Beide. - FAZ.net
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Rocky Mountains Polizeikommissarin, derzeit: Reisende<br />
BEI DER POLIZEI KÜNDIGEN – UM RAD ZU FAHREN<br />
An einem Tag die Polizeiausbildung abschließen und mit<br />
den Kollegen feiern, am nächsten Tag kündigen und nach Alaska<br />
radeln – natürlich haben da alle geguckt. Ich hatte ja wirklich<br />
niemanden in meine Pläne eingeweiht. Mittlerweile bin ich<br />
über eineinhalb Jahre unterwegs. Bereut habe ich den Schritt<br />
noch nicht.<br />
Ich werde manchmal gefragt, wie ich diesen sicheren Job<br />
bei der Polizei aufgeben konnte: garantierte Übernahme, auf<br />
Lebenszeit verbeamtet, immer festes Gehalt – für die meisten<br />
klingt das toll. Da kann doch nichts mehr schiefgehen. Dabei<br />
war für mich genau dieser Aspekt so abschreckend: dieses Sicherheitsdenken.<br />
Es gab da einen Schlüsselmoment an meinem<br />
22. Geburtstag, als mir ein Dozent an unserer FH zu 40<br />
weiteren anstehenden Dienstjahren gratulierte. Durch diesen<br />
Satz ist mir bewusst geworden, dass ich meine nächsten 40 Jahre<br />
genau aufzeichnen konnte. Ich wusste schon genau, was auf<br />
mich zukommen würde. Das war für mich einfach eine Horrorvorstellung.<br />
Diese Sicherheit hat mich eingeschränkt.<br />
Also habe ich gekündigt, per Einschreiben. Das ging so<br />
einfach aber nicht, den Kündigungsgrund „Weltreise“ gab es<br />
bei der Polizei noch nie. Ich wurde dann noch nach Duisburg<br />
zitiert, um das Kündigungsschreiben persönlich zu unterschreiben.<br />
Dann hatte ich auch noch ein Gespräch mit dem Polizeipräsidenten<br />
in Mönchengladbach, wo meine zukünftige<br />
Dienststelle gewesen wäre. Ihm konnte ich meine persönlichen<br />
Gründe darlegen. Das war mir sehr wichtig, denn ich habe<br />
ja nicht gekündigt, weil ich den Job nicht gemocht habe. Als ich<br />
einer befreundeten Kollegin dann erzählte, dass ich nun eine<br />
große Fahrradtour plane, war ihre erste Reaktion: „Da komme<br />
ich mit!“ Aber als sie dann gemerkt hat, dass ich drei Jahre lang<br />
weg sein werde, hat sie es sich anders überlegt.<br />
Da ich schon knapp drei Monate danach losfahren wollte<br />
– im Dezember 2010 – hatte ich nur wenig Zeit, um Reisevorbe-<br />
H O C H S C H U L<br />
A N Z E I G E R 46<br />
Swinde Wiederhold, 24<br />
reitungen zu treffen. Mit dem Fahrrad von Ushuaia in Argentinien<br />
bis nach Alaska fährt man ja nicht einfach so. Zu Hause<br />
hatte ich aber nur mein Hollandrad. Ich bin dann auch mal mit<br />
dem Trekkingbike meines Bruders zu meiner Oma geradelt, das<br />
waren immerhin 100 Kilometer. Das war’s an Vorbereitung.<br />
Mit dem Spezialfahrrad für Langstrecken, was ich mir bestellt<br />
hatte, konnte ich nur ein paar kurze Runden drehen, danach<br />
habe ich es in einen großen Karton gepackt und nach Argentinien<br />
geschickt. Mit der Sprache war es ähnlich: Mein erstes spanisches<br />
Wort habe ich im Flugzeug gesprochen, als ich mir ein<br />
„agua“ bestellt habe. Aber ich habe schnell gemerkt, dass die<br />
mentale Stärke auf meiner Reise viel wichtiger ist als ein spezielles<br />
Fahrradtraining.<br />
In Patagonien war ein wahnsinniger Wind, aber das war<br />
genau das, was ich am Anfang brauchte: Ich wollte die Herausforderung<br />
haben, um meine Grenzen zu testen. An Heiligabend<br />
– da war ich gerade zwei Wochen dort – war ich mit einem Kanadier<br />
unterwegs, und wir wollten unbedingt noch vor dem<br />
Abend den nächsten kleinen Ort erreichen – aber der Wind war<br />
so stark, dass ich das Fahrrad nicht mal mehr schieben konnte.<br />
Wir waren auf einer kleinen Schotterpiste unterwegs, haben<br />
uns dann irgendwann erschöpft an den Rand gesetzt. Wir hatten<br />
unheimliches Glück, dass ein italienisches Pärchen auf<br />
Hochzeitsreise im Pick-up vorbeigekommen ist und uns mitgenommen<br />
hat. Im Ort haben wir ein kleines Hostel gefunden,<br />
wo ich dann Weihnachten 2010 mit internationalen Backpackern<br />
ein argentinisches Asado, ein Grillfest, gefeiert habe.<br />
Das war sehr gemütlich. Es ist noch komplett offen, was ich<br />
nach meiner Rückkehr machen werde. Ich muss ja erst einmal<br />
den gesamten Betrag an die Polizei zurückzahlen, den ich während<br />
meiner Ausbildung dort verdient habe. Fest steht aber:<br />
Sobald ich wieder genug Geld habe, werde ich weiter reisen. Es<br />
gibt noch so viel zu sehen. Da ist Alaska noch nicht das Ende.<br />
P r o t o k o l l : s t e P h a n k n i e P s , f o t o : P r i v a t