Komm, wir müssen Monster killen Malachai nicolle ist der erfinder des vielleicht spannendsten inter<strong>net</strong>-comics der letzten Jahre. die story ist blutig, ihr held ein axtschwingender Polizist. und Malachai? erst acht Jahre alt. V O N D a N i e l H a a s H O C H S C H U L A N Z E I G E R F o t o S : Z e r o D e a n , i l l U S t r a t i o n : e t h a n n i C o l l e 20
Es hätte ein friedliches Fest werden können. Wenn die Axt nicht gewesen wäre. Die Nicolles sind eine <strong>net</strong>te amerikanische Patchworkfamilie aus Washington. An Weihnachten kommen immer alle zusammen: der Vater, ein ehemaliger Schreiner und jetzt in Rente, seine zweite Frau Diane, eine Grundschullehrerin, die drei Söhne aus erster Ehe, die beiden Töchter aus der zweiten. Und Malachai (sprich: Mala-kei). Mit fünf ist er der Nachzügler der Truppe; der, mit dem keiner mehr gerech<strong>net</strong> hatte und der nun mit seiner vorlauten Art alle auf Trab hält. Unterm Christbaum entdeckt der Junge ein Feuerwehrmann-Set mit allem Drum und Dran: ein kleiner Plastikhelm, Handschuhe, ein Löschschlauch. Und die Axt. Die meisten Kinder hätten nun Feuerwehr gespielt, ein bisschen Tatütata und vielleicht mit dem Schlauch das Sofa bespritzt. Weil in Malachai eine Künstlerseele schlummert – Damon Lindelof, der Schöpfer der Fernsehserie „Lost“ und Drehbuchautor des Blockbusters „Prometheus“, wird später über den Jungen sagen, er sei ein Genie –, ist die Axt nicht irgendein Utensil für Feuerwehrleute. Sondern das ultimative Instrument zur Verbrechensbekämpfung. „Komm, wir spielen Axe Cop!“, sagt Malachai zu Ethan. Ethan, 29, ist der Lieblingsbruder des Jungen, denn er ist Comic-Zeichner. Er erfindet Geschichten, zum Beispiel die von Chumble Spuzz, zwei Chaoten, die auf der Kirmes ein Schwein gewinnen, das vom Teufel besessen ist. Der junge Mann ist außerdem ein erfahrener Partner, wenn es darum geht, sich gemeinsam Fantasiewelten zu erschaffen. Deshalb sagt Ethan sofort das Richtige: „Axe Cop, okay. Und wer bin ich?“ Malachai zieht eine Melodica aus einer Spielzeugkiste und drückt sie dem Bruder in die Hand. „Was soll das sein?“ „Eine Flöte“, sagt Malachai. „Also bin ich Flute Cop.“ „Genau.“ „Und was machen wir jetzt?“ „Na, wir gehen an die Arbeit. Wir haben Monster zu killen.“ Das war vor drei Jahren. Seitdem ist in den Geschichten des Axtpolizisten und seiner Helfer – Flöten-Cop, Baby Man und Sockarang, ein Socken schleudernder Catcher – jede Menge Monsterblut geflossen. Jedenfalls im Inter<strong>net</strong> und auf dem Papier. Die Abenteuer, die sich Malachai ausdenkt und die von Ethan gezeich<strong>net</strong> werden, haben sich zu einem der erfolgreichsten Independent-Comics der letzten Jahre entwickelt, sind sowohl Web-Phänomen als auch Verkaufsschlager für den Dark-Horse-Verlag, der die Geschichten als Paperback veröffentlicht. Spätestens, als der britische Schauspieler Simon Pegg, Star aus „Mission: Impossible III“, seine hun- www.jailers.de derttausend Twitter-Anhänger mit „Read ‚Axe Cop‘!“-Aufrufen überraschte, gab es kein Halten mehr. 30.000 Facebook-Anfragen quasi über Nacht, ebenso viele Follower bei Twitter und eine Website, die den Ansturm erst einmal nicht verkraften konnte. Nach drei Folgen brach kurzzeitig der Server zusammen. Wenn man Ethan Nicolle darauf anspricht, dann nuschelt er ins Telefon, als mache ihn das alles verlegen. Man sieht ihn förmlich vor sich, wie er am Zeichentisch sitzt, ein pummeliger Nerd, der Vollbart trägt und mit Bandnamen bedruckte T-Shirts. Nein, das Ganze sei überhaupt nicht geplant gewesen, sagt er mit breitem Westküstenakzent. Er habe die ersten Storys aus Spaß für die Familie gezeich<strong>net</strong> und dann auf Facebook gepostet. Aber dann setzte das ein, worauf alle, die im Netz auf eigene Rechnung Kunst veröffentlichen, hoffen: der virale Effekt. Einer sendet einen Link weiter an den nächsten und immer so fort, und schließlich lesen 30.000 am Tag Geschichten über einen Polizisten, der kosmische Superschurken jagt, Mädchen doof findet und am Tag nur zwei Minuten schläft. „Die meisten Polizisten arbeiten entweder nachts oder tagsüber“, heißt es in einer Geschichte. „Ich bin ein glücklicher Cop. Ich arbeite rund um die Uhr.“ Für Ethan ist „Axe Cop“ mehr als ein Achtungserfolg: Es ist die Chance, in einem sehr harten Geschäft den Lebensunterhalt zu sichern. Er hat nicht studiert, „war auch nicht nötig“, sagt er fast patzig, „in der Szene gibt es viele, die an Kunstschulen ausgebildet werden und trotzdem scheitern.“ Die, die es nach oben schaffen, das sind die Zeichner von DC und Marvel, den beiden großen Comic-Konzernen. Sie erhalten stattliche Honorare, müssen aber ihre Rechte vollständig an den Auftraggeber abtreten. Dabei geht es um horrende Summen: Die Branche boomt, der digitale Markt ist regelrecht explodiert. Die Umsätze von ComiXology, der größten Plattform für Online-Comics, liegen im ersten Quartal 2012 um 450 Prozent höher als im letzten Jahr – zwischen Januar und April haben Abonnenten mehr als 15 Millionen Comics heruntergeladen. Zur selben Zeit gingen in Amerika rund 24 Millionen Comic-Bücher über den Ladentisch. Weil Ethan die Rechte nicht an einen Verlag verkauft, kann sich „Axe Cop“ in eine Goldgrube verwandeln. Das heißt aber auch: mehr Arbeit, vor allem für Malachai. Um mittlerweile drei Comic-Bände zu füllen und eine gefräßige Web-Gemeinde mit immer neuen Episoden zu versorgen, reichen Telefonate nicht mehr aus. Ethan, der in Los Angeles lebt, macht nun regelmäßig mehrwöchige Besuche bei seinem kleinen Bruder, und im September wird Malachai einen Monat in Kalifornien verbringen. Dann werden sie sich wieder in Ethans geparktes Auto setzen und Verbrecherjagd spielen: Malachai auf dem Fahrersitz, sein Bruder als Kopilot, das Armatu- H O C H S C H U L A N Z E I G E R 21 oben: vollkommen hacke: das brüderpaar ethan und malachai nicolles. unten: der eine redet, der andere schreibt mit – so entsteht der comic.