200 Jahre Krupp - WESTSELLER
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<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong><br />
KRUPP<br />
Eine Sonderveröffentlichung der Thyssen<strong>Krupp</strong> AG in Zusammenarbeit mit der WAZ Mediengruppe<br />
Der Visionär<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und<br />
Halbach stellte die Weichen<br />
für die Zukunft. Seiten 6/7<br />
Weltunternehmen<br />
mit Tradition<br />
Sonntag, 20. November 2011<br />
Herr der Ringe<br />
Berthold Beitz verwaltet das<br />
<strong>Krupp</strong>-Erbe und bewahrt die<br />
Tradition. Seiten 8/9
2|<br />
INHALT<br />
3 Berthold Beitz: Tradition und Moderne<br />
4/5 Eine Familie macht Geschichte<br />
6/7 Der letzte <strong>Krupp</strong><br />
8/9 Der Herr der drei Ringe<br />
10/11 Drei Ringe für die Zukunft<br />
12 Gerhard Cromme: Erfolgreiche Verbindung<br />
13 Ein stolzes Vermächtnis<br />
14/15 Weltweite Spuren<br />
16/17 Die starken Frauen<br />
18/19 Der Lehrling und der Chef<br />
20/21 Ein Mythos in Bildern<br />
22/23 <strong>Krupp</strong> verwurzelt in der Region<br />
24/25 Auch der Kaiser war zu Gast<br />
26/27 <strong>Krupp</strong> und die Großen der Welt<br />
28/29 Weltausstellungen als Tor zu neuen Märkten<br />
30/31 Mensch im Mittelpunkt<br />
32/33 Von der Tauchkugel bis zur Zahnprothese<br />
34/35 Auf den Spuren von <strong>Krupp</strong><br />
36/37 Die Legende Beitz<br />
38 Interview Heinrich Hiesinger<br />
39 Besonderes Unternehmen<br />
IMPRESSUM<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong>. Sonderveröffentlichung der Thyssen<strong>Krupp</strong> AG,<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong> Allee 1, 45143 Essen, in Zusammenarbeit mit der<br />
WAZ Mediengruppe<br />
Redaktion: Wolfgang Ibel, Lothar Petzold<br />
Mitarbeit: Werner Abelshauser, Hans-Willy Bein, Bärbel Brockmann,<br />
Susanne Brzuska, Peter Hahne, Thorsten Heck, Ingrid Janssen, Björn<br />
Lohmann, Thomas Mendle, Denise Ohms (Foto), Thomas Rünker<br />
Produktion: Christoph Brunswick, Lena Wannigmann<br />
Produktmanagement WAZ: Mirco Striewski (Ltg), Philipp Jann<br />
Alle Abbildungen: Historisches Archiv <strong>Krupp</strong> (außer S. 2 o., S. 8,<br />
S. 12, S. 19, S. 23, S. 25, S. 30 u., S. 31, S. 34-35, S. 38)<br />
Druck: WAZ Druck, Theodor-Heuss-Straße 77, 47167 Duisburg<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Weltstar spielt<br />
zum Jubiläum<br />
Auch der Bundespräsident kommt zur <strong>200</strong>-Jahr-Feier<br />
So wie man es von<br />
<strong>Krupp</strong> gewohnt ist,<br />
zeigt man sich auch<br />
bei dem großen Jubiläum<br />
bescheiden. Bei einem<br />
Festakt in der Villa Hügel<br />
in Essen, wird man im<br />
kleinen Rahmen die lange<br />
und großartige Geschichte<br />
von <strong>Krupp</strong> würdigen.<br />
Es wird mit Stil gefeiert.<br />
Alleine die beeindruckende<br />
Villa Hügel mit ihren<br />
imposanten Räumlichkeiten, den riesigen<br />
Türen, dem prächtigen Blick auf den<br />
Baldeneysee und in den Park bietet ein<br />
großartiges Ambiente. Etwa <strong>200</strong> Gäste –<br />
passend zum Jubiläum – werden am 20.<br />
November, dem offiziellen Gründungsdatum<br />
der Firma <strong>Krupp</strong>, dem heutigen<br />
Weltkonzern gratulieren.<br />
Als Festredner angekündigt: Bundespräsident<br />
Christian Wulff und NRW-<br />
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.<br />
Auf der Gästeliste der Alfried <strong>Krupp</strong><br />
von Bohlen und Halbach-Stiftung stehen<br />
neben Repräsentanten der deutschen<br />
Politik und Top-Managern auch einige<br />
<strong>Krupp</strong>ianer, die sich neben Berthold Beitz<br />
Daniel Barenboim spielt zum <strong>Krupp</strong>-Jubiläum.<br />
wahrscheinlich am besten an die vergangenen<br />
<strong>Jahre</strong> erinnern können.<br />
Eröffnet wird die Jubiläums-Veranstaltung<br />
von Berthold Beitz. Festredner sind<br />
Bundespräsident Christian Wulff, NRW-<br />
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft,<br />
Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß,<br />
Konzernbetriebsratschef Thomas Schlenz<br />
und Thyssen<strong>Krupp</strong>-Aufsichtsratsvorsitzender<br />
Gerhard Cromme.<br />
Auf besonderen Wunsch von Berthold<br />
Beitz wird als musikalisches Highlight<br />
der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim<br />
spielen. Aufgrund der persönlichen<br />
Verbundenheit zu Beitz hat der Weltstar<br />
spontan zugesagt und wird mit Werken<br />
von Schubert den Festakt untermalen.◄<br />
Das kolorierte Lichtbild auf Seite 1 zeigt das<br />
Gießen einer 50 Tonnen schweren Stahlbramme<br />
aus zwei Pfannen, um 1902. Zeichnung<br />
unten: Die Gussstahlfabrik von <strong>Krupp</strong>. Ein<br />
kolorierter Druck von Franz Lohe, um 1890.
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
<strong>Krupp</strong> – Tradition und Moderne<br />
Ein Geleitwort von Berthold Beitz<br />
Im Jahr 1811, vor <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong>n, gründete<br />
Friedrich <strong>Krupp</strong> in Essen eine<br />
Gussstahlfabrik. Die Anfänge des<br />
Unternehmens waren schwierig. Friedrich<br />
<strong>Krupp</strong> häufte Schulden an, und auch<br />
sein Sohn und Nachfolger Alfred <strong>Krupp</strong><br />
machte ein Jahrzehnt lang Verluste und<br />
war auf die Unterstützung seiner Familie<br />
angewiesen. Erst in den späten 1830er<br />
<strong>Jahre</strong>n wendete sich das Blatt und<br />
aus einer unbedeutenden Firma in der<br />
preußischen Provinzstadt Essen wurde ein<br />
international tätiges Unternehmen, dessen<br />
wirtschaftlicher Erfolg mit einer besonderen<br />
sozialen Fürsorge für die Mitarbeiter<br />
einherging.<br />
Die Geschichte von <strong>Krupp</strong> hat auch<br />
die Geschichte der Stadt Essen geprägt.<br />
Essen ist mit <strong>Krupp</strong> groß geworden. Die<br />
Stadt hat aber auch unter <strong>Krupp</strong> gelitten.<br />
So galten die alliierten Bombenangriffe,<br />
die seit 1943 ganz Essen trafen, wohl<br />
eigentlich den <strong>Krupp</strong>schen Werken. Der<br />
Wiederaufbau in der Nachkriegszeit war<br />
mühsam und wäre ohne die sprichwörtlich<br />
gewordenen „<strong>Krupp</strong>ianer“ nicht möglich<br />
gewesen. Wer auf <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> Firmengeschichte<br />
zurückblickt, möchte gern die<br />
guten Seiten sehen. Aber es ist richtig, sich<br />
auch an die Zeiten zu erinnern, in denen<br />
es unsicher war, ob man die nächsten zwei<br />
<strong>Jahre</strong> übersteht.<br />
Viele deutsche Traditionsunternehmen<br />
haben den Wandel der Zeiten nicht<br />
überstanden, sind untergegangen, wurden<br />
geschlossen oder verkauft. <strong>Krupp</strong> ist geblieben<br />
und gegenwärtig. Der Name wurde<br />
erhalten, Traditionen wurden gewahrt.<br />
Alfried <strong>Krupp</strong>, der letzte persönliche<br />
Inhaber des Unternehmens, hat 1967 testamentarisch<br />
die Gründung der gemeinnützigen<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und<br />
Halbach-Stiftung verfügt und damit die<br />
Weichen für die Zukunft gestellt.<br />
Die Stiftung ist heute die größte Einzelaktionärin<br />
des Unternehmens Thyssen<strong>Krupp</strong>.<br />
Dessen Einheit möglichst zu<br />
wahren, ist eine ihrer Aufgaben, und für<br />
die Erfüllung dieser Aufgabe ist sie gelobt<br />
und gescholten worden. Es ändert nichts<br />
am Ergebnis: Thyssen<strong>Krupp</strong> ist heute einer<br />
der größten Technologiekonzerne Europas<br />
und ein, wie es in der Sprache moderner<br />
Manager wohl heißt, „global player“. Firmensitz<br />
ist wieder Essen.<br />
Die <strong>Krupp</strong>-Stiftung ist dem Gemeinwohl<br />
verpflichtet. Sie verwendet ihre Erträge<br />
für gemeinnützige Vorhaben. Durch<br />
das Wirken der Stiftung steht der Name<br />
<strong>Krupp</strong> für medizinische Versorgung, Kultur,<br />
Bildung und wissenschaftlichen Fortschritt.<br />
Es gibt markante Orte, die <strong>Krupp</strong>sche<br />
Tradition repräsentieren und von<br />
denen manche dem Traditionsbewusstsein<br />
der Stiftung viel zu verdanken haben: Villa<br />
Hügel, das <strong>Krupp</strong>-Krankenhaus, die Siedlung<br />
Margarethenhöhe, der Alfried <strong>Krupp</strong>-<br />
Saal in der Philharmonie oder das von der<br />
Stiftung finanzierte Museum Folkwang. Es<br />
gibt aber auch wissbegierige <strong>Krupp</strong>-Stipendiaten<br />
an Essener Schulen, an deutschen<br />
Hochschulen oder an der amerikanischen<br />
Stanford University, die eine Förderung<br />
durch die Stiftung erhielten und die für<br />
den Mut stehen, die Herausforderungen<br />
der Zukunft anzunehmen.<br />
„Vorstellungen einer falsch verstandenen<br />
Tradition“, so hat es Alfried <strong>Krupp</strong><br />
einmal ausgedrückt, „dürfen uns nicht<br />
hindern, zu neuen Wegen zu finden.“<br />
|3<br />
Mein Dank gilt den <strong>Krupp</strong>ianern und<br />
allen, die diese neuen Wege mitgegangen<br />
sind.<br />
Berthold Beitz<br />
Vorsitzender des Kuratoriums<br />
der Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen<br />
und Halbach-Stiftung
4| <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Gustav und Bertha <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach mit<br />
ihrem Sohn Alfried beim Ausritt, um 1911.<br />
Friedrich Alfred <strong>Krupp</strong> und Margarethe von Ende als<br />
Brautpaar, 1882.<br />
Alfred <strong>Krupp</strong>, Essen, um 1875. Foto: Heinrich Fleischhauer<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
im Wandel der Zeit<br />
Eine Familie<br />
macht<br />
Geschichte<br />
1811 wurde in Essen der Grundstein<br />
für ein Weltimperium gelegt<br />
Man schreibt das Jahr 1587, als ein<br />
niederländischer Zuwanderer<br />
namens Arndt <strong>Krupp</strong> erstmals<br />
im Verzeichnis der Kaufmannsgilde der<br />
ziemlich unbedeutenden kleinen Landstadt<br />
Essen auftaucht. Formell ist Essen<br />
ein reichsunmittelbares Stift, regiert von<br />
einer Äbtissin, doch will das im beginnenden<br />
Zeitalter absolutistischer Großstaaten<br />
nicht viel bedeuten. Die <strong>Krupp</strong>s allerdings<br />
