen Ulnariskompressionen<br />
wie z. B. Lagerungsschäden oder<br />
Bettlägerigkeit existieren keine einheitlichen<br />
Behandlungsrichtlinien. Spontane Besserungen<br />
sind unter Umständen erst nach 8 bis<br />
12 Monaten möglich, so dass generell ein<br />
eher zuwartendes Vorgehen empfohlen wird.<br />
Gelegentlich kann aber bei fehlender Besserung<br />
eine operative Behandlung notwendig<br />
werden 2 .<br />
Dieses therapeutische Vorgehen entspricht<br />
auch den gemeinsamen Leitlinien der Deutschen,<br />
<strong>Österreichische</strong>n und Schweizerischen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> (http://www.dgn.<br />
org/images/stories/dgn/leitlinien/LL2008/ll08k<br />
ap_050.pdf) und den Leitlinien der Deutschen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Handchirurgie (http://<br />
www.dg-h.de/LeitlinienSulcus.aspx). n<br />
25 Padua L et al., Natural history of ulnar entrapment at<br />
elbow. Clinical neurophysiology : official journal of the<br />
International Federation of Clinical Neurophysiology<br />
2002; 113(12):1980–1984.<br />
26 Padua L et al., Neurophysiological classification of ulnar<br />
entrapment across the elbow. Neurol Sci 2001;<br />
22(1):11–16.<br />
27 Padua L et al., Ultrasonography in patients with ulnar<br />
neuropathy at the elbow: Comparison of cross-sectional<br />
area and swelling ratio with electrophysiological<br />
severity. Muscle & Nerve 2011; 43(2):298-99.<br />
28 Pavelka M, Rhomberg M, Estermann D, Löscher WN,<br />
Piza-Katzer H, Decompression without anterior transposition:<br />
an effective minimally invasive technique for<br />
cubital tunnel syndrome. Minim Invasive Neurosurg<br />
2004; 47(2):119–123.<br />
29 Richardson JK et al., Gender, body mass and age as risk<br />
factors for ulnar mononeuropathy at the elbow. Muscle<br />
Nerve 2001; 24(4):551–554.<br />
30 Seror P, Sonography and electrodiagnosis in carpal<br />
tunnel syndrome diagnosis, an analysis of the literature.<br />
Eur J Radiol 2008; 67(1):146–152.<br />
31 Szabo RM, Kwak C, Natural history and conservative<br />
management of cubital tunnel syndrome. Hand Clin<br />
2007; 23(3):311–318, v–vi.<br />
32 Taha A et al., Outcomes of cubital tunnel surgery<br />
among patients with absent sensory nerve conduction.<br />
Neurosurgery 2004; 54(4):891–895; discussion 895–896.<br />
33 Todnem K et al., The impact of extended electrodiagnostic<br />
studies in ulnar neuropathy at the elbow. BMC<br />
Neurol 2009; 9:52.<br />
34 Visser LH, Beekman R, Franssen H, Short-segment<br />
nerve conduction studies in ulnar neuropathy at the<br />
elbow. Muscle Nerve 2005; 31(3):331–338.<br />
35 Vogel RB, Nossaman BC, Rayan GM, Revision anterior<br />
submuscular transposition of the ulnar nerve for failed<br />
subcutaneous transposition. Br J Plast Surg 2004;<br />
57(4):311–316.<br />
36 Vucic S et al., Utility of magnetic resonance imaging in<br />
diagnosing ulnar neuropathy at the elbow. Clinical<br />
neurophysiology: official journal of the International<br />
Federation of Clinical Neurophysiology<br />
2006;117(3):590–595.<br />
37 Yamamoto K et al., Postoperative clinical results in cubital<br />
tunnel syndrome. Orthopedics 2006; 29(4):347–353.
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Das Thoracic Outlet-Syndrom<br />
Klassifikation<br />
In der neueren Literatur unterscheidet man<br />
in Abhängigkeit von der betroffenen anatomischen<br />
Struktur ein arterielles, ein venöses<br />
und ein neurogenes TOS 1, 2 . Das neurogene<br />
TOS wird weiter subkategorisiert in ein sicheres<br />
TOS (true neurogenic TOS) und ein<br />
fragliches TOS (disputed TOS), wobei Ersteres<br />
durch das Bestehen objektiver diagnostischer<br />
Zeichen definiert ist, während bei Letzterem<br />
keine objektiven Zeichen einer neurogenen<br />
Läsion vorliegen.<br />
Epidemiologie<br />
Der Altersgipfel liegt zwischen dem 20. und<br />
50. Lebensjahr. Selten sind Kinder und Jugendliche<br />
betroffen. Frauen entwickeln dreibis<br />
viermal häufiger als Männer ein neurogenes<br />
TOS, wohingegen ein vaskuläres TOS bei<br />
Männern und Frauen gleich häufig auftritt.<br />
Eine Ausnahme stellen TOS bei Athleten dar.<br />
Anatomie, Ätiologie<br />
und Pathophysiologie<br />
Das neurovaskuläre Bündel mit dem Plexus<br />
brachialis sowie der A. und der Vena subclavia<br />
verläuft auf seinem Weg vom Nacken zur<br />
Axilla und dem proximalen Arm durch drei<br />
Engstellen. Die wichtigste Engstelle ist die<br />
Skalenuslücke, die vorne vom M. scalenus<br />
anterior, hinten vom M. scalenus medius und<br />
unten von der ersten Rippe gebildet wird<br />
(Abb.). Knapp danach verläuft das neurovaskuläre<br />
Bündel durch das Spatium costoclaviculare.<br />
Dieses wird medial vom Ligamentum<br />
costoclaviculare begrenzt, das die Clavicula<br />
an der 1. Rippe fixiert. Lateral bildet das Li-<br />
28<br />
gamentum coracoclaviculare die Begrenzung.<br />
Kranial liegt die Clavicula und an ihrer Unterseite<br />
der M. subclavius, der in die kräftige<br />
Fascia clavipectoralis eingescheidet ist. Das<br />
Spatium costoclaviculare dient dem neuromuskulären<br />
Bund als Durchtrittspforte zum<br />
Arm. Bei Schultersenkung kann in diesem Bereich<br />
Druck auf das neurovaskuläre Bündel<br />
entstehen. Anschließend wird dieses vom M.<br />
pectoralis minor überbrückt, der am Processus<br />
coracoideus inseriert. Diese Region wird<br />
auch als Spatium subcoracoidale bezeichnet.<br />
Zahlreiche verschiedene anatomische Varianten<br />
können die anatomischen Gegebenheiten<br />
komplizieren 3 .<br />
Pathophysiologisch sind in der Regel extrinsische<br />
Faktoren <strong>für</strong> die Symptomatik verantwortlich<br />
4–8 : (z. B. abnorme fibröse Bänder,<br />
die sich von einer Halsrippe oder vom Processus<br />
transversus des 7. Halswirbels zur ersten<br />
Rippe oder zur Pleura spannen, oder ein<br />
akzessorischer M. scalenus minimus). Sie<br />
üben Druck auf den unteren Plexus brachialis<br />
aus. Intrinsische Faktoren, wie über viele<br />
Jahre ausgeübte Tätigkeiten mit starker Inanspruchnahme<br />
und eventuell häufiger Armelevation,<br />
z. B. Baseballspieler 9 , aber auch<br />
ein Beschleunigungstrauma sollen ursächlich<br />
eine Rolle spielen können 10, 11 . Gelegentlich<br />
kann ein Aneurysma der A. subclavia die Situation<br />
erschweren 12 . Ort der Kompression<br />
ist die Gegend des Scalenusdreiecks. Dies<br />
haben auch intraoperative neurographische<br />
Messungen bei TOS-PatientInnen nachgewiesen<br />
13 . Kompressionen weiter distal, also im<br />
costoclaviculären oder im subcoracoidalem<br />
Raum, werden bestritten. Nach Sanders und<br />
Rao 14 haben mehr als drei Viertel aller PatientInnen<br />
mit einem neurogenen TOS auch<br />
ein Pectoralis minor-Syndrom.<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
Symptome<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Das Thoracic Outlet-Syndrom (TOS) ist eines der am meisten kontrovers diskutierten Engpasssyndrome<br />
peripherer Nerven. Dies ergibt sich aus unterschiedlichen Definitionen, den pathoanatomischen Grundlagen,<br />
der häufig vagen klinischen Symptomatik, den diagnostischen und differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten<br />
und dem Fehlen prospektiver randomisierter therapeutischer Studien.<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Bruno Mamoli<br />
Generalsekretär der ÖGN,<br />
Wien<br />
Die Symptome sind von der Lokalisation und<br />
dem Ausmaß der neurovaskulären Kompression<br />
abhängig. Sie reichen von leichten<br />
Schmerzen und Sensibilitätsstörungen bis zu<br />
schwersten sensomotorischen Ausfällen. Sie<br />
können uni- oder bilateral sein mit Beteiligung<br />
sowohl neurogener als auch vaskulärer<br />
Komponenten.<br />
Neurogenes TOS<br />
(98 % der Patienten)<br />
Die Symptomatik erklärt sich aus den anatomischen<br />
Gegebenheiten. Infolge Kompression<br />
des unteren Primärstranges von kaudal<br />
werden zunächst die aus der Wurzel Th1 und<br />
später C8 stammenden Fasern irritiert bzw.<br />
lädiert.<br />
Initial klagen die PatientInnen über Schmerzen<br />
und/oder Parästhesien am medialen Unterarm<br />
und eventuell motorische Ausfälle seitens<br />
des lateralen Daumenballens (M. abductor<br />
pollicis brevis), später über Parästhesien<br />
und/oder Schmerzen bzw. eine Schwäche<br />
vorwiegend der C8-innervierten Muskeln wie<br />
der Mm. interossei und des Hypothenars 15 .<br />
Ein Horner-Syndrom weist auf eine proximale<br />
Läsion Th1 hin.<br />
Vaskuläres TOS<br />
(2 % der Patienten)<br />
Arterielles TOS: Im Rahmen des arteriellen<br />
TOS kommt es zu einer Kompression der A.
subclavia oder der A. axillaris. Wesentlichste<br />
Symptome sind vorzeitige Ermüdung des<br />
Armes bei Belastung, Armblässe, Bamstigkeitsgefühl,<br />
Parästhesien, Kältegefühl und nichtradikulären<br />
Schmerzen, wobei sich die Symptomatik<br />
bei Kälte verschlechtert. Diese Symptome<br />
können vor allem in Armelevationshaltung<br />
auftreten 9 . Der Blutdruck kann im Seitenvergleich<br />
erniedrigt sein und das Pulsvolumen,<br />
vor allem bei abduziertem und außenrotiertem<br />
Arm, abnehmen. Es finden sich arterielle Verschlüsse,<br />
Dissektionen und Aneurysmen. Selten<br />
kommt es infolge Embolisation zu einer<br />
Fingergangrän. Vielfach wird, vor allem wenn<br />
im Vordergrund des TOS die neurogene Symptomatik<br />
steht, die konkomitierende arterielle<br />
Kompression übersehen. In einer retrospektiven<br />
Studie an 41 PatientInnen mit objektiven<br />
Zeichen einer arteriellen Kompression fand sich<br />
bei 63 % eine Stenose der A. subclavia mit<br />
poststenotischer Dilatation oder ohne solche,<br />
bei 29 % ein Aneurysma der A. subclavia, bei<br />
2,4 % ein alter Verschluss der A. subclavia<br />
und bei 5 % eine Kompression der A. axillaris.<br />
Bei 66 % aller PatientInnen war die Differenzierung<br />
zwischen neurogenen und<br />
vaskulären Beschwerden problematisch<br />
16 . Die Diagnose kann mittels Angiographie<br />
der oberen Extremität bei abduziertem<br />
und außenrotiertem Arm belegt<br />
werden. Sekundäre Folgen können<br />
ein Morbus Raynaud oder eine Stenose<br />
der A. subclavia mit eventueller Thrombosierung<br />
sein. Weiters kann es zu<br />
aneurysmatischen Erweiterungen kommen.<br />
Venöses TOS: Das venöse TOS ist<br />
durch eine Schwellung und Zyanose<br />
des Armes und tiefe Schmerzen in Arm<br />
und Brust charakterisiert. Bei tiefen Venenthrombosen<br />
am Arm muss unterschieden<br />
werden zwischen primären<br />
Thrombosen in Folge starker Betätigung<br />
des Armes, die zunächst eine<br />
gute Prognose haben hinsichtlich eines<br />
postthrombotischen Syndroms, und sekundären<br />
Thrombosen ohne zunächst<br />
erkennbare Ursachen, deren Prognose<br />
von der Ätiologie abhängt. Sekundäre tiefe<br />
Armthrombosen kommen typischerweise bei<br />
älteren Personen mit schweren Komorbiditäten<br />
vor, meist als Folge eines Malignoms oder<br />
eines Zentralvenenkatheters 17 .<br />
Diagnose<br />
Während sich die Diagnose des vaskulären<br />
TOS relativ einfach gestaltet, ergeben sich<br />
bei der Diagnostik des neurogenen TOS und<br />
insbesondere beim disputed TOS häufig Probleme,<br />
da es keinen objektiven Test gibt, der<br />
die Diagnose definitiv sichert. Die Diagnose<br />
erfolgt ähnlich einem Indizienprozess aus der<br />
Konstellation von klinischen, elektrophysiologischen,<br />
pharmakologischen und radiologischen<br />
Daten. Wichtigste Elemente sind eine<br />
exakte Anamnese und die <strong>neurologisch</strong>e Untersuchung<br />
18 .<br />
Provokationstests:<br />
a) Adson-Manöver: Kopfwendung zur be -<br />
troffenen Seite mit Anheben des Kinns<br />
Abb.: Engpässe im Schulterbereich, in dem eine<br />
neurovaskuläre Kompression stattfinden kann<br />
nach Mumenthaler et al., 2003<br />
und tiefer Inspiration sowie zusätzlicher<br />
Zug des Armes nach kaudal kann zu<br />
einem Verschwinden des Radialispulses<br />
und zu Symptomen führen.<br />
b) Stenosegeräusch über der A. subclavia<br />
c) Verschwinden des Radialispulses bei<br />
Elevation des Armes, beim Zurück -<br />
nehmen der Schulter bzw. bei Kopf -<br />
wendung.<br />
d) Armelevation <strong>für</strong> 3 Minuten mit Auf -<br />
treten von Parästhesien<br />
e) Druck auf den Erb’schen Punkt mit<br />
Auftreten von lokalen Schmerzen.<br />
Allen Provokationstests kommt nur eine bescheidene<br />
diagnostische Rolle infolge sehr<br />
niedriger Spezifität zu. Insbesondere sei darauf<br />
hingewiesen, dass oben erwähnte Tests<br />
auch bei Gesunden positiv sein können.<br />
Auch der von „TOS-Spezialisten“ als wichtiger<br />
diagnostischer Test angesehene<br />
schmerzhafte Druck auf den Erb’schen<br />
Punkt ist äußerst unspezifisch und z. B. bei<br />
45 % der PatientInnen mit Karpaltunnel-<br />
syndrom positiv. Ein positiver<br />
Armelevationstest findet<br />
sich bei 58 % der PatientInnen<br />
mit Karpaltunnelsyndrom<br />
19 . Die hohe Sensiti -<br />
vität verschiedener Tests<br />
beim neurogenen TOS 1 wird<br />
somit durch die sehr niedrige<br />
Spezifität der Tests hinsichtlich<br />
ihrer Bedeutung relativiert.<br />
Die Provokationstests sind<br />
auch keine wertvollen Prädiktoren<br />
des Outcomes nach<br />
chirurgischen Eingriffen 20 .<br />
Diagnostische<br />
Infiltrationen<br />
Ein weiterer Mosaikstein zur<br />
Bestätigung eines TOS ist die<br />
lokale Infiltration des M. scalenus<br />
anterior und M. scalenus<br />
medius mit Lidocain. Als<br />
positiv gilt der Test bei Schwin -<br />
den der Schmerzen 21 . u<br />
29
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
Elektrophysiologische<br />
Untersuchungen<br />
Die elektrophysiologische Untersuchung versteht<br />
sich als Zusatzuntersuchung nach eingehender<br />
klinischer Beurteilung. Ziele sind:<br />
Objektivierung klinisch verdächtiger Ausfälle,<br />
Lokalisation der Läsion und Differenzialdiagnose<br />
gegenüber Radikulopathien, Mononeuropathien<br />
oder Polyneuropathien.<br />
Die Nadelelektromyographie unterstützt<br />
durch Untersuchung verschiedener Muskeln<br />
die klinische topographische Diagnostik<br />
sowie die Differenzialdiagnose gegenüber<br />
einer Mononeuropathie, einer Radikulopathie<br />
oder einer Polyneuropathie.<br />
Zur Differenzialdiagnose gegenüber einer Radikulopathie<br />
kann von der paraspinalen Muskulatur<br />
abgeleitet werden. Eigene Erfahrungen<br />
lassen jedoch die Wertigkeit der elektromyographischen<br />
Untersuchung aus der<br />
paraspinalen Muskulatur relativieren. Die motorische<br />
und/oder sensible Nervenleitgeschwindigkeit<br />
erlaubt eine Differenzierung<br />
gegenüber weiter distal gelegenen Drucksyndromen.<br />
(Karpaltunnelsyndrom, Sulcus-ulnaris-Syndrom,<br />
Loge-de-Guyon-Syndrom usw.).<br />
Fehldiagnosen mit einer Verzögerung der<br />
Diagnose eines TOS kommen häufig vor22 .<br />
Als typische elektroneurographische Befunde<br />
<strong>für</strong> ein neurogenes TOS gelten<br />
Verminderung der Amplitude des<br />
Summenpotentials nach Stimulation des<br />
N. medianus<br />
niedrige Amplitude des sensiblen<br />
Nervenaktionspotentials des N. ulnaris<br />
gering erniedrigte oder normale<br />
Amplitude des Summenpotentials nach<br />
Stimulation des N. ulnaris<br />
normale Amplitude des sensiblen Nerven -<br />
aktionspotenzials des N. medianus4, 23<br />
niedrige Amplitude des sensiblen<br />
Nervenaktionspotenzials des N. cutaneus<br />
antebrachii medialis24 . Die Beteiligung<br />
des N. cutaneus antebrachii medialis ist<br />
insofern verständlich, als er vorwiegend<br />
aus den Nervenfasern von Th1 gebildet<br />
wird.<br />
Die Verminderung der Amplitude des Summenpotentials<br />
nach Medianusstimulation er-<br />
30<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
gibt sich daraus, dass die motorischen Fasern<br />
des N. medianus vorwiegend im unteren<br />
Truncus verlaufen.<br />
Die klinische Wertigkeit der F-Wellen-Untersuchung<br />
ist bei TOS beschränkt.<br />
F-Wellen-Parameter werden erst bei beträchtlichem<br />
Ausfall motorischer Fasern pathologisch.<br />
Darüber hinaus erlaubt sie keineswegs,<br />
zwischen einem TOS und einer Radikulopathie<br />
zu differenzieren.<br />
Der H-Reflex ist bei der Untersuchung des<br />
TOS ohne Bedeutung. Auch die Anwendung<br />
der kortikalen oder spinalen Magnetstimulation<br />
erbrachte keine wesentlichen Fortschritte<br />
in der Diagnostik des TOS.<br />
Die Untersuchung der somatosensorisch evozierten<br />
Potenziale nach Stimulation des N.<br />
ulnaris erlaubt, die somatosensiblen Bahnen<br />
sowohl im Bereich des peripheren als auch<br />
im Bereich des zentralen Nervensystems zu<br />
beurteilen. Die Ableitung erfolgt vom<br />
Erb’schen Punkt, spinal in Höhe C7 und/oder<br />
C2 und von der kontralateralen kortikalen<br />
Handarea. Nach Ableitung im Bereich des<br />
Erb’schen Punktes wird ein triphasisches Potenzial<br />
nach ca. 9 msec registriert (N9), dessen<br />
Generator im Plexus angenommen wird.<br />
Die bei spinaler Ableitung registrierte Komponente<br />
N13 reflektiert wahrscheinlich die<br />
postsynaptische Aktivität im Rückenmark und<br />
N20 die neuronale Aktivität der hinteren Zentralwindung.<br />
Die Untersuchung des SEP beim<br />
TOS ist sensitiver als die Untersuchung der<br />
F-Welle oder die sensible Neurographie. Dessen<br />
ungeachtet liegen häufig normale Befunde<br />
vor, naturgemäß vor allem bei fehlenden<br />
<strong>neurologisch</strong>en Ausfällen im Rahmen eines<br />
rein vaskulären oder venösen TOS25.<br />
Die diagnostische Sensitivität der SEP ist von<br />
der Schwere der <strong>neurologisch</strong>en Ausfälle abhängig.<br />
Bei Untersuchung der SEP nach Stimulation<br />
des N. ulnaris finden sich bei PatientInnen<br />
mit ausschließlich subjektiven<br />
Symptomen eines TOS in 18 % und bei PatientInnen<br />
mit sensiblen Störungen und/oder<br />
einer Schwäche der kleinen Handmuskeln bei<br />
44 % pathologische Befunde. Bei zusätzlicher<br />
Berücksichtigung des Quotienten der Amplitude<br />
von N9 nach Ulnarisstimulation zur Amplitude<br />
N9 nach Medianusstimulation erhöht<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
sich die Rate pathologischer Befunde auf 25<br />
bzw. 67 %. Häufigster pathologischer Parameter<br />
ist eine niedrige P9-Amplitude und/<br />
oder ein verlängertes Intervall N9–N13 25, 26 .<br />
Als weiterer Hinweis gilt eine Verminderung<br />
der Amplitude der motorischen Antwort nach<br />
Magnetstimulation unter Elevation des Armes<br />
über den Kopf, doch liegen nur Einzelmitteilungen<br />
vor 27 . Insgesamt zeigt sich, dass bei<br />
Fehlen <strong>neurologisch</strong>er Symptome elektrodiagnostische<br />
Tests zumeist normal sind 28 .<br />
Radiologische Befunde<br />
und Imaging-Verfahren<br />
Radiologisch sind eine Halsrippe oder ein verlängerter<br />
Processus transversus des 7. Halswirbels<br />
sichtbar. Halsrippen kommen bei<br />
0,27 % der gesunden Bevölkerung vor 29 . Nur<br />
10 % von ihnen sind symptomatisch. Das<br />
Fehlen einer radiologisch fassbaren Struktur<br />
schließt ein TOS allerdings nicht aus 30 . Bei<br />
Verdacht auf TOS ist deshalb eine AP-Aufnahme<br />
der oberen Thoraxapertur verpflichtend.<br />
Ein arterielles TOS (Kompression der A. subclavia)<br />
kann durch eine konventionelle oder MR-Angiographie<br />
der oberen Extremität bei abduziertem,<br />
außenrotiertem Arm nachgewiesen<br />
werden 9, 31, 32 . Beim venösen TOS wird die<br />
Diagnose durch Duplexsonographie bestätigt.<br />
Bei nichtkonklusivem Ergebnis ist eine Computertomographie<br />
oder ein MRI zu empfehlen.<br />
Schließlich kann auch eine Venographie<br />
bei abduziertem Arm durchgeführt werden,<br />
die meist eine Thrombose der V. subclavia in<br />
Höhe der 1. Rippe zeigt. Auch der Plexus<br />
selbst kann mittels MRI dargestellt werden<br />
und somit bei der Diagnose eines neurogenen<br />
TOS bzw. dessen Differenzialdiagnose<br />
hilfreich sein 33, 34 . Ein normaler MRI schließt<br />
jedoch ein TOS nicht aus.<br />
Konservative Therapie<br />
Neurogenes TOS<br />
Durch konservative Therapie kommt es bei<br />
ca. 50–90 % der PatientInnen zu einer Besserung<br />
der Symptomatik 35–39 . Die konservative<br />
Therapie des TOS besteht in der Kontrolle<br />
des Schmerzes sowie physikalischen Maßnahmen.<br />
Vordringliches Ziel ist die Schmerz- u
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
behandlung. Zur Schmerztherapie werden<br />
nichtsteroidale Antirheumatika, Muskelrelaxantien,<br />
Massage, Pulsgalvanisation, lokale<br />
Infiltration mit Anästhestika oder Steroiden<br />
sowie Relaxationsübungen und TENS empfohlen<br />
40, 41 .<br />
Als weitere wichtige Maßnahme, wenn vorhanden,<br />
wird eine Beseitigung von Ödemen<br />
angesehen. Ödeme können im Bereich des<br />
thoracic outlet liegen oder den gesamten<br />
Arm erfassen. Bei Vorliegen eines Ödems<br />
werden antiödematöse Maßnahmen zwecks<br />
Verringerung des lokalen Drucks wie Ödemhandschuhe,<br />
Kompressionsverbände, retrograde<br />
Massage, Armhochlagerung, Übungen<br />
zur Verbesserung des Gleitens der Muskeln,<br />
der Sehnen und der Nerven im Schulterbereich<br />
und Ultraschall empfohlen. Wichtig ist<br />
die Edukation der PatientInnen, um Compliance<br />
zu erreichen.<br />
Physiotherapie: Da Haltungsstörungen die<br />
TOS-Symptome aggravieren können 41 , wird<br />
eine Verbesserung der Körperhaltung angestrebt.<br />
Als optimal gilt eine aufrechte Oberkörperhaltung<br />
mit zurückgezogenen Schultern<br />
und gleichzeitiger Entspannung; dabei<br />
nimmt der Kopf automatisch eine gerade<br />
Position ein. Diese Haltung sollte im Sitzen,<br />
Stehen oder Gehen beibehalten werden. Im<br />
Schlaf sollten die PatientInnen auf der gesunden<br />
Seite liegen, mit einem Kissen unter<br />
dem Kopf und einem zweiten Kissen vor<br />
dem Körper, auf das der betroffene Arm gelegt<br />
werden soll. Eine Elevation der Arme,<br />
Schlaf in Bauchlage mit Seitwärtsdrehung<br />
des Kopfes und Seitwärtslagerung auf der<br />
betroffenen Seite sollte vermieden werden.<br />
Um eine nächtliche Abduktion des Armes zu<br />
vermeiden, kann der Pyjama-Arm auf der<br />
betroffenen Seite am Pyjama-Bein angenäht<br />
werden.<br />
Beim Autofahren sollte das Lenkrad im unteren<br />
Bereich entspannt gehalten werden.<br />
Eventuell kann eine Ellenbogenstütze nützlich<br />
sein. Der Arbeitsplatz sollte ebenfalls aus<br />
ergonomischer Sicht begutachtet werden.<br />
Physiotherapeutische Maßnahmen zielen auf<br />
die Verbesserung der Körperhaltung und auf<br />
32<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Druckentlastung hin. Dies kann durch unterschiedliche<br />
Strategien versucht werden:<br />
Erhöhung des Bewegungsumfanges im<br />
Sternoklavikulargelenk und Akro -<br />
mioklavikulargelenk.<br />
Erhöhung der Mobilität der ersten und<br />
der zweiten Rippe.<br />
Beseitigung von Verspannungen der<br />
Schultergürtelmuskulatur mit<br />
Wiedererlangung der Muskelelastizität.<br />
Neben der Korrektur der Körperhaltung kann<br />
dies durch manuelle Therapie mit Förderung<br />
der Gelenksmobilität, durch Dehnungsübungen,<br />
durch Massage und durch aktive Mobilisationsübungen<br />
versucht werden. Die<br />
Mm. scaleni und die Mm. pectorales sollen<br />
gezielt gedehnt werden. Weiters ist die Gleitfähigkeit<br />
des Nervenbündels im umgebenden<br />
Gewebe zu fördern. Dies muss jedoch durch<br />
langsame kontrollierte Übungen erfolgen,<br />
um neurale Dehnungsschäden zu vermeiden<br />
42, 43 .<br />
Die Übungen haben weiters zum Ziel, die<br />
Körperhaltung durch Wiederherstellung des<br />
Gleichgewichtes zwischen Nackenmuskulatur<br />
und Schultergürtelmuskulatur, durch Entspannung<br />
der Schultergürtelmuskulatur und<br />
des oberen Trapeziusanteiles, durch Dehnung<br />
der Mm. scaleni und der Mm. pectorales und<br />
durch Verstärkung der Nackenextensoren,<br />
der Adduktoren der Scapula und der Retraktoren<br />
der Schultern zu verbessern 37, 44–47 .<br />
Zu betonen ist, dass die derzeitige konservative<br />
Therapie sich vorwiegend auf theoretische<br />
und pathophysiologisch orientierte<br />
Überlegungen stützt. Es liegen keine randomisierten<br />
kontrollierten Studien vor. Auch liegen<br />
keine evidenzbasierten Daten vor, die<br />
Dauer, Frequenz und Intensität der verschiedenen<br />
physikalischen Methoden definieren.<br />
Diese Daten müssten darüber hinaus <strong>für</strong> spezifische<br />
PatientInnenpopulationen (unter Berücksichtigung<br />
der TOS-Klassifikation) erarbeitet<br />
werden.<br />
Auch gibt es keine vergleichende Studien<br />
zwischen dem natürlichen Verlauf und therapeutischen<br />
Interventionen 48 .<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Infiltrationen: Eine weitere therapeutische<br />
Option ist die Infiltration des M. scalenus<br />
anterior und des M. scalenus medius mit<br />
Botulinumtoxin zur Verminderung der<br />
Schmerzen. Christo et al. 49 infiltrierten den<br />
M. scalenus anterior mit Botulinumtoxin A<br />
(20 U) unter CT-Kontrolle. Nach 3 Monaten<br />
kam es zu einer Reduktion der Schmerzen<br />
(15 % Reduktion in der visuellen Analogskala)<br />
und einer Reduktion der Sensibilitätsstörung.<br />
Positive Ergebnisse unter sonographischer<br />
Kontrolle der Applikation von Botulinumtoxin<br />
fanden auch Torriani et al. 50 .<br />
Diese Ergebnisse wurden durch eine rezente<br />
randomisierte Doppelblindstudie an 38 PatientInnen<br />
mit TOS relativiert, in der keine<br />
Wirksamkeit von Botulinumtoxin Typ A zur<br />
Behebung von Schmerzen nachgewiesen<br />
werden konnte 51 .<br />
Neben der Botulinum-Infiltration wurden Infiltrationen<br />
der M. scaleni mittels Bupivacain<br />
beschrieben. Bereits nach der ersten Infiltration<br />
wurde bei 78 % der PatientInnen<br />
eine Besserung der Schmerzen erreicht.<br />
Nach einem Jahr waren 91 % der PatientInnen<br />
wieder arbeitsfähig. Die AutorInnen<br />
schließen daraus, dass Scalenusinfiltrationen<br />
vor allem zu Therapiebeginn zu erwägen<br />
sind 52 .<br />
Als Indikatoren einer schlechten Prognose<br />
unter konservativer Therapie gelten Übergewicht<br />
