Dysarthrie und tiefe Hirnstimulation bei Morbus Parkinson ...

ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
Dysarthrie und tiefe Hirnstimulation
bei Morbus Parkinson. Datenlage und
therapeutische Konsequenzen
«Effets de la stimulation cérébrale profonde
sur la parole chez les patients atteints de la
maladie de Parkinson»
A. Nebel, J. Volkmann, G. Deuschl
Zusammenfassung
Im Verlauf der Parkinson-Krankheit erschwert häufig eine Dysarthrie die Kommunikation.
Die sprechmotorischen Symptome sind in aller Regel nicht in gleicher Weise sensitiv
auf die Behandlung mit L-Dopa. Bezüglich der Auswirkung der tiefen Hirnstimulation
des Nukleus subthalamikus (tHS-NST) auf das Sprechen zeigt sich eine sehr divergente
Datenlage. Im vorliegenden Literaturüberblick referieren wir über Studien zur Auswirkung
der tHS-NST auf das Sprechen. Berücksichtigt wurden nur Arbeiten, denen
Dysarthrie spezifische Untersuchungen zugrunde lagen. Im Zentrum steht dabei die
Frage nach Interferenzen zwischen gestellten Sprachaufgaben, Untersuchungs methoden
und stimulationsbezogenen Variablen. Zur Körpermotorik vergleichbar gute Ergebnisse
werden für ausgewählte Patientenkollektive und rein experimentelle Aufgaben
beschrie ben. Kein signifikanter Effekt der tHS-NST auf das Sprechen wird für randomisiert
zusammengestellte Patientengruppen sowie für gelenkte oder freie Rede
berichtet. Die Ergebnisse von PET-Studien und experimentellen Veränderungen von
Elektroden, Kontakten und Voltzahlen lassen für Körper- und Sprechmotorik parallele,
jedoch unterschiedliche zentralnervöse Prozesse vermuten sowie eine funktionsspezifische
Somatotopie des NST. Die Interpretation der vorliegenden Ergebnisse
kann jedoch nur unter Vorbehalt erfolgen, angesichts kleiner Studien populationen und
einer insgesamt relativ kleinen Zahl an Arbeiten. Da Patienten eine Verschlechterung
des Sprechens im Kontext der Stimulationsbehandlung häufig beklagen, stellt die sprachtherapeutische
Behandlung einen wesentlichen Beitrag zu besserer Lebens qualität
und Kommunikation dar. Hierfür werden wesentliche Verfahren knapp diskutiert.
Summary
Dysarthria in Parkinson’s disease (PD) is one of the common complications of the
disease. Dysarthria is not regularly sensitive to levodopa. The effect of deep brain stimulation
of the subthalamic nucleus (STN-DBS) is still a matter of debate. This review
summarizes research of the last 10 years related to speech and STN-DBS. We specifi-
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ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
cally focussed on interferences of tasks, methods and simulation related variables. A
benefit comparable to limb motor control is only reported when speech is reduced to a
more automatically production in a strictly selected population. Unselected patient
groups and spontaneous speech did not provide significant change under stimulation.
PET studies and experimental variations of electrode, contact and voltage emphasise a
parallel but different somatotopy of the STN comparing speech to motor control and a
different activation pattern. The small sample size of most studies is limiting the conclusions
for the majority of the studies. Further research is needed as well concerning
the effect of DBS-STN on speech as well as the effect of speech therapy for this
population.
Résumé
Des troubles de la parole présentent des complications communes de la maladie de
Parkinson. Les effets de la stimulation cérébrale profonde du noyau sous-thalamique
(NST) sur la parole restent un sujet de débat. Nous développons les données concernant
l’effet de la stimulation des NST sur la parole. Nous discutons des interférences
relatives aux taches linguistiques, aux méthodes et aux variables de la stimulation. Une
amélioration comparable à celle de la motricité est rapportée pour une parole réduite à
une performance presque automatique et pour des patients sélectionnés relative au
dégrée de la dysarthrie. La stimulation NST entraine des effets non signifiants vus des
groupes hétérogènes relatifs à la dysarthrie et en évaluant la parole spontanée. Des
études par tomographie par émission de positons et des variations expérimentales des
électrodes, des contactes et des voltages suggèrent des processus différents mais
parallèles comparant la parole à la motricité et sur le niveau somatotrope du NST et sur
le niveau de l’activation cérébrale. L’interprétation des données est limitée par le petit
nombre d’études et de patients évalués. Sur le niveau de la prise en charge des
implications sont discutées.