wissen ihre Chancen zu nutzen. In kurzer<br />
Zeit sind sie durch Wohlstand und Heirat<br />
in die städtische Oberschicht gelangt,<br />
immer wieder über zwei Jahrhunderte lang<br />
werden sie in ehrenamtliche Verwaltungsfunktionen<br />
gewählt. 1799 erwirbt Helene<br />
Amalie <strong>Krupp</strong> das zweitälteste Eisenwerk<br />
des später so genannten Ruhrgebiets, die<br />
Gutehoffnungshütte – es ist der erste Ausflug<br />
der Kaufmannsfamilie in das industrielle<br />
Metier.<br />
Das ist die Ausgangslage, als sich 1811<br />
der 24 <strong>Jahre</strong> alte Friedrich <strong>Krupp</strong> anschickt,<br />
dem Geheimnis des englischen<br />
Gussstahls auf die Spur zu kommen. Mit<br />
geerbtem und geliehenem Geld und einigen<br />
Erfahrungen in der Eisenhütte seiner<br />
Großmutter gründet Friedrich in der Essener<br />
Innenstadt eine kleine Stahlschmelze.<br />
Die ersten Fabrikgebäude entstehen „an<br />
der Walkmühle“ in Altenessen. Die Versu-<br />
1811<br />
Der Anfang<br />
1587 werden die <strong>Krupp</strong>s in Essen das erste<br />
Mal erwähnt. Am 20. November 1811<br />
gründet Friedrich <strong>Krupp</strong> in Essen eine<br />
Gussstahlfabrik.<br />
che sind nur bedingt von Erfolg gekrönt,<br />
aber heute ist sich die Forschung einig:<br />
Friedrich <strong>Krupp</strong>, der bereits 1826 starb,<br />
war zwar überoptimistisch und vertraute<br />
den falschen Partnern, aber er schuf die<br />
Keimzelle für einen noch heute bestehenden<br />
Weltkonzern.<br />
Durchbruch mit<br />
wichtigen Erfi ndungen<br />
Seinem erst 14-jährigen Sohn Alfred ist<br />
es vorbehalten, zum eigentlichen Architekten<br />
dieses Unternehmens zu werden.<br />
Münzstempel, Walzen und Werkzeuge<br />
sind seine ersten Produkte. Die <strong>Jahre</strong> nach<br />
1850 brachten dann den Durchbruch mit<br />
zwei wichtigen Erfindungen: Der nahtlose<br />
Eisenbahnradreifen senkte mit einem<br />
Schlag die Unfallhäufigkeit dieses noch<br />
jungen Verkehrsmittels, die Kanone aus<br />
Gussstahl revolutionierte die Waffentechnik.<br />
Alfred <strong>Krupp</strong>s unternehmerischer<br />
Genius, sein Gespür vor allem für den<br />
Wert dessen, was später Öffentlichkeitsarbeit<br />
heißen wird, macht aus einer Firma<br />
schließlich einen Mythos. Als Mensch<br />
wenig gewinnend, oft schroff im Auftreten<br />
und auf einen rigiden Herr-im-Haus-<br />
Standpunkt pochend, setzt er andererseits<br />
Maßstäbe bei der sozialen Absicherung
seiner Arbeiter. Mit einer zufriedenen<br />
Stammarbeiterschaft, so Alfred <strong>Krupp</strong>s<br />
Kalkül, lassen sich die Qualitätsmaßstäbe<br />
halten und revolutionäre Umtriebe von<br />
der Fabrik fern halten. Mit dem Bau der<br />
Villa Hügel als Wohnsitz und Firmenrepräsentanz,<br />
setzt Alfred <strong>Krupp</strong> ein machtvolles<br />
Zeichen bürgerlichen Stolzes, das<br />
bis heute Bestand hat.<br />
In vielen Unternehmenschroniken<br />
ist die dritte Eigentümer-Generation die<br />
Problematische. Nicht so bei den <strong>Krupp</strong>s.<br />
Friedrich Alfred <strong>Krupp</strong>, der einzige Sohn,<br />
ist zwar aus weicherem Holz geschnitzt,<br />
hat aber eigene Talente, die das Unternehmen<br />
nach dem Tod von Alfred 1887 gut<br />
gebrauchen kann: Er sieht die Chancen<br />
des wissenschaftlichen Zeitalters klarer als<br />
sein Vater, und er nutzt die Möglichkeiten<br />
der guten Konjunktur des späten Kaiserreichs,<br />
um aus <strong>Krupp</strong> einen wirklichen<br />
Konzern mit Zweigbetrieben weit über<br />
Essen hinaus zu schmieden. Das Hüttenwerk<br />
in Duisburg-Rheinhausen ist seine<br />
bedeutendste Gründung. Friedrich Alfred<br />
<strong>Krupp</strong> stirbt 1902 erst 48-jährig unter<br />
Umständen, die in die Mediengeschichte<br />
eingegangen sind. Gerüchte über seine<br />
angebliche Homosexualität gelangen aus<br />
seinem Lieblingsdomizil, der Insel Capri,<br />
nach Deutschland und lösen einen Pres-<br />
1812<br />
Die Zukunft<br />
Alfred <strong>Krupp</strong> wird am 26.4.1812 geboren.<br />
Im selben Jahr werden der Schmelzbau<br />
und ein Hammerwerk an der Walkmühle<br />
in Altenessen errichtet.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
seskandal aus, der seinen Tod zur Folge<br />
hat – ob durch eigene Hand oder aufgrund<br />
seiner seit jeher angeschlagenen Gesundheit,<br />
ist bis heute nicht völlig geklärt.<br />
Die älteste Tochter Bertha <strong>Krupp</strong> ist zu<br />
diesem Zeitpunkt erst 16, doch dass eine<br />
Frau einen solchen Konzern leitet, wäre<br />
für die Zeitgenossen auch dann undenkbar,<br />
wenn Bertha bereits ein reiferes Alter<br />
besäße. So fügt es<br />
sich, dass die Alleinerbin<br />
bei einer Reise<br />
nach Rom 1906 den<br />
Diplomaten Gustav<br />
von Bohlen und Halbach<br />
kennenlernt und<br />
dieser nach der Heirat<br />
rasch in die Rolle des<br />
Firmenleiters hineinwächst. Dank einer<br />
Sondergenehmigung Kaiser Wilhelm II.<br />
darf der Ehegatte den Namen <strong>Krupp</strong> vor<br />
seinen eigenen stellen – ein Recht, das<br />
auf den jeweils erstgeborenen männlichen<br />
Nachfolger übergeht. Diese Regelung<br />
macht es möglich, dass Familie und<br />
Firma auch nach außen weiter als Einheit<br />
auftreten können, was für den Mythos, der<br />
um das Unternehmen gestrickt wird, nicht<br />
unbedeutend ist.<br />
Gustav <strong>Krupp</strong> muss, was niemand ahnen<br />
konnte, das Unternehmen durch seine<br />
„Der Zweck der Arbeit soll<br />
das Gemeinwohl sein, dann<br />
bringt Arbeit Segen, dann<br />
ist Arbeit Gebet.“<br />
schwerste Periode führen. Bis 1914 erfreut<br />
sich <strong>Krupp</strong> einer beständigen Hochkonjunktur,<br />
der Erste Weltkrieg führt zu einer<br />
beispiellosen Ausweitung der Rüstungsproduktion,<br />
die Niederlage Deutschlands<br />
dann zum Beinahe-Zusammenbruch auch<br />
der Firma. Durch das Verbot der Siegermächte,<br />
Waffen zu produzieren, muss<br />
<strong>Krupp</strong> sich in der Weimarer Republik<br />
komplett neu erfin-<br />
den, was nur unter<br />
Mühen und einem<br />
finanziellen Balanceakt<br />
gelingt. Durch<br />
die Bomben des<br />
Zweiten Weltkriegs<br />
und der anschließenden<br />
Demontage<br />
verschonter Werksanlagen scheint das<br />
Schicksal <strong>Krupp</strong>s nach 1945 besiegelt.<br />
Nicht Gustav allein, auch sein erstgeborener<br />
Sohn Alfried wird dieses Kapitel<br />
zu erleiden haben. Alfried <strong>Krupp</strong> wird<br />
die Lage gleichwohl meistern und einen<br />
neuen Anfang schaffen. Es ist die fünfte<br />
und letzte <strong>Krupp</strong>-Generation, die direkte<br />
Verantwortung für das Unternehmen trägt.<br />
Mit Alfrieds Sohn Arndt, der zu Gunsten<br />
der Gründung einer Stiftung auf sein Erbe<br />
verzichtete, stirbt die Familie in direkter<br />
Linie aus.◄<br />
Alfred <strong>Krupp</strong>, Februar 1873<br />
1817<br />
Die Qualität<br />
Ein Ölgemälde<br />
von<br />
George Harcourt<br />
zeigt<br />
die Familie<br />
<strong>Krupp</strong> von<br />
Bohlen und<br />
Halbach,<br />
1930.<br />
Die Königliche Münze in Düsseldorf<br />
bestätigt die Qualität des <strong>Krupp</strong>schen<br />
Stahls. <strong>Krupp</strong> produziert Münzstempel,<br />
Walzen und Werkzeuge.<br />
|5
6| <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
1835<br />
Die erste Dampfmaschine<br />
Alfred <strong>Krupp</strong> bestellt die erste Dampfmaschine<br />
für die Gussstahlfabrik.<br />
Alfried<br />
<strong>Krupp</strong><br />
von Bohlen<br />
und<br />
Halbach,<br />
1964.<br />
Foto:<br />
Yousuf<br />
Karsh<br />
Die Vorzeichen für ein<br />
glanzvolles Leben stehen<br />
gut, als Alfried von<br />
Bohlen und Halbach<br />
1907 das Licht der Welt<br />
erblickt. Das Unternehmen,<br />
das er einmal erben wird, hat<br />
sich in den letzten zwei Jahrzehnten einer<br />
nahezu beständigen Hochkonjunktur zu<br />
einem Weltkonzern entwickelt, es ist Teil<br />
der wirtschaftlich-industriellen Macht des<br />
späten Kaiserreichs, und nichts deutet darauf<br />
hin, dass sich dies rapide ändern wird.<br />
Der kleine Alfried, das erste Kind von<br />
Bertha und Gustav <strong>Krupp</strong>, wächst in einer<br />
Welt des Überflusses auf, erhält aber auch<br />
die ganze Strenge einer an Pflicht und<br />
Disziplin orientierten Erziehung, wie sie in<br />
der Familie <strong>Krupp</strong> Tradition hat. Von früh<br />
auf darauf gedrillt, eines Tages das größte<br />
deutsche Unternehmen zu besitzen und zu<br />
leiten, gibt es für Alfried noch weniger als<br />
bei seinen Geschwistern Ausbruch aus den<br />
Zwängen eines rigiden Regiments, das vor<br />
allem das Leben auf der Villa Hügel prägt.<br />
Nach dem Abitur studiert der stille,<br />
scheue junge Mann Hüttenkunde. Doch<br />
muss er sich bei <strong>Krupp</strong> auf Geheiß seines<br />
Vaters nebenher mit dem Schmiede- und<br />
Schlosserhandwerk vertraut machen und<br />
dabei wie jeder andere auch am Tor die<br />
Stechuhr drücken.<br />
Ein Leben nach Plan, in dem es<br />
nur einmal ein Ausscheren gibt<br />
Nach dem Abschluss als Diplom-Ingenieur<br />
rückt er 1936 bei <strong>Krupp</strong> in Führungspositionen<br />
ein, doch bleibt er noch<br />
lange ein Lernender, wie es seiner zurückhaltenden<br />
bescheidenen Art entspricht.<br />
Ein Leben nach Plan, in dem es bis ins<br />
höhere Erwachsenenalter nur einmal ein<br />
Ausscheren gibt: 1937 heiratet Alfried von<br />
Bohlen gegen den ausdrücklichen Willen<br />
seiner Eltern die Hamburger Kaufmannstochter<br />
Annelise Bahr. Aus der Ehe geht<br />
1938 Alfrieds einziger Sohn Arndt hervor.<br />
Die kurz darauf erfolgte Scheidung wird,<br />
so heißt es, von Bertha und Gustav <strong>Krupp</strong><br />
mit dem Druckmittel der Enterbung<br />
erzwungen. In einem der seltenen Momente,<br />
in denen er persönliche Gefühle<br />
preisgab, hat Alfried von Bohlen das enge<br />
Korsett seines Daseins einmal so beschrieben:<br />
„Mein Leben hat nie von mir selbst<br />
abgehangen.“<br />
Im Dezember 1943 übertragen seine<br />
Eltern ihm das Unternehmen, in dem zu<br />
1836<br />
Die Krankenkasse<br />
Auf freiwilliger Basis wird eine Kasse für<br />
Krankheits- und Sterbefälle gegründet.