und Double-Crash-Syndrome.<br />
Venöses TOS<br />
Bei venösem TOS durch eine Thrombose<br />
(Paget-von-Schroetter-Syndrom) soll zur Vermeidung<br />
einer Progression des Thrombus<br />
rasch heparinisiert werden. Über die optimale<br />
Dauer der Heparinisierung liegen keine verlässlichen<br />
Daten vor. Randomisierte Studien<br />
zur Wertigkeit der Thrombolyse bei venösem<br />
TOS liegen ebenfalls nicht vor, dennoch wird<br />
sie vielfach als Akutmaßnahme dringend<br />
empfohlen. Vielfach wird auch eine anschließende<br />
Dekompression empfohlen, um das<br />
Risiko einer neuerlichen Thrombose nach Absetzen<br />
der Antikoagulantien zu vermindern 53 .<br />
Anderseits fanden Skalicka et al. 54 , dass die<br />
therapeutische Dekompression zwar die ve-
nöse Kompression reduziert, aber hinsichtlich<br />
der persistierenden Symptome nach 5 bzw.<br />
12 Monaten kein Unterschied gegenüber der<br />
endovaskulären oder konservativen Therapie<br />
besteht.<br />
Arterielles TOS<br />
Bei arteriellem Verschluss wird eine zügige<br />
bzw. sofortige – notfallmäßige – Operation<br />
empfohlen 45 .<br />
Chirurgische Therapie<br />
Obwohl unter einer konservativen Therapie<br />
zahlreichen PatientInnen geholfen werden<br />
kann, verbleibt eine selektierte PatientInnengruppe,<br />
die einer chirurgischen Therapie bedarf.<br />
Dies gilt insbesondere <strong>für</strong> vaskuläre TOS-<br />
Formen, um Komplikationen der arteriellen<br />
oder venösen Kompression zu vermeiden, <strong>für</strong><br />
PatientInnen mit neurogenem TOS und Bestehen<br />
von Lähmungen und Atrophien bzw.<br />
mit einer progredienten Symptomatik sowie<br />
PatientInnen mit relevanten behindernden<br />
Schmerzen und Versagen der konservativen<br />
Therapie.<br />
Ziel der Operation ist die Dekompression des<br />
Plexus brachialis, in aller Regel seines Truncus<br />
inferior. Ursache der Kompression sind entweder<br />
fibromuskuläre Besonderheiten in der<br />
Umgebung der Skalenuslücke bzw. proximal<br />
davon oder – seltener – eine Halsrippe. Um<br />
dieses Ziel zu erreichen, sind drei verschiedene<br />
chirurgische Zugänge beschrieben:<br />
1. Transaxilläre Entfernung der 1. Rippe.<br />
Diese Operation geht von der Prämisse<br />
aus, dass die 1. Rippe der gemeinsame<br />
Nenner aller TOS ist 55 . Diese Prämisse<br />
wurde aber später vom Erstbeschreiber<br />
Roos in Frage gestellt, denn bei 98 %<br />
seiner operierten PatientInnen waren<br />
fibromuskuläre Anomalien und nicht die<br />
1. Rippe Ursache des TOS 56 . Unter<br />
131 operierten PatientInnen fanden<br />
Karamustafaoglu et al. 57 bei 21 % eine<br />
zervikale Rippe und bei 62 % fibro -<br />
muskuläre Bänder. Allerdings inserieren<br />
die meisten dieser Bänder (z. B. Sibson-<br />
Faszie – Membrana subpleuralis) oder<br />
Muskeln (M. scalenus minimus) an der<br />
1. Rippe und werden in der Hand<br />
des/der Erfahrenen vor Entfernung der<br />
1. Rippe von dieser abgelöst, sodass der<br />
Plexus brachialis entlastet wird. Die<br />
zusätzliche Ent fer nung der 1. Rippe<br />
ergibt, verglichen mit der Beseitigung<br />
der Kompression durch fibromuskuläre<br />
Besonderheiten, keinen Vorteil 58 .<br />
Die transaxilläre Entfernung der<br />
1. Rippe wird von ThoraxchirurgInnen<br />
favorisiert.<br />
2. Supraklavikuläre Dekompression des<br />
Plexus brachialis. Dieser Zugang zielt<br />
direkt auf die Durchtrennung oder<br />
Resektion der fibromuskulären Struk -<br />
turen, ohne Entfernung der 1. Rippe. Es<br />
ist der kürzeste und direkteste Weg zum<br />
Plexus brachialis und wird deshalb von<br />
Nervenchirurg Innen bevorzugt. Sanders<br />
et al. haben deshalb den transaxillären<br />
Zugang zugunsten des supraklavikulären<br />
verlassen 59 . Auch eine Halsrippe kann<br />
auf diesem Wege sicher entfernt werden.<br />
Der Eingriff ist mikrochirurgisch.<br />
3. Dorsaler, paraskapularer Zugang. Bei<br />
diesem – aufwändigeren – Zugang<br />
müssen zunächst Muskeln zwischen<br />
Schulterblatt und Wirbelsäule<br />
durchtrennt und die 1., manchmal auch<br />
die 2. Rippe entfernt werden, um den<br />
Plexus darzustellen. Dann ist die<br />
Übersicht allerdings exzellent. Dieser<br />
Zugang ist Rezidiveingriffen vorbehalten,<br />
wenn man stärkere Narben um den<br />
Plexus brachialis be<strong>für</strong>chtet.<br />
4. Eingriffe mit dem Ziel der Erweiterung<br />
der Passage des Plexus zwischen<br />
Schlüsselbein oder M. pectoralis minor<br />
und Rippen sind nicht indiziert, da die<br />
Kompression nie dort, sondern sehr<br />
proximal liegt. Dies wurde auch<br />
intraoperativ mittels Neurographie am<br />
Plexus brachialis nachgewiesen 13 .<br />
5. Die Skalenotomie, also die alleinige<br />
Durchtrennung des M. scalenus anterior,<br />
ist obsolet, da sie die Kompression nicht<br />
beseitigt – es sei denn, es handelt sich<br />
um den seltenen Fall eines massiv<br />
hypertrophierten M. scalenus anterior<br />
oder medius.<br />
Die Langzeitergebnisse nach supraklavikulärem<br />
und transaxillärem Zugang sind wohl<br />
ähnlich. Man kann mit einem Verschwinden<br />
der Symptome bei 70–80 % der PatientInnen<br />
rechnen, natürlich auch abhängig von der<br />
Dauer und Schwere der muskulären Aus -<br />
fälle 60 . Allerdings waren in der Studie von<br />
Lepäntolo et al. 61 unter 103 PatientInnen<br />
einen Monat postoperativ nur 77 % und etwa<br />
6 Jahre später nur 37 % beschwerdefrei. Von<br />
33 PatientInnen mit einem mittleren Nachbeobachtungszeitraum<br />
von 8 Jahren beurteilten<br />
20 (61 %) die Operation als erfolgreich,<br />
13 (29 %) als erfolglos. Alle hatten subjektive<br />
Symptome eines TOS gehabt, aber nur etwa<br />
die Hälfte (56 %) motorische Ausfälle 62 .<br />
Cheng und Stone 63 fanden bei 39 Reoperationen,<br />
dass bei fast der Hälfte der PatientInnen<br />
(41 %) die Kompression bei der ersten<br />
Operation nicht beseitigt worden war.<br />
Nach Mackinnon 64 ist die transaxilläre Entfernung<br />
der 1. Rippe der häufigste Anlass<br />
unter den chirurgischen Eingriffen <strong>für</strong> einen<br />
Haftpflichtprozess vor US-amerikanischen<br />
Gerichten. Aber auch der supraklavikuläre<br />
Zugang ist nicht frei von Komplikationsmöglichkeiten.<br />
Einen Vergleich beider Methoden,<br />
der strengen wissenschaftlichen Kriterien<br />
standhält, gibt es nicht. Oft ist schon die<br />
Auswahl der PatientInnen <strong>für</strong> die Operation<br />
unklar oder zumindest inhomogen, die postoperativen<br />
Beobachtungszeiträume variieren<br />
erheblich, und NachuntersucherIn und OperateurIn<br />
sind identisch. Interessanterweise<br />
beurteilt der am gleichen Ort (Denver, Colorado)<br />
anwesende Neurologe die Ergebnisse<br />
der transaxilläre Entfernung der 1. Rippe wesentlich<br />
kritischer als der Chirurg 65 .<br />
In einer Cochrane-Analyse fand sich eine sehr<br />
geringe Evidenz <strong>für</strong> eine Überlegenheit der<br />
transaxillären Resektion der 1. Rippe gegenüber<br />
der supraklavikulären Neuroplastie, aber<br />
auf Grund fehlender randomisierter Studien<br />
keine randomisierte Evidenz, dass eine Therapie<br />
besser ist als der natürliche Verlauf des<br />
TOS 48 . n<br />
33
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GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
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NEUROLOGIE IN<br />
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KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
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GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
Kompressionsbedingte<br />
Beinplexusläsionen<br />
SCHWERPUNKT<br />
Beinplexusparesen sind zwar seltener als<br />
Armplexusparesen, die Mechanismen der<br />
Schädigungen sind aber weitgehend ident.<br />
Echte Beinplexusparesen sind selten und werden<br />
häufig als Femoralis- oder Ischiadicuslähmung<br />
verkannt. Eine umfangreiche Funktionsprüfung<br />
der Becken- und Glutealmuskulatur<br />
sowie der proximalen Muskulatur, oft<br />
unter Zuhilfenahme des EMG, kann notwendig<br />
sein, um Plexusparesen gegen die häufigeren<br />
Paresen des Beckengürtels und der<br />
Beinmuskulatur abzugrenzen.<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Proximale Drucksyndrome<br />
an den unteren Extremitäten<br />
Tumoren: Initial bestehen oft starke Schmerzen,<br />
gefolgt von sensorischen und motorischen<br />
Ausfällen. Relativ häufig werden anfangs<br />
Fehldiagnosen gestellt, insbesondere<br />
Ischialgie oder aber es wird eine Wurzelschädigung<br />
als Ursache vermutet und durch Veränderungen<br />
an der Wirbelsäule auch fälschlich<br />
„bestätigt“, wodurch die Diagnose -<br />
stellung verzögert werden kann. Als<br />
verursachende Tumoren kommen am häufigsten<br />
Prostata-, Uterus- sowie Ovarialkarzinome<br />
und kolorektale Tumoren als auch Metastasen<br />
häufiger Tumoren vor. Selten können<br />
auch Sarkome, Dermoidzysten und Leiomyome<br />
den Plexus komprimieren.<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Bei den Kompressionssyndromen an den proximalen unteren Extremitäten erscheint es vorerst sinnvoll, zwischen<br />
Läsionen des Plexus lumbosacralis und kompressionsbedingten Läsionen einzelner Nerven im Beckenbereich und<br />
an den unteren Extremitäten im eigentlichen Sinne zu unterscheiden. Weiters muss man zwischen den vielen<br />
Möglichkeiten einer Schädigung wie beispielsweise durch operative Eingriffe, Strahlenspätsyndrome,<br />
entzündliche Prozesse wie die Beinplexusneuritis, diabetische Neuropathien, Unfälle, Injektionsschäden oder<br />
ischämische Läsionen bei Erkrankungen der Beckenarterien von den eigentlichen Kompressionssyndromen im<br />
engeren Sinn unterscheiden, wobei in der Folge ausschließlich auf Letztere eingegangen wird. Tabelle 1 gibt<br />
einen kurzen Überblick über die betroffenen Strukturen und die häufigsten Kompressionsursachen.<br />
36<br />
Tab. 1: Kompressionssyndrome an den proximalen unteren Extremitäten<br />
Nerv Betroffene Struktur Ätiologie Kompression<br />
Plexus lumbosacralis L1-S3 versorgte Muskulatur Tumoren, Schwangerschaft<br />
N. iliohypogastricus Relevant ist sensible Störung Äußerer Druck, Tumoren<br />
N. genitofemoralis Relevant ist sensible Störung Äußerer Druck, Tumoren<br />
N. ilioinguinalis Relevant ist sensible Störung Ilioinguinalissyndrom<br />
N. obturatorius Adduktorengruppe Tumoren, Hernie<br />
N. femoralis Mm. iliacus, pectineus, sartorius, Blutungen, Abszesse, Tumoren,<br />
quadriceps Entbindung<br />
N. cutaneus fem. lat. Rein sensibel Meralgia paraesthetica<br />
N. glutaeus sup. + inf. Mm. glutaeus med, min, fasciae Selten bei Spondylolisthese,<br />
latae + glutaeus max. Tumoren<br />
N. ischiadicus Ischiokrurale Muskulatur Hämatome, Tumoren,<br />
Tibialis- und peronaeusversorgte Piriformissyndrom<br />
Muskulatur<br />
OA Dr. Marcus Erdler<br />
2. Neurologische Abteilung,<br />
Neurologisches Zentrum<br />
Rosenhügel, Wien<br />
Aneurysmen: Am Beginn steht meist ein<br />
akut einsetzender Schmerz im Bein, ebenfalls<br />
oft mit einer Ischialgie verwechselt, im Vordergrund.<br />
Schmerzen im Abdomen können<br />
zur Diagnose leiten. Verursacher sind große<br />
Aneurysmen der A. iliaca communis oder externa,<br />
der A. hypogastrica oder aber der<br />
Aorta abdominalis.<br />
Blutungen: Insbesondere bei angeborenen<br />
Gerinnungsstörungen wie Hämophilie oder<br />
bei oraler Antikoagulation kann es, oft schon<br />
durch leichte Traumen ausgelöst, zu einer<br />
Einblutung unter die Psoasfaszie mit möglicher<br />
Plexusläsion kommen. Retroperitoneale<br />
Hämatome werden auch in Folge von den<br />
häufig durchgeführten Hüftgelenksoperationen<br />
beobachtet, die vor allem den Plexus sacralis<br />
betreffen. Schmerzen mit Ausstrahlung<br />
in die Leistenregion und Adduktorenregion<br />
mit Paresen vor allem des Quadrizeps, aber<br />
auch der Adduktoren und Hüftbeuger sind<br />
gemeinsam mit Störungen der Sensibilität im<br />
Versorgungsgebiet des N. femoralis wie auch<br />
des N. cutaneus femoris lateralis als klinische<br />
Symptome zu beobachten. Gelegentlich kann
man eine Dynamik der Symptome durch das<br />
schwerkraftbedingte Absinken des Hämatoms<br />
feststellen. Therapeutisch muss die betroffene<br />
Extremität ruhiggestellt werden, die<br />
Prognose ist meist günstig.<br />
Schwangerschaft: Initialsymptom einer<br />
meist gegen Ende der Schwangerschaft auftretenden<br />
Plexusparese ist ein in das Bein ziehender,<br />
nicht einem einzelnen Nerven zuordenbarer<br />
Schmerz, gefolgt von sensomotorischen<br />
Ausfallerscheinungen. Meist ist der<br />
sakrale Anteil des Plexus durch eine Kompression<br />
durch den kindlichen Kopf betroffen.<br />
Die Prognose ist auch hier in der Regel<br />
gut.<br />
Kompression des Nervus<br />
femoralis (L1–L4)<br />
Die klinische Symptomatik von Läsionen des<br />
N. femoralis ergibt sich entsprechend der innervierten<br />
Muskulatur. Der M. iliopsoas ist<br />
der kräftigste Beuger im Hüftgelenk und in<br />
neutraler Stellung ein Außenroller und Adduktor,<br />
der M. sartorius ist ebenfalls ein Hüftbeuger<br />
und Außenroller, während die Vastusgruppe<br />
ausschließlich als Strecker im Kniegelenk<br />
fungiert. Sensibilitätsstörungen finden<br />
sich im Versorgungsgebiet der Rr. cutanei anteriores<br />
n. femoralis und des N. saphenus.<br />
Das Verteilungsmuster der Symptome ist abhängig<br />
von der Höhe des Läsionsortes (Tab. 2).<br />
Der Funktionsausfall des<br />
M. iliopsoas bei einer Läsion<br />
im Becken wird nicht<br />
völlig sein, da der Muskel<br />
auch durch direkte Plexus -<br />
äste versorgt wird und in<br />
seiner Funktion durch den<br />
M. sartorius, M. rectus und<br />
M. tensor fasciae latae unterstützt<br />
wird. PatientInnen<br />
klagen über Schwierigkeiten<br />
beim Gehen und<br />
besonders beim Stiegensteigen.<br />
Die distalere Läsion,<br />
also nach dem Abgang<br />
des Astes zum M. iliopsoas<br />
ist wesentlich häufiger. Klinisch<br />
wesentlich ist hier die<br />
Schwäche der Vastusgrup-<br />
Abb. 1: Genu recurvatum<br />
Tab. 2: Läsion des N. femoralis<br />
Läsionsort Status Funktionsausfall<br />
Becken Atrophie Oberschenkel Flexion Hüfte + unten angeführte<br />
Leiste Atrophie Oberschenkel Kniestrecker, leichte Parese<br />
Hüftflexion, Sensibilitätsausfall<br />
Oberschenkelvorderseite und<br />
Unterschenkelinnenseite<br />
pe, die bewirkt, dass das Knie nicht gestreckt<br />
werden kann und sich auch im Bild eines<br />
Genu recurvatum äußern kann (Abb. 1).<br />
Neben der typischen Klinik kann die Elektrophysiologie<br />
zur Diagnose beitragen, setzt<br />
aber aufgrund der oft erschwerten Untersuchungsbedingungen<br />
entsprechende Erfahrungen<br />
des Untersuchers voraus.<br />
Hämatome sind nach den intraoperativen<br />
Verletzungen die häufigste Ursache <strong>für</strong> die<br />
vergleichsweise eher seltenen Femoralisläsionen.<br />
PatientInnen mit Hämophilie oder oraler<br />
Antikoagulation sind davon besonders betroffen.<br />
Gelegentlich können diese Hämatome<br />
auch beidseitig auftreten. Dadurch, dass<br />
mehrere Faszienschichten um den M. iliacus<br />
angelegt sind, wird die Entstehung von Kompartimenten<br />
begünstigt, die sich bis zum Leistenband<br />
ausdehnen können, wo der Nerv<br />
besonders druckdolent ist. In der Computertomographie<br />
ist das Hämatom meist gut<br />
darstellbar (Abb. 2). Die Frage, ob eine chirurgische<br />
Intervention einer<br />
konservativen Therapie vorzuziehen<br />
ist, wird nicht einheitlich<br />
beantwortet. Zusammenfassend<br />
scheint aber<br />
eine Heilung auch ohne chirurgische<br />
Sanierung die Regel<br />
zu sein. Eigene Erfahrungen<br />
sind auch dem entsprechend.<br />
Weitere Ursachen sind<br />
Psoasabszesse, z. B. im Rahmen<br />
einer Appendizitis, ein<br />
Aneurysma der Art. femo -<br />
ralis, Neurinome, Sarkome<br />
oder wiederum Drucklä -<br />
sionen durch den Kopf des<br />
Kindes während der Geburt.<br />
Kompression des Nervus<br />
cutaneus femoris lateralis<br />
(L2/L3) – Meralgia paraesthetica<br />
Der rein sensible Nerv verlässt das Becken<br />
medial der Spina iliaca anterior durch das Ligamentum<br />
inguinale, um unter und/oder<br />
zwischen dessen Sehnenfasern zum lateralen<br />
Rand des Oberschenkels zu ziehen, wobei<br />
der Nerv an dieser Stelle je nach Beckenstellung<br />
um einen Winkel bis zu 90 Grad abgeknickt<br />
wird (Abb. 3). Bei Hüftextension wird<br />
er gedehnt, bei Hüftbeugung entlastet.<br />
Meralgia paraesthetica: Selten kann der Nerv<br />
auch durch direkte Läsionen, Tumoren oder<br />
Traumen, vor allem bei Operation oder Punktionen<br />
geschädigt werden, aber am häufigsten<br />
ist die Meralgia paraesthetica, die durch eine<br />
mechanische Belastung und Kompression des<br />
Nerven im Bereich des Durchtritts durch das<br />
Ligament ausgelöst wird. Wesentlicher Mechanismus<br />
ist die aufrechte Haltung beziehungsweise<br />
Überstreckung des Hüftgelenks. Oft können<br />
konkrete Auslöser, wie zu enge Gürtel,<br />
Schwangerschaft, lange Märsche, starke Gewichtszunahme<br />
oder außergewöhnliche mechanische<br />
Belastung z. B.: durch Tragen schwerer<br />
Gegenstände festgemacht werden. u<br />
Abb. 2: Psoashämatom<br />
37
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
Abb. 3 zeigt die Nähe des N. cutaneus fem.<br />
lat. zum Leistenband<br />
Betroffene klagen zunächst meist über brennende<br />
Schmerzen und Parästhesien in einem<br />
in etwa handtellergroßen Areal an der Außenseite<br />
des Oberschenkels. Anfangs treten<br />
diese Beschwerden meist intermittierend auf,<br />
häufig durch langes Stehen ausgelöst. Durch<br />
Beugen der Hüfte verschwinden diese Beschwerden<br />
wieder. Erst nach mehreren Schüben<br />
kann es zu einer dauerhaften Schädigung<br />
mit Parästhesien, Schmerzen, vor allem<br />
auch schmerzhafter Hyperästhesie kommen.<br />
Besonders auffällig ist eine ausgedehnte Störung<br />
des Temperaturempfindens, das nach<br />
Remission der Hauptbeschwerden noch lange<br />
bestehen kann. Selten finden sich auch trophische<br />
Störungen. In der Untersuchung ist<br />
meist auch ein druckdolenter Punkt medial<br />
der Spina iliaca anterior superior auffindbar.<br />
Durch einen umgekehrten Lasègue sind die<br />
Symptome meist auslösbar oder verstärkbar.<br />
Mit entsprechender Erfahrung kann der Nerv<br />
elektrophysiologisch untersucht werden,<br />
meist leitet die eindeutige Klinik aber bereits<br />
zur Diagnose.<br />
Männer leiden etwa dreimal häufiger als<br />
Frauen unter einer Meralgia. Einer der berühmtesten<br />
Patienten war Sigmund Freud,<br />
der über das Syndrom eine Arbeit verfasste,<br />
in der er den betroffenen Nerv und auch den<br />
auslösenden Mechanismus bereits erkannte<br />
und gut beschrieb (Abb. 4).<br />
Therapie: Oft ist eine Vermeidung auslösender<br />
Ursachen ausreichend, um eine Heilung,<br />
die in über 90 % der Fälle zu erwarten ist,<br />
zu erreichen. Die Injektion von Kortison kann<br />
einerseits Linderung verschaffen, andererseits<br />
aber zu unangenehmen lokalen Nebenwirkungen<br />
führen.<br />
38<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Wenn eine operative Sanierung<br />
notwendig wird, ist vorerst eine<br />
Neurolyse anzustreben, mit der<br />
meist bereits völlige Beschwerdefreiheit<br />
erreichbar ist. Erst wenn<br />
aus verschiedenen Gründen wie<br />
Narbenbildungen oder abnorme<br />
Verläufe eine Neurolyse nicht<br />
durchführbar ist, sollte eine Durchtrennung<br />
erwogen werden. Erstrebenswert<br />
ist, dass solche Eingriffe<br />
durch erfahrene plastische ChirurgInnen<br />
durchgeführt werden. Erinnerlich<br />
ist ein Chirurg, der durch die stehende<br />
Tätigkeit eine Meralgia entwickelte<br />
und erst nach chirurgischer Neurolyse wieder<br />
in der Lage war, seinen Beruf auszuüben.<br />
Kompression des Nervus<br />
ischiadicus (L4–S3)<br />
Der Nervus ischiadicus ist der längste und<br />
dickste periphere Nerv, der aus sämtlichen<br />
ventralen Ästen des Plexus gebildet wird. Das<br />
Becken verlässt er durch das Foramen infrapiriforme.<br />
Eine Schädigung des Nervenstamms<br />
hat einerseits eine Parese der von<br />
den beiden Endästen, Nervus peronaeus und<br />
Nervus tibialis, innervierten Muskeln zur Folge<br />
und wird in dem entsprechenden Artikel behandelt.<br />
Eine proximale Schädigung des Nerven hat<br />
andererseits zusätzlich eine Parese der von<br />
ihm versorgten ischiokruralen Muskulatur zur<br />
Folge. Die davon betroffenen Muskeln sind<br />
der M. biceps femoris, M. semitendinosus,<br />
M. semimembranosus und M. adductor magnus.<br />
Das bedeutet klinisch, dass eine proximale<br />
Läsion des N. ischiadicus neben den<br />
Paresen der Unterschenkel- und Fußmuskulatur<br />
auch zu einer meist hochgradigen Parese<br />
der Knieflexion führt. Aber selbst bei<br />
einer Plegie der ischiokruralen Muskulatur ist<br />
die Flexion des Knies durch den M. gracilis<br />
und den M. sartorius und damit auch das<br />
Gehen zu einem gewissen Grad möglich.<br />
Schädigungen des Nerven durch Kompressionen<br />
machen je nach Untersuchung zwischen<br />
10 % und 20 % aus.<br />
Hämatome: Schädigungen durch Hämatome<br />
entstehen auch beim N. ischiadicus meist<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Abb. 4: Sigmund Freud litt unter<br />
einer Meralgia paraesthetica und<br />
erkannte bereits den auslösenden<br />
Mechanismus<br />
im Rahmen einer oralen Antikoagulantientherapie<br />
durch Stürze auf das Gesäß und<br />
führen meist abrupt zu heftigen Schmerzen<br />
mit folgender Parese.<br />
Tumoren: Neurogene Tumoren im Bereich des<br />
Oberschenkels, häufiger als im Gesäßbereich,<br />
sind gar nicht so selten. In mehr als der Hälfte<br />
der Fälle handelt es sich um Neurofibrosarkome,<br />
seltener um Neurofibrome und Schwannome.<br />
Weiters können natürlich auch nervennahe<br />
Metastasen, insbesondere von Rektumkarzinomen<br />
eine Schädigung verursachen.<br />
Äußere Druckeinwirkung: Kompressionen<br />
im Gesäßbereich entstehen vor allem durch<br />
eine Kompression des Nerven zwischen Trochanter<br />
minor und Sitz beziehungsweise<br />
Liege. Besonders prädisponiert sind natürlich<br />
PatientInnen oder Personen, die lange auf<br />
dem Rücken liegen und aufgrund eines<br />
Komas oder anderer Beeinträchtigungen,<br />
ähnlich z. B. der Parkbanklähmung des N.<br />
radialis, in dieser Position verharren. Dementsprechend<br />
sollte also auch bei Operationen<br />
entsprechend gelagert beziehungsweise<br />
eine entsprechende Unterlage verwendet<br />
werden. Bei komatösen oder relaxierten PatientInnen<br />
wird durch die Erschlaffung der<br />
Glutealmuskulatur eine Druckschädigung begünstigt.<br />
Insbesondere bei kachektischen Pa-
Abb. 5 zeigt die Nähe des N.<br />
ischiadicus zum M. piriformis und<br />
die dadurch begünstigte<br />
Druckschädigung in diesem Bereich<br />
tientInnen oder Kindern sollte dies in Betracht<br />
gezogen werden.<br />
Piriformissyndrom: Dieses eigenständige<br />
Syndrom wurde bereits vor 60 Jahren erstmals<br />
beschrieben und ist durch eine Kompression<br />
des Nerven durch den M. piriformis<br />
ausgelöst. Dies wird dadurch begünstigt, dass<br />
der Nerv sehr knapp beim Muskel vorbeioder<br />
teilweise sogar durch den Muskel hindurchzieht<br />
(Abb. 5). Der M. piriformis ist ein<br />
kurzer, dicker Muskel, der durch Fehl-, aber<br />
auch Überbelastung hypertrophieren kann.<br />
Insbesondere Läufer mit Fehlbelastung können<br />
davon betroffen sein. Andererseits kann<br />
aber auch Inaktivität und Übergewicht zu<br />
einem Piriformissyndrom durch die gewichtsbedingte<br />
Druckwirkung auf den Nerv führen.<br />
Auch Druckeinwirkungen von außen können<br />
ein Piriformissyndrom auslösen.<br />
Klinisch im Vordergrund steht ein meist in<br />
das Bein ziehender Schmerz, der einerseits<br />
durch Bücken, Heben schwerer Lasten,<br />
Gehen oder Laufen ausgelöst oder verstärkt<br />
werden kann, andererseits auch durch Druck<br />
auf das Foramen ischiadicus majus (Abb. 6).<br />
Während früher eine chirurgische Exploration<br />
und Dekompression bevorzugt wurde, bietet<br />
sich heute eine zielgerichtete Physiotherapie<br />
mit Dehnungsübungen an, die meist zu einer<br />
Remission der Beschwerden führt.<br />
Kompression des Nervus<br />
ilioinguinalis (L1) –<br />
Ilioinguinalissyndrom<br />
Motorisch ist der N. ilioinguinalis an der Innervation<br />
des Mm. obliquus internus und<br />
transversus abdominis mitbeteiligt. Klinisch<br />
Abb. 6: Schmerzauslösung und<br />
Schmerzlokalisation beim<br />
Piriformissyndrom<br />
relevant ist vor allem eine Schädigung des<br />
sensiblen Endastes, des R. cutaneus anterior,<br />
der über den Leistenkanal läuft und die Haut<br />
über der Symphyse und als Rr. scrotales<br />
beziehungsweise Rr labialis Skrotum, Radix<br />
penis beziehungsweise Labia majora und<br />
einen anschließenden Teil der Haut des Oberschenkels<br />
versorgt.<br />
Ilioinguinalissyndrom: Dieses entsteht<br />
durch eine Kompression des Nerven meist an<br />
seinen Durchtrittsstellen durch den M. transversus<br />
abdominis beziehungsweise M. obliquus<br />
internus. Betroffene klagen vor allem<br />
über teils starke Schmerzen, die entlang des<br />
Leistenkanals in Skrotum oder Labia majora<br />
ziehen, mit Verstärkung durch Hüftextension.<br />
Meist wird zur Entlastung auch eine nach<br />
vorn gebeugte Haltung eingenommen. Ursache<br />
ist häufig ein Narbenzug nach Herniotomien<br />
oder anderen operativen Eingriffen in<br />
der Leiste oder auch einer Appendizitis. Wir<br />
sahen einmal eine Patientin, die nach beidseitigem<br />
Herzkatheter ein Ilioinguinalissyndrom<br />
entwickelte.<br />
Bei starken Schmerzen, die durch eine medikamentöse<br />
Therapie nicht zu beherrschen<br />
sind, sollte eine Neurolyse durch einen/eine<br />
plastische/n ChirurgIn durchgeführt werden,<br />
die meist zu einer völligen Remission der Beschwerden<br />
führt.<br />
Seltene<br />
Kompressionssyndrome<br />
Nervus iliohypogastricus (Th12/L1): Der<br />
Nerv kann selten durch einen retroperitonealen<br />
Tumor oder der sensible Endast (R. cutaneus<br />
lateralis) auch durch äußere Druckein-<br />