1. Einführung
Die sprachtherapeutische Behandlung
von Patienten mit Morbus Parkinson
(MP) ist trotz evidenzbasierter Verfahren
stets eine Herausforderung. Wirkfluktuationen
von Medikamenten führen
besonders im fortgeschrittenen
Stadium zur Begrenzung von Gespräch
und sozialem Kontakt, leisten der Ver-
einsamung Vorschub und belasten Angehörige
in hohem Masse (28). Seit
gut zehn Jahren besteht in der tiefen
Hirn stimulation (tHS) des Nucleus subthalamikus
(NST) eine effiziente Alternative
zur medikamentösen Behandlung.
Die positiven Auswirkungen auf
die Motorik sind beeindruckend mit
statistisch robusten Ergebnissen (4, 8,
25). Weitaus weniger einheitlich und
weniger befriedigend werden die Aus-
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UPDRS III
Item 18
(Sprechen &
Mimik)
Perzeptive
Profile/
Verständlichkeit
Akustische
Analysen
Elektrophysiologische
Analysen (E)
oder phoniatrischeUntersuchungen
(P)
wirk ungen der tHS-NST auf die Sprechmotorik
dargestellt (Tabelle 1).
Perzeptive Bewertungen anhand der
«Unified Rating Scale for Parkinsons
Disease» (UPDRS) kommen zu mässigen,
jedoch signifikanten Verbesserungen
der Dysarthrie (DA), ebenso elektrophysiologische
und akustische Analysen
(10-13, 34). Diesen positiven ersten
Ergebnissen steht inzwischen eine Rei-
ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
Verbesserung Verschlechterung Keine signifikanten
Veränderungen
Limousin et al.
(24) (n=24);
* wenn per
UPDRS bewertet
wurde
D’Alatri et al.
(6) (n=12)
(E) Gentil et al.
(10) (n=10)*, (9)
(n=26),(13) (n=16)
(E) Pinto et al. (34)
(n=26)*
Krack et al.(22) 5 years follow
up (n = 49), Romito et al.(41)
(n=33); Review: Deuschl et
al. (7)
Moretti et al. (29) (Fallstudie)
Santens et al. (43)(n=7) links
vs. rechts, Törnquist et al.
(48) (n=10) abhängig von der
Amplitude; Wang et al. (49,
50) (n=20) links vs. rechts;
Tripoliti et al. (49) (n=14)
abhängig von Voltzahlen und
Kontakten
Gentil et al. (10) (n=26) Wang
et al. (50,51) (n=20) links;
Tripoliti et al. (49) (n=14)
abhängig von Voltzahlen und
Kontakten
Beijani et al (4) (n=10)
Santens et al. (43) (n=7)
links/rechts, Rousseauxe et
al. (42) (n=9)*, Törnquist et
al. (48) (n=10), Nebel et al.
(33) (n=14)*, Klostermann et
al. (21) (n=19)*, D’Alatri et al.
(6) (n=12)
Dromey et al. (9) (n=7)*,
Nebel et al. (31) (n=14)*,
Klostermann et al. (21)
(n=19)*
(P) Klostermann et al. (21)
(n=19)*
* = eine signifikante Verbesserung wurde berichtet, wenn die UPDRS zur
Evaluation eingesetzt wurden
Tabelle 1: Auswirkung der tHS­NST auf das Sprechen bei Morbus Parkinson.
he von Arbeiten gegenüber, die statistisch
keinen signifikanten Effekt der
tHS auf die DA nachweisen konnten
(9, 21, 33, 42), Patienten selbst beklagen
häufig eine leiser gewordene
Stimme nach der Operation ([41] und
pers. Mitteillung B. Möller 2010 unveröff.
Diss.). Eine effektive Beratung
und sprach therapeutische Behandlung
setzt neben dem individuellen
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ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
Krankheitsverlauf ein möglichst genaues
Wissen der Pathomechanismen voraus.
Bei der Durchsicht der vorliegenden
Arbeiten der vergangenen zehn
Jahre stellten wir die Frage nach
metho dischen und/oder stimulationsabhängigen
Variablen, die eine Erklärung
für die Unterschiedlichkeit der
Ergebnisse bieten könnten. Berücksichtigt
wurden hierbei nur Arbeiten,
denen ein Sprech motorik spezifisches
Untersuchungsdesign zum Vergleich
der Stimulationsbedingungen (STIM-
ON vs. STIM-OFF) zugrunde lag. Diesen
Über legungen schliessen sich die Überlegungen
zu einer effektiven sprachtherapeutischen
Intervention an.