Der letzte <strong>Krupp</strong><br />
Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach stellte die Weichen für die Zukunft<br />
dieser Zeit allerdings längst die Rüstungsbürokratie<br />
des NS-Staats den Ton angibt.<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach,<br />
wie er sich nun per Sondergesetz offiziell<br />
nennen darf, erfüllt die großen Hoffnungen,<br />
die Rüstungsminister Albert Speer<br />
in ihn setzt, in keiner Weise. „Es fehlten<br />
ihm praktisch alle Eigenschaften, die das<br />
Regime an einem idealen Betriebsführer<br />
schätzte: robuster Egoismus, blinder<br />
Fanatismus und skrupellose Durchsetzungsfähigkeit“,<br />
urteilt der Historiker<br />
Werner Abelshauser. Alfried <strong>Krupp</strong> hat<br />
keine Berührungsängste zu den Nationalsozialisten,<br />
er steht ihnen aber auch nicht<br />
sonderlich nahe. Sein unmilitärisches<br />
Wesen und Auftreten, die großbürgerliche<br />
Erdung und Erziehung bewahren ihn vor<br />
uneingeschränkter Begeisterung für Hitlers<br />
Weg. Alfried <strong>Krupp</strong> arbeitet ohne große<br />
Begeisterung, aber auch ohne erkennbare<br />
Widerständigkeit im Sinne des NS-Staats<br />
und seiner Ziele – wie<br />
allerdings viele andere<br />
auch.<br />
Durch seinen<br />
Namen und bedingt<br />
durch die Tatsache,<br />
dass die alliierten Sieger<br />
das Unternehmen<br />
und seine Eigentümer<br />
für Wegbereiter des<br />
Nationalsozialismus<br />
halten, wird Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> nach 1945 in<br />
die grotesk übertriebene<br />
Rolle eines politischen<br />
Haupttäters<br />
gedrängt. Am 11. April<br />
1945 wird er in der<br />
Villa Hügel von amerikanischen<br />
Soldaten<br />
verhaftet, 1947 beginnt der Prozess gegen<br />
ihn und zwölf der <strong>Krupp</strong>-Direktoren.<br />
Auf zwölf <strong>Jahre</strong> Haft und Einziehung des<br />
Vermögens lautet das Urteil, das sich im<br />
Wesentlichen auf die Beschäftigung von<br />
1841<br />
Die erste Auslandsvertretung<br />
In Paris erhält die erste<br />
ständige Auslandsvertretung<br />
der Firma ihren Sitz.<br />
Zwangsarbeitern stützt. Ein Verbrechen in<br />
der Tat, aber eines, das im Druck des NS-<br />
Staats seine Grundlage hat und dem sich<br />
kein größeres Unternehmen im Dritten<br />
Reich entziehen konnte. 1951 wird das<br />
Urteil faktisch revidiert, Alfried <strong>Krupp</strong><br />
wird begnadigt und erhält das Besitzrecht<br />
an seinem allerdings kriegszerstörten und<br />
weitgehend zerstü-<br />
ckelten Unternehmen<br />
zurück. Nicht zuletzt<br />
mithilfe seines Generalbevollmächtigten<br />
Berthold Beitz kann<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> das<br />
Wirtschaftswunder der<br />
1950-er <strong>Jahre</strong> nutzen<br />
und <strong>Krupp</strong> wieder<br />
zu einem Unternehmen<br />
von Weltgeltung<br />
machen. Auch die<br />
Ressentiments, die der<br />
Name <strong>Krupp</strong> im Inund<br />
Ausland weiter<br />
hervorruft, weichen<br />
Alfried <strong>Krupp</strong>, 1967<br />
nach und nach einer<br />
sachlicheren Sicht.<br />
Dazu trägt bei, dass<br />
<strong>Krupp</strong> sich als erstes Großunternehmen<br />
1959 zu einer Entschädigung zunächst<br />
jüdischer Zwangsarbeiter bereiterklärt.<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> fühlt sich als Unternehmer<br />
Zeit seines Lebens der sozialen<br />
„Es entspricht der Tradition<br />
des Hauses <strong>Krupp</strong>, erwerbswirtschaftlicheÜberlegungen<br />
– so wichtig sie auch<br />
sind – nie isoliert vom Gebot<br />
der Sozialverpflichtung<br />
des persönlichen Eigentums<br />
zu sehen. Für die Sozialverpflichtung<br />
des Eigentums<br />
hat unsere Firma heute wie<br />
in der Vergangenheit große<br />
Opfer gebracht. Und ich<br />
bekenne offen: Ich bin stolz<br />
darauf.“<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
1843<br />
Das Besteck<br />
Tradition des Hauses <strong>Krupp</strong> verpflichtet.<br />
Dazu gehört auch, dass eine Schließung<br />
unrentabler Betriebsteile allenfalls als<br />
allerletztes Mittel möglich ist. Dies, die<br />
notorisch zu geringe Kapitaldecke und<br />
die Nervosität der Banken führen dazu,<br />
dass <strong>Krupp</strong> ab Mitte der 1960-er <strong>Jahre</strong><br />
in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Die<br />
Bürgschaften, die das Unternehmen dann<br />
tatsächlich nie in Anspruch nimmt, sind<br />
an eine Forderung geknüpft: <strong>Krupp</strong> soll<br />
nicht mehr länger wie eine große Einzelfirma<br />
ohne Rechenschaftspflicht geführt,<br />
sondern gegebenenfalls über den Weg<br />
einer Stiftung in eine Kapitalgesellschaft<br />
umgewandelt werden. Alfrieds einziger<br />
Sohn Arndt macht diesen Weg durch seinen<br />
Erbverzicht möglich.<br />
Die Stiftungslösung unterstreicht die<br />
gemeinnützige Tradition der Familie<br />
<strong>Krupp</strong>, bedeutet sie doch, dass Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> selbst, seine Nachkommen und<br />
zwangsläufig auch die Familie von Bohlen<br />
und Halbach alle Rechte am Unternehmen<br />
aufgeben. Der Mann, der dies möglich<br />
machte, hat die Umsetzung zum 1. Januar<br />
1968 nicht mehr erlebt. Alfried <strong>Krupp</strong>,<br />
dessen Leben einen weiten Bogen schlug<br />
und der Schlösser ebenso kannte wie die<br />
Enge einer Gefängniszelle, stirbt, noch<br />
nicht 60, im Juli 1967.◄<br />
Alfred <strong>Krupp</strong> entwickelt gemeinsam mit<br />
seinen Brüdern Hermann und Friedrich<br />
ein serienreifes Besteckwalzwerk.<br />
|7<br />
Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> von<br />
Bohlen und<br />
Halbach<br />
(2. v. l.)<br />
empfängt<br />
Jubilare zum<br />
Tee, 1967.
8| <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Wir schreiben den Anfang<br />
der 1950-er <strong>Jahre</strong>. Berthold<br />
Beitz ist 38 <strong>Jahre</strong> alt, hatte<br />
viel erlebt und schon viel<br />
erreicht, als ein Atelier-<br />
Besuch in Essen seinem Leben<br />
eine völlig neue Wendung gibt. Beim<br />
Essener Künstler Jean Sprenger hatte der<br />
Generaldirektor der Hamburger Iduna-<br />
Versicherung eine Skulptur für die neue<br />
Firmenzentrale in Auftrag gegeben und<br />
dabei lernt er per Zufall Alfried <strong>Krupp</strong> von<br />
Bohlen und Halbach kennen. Man versteht<br />
sich auf Anhieb gut, und nur wenige<br />
Wochen später erhält Beitz das Angebot,<br />
das er trotz seiner guten Stellung weder<br />
ausschlagen konnte noch wollte: Generalbevollmächtigter<br />
bei <strong>Krupp</strong>, ausgestattet<br />
mit allen Befugnissen, verantwortlich nur<br />
Alfried <strong>Krupp</strong>, dem Eigentümer.<br />
Mit Berthold Beitz betritt ein Mann die<br />
Bühne der Ruhrindustrie, der den Stahl-<br />
Produzenten Bochumer Verein zunächst<br />
für einen Fußballclub hält, der gerne<br />
neuartige Redewendungen wie „okay“ gebraucht,<br />
lieber Jazz hört als Wagner und in<br />
seinem ganzen Auftreten für manchen in<br />
Ehren ergrauten <strong>Krupp</strong>ianer eine einzige<br />
Provokation ist. Seine erste Amtshandlung<br />
soll darin bestanden haben, dem gemächlichen<br />
Paternoster-Aufzug in der Hauptverwaltung<br />
ein höheres Tempo zu verpassen<br />
– eine hübsche Anekdote.<br />
1844<br />
Frischer Wind für<br />
das Unternehmen<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> wollte es genau so.<br />
Frischer Wind musste herein in ein Unternehmen,<br />
das gerade erfolgreich dabei<br />
war, sich aus den äußeren und mentalen<br />
Zerstörungen des Krieges aufzurappeln,<br />
gleichwohl aber in Gefahr stand, in Ehrfurcht<br />
vor sich selbst zu erstarren. Beitz<br />
konnte vergleichsweise unbeschwert von<br />
lähmenden Traditionen handeln, gerade<br />
weil er von außen kam. Er war jung, aber<br />
schon erfahren, smart und clever, selbstbewusst<br />
und locker im Umgang mit der<br />
Öffentlichkeit, charakterlich ungebrochen<br />
und politisch mit blütenweißer Weste ausgestattet.<br />
In dieser Kombination war Beitz<br />
eine Ausnahmeerscheinung im Deutschland<br />
der frühen 1950-er <strong>Jahre</strong>.<br />
Die Goldmedaille<br />
Auf der Berliner Gewerbeausstellung<br />
erhält <strong>Krupp</strong> für seine Produkte die Goldmedaille.<br />
Herr<br />
der drei<br />
Ringe<br />
Berthold Beitz<br />
im Porträt<br />
Das gilt noch mehr für sein Verhalten<br />
in der NS-Zeit. Als junger Erdöl-Manager<br />
im ostpolnischen Galizien hatte Beitz<br />
Juden vor dem Tod gerettet, indem er ihre<br />
Arbeitskraft gegenüber der SS als unentbehrlich<br />
darstellte. Weil dies in vielen<br />
Fällen leicht als Vorwand zu erkennen war<br />
und weil er auch sonst vieles tat, um den<br />
Drangsalierten ihr Leben zu erleichtern,<br />
ging er ein hohes Risiko ein. Einmal zog<br />
1846<br />
Die Eisenbahn<br />
er seinen Kopf nur aus der Schlinge, weil<br />
sich der vernehmende Gestapo-Beamte als<br />
Schulfreund aus gemeinsamen Greifswalder<br />
Jugendtagen entpuppte. Seine jüdischen<br />
Schützlinge konnten nicht fassen,<br />
was geschah. „Als ob ein Engel in die Hölle<br />
kam“, schildert Zygmunt Spiegel, den<br />
Beitz später wiedertrifft, seine Gefühle.<br />
Was hat Beitz motiviert, ins eher<br />
reizlose Nachkriegs-Essen zu kommen?<br />
Die Firma beginnt mit der Herstellung von Eisenbahnachsen<br />
und -federn. Den ersten Großauftrag<br />
erteilt 1849 die Köln-Mindener Eisenbahn: 2400<br />
Trag- und 400 Stoßfedern.
