i N T e R V i e W : a N N a G i e l a s DIE CHEMIE DER LIEBE kaum jemand kennt sich mit der wissenschaft der liebe so aus wie der brite robin dunbar. uns hat er verraten, warum das küssen wichtig ist. und warum es kein verflixtes siebtes Jahr gibt – aber ein drittes. f o t o s : P l a i n P i c t u r e , l a i f H O C H S C H U L A N Z E I G E R 24
Professor Dunbar, welchem Zweck dient das Küssen? Beim Küssen geht es um die Speichelprobe. Sie liefert uns Rückschlüsse auf die Gesundheit und so auch auf die Qualität der Gene eines potenziellen Partners. Zum Beispiel können starker Mundgeruch oder saurer Speichel auf Krankheit hinweisen. In der Beziehung dient das Küssen einem anderen Zweck. Hier erfüllt es soziale Funktionen wie etwa eine Festigung der Partnerschaft und die Synchronisierung des Sexualverhaltens. Weil durch das Küssen beide Lust auf Sex bekommen. Und welchen biologischen Zweck erfüllt die liebe? Nun, die menschliche Fortpflanzung ist ein aufwendiger Prozess. Sie erfordert Zeit, Ressourcen, Einsatz. Also braucht es einen Mechanismus, der uns involviert und engagiert hält. Wieso aber die emotionalen Unterschiede zwischen Verliebtheit und der großen liebe? Sie weisen uns den Weg, in welche Beziehung wir wie viel Energie und Aufwand investieren sollen. Der Glaube an die große Liebe scheint notwendig dafür, eine stabile, langfristige Partnerschaft aufzubauen. Das intensive Gefühl macht mutig, animiert beide oder zumindest einen der beiden Involvierten, sich für die Zweisamkeit einzusetzen. ist der Mensch von Natur aus monogam? Der Mensch besitzt sicherlich die Neigung zur monogamen Partnerschaft. Er konzentriert sich auf einen einzigen Partner. Aber – das große Aber – diese Monogamie kann temporär sein und hält, anders als im Tierreich, generell nicht ein Leben lang. Was heißt temporär? Vielen gilt das siebte Jahr als der kritische Zeitpunkt in einer Beziehung. Die Bewährungsprobe kommt schon viel früher. Unseren Beobachtungen zufolge steht die Beziehung nach drei Jahren auf der Härteprobe. Wird sie gemeinsam durchgestanden, scheint die Bindung anschließend zehn Jahre und länger halten zu können. Halten ist eine sache – aber wieso schwindet dabei die leidenschaft? Das ist eine gute Frage. Ehrlich: Wir wissen es derzeit nicht. Neigen studierende eigentlich eher zum Fremdgehen als ihre altersgenossen? Unsere Beobachtungen liefern keine Hinweise darauf, dass Studierende auffällig promiskuitiv sind. Wobei das Campus-Leben das Paarungsspiel sicherlich einfacher macht. Nicht zuletzt, weil man außerhalb der Sichtweite von allen möglichen Kontrollinstanzen ist. Auch von denjenigen, die man seit der Kindheit gewohnt war. suchen studierende ihre Partner anders aus als Professoren? Soweit wir das beurteilen können: nein. Wir ticken da grundsätzlich gleich. sie sind der erfinder der sogenannten Dunbar’s Number, der zufolge wir nur mit einer begrenzten Zahl Menschen befreundet sein können – weil die Kapazität unseres Gehirnes begrenzt ist. Die Zahl liegt bei rund 150. Trotzdem haben wir alle viel mehr Facebook-Freunde, was die auswahl an potenziellen Partnern vergrößern müsste … Facebook ändert nichts an der Zahl unserer Freundschaften, das hat das Unternehmen anhand eigener Daten bestätigt. Was sich verändert hat: Heute schaffen wir es, Freundschaften über lange Zeit und trotz widriger Umstände am Leben zu halten. Was entscheidet, ob wir uns in eine Person verlieben, wenn wir ihr das erste Mal begegnen? Oh meine Güte, das ist sehr kompliziert. Natürlich spielen für den Mann bei der Wahl der Partnerin die äußere Erscheinung und das Alter der Frau eine Rolle. Auch für Frauen zählt das Aussehen bei der ersten Begegnung. An Aussehen und Bewegungen lesen sowohl Frauen als auch Männer die Gesundheit und potenziell auch die ge<strong>net</strong>ische Beschaffenheit ihres Gegenübers ab. Frauen achten bei der ersten Begegnung auch auf Hinweise darauf, wie verlässlich und loyal der Mann als Partner wäre. Das lesen sie zum Beispiel daran ab, wie aufmerksam die Männer ihnen gegenüber sind und wie viel Mühe sie sich geben. Das klingt geradezu furchtbar stereotyp. Darauf deutet nun einmal die Biologie hin. aber die idealvorstellungen von einem Partner variieren durchaus … Sie variieren, natürlich. Aber diese Idealvorstellungen werden niemals erreicht, sodass wir Kompromisse eingehen und das geringste Übel wählen – uns für den besten Partner entscheiden, der uns in einem konkreten Lebensabschnitt zur Auswahl steht. Das, Professor Dunbar, war ein desillusionierendes interview. Sollte es nicht sein. Unter den Gefühlen von Liebe und Magie brodeln nämlich einzigartig ausgeklügelte biochemische Ebbe und Flut. Wir sprechen lapidar von „Die Chemie muss stimmen“ – und ahnen nicht annähernd, wie recht wir damit haben. H O C H S C H U L A N Z E I G E R 25 Robin Dunbar, 65, ist An thropologe und Psychologe. Der Engländer forscht an der Universität Oxford zur evolutionären Psychologie. Im April erschien sein neues Buch „The Science of Love and Betrayal“ (Faber and Faber, 16,99 Euro).