wirkung (enge Hosen, Gürtel etc.) geschädigt<br />
werden. Die Paresen der mitversorgten Mm.<br />
transversus abdominis und obliquus internus<br />
sind klinisch meist irrelevant.<br />
Nervus genitofemoralis: Der Nerv ist an<br />
der sensiblen Versorgung der Leistenbeuge,<br />
des Skrotum beziehungsweise Labia majores<br />
beteiligt und innerviert motorisch den M. cremaster.<br />
Eine Kompression führt ähnlich dem<br />
Ilioinguinalissyndrom zu einem Sensibilitätsausfall<br />
und gelegentlich auch zu heftigen,<br />
brennenden Schmerzen.<br />
Nervus obturatorius: Dieser versorgt motorisch<br />
die Adduktorengruppe und sensibel ein<br />
kleines Areal an der medialen Seite des distalen<br />
Oberschenkels. Kompressionsyndrome im eigentlichen<br />
Sinn sind sehr selten und können<br />
im Rahmen eines Tumors im kleinen Becken<br />
oder einer Hernia obturatoria entstehen.<br />
Nn. glutaeus superior, glutaeus inferior:<br />
Eine Schädigung des N. glutaeus superior<br />
führt zu einer Abduktionsschwäche des Beines,<br />
eine des N. glutaeus inferior zu einer<br />
Schwäche <strong>für</strong> die Hüftstreckung. Eine Kompressionsschädigung<br />
beider Nerven kann<br />
während der Entbindung, durch Einklemmung<br />
im Foramen supra- oder infrapiriforme<br />
bei Spondylolisthese oder durch kolorektale<br />
Karzinome auftreten. n<br />
Literatur:<br />
- Beltran LS, Bencardino J, Ghazikhanian V, Beltran J,<br />
Entrapment neuropathies III: lower limb. Semin<br />
Musculoskelet Radiol 2010 Nov; 14(5):501–11<br />
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Läsionen peripherer Nerven und radikulärer Syndrome<br />
2003; 8. Auflage<br />
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30(2):189–201<br />
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39
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
Distale Nervenengpasssyndrome<br />
der unteren Extremitäten<br />
Druckläsionen<br />
des Nervus peronaeus<br />
Druckparesen des Nervus peronaeus<br />
in Höhe des Fibulaköpfchens<br />
Klinische Befunde: Bei der Läsion des Nervus<br />
peronaeus communis kommt es zu einem<br />
Befall aller langen Dorsalextensoren des<br />
Fußes und der Zehen sowie der kurzen Zehenextensoren<br />
und des Musculus peronaeus<br />
longus. Das charakteristische Bild der Parese<br />
ist das schlaffe Herabhängen des Fußes, der<br />
daher beim Gehen nur mit der Spitze zuerst<br />
aufgesetzt werden kann. PatientInnen sind<br />
nicht in der Lage, im Stand aktiv eine Dorsalextension<br />
des Fußes durchzuführen. Dementsprechend<br />
müssen die PatientInnen beim<br />
Gehen das Bein abnorm stark anheben, was<br />
zum Begriff des Stepperganges geführt hat.<br />
Der isolierte Befall des Nervus peronaeus superficialis<br />
führt beim Gehen zu einem Aufsetzen<br />
am seitlichen Fußrand.<br />
Die sensiblen Ausfälle betreffen das Hautareal<br />
über dem Spatium interosseum I sowie an<br />
der lateralen Unterschenkelseite und Fußrü -<br />
cken.<br />
Ursachen: Die direkte Lage des Nervus peronaeus<br />
communis in Höhe des Fibulaköpfchens<br />
unmittelbar über dem Knochen und die damit<br />
verbundene erhöhte Vulnerabilität sowie die<br />
vermehrte Beweglichkeit des Nerven durch Extension<br />
und Flexion im Kniegelenk bei knienden<br />
Tätigkeiten erklären die Häufigkeit der<br />
Druckschädigung in dieser Höhe. Die Tabelle 1<br />
gibt einen Überblick über zahlreiche Ursachen<br />
dieser Druckschädigungen.<br />
Die Vielzahl der angeführten Ursachen zeigt<br />
die hohe Vulnerabilität des Nerven in Höhe<br />
des Fibulaköpfchens. Für den klinischen Alltag<br />
besonders relevant sind die postoperativ<br />
beobachteten Peronaeusparesen, die meist<br />
durch einen abnormen intraoperativen Druck<br />
auf den Nerven entstehen sowie etwa in gleichem<br />
Maße häufig auch durch die Lagerung<br />
des Beines am Operationstisch mit mangelhaften<br />
Schutz des Fibulaköpfchenbereiches<br />
auf der harten Unterlage. Dies passiert vor<br />
allem in seitlicher bzw. Halbseiten-Lagerung.<br />
Neben der unzureichenden Unterpolsterung<br />
des Operationstisches sind auch fehlerhaftes<br />
Anbringen von Beinhalterungen mögliche Ursachen.<br />
Peronaeusdruckparesen sind die<br />
zweithäufigste Form von Nervendruckschädigungen<br />
in der Narkose (nach Ulnarisparesen).<br />
Tabelle 2 gibt eine Übersicht über Operationen<br />
mit erhöhtem Risiko <strong>für</strong> Peronaeuspa -<br />
resen.<br />
Traumatische direkte Läsionen des Nervus peronaeus<br />
entstehen durch Aufprall von harten<br />
Gegenständen im wenig geschützten Bereich<br />
des Fibulaköpfchens. Dies wird beispielhaft<br />
durch Stürze beim Schifahren mit Druck der<br />
harten Metallkanten auf das Bein beobachtet.<br />
Weitere direkte Traumen umfassen die<br />
Fibulaköpfchenfrakturen sowie die Luxationen<br />
des Kniegelenkes. Bei Zerreißungen der<br />
Kreuzbänder im Rahmen von Abduktionsverletzungen<br />
kann es auch zu direkten Nervenläsionen<br />
kommen. Neben direkten Nervenläsionen<br />
sind auch Druckläsionen durch Hämatome<br />
möglich.<br />
Prädisponierende Faktoren: Die hereditäre<br />
Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen<br />
(HNLPP) wird nicht selten nach dem erstma-<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Der vorliegende Artikel beschreibt Nervenengpasssyndrome der unteren Extremitäten und geht vor allem<br />
auf die klinische Präsentation und mögliche Ursachen ein. Weiters werden die diagnostischen Schritte,<br />
differenzialdiagnostische Überlegungen und allgemeine Empfehlungen zur Therapie dargestellt.<br />
40<br />
Univ.-Doz. Dr.<br />
Udo Zifko<br />
Zentrum <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />
Rudolfinerhaus,<br />
Wien<br />
ligen oder wiederholten Auftreten von Nervendruckparesen<br />
und insbesondere bei<br />
Druckläsionen des Nervus peronaeus in Höhe<br />
des Fibulaköpfchens diagnostiziert. Neben<br />
der Anamnese ist vor allem die ausführliche<br />
neurophysiologische Diagnostik mit Untersuchung<br />
der klassischen Nervenengpassstellen<br />
wesentlich. Weiterführende genetische Untersuchungen<br />
sind nach ausführlicher Aufklärung<br />
der PatientInnen sinnvoll.<br />
Druckparesen des Nervus peronaeus in Höhe<br />
des Fibulaköpfchens werden vor allem bei<br />
besonders mageren Menschen gesehen<br />
sowie bei PatientInnen mit starkem Gewichtsverlust<br />
(von 15 % oder mehr) und werden<br />
im angloamerikanischen Raum als slimmers<br />
paralysis beschrieben.<br />
Weiters sind Häufungen von Peronaeusdruckparesen<br />
bei stoffwechselbedingten Polyneuropathien,<br />
wie der diabetischen Polyneuropathie<br />
oder der alkoholischen Polyneuropathie,<br />
sowie bei HIV-positiven und bei<br />
onkologischen PatientInnen als kombinierte<br />
paraneoplastisch-mechanisch bedingte Ursache<br />
beschrieben.<br />
Peronaeusdruckläsionen sind nicht nur im Erwachsenenalter,<br />
sondern auch bei Neuge -<br />
borenen möglich. Diesbezüglich wird in der<br />
Literatur die Möglichkeit einer Peronaeusdruckparese<br />
durch intrauterine Umschlin-
gung der Nabelschnur in Höhe des Fibulaköpfchens<br />
ebenso beschrieben wie das wiederholte<br />
Blutdruckmessen von Neugeborenen<br />
im Oberschenkelbereich. Bei Kindern<br />
kann auch abnorm langes Sitzen mit überschlagenen<br />
Füßen sowie abnorm langes Einhängen<br />
des Fußes an Turngeräten mit herabhängendem<br />
Oberkörper zu Druckparesen<br />
des N. peronaeus führen.<br />
Differenzialdiagnose: Die häufigste Differenzialdiagnose<br />
ist die radikuläre Läsion L5.<br />
Neben der unterschiedlichen Anamnese erlaubt<br />
die klinisch-<strong>neurologisch</strong>e Untersuchung<br />
mit der unterschiedlichen sensiblen<br />
und motorischen Verteilung meist klinisch bereits<br />
eine ausreichende Differenzierung. Vor<br />
allem ist beim Auftreten einer motorischen<br />
L5-Läsion der Befall des vom N.-tibialis-innervierten<br />
M. tibialis posterior, der als reiner L5-<br />
Muskel beschrieben werden kann, charakteristisch.<br />
Bei Notwendigkeit kann die neurografische<br />
und myografische Untersuchung eine sichere<br />
Differenzierung erlauben.<br />
Der häufig zu sehende überwiegende peronaeale<br />
Befall bei Läsion des Nervus ischiadicus<br />
kann die Differenzierung zu einer proximal<br />
gelegenen Ischiadicusläsion gelegentlich<br />
schwierig machen. In diesen Fällen sind die<br />
exakte klinisch-<strong>neurologisch</strong>e Untersuchung<br />
und auch die elektromyografische Untersuchung<br />
des kurzen Kopfes des Musculus biceps<br />
femoris eine besonders wichtige Hilfestellung.<br />
Die Mononeuritis multiplex kann mit einer<br />
isolierten Läsion des Nervus peronaeus beginnen.<br />
Weiters können bei Polyneuropathien<br />
die distale Extensionschwäche der Zehen und<br />
eventuell des Vorfußes im Vordergrund stehen.<br />
Bei der Mononeuritis multiplex ist der<br />
weitere klinische Verlauf und die entsprechende<br />
Labordiagnostik entscheidend, bei<br />
Polyneuropathien ist vor allem die weiterführende<br />
<strong>neurologisch</strong>e und neurophysiologische<br />
Untersuchung wesentlich.<br />
Gelegentlich können auch beginnende Vorderhornprozesse<br />
wie die amyotrophe Lateralsklerose<br />
dem Bild einer Peronaeusparese<br />
ähneln. Auch hier zeigt die klinisch-neurolo-<br />
Tab. 1: Druckschädigung des Nervus peronaeus in Höhe des Fibulaköpfchens<br />
Lagerung auf dem Operationstisch<br />
Druck durch Schienen oder Gipsverband<br />
Lagerung des Bewusstlosen auf hartem Untergrund<br />
Wiederholtes oder langes Übereinanderschlagen der Beine<br />
Lange körperliche Betätigungen in kniender Stellung<br />
Zu enge Strumpfbänder<br />
Elektroschocktherapie<br />
Ganglion des Tibiofibulargelenkes<br />
Baker-Zyste<br />
Exostosen am Fibulaköpfchen<br />
Osteochondrome<br />
Tab. 2: Operationen mit Risiko <strong>für</strong> Peronaeusparesen<br />
Osteosynthese bei per- und suprakondylärer Femurfraktur<br />
Kniegelenksarthrodese<br />
Subkapitale Tibiakorrekturosteotomie<br />
Osteosynthese über dem Tibiakopf und Tibiaschaftfrakturen<br />
Arthroskopische Knieoperationen – isolierter Befall des Nervus peronaeus profundus<br />
Umstellungsosteotomien<br />
Kniegelenksersatz<br />
gische Untersuchung bereits entscheidende<br />
Aufschlüsse, die dann durch die neurophysiologische<br />
Diagnostik objektiviert werden<br />
können. Auf das Tibialis anterior-Syndrom als<br />
differenzialdiagnostische Überlegung wird<br />
weiter unten eingegangen.<br />
Gelegentlich können umschriebene hoch kortikale<br />
Läsionen isolierte zentrale Paresen bedingen,<br />
die dem Lähmungsbild einer Peronaeusparese<br />
ähneln können. Die klinisch<strong>neurologisch</strong>e<br />
Untersuchung und die<br />
Beobachtung des Gangbildes mit Zirkumduktion<br />
bei der zentralen Läsion geben aber wiederum<br />
ausreichend klinische Unterscheidungsmöglichkeiten.<br />
Diagnose: Wie bereits mehrfach angeführt,<br />
ist neben der Anamnese die klinisch-<strong>neurologisch</strong>e<br />
Untersuchung mit dem isolierten Befall<br />
der vom N. peroneus innervierten Muskeln<br />
und der Hypästhesie im Interspatium I bei<br />
sonst regelrechtem <strong>neurologisch</strong>en Befund<br />
der entscheidende Hinweis <strong>für</strong> das Vorliegen<br />
einer Peronaeusparese in Höhe des Fibulaköpfchens.<br />
Der wesentlichste Diagnoseschritt ist die neurophysiologische<br />
Untersuchung. Hierbei ist<br />
die elektroneurografische Untersuchung des<br />
Nervus peronaeus communis mit Stimulation<br />
distal und proximal des Fibulaköpfchens entscheidend.<br />
Ein Leitungsblock ist sofort nachweisbar.<br />
Die Untersuchung sollte ab dem 5.<br />
bis 7. Krankheitstag positiv sein, wobei die<br />
Amplitudenreduktion proximal um mehr als<br />
20 % gegenüber der Amplitude distal des<br />
Fibulaköpfchens ebenso entscheidend ist wie<br />
die Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit<br />
im Bereich des Fibulaköpfchens. Wesentlich<br />
sind der Seitenvergleich mit der klinisch<br />
nicht betroffenen Seite sowie der Nervenleitgeschwindigkeitsvergleich<br />
auf der<br />
betroffenen Seite mit dem Unterschenkelsegment,<br />
wobei eine Verlangsamung um mehr<br />
als 10 m/sec pathologisch ist. Weiters ist auch<br />
die weiterführende neurophysiologische Diagnostik<br />
bezüglich der Erfassung der oben u<br />
41
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
beschriebenen prädisponierenden Faktoren,<br />
insbesondere der hereditären Neuropathie<br />
mit Neigung zu Druckparesen oder zugrunde<br />
liegenden Polyneuropathien, wichtig.<br />
Die elektromyografische Untersuchung ist<br />
frühestens ab dem 14., spätestens ab dem<br />
21. Krankheitstag insbesondere <strong>für</strong> differenzialdiagnostische<br />
Unterscheidungen zu proximal<br />
gelegenen Ischiadicusläsionen und zu<br />
L5-Läsionen hilfreich. Neben der Diagnostik<br />
ist die Elektromyografie <strong>für</strong> die Erfassung des<br />
Schweregrades der Läsion entsprechend der<br />
Graduierung einer Neurapraxie versus Axon -<br />
otmesis versus Neurotmesis entscheidend.<br />
Die Differenzierung einer radikulären Läsion<br />
42<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Abb. 1: (A) Anatomie des N. peroneus; (B) Anatomie des N. tibialis<br />
N. per.<br />
superficialis<br />
Abb. 2: N.-tibialis-Läsionen<br />
N.<br />
ischiadicus<br />
N. per.<br />
profundus<br />
Der N. tibialis<br />
entspringt aus<br />
dem N. ischiadicus<br />
proximal des<br />
Kniegelenkes in<br />
unterschiedlicher<br />
Höhe.<br />
A B<br />
Quelle: Atlas of neuromuscular diseases. Feldman, Grisold, Russel, Zifko. Springer Verlag, 2005<br />
A) fehlendes Abspreizen<br />
der Zehen bei linksseitiger<br />
Läsion des N. tibialis<br />
B1) regelrechtes<br />
Fußgewölbe<br />
B2) Atrophie der plantaren<br />
Fußmuskeln<br />
C) Hyperkeratose der<br />
Fußsohle bei kompletter<br />
N.-tibialis-Läsion<br />
Quelle: Atlas of neuromuscular diseases. Feldman, Grisold, Russel, Zifko. Springer Verlag, 2005<br />
L5 zu einer Peronaeuslähmung stellt eine der<br />
häufigsten Fragestellungen <strong>für</strong> ein neurophysiologisches<br />
Labor dar. Neben den weniger<br />
spezifischen neurografischen Befunden einer<br />
Latenzverzögerung und allfälligen Amplitudenreduktion<br />
(wiederum im Seitenvergleich)<br />
sind myografische Veränderungen der L5-innervierten<br />
Muskeln entscheidend, wobei insbesondere<br />
die Untersuchung des M. tibialis<br />
posterior als N.-tibialis-innervierter L5-Muskel<br />
wesentlich ist.<br />
Therapie: Die konservative Therapie ist bei<br />
Weitem die führende Therapiemaßnahme.<br />
Neben dem weiteren Vermeiden eines Dru -<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
ckes auf den Nervus peronaeus stellen forcierte<br />
heilgymnastische Übungen und Elektrostimulationen<br />
des Musculus tibialis anterior<br />
die primäre Therapie der Wahl dar.<br />
Bei länger dauernden Peronaeusdruckparesen<br />
ist die Versorgung des Patienten mit einer<br />
Peronaeusschiene <strong>für</strong> das physiologische<br />
Gangbild und zur Sturzprophylaxe wichtig.<br />
Die Prognose ist gleich zu allen anderen Nervendruckparesen<br />
im Wesentlichen abhängig<br />
von der Dauer und der Intensität des Druckes<br />
auf den Nerven.<br />
Operative Maßnahmen im Sinne von Wiederherstellungsoperationen<br />
und Nerventransfer<br />
haben üblicherweise kein gutes Operationsergebnis<br />
und werden nur in Ausnahmefällen<br />
durchgeführt.<br />
Ersatzoperationen wie die subtalare Arthrodese<br />
haben ebenfalls an Stellenwert verloren,<br />
ebenso wie die Verlagerung des Musculus<br />
tibialis posterior auf die Streckseite des<br />
Fußes.<br />
Tibialis anterior-Syndrom<br />
Dieses deutlich seltener auftretende Krankheitsbild<br />
ist durch eine ischämische Läsion<br />
des durch das vordere Unterschenkelcompartment<br />
durchtretenden Nervus peronaeus<br />
profundus gekennzeichnet. Auslösend sind<br />
abnorme Beanspruchungen sowie eine<br />
Druckerhöhung in der Tibialis anterior-Loge.<br />
Im Vordergrund stehen die deutliche<br />
Schmerzsymptomatik im dorsalen Unterschenkelgebiet<br />
sowie auch die neurogene<br />
Funktionseinbuße der Fuß- und Zehenheber<br />
sowie die Sensibilitätsstörung.<br />
Bei progredienter Symptomatik ist die rasche<br />
operative Entfernung des Druckes auf den<br />
Nerven zu veranlassen. Bei einem Tibialis anterior-Syndrom<br />
nach Überbeanspruchung<br />
sind die Ruhigstellung sowie abschwellende<br />
lokale und systemische Maßnahmen meist<br />
ausreichend.<br />
Vorderes Tarsaltunnelsyndrom<br />
Dieses seltene Nervenengpasssyndrom betrifft<br />
den Endast des Nervus peronaeus profundus<br />
am Vorfuß unter dem Retinaculum<br />
extensorum. Es ist durch einen Sensibilitäts-
ausfall über dem Interspatium I und durch<br />
Schmerzen über dem Fußrücken gekennzeichnet.<br />
Klinisch-<strong>neurologisch</strong> lässt sich eine Schwäche<br />
der kurzen Zehenextensoren darstellen.<br />
Ursächlich sind abnorme Überbeanspruchungen<br />
sowie das Tragen von Stöckelschuhen<br />
beschrieben.<br />
Läsionen von Hautästen<br />
am Fußrücken<br />
Schmerzen am Fußrücken sowie Gefühlsstörungen<br />
in Form von Missempfindungen mit<br />
verminderter Hautwahrnehmung im Zehenund<br />
Fußrückenbereich sind nach dem Tragen<br />
enger Schuhe wie Berg- oder Schischuhe gesehen<br />
worden. Spezifische therapeutische<br />
Maßnahmen sind – bis auf das Meiden der<br />
auslösenden Faktoren – nicht erforderlich.<br />
Läsionen des Nervus tibialis<br />
Bei Läsionen des Nervus tibialis ist das Tarsaltunnelsyndrom<br />
die häufigste Nervendruckläsion.<br />
Hinteres Tarsaltunnelsyndrom<br />
Beim hinteren Tarsaltunnelsyndrom kommt es<br />
zu einer Druckschädigung des Nervus tibialis<br />
hinter dem Innenknöchel unterhalb des Retinaculum<br />
musculorum flexorum. Durch die<br />
Kompression des Nervenstammes selbst bzw.<br />
seiner Endäste, dem Nervus plantaris laterialis<br />
und dem Nervus plantaris medialis, kommt<br />
es zu schmerzhaften Missempfindungen der<br />
Fußsohlen, die vor allem beim Gehen verstärkt<br />
werden. Gelegentlich klagen die PatientInnen<br />
auch über starke Dysästhesien in<br />
den Nachtstunden.<br />
Für die Diagnose wesentlich sind neben vorliegenden<br />
Schmerzen auch die Sensibilitätsstörung<br />
im Ausbreitungsgebiet der Hautäste<br />
des Nervus tibialis und auch die Parese der<br />
kleinen Fußsohlenmuskeln mit einer Krallenzehenstellung.<br />
Die Druckempfindlichkeit entlang<br />
des Nervus tibialis kann zusätzlich gesehen<br />
werden, ist aber kein alleiniger diagnostischer<br />
Hinweis.<br />
Die neurophysiologische Diagnostik zur Objektivierung<br />
des Tarsaltunnelsyndrom ist wesentlich.<br />
Der sensitivste Parameter ist die sensible<br />
Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus<br />
plantaris medialis. Diese Technik ist nicht<br />
immer einfach und sollte <strong>für</strong> eine sichere Diagnose<br />
unbedingt im Seitenvergleich durchgeführt<br />
werden und eine eindeutige pathologische<br />
Seitendifferenz zeigen.<br />
Die allfällig verlängerte motorische distale Latenz<br />
des Nervus tibialis ist ebenfalls nur im<br />
Seitenvergleich zu interpretieren.<br />
Die elektromyografische Untersuchung des<br />
Musculus quadratus plantae mit Nachweis<br />
der axonalen Schädigung im Sinne von pathologischer<br />
Spontanaktivität und neurogenen<br />
motorischen Einheiten ist prinzipiell wünschenswert.<br />
Allerdings ist die Untersuchung<br />
teilweise sehr schmerzhaft und dadurch häu-<br />
RESÜMEE<br />
Nervenengpasssyndrome der distalen unteren<br />
Extremitäten sind seltener als im<br />
Vergleich zu den oberen Extremitäten.<br />
Führend sind Schädigungen des Nervus<br />
peronaeus mit Läsionen in Höhe des Fibulaköpfchens.<br />
Im Unterschenkelbereich<br />
können schmerzhafte Druckläsionen wie<br />
das Tibialis anterior-Syndrom zu sehen<br />
sein. Im Knöchel-Vorfuß-Bereich ist die<br />
Kompression sowohl des vorderen als<br />
auch des hinteren Tarsaltunnels möglich.<br />
Druckläsionen des Nervus suralis sind selten<br />
und treten vor allem durch übermäßigen<br />
Druck von Schuhen auf. Ebenfalls<br />
vor allem durch Schuhwerk ausgelöste<br />
distale Läsionen von Hautästen am Fußrücken<br />
führen zu sensiblen Störungen im<br />
Vorfuß- und/oder Zehenbereich.<br />
Neben der klinischen Diagnose sind elektrophysiologische<br />
Untersuchungen <strong>für</strong><br />
die Diagnose entscheidend, die durch<br />
bildgebende Verfahren, wie insbesondere<br />
die Magnetresonanztomografie, vor<br />
allem <strong>für</strong> die präoperative Diagnostik, ergänzt<br />
werden können.<br />
fig eine fehlende Entspannung und Kooperationsmöglichkeit<br />
der PatientInnen gegeben<br />
und so die Aussagekraft vermindert.<br />
Bei unsicherer Diagnostik bzw. bei allfälliger<br />
operativer Therapieplanung ist eine zusätzliche<br />
Magnetresonanztomografie des Tarsaltunnels<br />
sinnvoll.<br />
Bei gesicherter Diagnosestellung ist die operative<br />
Freilegung des Tarsaltunnels das Mittel<br />
der Wahl.<br />
Läsionen der Endäste<br />
Durch abnormen Druck von Schuhen können<br />
die sensiblen Endäste komprimiert werden.<br />
Folge sind schmerzhafte Sensibilitätsstörungen<br />
an der Innenseite der Großzehe.<br />
Läsionen des Nervus suralis<br />
Spontane Kompressionssyndrome bzw.<br />
Drucksyndrome auf den Nerven durch ein<br />
Ganglion können im Bereich des Außenknöchels<br />
auftreten. Selten können auch hier abnormer<br />
Druck vom Schuhwerk und das Tragen<br />
einer engen Fußgelenkskette zu Kompressionssyndromen<br />
des Nervus suralis<br />
führen.<br />
Häufiger als die Druckläsion ist eine Läsion<br />
des Nervus suralis bei Venenoperationen mit<br />
einem Operationsrisiko von knapp unter 2 %<br />
bzw. Symptome nach diagnostischen Suralisbiopsien.<br />
Die klinische Symptomatik ist durch sensible<br />
Missempfindungen geprägt. Therapeutisch<br />
ist meist eine Druckentlastung zur Symptomlinderung<br />
ausreichend. n<br />
Weiterführende Literatur:<br />
- Mumenthaler M, Stöhr M, Müller-Fahl H, Läsionen<br />
peripherer Nerven und radikulärer Syndrome., 8. Aufl.,<br />
Thieme Verlag<br />
- Jones HR, Electromyographie. Lipincot Verlag.<br />
- Feldman EL, Grisold W, Russel JW, Zifko UA, Atlas of<br />
Neuromuscular Diseases, Springer Wien, New York 2005<br />
- Jugenheimer M, Junginger T, Endoscopic subfascial<br />
sectioning of incompetent perforating veins in treatment<br />
of primary varicosis. World J Surg 1992; 16:971–975<br />
- Knezevic W, Mastaglia FL, Neuropathy Associated With<br />
Brescia-Cimino Arteriovenous Fistulas. Arch Neurol<br />
1984; 41:1184–1186<br />
- Stöhr M, Schegelmann K, Erregerbedingte und Immunvermittelte<br />
Neuropathien. GBI 2001; 21:286–291<br />
- Blumen SC, Nisipeanu P, Inzelberg R et al., Peroneal<br />
nerves after diet (Slimmers paralysis). Europ J Medicine<br />
1998; 5,43<br />
- Heinkes W, Stotz S, Wolf K et al., Das Tarsaltunnel -<br />
syndrom. Ortho 1984; 22:221–224<br />
43
Evaluation der Schlafapnoe<br />
bei SchlaganfallpatientInnen<br />
Klinische Interviews sind bei SchlaganfallpatientInnen nicht ausreichend, um schlafbezogene Atmungsstörungen<br />
zu identifizieren. Im Sinne eines optimalen Risikofaktormanagements sollten bei jedem/jeder Schlaganfall -<br />
patientIn standardmäßig in der Frührehabilitation respirographische Untersuchungen eingesetzt werden.<br />
Hintergrund: Die obstruktive Schlafapnoe<br />
(SA) hat bei SchlaganfallpatientInnen<br />
eine Prävalenz von 30–70 % und wird<br />
häufig mit einem schlechteren klinischen<br />
Outcome assoziiert. Im allgemeinmedizinischen<br />
Bereich und in der pulmologischen<br />
Rehabilitation hat der Berliner Fragebogen<br />
(BF) als Screening-Instrument eine ausreichende<br />
Sensitivität und Spezifität gezeigt.<br />
Der Fragebogen beinhaltet subjektive<br />
Angaben des/der PatientIn oder seiner<br />
Lebenspartnerin/ihres Lebenspartners zu<br />
den Symptomen Schläfrigkeit und Schnarchen<br />
und bezieht auch die Risikofaktoren<br />
Bluthochdruck und Adipositas mit ein. Als<br />
rasch verfügbare objektive Methode zum<br />
Nachweis einer SA dient die kardiorespiratorische<br />
Polygraphie – neben der kompletten<br />
Polysomnographie in einem Schlaflabor.<br />
Ziel der vorliegenden Studie war es, den<br />
klinischen Nutzen des BF zur Detektion<br />
von Schlafapnoe bei SchlaganfallpatientInnen<br />
in einer <strong>neurologisch</strong>en Rehabilitationseinrichtung<br />
zu prüfen und die Assoziation<br />
der Schlafapnoe mit dem funktionellen<br />
Status in der subakuten Phase nach<br />
dem Schlaganfall zu erheben.<br />
Methodik: Bei 68 SchlaganfallpatientInnen<br />
wurden nächtliche respirographische<br />
Untersuchungen durchgeführt und der<br />
Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) ermittelt.<br />
Alle PatientInnen füllten gemeinsam mit<br />
einem/einer Neurologen/-in den BF aus. In<br />
Kategorie 3 (Risikofaktoren) wurden Ge -<br />
wicht und Größe des/der PatientIn zur<br />
Berechnung des BMI erhoben sowie der<br />
Blutdruck gemessen. Das funktionelle<br />
44<br />
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
1 2<br />
Out come wurde mittels Barthel-Index<br />
erhoben. Sensitivität und Spezifität des BF<br />
wurden berechnet.<br />
Ergebnisse: Die respirographischen Un -<br />
tersuchungen zeigten eine hohe Prävalenz<br />
mittelschwerer und schwerer Schlafapnoe<br />
(AHI > 15/h) von 56 %. Die Sensitivität des<br />
BF <strong>für</strong> Schlafapnoe betrug 0,69, die Spezifität<br />
0,15. Die Fläche unter der ROC-Kurve<br />
(receiver operating characteristics) zur<br />
Detektion der Schlafapnoe war 0,58. Der<br />
AHI korrelierte signifikant mit dem BI (r =<br />
–0,57, P � 0,001).<br />
Schlussfolgerungen: Sowohl unsere Da -<br />
ten als auch die Ergebnisse rezenter Studien<br />
belegen die Bedeutung eines geeigneten<br />
Screening-Instruments <strong>für</strong> Schlafapnoe<br />
in der Neurorehabilitation zur Se -<br />
kundärprophylaxe nach Schlaganfall. Das<br />
klinische Interview, das subjektiv wahr -<br />
genommene Symptome (Schläfrigkeit,<br />
Schnarchen) und Risikofaktoren <strong>für</strong><br />