Es ist die von Alfried <strong>Krupp</strong> versprochene<br />
„Freiheit des Handelns“ – der<br />
alles überwölbende Schlüsselbegriff in<br />
seinem Leben. Aber Beitz musste bei<br />
<strong>Krupp</strong> dennoch kennenlernen, dass sich<br />
eine tradierte Unternehmenskultur nicht<br />
einfach überwinden ließ, auch wenn dies<br />
im Einzelfall geboten schien. Das strikte<br />
Festhalten an Kohle und Stahl und an<br />
einigen unrentablen Produktionen wie<br />
1848<br />
Die Revolution<br />
Alfred <strong>Krupp</strong> wird Alleininhaber der<br />
Gussstahlfabrik. Während der Revolution<br />
von 1848/49 lässt er das Familiensilber<br />
einschmelzen.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Berthold Beitz prägte das Unternehmen<br />
<strong>Krupp</strong> wie kaum ein anderer.<br />
Foto: Oliver Müller<br />
Neue Wege für den Handel<br />
Freiheit des Handelns – diesem Motto folgte Berthold Beitz<br />
► auch, als er im Osten Europas und in der Sowjetunion schon<br />
in den 1950-er <strong>Jahre</strong>n Geschäfte anbahnte und sich als Eisbrecher<br />
für das aufschwang, was viel später Entspannungspolitik heißen<br />
wird. Während der Kalte Krieg zwischen den Weltmächten USA<br />
und Sowjetunion seinem Höhepunkt zustrebte, war Beitz’ Handeln<br />
durchaus nicht ohne Risiko und wurde mit viel Misstrauen betrachtet.<br />
Beitz verweigerte sich dieser Logik und führte politische Gespräche<br />
auf höchster Ebene – sehr zum Verdruss von Bundeskanzler Konrad<br />
Adenauer. Von Beitz’ erster Polen-Reise 1958, dem Empfang beim<br />
sowjetischen Staatschef Chruschtschow 1963 führte ein Weg zum<br />
Besuch des SED-Chefs Erich Honecker in der Villa Hügel 1987. Andererseits<br />
ist Beitz geschickt genug, sich nicht naiv für das östliche Lager<br />
vereinnahmen zu lassen, wo das Hofi eren der Firma <strong>Krupp</strong> natürlich<br />
auch politischen Zielen gehorcht.<br />
dem Lkw-Bau führte im Laufe der 1960-er<br />
<strong>Jahre</strong> zu immer höheren Verbindlichkeiten,<br />
und auch das wichtigste neue Standbein<br />
des Konzerns, der Anlagenbau mit<br />
der maßgeschneiderten Projektierung von<br />
Großanlagen, konnte die Probleme nicht<br />
mehr ausgleichen.<br />
Für Beitz war es bitter zu sehen, dass<br />
ihm 1967 durch diese Finanzkrise und<br />
den Tod von Alfried <strong>Krupp</strong> die Kontrolle<br />
über <strong>Krupp</strong> zunächst entglitt und auf<br />
Geheiß der Gläubigerbanken ein „Verwaltungsrat“<br />
das unternehmerische Sagen<br />
hatte. Mit der raschen Konsolidierung<br />
kam Beitz als Vorsitzender des Kuratoriums<br />
der Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und<br />
Halbach-Stiftung, die damals sämtliche<br />
Anteile hielt, dann aber zurück ins Spiel.<br />
Im Jahr 1970 gelangte er als Vorsitzender<br />
des Aufsichtsrats bei <strong>Krupp</strong> wieder in die<br />
entscheidende Schlüsselposition, von der<br />
aus er beispielsweise die Beteiligung des<br />
Iran einfädeln konnte, die dem Konzern<br />
dringend benötigtes Kapital brachte. Weiter<br />
an der Spitze der Stiftung stehend, ist<br />
er bis heute – inzwischen 98-jährig – die<br />
entscheidende Persönlichkeit im Thyssen-<br />
<strong>Krupp</strong>-Konzern, ohne dessen Votum keine<br />
Frage von größerer Tragweite entschieden<br />
wird. Auch der spektakuläre Neubau der<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong>-Zentrale in Essen, der Um-<br />
1851<br />
Die Weltausstellung<br />
Auf der ersten Weltausstellung in London<br />
erhält <strong>Krupp</strong> die „Council Medal“, den<br />
höchsten Preis.<br />
zug des Gesamtkonzerns von Düsseldorf<br />
in die Ruhrstadt, ist ihm zu verdanken.<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong> residiert jetzt genau dort,<br />
wo vor <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong>n die <strong>Krupp</strong>-Geschichte<br />
begann – ein Bild mit großer Symbolkraft.<br />
Beitz war stets ein Einzelgänger, der<br />
die konservative Kameraderie im Unternehmerlager<br />
ebenso ablehnte wie ein allzu<br />
liberales Verständnis von Marktwirtschaft.<br />
Seine Herkunft aus kleinen Verhältnissen<br />
hat es ihm leicht gemacht, in pragmatischen<br />
Gewerkschaftern Partner und<br />
nicht Gegner zu sehen. Seine Konsens-<br />
Orientierung, seine Fähigkeit, Menschen<br />
zu beeindrucken, seine Empathie und<br />
sein nur selten versagender Instinkt haben<br />
sich noch vor einigen <strong>Jahre</strong>n bei der Bewältigung<br />
der Finanzkrise bewährt, als er<br />
Vorstand und Betriebsrat zu einer gemeinsamen<br />
Linie bewegte.<br />
„Liebling der Götter“ – so hat der<br />
Bankier Hermann-Josef Abs den 1913 im<br />
pommerschen Zemmin geborenen Berthold<br />
Beitz einmal genannt. Ein zwiespältiges<br />
Wort, weil es suggerieren könnte, hier<br />
habe jemand unverdientes Glück gehabt.<br />
Berthold Beitz hat in seinem langen Leben<br />
aber vor allem fast immer die richtigen<br />
Entscheidungen getroffen. Das Quäntchen<br />
Glück kam dann hinzu.◄<br />
|9
10|<br />
1853<br />
Die Familie<br />
Alfred <strong>Krupp</strong> heiratet Bertha Eichhoff aus<br />
Köln. Am 17. Februar 1854 wird Friedrich<br />
Alfred <strong>Krupp</strong> geboren.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Drei Ringe für<br />
die Zukunft<br />
Vom Stahlwerk bis zum diversifi zierten Unternehmen / Von Hans-Willy Bein<br />
Sibirien lag Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
mitten in Essen.<br />
In einer von seinem übrigen<br />
Betrieb abgetrennten Werkstatt<br />
hatte Alfred <strong>Krupp</strong> die<br />
Entwicklung vorantreiben<br />
lassen, aus Gussstahl nahtlose Radreifen<br />
für Lokomotiven zu schmieden. Die<br />
Erfindung, die <strong>Krupp</strong> sofort zum Patent<br />
anmelden ließ, war so geheim gehalten<br />
worden, dass die hermetisch abgeschlossene<br />
Tüftlerwerkstatt von den <strong>Krupp</strong>ianern<br />
schnell die Bezeichnung „Sibirien“<br />
bekommen hatte. So beschrieb vor einigen<br />
<strong>Jahre</strong>n jedenfalls der Wirtschaftsjournalist<br />
Günter Ogger im Eisenbahn Magazin<br />
die Umstände der Erfindung. Sie war für<br />
<strong>Krupp</strong> so wichtig, dass er drei übereinander<br />
gelegte Radreifen zum Firmenzeichen<br />
auswählte und diese „Drei Ringe“ noch<br />
heute Teil des Firmenlogos sind. Die Ringe<br />
Abgießen<br />
von Kokillen<br />
in einem<br />
<strong>Krupp</strong>-Stahlwerk,<br />
1964.<br />
standen – und stehen – für die technische<br />
Führerschaft und die Güte von <strong>Krupp</strong>-<br />
Erfindungen und Erzeugnissen.<br />
Die Basis der Firma <strong>Krupp</strong> in Essen<br />
war die Herstellung von Gussstahl. Mit<br />
der Einführung neuer,<br />
besonders wirtschaftlicher<br />
Verfahren zur<br />
Stahlherstellung<br />
markiert <strong>Krupp</strong> von<br />
Anbeginn der Industrialisierung<br />
die Spitze<br />
des Fortschritts. In<br />
seinem Essener Werk<br />
gründete Friedrich Alfred <strong>Krupp</strong> ein<br />
Institut für die wissenschaftliche Stahlforschung.<br />
Die Versuchsanstalt wird bald zu<br />
einem international anerkannten Forschungszentrum<br />
für die erfolgreiche Entwicklung<br />
des Edelstahls. Nirosta bzw. V2A<br />
Stähle werden schon 1912 patentiert und<br />
1854<br />
Das Patent<br />
weltweit zu einem Begriff für nichtrostende<br />
Qualitäten. Knapp 15 <strong>Jahre</strong> später<br />
bringt <strong>Krupp</strong> unter dem Namen Widia ein<br />
besonderes Hartmetall auf den Markt, das<br />
Heim- und Handwerker auch heute noch<br />
als Qualitätsprodukt<br />
für ihre Bohrer und<br />
Bohrköpfe zu schätzen<br />
wissen.<br />
Zur Stahlherstellung<br />
kommen<br />
Alfried <strong>Krupp</strong>, 1967 bei <strong>Krupp</strong> schnell<br />
Schmiedepressen zur<br />
Produktion von Hochdruckkesseln,<br />
Kurbelwellen und anderen<br />
Maschinenteilen. 1929 hatte <strong>Krupp</strong> die<br />
damals größte Schmiedepresse der Welt in<br />
Betrieb genommen, die einen Druck von<br />
15 000 Tonnen erzeugen konnte. Schnell<br />
schon war das rapide wachsende Unternehmen<br />
auch von Radreifen zur Produktion<br />
ganzer Lokomotiven, Lastwagen<br />
und von Rüstungsgütern übergegangen.<br />
Unter dem Namen „Dicke Berta“ wurde<br />
auch ein im Ersten Weltkrieg eingesetztes<br />
Geschütz aus der Rüstungsproduktion von<br />
<strong>Krupp</strong> weltbekannt.<br />
Auch nach den beiden Weltkriegen<br />
findet <strong>Krupp</strong> mit seinen Entwicklungen<br />
schnell wieder Anschluss an die Weltspitze.<br />
Mit einer von dem Unternehmen<br />
hergestellten Tauchkugel, die aus Chrom-<br />
Nickel-Molybdän-Stahl gefertigt wurde,<br />
gelang Jacques Piccard und Don Walsh<br />
1960 der Vorstoß zu der mit fast 11 000<br />
Metern tiefsten bekannten Stelle der<br />
Weltmeere.<br />
Auch heute ist der Thyssen<strong>Krupp</strong>-Konzern<br />
mit vielen seiner Produkte Weltspitze<br />
(s. Kasten). Das gilt für Technologiegüter,<br />
aber auch für Stahl, für den Forscher<br />
„Vorstellungen einer falsch<br />
verstandenen Tradition dürfen<br />
uns nicht hindern, zu<br />
neuen Wegen zu finden.“<br />
Alfred <strong>Krupp</strong> erhält ein amerikanisches<br />
Patent auf seine nahtlosen Eisenbahnradreifen.<br />
Der Schienenverkehr wird mit<br />
diesen Reifen sicherer und schneller.
und Tüftler auch heute immer neue<br />
Anwendungsfelder erschließen. In einer<br />
Forschungsinitiative für den Fortschritt<br />
im Automobilbau haben Ingenieure aus<br />
dem Thyssen<strong>Krupp</strong>-Konzern zum Beispiel<br />
mehr als 30 neue Lösungen für Karosserie,<br />
Antrieb und Fahrwerk entworfen, hauptsächlich<br />
Stahlqualitäten, die besonders<br />
leicht sind, aber deswegen nichts von ihrer<br />
Festigkeit eingebüßt haben. Hiermit lässt<br />
sich nach Angaben des Unternehmens der<br />
in Produktion und Betrieb der Autos entstehende<br />
Ausstoß des Klimagases CO 2 pro<br />
Automobil um jeweils 5,5 Tonnen verringern.<br />
Leisten kann sich solche Forschungen<br />
und Entwicklungen nur ein finanzkräftiges<br />
Unternehmen: 677 Millionen<br />
Euro hat Thyssen<strong>Krupp</strong> im Geschäftsjahr<br />
2010/11 für Forschung und Entwicklung<br />
ausgegeben.◄<br />
1857<br />
Die Mitarbeiter<br />
Die Belegschaft des Unternehmens<br />
übersteigt erstmals die Marke von 1.000<br />
Beschäftigten.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Mit Stahl an die Weltspitze<br />
Den Anfang machte der Stahl. Mit der reinen Produktion von Guss-<br />
► stahl hielt sich das junge Unternehmen <strong>Krupp</strong> nach der Gründung<br />
1811 aber nicht lange auf, sondern stieß zügig in die Weiterverarbeitung<br />
vor. Ein Meilenstein war der nahtlos geschmiedete Eisenbahnreifen zur<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts. Zur Ausweitung und Sicherung des Absatzes<br />
erschloss sich <strong>Krupp</strong> bald über Deutschland hinaus Märkte in Europa und<br />
in anderen Erdteilen. Als eines der ersten Unternehmen zählte <strong>Krupp</strong> zur<br />
Spitze der europäischen Investitionsgüterindustrie. Das gilt auch heute für<br />
den durch Fusion entstandenen Thyssen<strong>Krupp</strong>-Konzern, der sich als Werkstoff-<br />
und Technologieunternehmen bezeichnet. Aktiv ist der Konzern in<br />
80 Ländern, wo 177.000 Mitarbeiter einen Umsatz von rund 43 Milliarden<br />
Euro erarbeiten. Größter Bereich ist nach wie vor der Stahl, Weltruf hat<br />
das Unternehmen aber ebenso im Spezial- und Großanlagenbau mit Traditionsfi<br />
rmen wie Uhde oder Polysius. Von Chemie- und Raffi nerieanlagen,<br />
über Zementwerke bis zur Fördertechnik zur Gewinnung und dem Transport<br />
von Rohstoffen reicht das Spektrum. Mit vielen Produkten behauptet<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong> weltweit führende Positionen. So ist die Tochter Rothe Erde<br />
die Nummer 1 in der Welt bei der Herstellung von Großwälzlagern, die bei<br />
der Produktion von Windkraftanlagen mit ihren riesigen Rotoren benötigt<br />
werden. Nummer 3 ist Thyssen<strong>Krupp</strong> mit seinem sehr lukrativen Geschäft<br />
mit Aufzügen und Fahrtreppen. hwb<br />
1859<br />
Die Rüstungsproduktion<br />
Beginn der Rüstungsproduktion in<br />
größerem Maßstab: 300 Geschützrohr-<br />
blöcke werden vom preußischen Kriegsministerium<br />
bestellt.<br />
|11<br />
Großes Bild:<br />
Mittelschiff<br />
der Satz-<br />
Achsendreherei,<br />
um 1906.<br />
Rechts oben:<br />
Materialprüfung<br />
in<br />
den 1930-er<br />
<strong>Jahre</strong>n.<br />
Rechts<br />
unten:<br />
Versuchsraum<br />
der<br />
„Probieranstalt“<br />
in<br />
Essen, 1912.
