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gerade von der weltweiten schwulen Fangemeinde<br />
besonders geschätzt werden. „Okay,<br />
du magst Broadway-Songs“, fertigt sie einen<br />
Jungen ab. „Das bedeutet aber nicht, dass du<br />
schwul bist. Es heißt nur, du bist dämlich.“ Als<br />
sie sich 1992 gegenüber den Eltern outet, sagt<br />
die Mutter: „Was ein Glück! Wir dachten<br />
schon, du hättest was Ernstes.“ Ihr Vater, eigentlich<br />
überzeugter Republikaner, wählt<br />
überraschend die Demokraten: „Weil Bill<br />
Clinton was für euch Homos tut.“ Da ist Lynch<br />
bereits 32, aber noch weit davon entfernt, ein<br />
globaler Serienstar zu sein. Es sind die Jahre, in<br />
denen ihr Agent gegenüber potenziellen Auftraggebern<br />
scherzt: „Für 1,50 Dollar und ein<br />
gutes Steak macht sie alles.“ Es ist die Zeit, in<br />
der sie bei einem Homeshopping-Kanal Thermoskannen<br />
losschlägt, und da sie mit ihrer<br />
kantigen Erscheinung eigentlich eine Fehlbesetzung<br />
ist, muss sie genau jene dummen der teufel trägt adidas: sue sylvester und ihr<br />
Blondchen in Marketing-Sprech trainieren, widerpart, der Glee-club-chef will schuester.<br />
die sie später ersetzen sollen. Rückblickend,<br />
sagt sie, sei das die beste Improvisationsausbildung gewesen, die man<br />
sich wünschen konnte. Anti-Läuse-Halskrausen verkauft man nicht<br />
mit seriösen Kommentaren, sondern mit Scharfsinn und Humor.<br />
Ihr Witz wird weiter ausgebildet bei der Comedy-Truppe The Second<br />
City aus Chicago. Anfang der Neunziger wird sie festes Ensemblemitglied<br />
und tourt als Sketch-Darstellerin durch die Staaten. Zur selben<br />
Zeit arbeiten für The Second City bereits die Komiker, die rund<br />
zehn Jahre später definieren werden, wie moderner Humor auszusehen<br />
hat: der Schauspieler Steve Carell, der mit der Büroserie „The Office“<br />
einen trotteligen Sadisten zum Superstar macht. Der Stand-up-Komiker<br />
Stephen Colbert, dessen politische Talkshow mehr gesehen wird<br />
als die Nachrichten. Die Autorin Tina Fey, deren schrill-selbstreflexive<br />
Sitcom „30 Rock“ über ein Team von Sitcom-Kreativen zum Fetisch<br />
der amerikanischen Intelligenz wurde (und nicht nur der). Mit Carell<br />
dreht Lynch 2005 einen Film, der als ihr offizieller Durchbruch gilt:<br />
„The Forty Year Old Virgin“. Carell spielt einen rührend-spießigen<br />
Elektrofachhändler, Lynch seine Chefin. Legendär ist das guatemaltekische<br />
Liebeslied, das sie dem verklemmten Angestellten vorsingt, um<br />
ihn zu verführen. Eine groteske Nummer, in der das größte Talent dieser<br />
Comedienne ein paar Minuten lang vollständig zum Ausdruck<br />
kommt: gleichzeitig peinlich und autoritär zu sein.<br />
Dieser dominante Zug wird ihr Markenzeichen. Lynch spielt<br />
Ärztinnen (in „The Fugitive“ mit Harrison Ford), Anwältinnen (als<br />
Gast in der Serie „The L Word“) und immer wieder Psychologinnen.<br />
Besonders gelungen sind ihre Auftritte als Dr. Linda Freeman in der<br />
Sitcom „Two and a Half Men“ an der Seite von Charlie Sheen. „200<br />
Dollar pro Stunde!“, entrüstet sich ihr Klient. „Eine Prostituierte kostet<br />
weniger!“ Freeman: „Ja, aber die muss auch nicht zuhören.“<br />
Lynch war selbst in Therapie; sie ist eine trockene Trinkerin und<br />
besuchte die Treffen der Anonymen Alkoholiker. Dort habe sie zwei<br />
Dinge gelernt, schreibt sie in ihrem Buch: dass mit einer seelischen<br />
Krankheit klarzukommen etwas Heldenhaftes ist und dass dieses Heldentum<br />
sehr witzig sein kann. Das klingt dann zum Beispiel so: „An<br />