Schlafapnoe (Bluthochdruck, Adipositas)<br />
bewertet, erwies sich dabei als unzureichend.<br />
Im Sinne eines optimalen Risikofaktormanagements<br />
und einer erfolgreichen Neurorehabilitation<br />
sollte bei allen SchlaganfallpatientInnen<br />
eine kardiorespiratorische<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Mag. Stefan Kotzian 1 ,<br />
Priv.-Doz. Dr. Michael Saletu 2<br />
Neurologisches Rehabilitationszentrum<br />
Rosenhügel, Wien<br />
Polygraphie erfolgen. Die polysomnographische<br />
Untersuchung ist teuer und in der<br />
<strong>neurologisch</strong>en Rehabilitation kaum<br />
implementiert. Ein respirographisches<br />
System kann leichter eingesetzt werden<br />
und Art und Schwere einer Schlafapnoe<br />
feststellen. In einer rezenten Metaanalyse 1<br />
ergaben polysomnographische und respirographische<br />
Untersuchungen keine signifikanten<br />
Unterschiede in der Prävalenz<br />
von Schlafapnoe bei SchlaganfallpatientInnen<br />
(63 % vs. 58 %).<br />
Ein Schlaflaborteam in der <strong>neurologisch</strong>en<br />
Rehabilitation kann mit Hilfe der Respirographie<br />
die Indikation <strong>für</strong> eine CPAP-Therapie<br />
stellen und im Rahmen des Rehabilitationsaufenthaltes<br />
weiter forcieren sowie<br />
die Compliance diesbezüglich wesentlich<br />
verbessern.<br />
Subjective evaluation of sleep apnea<br />
is not sufficient in neurorehabilitation.<br />
AutorInnen: Kotzian S, Stanek J, Pinter<br />
M, Grossmann W, Saletu M<br />
Topics in Stroke Rehabilitation; in press<br />
1 Johnson KG, Johnson DC, Frequency of sleep apnea in<br />
stroke and TIA patients: a meta-analysis. J Clin Sleep<br />
Med Apr 15; 6(2):131–137
Review: Sporadische<br />
zerebrale Amyloidangiopathie<br />
DDie zerebrale Amyloidangiopathie (CAA)<br />
kann durch fokale bis ausgedehnte Ablagerungen<br />
von Amyloid-�-Protein (A�) in<br />
den meningealen und intrakortikalen Blutgefäßen<br />
entstehen. Zusätzlich entspricht<br />
perikapilläres A� dessen Ablagerungen in<br />
der Glia limitans und dem angrenzenden<br />
Neuropil während bei kapillärer CAA A�-<br />
Ablagerungen in der Wand von Kapillaren<br />
bestehen. CAA kann lobäre intrazerebrale<br />
Blutungen sowie Mikroblutungen hervorrufen.<br />
Minderperfusion und verminderte<br />
vaskuläre Autoregulation durch CAA können<br />
Infarkte und Läsionen der weißen<br />
Substanz bewirken.<br />
CAA verursacht daher vaskuläre Läsionen,<br />
die potenziell zu (vaskulärer) Demenz führen<br />
und weiters zu Demenz infolge Störung<br />
des Abtransports von Lösungen aus<br />
MM. Parkinson (MP), Demenz mit Lewy-Körpern<br />
(DLB) und Multisystematrophie (MSA)<br />
sind neurodegenerative Erkrankungen mit<br />
Beginn im Erwachsenenalter, gekennzeichnet<br />
durch intrazelluläre Ablagerungen von<br />
�-Synuclein (�-Synucleinopathien). Der<br />
Beitrag der Glia zur Neurodegeneration bei<br />
�-Synucleinopathien wurde bis vor Kurzem<br />
unterschätzt. Die Gehirne von Patienten<br />
mit MP und DLB zeigen jedoch nicht<br />
nur neuronale Einschlüsse wie Lewy-Körper<br />
und Lewy-Neuriten, sondern auch �-<br />
Synucleinanhäufungen in der Glia. Zunehmende<br />
experimentelle Daten bei MP-<br />
Modellen weisen darauf hin, dass Astround<br />
Mikrogliose als Mediatoren der Neurodegeneration<br />
<strong>für</strong> die Auslösung und<br />
Progression beider Erkrankungen eine<br />
wesentliche Rolle spielen. Bei der MSA<br />
dem Gehirn sowie infolge Transport von<br />
Nährstoffen durch die Blut-Hirn-Schranke<br />
beitragen. Schwere CAA ist ein unabhängiger<br />
Risikofaktor <strong>für</strong> kognitive Einbußen.<br />
Die klinische Diagnose der CAA beruht<br />
auf Erfassung der begleitenden zerebrovaskulären<br />
Läsionen. Zusätzlich können<br />
erweiterte perivaskuläre Räume in der<br />
weißen Substanz sowie verminderte Konzentrationen<br />
von A�-40 und A�-42 auf<br />
die CAA hinweisen.<br />
Transgene Mausmodelle, die humanes<br />
A�-Vorläuferprotein (APP) exprimieren,<br />
zeigen Ablagerungen von A� im Hirnparenchym<br />
und Gefäßen und bestätigen<br />
damit das aktuelle Konzept der CAA-<br />
Pathogenese: neuronales A� kommt in<br />
die perivaskuläre Drainagebahn und kann<br />
sich infolge erhöhter Bildung und/oder<br />
sind Oligodendrozyten massiv durch Ablagerungen<br />
von �-Synuclein im Zytoplasma<br />
(gliale cytoplasmatische Einschlüsse oder<br />
Papp-Lantos-Körper) betroffen. Hinweise<br />
aus postmortalen humanen Untersuchungen<br />
und transgenen MSA-Modellen lassen<br />
vermuten, dass eine Dysfunktion der Oligodendroglia<br />
die neuronale Degeneration<br />
sowohl triggert als auch intensiviert.<br />
Während im gesamten Gehirn die Neuronen<br />
intakt sind, die Mikroglia sich in<br />
einem Ruhezustand befindet und Astroglia<br />
und Oligodendroglia normale Funktionen<br />
aufweisen, führt bei PD/DLB die<br />
Ablagerung von �-Synuclein zu dramatischen<br />
Neuronenveränderungen, Mikroglia -<br />
aktivierung und degenerativen dopaminergen<br />
Neuronen. Bei MSA ist �-Synuclein<br />
vorwiegend in Oligodendroglia abgela-<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Kurt A. Jellinger<br />
Institute of Clinical<br />
Neurobiology, Wien<br />
vermindertem Abbau von A� anhäufen.<br />
Wir vermuten, dass perikapilläres A� eine<br />
frühe Störung der perivaskulären Drainagebahnen<br />
darstellt, während kapilläres A�<br />
mit verminderter transendothelialer Clear -<br />
ance von A� einhergeht. CAA spielt eine<br />
wichtige Rolle im multimorbiden Verhalten<br />
des alternden Gehirnes, doch muss ihr<br />
Beitrag zur Neurodegeneration abgeklärt<br />
werden.<br />
Review: Sporadic cerebral amyloid<br />
angiopathy (sporadische zerebrale<br />
Amyloidangiopathie).<br />
Autoren: Attems J, Jellinger KA,<br />
Thal DR, Van Nostrand W<br />
Erschienen in:<br />
Neuropathol Appl. Neurobiol 2011; 37:7593<br />
Gliadysfunktion in der Pathogenese von<br />
�-Synucleinopathien: moderne Konzepte<br />
46<br />
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
gert, was zu Entmarkung und sekundärer<br />
Axondegeneration, starker Mikrogliaaktivierung<br />
und Produktion proinflammatorischer<br />
Cytokine führt, die in reaktiver Gliaund<br />
Neurodegeneration münden. Die<br />
Rolle der Glia bei �-Synucleinopathien<br />
könnte die Förderung einer chronisch<br />
erkrankten glialen Mikroumgebung um -<br />
fassen, die zu verheerenden Neuronenschäden<br />
samt Zellverlust beitragen.<br />
Glial dysfunction in the pathogenesis<br />
of �-synucleinopathies: emerging<br />
concepts.<br />
AutorInnen: Fellner L, Jellinger KA,<br />
Wenning GK, Stefanova N<br />
Erschienen in: Acta Neuropathol 2011; 121:675–693
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
Eines der Hauptthemen des diesjährigen Kongresses der DGN in Wiesbaden waren neurodegenerative<br />
Erkrankungen. Eine große Zahl von Symposien, Hauptvorträgen, Kursen und Satellitensymposien sowie<br />
zahlreiche Poster und freie Vorträge hatten die Parkinson’sche Erkrankung zum Thema und spannten den<br />
Bogen von der Grundlagenforschung bis zur Klinik.<br />
Molekulare Grundlagen<br />
und kausale Therapieansätze<br />
SCHWERPUNKT<br />
T. Outiero, Göttingen, berichtete über ein<br />
einfaches Modell zur Untersuchung und Beeinflussung<br />
der �-Synuclein-Pathologie in<br />
Hefezellen. Durch genetische Manipulation<br />
dieser Zellen, die zu vermehrter �-Synu -<br />
clein-Expression führt, kommt es zu pathologischen<br />
Veränderungen mit der Bildung<br />
von Einschlusskörperchen und mitochondrialer<br />
Dysfunktion. An diesem Modell wurden<br />
über 1.000 verschiedene Substanzen<br />
getestet und davon 16 identifiziert, die die<br />
toxischen Effekte antagonisierten und die<br />
mitochondriale Dysfunktion korrigierten.<br />
Durch direkte Visualisierung der �-Synu -<br />
clein-Aggregation mit Bildung von Dimeren,<br />
Oligomeren und Protofibrillen konnte der<br />
Effekt dieser Substanzen auf die Aggregation<br />
gezeigt werden. Mit dieser Technik<br />
konnten auch verschiedene Gene identi -<br />
fiziert werden, die die �-Synuclein-Oligomerisierung<br />
hemmen bzw. verstärken können<br />
1 .<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Auch die folgenden Vorträge dieses Symposiums<br />
befassten sich mit der Beeinflussung<br />
der Proteinaggregation in Modellen verschiedener<br />
neurodegenerativer Erkrankungen. Es<br />
konnte gezeigt werden, dass zelleigene Proteine,<br />
wie BAG1 und HSP70 zur Restrukturierung<br />
fehlgefalteter Proteine führen 2 . So genannte<br />
SUMO-Proteine können die �-Synu -<br />
clein-Aggregation hemmen und damit die<br />
Toxizität der Aggregate vermindern 3 .<br />
Dass die Hemmung der Protein-Aggregation<br />
eine wirksame Therapiemöglichkeit der Neurodegeneration<br />
darstellt, wurde von A. Giese<br />
aus München gezeigt. Er berichtete über die<br />
Identifikation einer Substanzgruppe (Diphenyl-Pyrazol<br />
DPP), die diesen Wirkmechanismus<br />
hat und an Mausmodellen der Prionen-<br />
Erkrankungen und der Parkinson’schen Erkrankung<br />
sowohl die pathologischen<br />
Ver änderungen als auch die Überlebenszeit<br />
signifikant verbessert 4 .<br />
Alle diese Befunde zeigen einen Hoffnungsschimmer<br />
<strong>für</strong> die kausale Behandlung der<br />
Parkinson’schen Erkrankung und anderer<br />
neurodegenerativer Erkrankungen.<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
84. Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> (DGN) 2011<br />
Highlights zum Thema Parkinson und<br />
anderen neurodegenerativen Erkrankungen<br />
48<br />
Rolle von Tau, �-Amyloid,<br />
TDP 43 und FUS<br />
Prim. Prof. Dr.<br />
Thomas Brücke<br />
Neurologische Abteilung,<br />
Wilheminenspital, Wien<br />
Ein Präsidentensymposium befasste sich mit<br />
der Rolle von Tau, �-Amyloid, TDP 43 und<br />
FUS <strong>für</strong> die Neurodegeneration bei Demenz<br />
und Motoneuronenerkrankungen.<br />
C. Masters, Melbourne, berichtete über die<br />
Rolle von �-Amyloid bei der Alzheimer’schen<br />
Demenz (AD) und gab einen kurzen Überblick<br />
über klinische Studien zur Senkung der zerebralen<br />
�-Amyloid-Ablagerung. Einige dieser<br />
Studien zeigen eine �-Amyloid-Abnahme<br />
im ZNS (gemessen im PIB-PET) oder im Liquor,<br />
aber keinen Effekt auf die kognitiven Funktionen<br />
5 .<br />
FOTO: FOTOTAMARA - FOTOLIA.COM
P. Heutink, Amsterdam, sprach über die „Tau-<br />
Story“ unter anderem über die Bedeutung<br />
von Tau <strong>für</strong> die frontotemporale Demenz<br />
(FTD). Die FTD macht 5–15 % aller Demenzen<br />
aus und hat häufig eine positive Familienanamnese.<br />
Bei den autosomal dominant vererbten<br />
Formen (etwa 30–50 %) sind es Mutationen<br />
im mikrotubuliassoziierten Protein<br />
Tau (MAPT) Gen, im Progranulin Gen (GRN)<br />
und in einem neu entdeckten Gen<br />
(C9ORF72), die die Erkrankung verursachen.<br />
Die fast gleichzeitig mit dem Zeitpunkt der<br />
DGN beschriebene Mutation im C9ORF72-<br />
Gen ist <strong>für</strong> etwa 12 % aller familiär vorkommenden<br />
FTD-Fälle verantwortlich und <strong>für</strong> fast<br />
ein Viertel der familiären ALS-Fälle 6, 7 !<br />
Mutationen im MAPT-Gen erhöhen das Risiko<br />
<strong>für</strong> die progressive supranukleäre Blickparese<br />
(PSP) und die kortikobasale Degeneration<br />
(CBD) und genomweite Assoziationsstudien<br />
zeigen neben dem �-Synuclein (SNCA) Gen<br />
auch Assoziationen mit MAPT bei diesen neurodegenerativen<br />
Erkrankungen 8 .<br />
Sport als Therapie der<br />
Parkinson’schen Erkrankung<br />
Körperliche Aktivität und physiotherapeutische<br />
Maßnahmen werden mit Erfolg als Begleittherapie<br />
der motorischen Symptome der<br />
Parkinson’schen Erkrankung eingesetzt. Zahlreiche<br />
tierexperimentelle Untersuchungen an<br />
Parkinson-Modellen zeigen, dass motorische<br />
Aktivität zu einer Freisetzung von Wachstumsfaktoren<br />
und einer Stimulierung der<br />
Neurogenese im Hippocampus und in der<br />
Substantia nigra führt und der Neurodegeneration<br />
entgegen wirkt 9, 10 . Untersuchungen<br />
an älteren Personen belegen eine Verbesserung<br />
kognitiver Funktionen durch motorische<br />
Aktivität und eine Volumenzunahme des präfrontalen<br />
motorischen Kortex. Auch konnte<br />
eine Zunahme der kortikalen funktionellen<br />
Konnektivität durch motorische Aktivität<br />
nachgewiesen werden.<br />
Ähnliche Untersuchungen bei Parkinson-PatientInnen<br />
sind im Gang und lassen hoffen,<br />
dass körperliches Training einen positiv krankheitsmodifizierenden<br />
und neuroprotektiven<br />
Effekt hat 11 . Eine rezente Metaanalyse von<br />
epidemiologischen Untersuchungen an größeren<br />
Studienpopulationen durch Xu et al.<br />
zeigte, dass körperliche Aktivität zu einer Reduktion<br />
der Inzidenz von Parkinson von bis<br />
zu 40 % führt 12 .<br />
G. Ebersbach, Berlin, stellte die Berliner LSVT-<br />
BIG-Studie vor, eine physiotherapeutische Behandlungsmethode<br />
der Parkinson’schen Erkrankung.<br />
Die Methode leitet sich von dem<br />
„Lee Silverman Voice Training (LSVT)“ ab und<br />
beinhaltet intensives Training von Bewegungen<br />
mit großer Amplitude. In der kontrollierten<br />
Studie konnte im Vergleich zu anderen<br />
Bewegungstherapien eine signifikante Verbesserung<br />
des UPDRS-Motorscores nachgewiesen<br />
werden 13 .<br />
Medikamentöse und<br />
chirurgische Parkinson-Therapie<br />
K. Eggert aus Marburg berichtete über nicht<br />
dopaminerge Therapiestudien bei Parkinson<br />
14 . Eine Studie untersuchte die Wirkung<br />
des mGLUR5-Antagonisten (metabotroper<br />
GLU-Rezeptor) AFQ056 auf Dyskinesien und<br />
konnte eine signifikante Verbesserung ohne<br />
Verschlechterung der motorischen Symptomatik<br />
zeigen 15 . Mit einer weiteren ähnlichen<br />
Substanz wurden vor Kurzem klinische Phase-<br />
II-Studien begonnen.<br />
Preladenant, ein A 2A-Antagonist, zeigt in<br />
einer Studie an 250 Parkinson-PatientInnen<br />
in höherer Dosierung eine signifikante Reduktion<br />
der täglichen Off-Zeiten 16 . Pitolisant,<br />
ein inverser Histamin-H3-Rezeptor-Antagonist,<br />
wird als Mittel gegen Tagesmüdigkeit<br />
bei Parkinson getestet.<br />
Über die tiefe Hirnstimulation (THS) im Nucleus<br />
subthalamicus (STN) wurde von J. Volkmann<br />
aus Würzburg berichtet. Die THS zeigt<br />
auch nach über 8 Jahren einen positiven Effekt<br />
auf die Motorik. Die Abnahme der Alltagsfähigkeiten<br />
vom 5. bis 8. Jahr postoperativ<br />
ist auf das Auftreten von Demenz und<br />
zunehmender Gangstörung zurückzuführen.<br />
Prinzipiell gilt, dass die Langzeitergebnisse<br />
der THS umso schlechter sind, je älter die<br />
PatientInnen zum Operationszeitpunkt sind.<br />
Die Frage, ob es sinnvoll ist, Parkinson-PatientInnen<br />
schon früher im Krankheitsverlauf<br />
zu operieren, soll in der EARLY-STIM-Studie<br />
beantwortet werden, die noch nicht abgeschlossen<br />
ist.<br />
Der beste Zielpunkt im STN sei laut Volkmann<br />
das vordere laterale Segment. PatientInnen<br />
mit ausgeprägtem Freezing profitieren möglicherweise<br />
von einer niedrigeren Stimulationsfrequenz<br />
(80 Hz vs. üblicherweise � 130<br />
Hz) 17 .<br />
Fazit: Insgesamt muss man, was die medikamentöse<br />
Parkinson-Therapie betrifft, leider<br />
sagen, dass große Durchbrüche oder Neuerungen<br />
derzeit nicht in Sicht scheinen. Mit<br />
großer Spannung und Hoffnung ist daher die<br />
weitere Entwicklung kausaler Therapieansätze,<br />
wie der Hemmung der �-Synuclein-Aggregation,<br />
zu erwarten. Diese ist derzeit noch<br />
im experimentellen Stadium, zeigt aber vielversprechende<br />
Ergebnisse. n<br />
1 Outiero T, Unravelling the molecular basis of<br />
Parkinson’s disease to develop novel therapeutic<br />
interven tions; M32<br />
2 Kermer P, Modulation of protein metabolism by BAG1:<br />
a new therapeutic target in neurodegenerative<br />
diseases?; M33<br />
3 Weishaupt J, Sumoylation deficiency in Parkinson’s<br />
disease: directed manipulation of protein solubility,<br />
fibrillation and targeting; M34<br />
4 Giese A, Causal therapy of prion and Parkinson’s<br />
disease with novel protein aggregation inhibitors; M35<br />
5 Masters C, The history of amyloid and its future: a<br />
personal perspective; V144<br />
6 Renton AE et al., A Hexanucleotide Repeat Expansion<br />
in C9ORF72 is the Cause of Chromosome 9p21-Linked<br />
ALS-FTD, Neuron 2011; 72:257<br />
7 Dejesus-Hernandez M et al., Expanded GGGGCC<br />
Hexanucleotide Repeat in Noncoding Region of<br />
C9ORF72 causes Chromosome 9p-Linked FTD and ALS;<br />
Neuron 2011; 72:245<br />
8 Heutink P, The story of Tau and its impact on<br />
neurodegeneration; V145<br />
9 Steiner B, Molekulare und zelluläre Mechanismen<br />
kognitiver und motorischer Effekte von körperlicher<br />
Aktivität am Tiermodell <strong>für</strong> IPS; V89<br />
10 Brandt M, Dopamin – Systemfaktor neuropsychia -<br />
trischer Effekte körperlicher Aktivität? V90<br />
11 Flöel A, Sport bei IPS: Kognitive und neuronale<br />
Korrelate; V92<br />
12 Xu Q. et al., Physical activities and future risk of<br />
Parkinson’s disease; Neurology 2010; 75:341<br />
13 Ebersbach G, Comparing exercise in Parkinson’s disease<br />
– the Berlin LSVT ® BIG study, Mov Dis 2010; 25:1902<br />
14 Eggert K, Nicht dopaminerge medikamentöse<br />
Behandlung- neue Entwicklungen; V199<br />
15 Berg et al., AFQ056 treatment of levodopa-induced<br />
dyskinesias: results of 2 randomized controlled trials;<br />
Mov Dis 2011; 26:1243<br />
16 Hauser RA et al., Preladenant in patients with Parkinson’s<br />
disease and motor fluctuations: a phase 2, double-blind<br />
randomised trial; Lancet Neurol 2011; 10:221<br />
17 Volkmann J, Trends bei der Tiefen Hirnstimulation;<br />
V200<br />
49
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
DGN-Kongress 2011<br />
Aktuelles zum Thema „Multiple Sklerose“<br />
Mehr als 50 Vorträge und Poster, die sich der multiplen Sklerose (MS) gewidmet haben, wurden beim<br />
DGN-Kongress 2011 präsentiert. Es folgt eine kurze Überblicksdarstellung von einigen der insgesamt<br />
sehr interessanten Beiträge.<br />
Kognition und MS<br />
Bei 54 PatientInnen mit schubförmiger MS<br />
wurde über eine neuropsychologische Tes -<br />
tung ein „kognitiver Score“ errechnet und<br />
mit Atrophie-Markern der zerebralen MRT<br />
korreliert. Der Corpus-callosum-Index (sagittale<br />
Schichten) könnte <strong>für</strong> künftige Therapiestudien<br />
wertvolle Informationen liefern.<br />
Ein computergesteuertes Untersuchungsverfahren<br />
(MAT: Merkfähigkeits- und Aufmerksamkeitstest)<br />
wurde in einigen <strong>neurologisch</strong>en<br />
Praxen und MS-Spezialambulanzen angewendet.<br />
Der Test kann von ProbandInnen<br />
allein angewendet werden und dauert ca. 45<br />
min. Die Erfahrungen der ersten 400 PatientInnen<br />
(Anteil schubförmige MS 78 %) zeigten,<br />
dass 8,5 % eine Depression hatten, die<br />
an der Verstärkung der Beeinträchtigung des<br />
Arbeitsgedächtnisses beteiligt war. Andererseits<br />
führte eine Fatigue (26,5 %) nicht zu<br />
einer Leistungsminderung. Der MAT erwies<br />
sich unter Praxisbedingungen als gut durchführbar.<br />
Rivastigmin-Pflaster könnten eine Behandlungsoption<br />
bei PatientInnen mit kognitiver<br />
Einschränkung darstellen. Die über 16 Wochen<br />
laufende Phase-IIb-Studie EXCITING<br />
brachte ein positives Ergebnis, es sind aber<br />
größere Studien notwendig, bis eine klare<br />
Antwort vorliegt.<br />
Psychische Störungen als Einflussfaktoren auf<br />
Behandlung und Prognose der MS wurden<br />
bei 60 PatientInnen und ihren Lebenspartnern<br />
über ein strukturiertes Interview untersucht.<br />
Dabei zeigte sich eine hohe Prävalenz<br />
von Angststörungen und Depression in beiden<br />
Gruppen.<br />
52<br />
Diagnostik<br />
Der Frage, welche Bedeutung Surrogatmarker<br />
in einer individualisierten Therapie zurzeit<br />
einnehmen, wurde in einem Minisymposium<br />
nachgegangen. Für eine sehr frühe Basistherapie<br />
mit Interferon beta oder Glatirameracetat<br />
wäre die Identifizierung von Respondern<br />
von großer Bedeutung, beim Einsatz von Arzneimitteln<br />
zur Eskalationstherapie spielt eine<br />
Risikostratifizierung eine wesentliche Rolle.<br />
Valide Surrogatmarker könnten helfen, Kos -<br />
ten zu senken und PatientInnen zu identifizieren,<br />
die ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil<br />
aufweisen. Es sind aber weitere größere Studien<br />
erforderlich, um potenzielle Marker zu<br />
etablieren.<br />
RION: Ob die „relapsing inflammatory optic<br />
neuropathy“ (RION) der MS oder der Neuromyelitis<br />
optica hinzugerechnet werden soll,<br />
ist umstritten. Diese Frage wurde anhand von<br />
11 PatientInnen mit einer steroidresponsiven<br />
entzündlichen Optikus-Neuropathie, die<br />
einen negativen Aquaporin-4-IgG-Antikörperbefund<br />
im Serum aufwiesen und mit verschiedenen<br />
immunsuppressiven Medikamenten<br />
behandelt wurden, diskutiert. Letztlich<br />
sollen weitere Beobachtungen herangezogen<br />
werden, ob RION als eigene Entität dargestellt<br />
werden kann.<br />
Immuntherapie<br />
Der Einsatz von Dimethylfumarat (DMF) bei<br />
schubförmiger MS ergab Hinweise auf eine<br />
zellschützende Funktion; die zum Teil durch<br />
oxidativen Stress vermittelte Degeneration<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Prim. Dr. Ulf Baumhackl<br />
Neurologisches Psychiatrisches<br />
Zentrum Belvedere Wien<br />
kann durch die protektive Wirkung von DMF<br />
über eine Hemmung der Glutathionsynthese<br />
beeinflusst werden.<br />
REFLEX: Daten der REFLEX-Studie (REbif FLE-<br />
Xible dosing in early Multiple Sclerosis) wurden<br />
in der Sitzung „Neuroprotektion“ vorgestellt.<br />
Beurteilt wurde das Risiko einer Konversion<br />
(McDonald-MS und CDMS) nach dem<br />
ersten klinischen Ereignis (CIS). In dieser Studie<br />
erhielten PatientInnen s. c. Interferon<br />
beta-1a, wöchentlich 3-mal 44 mcg oder 1mal<br />
44 mcg oder Placebo. Bezüglich der jährlichen<br />
Schubrate zeigte sich die höhere Dosis<br />
wirksamer, beide Interferon-Therapien waren<br />
der Placebobehandlung deutlich überlegen.<br />
Die Zeitspanne bis zur Diagnose MS wird<br />
durch die aktive Therapie signifikant verlängert.<br />
Für die Eskalationstherapie des steroidrefraktären<br />
Schubes bewährte sich die Immunadsorption<br />
bei 12 von 14 PatientInnen. Die<br />
gute Verträglichkeit wurde besonders betont.<br />
Fingolimod: In den beiden Phase-III-Studien<br />
mit Fingolimod (TRANSFORMS, FREEDOMS)<br />
wurde zur Verlaufsbeurteilung halbjährlich<br />
auch der MSFC eingesetzt. Im Vergleich zu<br />
Placebo konnte gemessen am mittleren z-<br />
Wert eine signifikante Reduktion der Behinderung<br />
demonstriert werden. Die Phase-II-Ex-
tensionsstudie mit Fingolimod bei schubförmiger<br />
MS wird weitergeführt, über Erfahrungen<br />
der Langzeitbehandlung wurde berichtet:<br />
Etwa die Hälfte der PatientInnen führte<br />
die Therapie auch nach 5 Jahren weiter, die<br />
jährliche Schubrate blieb mit 0,2 niedrig. Leberwerterhöhungen<br />
wurden bei 16,5 % beobachtet.<br />
Der juvenilen MS (Erkrankungsbeginn vor<br />
dem 18.Lebensjahr) waren mehrere Beiträge<br />
gewidmet. In einer retrospektiven Analyse<br />
wurden die Therapiekonzepte bei 22 PatientInnen<br />
mit einer durchschnittlichen Krankheitsdauer<br />
von 11 Jahren berichtet. Bemerkenswert<br />
war, dass eine Eskalationstherapie bei 59 %<br />
durchgeführt wurde (Natalizumab, Rituximab,<br />
Mitoxantron), gegenüber bei 30 % der erwachsenen<br />
MS-PatientInnen dieser Klinik.<br />
Natalizumab: In einem Schweizer MS-Zentrum<br />
wurden seit 2007 115 PatientInnen mit<br />
Natalizumab therapiert. Erwähnenswert sind<br />
diese Erfahrungen vor allem auch wegen der<br />
relativ hohen Zahl der PatientInnen (n = 31),<br />
welche die Substanz als „First-Line-Therapie“<br />
erhielten. Diese als „hot naive patients“ bezeichnete<br />
Gruppe reagierte besonders positiv,<br />
da mehr als 2 Drittel nach im Durchschnitt<br />
2 Jahren klinisch keinerlei Krankheitsaktivität<br />
aufwiesen.<br />
In einem Minisymposium wurden Natalizumab-Erfahrungen<br />
des MS-Zentrums Zürich<br />
diskutiert. Beobachtungen über einen Zeitraum<br />
von 3 Jahren mit dieser Behandlung bei<br />
schubförmiger MS ergaben, dass bei vielen<br />
PatientInnen in der täglichen Praxis eine Progressionsminderung<br />
(gemessen am EDSS)<br />
festgestellt werden kann. Die Verfügbarkeit<br />
und die Bedeutung des Einsatzes des STRA-<br />
TIFY-JC-Virus-AK-Tests <strong>für</strong> die Auswahl von<br />
PatientInnen und die Therapieentscheidungen<br />
wurden speziell hervorgehoben, da die Entstehung<br />
einer PML (progressiven multifokalen<br />
Leukoenzephalopathie) eine vorherige Exposition<br />
gegenüber dem JC-Virus voraussetzt.<br />
Sehr geehrte Leserinnen und Leser!<br />
Wenn Sie sich <strong>für</strong> die Themen der DFP-Artikel der bereits erschienenen<br />
Ausgaben der PUNKTE <strong>Neurologie</strong> interessieren, besteht die<br />
Möglichkeit, diese unter <strong>neurologisch</strong>@medmedia.at anzufordern:<br />
die PUNKTE NEUROLOGIE 1/10<br />
Diagnose und Therapie der Epilepsie<br />
Karpaltunnelsyndrom und andere Engpasssyndrome<br />
des Nervus medianus<br />
die PUNKTE NEUROLOGIE 2/10<br />
Morbus Parkinson: Diagnose und Therapie<br />
Neuroborreliose und Frühsommermeningoenzephalitis<br />
die PUNKTE NEUROLOGIE 1/11<br />
Migräne – Klinik, Diagnostik, Akuttherapie und Prophylaxe<br />
Die PUNKTE NEUOLOGIE 2/11<br />
Multiple Sklerose – von der Immunpathogenese zur Therapie<br />
Schlafstörungen – Diagnose und Therapie<br />
Retardiertes Fampridin (ein Kaliumkanalblocker),<br />
zur symptomatischen Therapie von<br />
Gehstörungen, wurde in einer Dosierung von<br />
2-mal 10 mg pro Tag bei 65 PatientInnen<br />
mit unterschiedlichen Verlaufsformen und<br />
Schweregraden in einem MS-Zentrum eingesetzt.<br />
Als Therapie-Responder wurden 71 %<br />
eingestuft, die Einschätzung einer Wirksamkeit<br />
des Arzneimittels soll bereits innerhalb<br />
weniger Tage nach Therapiebeginn möglich<br />
gewesen sein.<br />
Compliance: In einem ambulanten MS-<br />