12|<br />
1861<br />
Das Visuelle<br />
In diesem Jahr wird die Fotoabteilung des<br />
Unternehmens gegründet. Große Werkspanoramen<br />
entstehen.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Erfolgreiche Verbindung<br />
von Tradition und Innovation<br />
Von Dr. Gerhard Cromme, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Thyssen<strong>Krupp</strong> AG<br />
Vor <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong>n, am 20. November 1811, gründete<br />
Friedrich <strong>Krupp</strong> in Essen eine Gussstahlfabrik<br />
und legte damit den Grundstein für eines der traditionsreichsten<br />
deutschen Industrieunternehmen. Wenn<br />
ein Unternehmen zwei Jahrhunderte überdauert und<br />
damit viele Umbrüche, Krisen und Neuanfänge meistert,<br />
dann hat es vieles richtig gemacht. Dies kann uns in der<br />
heutigen Zeit, in der manche Manager nur noch auf den<br />
nächsten Quartalsabschluss schauen, Vorbild sein.<br />
Daher lohnt es sich, zu fragen: Was hat <strong>Krupp</strong> über<br />
zwei Jahrhunderte erfolgreich gemacht? Die enorme<br />
Innovationskraft hat das Unternehmen seit jeher ausgezeichnet.<br />
Der nahtlos geschmiedete Eisenbahn-Radreifen<br />
zum Beispiel, mit dem der Aufstieg von <strong>Krupp</strong> begann,<br />
wird auch heute noch - in fortentwickelter Form - in<br />
Windrädern eingesetzt. Eine Erfindung, die damals die<br />
Industrialisierung mitgeprägt hat, hilft heute dabei, unsere<br />
Ressourcen zu schonen und Emissionen zu vermeiden.<br />
Dies ist nur ein Beispiel unter vielen.<br />
Doch die Innovationen alleine wären nichts wert ohne<br />
das richtige Verständnis von Unternehmertum und sozialer<br />
Verantwortung. <strong>Krupp</strong> hat es immer wieder geschafft,<br />
Tradition und Innovation erfolgreich zu verbinden und<br />
damit neue Perspektiven für das Unternehmen und seine<br />
Mitarbeiter zu eröffnen. Bei sich ändernden Rahmenbedingungen<br />
erforderte dies auch oft die Bereitschaft<br />
zu Veränderungen. Nur wer die Zukunft gestaltet, kann<br />
erfolgreich sein.<br />
Dass diese Tradition bis heute fortlebt, verdanken wir<br />
insbesondere Berthold Beitz. Er nimmt seit Jahrzehnten<br />
eine zentrale Rolle bei der Fortführung des Lebenswerkes<br />
der <strong>Krupp</strong>-Familie ein, zunächst ab 1953 als Generalbevollmächtigter<br />
des Firmeninhabers Alfried <strong>Krupp</strong> von<br />
Bohlen und Halbach und bis heute als Vorsitzender des<br />
Kuratoriums der Stiftung. Er hat es seit jeher verstanden,<br />
unternehmerische Weitsicht, wirtschaftlichen Erfolg und<br />
soziale Verantwortung in einzigartiger Weise zu verbinden.<br />
Bis heute ist die Stiftung für alle Mitarbeiter von<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong> der bewährte Garant für Stabilität und<br />
Kontinuität - unabhängig davon, ob sie von <strong>Krupp</strong>, Thyssen<br />
oder Hoesch kommen. Nach den Zusammenschlüssen<br />
mit Hoesch 1992 und mit Thyssen 1999 entstand mit<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong> ein gemeinsames Unternehmen, das die<br />
Tradition aller drei Vorgänger fortführt und seinen eigenen<br />
Weg in die Zukunft geht. Das Beste aus der <strong>Krupp</strong>-<br />
Kultur wird weitergelebt.<br />
Dr. Gerhard Cromme ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der Thyssen<strong>Krupp</strong> AG.<br />
Mit der im Mai beschlossenen strategischen Weiterentwicklung<br />
stellt Thyssen<strong>Krupp</strong> die Weichen für eine<br />
erfolgreiche Zukunft. Dies geschieht im Einvernehmen<br />
mit den Arbeitnehmervertretern und unter Wahrung der<br />
Interessen der Mitarbeiter. Wir erleben, dass der Konzern<br />
einmal mehr seine Innovationskraft und Bereitschaft zum<br />
Wandel zeigt, und sich dabei gleichzeitig seiner Verantwortung<br />
gegenüber den Mitarbeitern bewusst ist.<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong> wird sich aus seiner neuen Heimat<br />
Essen heraus auch in Zukunft weiterentwickeln. Hierbei<br />
lebt das Unternehmen wie schon seit <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong>n in erster<br />
Linie von seinen Mitarbeitern, von ihrem Engagement<br />
und ihrem Erfindungsreichtum. Lassen Sie uns gemeinsam<br />
daran arbeiten, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben.◄<br />
1861<br />
Der Dampfhammer<br />
Der von Alfred <strong>Krupp</strong> entworfene Dampfhammer<br />
„Fritz“ mit 1000 Zentnern Fallgewicht<br />
wird in Betrieb genommen.
1862<br />
Der Stahl<br />
<strong>Krupp</strong> baut das erste Bessemer-Stahlwerk<br />
auf dem Kontinent. Es ermöglicht Massenproduktion<br />
und Schienenherstellung.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Ein stolzes Vermächtnis<br />
<strong>Krupp</strong>-Stiftung ist mit der Förderung von Kultur, Forschung<br />
und Bildung eine feste Größe / Von Bärbel Brockmann<br />
Es war ein historisches Ereignis:<br />
Im Januar vorigen <strong>Jahre</strong>s wurde<br />
der Neubau des Museums Folkwang<br />
in Essen eingeweiht. Die<br />
Baukosten von 55 Millionen Euro trug<br />
allein die Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und<br />
Halbach-Stiftung. Für die Stiftung war das<br />
eines der größten Einzelförderprojekte in<br />
ihrer Geschichte.<br />
Berthold Beitz, Vorsitzender des Kuratoriums<br />
und des Vorstands der Stiftung,<br />
hatte der Stadt Essen den Neubau <strong>200</strong>7<br />
versprochen – und damit erneut die Verbundenheit<br />
der Stiftung mit der Heimatstadt<br />
des <strong>Krupp</strong>-Konzerns unter Beweis<br />
gestellt.<br />
<strong>Krupp</strong> und die Stadt Essen sind zusammen<br />
groß geworden. Sie haben eine<br />
gemeinsame Geschichte. Die Fördermaßnahmen<br />
der <strong>Krupp</strong>-Stiftung zeigen, dass<br />
<strong>Krupp</strong> den Strukturwandel im Ruhrgebiet<br />
nicht nur überlebt hat, sondern aktiv<br />
mitgestaltet. Angefangen von der Kultur<br />
über die wissenschaftliche Forschung und<br />
Lehre, im Erziehungs- und Bildungswesen,<br />
im Gesundheitsbereich bis hin zum<br />
Sport. In ihrem 43-jährigen Bestehen hat<br />
sie insgesamt mehr als 615 Millionen Euro<br />
für Förderprojekte ausgegeben. Damit<br />
ist sie eine konstante<br />
Größe in der deutschen<br />
Stiftungslandschaft<br />
geworden.<br />
Finanziert wird das<br />
Förderprogramm aus<br />
den Erträgen, also<br />
Dividenden, die die<br />
<strong>Krupp</strong>-Stiftung aus<br />
ihrer Beteiligung an<br />
der Thyssen<strong>Krupp</strong> AG<br />
bezieht. Sie ist mit<br />
25,3 Prozent an dem<br />
Konzern beteiligt und damit gleichzeitig<br />
die größte Aktionärin. Die <strong>Krupp</strong>-Stiftung<br />
ist das Vermächtnis von Alfried <strong>Krupp</strong> von<br />
Bohlen und Halbach. In seinem Testament<br />
legte der letzte persönliche Eigentümer<br />
der Firma Fried. <strong>Krupp</strong> fest, dass die<br />
Stiftung „Ausdruck der dem Gemeinwohl<br />
verpflichteten Tradition des Hauses <strong>Krupp</strong><br />
sein soll“. Gleichzeitig verpflichtete er die<br />
Stiftung, für die Einheit des Unternehmens<br />
zu sorgen. Nach<br />
„Ich habe mich entschlossen,<br />
die Firma über eine<br />
Stiftung, die Ausdruck der<br />
dem Gemeinwohl verpflichteten<br />
Tradition des Hauses<br />
<strong>Krupp</strong> sein soll, in eine<br />
Kapitalgesellschaft umzuwandeln.“<br />
Eintausend Mal Kalifornien<br />
– Essen und<br />
zurück: Vor 29 <strong>Jahre</strong>n<br />
rief Berthold Beitz ein<br />
Stipendienprogramm<br />
ins Leben, in dessen<br />
Rahmen besonders<br />
interessierte Studenten<br />
aus Stanford sechs<br />
oder mehr Monate<br />
als Praktikanten in<br />
Deutschland arbeiten<br />
und Land und Leute<br />
kennenlernen können.<br />
Am 5. Mai kamen die<br />
Stipendiaten des Jahrgangs<br />
2011 nach Essen,<br />
um Berthold Beitz<br />
in der Villa Hügel zu<br />
besuchen. „Star“ der Gruppe war Mary Bauer, die 1000. Stipendiatin (links neben Berthold<br />
Beitz), die als Praktikantin im Museum Folkwang arbeitet. Foto: <strong>Krupp</strong>-Stiftung<br />
Alfried <strong>Krupp</strong>, 1967<br />
seinem Tod 1967<br />
ging das gesamte<br />
Vermögen in die<br />
Stiftung. Seither<br />
werden die Fördermittel<br />
ausschließlich<br />
für gemeinnützige<br />
Zwecke vergeben.<br />
Die Stiftung steht<br />
damit durchaus in einer<br />
längeren Firmen-<br />
Tradition, die einen<br />
Fokus auf das Gemeinwohl legt. Schon<br />
der Sohn des Firmengründers, Alfred<br />
<strong>Krupp</strong>, hatte Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
ein System betrieblicher Sozialleistungen<br />
ins Leben gerufen und außerdem für seine<br />
Arbeiter Wohnungen und ein Kranken-<br />
1863<br />
Die Siedlung<br />
Die Werkssiedlung „Westend“ entsteht am<br />
südlichen Rand des Fabrikgeländes. Sie<br />
besteht aus 136 Wohneinheiten.<br />
haus gebaut – das <strong>Krupp</strong>-Krankenhaus ist<br />
heute im Besitz der Stiftung.<br />
Sein Sohn Friedrich Alfred ergänzte<br />
dieses soziale Engagement später vor<br />
allem durch Investitionen in Bildungsprojekte.<br />
Auf diese Weise erklärt sich das für<br />
Stiftungen in Deutschland eher ungewöhnlich<br />
breite Spektrum der Förderfelder<br />
bei der <strong>Krupp</strong>-Stiftung. Ungewöhnlich<br />
ist auch die Bildung der Stiftung selbst.<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> hat dort nicht nur sein Betriebsvermögen,<br />
sondern auch sein ganzes<br />
Privatvermögen eingebracht. Das war<br />
zumindest für damalige Verhältnisse mehr<br />