2. Untersuchungsparameter
und verwendete
Messtechnik
Arbeiten zur Auswirkung der Medikation
auf die DA lassen aufgrund des
sehr unterschiedlichen Designs, methodischer
Mängel und sehr kleiner Populationen
keinen Vergleich der Ergebnisse
zu (36). Inzwischen sind vergleichbare
Evaluationsprotokolle Stan dard:
Analog zu den Untersuchungen der
Körpermotorik erfolgen die sprachspezifischen
Untersuchungen vor der
Operation im fest definierten Setting
des «L-Dopatests» nach zwölfstündiger
Medikamentenkarenz (med-off) vs.
fest definierter Dopamingabe (medon).
Nach der Implantation der Elektroden,
frühestens jedoch nach drei
Mo naten, werden ohne Medikation
die Stimulationseffekte erfasst (medoff/STIM-ON
vs. med-off/STIM-OFF)
und in einigen Arbeiten zusätzlich die
Medikament bedingten Einflüsse erhoben
(med-on/STIM-OFF vs med-on/
STIM-ON). Das Set der Sprechaufgaben
umfasst standardmässig experimentelle
Aufgaben, wie die Tonhaltedauer,
die schnelle Silbenwieder holung,
das Nachsprechen fester Trägersätze
sowie Leseaufgaben, gelenkte oder
freie Rede. Neben perzeptiven Profilen,
meist erstellt durch eine Expertengruppe
(42, 43), sind akustische,
Rechner gestützte Analysen (z.B. durch
Phonédit, Kay Elemetrics, MODIAS
[27]) häufig Teil des Unter suchungsprotokolls.
Als Unter suchungs standard
der Verständlichkeit gelten Auswertungen
per Transkription und/oder
von verblindeten Untersuchern (21,
33, 42, 48).
3. Methodenabhängige
Variablen
3.1 Patientenauswahl und
Sprechaufgaben
Unter Verwendung experimenteller
Sprechaufgaben (gehaltener Vokal,
schnelle Wiederholung von Sätzen und
Silben) sowie reiner Bewegungsaufgaben
von Zunge und Lippen zeigte
das Grenoble-Team (10-13, 34) an einer
ausgewählten Patientengruppe (Auswahlkriterium
leichte bis mittlere Dys-
Aphasie und verwandte Gebiete 2 / 2010

arthrie) signifikante Verbesserungen
der artikulatorischen Präzision sowie
von Kraft und Tempo der Lippen- und
Zungenbewegungen im Vergleich von
STIM-ON vs. STIM-OFF (10-13, 34).
Die Phonationsdauer war signifikant
länger mit geringeren Jitter-Anteilen
unter der Stimulation (13). Andere
phonationsbezogene Daten zeigten
zwar Verbesserungen, jedoch unterhalb
des Signifikanzniveaus (13). Ein
Trend zu normaler, kortikaler Aktivierung
während des Sprechens zeigen
Pinto et al. 2004 (37) in einer PET-Studie.
Die Aufgabe bestand in der Wiederholung
eines vorab geübten Satzes
mit normaler Stimme und geflüstert.
Die Patientenpopulation unterlag den
o.g. Selektionskriterien und wurde mit
altersgleichen, gesunden Probanden
verglichen. Die zusätzliche Bewertung
der artikulatorischen Kraft und Bewegungszeit
von Lippen- und Zungenbewegungen
erbrachte für diese Patientengruppe
einen signifikanten Gewinn
unter der STIM-ON Bedingung (37).
Auch für Patienten, die keiner sprechmotorisch
spezifischen Auswahl unterlagen,
wurden für experimentelle
Aufgaben signifikante Ergebnisse berichtet:
Optimierung der Lippenkraft
(42), längere Phonationsdauer (33),
schnellere Silbenwiederholung bei
kürzeren Pausen zwischen den Silben
(21) und geringerer laryngealer Tremor
(21) unter der STIM-ON-Bedingung.
Einige Arbeiten stellten perzeptive
Profile anhand von Leseaufgaben (Ein-
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zelsätze oder Texte), gelenkter oder
freier Rede dar. Die Patientenkollektive
dieser Arbeiten wurden innerhalb der
für die tHS-NST geeigneten Patienten
pseudorandomisiert rekrutiert (9, 21,
33, 42, 43, 48, 51). Keine dieser Untersuchungen
präsentiert signifikante Veränderungen
im Vergleich STIM-ON vs.