Therapiezentrum wurde die Therapietreue<br />
bei 258 PatientInnen (auswertbarer Rücklauf<br />
der ausführlichen Fragebogen etwa 2<br />
Drittel) untersucht. Eine erfreulich hohe<br />
„Adhärenzbereitschaft“ (85 %) wurde festgestellt.<br />
Die wesentlichen Variablen <strong>für</strong> eine<br />
positive Einflussnahme waren: Vertrauen in<br />
die Medikation, Vertrauen in den Arzt/<br />
die Ärztin und Engagement des Arztes/<br />
der Ärztin. n<br />
53
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
CCK scheint einigen epidemiologischen Studien<br />
zufolge so häufig zu sein wie die multiple<br />
Sklerose. Obwohl viele PatientInnen zufrieden<br />
stellend medikamentös eingestellt werden<br />
können, haben nach wie vor ca. 25 %<br />
der Betroffenen im Verlauf der Erkrankung<br />
Suizidgedanken, nicht wenige begehen tatsächlich<br />
Suizid.<br />
Obwohl die meisten Erkrankten RaucherInnen<br />
sind, ist nicht klar, in welcher Weise das<br />
Rauchen die Krankheit beeinflusst. Die Pathophysiologie<br />
der Erkrankung ist noch nicht<br />
geklärt, die bildgebenden Verfahren deuten<br />
darauf hin, dass der hintere Hypothalamus<br />
bei der Entstehung des CK eine entscheidende<br />
Rolle spielen könnte.<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
84. Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> (DGN) 2011<br />
Neues zum Cluster-Kopfschmerz<br />
Medikamentöse Therapie<br />
Für die Diagnosestellung ist u. a. das Ansprechen<br />
auf Sauerstoff wichtig. Empfohlen ist<br />
die Gabe von 8–12 l/min, am besten in einer<br />
sitzenden Position, über eine Mund-Nase-<br />
Maske. Ca. 80 % der Betroffenen werden<br />
innerhalb von 15 Minuten kopfschmerzfrei.<br />
Wichtig <strong>für</strong> den Therapieerfolg ist, dass Sauerstoff<br />
direkt nach Beginn der Attacke verabreicht<br />
wird. Bei der medikamentösen Akuttherapie<br />
sind zusätzlich zur Sauerstoffgabe<br />
nach wie vor Triptane die Therapie der Wahl.<br />
Vor allem die subkutane Gabe von Sumatriptan<br />
und die nasale Gabe von Zolmitriptan<br />
oder Sumatriptan führen bei ca. 40 % der<br />
PatientInnen zu einer deutlichen Schmerzre-<br />
duktion nach 15 Minuten. In der Prophylaxe<br />
sind Verapamil, die Steroide, Lithium (vor<br />
allem <strong>für</strong> die chronische Form) oder Topiramat<br />
(100–150 mg/d) die Therapie der Wahl.<br />
Interventionelle Verfahren<br />
Trotz der multimodalen Therapieangebote<br />
gibt es noch viele CK-PatientInnen, die nicht<br />
suffizient eingestellt werden können. Vor einigen<br />
Jahren konnte gezeigt werden, dass<br />
eine lokale Infiltration des N. occipitalis mit<br />
Kortikoiden und Lokalanästhetika bei 85 %<br />
der PatientInnen einen positiven Effekt auf<br />
den Schmerz hat. Basierend auf diesem Ergebnis<br />
wurden einige interventionelle Verfahren<br />
entwickelt. C. Gaul stellte eine kleine<br />
prospektive Studie vor, bei der eine beidsei-<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Cluster-Kopfschmerz (CK) ist ein heftiger, einseitiger Kopfschmerz, begleitet von trigeminoautonomen<br />
Begleiterscheinungen sowie ausgeprägter Unruhe. C. Gaul aus Essen berichtete beim DGN-Kongress über die<br />
neuesten Erkenntnisse in der Diagnostik und der Therapie des CK.<br />
54<br />
Prim. Priv.-Doz. Dr.<br />
Nenad Mitrovic<br />
Abteilung <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />
Landeskrankenhaus<br />
Vöcklabruck<br />
tige N.-occipitalis-Stimulation bei 9 von 10<br />
PatientInnen mit chronischem CK zu einer<br />
Schmerzreduktion geführt hatte. Ähnliche Ergebnisse<br />
wurden von den anderen Forschungsgruppen<br />
berichtet. Das Prozedere der<br />
Elektrodenimplantation scheint nicht besonders<br />
schwierig zu sein, sollte jedoch nur in<br />
erfahrenen Zentren durchgeführt werden.<br />
Wichtig <strong>für</strong> den Therapieerfolg ist lediglich<br />
eine räumliche Nähe der Elektrode zum Nerv,<br />
ein direkter Kontakt sei nicht notwendig.<br />
Eine tiefe Hirnstimulation im Bereich des hinteren<br />
Hypothalamus führte in 2 Studien bei<br />
ca. 50 % der PatientInnen zu einer Schmerzverbesserung<br />
und kann <strong>für</strong> einzelne PatientInnen<br />
als Therapieoption in Betracht gezogen<br />
werden. Stimulationen im Bereich des<br />
Ganglion sphenopalatinum, des N. vagus<br />
oder des zervikalen Rückenmarks scheinen<br />
ebenfalls vorteilhaft <strong>für</strong> die Erkrankten zu<br />
sein, die Effektivität kann jedoch noch nicht<br />
endgültig bewertet werden. Auch wenn neue<br />
Therapiemöglichkeiten <strong>für</strong> den CK sehr erfolgversprechend<br />
erscheinen, stellt die medikamentöse<br />
Therapie nach wie vor die Basis<br />
<strong>für</strong> die Behandlung der PatientInnen dar. n<br />
FOTO: THESUPE87 - FOTOLIA.COM
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
Im Oktober fand in Amsterdam der 5. gemeinsame Kongress des europäischen und auch amerikanischen<br />
Komitees <strong>für</strong> Behandlung und Forschung bei multipler Sklerose (ECTRIMS und ACTRIMS) statt. ECTRIMS und<br />
ACTRIMS halten alle 3 Jahre eine gemeinsame Tagung ab, wobei dieses Mal die bislang größte TeilnehmerInnenzahl<br />
mit fast 7.200 registrierten BesucherInnen aus 94 Ländern zu verzeichnen war. Diese Zahl unterstreicht<br />
eindrucksvoll das weiterhin bestehende außerordentliche Interesse am Krankheitsbild multiple Sklerose. Die<br />
kürzlich innerhalb der Europäischen Union zugelassenen neuen Medikamente und die möglicherweise in naher<br />
Zukunft neu erscheinenden Therapieoptionen in diesem Bereich erklären zumindest teilweise das große Interesse.<br />
DDer Kongress bot die Möglichkeit, sich in<br />
etwa 116 freien Vorträgen sowie 1000 wissenschaftlichen<br />
Postern und zusätzlich bei<br />
einer Vielzahl von Fortbildungskursen einen<br />
breiten Überblick über die aktuellen Entwicklungen<br />
bei der multiplen Sklerose zu verschaffen.<br />
Es fällt schwer, aus dem sehr breit<br />
gefächerten Programm Themenschwerpunkte<br />
herauszuarbeiten, wobei sicherlich die<br />
neuen diagnostischen Kriterien (Überarbeitung<br />
der McDonald-Kriterien 2010) sowie die<br />
neu zugelassenen Medikamente (Fingolimod,<br />
Fampridin) und zukünftige therapeutische<br />
Entwicklungen die Schwerpunkte darstellten.<br />
Eine lokale Note erhielt das wissenschaftliche<br />
Programm durch einen Schwerpunkt mit Darstellung<br />
unterschiedlicher MRI-Techniken, die<br />
möglicherweise in den nächsten Jahren Einzug<br />
in die klinische Diagnostik halten werden.<br />
Da ein umfassender Überblick wegen des<br />
vielfältigen Programms nicht möglich ist, sollen<br />
im Folgenden einige wenige interessante<br />
Neuentwicklungen und Beobachtungen vorgestellt<br />
werden.<br />
Ausreichender Respons? In einer der ersten<br />
wissenschaftlichen Sitzungen wurde der in<br />
der Praxis manchmal sehr schwierigen Entscheidung,<br />
ob ein(e) PatientIn ausreichend<br />
auf die jeweilige Therapie anspricht, Rechnung<br />
getragen. Dabei stellte M. Romeo<br />
Daten aus einer Mailänder Untersuchung vor,<br />
in der serielle MRI-Daten von ursprünglich<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
668 PatientInnen bis zu einem Zeitraum von<br />
5 Jahren untersucht wurden. Es zeigte sich,<br />
dass 15,4 % 3 oder mehr aktive Läsionen 6<br />
oder 12 Monate nach Therapiebeginn mit<br />
einem Interferon-beta oder Glatiramerazetat<br />
aufwiesen. Dabei wurde ein 1–4-fach erhöhtes<br />
Risiko eines klinischen Nichtansprechens<br />
des Medikaments nach 5 Jahren erhoben,<br />
sobald die PatientInnen innerhalb des ersten<br />
Jahres 2 oder mehr aktive Läsionen im MRI<br />
zeigten. In der gleichen Sitzung stellte Prof.<br />
Tintoré aus Barcelona aufgrund von Daten<br />
von weiteren Studien ebenfalls fest, dass<br />
mehr als 2 Läsionen im MRI nach einjähriger<br />
Therapie sehr eng mit einem Nichtansprechen<br />
auf ein Medikament korrelierten. Prof.<br />
Tintoré schlug als Definition <strong>für</strong> nicht ausreichendes<br />
Ansprechen und Indikation zur Umstellung<br />
vor, wenn mindestens 2 der 3 folgenden<br />
Parameter <strong>für</strong> einen nicht optimalen<br />
Therapieerfolg vorliegen:<br />
Schübe<br />
MRI-Aktivität<br />
zunehmende Behinderung<br />
Neu zugelassenene Medikamente: Die Satellitensymposien<br />
der Firmen Biogen-Idec und<br />
Novartis, in denen die in diesem Jahr neu zu -<br />
gelassenen Medikamente Fampridin (Fampyra ®<br />
in Europa, Ampyra ® in Nordamerika) sowie<br />
Fingolimod (Gilenya ® ) vorgestellt wurden,<br />
fanden sehr großes Interesse. Amit Bar-Or<br />
aus Montreal in Kanada erklärte den Wirk-<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
5. gemeinsamer ECTRIMS-ACTRIMS-Kongress<br />
2011, Amsterdam<br />
60<br />
OA Priv.-Doz. Dr.<br />
Jörg Kraus<br />
Universitätsklinik<br />
<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />
Christian-Doppler-Klinik,<br />
Salzburg<br />
mechanismus von Fingolimod. Dabei kommt<br />
es durch eine Blockade des Sphingosin-1-Rezeptors<br />
dazu, dass Lymphozyten im Lymphknoten<br />
zurückgehalten werden. Es wurden<br />
erneut die Daten aus den beiden Zulassungsstudien,<br />
TRANSFORMS und FREEDOMS, vorgestellt,<br />
wobei sich hier eine etwa 50%ige<br />
Schubratenreduktion im Vergleich zu wöchentlich<br />
intramuskulär applizierten Interferon-Beta<br />
1a und auch zu Placebo zeigte. Prof.<br />
Kieseier aus Düsseldorf sowie Prof. Singer aus<br />
St. Louis, USA, stellten in ihrer gemeinsamen<br />
Präsentation ihre Erfahrungen mit dem neuen<br />
Medikament dar. Sie berichteten übereinstimmend,<br />
dass das orale Medikament von den<br />
von ihnen behandelnden PatientInnen ausgezeichnet<br />
vertragen wird, wobei entsprechend<br />
der Zulassung innerhalb der EU Fingolimod<br />
nur bei hoch aktiven PatientInnen,<br />
überwiegend in der Therapieeskalation eingesetzt<br />
wird. Demgegenüber ist die Zulassung<br />
in den USA auch als First-Line-Präparat<br />
gegeben.<br />
PML-Risiko: Im Satellitensymposium der<br />
Firma Biogen-Idec wurden von Prof. Soelberg
Sørensen aus Kopenhagen, Dänemark, die<br />
aktuellen Erkenntnisse aus dem STRATIFY-<br />
Programm vorgestellt. Das STRATIFY-Programm<br />
dient der Evaluierung des Risikos des<br />
Auftretens einer progressiven multifokalen<br />
Leukenzephalopathie (PML) unter Therapie<br />
mit Natalizumab. Als Risikofaktoren <strong>für</strong> das<br />
Auftreten einer PML sind sowohl eine mehr<br />
als 24-monatige Tysabri ® -Therapie als auch<br />
die Vorbehandlung mit einem Immunsuppressivum<br />
anzusehen. Laut aktuellen Erkenntnissen<br />
gibt weiters die Durchführung<br />
eines JC-Virus-Antikörpertests Auskunft über<br />
das zu erwartende PML-Risiko. Dieses Risiko<br />
ist insbesondere beim Vorliegen eines negativen<br />
JC-Antikörperbefundes als sehr gering<br />
einzuschätzen.<br />
Prof. Berger aus Innsbruck gab dem Symposium<br />
eine österreichische Note, wobei er in<br />
einem sehr anschaulichen Vortrag über den<br />
möglichen Nutzen einer Fampridin-Behandlung<br />
referierte. Dabei berichtete Prof. Berger,<br />
dass es laut aktueller Datenlage unter Fampridin<br />
bei etwa 40 % der behandelten PatientInnen<br />
zu einer Verbesserung des Gehens<br />
kommt. Besondere Vorteile sind die orale Verabreichungsform,<br />
die gute Verträglichkeit,<br />
aber auch die Möglichkeit, dass von Fampridin<br />
auch MS-Betroffene mit den chronisch<br />
progredienten Verlaufsformen der multiplen<br />
Sklerose profitieren können, <strong>für</strong> die die sonstigen<br />
Therapieoptionen bekanntermaßen<br />
sehr begrenzt sind.<br />
DEFINE-Studie: Ganz sicher war die Präsentation<br />
der Daten aus der DEFINE-Studie durch<br />
Prof. Gold aus Bochum eines der wohl am<br />
meisten erwarteten wissenschaftlichen Kongresshighlights.<br />
In dieser Phase-III-Studie wurden<br />
2 unterschiedliche Dosierungen des Medikaments<br />
BG-12 im Vergleich zu Placebo an<br />
1.237 PatientInnen mit schubförmig remittierender<br />
multipler Sklerose untersucht. Dabei<br />
zeigten beide Dosierungen des oralen Medikaments<br />
mit Wirkstoff Fumarsäure eine etwa<br />
50%ige Reduktion der Schubrate im Ver-<br />
gleich zu Placebo. Interessanterweise war die<br />
nur zweimalige Verabreichung von 240 mg<br />
der dreimaligen Dosierung überlegen – sowohl<br />
in Bezug auf die Schubrate als auch<br />
auf die Krankheitsprogression.<br />
Als häufigste Nebenwirkungen wurde eine<br />
Flush-Symptomatik berichtet, die sich zumeist<br />
nach einmonatiger Therapie zurückbildete.<br />
Da ein weiteres Fumarsäure-Präparat seit vielen<br />
Jahren in Deutschland in der Therapie<br />
der Psoriasis eingesetzt wird und dazu sehr<br />
gute Sicherheitsdaten existieren, ist es anhand<br />
der aktuellen Studiendaten wahrscheinlich,<br />
dass das Präparat in relativ naher Zukunft<br />
zur Behandlung der schubförmig remittierenden<br />
multiplen Sklerose eingesetzt werden<br />
kann.<br />
TEMSO-Studie: In einem Poster wurden von<br />
Prof. O’Connor aus Toronto, Kanada, die<br />
Daten der so genannten TEMSO-Studie, einer<br />
Phase-III-Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit<br />
von Teriflunomid bei schubförmig remittierender<br />
multipler Sklerose präsentiert.<br />
Dabei ergab sich bei untersuchten 1.088 PatientInnen<br />
über 2 Jahre eine 31,2%ige beziehungsweise<br />
31,5%ige Schubratenreduktion<br />
von 7 mg beziehungsweise 14 mg Teriflunomid<br />
im Vergleich zu Placebo. Auch<br />
Teriflunomid wurde sehr gut vertragen, die<br />
häufigste Nebenwirkung war ein Leberwertanstieg.<br />
Ocrelizumab: Auf großes Interesse stießen<br />
weiters die Studiendaten aus der Phase-II<br />
über den monoklonalen Antikörper Ocrelizumab,<br />
der gegen B-Zellen gerichtet ist. Prof.<br />
Kappos aus Basel präsentierte die eindrucksvollen<br />
Studiendaten unter anderem auf<br />
einem Poster. Dabei konnte nach 24 Wochen<br />
eine 73%ige beziehungsweise 80%ige Reduktion<br />
der jährlichen Schubrate unter Ocrelizumab<br />
im Vergleich zu Placebo erhoben<br />
werden. Es wurde weiters festgehalten, dass<br />
bei dem allerdings sehr kurzen Untersuchungszeitraum<br />
von 220 PatientInnen Ocre-<br />
lizumab gut vertragen wurde und keine opportunistischen<br />
Infektionen auftraten.<br />
Langzeit-Follow-up: Weiters wurden die<br />
Daten aus den Langzeitverlängerungserhebungen<br />
der Phase-II-Studien <strong>für</strong> Fingolimod<br />
und Teriflunomid präsentiert. Die 5-Jahres-<br />
Daten <strong>für</strong> Fingolimod zeigen eine weiterhin<br />
niedrige jährliche Schubrate von 0,17 bis 0,19<br />
bei sehr guter Verträglichkeit. Ebenso zeigten<br />
die 9-Jahres-Follow-up-Daten der Phase-II-Studie<br />
von Teriflunomid <strong>für</strong> die beiden untersuchten<br />
Dosierungen von 7 mg und 14 mg ein<br />
sehr gutes Sicherheitsprofil.<br />
Therapieumstellung: Schließlich soll noch<br />
über 2 überraschende und auch zum Nachdenken<br />
anregende Studien berichtet werden.<br />
Es wurden in Britisch-Kolumbien, Kanada,<br />
knapp 1.900 PatientInnen und in Australien<br />
mehr als 1.100 PatientInnen untersucht.<br />
Dabei zeigte sich in Kanada ein mittlerer Zeitraum<br />
von nur 2,9 Jahren und in Australien<br />
sogar nur von 1,8 Jahren bis die PatientInnen<br />
von ihrer primären immunmodulatorischen<br />
Basistherapie auf ein Alternativpräparat umgestellt<br />
wurden. In der kanadischen Studie<br />
konnte kein Unterschied im Verhalten <strong>für</strong><br />
eine Medikamentenumstellung im Zeitraum<br />
von 1999 bis 2009 nachgewiesen werden.<br />
Weiters konnte nicht erhoben werden, ob<br />
die Therapieumstellung jeweils gerechtfertigt<br />
war. Die AutorInnen beider Studien kamen<br />
zu dem Schluss, dass dieses Ergebnis weiter<br />
genauer untersucht werden muss, da diese<br />
Daten in der Praxis eine enorme Relevanz<br />
aufweisen.<br />
Zusammenfassend kann festgehalten werden,<br />
dass bei der multiplen Sklerose im Moment<br />
vieles im Umbruch ist, wobei sich durch<br />
die aktuellen neuen Therapien das Behandlungsspektrum<br />
deutlich verbessert hat und<br />
sich <strong>für</strong> die nahe Zukunft in wenigen Jahren<br />
weitere interessante Therapiealternativen ergeben<br />
werden. n<br />
61
GASTARTIKEL<br />
Zufallsbefunde bei<br />
neurowissenschaftlichen Studien<br />
KONTEXT: Derzeit lässt sich eine geradezu atemberaubende Expansion neurowissenschaftlicher<br />
Studien beobachten, die der Wissenschaft und letztlich auch dem alltäglichen<br />
menschlichen Erleben zugutekommen sollen. Beginnend von rein wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
bis hin zu therapeutischen oder auch marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten<br />
ist die Palette der zu erwartenden – oder jedenfalls erhofften – Einflussnahmen aufgrund<br />
neurobiologischer Untersuchungen breit gefächert. Dies kann bisweilen auch groteske<br />
Formen annehmen, als etwa gezeigt werden konnte, dass häufig allein schon durch das<br />
Hinzufügen von Screening-Bildern (PET, fMRT) zu Vorträgen oder öffentlichen Präsentationen<br />
von den HörerInnen oder LeserInnen eine größere Wissenschaftlichkeit und damit<br />
wohl auch Wahrheitsfähigkeit (immerhin wird gewöhnlich den Wissenschaften die Suche<br />
nach Wahrheit nachgesagt) unterstellt wird.<br />
Es ist wenig überraschend, wenn verstärkt auf – zumeist recht kostspielige – neurowissenschaftliche<br />
Studien abgestellt wird. Die bereits 1990 von George Bush sen. ausgerufene<br />
„Dekade des Gehirns“ hat sich längst über das Jahr 2000 hinaus als breiter Forschungsstrom<br />
etabliert und verfolgt ungebremst das Ziel der Entzauberung des Gehirns, korreliert<br />
mit Erwartungen und Hoffnungen im Hinblick auf Verbesserungen, Erweiterungen, Einflussnahmen<br />
(alles unter Enhancement subsumierbar) und Therapiemöglichkeiten. Dies<br />
kann und muss durchaus begrüßt werden, wenngleich zwischen formulierten Ansprüchen,<br />
erregten Zukunftshoffnungen und faktisch Realisierbarem kritisch zu unterscheiden ist.<br />
Unstrittig sind damit freilich auch große monetäre Gesichtspunkte im Blick, sowohl auf<br />
der Seite der Industrie (Pharma, Rüstung usw.) als auch auf der Seite von wissenschaftlichen<br />
Projektfinanzierungen (Drittmittel).<br />
EEs ist von enormer Bedeutung, diese rasant<br />
fortschreitende neurowissenschaftliche Forschung<br />
mit ihren immer besseren und detailreicheren<br />
Instrumentarien (PET, fMRT, SPECT)<br />
mit kritisch-ethischen Fragestellungen und<br />
Differenzierungen zu begleiten. Dies ist aber<br />
leider schon aufgrund der Geschwindigkeit<br />
der Forschungsvorhaben und der daraus resultierenden<br />
Ergebnisse nur in eingeschränktem<br />
Umfang zu erreichen, so dass die notwendige<br />
ethische Begleitbearbeitung meist<br />
hinterherhinkt und immer wieder auch zu<br />
spät kommt. Zwar ist es vielerorts Usus, neurowissenschaftliche<br />
Studienprojekte durch<br />
entsprechend installierte Ethikkommissionen<br />
auf ihre ethische Verträglichkeit hin zu begutachten.<br />
Gleichwohl ergeben sich zahlreiche<br />
ethisch relevante Fragestellungen auch<br />
abseits dieser herkömmlichen Begutachtungsprozesse.<br />
An dieser Stelle soll lediglich einer von vielen<br />
Problembereichen herausgegriffen werden,<br />
der zunehmend der Aufmerksamkeit bedürfen<br />
wird. Dabei geht es einerseits auch um<br />
die ethische wie möglicherweise auch in Zukunft<br />
um die rechtliche Selbstverortung von<br />
ForscherInnen im Bereich neurobiologischer<br />
Studien, andererseits aber um Klärungsprozesse,<br />
die nicht allein bei den betroffenen<br />
ForscherInnen angesiedelt bleiben können,<br />
sondern einer umfangreicheren Strategiebildung<br />
zugeführt werden müssen.<br />
Informed Consent<br />
und Zufallsbefunde<br />
Neurowissenschaftliche Studien oder Untersuchungen<br />
umreißen zunächst bestimmte<br />
abgegrenzte Zielvorstellungen, die detailliert<br />
formuliert und dokumentiert werden müssen.<br />
Diese Studienvorhaben müssen sodann<br />
einer ethischen Begutachtung unterzogen<br />
werden, die mit bestimmten Bewertungskriterien<br />
die ethische Verträglichkeit eruiert.<br />
Ass.-Prof. Dr. Andreas Klein<br />
Assistenzprofessor am Institut<br />
<strong>für</strong> Systematische Theologie<br />
und Religionswissenschaft der<br />
Evangelisch-Theologischen<br />
Fakultät, Interner Mitwirkender<br />
am Institut <strong>für</strong> Ethik und Recht<br />
in der Medizin, Wien<br />
Dabei wird das Augenmerk u. a. auf die entsprechende<br />
Informationspflicht und auf einen<br />
hinreichenden „informed consent“ gelegt,<br />
auf entsprechende Ausstiegsszenarien aus<br />
dem Experiment (Widerrufsrecht), auf die Einwilligungsfähigkeit<br />
der ProbandInnen, auf<br />
das Prinzip des Nichtschadens und der Nichttäuschung<br />
(jeweils unter spezifischen Bedingungen<br />
der Ausrichtung der Untersuchung),<br />
auf die adäquate Einhaltung von Datenschutzbestimmungen,<br />
auf moderate (finanzielle)<br />
Anreize usw. gelegt. Diese Bedingungen<br />
müssen von den VersuchsleiterInnen<br />
bzw. vom geplanten Experiment erfüllt sein<br />
und auch dezidiert angegeben werden. Es<br />
besteht zumeist die Möglichkeit, bei Bedarf<br />
entsprechende Anpassungen des Versuchsdesigns<br />
vorzunehmen.<br />
Nun bringen es neurowissenschaftliche Studienprojekte<br />
aufgrund ihrer technischen und<br />
methodischen Ausstattung mit sich, dass<br />
neben den primär anvisierten Untersuchungszielen<br />
auch andere bzw. zusätzliche Ergebnisse<br />
zutage treten können, die ursprünglich<br />
nicht Gegenstand des Projekts waren. So<br />
können etwa neuronale Abweichungen, Abnormitäten<br />
oder auch pathologische Gehirnveränderungen<br />
sichtbar werden, etwa Tumoren<br />
oder künftig auch die Möglichkeit von<br />
Demenzprognosen – ganz zu schweigen von<br />
der eventuell zur Verfügung stehenden Möglichkeit,<br />
auch Neigungen wie z. B. zu Aggressivität<br />
oder Suizid zu erkennen. Wie mit<br />
diesen Zufallsbefunden (incidental findings)<br />
umzugehen ist, ist bislang nicht hinreichend u<br />
83
GASTARTIKEL<br />
geklärt und bedarf der umsichtigen, kritischen<br />
Erörterung. Die Inzidenz klinisch relevanter<br />
Zufallsbefunde wird gewöhnlich mit<br />
1–8 % (bzw. 3–6 %) be ziffert. Dabei ist festzuhalten,<br />
dass solche unerwarteten Befunde,<br />
sofern sie auf pathologische Bedingungen<br />
verweisen, <strong>für</strong> den Betreffenden erhebliche<br />
persönliche Konsequenzen und psychische<br />
Belastungen nach sich ziehen können (Einschränkung<br />
der Berufsausübung, Konsequenzen<br />
<strong>für</strong> den/die ArbeitgeberIn oder auch<br />
<strong>für</strong> Lebensversicherungen).<br />
Nun ist allerdings das Verhältnis zwischen<br />
ForscherInnen und ProbandInnen ein grundsätzlich<br />
anderes als jenes zwischen ÄrztInnen<br />
und PatientInnen. Das Verhältnis zwischen<br />
ÄrztIn und PatientIn ist durch die Notwendigkeit<br />
therapeutischen Handelns und des individuellen<br />
therapeutischen Nutzens <strong>für</strong><br />
den/die PatientIn charakterisiert. Grundprinzipien<br />
sind dabei das Gebot des therapeutischen<br />
Nutzens und jenes der Einwilligung<br />
des/der PatientIn als Wahrnehmung der<br />
Selbstbestimmung bzw. der eigenen Autonomie.<br />
Diese Charakteristika weist das Verhältnis<br />
zwischen ForscherInnen und ProbandInnen<br />
nicht auf. Gleichwohl können auftretende<br />
Zufallsbefunde <strong>für</strong> ForscherInnen ethische<br />
Problemsituationen erzeugen, so etwa, wenn<br />
der/die ProbandIn keine Mitteilung über Zufallsbefunde<br />
wünscht (das ist sein Recht auf<br />
Wahrnehmung der eigenen Autonomie),<br />
diese gleichwohl von klinischer Relevanz sind.<br />
Dieses Problem kann sich dadurch steigern,<br />
wenn von der Gehirnpathologie auch Dritte<br />
betroffen sein können (etwa bei Fahrunfähigkeit<br />
oder Einschränkung der Berufsausübung<br />
usw.). Problematisch wird es aber<br />
auch, wenn eine Gehirnpathologie entdeckt<br />
wird, <strong>für</strong> diese aber (derzeit) keine Therapie<br />
zur Verfügung steht. Hier sind insgesamt sowohl<br />
seitens der ForscherInnen als auch seitens<br />
der ProbandInnen Unsicherheiten verbunden,<br />
die einer eingehenden Bearbeitung<br />
bedürfen.<br />
84<br />
Zufallsbefund<br />
und weitere Schritte<br />
Angesichts dieser offensichtlichen Szenarien<br />
wäre primär im Hinblick auf bildgebende<br />
Hirnstudien darauf zu drängen, dass im Rahmen<br />
des informed consent in Bezug auf das<br />
jeweilige Studienprojekt auch eine hinreichende<br />
Aufklärung des/der ProbandIn über<br />
mögliche Zufallsbefunde erfolgt. Dies sollte<br />
fester Bestandteil des Informationsgesprächs<br />
bei neurowissenschaftlichen Studien werden<br />
und auch von den zuständigen Ethikkommissionen<br />
als Beurteilungskriterium herangezogen<br />
werden.<br />
Damit ist freilich noch nichts darüber gesagt,<br />
was bei einer positiven hirnpathologischen<br />
Diagnose als nächster Schritt zu erfolgen<br />
habe. Es kann und darf jedenfalls nicht sein,<br />
dass der/die ProbandIn bei Mitteilung einer<br />
derartigen Diagnose am Ende ohne Hilfestellung<br />
zurückbleibt (dies würde auch gegen<br />
das Nichtschadenprinzip verstoßen). Es muss<br />
auf jeden Fall von dem/der ForscherIn zeitnah<br />
ein Gespräch angeboten werden, das auch<br />
<strong>für</strong> Rückfragen offen ist und mögliche weitere<br />
Schritte in Aussicht stellt. Wünschenswert<br />
wäre, vor der Mitteilung eines solchen<br />
Befundes die Expertise eines/einer Neuroradiologen/-in<br />
einzuholen und eventuell auch<br />
einen/eine EthikerIn zu Rate zu ziehen.<br />
In diesem Kontext ist auch zu diskutieren,<br />
wie es um eventuelle Haftungsverpflichtungen<br />
steht: Obliegt dem/der ForscherIn überhaupt<br />
– und wenn ja, ab wann? – eine Haftungsverpflichtung?<br />
Nicht ratsam erscheint<br />
der mancherorts betretene Weg (etwa am<br />
National Institute of Health), zu einer neurowissenschaftlichen<br />
Studie zusätzlich eine klinische<br />
Bildgebung durchzuführen und eine<br />
zusätzliche Befundung vorzunehmen. Dies<br />
hätte neben anderen unangenehmen Konsequenzen<br />