als ungewöhnlich. Und: Mit Berthold<br />
Beitz (als Vorsitzender des Vorstands und<br />
des Kuratoriums) gibt es noch jemanden,<br />
der von der ersten Stunde an dabei war<br />
und der auch noch der Testamentsvollstrecker<br />
des Stiftungsgründers war. Das gibt es<br />
nirgendwo anders.◄<br />
|13
14|<br />
1868<br />
Der Konsum<br />
Der drei <strong>Jahre</strong> zuvor von Werksangehörigen<br />
gegründete Arbeiter-Konsumverein<br />
wird von der Firma übernommen und zur<br />
Konsumanstalt.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Weltweite Spuren<br />
Bedeutende <strong>Krupp</strong>-Bauten rund um den Globus / Von Björn Lohmann<br />
Ob im Urlaub an der Copacabana<br />
oder in Paris, ob<br />
bei historischen Ereignissen<br />
wie den Unruhen<br />
in Ägypten oder den Olympischen<br />
Spielen in München: Die Spuren<br />
des Unternehmens <strong>Krupp</strong> begegnen<br />
einem an vielen Orten. In den frühen<br />
<strong>Jahre</strong>n waren es vor allem mächtige<br />
Kanonen wie die in Xiamen, die<br />
weltweit von der Qualität des <strong>Krupp</strong>-<br />
Stahls zeugten. Im 20. Jahrhundert<br />
dann bildete der Stahl die Basis vieler<br />
Bauwerke und <strong>Krupp</strong> exportierte<br />
sogar ganze Industriekomplexe.<br />
In Indien und Chile sind noch<br />
heute Dampflokomotiven aus dem<br />
Jahr 1935 zu besichtigen, die <strong>Krupp</strong><br />
gebaut hat. Im rheinischen Tagebau<br />
arbeitet seit Jahrzehnten ein gigantischer<br />
Bagger aus <strong>Krupp</strong>scher Fertigung.<br />
In Kairo zeugt die Universitätsbrücke<br />
vom Wirken <strong>Krupp</strong>s, ebenso<br />
wie es die Brücke über den Kleinen<br />
Belt tut. In Deutschland setzt das<br />
Radioteleskop in Effelsberg genauso<br />
auf den Stahl des Essener Unternehmens<br />
wie das Dach des Münchener<br />
Olympiastadions.<br />
Vom futuristischen Kulturzentrum<br />
Georges Pompidou in Paris bliebe<br />
ohne die Produkte <strong>Krupp</strong>s wenig übrig,<br />
und auch das heute als Museum<br />
genutzte Fort an der Copacabana in<br />
Rio de Janeiro stünde etwas schutzlos<br />
da.<br />
Wem diese Kolosse nicht genügen,<br />
der findet die vielleicht größten<br />
Spuren des Wirkens der Firma <strong>Krupp</strong><br />
in Form von Zement- und Hüttenwerken,<br />
die <strong>Krupp</strong> beispielsweise in<br />
der Türkei und in Indien errichtet hat,<br />
getreu der Überzeugung von Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach:<br />
„Wohlstand und Frieden setzen Arbeitsplätze<br />
voraus, und diese wiederum<br />
erfordern die Industrialisierung.“<br />
Die Kanone von Xiamen<br />
In benachbarten Dörfern sollen Häuser eingestürzt und<br />
Kühe aus dem Stand einen Meter hoch gesprungen sein, als<br />
sie getestet wurden: die zwei Kanonen von Xiamen. 1893 von<br />
<strong>Krupp</strong> erbaut, existiert eine Kanone noch heute im Fort von<br />
Xiamen in China. Ein Kaliber von 280 Millimetern, eine Gesamtlänge<br />
von fast 14 Metern und eine Reichweite von 16 Kilometern<br />
zeichnen die Geschütze aus. Genug, um die angreifende<br />
japanische Marine im August 1900 das Weite suchen zu lassen,<br />
sobald die Kanonen auf ihre Schiffe gerichtet wurden. Bei<br />
einem erneuten Angriff Japans im September 1937 versenkten<br />
die Kanonen ein gegnerisches Kriegsschiff, bevor die japanische<br />
Marine erneut die Flucht ergriff.<br />
Beschweren müssten sich die Japaner eigentlich bei den<br />
Briten: Die hatten 1841 Xiamen angegriffen und bewiesen, dass<br />
die Chinesen westlichen Kanonen nichts entgegenzusetzen<br />
hatten – was China schließlich dazu bewog, die beiden Geschütze<br />
der Firma <strong>Krupp</strong> zu ordern; 80.000 Unzen Silber hat<br />
jedes gekostet.<br />
Das Dach des Münchener Olympiastadions<br />
Es war bei seinem Bau nach dem steinernen Dach der Welt in<br />
Tibet das größte aller Dächer: Das Zeltdach des Münchener Olympiaparks<br />
überspannt mit Stahl und Plexiglas das Stadion, die Halle<br />
und die Schwimmhalle, insgesamt 74.800 Quadratmeter. 410 Kilometer<br />
Netzseil, 14 Kilometer Randseil und 12 Kilometer Hauptseil<br />
hat <strong>Krupp</strong> dort verbaut. Allein das 460 Meter lange Hauptrandseil<br />
besteht aus 1771 Kilometern Draht – eine Strecke von München bis<br />
Helsinki.<br />
129.000 „Knoten“ verbinden das „Netz“ seit seinem Richtfest<br />
1971, die nötigen statischen Gleichungen enthielten bis zu 10.500<br />
Unbekannte – geringfügig mehr als beim Mathematikunterricht in<br />
der Schule üblich. Ohne Computer wäre dieses Dach nicht möglich<br />
gewesen.<br />
Das Ende der 1990-er <strong>Jahre</strong><br />
sanierte Dach war nicht<br />
der einzige Beitrag <strong>Krupp</strong>s<br />
zum Olympia-Gelände.<br />
<strong>Krupp</strong>-Stahl findet sich auch<br />
im Pressezentrum, in der<br />
Regiekanzel des Stadions, in<br />
der Hochschulsportanlage,<br />
der Trainingshalle und im<br />
anlässlich Olympia errichteten<br />
Parkhaus des ehemaligen<br />
Flughafens München-Riem.<br />
1869<br />
Die Technologie<br />
Der erste Siemens-Martin-Stahlofen in<br />
Deutschland wird auf der Gussstahlfabrik<br />
in Betrieb genommen.
Das Centre Georges Pompidou in Paris<br />
Seinem Erfolg mit dem Dach des Münchener Olympiaparks verdankt<br />
<strong>Krupp</strong> den Auftrag für ein weiteres, noch heute populäres Bauwerk:<br />
das 1976 eröffnete<br />
Centre Georges Pompidou<br />
im Herzen von Paris.<br />
Innen findet sich neben<br />
einer öffentlichen Bibliothek<br />
das Museum für<br />
Moderne Kunst, außen<br />
werden die angrenzenden<br />
Plätze von Straßenkünstlern<br />
bevölkert.<br />
Die einzigartige<br />
Stahlskelettkonstruktion<br />
aus Stahl, Stahlguss und<br />
Schleuderguss verleiht dem sechsstöckigen Gebäude eine Wirkung<br />
zwischen Futurismus und Rohbau. Dazu trägt sicher bei, dass<br />
sämtliche Gebäudetechnik offen installiert wurde und einen bunten<br />
Farbcode erhielt: Tragwerk und Belüftungsrohre sind weiß, Treppen<br />
und Rolltreppen rot, die Elektrik gelb, Wasserrohre grün und Leitungen<br />
der Klimaanlage blau.<br />
Und wer glaubt, der schwerste Stahlkoloss in Paris sei der Eiffelturm,<br />
der sollte sein Urteil noch einmal überdenken: Das Pariser<br />
Wahrzeichen bringt es auf rund 7500 Tonnen Stahl – das Centre<br />
Pompidou wiegt 13.500 Tonnen.<br />
1870<br />
Das Krankenhaus<br />
Die <strong>Krupp</strong>schen Krankenanstalten entstehen<br />
als Lazarett für Verwundete im<br />
deutsch-französischen Krieg.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
1872<br />
Das Grundgesetz<br />
Das „Generalregulativ“ regelt Pfl ichten<br />
und Rechte der Mitarbeiter und legt<br />
Grundzüge der Geschäftsführung und<br />
der betrieblichen Sozialpolitik dar.<br />
|15<br />
Die Brücke über den Kleinen Belt<br />
Wer heute von Jütland auf die dänische Insel<br />
Fünen fährt, nutzt meist die 1970 eröffnete Autobahnbrücke<br />
„Ny Lillebæltsbro“. Doch ein paar Hundert<br />
Meter weiter führt schon seit 1934 eine Brücke aus<br />
Stahl über den Kleinen Belt, gebaut von <strong>Krupp</strong>. 1175<br />
Meter lang ist sie, 825 Meter misst der Stahlüberbau.<br />
In einer Wassertiefe von 35 Metern stehen die mittleren<br />
Pfeiler 220 Meter weit auseinander, 33 Meter<br />
bieten sie den Schiffen an Durchfahrtshöhe, darüber<br />
führen zwei Gleise und eine Straße.<br />
Um den Koloss zu bauen, mussten die Arbeiter auf<br />
dem ersten Pfeiler einen Montagekran errichten, mit<br />
dem dann ein zweiter aufgestellt wurde. Erst so war<br />
es möglich, die Überbauten freischwebend zu montieren.<br />
Das erforderte neben Schwindelfreiheit „sorgfältige<br />
Messungen in Länge, Breite und Höhe, um sicher<br />
zu sein, dass man sich in der Mitte treffen wird“, wie<br />
der Ingenieur Oswald Erlinghagen notierte.<br />
Das Hüttenwerk in Rourkela<br />
Eine Million Tonnen Rohstahl produziert das Stahlwerk<br />
jährlich, 750.000 Tonnen Fertigprodukte, darunter<br />
Grobbleche für Schiff-, Kessel-, Lokomotiv- und Waggonbau,<br />
Feinbleche sowie gewalztes Band, teilweise<br />
zink- oder zinnverziert. Nein, hier im Herzstück des Hüttenwerks<br />
Rourkela im indischen Bundesstaat Orissa produziert<br />
nicht <strong>Krupp</strong> – das, was hier produziert, stammt<br />
vom Essener Konzern. Eine ganze Stahlfabrik hat <strong>Krupp</strong><br />
auf indischen Wunsch gebaut und 1960 eingeweiht. Oder<br />
um mit den Worten von Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und<br />
Halbach zu sprechen: „Hier auf dem Boden Rourkelas<br />
haben wir auf dem Wege zur Modernisierung Indiens in<br />
aufrichtiger internationaler Zusammenarbeit ein Wahrzeichen<br />
der Schwerindustrie errichtet.“<br />
Anfangs wurde das zwei Milliarden Mark teure Projekt,<br />
an dem auch andere deutsche Firmen mitwirkten, als<br />
das „Stalingrad der deutschen Industrie“ verspottet. Die<br />
Ineffizienz der indischen Selbstorganisation war zunächst<br />
hoch. Doch nach nur wenigen <strong>Jahre</strong>n war Rourkela dank<br />
modernster Technik das rentabelste Hüttenwerk Asiens:<br />
England und Russland, die in Indien ebenfalls Hüttenwerke<br />
gebaut hatten, erwirtschafteten 1965 4,5 und 4,2<br />
Millionen Mark, Rourkela brachte es offiziell auf 7,3 Millionen<br />
– um die Konkurrenz nicht zu sehr zu beschämen,<br />
hatte man Verluste der Düngemittelfabrik in Rourkela<br />
eingerechnet. Tatsächlich kam das Hüttenwerk, wo noch<br />
heute 35.000 Menschen arbeiten, auf 29,4 Millionen<br />
Mark.