STIM-OFF entsprechend den Ergebnissen
der Körpermotorik.
Als Einzelfallanalyse werden sehr divergente
Ergebnisse berichtet: Einbussen
kognitiver Leistungen, Aphonie
und gestörte Speichelkontrolle (drooling)
(15), Redeflussstörungen wie
Stottern, verzögerter Sprecheinsatz
und gestörte Initiierung artikulatorischer
Prozesse (5, 29), neben einem
Zugewinn an Verständlichkeit bei
leicht gesteigerter Lautstärke unter
der Stimulation trotz geringerer artikulatorischer
Präzision (33). Pinto et al.
2004 (35) diskutieren vier typische
Fallbeispiele mit sehr verschiedenen
Ergebnissen der tHS-NST, die von erheblich
besserer stimmlicher Qualität
unter der STIM-ON-Bedingung
bei L-Dopa induzierter, laryngealer
Dyskinesie bis zu starken Einbussen
der Verständlichkeit, Lautstärke und
artikulatorischer Präzision im STIM-
ON reichen. In diesen vier Fällen waren
Dyskinesien phonatorischer und /
oder artikulatorischer Muskelgruppen
Grund der Verschlechterung
(35), wie sie auch als Nebenwirkung
von Medikamenten beschrieben
werden (36).
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3.2 Lautstärke – Intensität
Eine leise, monotone Stimme ist das
Leitsymptom der rigid-hypokinetischen
Dysarthrie des Morbus Parkinson (7).
Nicht selten beklagen Patienten sowohl
unmittelbar nach dem stereotaktischen
Eingriff als auch relativ kurze
Zeit danach eine leiser gewordene
bzw. eine leise Stimme. Die meisten
Untersuchungen bewerten die Lautstärke
nicht oder nur als relative Lautstärke,
da die messtechnische Seite
erhebliche Probleme beinhaltet: Jedes
Aufnahmegerät ist mit entsprechenden
Filtern ausgestattet, die per se die
Lautstärke verändern. Eine konstante
Kalibrierung der Geräte ist für jede Aufnahme
erforderlich. Dromey et al. 2000
(9) evaluierten 30 sec. freie Rede. Die
Ergebnisse belegen für diese kleine
Gruppe (n=7) eine signifikant lautere
Stimme unter der Medikation (med-on
vs. med-off), jedoch keine signifikanten
Veränderungen infolge der Stimulation.
Nebel et al. 2007 (33) verglichen die
Lautstärkespitzen in allen Sprechaufgaben
(freie Rede, Lesesätze, schnelle
Silbenwiederholung, gehaltener Vokal)
mit Hilfe eines externen Lautstärkemessgerätes
im STIM-OFF gegenüber
dem STIM-ON. Die einzelnen Aufgaben
unterschieden sich signifikant
voneinander hinsichtlich der erzielten
Lautstärke, aber die Stimulation führte
nicht zu signifikanten Verbesserungen
– allerdings auch nicht zu signifikant
leiseren Stimmen (33).
3.3 PET Studies
Die positive Wirkung der tHS-NST zeigt
sich nicht nur in verbesserten motorischen
Funktionen, sondern schlägt
sich auch im regionalen Metabolismus
zentralnervöser Strukturen nieder.
Aufgaben der Bewegung (3, 14,
17, 44), der Emotion (23, 24) und der
Kognition (18) zeigten im STIM-ON
normalisierte Aktivierungsmuster verglichen
mit dem STIM-OFF und bestätigen
damit die netzwerkartige Wirkung
der tHS-NST. Die beeinträchtigten
Bewegungen von Hand und Gliedmassen
bei MP spiegeln sich ohne
Stimulation in einem verringerten
Aktivierungsmuster (under activation)
der supplementär motorischen Areale
(SMA) und des dorsolateralen präfrontalen
Kortex (DLPFC) wider (47), das
unter der Stimulation steigt. Beeinträchtigungen
der sprechmotorischen
Kontrolle schlagen sich in einem völlig
anderen Muster nieder: Die rigid-hypokinetische
Dysarthrie des MP geht
einher mit erhöhter Aktivierung (over
activation) der rechtshemisphäralen
SMA und DLPFC (26, 31, 37). Dieser
Aktivitätsanstieg wird als Ausgleich
zur geringeren Aktivität der orofazialen
M1 verstanden (37) und von einigen
Autoren als verantwortlich für die
Dysarthrie gewertet (6). Als Folge der
tHS-NST, so Pinto et al. (37), werde
die kortikale «Verstärkung» wieder
redu ziert hin zu einem normaleren Aktivierungsmuster
der rechten SMA, des
Aphasie und verwandte Gebiete 2 / 2010

Kleinhirns und der orofazialen M1. Verglichen
wurden einerseits die Aktivierungsmuster
bei geflüsterten und laut
gesprochenen, vorab geübten Sätze
von selektionierten Patienten (Kriterien
s. o.) unter STIM-ON vs. STIM-OFF
Bedingung und andererseits diese
Patienten mit einer altersentsprechenden
gesunden Kontrollgruppe. Der zu
normalen Aktivierungsmustern hin
veränderte regionale Metabolismus
unter der tHS-NST entspricht sowohl
den Ergebnissen der parallelen klinischen
Evaluation (s.o.) (37) als auch
der Therapiestudie von Liotti et al.