auch sichtbare Folgen <strong>für</strong> das gesamte<br />
Gesundheitssystem und die damit korrelierte<br />
Gesundheitsökonomie.<br />
Prinzipiell sollte eine Rollenvermischung (Arzt/<br />
Ärztin/PatientIn – ForscherIn/ProbandIn) vermieden<br />
werden. ForscherInnen sollten eine<br />
eng umgrenzte Ziel- und Methodenwahl anstreben.<br />
Ob es aber sinnvoll ist, vor der Studie<br />
eine Einwilligung des/der Probanden/-in zu<br />
einer Mitteilung eines eventuell auftretenden<br />
Zufallsbefundes einzuholen, ist m. E. noch<br />
weiterzudiskutieren. Immerhin steht damit<br />
das legitime Prinzip des Rechtes auf Nichtwissen<br />
auf dem Spiel. Verweigert man potenziellen<br />
ProbandInnen die Teilnahme an<br />
einer Studie lediglich aus dem Grund, dass<br />
der/die ProbandIn sein/ihr Recht auf Nichtwissen<br />
in Anspruch nimmt, scheint diese Strategie<br />
primär eventuellen Haftungsansprüchen<br />
aus dem Weg gehen zu wollen.<br />
Angemessene Mitteilung<br />
Ein veritables Problem stellt das der angemessenen<br />
Mitteilung von Zufallsbefunden<br />
dar. Hier lohnt ein Blick in das <strong>Österreichische</strong><br />
Gentechnikgesetz (GTG), vor allem § 71 (2)<br />
2.: „Der untersuchten Person sind unerwartete<br />
Ergebnisse mitzuteilen, die von unmittelbarer<br />
klinischer Bedeutung sind oder nach<br />
denen sie ausdrücklich gefragt hat. Diese Mitteilung<br />
ist insbesondere dann, wenn die untersuchte<br />
Person nicht danach gefragt hat,<br />
so zu gestalten, dass sie auf die untersuchte<br />
Person nicht beunruhigend wirkt; in Grenzfällen<br />
kann diese Mitteilung gänzlich unterbleiben.“<br />
Dieser Text bezieht sich auf Genanalysen (zu<br />
wissenschaftlichen und medizinischen Zwekken),<br />
die unter bestimmten Bedingungen (Indikation,<br />
Informations- und Aufklärungsgespräch,<br />
Datenschutz usw.) durchgeführt werden.<br />
In dieser Passage wird zunächst<br />
festgehalten, dass unerwartete Ergebnisse<br />
der untersuchten Person mitzuteilen sind, sofern<br />
diese von klinischer Relevanz sind – oder<br />
wenn die Person dezidiert nach diesen gefragt<br />
hat. Gleichwohl kann in Grenzfällen auf<br />
diese Mitteilung verzichtet werden. Diese Angaben<br />
sind freilich vage und präzisierungs-
edürftig. Denn zunächst fragt eine zu untersuchende<br />
Person nicht nach spezifischen<br />
unerwarteten Ergebnissen (woher soll man<br />
diese ohne Fachexpertise wissen), sondern<br />
höchstens generell nach unerwarteten Ergebnissen.<br />
Fragwürdig ist jedoch, was unter<br />
„Grenzfällen“ verstanden wird und wer hier<br />
der/die EntscheidungsträgerIn ist – auch im<br />
Hinblick auf eventuelle Haftungsfragen.<br />
Ethische und<br />
kommunikative Kompetenz<br />
Problematisch ist jedoch auch der mittlere<br />
Abschnitt, sofern davon die Rede ist, dass<br />
die jeweilige Mitteilung so zu gestalten ist,<br />
dass sie nicht beunruhigend auf die untersuchte<br />
Person wirkt. Bei Genanalysen ebenso<br />
wie bei bildgebenden Hirnuntersuchungen ist<br />
doch gerade häufig davon auszugehen, dass<br />
unerwartete Ergebnisse von sich aus beunruhigend<br />
sind und erhebliche psychische und<br />
persönliche Konsequenzen zu erwarten sind.<br />
Um überhaupt annähernd dieser idealtypischen<br />
Forderung gerecht zu werden, bedürfte<br />
es jedoch seitens der mitteilenden Person<br />
(ForscherIn oder Arzt/Ärztin) entsprechender<br />
ethischer wie kommunikativer Kompetenzen.<br />
Es kann jedoch nicht von vornherein davon<br />
ausgegangen werden, dass ForscherInnen<br />
oder Ärzte/-innen diese Kompetenzen schon<br />
qua Berufsbild bzw. Berufsbeschreibung aufweisen.<br />
ForscherInnen und Ärzte/-innen sind<br />
zunächst durch ihre jeweilige Fachkompetenz<br />
charakterisiert, zu welcher jedoch die angesprochenen<br />
Kompetenzen nicht ohne Weiteres<br />
zu zählen sind. Zudem könnte es zu einer<br />
vermehrten Überforderung des Berufsbildes<br />
beitragen, auch diese Kompetenzen – wenn<br />
möglich noch in einer überprüf- und evaluierbaren<br />
Form – noch aufzubringen, sind<br />
diese doch bereits in der jeweiligen Ausbildungsphase<br />
keineswegs intensiver integraler<br />
Bestandteil.<br />
Offenbar verlässt man sich hier durchaus noch<br />
auf so etwas wie einen „gesunden Menschenoder<br />
Hausverstand“, was freilich ein trügerisches<br />
Vertrauen darstellen kann, wie wir aus<br />
historischen Erinnerungen wissen. Sollte dennoch<br />
auf diese weiterreichenden Kompetenzen<br />
abgestellt werden, wäre es vonnöten,<br />
diese bereits in der Ausbildungsphase (also<br />
bereits im Studium und darüber hinaus) fest<br />
zu installieren und <strong>für</strong> entsprechende Weiterbildungen<br />
zu sorgen.<br />
Andernfalls wäre auf adäquat geschulte und<br />
erfahrene, ethisch, kommunikativ und psychologisch<br />
versierte Fachpersonen oder Ethikkomitees<br />
zu rekurrieren. Dies würde auch eine<br />
entsprechende Entlastungsfunktion <strong>für</strong> ForscherInnen<br />
und ÄrztInnen nach sich ziehen.<br />
Gleichwohl bedürften aber auch Ethikkomitees,<br />
wie sie beispielsweise im Bereich der<br />
Palliativmedizin vermehrt installiert werden<br />
(aber eben nicht nur dort), ihrerseits der ethischen,<br />
rechtlichen und kommunikativen<br />
Kompetenz. Es ist jedenfalls durchaus erstaunlich,<br />
dass eigens ausgewiesene Ethike-<br />
rInnen hier nur recht rudimentär einbezogen<br />
werden. Jedenfalls wäre es wünschenswert,<br />
dass einerseits Ethikkomitees in noch breiterer<br />
Form eingesetzt werden und dass andererseits<br />
auch in rechtlicher und ethischer Hinsicht<br />
diese Komitees mit prinzipiellen und bereits<br />
häufig als Standard anerkannten<br />
Guidelines versehen werden, die <strong>für</strong> alle Komitees<br />
verbindlich sind und von diesen auch<br />
nicht jeweils eigens erarbeitet zu werden<br />
brauchen. So ließen sich flächendeckend<br />
Standards etablieren, die auch zu einer weiteren<br />
wünschenswerten Transparenzbildung<br />
innerhalb des Gesundheitswesens beitragen.<br />
Insgesamt muss gesagt werden, dass Ethikkomitees<br />
eine wichtige Bereicherung im klinischen<br />
Bereich und somit auch eine enorme<br />
Entlastungsfunktion darstellen (können) und<br />
nicht als Einschränkung von Entscheidungsprozessen<br />
betrachtet werden dürfen/sollten.<br />
Um die jeweiligen Entscheidungen kommt<br />
man so oder so nicht herum, mit Ethikkomitees<br />
lassen sich diese aber auf eine breitere<br />
Grundlage stellen und sind nicht in gleicher<br />
Weise abhängig von den einzelnen persönlichen<br />
Charakteristika der EntscheidungsträgerInnen.<br />
n<br />
Literatur:<br />
- Schleim S et al., Zufallsbefunde in der bildgebenden<br />
Hirnforschung. Empirische, rechtliche und ethische<br />
Aspekte, Nervenheilkunde 2007; 26:1041–1045<br />
- Heinemann T et al., Zufallsbefunde bei bildgebenden<br />
Verfahren in der Hirnforschung. Ethische Überlegungen<br />
und Lösungsvorschläge, Deutsches Ärzteblatt 2007;<br />
104/27:1982–1987<br />
- Check E, Brain-scan ethics come under the spotlight,<br />
Nature 2005; 433:185<br />
85
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Schlafstörungen<br />
Nächtliche Autofahrten – ein unterschätztes Risiko<br />
Nach der Unfallstatistik des Bundesministeriums<br />
<strong>für</strong> Inneres wurden im Jahr 2010 auf<br />
österreichischen Straßen 552 Personen getötet.<br />
Bei „nur“ 28 Verkehrstoten wird Übermüdung<br />
als Hauptunfallursache vermutet.<br />
Doch die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen,<br />
da viele Unfälle mit typischen müdigkeitsbedingten<br />
Merkmalen als „Abkommensunfälle“<br />
oder „Alleinunfälle“ eingeordnet<br />
werden, vor allem, wenn es keinerlei Spuren<br />
bzw. Unfallgegner gibt. Empirische Studien<br />
zum nächtlichen Fahrverhalten sind selten,<br />
und fast alle Untersuchungen wurden an<br />
Fahrsimulatoren durchgeführt. Inwiefern<br />
Ergebnisse dieser Studien auch auf eine reale<br />
nächtliche Fahrsituation zu übertragen sind,<br />
kann meist nicht geklärt werden.<br />
Übermüdung, Sekundenschlaf und<br />
Power Nap: Aus diesem Grund wurden in<br />
Zusammenarbeit mit SchlafexpertInnen der<br />
Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> der Medizinischen<br />
Universität Wien, dem Institut <strong>für</strong><br />
Schlaf-Wach-Forschung (ISWF), dem ÖAMTC<br />
und der ASFINAG eine Studie zu den Auswirkungen<br />
nächtlicher Autofahrten durchgeführt.<br />
Das Versuchsdesign sah vor, unter<br />
möglichst realitätsnahen Bedingungen, aber<br />
unter Gewährleistung eines Optimums an<br />
Fahrsicherheit freiwillige Testpersonen während<br />
einer nächtlichen Autofahrt in Hinblick<br />
auf übermüdungsbedingte Fahrfehler bzw.<br />
auf Anzeichen von Sekundenschlaf hin zu<br />
untersuchen. Die idealen Voraussetzungen<br />
<strong>für</strong> eine solche Studie fanden sich am<br />
ÖAMTC-Fahrtechnikzentrum in Teesdorf/Niederösterreich<br />
(Abb. 1).<br />
86<br />
Abb. 1: ÖAMTC-Fahrtechnikzentrum in Teesdorf/Niederösterreich<br />
Darüber hinaus sollte das Projekt auch klären,<br />
wie sich eine kurze Schlafpause („Power<br />
Nap“) während einer Nachtfahrt auf die<br />
Befindlichkeit und die Fahrleistung auswirken.<br />
In verschiedenen Studien konnte gezeigt<br />
werden, dass ein so genanntes „Power Napping“<br />
eine Möglichkeit darstellt, in kurzer<br />
Zeit höchst effiziente Erholung zu gewähren,<br />
jedoch nur, wenn die Schlafpause eine Dauer<br />
von 30 Minuten nicht überschreitet. Nur<br />
dadurch kann ein Abgleiten in tiefere Schlafstadien<br />
vermieden werden, da sonst der<br />
Erholungseffekt durch die dem Erwachen<br />
nachfolgende Schlaftrunkenheit reduziert<br />
wird. In wenigen Studien wurden bis dato<br />
Schlafpausen während einer nächtlichen<br />
Autofahrt untersucht, vor allem in jener Zeit,<br />
wenn der Schlafdruck am größten ist (zwischen<br />
3 und 6 Uhr morgens).<br />
Die Studie: Als TestfahrerInnen wurden<br />
gesunde Frauen und Männer im Erwachsenenalter<br />
ausgesucht, mit ausreichender Lenkerfahrung<br />
(Führerschein seit mindestens 7<br />
Jahren und eine jährliche Fahrdistanz von ca.<br />
10.000 km), die jedoch keine BerufskraftfahrerInnen<br />
waren. Gefahren wurde selbst, ohne<br />
BeifahrerIn im eigenen (gewohnten) Wagen<br />
während 2.00 und 4.00 Uhr in der Nacht auf<br />
einem Rundparcours am Testgelände in Teesdorf/Niederösterreich.<br />
Die Autos der StudienteilnehmerInnen<br />
wurden mit Überwachungsgeräten<br />
(GPS-Sender, Videokameras, tragbare<br />
EEG-Geräte) ausgestattet, und alle Daten<br />
wurden auch aufgezeichnet (Abb. 2). Jeweils<br />
vor Fahrtantritt und nach der Fahrt mussten<br />
die TestfahrerInnen eine Reihe von Fragebögen<br />
(z. B. Karolinska-Schläfrigkeitsskala,<br />
Beurteilung der Befindlichkeit) und psycho-
metrische Tests durchführen (Aufmerksamkeits-<br />
und Konzentrationstests).<br />
Nach eineinhalb Stunden Fahrzeit hatte ein<br />
Teil der FahrerInnen die Möglichkeit, eine<br />
30-minütige Pause zu machen, in der sie<br />
auch schlafen konnten. Die Zuteilung zu<br />
einer der Gruppen erfolgte per Los. Danach<br />
mussten sie nochmals <strong>für</strong> eine halbe Stunde<br />
auf die Fahrstrecke. Um zu kontrollieren, ob<br />
die TestfahrerInnen in der Pause auch tatsächlich<br />
schlafen konnten, wurde eine<br />
Schlaf-Polygrafie (PSG) durchgeführt. Um<br />
den Effekt der Schlafpause auf Aufmerksamkeit,<br />
Konzentration, Reaktionsgeschwindigkeit,<br />
Befindlichkeit und Müdigkeit<br />
zu untersuchen, wurden die Ergebnisse der<br />
Testung vor den Nachtfahrten mit denen<br />
danach verglichen.<br />
Für die Teilnahme an der Studie wurden 60<br />
Personen ausgewählt (Durchschnittsalter:<br />
40,8a +/–7,03; 26 Frauen). Die Testfahrten<br />
fanden zwischen September und Dezember<br />
2010 statt, und jede Person musste in den<br />
Testnächten etwa 80 km zurücklegen.<br />
Abb. 2: Datenaufzeichnung während der Testfahrten<br />
Vorläufige Ergebnisse: Nach den nächtlichen<br />
Autofahrten zeigte sich bei allen StudienteilnehmerInnen<br />
ein hohes Maß an subjektiv<br />
empfundener Müdigkeit/Schläfrigkeit.<br />
Allerdings waren die objektiv nachweisbaren<br />
Einschränkungen in der Aufmerksamkeitsund<br />
Konzentrationsleistung nicht so gravierend,<br />
dass gröbere Fehler beim Lenken der<br />
Fahrzeuge auftraten.<br />
Bei 20 der 28 TestfahrerInnen in der „Schlafpausenbedingung“<br />
(11 Frauen, 17 Männer)<br />
wurde eine PSG durchgeführt, und 12 Personen<br />
(63 %) sind auch nachweislich eingeschlafen<br />
(darunter 6 Frauen). Im Durchschnitt<br />
benötigten die TestfahrerInnen 10 Minuten,<br />
um einzuschlafen. 2 Personen schliefen nur<br />
leicht, allerdings mit den typischen Merkmalen<br />
des Schlafstadiums N1 (Vigilanzabfall,<br />
Verlangsamung der kortikalen Aktivität), 8 zeigten<br />
Charakteristika des Stadium N2 (Schlafspindeln<br />
und K-Komplexe), und 2 Personen<br />
erreichten das Stadium N3 (Deltawellen).<br />
Die überwiegende Mehrheit der TestfahrerInnen<br />
(89 %) war auch subjektiv der Meinung,<br />
Zusammengestellt <strong>für</strong> den<br />
Beirat „Schlafstörungen“:<br />
Gerhard Klösch, MPH Dr. Doris Moser<br />
Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Wien, AKH Wien<br />
in der Pause, wenn nicht geschlafen, dann<br />
zumindest gedöst zu haben. Lediglich 3 Personen<br />
waren der Meinung, während der<br />
Pause gar nicht geschlafen zu haben. Ein<br />
Vergleich der Testleistungen zwischen den<br />
Personen, die in der Pause tatsächlich<br />
geschlafen hatten, mit denen, die nicht<br />
geschlafen hatten, zeigte keine signifikanten<br />
Unterschiede. Im Gegensatz dazu konnten<br />
deutlich individuell geprägte Reaktions -<br />
muster gefunden werden. Das Geschlecht<br />
und das Alter dürften dabei ebenso eine<br />
Rolle spielen wie auch der Chronotyp. Ausgeprägte<br />
Morgenmenschen tolerieren Fahrten<br />
in den frühen Morgenstunden besser als<br />
ausgeprägte Abendmenschen, und Frauen<br />
tendierten dazu, im Laufe der 2-stündigen<br />
Autofahrt etwas langsamer zu fahren als<br />
Männer.<br />
Zusammenfassend kann aus jetziger Sichtung<br />
der Datenlage festgehalten werden,<br />
dass nächtliche Autofahrten unter möglichst<br />
realistischen Fahrbedingungen zu anderen<br />
Ergebnissen führen als Fahrsimulatorstudien.<br />
Es zeigte sich, dass TestfahrerInnen deutlich<br />
„wacher“ und daher auch in ihrer Fahrleistung<br />
besser waren, als das Studien unter<br />
Laborbedingungen vermuten lassen.<br />
Andere vorliegende Studienergebnisse sprechen<br />
auch da<strong>für</strong>, dass Power Naps während<br />
einer nächtlichen Autofahrt den Schlafdruck<br />
signifikant reduzieren und dadurch die<br />
Befindlichkeit verbessern. Allerdings sollte<br />
dabei genau auf die Dauer (maximale Schlafzeit:<br />
20 Minuten) geachtet werden, um ein<br />
Abgleiten in den Tiefschlaf zu verhindern.<br />
Danksagung: Die AutorInnen bedanken sich<br />
bei den Firmen B.E.S.T. medical systems Dr.<br />
Grossegger und SOMNOmedics <strong>für</strong> die technische<br />
Unterstützung. n<br />
87
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neurorehabilitation<br />
ICF – Anwendungen in der <strong>Neurologie</strong><br />
Vor nunmehr 10 Jahren wurde die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und<br />
Gesundheit“ (ICF) im Rahmen der 54. WHO-Vollversammlung verabschiedet. Diese Klassifikation bietet einen<br />
einheitlichen Rahmen zur Beschreibung von krankheitsbezogenen Einschränkungen der Funktionsfähigkeit<br />
(Behinderung).<br />
DDie ICF enthält zwei Hauptbereiche:<br />
Teil 1: Funktionsfähigkeit/Behinderung<br />
bezieht sich auf die Durchführung von<br />
Aufgaben und Handlungen (9 Domänen)<br />
sowie auf (Störungen von) Körperfunktionen<br />
und -strukturen (8 Domänen).<br />
Teil 2: Kontextfaktoren (5 Domänen) können<br />
als Förderfaktoren oder als Barrieren<br />
wirksam werden.<br />
Damit können letalitäts- und mortalitätsbezogene<br />
Daten, die mit der ICD-10 erfasst werden,<br />
um gesundheits- und morbiditätsbezogene<br />
Daten vor dem Hintergrund der jeweiligen<br />
Kontextfaktoren erweitert werden<br />
(Abb.).<br />
Informationen über Funktionsfähigkeit,<br />
Behinderung und Gesundheit sind wesentlich<br />
<strong>für</strong> einheitliche Gesundheitsberichte, <strong>für</strong> die<br />
Planung und Entwicklung von Dienstleistungssystemen<br />
und <strong>für</strong> die Bewertung von<br />
Interventionen unterschiedlichster Art 1 . Um<br />
diese Ziele verfolgen zu können, sind standardisierte<br />
und harmonisierte Datenerfassungsmethoden<br />
unerlässlich. Die ICF deckt diese<br />
Bedürfnisse weitgehend ab und entwickelt<br />
sich zunehmend zu diesem Standard.<br />
Insgesamt umfasst die Klassifikation 1.424<br />
Einzelkonstrukte. Ein Beispiel <strong>für</strong> einen<br />
Datensatz zur optimalen und minimalen<br />
Erhebungen gesundheitsrelevanter Informationen<br />
ist in der Tabelle angeführt. Die Auswahl<br />
der einzelnen Konstrukte obliegt jedoch<br />
erfahrenen AnwenderInnen. Die WHO empfiehlt,<br />
mit 3–18 Konstrukten zur Beschreibung<br />
der individuellen Funktionsfähigkeit<br />
auszukommen.<br />
88<br />
Abb.: ICD und ICF als ergänzende Systeme<br />
Umweltbezogener Kontext (ICF: exxx.x)<br />
Personenbezogener Kontext (Alter, Geschlecht, Bildung, ...)<br />
Produkte/<br />
Technologien<br />
Aufgaben<br />
Handlungen<br />
(ICF: dxxx.x)<br />
Umwelt/Klima<br />
Standardisierte Anwenderschulung: Eine<br />
besondere Herausforderung stellt die Erfassung<br />
des Schweregrades der jeweiligen Einschränkung<br />
(leicht – mittel – schwer – nicht<br />
möglich) dar. Im Anhang 2 der Klassifikation<br />
finden sich zwar Angaben zu Kodierungskonventionen.<br />
Problematisch erscheint jedoch<br />
die Skalierung von Bereichen, <strong>für</strong> die keine<br />
standardisierten Assessment-Verfahren publiziert<br />
sind (z. B. d175: einfache/komplexe Probleme<br />
lösen; d240: mit Stress/Verantwortung<br />
umgehen; d7203: sozialen Regeln gemäß<br />
interagieren).<br />
Daher erfordert die Anwendung der ICF eine<br />
eingehende und standardisierte Schulung,<br />
wie sie in den ersten Jahren nicht zur Verfügung<br />
stand. Seit Sommer 2010 wird von der<br />
ICF Research Branch Group ein „ICF eLear-<br />
Krankheit<br />
Diagnose<br />
(ICD-10)<br />
Manifestation<br />
Folgen<br />
Unterstützung<br />
Beziehung<br />
Einstellungen<br />
und Werte<br />
Körperfunktion<br />
Körperstruktur<br />
(ICF: b/sxxx.x)<br />
Dienste, Systeme,<br />
Handlungsgrundsätze<br />
ning Tool“ angeboten. Ziel dieser Initiative ist<br />
es, die unterschiedlichen Anwenderschulungen<br />
zu homogenisieren und zu standardisieren<br />
2 .<br />
Mittlerweile gibt es eine Fülle von Literatur,<br />
die sich mit unterschiedlichen Themenbereichen<br />
im Zusammenhang mit konzeptionellen<br />
Fragen, der Entwicklung von ICF-basierten<br />
Assessment-Verfahren sowie Fragen der<br />
Anwendung im klinischen, rehabilitativen<br />
und sozialpolitischen Kontext auseinandersetzt<br />
(Übersicht bei Cerniauskaite et al. 3 ).<br />
In Österreich wurde die ICF im Jahre 2004<br />
erstmals in den ÖBIG-Rehabilitationsplan aufgenommen.<br />
Die ÖGNR empfiehlt bereits seit<br />
2001 eine einheitliche Basisdokumentation<br />
mit erprobten Skalen, welche die Lebensbereiche<br />
„Kommunikation“, „Mobilität“, „fein-
Tab.: ICF Research Branch: Minimal Generic Set (MGS)<br />
ICF code Bezeichnung<br />
Mobilität b455 Kardiorespiratorische Belastbarkeit<br />
b710 Gelenksbeweglichkeit<br />
b730 Muskelkraft<br />
d450 Gehen<br />
d455 Sich auf andere Weise fortbewegen<br />
d470 Transportmittel benutzen<br />
Selbstversorgung d510 Sich waschen<br />
d540 Sich kleiden<br />
d570 Auf seine Gesundheit achten<br />
Schmerz b280 Schmerz<br />
Interpersonelle Aktivitäten d710 Elementare interpersonelle Aktivitäten<br />
d920 Erholung und Freizeit<br />
Schlaf und Energie b130 Psychische Energie und Antrieb<br />
b134 Funktionen des Schlafes<br />
Affekt b152 Emotionale Funktionen<br />
b640 Sexuelle Funktionen<br />
d240 Mit Stress/anderen psychischen<br />
Anforderungen umgehen<br />
d640 Hausarbeiten erledigen<br />
d660 Anderen helfen<br />
d770 Intime Beziehungen aufnehmen/<br />
aufrechterhalten<br />
Allgemeine Aufgaben/ d230 Die tägliche Routine durchführen<br />
Anforderungen d850 Bezahlte Tätigkeit ausüben<br />
Fett = Items <strong>für</strong> die Minimalliste: bxxx = Ebene: Körperfunktionen; dxxx = Ebene: Handlungen/Aufgaben<br />
Zusammengestellt <strong>für</strong> den Beirat „Neurorehabilitation“:<br />
OA Dr. Klemens Fheodoroff<br />
Abteilung <strong>für</strong> Neurorehabilitation, Gailtal-Klinik Hermagor<br />
motorischer Handgebrauch“ und „Selbstversorgung“<br />
sowie die Körperfunktionen „Orien -<br />
tierung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis“,<br />
„Harn- und Stuhlkontrolle“ sowie „Schmerzen“<br />
abdecken 4 .<br />
Im September 2011 wurden die Qualitätskriterien<br />
<strong>für</strong> die Rehabilitation des Hauptverbandes<br />
der österreichischen Sozialversicherungsträger<br />
aktualisiert. Das Kriterium „Zielvereinbarungen<br />
nach ICF“ wurde neu aufgenommen.<br />
Damit wird der Fokus in Richtung Ziele<br />
und Maßnahmenplanung/-bewertung verschoben.<br />
Dies entspricht durchaus der<br />
gegenwärtigen Neurorehabilitationspraxis,<br />
erlaubt jedoch zusätzlich eine Zuordnung der<br />
gesetzten Ziele zu den Hauptdomänen der<br />
ICF. Damit kann die individuelle Patientenorientierung<br />
leichter erfasst und überprüft werden.<br />
n<br />
1 Leonardi M et al., Integrating research into policy<br />
planning: MHADIE policy recommendations. Disabil<br />
Rehabil 2010; 32:139–147<br />
2 www.icf-research-branch.org/educationicf-training/<br />
icf-e-learning-tool.html<br />
3 Cerniauskaite M et al., Systematic literature review on<br />
ICF from 2001 to 2009: its use, implementation and<br />
operationalisation. Disabil Rehabil 2011; 33:281–309<br />
4 www.neuroreha.at/SkalenDownload.html<br />
89
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Schlaganfall<br />
Ergebnisse des<br />
12. Stroke-Unit-Betreibertreffens in Wien<br />
Schlaganfall-Register: Am 18. November<br />
fand im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder<br />
Wien das 12. Stroke-Unit-Betreibertreffen<br />
statt. Dabei wurden von Mag. Gollmer<br />
(Bundesinstitut <strong>für</strong> Qualität im Gesundheitswesen,<br />
BIQG) die Ergebnisse des gemeinsamen<br />
Schlaganfall-Registers berichtet: Mit<br />
über 70.000 konsekutiv dokumentierten<br />
Schlaganfall-PatientInnen handelt es sich um<br />
eines der umfassendsten Schlaganfall-Re -<br />
gister der Welt. Der Anteil der PatientInnen<br />
mit ischämischem Schlaganfall, die eine sys -<br />
temische Thrombolyse erhalten, steigt kontinuierlich<br />
und liegt nun österreichweit im<br />
Mittel bei 18 %. Immer mehr PatientInnen<br />
erreichen frühzeitig eine der Stroke Units<br />
und können daher im „therapeutischen Zeitfenster“<br />
von 4 ½ Stunden behandelt werden.<br />
Die Möglichkeiten zur Verbesserung der Zeitabläufe<br />
im Spital („Door-to-Needle time“,<br />
DNT) war Thema einer „Benchmarking“-Veranstaltung<br />
im Rahmen des Treffens. Möglichkeiten<br />
zur weiteren Optimierung der DNT<br />
sind eine häufigere Ankündigung (Aviso)<br />
durch die Rettung, Laboruntersuchungen am<br />
Krankenbett (Gerinnung etc.) und Beginn der<br />
Thrombolyse bereits unmittelbar nach der<br />
Bildgebung (CCT, MRT) bei Krankenhäusern<br />
mit großer räumlicher Trennung zwischen<br />
Die <strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Schlaganfallforschung<br />
(ÖGSF), die in diesem Jahr in<br />
<strong>Österreichische</strong> Schlaganfall-<strong>Gesellschaft</strong><br />
umbenannt wurde, lädt zur 15. Jahrestagung<br />
am 26.–28. Jänner 2012 ein. Die Tagung wird<br />
von Univ.-Prof. Dr. Johann Willeit (Präsident<br />
90<br />
den Einrichtungen der Bildgebung und der<br />
Stroke Unit.<br />
Die endovaskuläre Behandlung bei proximalen<br />
Verschlüssen der A. cerebri media bzw.<br />
der A. basilaris wird in zunehmendem Maße<br />
eingesetzt. Die mechanische Rekanalisation<br />
mit auf- und wieder zusammenklappbaren<br />
Stents hat die Rekanalisationsrate erhöht und<br />
die Zeit bis zur Rekanalisation verkürzt. Es<br />
wurde ein österreichweites, einheitliches Datenblatt<br />
besprochen, und dieses soll – nach<br />
einigen Änderungen – im Jänner (nach der<br />
Schlaganfall-Tagung) freigegeben werden.<br />
Besonders erfreulich ist die gemeinsame wissenschaftliche<br />
Auswertung des Schlaganfall-<br />
Registers: Im Jahr 2010 wurden zwei Arbeiten<br />
in internationalen Top-Journalen zu Themen<br />
TIA und Ablauforganisation der<br />
Thrombolyse (Neurology, Stroke) veröffentlicht.<br />
Auch in diesem Jahr erschienen zwei<br />
Arbeiten: eine befasst sich mit den Hubschraubertransporten<br />
an die Stroke Units<br />
(Stroke). In der zweiten Arbeit (Neurology)<br />
wurde der Einfluss des Alters auf die Rehabilitation<br />
nach Schlaganfall untersucht.<br />
Stroke on Awakening: Bei der heurigen Tagung<br />
stellte Dr. Topakian (Wagner-Jauregg-KH<br />
Linz) eine Auswertung der Schlaganfälle vor,<br />
15. Jahrestagung der <strong>Österreichische</strong>n<br />
Schlaganfall-<strong>Gesellschaft</strong> (ÖGSF)<br />
der <strong>Gesellschaft</strong>) und Univ.-Prof. Dr. Stefan<br />
Kiechl (Tagungspräsident) organisiert. Inhalte<br />
der Tagung sind:<br />
Pflegesymposium (26. 1. 2012)<br />
Ein wesentlicher Grund <strong>für</strong> die Umbenen-<br />
die in der Früh beim Erwachen (Stroke on Awakening)<br />
bemerkt werden und einen unklaren<br />
Ereignisbeginn haben. Bei ca. 25 % der PatientInnen,<br />
die an der Stroke Unit aufgenommen<br />
werden, ist der Beginn des Ereignisses<br />
unklar. Meist handelt es sich um Schlaganfälle<br />
beim Erwachen. Das MRT kann Kernzone des<br />
Infarkts von der Randzone (Penumbra) abgrenzen,<br />
was zunehmend als Entscheidungskriterium<br />
<strong>für</strong> den Einsatz einer systemischen Thrombolyse<br />
oder einer endovaskulären Therapie<br />
dient. Die Vorgangsweise erwies sich als sicher<br />
