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Koolhaas nimmt in der Reihe Theorie

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E<strong>in</strong>griffen. Beide Strategien führen aber ke<strong>in</strong>en ideologischen Kampf gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong>,<br />

son<strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Koolhaas</strong>’ Beschreibung nur die Kehrseiten <strong>der</strong>selben Medaille, die<br />

Zivilisation heißt und unzweifelhaft manische Züge trägt, denn beide s<strong>in</strong>d Spiegelbil<strong>der</strong>.<br />

Im Namen von Freiheit und Fortschritt unterliegt Manhattan e<strong>in</strong>em Wie<strong>der</strong>holungszwang<br />

<strong>der</strong> permanenten Simulation se<strong>in</strong>es eigenen barbarischen Urzustands, <strong>der</strong> immer<br />

künstlicher und krisenhafter wird, während Le Corbusier e<strong>in</strong> größenwahns<strong>in</strong>niges Modell<br />

vorlegt, das <strong>in</strong> Barbarei umschlagen würde, falls es Realität würde.<br />

<strong>Koolhaas</strong> beschreibt <strong>in</strong> DNY offenbar e<strong>in</strong> dynamisches Modell, das an e<strong>in</strong>e hydraulische<br />

Masch<strong>in</strong>e er<strong>in</strong>nert: actio = reactio. Genau genommen hat diese Masch<strong>in</strong>e auch e<strong>in</strong>en<br />

Namen. Sie wird von Sigmund Freud Libido-Ökonomie genannt und ist eben jene duale<br />

Triebdynamik (Lust- vs. Realitätspr<strong>in</strong>zip), die er auf die Entstehung von Kultur als<br />

lustvolle Ersatzhandlung (die Verdrängung) für Triebverzicht anwendet. <strong>Koolhaas</strong><br />

sche<strong>in</strong>t also wie<strong>der</strong> auf den Ur-Freud zurückzugreifen.<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne ist nämlich die Simulation von Freiheit <strong>in</strong> Manhattan das Ergebnis<br />

regressiver Triebe, die sich unbewusst durchsetzen, während Corbusier für die<br />

Erlangung von Freiheit den Preis des Triebverzichts zu zahlen bereit ist. Gewiss ist es<br />

ke<strong>in</strong> Zufall, dass dem Kapitel <strong>in</strong> Delirious New York, <strong>in</strong> dem Le Corbusier auf Manhattan<br />

trifft, e<strong>in</strong>e Abbildung als E<strong>in</strong>leitung vorausgeht, auf <strong>der</strong> <strong>der</strong> Name des Mannes ersche<strong>in</strong>t,<br />

<strong>der</strong> die wohl populärste <strong>Theorie</strong> des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts vorgelegt hat: Freud Unlimited. (><br />

Bild)<br />

Es sche<strong>in</strong>t also, als ob Delirious New York den Schlüssel zu <strong>Koolhaas</strong>’ kulturkritischer<br />

Haltung zur Mo<strong>der</strong>ne liefert: Als andauernd wi<strong>der</strong>streitende Bipolarität von Rationalem<br />

und Irrationalem ohne Aussicht auf Lösung, Synthese, Transzendenz, Harmonie o<strong>der</strong><br />

gar Fortschritt produziert sie Unbehagen, aber als andauernde Krise wird sie letztlich<br />

kreativ.<br />

Und das ist <strong>Koolhaas</strong>’ eigene Interpretation und auch anschleißend se<strong>in</strong>e<br />

Entwurfsmethode: Nicht dialektisch-marxistische Auswege wie z.B. Herbert Marcuse zu<br />

suchen (<strong>in</strong> dessen Buch Triebstruktur und Gesellschaft), son<strong>der</strong>n die Neurose positiv<br />

sehen. Dazu greift er auf den Surrealismus zurück, um die <strong>in</strong>neren Wi<strong>der</strong>sprüche nicht<br />

zu tilgen, son<strong>der</strong>n als Krise erst richtig zu provozieren.<br />

Häufig entwickelt er im Vorfeld des Entwurfs Szenarien, welche die <strong>in</strong>nere<br />

Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit <strong>der</strong> Aufgabe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en möglichst <strong>in</strong>stabilen Zustand treiben, aus dem<br />

heraus <strong>der</strong> Entwurf wie bei e<strong>in</strong>em magischen Trick als verblüffend logische Antwort<br />

hervorgezaubert wird. Dabei greift er auf die „paranoisch-kritische Methode“ zurück, e<strong>in</strong>e<br />

Erf<strong>in</strong>dung von Salvador Dalí, die <strong>Koolhaas</strong> für die e<strong>in</strong>zig echte Erf<strong>in</strong>dung des 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts hält, und nicht nur <strong>in</strong> Delirious New York ausführlich vorgestellt, son<strong>der</strong>n<br />

auch später mehrfach gewürdigt wird.<br />

[Bild 9: Dalí und Tragwerk Floirac]<br />

Die Anwendung <strong>der</strong> „paranoisch-kritischen Methode“, die von Dalí bereits <strong>in</strong> den<br />

zwanziger und dreißiger Jahren entwickelt wurde und explizit auf den Entdeckungen<br />

Freuds und Jacques Lacans zur Paranoia basiert, dass nämlich <strong>der</strong> wahnhafte Zustand<br />

des Paranoikers zwanghaft zur Erzeugung e<strong>in</strong>es systematischen Denksystems führt,

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