2003 (26), die als Ergebnis der Stimmtherapie,
Lee Silverman Voice Treatment
(40), einen Ausgleich der übersteigerten
Aktivierungsmuster beobach tet.
In einer Einzelfallstudie berichten Narayana
et al. 2009 (31) ein erhöhtes Aktivierungsmuster
des linken dorsalen prämotorischen
Kortex im STIM-ON, das
klinisch mit eher spastischen Phonationsmustern
korrelierte. Die Autoren
vermuten Reizungen der kortikospinalen
Bahnen durch die tHS-NST als Ursache
dieser Fehl-Innervation.
4. Stimulationsvariablen
4.1 Einfluss der stimulierten
Hemisphäre auf das Sprechen
Neben reinen on-off-Vergleichen untersuchten
einige Autoren die Auswirkung
verschiedener Stimulationsparameter.
Vergleiche der sprechmotorischen
ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
Kontrolle ohne Stimulation, beidseitiger
oder rechtsseitiger Stimulation mit
rein linksseitiger Stimulation erbrachten
nur für diese letztere signifikante
Verschlechterungen der Leistungen
(21, 43, 50, 51). Santens et al. 2003
(43) berichteten Verschlechterungen
der Prosodie, der Artikulation und der
Verständlichkeit unter linksseitiger Stimulation,
Wang et al. 2003/2006 (50,
51) veröffentlichte ähnliche Daten: Die
Intensität der Stimme und die Phonationsdauer
(50), Silbenrate und Artikulationsgenauigkeit
(51) verschlechterten
sich unter linksseitiger Stimulation
verglichen mit keiner und rechtsseitiger
Stimulation sowie mit ausgewogener
beidseitiger Stimulation. Für die
Körpermotorik wurden in diesen Studien
keine signifikanten Veränderungen
im Seitenvergleich gefunden.
4.2 Amplitude, Position und
Kontakt bedingte Effekte
Verständlichkeit ist ein Sprecher und
Hörer bezogener Parameter. Optimale,
ausgewogene Stimulation scheint weder
Verbesserungen noch Verschlechterungen
in einem signifikanten Ausmass
hervorzurufen (33, 43, 48, 49).
Dies ändert sich unter weniger ausgewogener
Stimulationseinstellung.
Törnquist et al. 2005 (48) berichtet
von erheblicher Verschlechterung der
Verständlichkeit bei 25%igem Anstieg
oder Verringerung der Amplituden
beidseits. Wohingegen Änderungen
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ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
der Polarität zwischen den Kontakten
ohne jegliche Auswirkung auf die sprechmotorische
Kontrolle blieben (48).
Ebenfalls eine signifikante Verschlechterung
der Verständlichkeit beobachtete
Tripoliti et al. 2008 (49) bei experimentell
veränderten Stimulationsbedingungen.
Unter Verwendung
höherer Voltzahlen und mehr am Rande
des STN liegender Kontakte tritt
neben signifikant schlechterer Verständlichkeit
eine veränderte Dysarthrie
auf, die durch bradykinetische und
dystone Bewegungsmuster charakterisiert
ist (49). Demgegenüber führen
eben diese höheren Voltzahlen und
äusseren Kontakte zu einer wesentlich
besseren Körpermotorik (49).