16| <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Die starken Frauen<br />
Sie hatten großen Anteil am Erfolg des<br />
Unternehmens / Von Thomas Rünker<br />
1872<br />
Die <strong>Krupp</strong>-Frauen waren Managerinnen – nicht nur von<br />
Familie und Villa Hügel, sondern oft genug auch der<br />
Firma selbst. Dabei standen sie meist im Schatten ihrer<br />
Männer, der großen Unternehmer. Zu Unrecht,<br />
denn ohne die Frauen ist <strong>Krupp</strong> undenkbar.<br />
Schon den Erstkontakt zum Werkstoff Stahl verdankt <strong>Krupp</strong><br />
einer Frau: Helene Amalie Ascherfeld (1732-1810) heiratet mit<br />
19 <strong>Jahre</strong>n den Essener Kaufmann Friedrich Jodocus <strong>Krupp</strong><br />
und übernimmt, als dieser schon fünf <strong>Jahre</strong> später stirbt,<br />
dessen Kolonialwaren-Geschäft. Dort beweist sie unternehmerisches<br />
Talent und erwirtschaftet mit der Zeit ein beeindruckendes<br />
Vermögen. Aus einem geplatzten Geldgeschäft<br />
kommt sie zudem in den Besitz der Gutehoffnungshütte im<br />
heutigen Oberhausen – und ihr als Betriebsleiter eingesetzter<br />
Enkel Friedrich lernt dort erstmals die Stahlherstellung<br />
kennen.<br />
Später bildet Helene Amalies Vermögen dann die<br />
finanzielle Grundlage für Friedrich <strong>Krupp</strong>s eigene unternehmerische<br />
Gehversuche. Seit 1808 ist er mit der<br />
Kaufmannstochter Therese Wilhelmi verheiratet. Drei<br />
<strong>Jahre</strong> später verabschiedet er sich vom Handel, um im<br />
neuen Terrain Gussstahl Fuß zu fassen. Bald ist das geerbte<br />
Vermögen aufgebraucht, das schicke Haus verkauft und<br />
die Familie muss in das kleine Aufseherhäuschen auf dem<br />
Werksgelände ziehen. Ein gesellschaftlicher Abstieg, dennoch<br />
ist Therese spätestens jetzt dem Stahl verbunden. Als<br />
Friedrich ihr bei seinem Tod 1826 nur Schulden und eine<br />
vage Idee von der Stahlproduktion hinterlässt, gibt sie nicht<br />
etwa auf, sondern bittet die Verwandtschaft um noch mehr<br />
Geld. Ihr 14-jähriger Sohn Alfred bricht die Schule ab und<br />
steigt in das kleine Unternehmen ein, das erst zehn <strong>Jahre</strong> später<br />
– 25 <strong>Jahre</strong> nach seiner Gründung – erstmals Gewinne macht.<br />
Als Alfred drei <strong>Jahre</strong> nach Thereses Tod 1853 die 18 <strong>Jahre</strong> jüngere<br />
Bertha Eichhoff kennenlernt, ist es Liebe auf den ersten Blick.<br />
„Wo ich glaubte, ein Stück Gussstahl sitzen zu haben, ist ein Herz“,<br />
schreibt er einem Freund. Sofort verloben sich die beiden, nach einem<br />
Monat wird geheiratet – und neun Monate später kommt Sohn Friedrich<br />
Alfred („Fritz“) zur Welt. Das Familienglück scheint perfekt. Doch Bertha<br />
macht das Leben auf dem lauten Werksgelände zu schaffen. 1873 zieht die<br />
Familie in die repräsentative und deutlich ruhigere Villa Hügel. Aber statt von<br />
Dampfhämmern ist Bertha dort von Alfred genervt, der als cholerisch, schrullig und<br />
in erster Linie mit der boomenden Fabrik verheiratet beschrieben wird.<br />
In dieser angespannten Situation kommt Anfang der 1870-er <strong>Jahre</strong> Margarethe von<br />
Ende auf den Hügel, Tochter des Düsseldorfer Regierungspräsidenten. Alfred ist strikt<br />
Die Expansion<br />
Die Steinkohlenzeche „Hannover“ in Bochum<br />
und die Johanneshütte in Duisburg<br />
werden erworben.<br />
1873<br />
Die Villa<br />
1873 wird die Villa Hügel fertig gestellt.<br />
Das neue Domizil der <strong>Krupp</strong>s hat 269<br />
Zimmer.
1875<br />
Bertha <strong>Krupp</strong>,<br />
geb. Eichhoff,<br />
um 1853.<br />
Die Marke<br />
Drei übereinander gelegte nahtlose Eisenbahnradreifen<br />
werden vom Königlichen<br />
Kreisgericht in Essen als Wort/Bildmarke<br />
der Firma <strong>Krupp</strong> eingetragen.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Margarethe <strong>Krupp</strong>, um 1910.<br />
gegen eine Beziehung zwischen Margarethe und<br />
Fritz, weil sie eine Adelige ist. Darüber kommt<br />
es zum endgültigen Zerwürfnis mit seiner Frau<br />
Bertha, die den Hügel für immer verlässt. Unbeirrt<br />
heiraten Margarethe und Fritz 1882, Alfred<br />
gratuliert nur schriftlich. Erst kurz vor seinem<br />
Tod 1887 bereut er sein Verhalten.<br />
Margarethe bringt zwei Töchter zur Welt.<br />
Bertha und Barbara genießen eine vergleichsweise<br />
unbeschwerte Kindheit, wenngleich<br />
Bertha schon früh auf ihre Rolle als Firmen-<br />
Erbin vorbereitet wird. Margarethe organisiert<br />
„den Hügel“, steht einer kleinen Heerschar an<br />
Hauspersonal vor, koordiniert das Programm<br />
aus Besuchen, Empfängen und Privatleben<br />
und repräsentiert den wichtigen Bereich der<br />
<strong>Krupp</strong>schen Wohlfahrtspflege. Ihren Mann<br />
sieht Margarethe indes immer seltener – auch,<br />
weil Friedrich Alfred gerne, oft und lange nach<br />
Capri reist. Zunächst in einer dortigen Zeitung,<br />
dann auch im sozialdemokratischen „Vorwärts“<br />
werden Vorwürfe laut, er unterhalte homosexuelle<br />
Beziehungen. Ein Vorwurf, der 1902 einem gesellschaftlichen<br />
Todesurteil gleichkommt. Margarethe ist<br />
geschockt. Schließlich gibt sie Fritz’ Drängen nach und<br />
begibt sich in ein Nervensanatorium.<br />
Nur sechs Tage später stirbt ihr Mann unter bis heute<br />
mysteriösen Umständen – und Margarethe wird Chefin.<br />
<strong>Krupp</strong>-Alleinerbin ist zwar Bertha, die damit reichste Erbin<br />
Europas. Doch bis zu ihrer Volljährigkeit steht ihre Mutter gut<br />
vier <strong>Jahre</strong> lang dem Werk vor. Und das nicht ungeschickt, wie es<br />
heißt: Margarethe lässt die Direktoren gewähren und zieht allenfalls<br />
im Hintergrund die Fäden.<br />
Im Herbst 1906 heiratet Bertha den Diplomaten Gustav von Bohlen<br />
und Halbach. „Liebe auf den ersten Blick“ sei es bei ihrem Kennenlernen<br />
im Frühjahr in Rom gewesen, heißt es. Bertha und Gustav gründen eine<br />
Therese <strong>Krupp</strong>, um 1830. Bertha <strong>Krupp</strong> von Bohlen und<br />
Halbach, um 1956.<br />
Familie, die zumindest in den ersten Jahrzehnten als eine<br />
der glücklichsten <strong>Krupp</strong>-Familien überhaupt beschrieben<br />
wird. Während er das Werk führt, bringt sie acht Kinder<br />
zur Welt. Auch wenn Bertha und Gustav darauf achten,<br />
ihre Kinder mindestens einmal täglich zu sehen, werden<br />
diese überwiegend vom Personal in der Villa Hügel erzogen.<br />
Schließlich sind Berthas Pflichten gegenüber der Zeit<br />
Margarethes eher noch gewachsen: Neben dem Management<br />
des kruppschen Alltags sind praktisch ständig Gäste<br />
zu bewirten. Auch der Kaiser kommt gern nach Essen.<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg geht es wirtschaftlich<br />
bergab. Bertha sitzt jeden Nachmittag mit Gustav am<br />
gemeinsamen Schreibtisch und trifft die wichtigsten<br />
Entscheidungen mit. Nach der Machtergreifung der Nazis<br />
sucht auch Hitler die Nähe der <strong>Krupp</strong>s. Bertha wird ihm<br />
gegenüber anfangs als skeptisch bis ablehnend beschrieben.<br />
Bei späteren Besuchen arrangiert sie sich aber. 1943<br />
übernimmt Alfried die Leitung des Werks, und Bertha<br />
zieht mit dem erkrankten Gustav auf Schloss Blühnbach<br />
bei Salzburg, einst Feriendomizil der Familie. Zwei ihrer<br />
Söhne fallen im Krieg, einer gerät in russische Gefangenschaft,<br />
und Alfried wird später als Kriegsverbrecher verurteilt.<br />
Bis zu seinem Tod 1950 pflegt Bertha in Blühnbach<br />
den von Schlaganfällen und zunehmender Demenz gezeichneten<br />
Gustav und kehrt erst nach der Begnadigung<br />
Alfrieds 1952 nach Essen zurück. Dort öffnet sie die Villa<br />
Hügel für die Öffentlichkeit und pflegt das kruppsche<br />
Erbe. Sie gilt als die „letzte große Dame der <strong>Krupp</strong>s“, die<br />
aber wie ehedem auch Jubilare ehrt und betagte Mieter in<br />
den Werkswohnungen besucht.<br />
Dieser enge Kontakt zur Bevölkerung, ihre Hilfsbereitschaft,<br />
aber auch das wechselhafte Schicksal brachten<br />
ihr viel Anerkennung und Sympathie ein. Zu Tausenden<br />
säumen die Essener die Straße, als im September 1957 ihr<br />
Sarg von der Villa Hügel zum Friedhof gefahren wird. Ein<br />
Abschied, auch von der Ära der großen <strong>Krupp</strong>-Frauen.◄<br />
1875<br />
Die Frauen<br />
<strong>Krupp</strong> gründet zwei Industrieschulen.<br />
Hier können Frauen und schulpfl ichtige<br />
Mädchen Handarbeiten für häusliche<br />
oder berufl iche Zwecke lernen.<br />
|17
18|<br />
Der Lehrling<br />
und der Chef<br />
Wie Wolfgang Gronau vor 50 <strong>Jahre</strong>n<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> begegnete<br />
Unter den Hunderttausenden<br />
<strong>Krupp</strong>-Fotos ist dieses nicht<br />
zufällig für die Ausstellung auf<br />
Villa Hügel ausgewählt und an<br />
prominenter Stelle platziert worden: Die<br />
Szene, wie Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und<br />
Halbach 1961 mit zwei Lehrlingen in der<br />
Radsatz-Werkstatt plaudert, ist atmosphärisch<br />
dicht, vermittelt einen menschlichen<br />
Eindruck des letzten Alleineigentümers –<br />
und zeigt zwei Auszubildende, von denen<br />
einer munter den Ringschlüssel schwingt<br />
und so fast das Bild beherrscht. Wer waren<br />
die Jungs auf dem Bild, deren Namen der<br />
Fotograf nicht notiert<br />
hatte? Und was ist 50<br />
<strong>Jahre</strong> später aus ihnen<br />
geworden? Einer, der<br />
frühere <strong>Krupp</strong>ianer<br />
Wolfgang Gronau,<br />
heute 66 <strong>Jahre</strong> alt und<br />
erst seit einem Jahr<br />
pensioniert, konnte ausfindig gemacht<br />
werden. Noch heute sieht man: Er ist es<br />
wirklich.<br />
An das Foto und seine Vorgeschichte<br />
kann sich der gebürtige Essener noch ganz<br />
genau erinnern: „Wir Lehrlinge hatten<br />
Werkunterricht, als plötzlich ein Fotograf<br />
in den Raum kam und sagte: ,Alle mal<br />
aufstehen’!“ Es ging, wie sich herausstellte,<br />
um einen Fototermin mit Alfried <strong>Krupp</strong><br />
und rausgeholt wurden dann die beiden<br />
Kleinsten – gezielt, wie Gronau schmunzelnd<br />
vermutet. <strong>Krupp</strong> war selbst kein<br />
Riese und sollte nicht an den langen Lulatschen<br />
hochgucken müssen, die es auch in<br />
der Lehrlingsklasse gab.<br />
„Klar war ich ein bisschen aufgeregt.<br />
Wann kam man dem obersten Chef schon<br />
mal so nahe“, erinnert sich Gronau, der<br />
1883<br />
Die Forschung<br />