(sekundäre Einblutung). Der Einsatz der Thrombolyse<br />
war ein Prädiktor <strong>für</strong> ein günstiges funktionelles<br />
Ergebnis nach 3 Monaten.<br />
Spastik: Eine Stichprobenerhebung an Stroke<br />
Units und Einheiten der Frührehabilitation<br />
(Phase B) ergab, dass 43 von 199 PatientInnen<br />
unter einer Spastik leiden. Betroffen<br />
waren insbesondere PatientInnen mit einem<br />
niedrigen Barthel-Index bzw. einem hohen<br />
Wert nach der Rankin-Skala. Bei 19 der 43<br />
betroffenen PatientInnen war die Spastik bereits<br />
zu einem frühen Zeitpunkt nach der<br />
Akutbehandlung des Schlaganfalls (Stroke<br />
Unit/Phase B) behandlungsbedürftig: Alle 19<br />
PatientInnen erhielten eine Neurophysiotherapie,<br />
7 zusätzlich Botulinumtoxin und 5 orale<br />
Antispastika. n<br />
nung der <strong>Gesellschaft</strong> war die Einbeziehung<br />
aller Personen, die sich dem Thema Schlaganfall<br />
widmen. Zum zweiten Mal wird die<br />
Tagung daher mit dem Pflegesymposium eröffnet.<br />
Durch die intensive Zusammenarbeit<br />
von Pflege, Medizin und Rehabilitation konn-
ten Fortschritte bei der Akutbehandlung des<br />
Schlaganfalls erzielt werden, und die Zusammenarbeit<br />
ist die Basis <strong>für</strong> weitere Fortschritte.<br />
Inhalte des Symposiums sind: Ablauforganisation<br />
(Aufnahme-Assessment), Konzepte<br />
der Mobilisation, Früherkennung und<br />
Maßnahmen zur Erfassung von Schlaganfallkomplikationen,<br />
Ernährung und Dysphagie-<br />
Abklärung und rechtliche Aspekte bei freiheitsentziehenden<br />
Maßnahmen.<br />
Fortbildungsakademie <strong>für</strong> Ärzte<br />
(26.–27. 1. 2012)<br />
Die Fortbildung ist durch Interdisziplinarität<br />
(<strong>Neurologie</strong>, Kardiologie, Hämostaseologie,<br />
Herz-Thorax-Chirurgie, interventionelle Radiologie,<br />
Neurochirurgie) und die Aufbereitung<br />
der Themen in Form von Impulsrefe -<br />
raten mit Diskutanten geprägt. Themen sind<br />
i. v. Thrombolyse oder endovaskuläre Therapie<br />
– was <strong>für</strong> wen? Intravenöse Thrombolyse<br />
– jenseits der Zulassung; Operation versus<br />
Stent bei symptomatischer Karotisstenose;<br />
Operation versus<br />
Stent versus medikamentöse<br />
Therapie bei asymptomatischer<br />
Karotisstenose; medikamentöse<br />
versus endovaskuläre Therapie<br />
intrakranieller Stenosen; extra-/<br />
intrakranieller Bypass, wo stehen<br />
wir? Gibt es einen akzeptierten<br />
Test <strong>für</strong> die Plättchenfunktion?<br />
Neue Plättchenfunktionshemmer:<br />
Indikationsbereiche bei InsultpatientInnen;Vitamin-K-Antagonisten,<br />
Dabigatran, Rivaroxaban,<br />
Apixaban – was <strong>für</strong> wen?<br />
Um- und Einstellung auf die<br />
neuen Antikoagulantien – wie<br />
geht man vor? Thromboembolisches<br />
Risiko bei verschiedenen<br />
Klappenprothesen; Besteht noch<br />
Raum <strong>für</strong> den PFO-Verschluss?<br />
Schlaganfall durch Kopfschmerz<br />
– Kopfschmerz durch Schlaganfall;<br />
LDL-Zielwerte beim Schlag-<br />
Zusammengestellt im Namen des Beirats „Schlaganfall“:<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang<br />
Abteilung <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Wien<br />
anfall – 70 oder 100? Diabetestherapie an<br />
der Stroke Unit.<br />
Wissenschaftliches Programm<br />
(27.–28. 1. 2012)<br />
Die Hans-Chiari-Vorlesung wird Prof. Bo<br />
Norrving, Lund, Schweden über den juvenilen<br />
Schlaganfall halten. Prof. Norrving ist Präsident<br />
der World Stroke Organisation (WSO)<br />
und einer der Koordinatoren der Fabry-Studie.<br />
Es handelt sich um die weltweit größte<br />
Studie zum juvenilen Schlaganfall, die Genetik,<br />
MR-Bildgebung und eine detaillierte Abklärung<br />
der Ätiopathogenese umfasst.<br />
Vorhofflimmern: Auswertungen des österreichischen<br />
Schlaganfall-Registers zeigen die<br />
Bedeutung des Vorhofflimmerns (VHF): In der<br />
Altersgruppe von 76–85 Jahren fand sich bei<br />
38,5 % der PatientInnen VHF als Ursache des<br />
Schlaganfalls. In der Altersgruppe über 85<br />
Jahre lag die Inzidenz des VHF bei 47,9 %.<br />
Hörsäle Medizinzentrum Anichstraße,<br />
Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Innsbruck<br />
Informationen:<br />
Kongress-Sekretariat (simone.kluckner@uki.at)<br />
und www.oegsf.at<br />
Die Detektion eines paroxysmalen VHF nach<br />
einem stattgehabten ischämischen Ereignis ist<br />
von entscheidender Bedeutung <strong>für</strong> die Wahl<br />
der geeigneten Sekundärprävention. Zur Detektion<br />
des Vorhofflimmerns wurde eine multizentrische<br />
Studie mit implantierten EKG-Recordern<br />
durchgeführt. Prof. Krieger, Kopenhagen,<br />
wird Ergebnisse berichten. Als Alternative<br />
zur oralen Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten<br />
(Marcoumar ® , Sintrom ® ) wurde der<br />
Thrombininhibitor Dabigatran (Pradaxa ® ) in<br />
Europa zugelassen. Eine zweite Substanz, der<br />
Faktor-Xa-Antagonist Rivaroxaban, wurde in<br />
den USA zugelassen und steht kurz vor der<br />
Zulassung in Europa. Auch die dritte Substanz<br />
ist ein Faktor-Xa-Antagonist (Apixaban) und<br />
war bei der Vorbeugung von Schlaganfall und<br />
peripherer Embolie bei Vorhofflimmern wirksamer<br />
als die Vitamin-K-Antagonisten. Eine<br />
Zulassung in den USA und in Europa wurde<br />
beantragt. Was diese neuen Substanzen <strong>für</strong><br />
die <strong>Neurologie</strong> bedeuten werden, ist Inhalt des<br />
Hauptthemas (Prof. Kyrle, Wien).<br />
Die Akuttherapie, das zweite Hauptthema,<br />
stellt ebenfalls einen Höhepunkt der Tagung<br />
dar. Prof. Grotta, Houston, Texas, ist einer<br />
der Pioniere bei der Entwicklung neuer Behandlungsstrategien<br />
des Schlaganfalls. Die<br />
systemische Thrombolyse, neue Thrombolytika,<br />
mechanische Rekanalisation und Neuroprotektion<br />
sind die Inhalte des Vortrags. Prof.<br />
Franz Aichner, Linz, wird die bisherige Entwicklung<br />
und die Perspektiven der Schlaganfall-Versorgung<br />
in Österreich darstellen.<br />
Der Arteriosklerose-Forschung, Biomarkern<br />
und der Sekundärprävention widmet sich das<br />
dritte Hauptthema, das mit international prominenten<br />
ReferentInnen besetzt ist. Neben<br />
den Hauptthemen sollen in gewohnter Weise<br />
die Ergebnisse der Schlaganfall-Forschung in<br />
Österreich berichtet werden. Die <strong>Österreichische</strong><br />
Schlaganfall-<strong>Gesellschaft</strong> ist auch stolz,<br />
bei der Tagung ihren Wissenschaftspreis vergeben<br />
zu können! n<br />
91
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neuromuskuläre Erkrankungen<br />
Ultraschall in der Diagnostik der ALS<br />
DDie Diagnostik der amyotrophen Lateralsklerose<br />
(ALS) basiert auf dem klinischen Verlauf,<br />
der klassischen Elektrophysiologie und Kriterien<br />
wie den ALS-El-Escorial-Kriterien, zu<br />
denen es zusätzlich elektrophysiologische Kriterien<br />
gibt1 . Lediglich bei einer kleinen Gruppe<br />
bestehen genetische Veränderungen. Zusätzlich<br />
zu der elektrophysiologischen Diagnostik<br />
sind weitere Biomarker bei der<br />
Diagnose erwünscht.<br />
Zwei Publikationen2, 3 und ein Editorial4 beschäftigen<br />
sich mit der Rolle der Ultraschalldiagnostik<br />
bei der Diagnose der ALS.<br />
Einerseits werden periphere Nerven und<br />
Muskeln morphologisch untersucht, andererseits<br />
wird der Nachweis der Faszikulationen<br />
im Ultraschall (US) hervorgehoben,<br />
was besonders bei schlecht zugänglichen<br />
Muskeln, wie der Zunge, eine wichtige<br />
Rolle spielt.<br />
Abb. 1: Peripherer Nerv im US: N. medianus längs (A)<br />
und quer (B)<br />
A<br />
B<br />
92<br />
Morphologische Untersuchung<br />
peripherer Nerven und Muskeln<br />
Die US-Untersuchungen der Studie von<br />
Cartwright et al. 2 wurden mit einer 18-MHz-<br />
Sonde durchgeführt, und alle Untersuchungen<br />
wurden im Seitenvergleich erfasst. Die<br />
Querschnittsfläche des N. medianus war signifikant<br />
gegen die Kontrollen vermindert,<br />
während die Querschnittsfläche der Nn. surales<br />
gleich war. Diese Ergebnisse wurden auf<br />
den Verlust von motorischen Axonen in der<br />
ALS-Gruppe zurückgeführt. Bei der Muskulatur<br />
wurde lediglich auf den reduzierten<br />
Durchmesser eingegangen und die Echotextur<br />
nicht weiter beschrieben. Allerdings fand<br />
sich bei zahlreichen anderen Muskeln eine<br />
Verminderung der Dicke, verglichen mit Normalpersonen.<br />
Damit wird resümiert, dass die<br />
Ultraschallmessung von gemischten senso-<br />
motorischen Nerven und Muskeln zu zukünftigen<br />
Biomarkern bei der ALS zählen könnten.<br />
In der Diskussion wird auf die Problematik<br />
der unterschiedlichen Verteilung und<br />
Beteiligung der Muskeln bei der ALS und der<br />
damit verbundenen lokalisatorischen Schwierigkeiten<br />
eingegangen. Möglicherweise kann<br />
das US-Monitoring von einzelnen Muskelgruppen<br />
im Verlauf hilfreich sein<br />
Diskussion: Neben den klinischen und konventionellen<br />
NLG/EMG-Methoden sind bisher<br />
keine apparativ diagnostischen Methoden<br />
bekannt, die Eingang in den praktischen Alltag<br />
gefunden haben. Zusätzliche objektivierbare<br />
morphologische Messungen des peripheren<br />
Nervensystems könnten sinnvolle Ergänzungen<br />
des diagnostischen Spektrums<br />
sein. Bereits bei anderen neuromuskulären<br />
Krankheiten wie CMT, CIDP und multifokaler<br />
Abb. 2: US der Zunge: typische „Mickey Mouse“-artige<br />
Form. Mit dieser Technik können Zungenbewegungen<br />
und Faszikulationen gesehen werden.
Neuropathie mit Leitungsblock wurden bereits<br />
im Ultraschall Nervenverdickungen festgestellt,<br />
die zur Diagnose beitragen.<br />
US und Faszikulationen<br />
In der Publikation von Misawa et al. 3 , die in<br />
Neurology erschien, weisen die AutorInnen<br />
auf die nichtinvasive und schmerzlose Technik<br />
hin, die es erlaubt, Muskelkontraktionen, Faszikulationen<br />
und möglicherweise sogar Fibrillationen<br />
im US zu erkennen. Mit der US-Methode<br />
können Faszikulationen festgestellt<br />
werden, was auch in der Arbeit von Misawa<br />
et al. beschrieben wird. Hier konnte festgestellt<br />
werden, dass US sensitiver in der Zunge,<br />
im M. biceps und M. tibialis ant. gegenüber<br />
dem Nadel-EMG ist. In der Zusammenfassung<br />
der Studie werden die leichte Anwendbarkeit<br />
und bessere Empfindlichkeit unterstrichen.<br />
Besonders in der Zunge sind Nadel-EMG-Untersuchungen<br />
nicht nur unangenehm, sondern<br />
auch weniger aussagekräftig. Ein weiteres<br />
wichtiges Argument ist die Betonung<br />
der Wichtigkeit der Faszikulationen bei den<br />
elektrophysiologischen Kriterien 1 .<br />
Kommentar<br />
Zusammengestellt im Namen des Beirats<br />
„Neuromuskuläre Erkrankungen“:<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr.<br />
Wolfgang Grisold<br />
Neurologische Abteilung,<br />
Kaiser-Franz-Josef-Spital,<br />
Wien<br />
Abb. 3: Muskelultraschall: Texturveränderungen der Muskulatur bei einer Patientin mit Myopathie (A);<br />
Muskelbiopsie (B) (Pathol. Institut KFJ, Prof. Klimpfinger)<br />
A<br />
B<br />
Diese beiden Arbeiten machen einerseits auf<br />
die Möglichkeit einer quantitativen Erfassung<br />
von Nerven und Muskeln aufmerksam, andererseits<br />
wird in der Studie von Misawa in<br />
einem Vergleich die große Aussagekraft des<br />
Muskelultraschalls gegenüber dem Nadel-<br />
EMG demonstriert. In beiden Artikeln wird<br />
Dr. Stefan Meng<br />
FA <strong>für</strong> Radiologie,<br />
Zentralröntgeninstitut,<br />
Kaiser-Franz-Josef-<br />
Spital, Wien<br />
die Textur des Muskels nicht ausgewertet, die<br />
aus unserer Sicht Hinweise <strong>für</strong> verändertes<br />
Muskelgewebe (z. B. Atrophie bei neurogenen<br />
Schäden) zulässt. Besonders die sorgfältige<br />
Untersuchung zum Thema Faszikulationen<br />
untermauert den zunehmenden Stellenwert<br />
des Ultraschalls und insgesamt der<br />
Bildgebung in der neuromuskulären Diagnos -<br />
tik. n<br />
1 De Carvalho M, Dengler R, Eisen A et al., Electro -<br />
diagnostic criteria for the diagnosis of ALS. Clin<br />
Neurophysiol 2008; 119:497–503<br />
2 Cartwright MS, Walker FO, Griffin LP et al. Peripheral<br />
nerve and muscle ultrasound in amyotrophic lateral<br />
sclerosis. Muscle Nerve 2011; 44(3):346–51<br />
3 Misawa S, Noto Y, Shibuya K et al., Ultrasonographic<br />
detection of fasciculations markedly increases diagnostic<br />
sensitivity of ALS. Neurology 2011; 77:1532<br />
4 Swash M, de Carvalho M, Muscle ultrasound detects<br />
fasciculations and facilitates diagnosis in ALS.<br />
Neurology 2011; 77:1508<br />
93
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Demenz<br />
Der Effekt der AD-Risikofaktoren-Reduktion<br />
auf die Alzheimer-Prävalenz<br />
DDie Alzheimer-Demenz (AD) ist eine progrediente<br />
neurodegenerative Hirnerkrankung,<br />
die im Verlauf zu kognitiven Defiziten und<br />
damit zum Verlust der Selbstständigkeit und<br />
letztlich zu Persönlichkeitsstörungen führt.<br />
Die Prävalenz steigt dramatisch an. Derzeit<br />
leiden weltweit etwa 34 Millionen Menschen<br />
an der Alzheimer-Erkrankung. Laut Prognosen<br />
sollen 2030 bereits 63 Millionen, und im<br />
Jahr 2050 sogar 114 Millionen Menschen betroffen<br />
sein1 . In den kommenden Jahren liegen<br />
daher die Forschungsziele im Bereich Prävention,<br />
Früherkennung und krankheitsmodifizierender<br />
Therapien.<br />
„The Bad Seven“ sind Treiber<br />
der Alzheimer-Krankheit –<br />
nicht Verursacher<br />
Was unter Alzheimer-Prävention gemeint ist,<br />
soll durch ein Beispiel aus dem Hochwasserschutz<br />
klar werden: Die Hochwasser-Schutzmaßnahmen<br />
verhindern kein Hochwasser. Sie<br />
beeinflussen nicht die Regenmenge, nicht die<br />
Beschaffenheit des Bodens, nicht das Berggefälle,<br />
aber sie beeinflussen die Art und<br />
Abb.: The bad 7<br />
94<br />
Weise des Wasserablaufs mit dem Ziel der<br />
Schadensminimierung <strong>für</strong> Menschen und Objekte.<br />
So ähnlich kann auch die Alzheimer-<br />
Vorsorge gesehen werden: AD-Risikofaktoren<br />
wie Alter, Geschlecht, Genom (z. B. APOE4)<br />
sind unbeeinflussbare Größen – aber Beginn<br />
und Verlauf (Symptomprogression) der klinischen<br />
Alzheimer-Symptomatik werden durch<br />
Beachtung oder Beseitigung angeführter Faktoren<br />
positiv beeinflusst.<br />
Im Folgenden werden die „Demenztreiber“<br />
durch Angabe der weltweiten Prävalenz, des<br />
relativen Risikofaktors und der Vorsorgewirkung<br />
bei 10 % bzw. 20 % Prävalenzminderung<br />
beschrieben 2 :<br />
Bewegungsmangel<br />
Häufigkeit: 17,7 % aller Menschen sind bewegungsträge<br />
(Bewegungsmangel betrifft<br />
Frauen, SeniorInnen und StadtbewohnerInnen<br />
am häufigsten)<br />
Risikofaktor: 1,8 <strong>für</strong> Alzheimer, 1,4 <strong>für</strong> alle<br />
Demenzen; d. h. um 80 % erhöhtes Alzheimer-Risiko<br />
gegenüber bewegungsaktiven<br />
Menschen<br />
Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />
würden ca. 380.000<br />
Personen, bei 25 % Reduktion<br />
ca. 1 Million Menschen<br />
die AD nicht erleben.<br />
Diabetes<br />
mellitus Typ II<br />
Häufigkeit: 2010 6,4 %, d.<br />
h. 280 Millionen, 2030 440<br />
Millionen Menschen<br />
Relativer Risikofaktor: 1,4<br />
<strong>für</strong> Alzheimer, d.h. 40 %<br />
erhöhtes Alzheimer-Risiko<br />
<strong>für</strong> unbehandelte DiabetespatientInnen<br />
Vorsorgewirkung: Bei 10 %<br />
Prävalenzreduktion würden<br />
etwa 80.000 Personen,<br />
bei 25 % Reduktion etwa<br />
200.000 Menschen die Alzheimer-Symptomatik<br />
nicht erleben.<br />
Bluthochdruck<br />
Häufigkeit: 9 % weltweit<br />
Risikofaktor: 1,6 (d.h. 60 % erhöhtes Alzheimer-Risiko<br />
der unbehandelten HochdruckpatientInnen<br />
im Vergleich zu Personen mit normalen<br />
Blutdruckwerten). Bluthochdruck im<br />
mittleren Lebensalter (30–60 a) ist verbunden<br />
mit erhöhtem Alzheimer-Risiko.<br />
Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />
würden etwa > 160.000 Personen, bei 25<br />
% Reduktion mehr als 400.000 Menschen die<br />
Alzheimer-Symptomatik nicht erleben müssen.<br />
Übergewicht<br />
Häufigkeit: 3,4 % der Erwachsenen weltweit<br />
waren 2005 im mittleren Alter übergewichtig.<br />
Frauen leiden häufiger an Übergewicht<br />
als Männer. In den Industrieländern<br />
liegt die Übergewichtsrate im mittleren Alter<br />
bei 13 %.<br />
Risikofaktor: 1,8 <strong>für</strong> Alzheimer. Es besteht<br />
ein statistisch signifikanter Zusammenhang<br />
zwischen Übergewicht und Alzheimer. Übergewicht<br />
im mittleren Lebensalter (30–60a)<br />
ist verbunden mit erhöhtem Demenzrisiko.<br />
Übergewicht im späten Lebensalter (> 60a)<br />
ist assoziiert mit einem um 40 % vermindertem,<br />
während Untergewicht im späten<br />
Lebensalter mit einem um 62 % erhöhtem<br />
Demenzrisiko assoziiert ist. 2 % (678.000)<br />
aller Alzheimer-PatientInnen erleben die klinische<br />
Alzheimer-Symptomatik wegen ihres<br />
Übergewichts im mittleren Lebensalter.<br />
Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />
würden etwa 67.000 Personen, bei 25 %<br />
Reduktion etwa 167.000 Menschen, die Alzheimer<br />
nicht erleben müssen.<br />
Zigarettenrauchen<br />
Häufigkeit weltweit 27,4 % (3,9–36 %)<br />
Relativer Risikofaktor: 1,8 <strong>für</strong> Alzheimer, 1,27<br />
<strong>für</strong> alle Demenzarten
Zusammengestellt im Namen<br />
des Beirats „Demenz“:<br />
Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />
würden etwa 412.000 Personen, bei 25<br />
% Reduktion etwa > 1 Million Menschen AD<br />
nicht erleben müssen.<br />
Ausbildung und geistige Aktivität<br />
Häufigkeit: 40 % der Menschen leben mit<br />
geringer Ausbildung (Stichproben von 146<br />
Ländern), 15 % davon haben keine formale<br />
Schulbildung, 25 % besuchten nur die<br />
Grundschule<br />
Risikofaktor: 1,6 <strong>für</strong> Alzheimer<br />
Das Demenzrisiko war um etwa 50 % verringert<br />
bei Personen mit:<br />
hohem Bildungsgrad<br />
beruflicher Herausforderung<br />
hoher Intelligenz<br />
stimulierenden Freizeitaktivitäten.<br />
Das Demenzrisiko ist bei Personen mit geringer<br />
„brain reserve“ um etwa 85 % erhöht.<br />
Vorsorgewirkung: Bei 10 % Prävalenzreduktion<br />
würden etwa 540.000 Personen, bei<br />
25 % Reduktion würden etwa 1,4 Million<br />
Menschen die Alzheimer-Symptomatik nicht<br />
erleben müssen.<br />
Depression<br />
Häufigkeit weltweit: 13 %.<br />
Relativer Risikofaktor: 1,9 <strong>für</strong> Alzheimer<br />
Vorsorgewirkung: Bei 10% Prävalenzreduktion<br />
würden etwa 326.000 Personen, bei 25 %<br />
Reduktion etwa 827.000 Menschen die Alzheimer-Symptomatik<br />
nicht erleben.<br />
Fazit<br />
Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco,<br />
Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />
Medizinische Universität Wien<br />
Falls die Häufigkeit aller 7 „Treiber“ um 10 %<br />
gesenkt würde, gäbe es weltweit eine Million<br />
weniger AD-Patienten, würde sie um 25 %<br />
gesenkt, wären es 3 Millionen. Insgesamt<br />
könnte die Zahl der Patienten mit AD-Symptomatik<br />
weltweit halbiert werden (17,2 Millionen),<br />
falls alle 7 Treiber auf null reduziert<br />
wären. n<br />
1 Wimo A et al., The magnitude of dementia occurrence<br />
in the world. Alzheimer Dis Assoc Sisord 2003; 17(2):63–7<br />
2 www.thelancet.com/neurology, Vol 10, Sep. 2011<br />
D<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr.<br />
Josef Marksteiner<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Reinhold Schmidt<br />
<strong>Österreichische</strong> Alzheimer <strong>Gesellschaft</strong><br />
Aricept ® wird generisch<br />
Ein Statement der <strong>Österreichische</strong>n<br />
Alzheimer <strong>Gesellschaft</strong> zu<br />
möglichen Konsequenzen<br />
Die Wirksamkeit von Acetylcholinesterasehemmern<br />
wurde in multiplen placebokontrollierten<br />
Studien an vielen tausenden PatientInnen<br />
untersucht nachgewiesen.<br />
In Österreich sowie in anderen Ländern wird<br />
ein stadienabhängiges Erstattungsschema <strong>für</strong><br />
Antidementivaverordnungen praktiziert. Die<br />
Erstverordnung und Therapiekontrolle erfolgt<br />
durch FachärztInnen <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> und/oder<br />
Psychiatrie. Anfang des kommenden Jahres<br />
wird Aricept ® (Donepezil) generisch und<br />
könnte bei Zuordnung in die Grüne Box des<br />
Erstattungskodex als bewilligungsfreies Medikament<br />
definiert werden. Eine solche Entwicklung<br />
wird beispielgebend <strong>für</strong> alle anderen Antidementiva<br />
sein, deren Patente auslaufen.<br />
Die <strong>Österreichische</strong> Alzheimer <strong>Gesellschaft</strong><br />
unterstützt einen möglichst frühen und einfachen<br />
Zugang zur Antidementivatherapie,<br />
warnt aber gleichzeitig davor, dass Acetylcholinesterasehemmer<br />
und alle anderen zur<br />
Verfügung stehenden antidementiven Therapieformen<br />
außerhalb der bisher evidenzbasierten<br />
Indikationsstellungen und Kautelen<br />
eingesetzt werden.<br />
Die <strong>Österreichische</strong> Alzheimer <strong>Gesellschaft</strong><br />
hat mehrfach in Konsensus-Statements, zuletzt<br />
im Jahr 2010 1 , darauf hingewiesen, dass<br />
1) die Diagnose einer Alzheimer-Krankheit<br />
mit hoher Spezifität und Sensitivität<br />
gestellt werden kann,<br />
2) die obligatorischen diagnostischen<br />
Schritte strukturiert und sequenziell<br />
erfolgen müssen und<br />
3) fachärztliche Kompetenz erforderlich ist.<br />
Auch der klinische Verlauf einer demenziellen<br />
Erkrankung erfordert stadienspezifische diagnostische<br />
und therapeutische Interventio-<br />
nen, weshalb auch im Krankheitsverlauf eine<br />
fachärztliche Konsultation und Therapiekontrolle<br />
erforderlich ist.<br />
Idealerweise erfolgt die Betreuung von Alzheimer-PatientInnen<br />
in einem multidiszipli -<br />
nären Ansatz, der sowohl FachärztInnen <strong>für</strong><br />
<strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie als auch AllgemeinmedizinerInnen<br />
einbezieht. Im Sinne der<br />
optimalen Versorgung von PatientInnen mit<br />
Demenz spricht die <strong>Österreichische</strong> Alzheimer<br />
<strong>Gesellschaft</strong> im Lichte sich möglicherweise<br />
ändernder Verordnungsrichtlinien <strong>für</strong> Antidementiva<br />
folgende Empfehlungen aus:<br />
1) Die Diagnose, Differenzialdiagnose und<br />
die Therapieeinleitung einer demenziellen<br />
Erkrankung muss weiterhin ausschließlich<br />
über den/die Facharzt/-ärztin <strong>für</strong><br />
<strong>Neurologie</strong> und/oder Psychiatrie erfolgen.<br />
2) Wie bisher besteht die Notwendigkeit<br />
der Feststellung von Therapierespons von<br />
Cholinesterasehemmern unabhängig von<br />
ihrer Boxenzuordnung nach<br />
Erstverordnung mittels strukturierter<br />
fachärztlicher Untersuchung bei<br />
gleichzeitigem Einsatz systematischer<br />
Testverfahren wie Mini Mental State<br />
Examination. Erst nach fachärztlicher<br />
Feststellung des Therapierespons ist die<br />
uneingeschränkte weitere Verordnung zu<br />
unterstützen. n<br />
Für die <strong>Österreichische</strong> Alzheimer<br />
<strong>Gesellschaft</strong>:<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Josef Marksteiner<br />
(Präsident)<br />
Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt<br />
(Past-Präsident)<br />
1 Neuropsychiatrie 2010; 24(2):67–87)<br />
95
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Autonome Störungen<br />
Intakte Olfaktion als Schlüsselmerkmal der<br />
Multisystematrophie vom Parkinson-Typ:<br />
experimentelle Evidenz<br />
Die Multisystematrophie (MSA) ist eine seltene<br />
und rasch fortschreitende neurodegenerative<br />
Erkrankung, die sich klinisch mit autonomem<br />
Versagen, begleitet von einem Levodopa-refraktären<br />
Parkinson-Syndrom oder<br />
einem zerebellären Syndrom präsentiert. Die<br />
autonome Dysfunktion im Rahmen der MSA<br />
umfasst häufig urogenitale Symptome und<br />
orthostatische Blutdruckregulationsstörungen.<br />
Die zugrunde liegenden pathophysiologischen<br />
Mechanismen konnten bislang nicht<br />
abschließend geklärt werden. Die Pathologie<br />
definiert sich durch oligodendrogliale zytoplasmatische<br />
Einschlüsse, deren Hauptkomponente<br />
�-Synuclein ist. Daher wird die MSA<br />
neben dem Morbus Parkinson und der Lewy-<br />
Körperchen-Demenz zur Gruppe der �-Synu -<br />
cleinopathien gezählt.<br />
Eine Unterscheidung der Parkinson-Variante<br />
der MSA (MSA-P) und des Morbus Parkinson<br />
ist <strong>für</strong> NeurologInnen in der frühen Krankheitsphase<br />
aufgrund der überlappenden<br />
Symptomatik häufig eine herausfordernde<br />
Aufgabe. Ein Unterscheidungsmerkmal scheint<br />
das Vorhandensein und die Ausprägung einer<br />
96<br />
Abb. 1: Versuchsaufbau und Ablauf der Geruchstestung<br />
etwaigen Riechstörung darzustellen. So ist<br />
bereits seit einiger Zeit bekannt, dass der<br />
Großteil der Parkinson-PatientInnen ein ausgeprägtes<br />
Geruchsdefizit aufweist, hingegen<br />
in klinisch-pathologischen Untersuchungen<br />
bei MSA-PatientInnen keine Hinweise auf olfaktorische<br />
Defizite gefunden werden konnten.<br />
Dies wurde in einer rezenten Fallserie<br />
von Glass et al., die 4 Patienten mit patho-<br />
Abb. 2: Ergebnisse der Verhaltenstests<br />
s<br />
12 -<br />
10 -<br />
8 -<br />
6 -<br />
4 -<br />
2 -<br />
0 -<br />
-<br />
Erdnussbutter<br />
-<br />
Wildtyp<br />
Transgen<br />
-<br />
logisch gesicherter MSA untersuchte, nochmals<br />
bestätigt.<br />
Geruchssinn im MSA-Mausmodell: Die<br />
MSA konnte in der Maus durch transgene<br />
Überexpression von �-Synuklein unter dem<br />
oligodendroglialen Proteolipid-Promoter<br />
(PLP) nachgebildet werden. Kürzlich konnte<br />
experimentell gezeigt werden, dass dieses<br />
-<br />
Wasser Vanille Zimt<br />
-
Mausmodell neben der typischen motorischen<br />
auch die autonome Pathologie abbildet.<br />
Darüber hinaus wurde in einer bislang<br />
nicht veröffentlichten Versuchsreihe der Geruchssinn<br />
im MSA-Mausmodell untersucht.<br />
Dabei wurden 10 transgene PLP-�-Synu -<br />
klein-Mäuse im Alter von 10 Monaten mit<br />
10 altersentsprechenden C57BL-Wildtyp-Tieren<br />