5. Diskussion
5.1 Bewertung der Daten
Die überaus positiven Ergebnisse der
tHS-NST für die Gliedmassenmotorik
führten dazu, dass das Verfahren innerhalb
von nur einem Jahrzehnt eine
gros se Verbreitung fand. Für die
Sprechmotorik zeigt die Studienlage
ein völlig anderes Bild: Die Studienergebnisse
sind divergent bis widersprüchlich
bezüglich des Einflusses
der tHS auf das Sprechen. Zu einem
Teil lassen sich u.E. diese Differenzen
durch metho dische Unterschiede der
dargestellten Arbeiten begründen.
Die Auswahl der Studienpopulation
und die Auswahl der Sprechaufgaben
scheinen sich wesentlich auf das Ergebnis
auszuwirken. Untersuchungen, in
denen Aufgaben mit nur geringen Freiheitsgraden
ausgewählt wurden, zeigten
für dysarthrisch homo gene Gruppen
signifikante Verbesserungen und
diskutieren für die Sprechmotorik zur
Körpermotorik analoge Wirkmechanismen
der tHS-NST (10-13, 34). Auf gaben
spezifische Profile für unterschiedliche
Klassen und Schweregrade von Dysarthrien
werden unabhängig von der tHS
in mehreren Arbeiten beschrieben (2,
19, 20). Der unter der tHS verringerte
Tremor und/ oder Rigor schlägt sich vermutlich
im frühen Stadium der Dysarthrie
positiv auf Artikulationsgenauigkeit
und Stimme aus, was sich in erhöhter
Kraft, stabilerer Phonation und
Stimmqualität niederschlägt. Für heterogen
zusammengesetzte Gruppen trifft
dies nur für die Tonhaltedauer zu. Gelenkte
oder freie Rede zeigte in heterogenen
Gruppen keine signifikanten
Verbesser ungen im STIM-ON (33, 43,
48, 49). Verschlechterungen einzelner
Unter funk tionen des Sprechens könnten
Ver besserungen anderer Parameter
ausgleichen und/oder das statistische
Mittel nivelliert interindividuelle
Unterschiede bei heterogenem,
sprechmotorischem Schweregrad innerhalb
der untersuchten Patientenpopulation.
Weitere Untersuchungen
mit sprechmotorisch homogenen
Gruppen und Texten als sprachliches
Material könnten hier eindeutigere
Ergebnisse zeigen.
Aphasie und verwandte Gebiete 2 / 2010

Einheitlich ist die Studienlage bezüglich
der Stimulationsparameter: Die
Ausgewogenheit der Stimulation und
die Position der verwendeten Kontakte
scheinen einen wesentlichen Einfluss
auf die sprechmotorische Leistung
zu haben (21, 31, 43, 48–51).
Hemisphärale Asymmetrien, die Stimulation
von suboptimal platzierten
Elektroden und/oder höhere Voltzahlen
wirken sich bezüglich des Sprechens
deutlich negativ aus, während
für die Körpermotorik nicht immer
gleichgerichtete Effekte beschrieben
wurden (43, 48) (49). Diese Beobachtungen
legen bei aller erforderlichen
Vorsicht angesichts kleiner Probandenzahlen
die Annahme paralleler, jedoch
unterschiedlicher zentralnervöser
Steuerung der Körper- vs. Sprechmotorik
nahe und verweisen auf eine
höhere Störanfälligkeit sprechmotorischer
Prozesse im Vergleich zur Körpermotorik.
Dafür könnten mehrere
Mechanismen angenommen werden:
1. Der sich über die Zielregion des NST
hinaus ausbreitende elektrische Impuls
könnte andere, nahe gelegene
Bahnen/Projektionen irritieren, wie
von Krack et al. 2003 (22) gezeigt.
So könnten die unmittelbar in der
Nähe des NST verlaufenden kortikobulbären
Bahnen der sprechmotorischen
Verarbeitung stärkere Irritationen
aufzeigen als die körpermotorischen,
weil sie zum NST räumlich
näher verlaufen als die Anteile der
Pyramidenbahnen für Arm- oder
ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
Beinbewegungen (49). Reizungen
der Kapsula interna würden sich
vermutlich in akustischen Parametern
wie verkürzte Phonationsdauer,
erhöhte Jitter-Prozente sowie in deren
auditiven Äquivalenten eines gespannt
heiseren, gepressten Stimmklangs
niederschlagen (31). Im Gegensatz
dazu belegen die Mehrheit
der dargestellten Studien als einzige
Übereinstimmung eine signifikant
längere Phonationsdauer im gehaltenen
Vokal unter der STIM-ON Bedingung
(10-13, 21, 33). Reizungen
zerebello-thalamischer Projektionen
durch Abstrahlung könnten sich als
Verschlechterung der Artikulationsgenauigkeit
niederschlagen, was einige
Ergebnisse von Einzelfallbeobachtungen
erklären könnte (33, 49).
2. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher
Stimulationsergebnisse für
die Körper- vs. Sprechmotorik wird
von einigen Autoren eine parallele
aber unterschiedliche Somatotopie
des NST für die Sprech- und Gliedmassenmotorik
angenommen (38,
49, 53). Jedoch erfordern die zugrunde
liegenden, geringen Probandenzahlen
Vorsicht vor einer
Verallgemeinerung der Ergebnisse.
Weitere Forschung erscheint erforderlich
mit Blick auf Interferenzen
zwischen dysarthrischen Symptomen
und stimulationsbezogenen
Aspekten.
3. Neben der Evaluation der Funktion
stellt die funktionelle Bildgebung
Aphasie und verwandte Gebiete 2 / 2010 13

14
ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
einen validen Nachweis für Veränderungen
infolge einer Behandlung
dar. Die vorgestellte Studie (37) unterstützt
die anhand experimenteller
Aufgaben belegten Verbesserungen
der Sprechmotorik. Sie belegt
darüber hinaus Unterschiede
der zentralnervösen Organisation
von Handbewegungen und Sprechbewegungen
selbst für eine weitgehend
reduzierte, fast automatische
Sprachproduktion (37, 47). Die
hypokinetische Dysarthrie schlägt
sich in gesteigerten Aktivierungsmustern
der rechtshemisphäralen
SMA nieder, was die Annahme unterschiedlicher
Muster der sprechmotorischen
vs. der köpermotorischen
Kontrolle unterstützt, un abhängig
vom Nachweis sti mula tions induzierter
Normalisierung der Aktivierungsmuster
(37). So vermuten
einige Autoren eine frontale, nicht
dopaminerge Ursache der Dysarthrie
bei MP zumindest im fortgeschrittenen
Krankheitsstadium (6).
Unterschiedliche motorische und
sprechmotorische Verarbeitungsprozesse
würden vor allem die im Krankheitsverlauf
unter Stimulation grösser
werdende Schere zwischen Verbesserungen
der Körpermotorik und den
sich verschlechternden sprechmotorischen
Leistungen erklären. Unabhängig
davon ist zu bedenken, dass Sprechen
nicht nur auf Bewegung beruht,
sondern Emotion, Kognition und Sprache
als «basale» Prozesse erfordert,
die weniger tHS-sensibel oder ihrerseits
von der tHS irritiert sein können
(30, 52). Zusätzlich nehmen unabhängig
von der Stimulation kognitive Leistungen
im Krankheitsverlauf ab, ein
weiterer Grund für die Dichotomie
zwischen motorischen und sprachlichen
Leistungen im Krankheitsprozess
(8, 22). Angesichts einer ins gesamt
kleinen Anzahl von Untersuchungen
zu diesem Thema und der jeweils
gerin gen Probandenzahlen kann die
Interpretation der Ergebnisse nur mit
aller Vorsicht erfolgen und weitere
Forschung erscheint notwendig.
5.2 Sprachtherapeutische
Konsequenzen
Die Veröffentlichungen der vergangenen
zehn Jahre lassen keine eindeu tige
Aussage bezüglich der zu erwartenden
sprechmotorischen Leistung unter
der tHS-NST zu. Verbesserungen,
gleichbleibende Symtome und Verschlechterungen
können auftreten,
zusätzlich entsteht sich im Verlauf der
Krankheit eine deutliche Schere zwischen
Sprechmotorik und Gliedmassenmotorik.
Aus sprachtherapeutischer
Sicht ergibt sich daraus eine
Reihe von Überlegungen:
– Die tHS-NST kommt gegenwärtig
erst zur Anwendung, wenn sich
deutliche Wirkfluktuationen der Medikamente
zeigen (DGN Leitlinien
2008 Parkinson-Syndrom) und nur
dann, wenn die kognitiven Leistun-
Aphasie und verwandte Gebiete 2 / 2010

gen eine Demenz formal ausschliessen.
Dies bedeutet, dass der Krankheitsprozess
relativ weit fort geschritten
ist. Daher ist auch ohne formale
Demenz von Einschränkungen der
Lernfähigkeit ibs. im Sinne der Veränderung
von Gewohnheiten aus zugehen.
