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Koolhaas nimmt in der Reihe Theorie

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<strong>Koolhaas</strong> ist von den unbewussten Kollektivkräften <strong>der</strong> „erschreckenden Schönheit des<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>ts“ überzeugt. Se<strong>in</strong>e THEORIE hat er <strong>in</strong> gewisser Weise selber e<strong>in</strong>mal so<br />

zusammengefasst: „Wie können so viele mittelmäßige Gebäude zusammen e<strong>in</strong> solch<br />

fantastisches architektonisches Spektakel ergeben? Wie kann so viel ‚Hässlichkeit’<br />

manchmal e<strong>in</strong>e Art von Schönheit o<strong>der</strong> Weisheit zur Folge haben?“ 2<br />

Die Methode ist komplizierter und <strong>Koolhaas</strong> f<strong>in</strong>det sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Paranoisch-Kritischen<br />

Methode von Salvador Dalì, und die <strong>Theorie</strong>, um diesen geheimnisvollen Kräften auf die<br />

Spur zu kommen, ist die Psychoanalyse. <strong>Koolhaas</strong> legt Manhattan auf die Couch, deutet<br />

die Symptome Manhattans als neurotisch, und analysiert diese als gleichbedeutend mit<br />

se<strong>in</strong>er künstlichen Lebensform: das Leben im Innern <strong>der</strong> Phantasie, im Land <strong>der</strong><br />

unbegrenzten Möglichkeiten.<br />

Höhepunkte: Downtown Athletic Club, Rockefeller Center, Waldorf Astoria<br />

[Bild 8: Corbu und Freud]<br />

Um den Unterschied zu gängigen <strong>Theorie</strong>n über die Erzeugung von Freiheit und<br />

Flexibilität zu verdeutlichen, vergleicht <strong>Koolhaas</strong> <strong>in</strong> Delirious New York Manhattan mit<br />

<strong>der</strong> klassischen Mo<strong>der</strong>ne <strong>in</strong> Gestalt von Le Corbusier. In Manhattan triumphiert das<br />

verdrängte Unbewusste als gebautes Manifest, genauer: als retroaktives Manifest. In<br />

Delirious New York konfrontiert Rem <strong>Koolhaas</strong> die puristische europäische Avantgarde,<br />

verkörpert durch Le Corbusier, mit <strong>der</strong> von ihm sogenannten „schamlosen“ und<br />

ornamentreichen Beaux-Art-Wolkenkratzerarchitektur Manhattans, die als „Sehnsüchte<br />

von Manhattans kollektivem Unterbewußtse<strong>in</strong>“ zwischen 1890 und 1940 Realität<br />

geworden s<strong>in</strong>d, während Corbusier immer noch auf <strong>der</strong> Suche nach Kundschaft für<br />

se<strong>in</strong>e cartesianischen Wolkenkratzer durch die Weltgeschichte reist. (Der Wahn von<br />

vielen und <strong>der</strong> Wahn e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen.) Die Architekten des Rockefeller Center vs. LC<br />

Was man zunächst für e<strong>in</strong>e Gegenüberstellung von anti-mo<strong>der</strong>n (Manhattan) und<br />

mo<strong>der</strong>n (La ville radieuse) halten könnte, erweist sich freilich bei genauerem H<strong>in</strong>sehen<br />

als e<strong>in</strong>e Gegenüberstellung von zwei Projekten des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, die dasselbe<br />

Problem bewältigen wollen, nämlich das wuchernde Wachstum <strong>der</strong> Städte und ihren<br />

drohenden Kollaps <strong>in</strong> den Griff zu bekommen, und sich dabei des gleichen<br />

Fortschrittsdenkens bedienen, nämlich „nordamerikanische Barbarei, die europäischer<br />

Kultiviertheit weicht“, nur dass sie die Sache jeweils von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite her<br />

aufziehen.<br />

Während <strong>in</strong> Manhattan das Problem <strong>der</strong> „congestion“, <strong>der</strong> Überfüllung, <strong>der</strong> Verstopfung,<br />

des Staus, durch Flucht nach vorn gelöst wird, <strong>in</strong>dem gegen die Enge und die Dichte nur<br />

noch mehr und immer höhere Wolkenkratzer gebaut werden, welche angeblich die<br />

Überfüllung kanalisieren sollen, <strong>in</strong> Wahrheit aber nur zu noch mehr Dichte führen und<br />

somit automatisch die von <strong>Koolhaas</strong> gefeierte „culture of congestion“ hervorbr<strong>in</strong>gen, das<br />

Leben „im Innern <strong>der</strong> Phantasie“, geht Corbusier natürlich den klassischen Weg des<br />

Schulmediz<strong>in</strong>ers: gegen Stau hilft nur Entstauung <strong>in</strong> Form von drastischen chirurgischen<br />

2 Rem <strong>Koolhaas</strong>, „F<strong>in</strong>d<strong>in</strong>g Freedoms“, Interview mit Alejandro Zaera Polo, <strong>in</strong>: El Croquis, März<br />

1990 (e<strong>in</strong>e deutsche Übersetzung f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong>: 117 ARCH + , S. 32)

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