meinem Dreißigsten, ich war erst ein paar Wochen nüchtern, schaute<br />
ich aus dem Fenster. Da stolperte ein Krüppel vorbei, eine furchtbar<br />
armselige, vom Schicksal gezeich<strong>net</strong>e Gestalt, und erbrach sich. Und<br />
ich dachte: Mann, was soll der Mist! Heute ist mein Geburtstag!“ Kann<br />
man selbstbezogener sein – und komischer? Womit man wieder bei<br />
H O C H S C H U L<br />
A N Z E I G E R 28<br />
Sue Sylvester wäre. Wenn sie durch die<br />
Schulgänge streift wie ein Raubtier, bereit,<br />
den nächsten Schüler anzufauchen; wenn<br />
sie ihre Cheerleader in endlosen Exerzitien<br />
quält und blafft: „Ihr glaubt, das sei<br />
hart? Ich sondere gerade einen Gallenstein<br />
ab, das ist hart!“, dann ist das die hohe<br />
Kunst der Gemeinheit, wie sie nur die besten<br />
Komiker zuwege bringen.<br />
Wäre Sylvester, die auf Leistung<br />
und Drill abonnierte Highschool-Medusa,<br />
nicht so deutlich satirisch, sie könnte<br />
eine Figur sein, die sich die Republikaner<br />
ausgedacht haben, um Obamas neue Bildungspolitik<br />
zu diffamieren. Der Präsident<br />
hat Bushs „No Child Left Behind“-<br />
Strategie – kein Kind bleibt zurück, alle<br />
müssen in einer bestimmten Zeit Grundkenntnisse<br />
in Mathematik und Lesen erlangen<br />
–, durch die „Race to the Top“-<br />
Kampagne ersetzt. Mit dem „Rennen an<br />
die Spitze“ will Obama die öffentlichen<br />
Schulen fördern. Konkret heißt das: Wenn die Schüler der dritten bis<br />
achten Klassen bei den jährlich stattfindenden Standardtests versagen,<br />
werden die betreffenden Lehrer gefeuert. In Washington kam es<br />
deshalb zu Massenentlassungen; rund fünf Prozent der staatlichen<br />
Erzieher verschwanden aus den Klassenzimmern. Sue Sylvester ist<br />
eine Pädagogin genau nach dem Zuschnitt einer solchen Leistungsidee,<br />
und in der dritten, aktuell laufenden Staffel von „Glee“ dreht sie<br />
die Schraube des sozialen Darwinismus noch ein schönes, irres Stück<br />
weiter. Weil kreative Projekte Geld kosten, hat Sylvester ein neues<br />
Motto: „Arts are like Crack!“ „Die Arbeitslosigkeit geht durch die<br />
Decke, der Dollar ist schwach, in solchen Zeiten riecht Kunst noch<br />
mehr nach Elitismus und Eitelkeit“, sagt Sylvester. „Wir Amerikaner<br />
werden das nicht hinnehmen.“ Stellvertretend für die Künste muss<br />
natürlich der Glee-Club herhalten, und auch dieses Mal können sich<br />
die liebenswürdigen Nerds auf das Schlimmste gefasst machen: „Ich<br />
habe wasserfeste Kissen auf eure Sitze verteilt“, schnarrt Sylvester in<br />
die Runde verängstigter Schüler. „Lasst euren Gefühlen in Erwartung<br />
des Kommenden schon mal freien Lauf.“ Das tun wir und lachen,<br />
bis es schmerzt. Oder war es anders herum?<br />
Die dritte Staffel „Glee“ läuft zurzeit immer montags<br />
um 20.15 Uhr bei SUPER RTL. Man kann die Folgen zudem<br />
bei iTunes kaufen, auch in der Originalfassung, was<br />
sich bei Sue Sylvester wirklich lohnt. Die ersten beiden<br />
Staffeln gibt es auf DVD zum Preis von je 25 Euro (zum<br />
Beispiel bei Amazon). Passend zu den laufenden Folgen,<br />
in denen einige Schüler ihren Abschluss machen, gibt<br />
es das „Graduation Album“ auf CD mit neuen Cover-<br />
Versionen, darunter „Forever Young“ (Alphaville), „Good<br />
Riddance“ (Green Day) und „You Get What You Give“<br />
(New Radicals).<br />
Die Liebeslied-Szene aus „The Forty Year Old<br />
Virgin“ findet man auf Youtube: www.youtube.com/<br />
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