Dies beeinträchtigt in erster
Linie den Transfer erreichter Fertigkeiten
in alltägliche Kommunikation.
– Zusätzlich können Dyskinesien, seien
sie medikations- oder stimulationsinduziert
(35), im fortgeschrittenen
Stadium den Behandlungserfolg
stark begrenzen. Gemischte Dysarthrien
mit hypokinetischen und spastischen,
schlaffen oder leicht ataktischen
Anteilen verweisen auf für
das Sprechen ungünstige Stimulationsparameter
(49), lassen sich aber
meist nur zum Nachteil der Beweglichkeit
verändern. Hier ist sicherlich
seitens des behandelnden Teams
eine gute Absprache mit Patient und
Angehörigen erforderlich. Im Einzelfall
stellen Patienten in Absprache
mit dem einstellenden Neurologen
für ein längeres Gespräch den Stimulator
anders ein.
Unabhängig davon, ob eine rein medikamentöse
oder mit tHS-NST kombinierte
Behandlung erfolgt, bleibt die
sprachtherapeutische Behandlung
wesen tlich, um die Lebensqualität der
Patienten zu optimieren und sozialem
Rückzug entgegenzuwirken. Hierfür
liegen einige gut beschriebene Verfahren
vor (Übersicht Nebel u. Vogel
ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
2008 [32]). Das Lee Silverman Voice
Treatment (LSVT) ist aufgrund seiner
gut belegten Evidenz das «Verfahren
der Wahl», um eine bessere Lautstärke
zu erreichen (39). Eine Pilotstudie
zum LSVT mit fünf stimulierten Patienten
verweist auf einen wesentlich
schwierigeren Transfer (45) der lauten
Stimme in Alltagssituationen. Patienten
mit leiser und überhöhter Stimmlage
profitieren vermutlich mehr von
einer tiefen lauten Stimme, wie von
de Swart et al. 2003 (46) vorgeschlagen.
Die Nutzung eines «Pacing board»
(Tastbrett) zur Verlangsamung des
Sprechtempos ist von Helm 1979 (16)
sehr eindrücklich beschrieben worden,
doch liegen leider über ihre Fallstudie
hinaus keine Untersuchungen
vor. Nach persönlicher Erfahrung ist
der Einsatz des Tastbrettes nach tHS-
NST bei erhöhtem Sprechtempo sehr
hilfreich, wenn ebenso strukturiert
und hochfrequent im Intervall wie
beim LSVT gearbeitet wird. Eine Kombination
beider Verfahren, LSVT und
Tastbrett, wurde von L.O. Ramig in einem
Lehrvideo gezeigt. Nach meiner
persönlichen Erfahrung stellt es oft
eine Überforderung dar, da gleichzeitig
zwei Verhaltensweisen verändert
werden sollen.
Neben diesen beiden gut bekannten
Verfahren sind eine Reihe von erfolgreichen
Versuchen beschrieben, mit
Hilfsmitteln wie dem Speech Enhencer
(eine Art Stimmverstärker) oder einer
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ORIGINALBEITRAG – ARTICLE
verzögerten Rückkoppelung zu arbeiten
(Überblick Nebel u. Vogel 2008
(32)). Dies könnte aufgrund der verminderten
Lernleistung für stimulierte
Patienten hilfreich sein, doch liegen
dazu keine Daten vor. Ebenfalls im Einzelfall
erreichen Narayana et al. 2009
(31) Verbesserungen der Sprechproduktion
bei einem Parkinson-
Patienten mit spastischer Dysarthrie
nach tHS-NST unter transkranieller
Magnetstimulation (TMS). Doch bleibt
das Vorgehen zunächst experimen-
Literatur
tell, Trans fer und Langzeitergebnisse
fehlen.
Da gegenwärtig kein evidenzbasiertes
Verfahren für Patienten nach tHS-
NST vorliegt, erfordert jedwede Behandlung
besondere Dokumentation
und Orientierung an evidenzbasierten
Grundannahmen ibs. der hohen
Frequenz bei Behandlung im Intervall
(vgl. Literaturbericht Mov. Diss. 2002
(1)). Eine weitere Therapieforschung
könnte eine valide Basis für weitere
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Autoren: Nebel A., Volkmann J., Deuschl G.
Klinik für Neurologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Kiel
Korrespondenzadresse: Nebel A.
Arnold Heller Str. 3 (Haus 41)
D-24105 Kiel
a.nebel@neurologie.uni-kiel.de
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