verglichen.<br />
Der Geruchssinn wurde mit Hilfe des folgenden<br />
Verhaltenstests überprüft: Zunächst<br />
wurden die Mäuse <strong>für</strong> einen Gesamtzeitraum<br />
von einer Stunde an die unbekannte<br />
Umgebung eines Versuchskäfigs gewöhnt.<br />
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neuroonkologie<br />
Zusammengestellt <strong>für</strong> den Beirat<br />
„Autonome Störungen“:<br />
Danach wurden den Mäusen 4 unterschiedliche<br />
Gerüche auf Filterpapier <strong>für</strong> einen Zeitraum<br />
von 3 Minuten präsentiert, nämlich<br />
Erdnussbutter, Zimt, Vanille und Wasser<br />
(entspricht dem Eigengeruch des Filterpapiers).<br />
Mit Hilfe einer Videoaufzeichnung<br />
wurde der Zeitraum erhoben, über welchen<br />
die Mäuse die Geruchsproben mit ihrer Nase<br />
inspiziert hatten. Eine Annäherung der Nasenspitze<br />
auf unter 1 Millimeter Abstand<br />
zum Filterpapier wurde als Inspektion gewertet<br />
(Abb. 1).<br />
Die Ergebnisse zeigten, dass beide Versuchsgruppen<br />
die erwarteten Inspektionszeiten<br />
EANO – European Association<br />
of Neuro-Oncology<br />
Eines der Ziele der EANO ist es, die Vernetzung von<br />
NeuroonkologInnen zu fördern und sie bei ihren (inter-)nationalen<br />
Forschungsprojekten zu unterstützen. Angeboten werden<br />
verschiedene Förderungsmöglichkeiten:<br />
Klinische/Forschungsstipendien: Stipendien <strong>für</strong> klinische oder<br />
wissenschaftliche Projekte, die auf eine Verbesserung der<br />
Behandlungsmöglichkeiten von neuroonkologischen PatientInnen<br />
abzielen (Dauer: 6–12 Monate)<br />
Unterstützung <strong>für</strong> Fortbildungsaufenthalte: Zuschuss <strong>für</strong> Reise-<br />
Dr. Florian<br />
Krismer<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Gregor K. Wenning<br />
Priv.-Doz. Dr.<br />
Nadia Stefanova<br />
Abteilung <strong>für</strong> Klinische Neurobiologie, Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>, Innsbruck<br />
und Aufenthaltskosten in einem<br />
Neuroonkologie- oder Gehirntumor-<br />
Zentrum bzw. einer Forschungseinrichtung<br />
in einem anderen Land<br />
(Dauer: bis zu 6 Wochen)<br />
aufwiesen. Die Erdnussbutter war <strong>für</strong> die<br />
Tiere der verlockendste Geruch. Darauf folgten<br />
Vanille und Zimt sowie schließlich der Eigengeruch<br />
des Filterpapiers (Wasser). Hinsichtlich<br />
der Gruppenunterschiede konnten<br />
keinerlei signifikanten Differenzen beobachtet<br />
werden (Abb. 2). Somit kann zusammenfassend<br />
gesagt werden, dass im Einklang mit<br />
der humanen Krankheitssymptomatik im<br />
transgenen MSA-Tiermodell keine signifikante<br />
Beeinträchtigung des Geruchssinns beobachtet<br />
werden konnte. n<br />
Unterstützt durch Fördermittel des Austrian Science Fund<br />
(FWF): F04404-B19<br />
Reisekostenzuschuss: zur Unterstützung von jungen klinisch oder<br />
wissenschaftlich tätigen NeurologInnen, die einen Abstract oder ein<br />
Poster beim EANO-Kongress präsentieren<br />
Weitere Informationen: www.eano.eu<br />
97
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neurogeriatrie<br />
Der Zusammenhang von Gefäßerkrankungen<br />
mit Lebensstilfaktoren und allgemeinem Gesundheitsverhalten<br />
ist weithin bekannt. Bei<br />
neurodegenerativen Erkrankungen wie der<br />
Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) wird hingegen<br />
häufig davon ausgegangen, dass sie<br />
schicksalhaft und im Wesentlichen ohne Zusammenhang<br />
mit anderen gesundheitlichen<br />
Faktoren auftreten – obwohl sich in den letzten<br />
Jahren zeigte, dass vaskuläre Risikofaktoren<br />
auch bei der Entstehung der DAT eine<br />
Rolle spielen.<br />
Mehrere Artikel, die zuletzt in Neurology erschienen<br />
sind, werfen in teilweise überraschender<br />
Form ein neues Licht auf dieses<br />
Thema. Trotz aller Einschränkungen zeigen<br />
die Ergebnisse, dass Faktoren, die bislang<br />
nicht direkt mit der Pathophysiologie der DAT<br />
in Zusammenhang gebracht wurden, eine<br />
Rolle spielen dürften.<br />
Gebrechlichkeitsindex als Prädiktor: Aufbauend<br />
auf Hinweisen, dass Gebrechlichkeit<br />
(frailty) ein Risikofaktor <strong>für</strong> das Auftreten<br />
einer Demenz bzw. kognitiven Störung sein<br />
könnte, haben Song und KollegInnen 1 die<br />
Daten der Canadian Study of Health and<br />
Aging reevaluiert. Sie bildeten einen Gebrechlichkeitsindex<br />
aus gesundheitsbezogenen<br />
Variablen, die nicht als Risikofaktoren <strong>für</strong><br />
das Auftreten von Demenzerkrankungen bekannt<br />
sind. Inkludiert waren hier sehr allgemeine<br />
Variablen wie die Antwort auf die<br />
Frage, wie gesund sich jemand fühle, bis zu<br />
speziellen wie die Frage nach dem Sitz der<br />
Zahnprothese.<br />
Während die einzelnen Variablen nur geringen<br />
Voraussagewert hatten, konnte der ge-<br />
98<br />
Zusammengestellt im Namen des Beirats „Neurogeriatrie“:<br />
Univ.-Doz. Dr. Josef Spatt<br />
Ärztlicher Direktor, Neurologisches Rehabilitationszentrum Rosenhügel, Wien<br />
Allgemeiner Gesundheitszustand<br />
und Gebrechlichkeit als Risikofaktoren<br />
<strong>für</strong> Demenzerkrankungen<br />
wonnene Index das Auftreten von kognitiven<br />
Störungen, DAT und Nicht-Alzheimer-Demenzen<br />
vorhersagen. Bemerkenswert war,<br />
dass der Gebrechlichkeitsindex zwar hoch mit<br />
dem Alter und bekannten vaskulären Risikofaktoren<br />
korrelierte, aber dennoch seine Voraussagekraft<br />
nicht verlor, wenn diese Faktoren<br />
statistisch berücksichtigt wurden. Die<br />
Daten können also in der Weise interpretiert<br />
werden, dass – über welchen Mechanismus<br />
immer – der allgemeine Gesundheitszustand<br />
einen Einfluss auf das Auftreten von Demenzerkrankungen<br />
und insbesondere der DAT hat.<br />
Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes:<br />
In ähnlicher Weise und darauf aufbauend,<br />
dass die Selbsteinschätzung des eigenen<br />
Gesundheitszustandes ein Prädiktor<br />
<strong>für</strong> Mortalität und vor allem kardiovaskuläre<br />
Morbidität darstellt, haben Montlahuc und<br />
Kollegen 2 in einer prospektiven Kohortenstudie<br />
untersucht, ob dies auch <strong>für</strong> Demenzerkrankungen<br />
zutrifft. Tatsächlich kam es bei<br />
den TeilnehmerInnen, die zu Studieneintritt<br />
ihren Gesundheitszustand selbst als schlecht<br />
einstuften, in der Beobachtungszeit bei 70 %<br />
mehr Fällen zur Entwicklung einer Demenz,<br />
wobei die Daten unter anderem bezüglich<br />
Alter und dem Vorliegen vaskulärer Erkrankungen<br />
und Risikofaktoren kontrolliert<br />
waren. Ein starker prädiktiver Effekt fand sich<br />
<strong>für</strong> die Entwicklung einer vaskulären Demenz<br />
(mehr als 3-fach erhöhtes Risiko), aber ein<br />
Zusammenhang wurde auch <strong>für</strong> die DAT gefunden<br />
(1,5-faches Risiko). Wichtig ist festzustellen,<br />
dass dieser Zusammenhang nicht<br />
auf den Angaben reduzierter kognitiver Leis -<br />
tungsfähigkeit beruhte.<br />
Kommentar<br />
Die vorgestellten Studien sind zwar gut durchgeführt,<br />
jedoch von den verwendeten Methodiken<br />
her nicht unproblematisch. So lassen die<br />
sehr komplexen Konstrukte (z. B. Gebrechlichkeit)<br />
und statistischen Analysen die Möglichkeit<br />
unbekannter bzw. übersehener konfundierender<br />
Variablen zu. Außerdem wurde der<br />
rein explorative Charakter der Studien betont. 3<br />
Bei allen Einschränkungen zeigen die vorgestellten<br />
Arbeiten doch das komplexe Zusammenwirken<br />
von bekannten und teilweise<br />
noch nicht erkannten Risikofaktoren <strong>für</strong> das<br />
Auftreten von Demenzerkrankungen, insbesondere<br />
auch der DAT. Studien wie diese können<br />
vielleicht helfen, in Zukunft den abstrakten<br />
und nicht beeinflussbaren Faktor Alter in<br />
potenziell modifizierbare, individuell unterschiedliche<br />
altersassoziierte Faktoren aufzulösen.<br />
Schließlich ist es nicht das Alter an<br />
sich, im Sinne ablaufender Zeit, sondern die<br />
Akkumulation von Gesundheitsproblemen<br />
und Risikofaktoren (Folge des so genannten<br />
„Zahns der Zeit“), die eine Rolle <strong>für</strong> die Entstehung<br />
von Erkrankungen spielt.<br />
Praktisch betrachtet, sollten wir meines Erachtens<br />
den Hinweis, dass zumindest manche<br />
der untersuchten Faktoren durch eine gesunde<br />
und aktive Lebensführung beeinflusst werden<br />
können, auch an unsere PatientInnen<br />
weitergeben. n<br />
1 Song X et al., Nontraditional risk factors combine to<br />
predict Alzheimer disease and dementia. Neurology<br />
2011; 77:227–234<br />
2 Montlahuc C et al., Self-rated health and risk of incident<br />
dementia: A community-based elderly cohort, the 3C<br />
Study. Neurology 2011; 77:1457–1464<br />
3 Dartigues JF et al., Risk factors for Alzheimer disease:<br />
aging beyond age? Neurology 2011; 77:206–207
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neuroimaging<br />
MRT-Highlights beim ECTRIMS-ACTRIMS-Kongress<br />
Die MRT nahm bei diesem Kongress der Superlative<br />
mit knapp einem Drittel der im Kongressband<br />
publizierten Posterbeiträge (353/<br />
1133) einen bedeutenden Stellenwert ein. Im<br />
Folgenden wird nur ein kurzes Panoptikum<br />
subjektiv ausgewählten MRT-„Highlights“<br />
geboten.<br />
Lokalisation fokaler MRT-Läsionen: Giorgio<br />
et al., Siena, gingen der Frage nach, ob<br />
die anatomische Lokalisation fokaler MRT-Läsionen<br />
beim klinisch isolierten Syndrom (CIS)<br />
Implikationen <strong>für</strong> die Konversion in eine klinisch<br />
definitive MS trägt. Da<strong>für</strong> wurden probabilistische<br />
Läsionskarten von 657 CIS-PatientInnen<br />
(mittleres Alter: 30,6 ± 7,5 Jahre,<br />
455 Frauen, 202 Männer) aus verschiedenen<br />
MAGNIMS-Netzwerkpartnern errechnet.<br />
Nach einem Jahr war bei 23 % eine Konversion<br />
eingetreten, wobei diese Gruppe ein<br />
höheres T2-Ausgangsläsionvolumen aufwies<br />
(7,3 ± 8,3 vs 4,8 ± 6,7 cm3, p = 0.02), davon<br />
unabhängig aber auch häufiger Läsionen in<br />
Projektions-, Assoziations- und kommissuralen<br />
Bahnen zeigte. Dies deutet in gewissem<br />
Maße auf eine Bedeutung der strategischen<br />
Abb. 1: Pseudo-T1-Bilder der Gehirnatrophie<br />
Lokalisation von Läsionen <strong>für</strong> den weiteren<br />
klinischen Verlauf hin.<br />
Zerebrale Volumenänderungen: Eine weitere<br />
MAGNIMS-Arbeit einer ECTRIMS-Stipendiatin<br />
wurde schließlich auch prämiert. Popescu<br />
et al., Amsterdam, untersuchten den<br />
langfristigen prognostischen Wert zerebraler<br />
Volumensänderungen auf den Verlauf der<br />
MS. Während zerebrale Atrophie in bisherigen<br />
Studien über kurz- und mittelfristige Intervalle<br />
mit dem klinischen Schweregrad der<br />
Erkrankung korrelierte, erschwerten technische<br />
Limitationen bislang die Verwendung<br />
historischer MRT zur Verlängerung des Beobachtungsintervalls.<br />
Um dies zu überwinden, wurden sog. Pseudo-T1-Bilder<br />
(Abb. 1) in einem Kollektiv von<br />
268 MS PatientInnen aus 7 MAGNIMS-Zentren<br />
generiert, bei denen 2 MRT im 1–2-<br />
Jahre-Intervall vor 10 Jahren angefertigt worden<br />
waren. Die Information zu den Atrophieraten<br />
wurde schließlich in Beziehung zur<br />
EDSS nach 10 Jahren gesetzt. Die Kohorte<br />
wurde dabei nach Präsentationsmodus zu<br />
Beginn und finalem Behinderungsgrad auf-<br />
V.l.n.r.: Pseudo-T1-Bild; Pseudo-T1-Bild mit gesamter Hirnatrophie;<br />
Pseudo-T1-Bild mit zentraler Atrophie; PD-gewichtetes Bild mit Läsionsmaske<br />
Zusammengestellt im Namen<br />
des Beirats „Neuroimaging“:<br />
Univ.-Prof. DDr. Susanne<br />
Asenbaum-Nan, MSc<br />
Universitätsklinik <strong>für</strong><br />
<strong>Neurologie</strong>, Medizinische<br />
Universität Wien<br />
Assoz. Prof. Dr.<br />
Christian Enzinger<br />
Universitätsklinik<br />
<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong>,<br />
Medizinische<br />
Universität Graz<br />
geteilt (Abb. 2). Die zerebrale jährliche Atrophierate<br />
lag zwischen –0,91 % und –0,64 %.<br />
Trotz hoher Variabilität im Erkrankungsverlauf<br />
korrelierten MRT-Parameter in diesen klinischen<br />
Kollektiven mit dem langfristigen klinischen<br />
Status. (Insbesondere zentrale) Hirnatrophie<br />
zeigte sich hier<strong>für</strong> prädiktiv in der<br />
wenig behinderten Gruppe mit schubförmigem<br />
Beginn (Beta = 0.185, p < 0.001), margi -<br />
nal auch bei PPMS (Beta = -0,239, p = 0,018).<br />
Für klinisch stärker beeinträchtigte PatientInnen<br />
mit schubförmigem Beginn erwies sich<br />
das T2-Läsionsvolumen (Beta = 0,344, p = 0,005)<br />
als stärkster MRT-Prädiktor. Die Ergebnisse<br />
sind in Abbildung 3 zusammengefasst.<br />
Kortikale Läsionen: Neben diesen Aspekten<br />
nahm auch die Darstellung der kortikalen Läsionen<br />
mittels MRT einen breiten Raum ein.<br />
Besonders interessant war eine Untersuchung<br />
von Calabrese et al., Padua, die der Frage<br />
nachgingen, ob PatientInnen mit Neuromyelitis<br />
optica (NMO) eine kortikale Pathologie aufweisen.<br />
Unter Verwendung von DIR (Double<br />
Inversion Recovery) Sequenzen konnten zwar<br />
bei 2/3 der (klinisch sehr gut gematchten)<br />
Vergleichsgruppe mit schubför miger MS kortikale<br />
Läsionen nachgewiesen werden, jedoch<br />
bei keinem/keiner einzigen NMO-Patienten/-in<br />
(und bei keiner gesunden Kontrollperson).<br />
Auch zeigten sich bei NMO keine Veränderungen<br />
hinsichtlich Kortexdicke bzw. keine regionale<br />
Kortexatrophie, wie es nachweislich<br />
multifokal bei MS-PatientInnen der Fall war.<br />
Die AutorInnen sahen damit histologische Untersuchungen<br />
bestätigt, in denen ein Fehlen<br />
kortikaler Demyelinisierung bei NMO beschrieben<br />
worden war, und postulierten kortikale<br />
Läsionen als differenzialdiagnostisches Unterscheidungsmerkmal<br />
zwischen NMO und MS. u<br />
101
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neuroimaging<br />
Abb. 2: Aufteilung nach MS-Typus und Behinderungsgrad<br />
Der Nachweis kortikaler Läsionen bei PatientInnen<br />
mit einem radiologisch isolierten Syndrom<br />
(RIS) gelang einer anderen italienischen<br />
Arbeitsgruppe (Stromillo et al., Siena). Unter<br />
Einsatz von DIR und MRT fanden sich solche<br />
bei 40 % der Personen mit RIS, und zwar in<br />
fast allen Fällen zusammen mit positiven oligoklonalen<br />
Banden oder MRT-Läsionen mit<br />
102<br />
gesamte Gruppe<br />
(n = 280)<br />
Zentrale Atrophie<br />
gesamte Gruppe<br />
minimale Beeinträchtigung<br />
schubförmiger Beginn<br />
schubförmiger Beginn<br />
(n = 202)<br />
progredienter Beginn<br />
(n = 78)<br />
minimale Beeinträchtigung (n = 118)<br />
mittlere Beeinträchtigung (n = 57)<br />
RRMS (n = 103)<br />
SPVS (n = 74)<br />
Abb. 3: Ergebnisse: MRT-Prädiktoren <strong>für</strong> langfristigen klinischen Status<br />
Hirnathrophie<br />
PPMS<br />
Läsionsvolumen<br />
mittlere<br />
Beeinträchtigung<br />
schubförmiger Beginn<br />
zeitlicher Dissemination. Das Management<br />
des RIS wird in Zukunft wohl noch weiterzudiskutieren<br />
sein!<br />
Myelin-Imaging: Ein anderer Schwerpunkt<br />
der MRT-Forschung lag auf dem Gebiet des<br />
„Myelin-Imaging“. Während die Berechnung<br />
und Darstellung der Magnetization Transfer<br />
Ratio (MTR) seit einigen Jahren an spezialisierten<br />
Zentren vorgenommen wird und das<br />
„Myelin Water Imaging“/die „Myelin Water<br />
Fraction“ lediglich Kennern ein Begriff ist, erreichte<br />
das Diffusion Tensor Imaging (DTI) allgemeine<br />
Bekanntheit. DTI erlaubt nicht nur<br />
das Fiber Tracking, sondern auch die Herleitung<br />
der Diffusivität: Die so genannte radiale<br />
Diffusivität (RD) soll dabei den Myelingehalt<br />
repräsentieren. So konnten Preziosa et al.,<br />
Mailand, bei MS-PatientInnen u. a. eine solche<br />
Änderung der radialen Diffusivität im Bereich<br />
der kortikospinalen und thalamokortikalen<br />
Bahnen in Abhängigkeit von der klinischen<br />
Symptomatik aufzeigen. Auch eine<br />
andere Maßzahl des DTI, die fraktionale Anisotropie<br />
(FA), korreliert histologisch ebenfalls<br />
mit Myelin. Ein Zusammenhang zwischen<br />
ausgedehnten FA-Veränderungen im Marklager,<br />
bis juxtakortikal und Thalamus reichend,<br />
sowie der kognitiven Leistung wurde von<br />
Hulst et al., Amsterdam, beschrieben.<br />
Filippi et al., Mailand, stellten nicht nur pathologische<br />
Werte <strong>für</strong> RD (erhöht) oder FA<br />
(vermindert) in der normal erscheinenden<br />
weißen (und grauen) Substanz (NAWM,<br />
NAGM) dar, sondern auch Veränderungen<br />
dieser Parameter in den kortikalen Läsionen<br />
selbst.<br />
Abschließend kann festgehalten werden,<br />
dass die neuen, nichtkonventionellen MRT-<br />
Methoden auch in der Zukunft weitere, spannende<br />
Erkenntnisse in vivo über MS und<br />
deren zu Grunde liegenden Pathologie liefern<br />
werden. n
Service –Veranstaltungstermine<br />
Akademie Neuromuskuläre Erkrankungen der<br />
<strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />
13.–14. Jänner<br />
Klagenfurt<br />
Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />
51. Fachtagung <strong>für</strong> klinische Neurophysiologie<br />
und angrenzende Gebiete<br />
14.–21. Jänner<br />
Gemeindehaus Damüls<br />
Information: Ines Mathis<br />
Tel.: +43 (0)5574/202-1038<br />
Fax: +43 (0)5574/202-9<br />
E-Mail: ines-eliane.mathis@aks.or.at<br />
Webinfo: www.neuro-alpin.net/Meeting-2012.htm<br />
Multiple Sklerose – 4. Interdisziplinäres MS-Gespräch<br />
„Aspekte der <strong>Neurologie</strong> und Physikalischen<br />
Medizin“<br />
18. Jänner<br />
OK-Zentrum Linz<br />
Antwortfax: +43 (0)732/78 06 68-19<br />
E-Mail: neurologie@akh.linz.at<br />
Ultraschalldiagnostik der hirnversorgenden<br />
Arterien – C Einführungs-Aufbaukurs<br />
21.–22. Jänner<br />
Hotel Mercure, Graz<br />
Information: Univ.-Prof. Dr. Kurt Niederkorn<br />
E-Mail: office@niederkorn.at<br />
15. Jahrestagung der <strong>Österreichische</strong>n<br />
Schlaganfall-<strong>Gesellschaft</strong> mit Pflegesymposium<br />
und Fortbildungsakademie<br />
26.–28.Jänner<br />
Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> Innsbruck<br />
Information: Simone Kluckner<br />
E-Mail: simone.kluckner@uki.at<br />
„Neurologischer Donnerstag“<br />
26. Jänner<br />
Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg<br />
Ausbildungszentrum, Niedernharter Straße 20, 4020 Linz<br />
Information: Univ.-Prof. Prim. Dr. Franz Aichner<br />
Tel.: +43 (0)50 55 462-25701<br />
E-Mail: franz.aichner@gespag.at<br />
Jubiläumstagung Kopfschmerz<br />
26.–28. Jänner<br />
Hörsaalzentrum MedUni Wien<br />
Information: Wiener Medizinische Akademie, Anna Vodenik<br />
Tel.: +43 (0)1/405 13 83-31<br />
Fax: +43 (0)1/407 82 74<br />
E-Mail: kopfschmerz2012@medacad.org<br />
Schmerzakademie der ÖGN und ÖGPP „Modul 3“<br />
10.–12. Februar<br />
Hotel Friesacher, Anif/Salzburg<br />
Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />
7 th International Update Neuro-Anesthesia &<br />
Neuro-Intensive Care EuroNeuro<br />
16.–18. Februar<br />
Altes AKH, University of Vienna, Campus – Hof 2<br />
Information: Campus-GmbH<br />
E-Mail: office@kongressmanagement.at<br />
The 8 th Annual Update Symposium Series on Clinical<br />
Neurology & Neurophysiology 2012<br />
22.–23. Februar<br />
David Intercontinental Hotel, Tel Aviv, Israel<br />
Tel.: +972 2/652 0574<br />
Fax: +972 2/652 0558<br />
E-Mail: register@isas.co.il<br />
Webinfo: www.neurophysiology-symposium.com<br />
1 st Annual Winter School for Young Neurologists<br />
24.–26. Februar<br />
Innsbruck<br />
Webinfo: www.movementdisorders.org/education<br />
Doppler- und Duplexsonographie der<br />
hirnversorgenden Arterien: Ultraschallkurse der<br />
ARGE Neurosonologie (FORTGESCHRITTENENKURS)<br />
25.–26. Februar<br />
Universitätsklinik <strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong> Innsbruck<br />
Information: Sekretariat des Neurosonologischen Labors<br />
Tel.: +43 (0)512/504-23871<br />
E-Mail: neurosonologie@gmail.com<br />
The 6 th World Congress on Controversies<br />
in Neurology (CONy)<br />
8.–11. März<br />
Wien<br />
Webinfo: www.comtecmed.com/cony/2012/<br />
Forum <strong>für</strong> Geriatrie und Gerontologie<br />
10.–13. März<br />
Neues Kongresszentrum, Bad Hofgastein<br />
Information: Ilse Howanietz<br />
<strong>Österreichische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Geriatrie und Gerontologie<br />
c/o SMZ Sophienspital Wien<br />
Tel.: +43 (0)1/521 03-5770<br />
E-Mail: ilse.howanietz@wienkav.at<br />
Webinfo: www.geriatrie-online.at<br />
10. Jahrestagung der <strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Neurologie</strong><br />
14.–17. März<br />
Messe Graz<br />
Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />
Curriculum Neurorehabilitation<br />
Modul 5 – Interdisziplinäre Neuro-Rehabilitation<br />
14. März<br />
Graz<br />
Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />
109
Service –Veranstaltungstermine<br />
Ultraschalldiagnostik der hirnversorgenden<br />
Arterien – B (Fortgeschrittenenkurs)<br />
24.–25. März<br />
Hotel Mercure, Waltendorfer Gürtel 18-20, 8010 Graz<br />
Information: Univ.-Prof. Dr. Kurt Niederkorn<br />
E-Mail: office@niederkorn.at<br />
Schmerzakademie der ÖGN und ÖGPP „Modul 4“<br />
30. März bis 1. April<br />
Hotel Friesacher, Hellbrunnerstrasse 17, 5081 Anif/Salzburg<br />
Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />
3 rd International Symposium<br />
PAIN IN THE BALTICS 2012<br />
13.–14. April<br />
Vilnius, Lithuania<br />
Webinfo: www.balticpain2012.com<br />
„Neurologischer Donnerstag“<br />
19. April<br />
Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg<br />
Ausbildungszentrum, Niedernharter Straße 20, 4020 Linz<br />
Information: Univ.-Prof. Prim. Dr. Franz Aichner<br />
Tel.: +43 (0)50 55462 25701<br />
E-Mail: franz.aichner@gespag.at<br />
„Neurologischer Donnerstag“<br />
14. Juni<br />
AKH Linz, Med. Ausbildungszentrum, Hörsaal 1 bzw. 3a/b<br />
Information: Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr<br />
Tel.: +43 (0)732/7806-6811<br />
E-Mail: gerhard.ransmayr@akh.linz.at<br />
Jahrestagung der <strong>Österreichische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> Schlafmedizin und Schlafforschung<br />
27.–28. April<br />
Grand Hotel Sauerhof, 2500 Baden/Wien<br />
Webinfo: www.asra2012.at<br />
7 th International Symposium on Neuroprotection<br />
and Neurorepair<br />
2.–5. Mai<br />
Kongresshotel Potsdam am Templiner See<br />
Information: event lab. GmbH<br />
Tel.: +49 (0)341/24 05 96-81<br />
Fax: +49 (0)341/24 05 96-51<br />
E-Mail: abrannolte@eventlab.org<br />
8 th International Congress on Mental Dysfunction &<br />
Other Non-Motor Features in Parkinson’s Disease<br />
3.–6. Mai<br />
Berlin<br />
Information: Kenes International<br />
E-Mail: mdpd@kenes.com<br />
The 7 th Baltic Congress of Neurology<br />
9.–12. Mai<br />
Tartu, Estonia<br />
Webinfo: www.balcone2012.ee<br />
110<br />
„Neurologischer Donnerstag“<br />
10. Mai<br />
AKH Linz, Med. Ausbildungszentrum, Hörsaal 1 bzw. 3a/b<br />
Information: Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr<br />
Tel.: +43 (0)732/7806-6811<br />
E-Mail: gerhard.ransmayr@akh.linz.at<br />
XXI European Stroke Conference<br />
22.–25. Mai<br />
Lissabon, Portugal<br />
Tel.: +41 (0)61/686 77 11<br />
Fax: +41 (0)61/686 77 88<br />
E-Mail: congrextravel@congrex.com<br />
Schmerzakademie der ÖGN und ÖGPP „Modul 5“<br />
25.–27. Mai<br />
Hotel Friesacher, Anif/Salzburg<br />
Information: ÖGN Sekretariat, oegn@admicos.com<br />
RIMS 2012 – Rehabilitation in Multiple Sclerosis<br />
17 th Annual Conference<br />
31. Mai–2. Juni<br />
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf<br />
Webinfo: www.rims2012.org<br />
16 th International Congress of Parkinson’s Disease<br />
and Movement Disorders<br />
17.–21. Juni<br />
Dublin<br />
Webinfo: www.mdscongress2012.org/<br />
22 nd Meeting of the European Neurological<br />
Society (ENS)<br />
9.–12. Juni<br />
Prag, Czech Republic<br />
Information: European Neurological Society, Basel<br />
Tel.: +41 (0)61/691 51 11<br />
E-Mail: info@ensinfo.org<br />
Webinfo: www.ensinfo.org<br />
9. Innere Medizin Update-Refresher<br />
12.–16. Juni<br />
Aula der Wissenschaften, Wien<br />
Information: Forum <strong>für</strong> medizinische Fortbildung<br />
Tel.: +43 (0)2252/26 32 63-10<br />
Fax: +43 (0)2252/26 32 63-40<br />
E-Mail: info@fomf.at<br />
Webinfo: www.fomf.at<br />
6. Kongress der Arbeitsgemeinschaft<br />
<strong>für</strong> Notfallmedizin: Notfallmedizin 2.0<br />
14.–16. Juni<br />
Messe Congress Graz<br />
Webinfo: www.agn.at/index.php/kongress
The 8 th International Conference on<br />
Frontotemporal Dementias<br />
5.–7. September<br />
Manchester<br />
Webinfo: www.ftd2012.org<br />
16 th EFNS Congress<br />
8.–10. September<br />
Stockholm, Sweden<br />
E-Mail: stockholm2010@efns.org<br />
Webinfo: www.efns.org/efns2012<br />
57. Jahrestagung der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN)<br />
12.–15. September<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Information: Nadia Al Hamadi<br />
Tel.: +49 (0)3641/311 63 15<br />
Fax: +49 (0)3641/311 62 41<br />
E-Mail: neuropathology2012@conventus.de<br />
Webinfo: www.conventus.de<br />
8 th World Stroke Congress<br />
10.–13. Oktober<br />
Brasilien<br />
Webinfo: www2.kenes.com/stroke/pages/home.aspx<br />
ÖGN-Sekretariat: Tanja Weinhart<br />
Skodagasse 14–16, 1080 Wien<br />
Tel.: +43 (0)1/512 80 91-19<br />
E-Mail: oegn@admicos.com<br />
Intensivkurs Neuroanatomie 2012<br />
Schwerpunkt-Themen 2012:<br />
Kleinhirn, Rückenmark, Frontallappen<br />
10.–13. Oktober<br />
Anatomische Anstalt der Universität München<br />
E-Mail: info@intensivkurs-neuroanatomie.de<br />
Webinfo: www.intensivkurs-neuroanatomie.de<br />
Jahrestagung der ÖPG<br />
18.–20. Oktober<br />
Innsbruck<br />
Information: ÖGN-Sekretariat, oegn@admicos.com<br />
22. Jahrestagung der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> Neurorehabilitation e. V. (DGNR) 2012<br />
22.–24. November<br />
Stadthalle Fürth<br />
Information: Claudia Voigtmann<br />
Tel.: +49 (0)3641/311 63 35<br />
Fax: +49 (0)3641/311 62 41<br />
E-Mail: claudia.voigtmann@conventus.de<br />
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