„Vorstellungen einer falsch<br />
verstandenen Tradition dürfen<br />
uns nicht hindern, zu<br />
neuen Wegen zu finden.“<br />
Mit der Errichtung eines zweiten Chemischen<br />
Laboratoriums durch Friedrich<br />
Alfred <strong>Krupp</strong> beginnt die wissenschaftlich<br />
orientierte Stahlforschung.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
das Fräser-Handwerk lernte. Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> fragte dann interessiert nach Herkunft<br />
und Arbeitszufriedenheit und verstand<br />
es offensichtlich, das Eis zu brechen.<br />
Als die Fotografen Gronau aufforderten,<br />
mal ein bisschen den Schlüssel zu bewegen,<br />
ließ sich der damals 16-Jährige nicht<br />
zweimal bitten. Und auf einigen Fotos<br />
lacht er herzlich.<br />
Es war die einzige Chance, Dynamik<br />
ins Bild zu bringen, denn Alfried <strong>Krupp</strong><br />
war kein Mann ausladender Mimik und<br />
Gestik. Im „Stern“, in der WAZ, der NRZ,<br />
auf dem Titel der Firmenbiografie von<br />
Lothar Gall – im-<br />
mer wieder wurden<br />
verschiedene Motive<br />
aus dieser Fotostrecke<br />
gedruckt. Wer die Idee<br />
hatte, den legendären<br />
Eigentümer und<br />
obersten Chef mit den<br />
kleinsten Lehrlingen zusammenzubringen,<br />
ist nicht bekannt. Unter dem Gesichtspunkt<br />
geschickter Öffentlichkeitsarbeit –<br />
schon immer eine Stärke bei <strong>Krupp</strong> – war<br />
es jedenfalls ein genialer und sehr nachhaltiger<br />
Einfall. Und was denkt Wolfgang<br />
Gronau, wenn er dem Foto irgendwo<br />
begegnet? „Ich muss immer schmunzeln.“<br />
Natürlich waren Wolfgangs Eltern stolz.<br />
„Meine Mutter hat die Zeitungsausschnitte<br />
gesammelt“, sagt Gronau, der aus einer<br />
echten <strong>Krupp</strong>ianer-Familie stammt. Schon<br />
der heute 90-jährige Vater arbeitete bei<br />
den Baubetrieben der Firma, Wolfgang<br />
Gronau selbst stellte ein Leben lang elektrische<br />
Komponenten für den Lokomotivbau<br />
her. Auf 37 <strong>Jahre</strong> bei <strong>Krupp</strong> folgten<br />
ab 1994 – nach dem Verkauf der Sparte<br />
– weitere bei Siemens.<br />
Alfried <strong>Krupp</strong>, 1. April 1967<br />
Genau 51 <strong>Jahre</strong> und drei Monate ging Gronau also in<br />
die Werkshallen, erst an der Altendorfer und der Helenenstraße<br />
in Essen, später in Krefeld. „Und das immer<br />
gerne“, wie er betont, „am liebsten hätte ich nach dem Erreichen<br />
der Altersgrenze weitergemacht.“ Ununterbrochen<br />
seit seiner Geburt lebt der 66-Jährige nun auch schon in<br />
<strong>Krupp</strong>-Siedlungen, in Borbeck, in Frohnhausen, jetzt in<br />
Holsterhausen. Seit die Firma sich von ihrem Wohnungsbesitz<br />
weitgehend trennte, gibt es allerdings einen neuen<br />
Vermieter.<br />
War man auch in den 1960-er <strong>Jahre</strong>n noch stolz, ein<br />
<strong>Krupp</strong>ianer zu sein? „Doch, das war ich“, sagt Gronau.<br />
„<strong>Krupp</strong> war ein großer Name, und das war uns auch klar.“<br />
An die Lehrzeit hat der Fräser zudem gute Erinnerungen.<br />
„Kaum ein Unternehmen kannte damals Werkunterricht,<br />
und unsere Meister waren exzellente Fachleute.“ Allerdings,<br />
und auch das ist absolut typisch für das heutige<br />
Essen: Mit Wolfgang Gronau endet die familiäre <strong>Krupp</strong>ianer-Geschichte.<br />
Seine zwei Söhne haben beruflich nichts<br />
mit der Firma zu tun.◄<br />
1886<br />
Der Besuch<br />
Der chinesische Vizekönig<br />
Li Hong-Zhang stattet dem<br />
deutschen Unternehmen<br />
einen Besuch ab.
1890<br />
1961: Alfried <strong>Krupp</strong> in den Maschinenfabriken<br />
in Essen. Links: der junge Lehrling Wolfgang Gronau.<br />
2011: Wolfgang Gronau nach einem erfüllten Berufsleben<br />
heute. Er denkt gerne an <strong>Krupp</strong> zurück. Foto: Ulrich v. Born<br />
Die Stipendien<br />
Gründung der <strong>Krupp</strong>-Stipendien-Stiftung.<br />
Die Stipendien werden für begabte Söhne<br />
der Mitarbeiter ausgelobt für eine bessere<br />
technische Ausbildung.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Man war eben<br />
<strong>Krupp</strong>ianer<br />
Werner Hackbarth erinnert sich<br />
1892<br />
Die Übernahme<br />
<strong>Krupp</strong> übernimmt per<br />
Betriebsüberlassungsvertrag<br />
das Grusonwerk in Magdeburg.<br />
|19<br />
Werner Hackbarth (kl. Bild im Text) hat einen merkwürdigen<br />
Briefbeschwerer: Silbrig schimmernd, schwer wie<br />
eine kleine Hantel und geformt wie ein T, das am Ende<br />
der Senkrechten wieder etwas breiter wird. „Das war<br />
mal eine ganz hervorragende Produktlinie in unserem Werk Rheinhausen“,<br />
sagt der Essener. Briefbeschwerer von <strong>Krupp</strong>? „Nein“. Hackbarth<br />
schmunzelt, dreht das T um und stellt es senkrecht – dann erkennt auch<br />
der Laie das flache Profil einer Eisenbahnschiene, das Hackbarths Post<br />
beschwert. Stahl und Papier – das waren die wesentlichen Elemente im<br />
Berufsleben des heute 80-Jährigen. Von 1958 bis Ende 1987 war der<br />
gebürtige Berliner bei <strong>Krupp</strong> für<br />
Pressearbeit zuständig – zunächst<br />
für Hauszeitschriften wie die „<strong>Krupp</strong><br />
Mitteilungen“, später dann als Sprecher<br />
der Stahlsparte, dem Herz des<br />
<strong>Krupp</strong>-Konzerns.<br />
Wenn Hackbarth davon erzählt,<br />
klingt es nach guter, alter Zeit. Das<br />
ficht den Senior nicht an – schließlich<br />
war es eine gute Zeit bei <strong>Krupp</strong>,<br />
mit allen Höhen und Tiefen. Und<br />
dann holt er das Foto von 1959 hervor,<br />
das die bei <strong>Krupp</strong> geschmiedete<br />
Stahlkugel zeigt, in der der Schweizer<br />
Tiefseeforscher Piccard damals fast 11.000 Meter in den Marianengraben<br />
des Pazifik hinabgetaucht ist – was für ein Symbol des Aufbruchs für<br />
<strong>Krupp</strong> nach Krieg und Zerstörung. „Das war ein Pfund, mit dem <strong>Krupp</strong><br />
für alle im Ruhrgebiet wuchern konnte“, beschreibt es Hackbarth.<br />
Auch später noch durfte Hackbarth über viele <strong>Krupp</strong>-Erfolgsmeldungen<br />
berichten. Zum Beispiel wenn es mit Alfried <strong>Krupp</strong> und Berthold<br />
Beitz zur jährlichen Hannovermesse ging. Aber es gab auch die andere<br />
Seite: Als Hackbarth 1969 im Montanbereich die Leitung der neu<br />
gegründeten Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit übernahm, hatte<br />
er wenig später gleich mit einem Grubenunglück und der Stilllegung des<br />
berühmten Bochumer Glockengusses zu tun. Gegenüber seinen Vorgesetzten<br />
setzt er sich nach diesen und ähnlichen Erfahrungen für Transparenz<br />
gegenüber der Öffentlichkeit ein. „Da musste man wirklich Überzeugungsarbeit<br />
leisten, dass man mal die Türen aufmacht und etwa nach<br />
einem Betriebsunfall sofort alles berichtet“, sagt Hackbarth. Zumindest<br />
bei den Journalisten sei diese Offenheit gut angekommen.<br />
Unter den Mitarbeitern habe es damals eine besondere Verbundenheit<br />
gegeben, erinnert sich Hackbarth. Er hatte zwar sein Büro in Bochum,<br />
war aber immer wieder in den verschiedenen Werken an Rhein und<br />
Ruhr unterwegs. „Da war ein gutes Gefühl der Zusammengehörigkeit“,<br />
erinnert er sich, „und eine Vertrauensbasis: Die da oben, die machen das<br />
schon.“ Man war eben <strong>Krupp</strong>ianer. Thomas Rünker◄
20| <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Tagung der <strong>Krupp</strong>-Auslandsvertreter in der Villa Hügel,<br />
1961.<br />
<strong>Krupp</strong>-Stand auf der internationalen Kunst- und Gewerbeausstellung<br />
in Dublin, 1865.<br />
Foto: London Stereoscopic & Photographic Company<br />
Fahrversuch mit Feldgeschützen auf dem Schießplatz in<br />
Meppen, um 1910.<br />
28,8-Tonnen-Dampfturbinenläufer, 1961 (Bochumer Verein<br />
für Gussstahlfabrikation).<br />
1893<br />
Die Erfi ndung<br />
Rudolf Diesel, MAN und <strong>Krupp</strong> beschließen<br />
in einem Konsortialvertrag, Diesels<br />
Erfi ndung auszuwerten, um einen Dieselmotor<br />
zu entwickeln.<br />
Ein Mythos<br />
in Bildern<br />
Bemerkenswerte Fotoausstellung<br />
in der Villa Hügel<br />
1896<br />
Die Hütte<br />
Der Mythos <strong>Krupp</strong> lebt bis heute fort, auch<br />
wegen der Fotografien, die das Unternehmen<br />
früh zur Dokumentation, zu Forschungs-<br />
und Werbe-Zwecken eingesetzt<br />
hat. Alfred <strong>Krupp</strong> war eben ein Visionär,<br />
der nicht nur an den Erfolg von Essener Gussstahl glaubte.<br />
Er hat auch die Macht der Bilder früh erkannt. Kein<br />
Unternehmen hat sich so früh und intensiv dem damals<br />
neuen Medium Fotografie zugewandt.<br />
Eine der ältesten der gesammelten Aufnahmen, die die<br />
Ausstellung „<strong>Krupp</strong>. Fotografien aus zwei Jahrhunderten“<br />
derzeit in der Villa Hügel präsentiert, stammt aus dem<br />
<strong>Jahre</strong> 1849. Es ist eine Daguerreotypie von Alfred <strong>Krupp</strong>,<br />
fast so alt wie die Fotografie selber.<br />
Es ist ein wahrer Bilderschatz, den die Villa Hügel zum<br />
<strong>200</strong>. Firmenjubiläum erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.<br />
Ausgestellt werden 400 Fotografien, ausgewählt aus<br />
sage und schreibe zwei Millionen Aufnahmen, die das<br />
Historische Archiv <strong>Krupp</strong>, 1905 als erstes Wirtschaftsarchiv<br />
in Deutschland gegründet, zusammengetragen hat.<br />
Die Sammlung ist weit mehr als das visuelle Firmengedächtnis.<br />
Sie illustriert Zeit- und Wirtschaftsgeschichte,<br />
sie dokumentiert aber auch Familien- und Fotografiehistorie.<br />
Sie ist das Vermächtnis eines Mannes, der schon<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts erkennt, dass die Marke<br />
<strong>Krupp</strong> ein Gesicht braucht.<br />
Als Alfred <strong>Krupp</strong> 1861 seine „Photographische Anstalt“<br />
in Essen gründet, steckt die Fotografie noch in den<br />
Kinderschuhen. Das Material ist teuer, die Belichtungszeiten<br />
lang, den Porträts sieht man die Anstrengung des<br />
minutenlangen Stillhaltens an. Aber <strong>Krupp</strong> investiert<br />
nicht nur in die Entwicklung des nahtlosen Schmiedens,<br />
er will auch die Fotografie nach vorne bringen. Hugo van<br />
Werden wird der erste Werksfotograf in der Industriegeschichte.<br />
Seine Dienstreisen führen ihn von Essen aus in<br />
die Welt, um die Expansion des Unternehmens festzuhalten.<br />
Sein Meisterstück aber wird eine gigantische, fast<br />
acht Meter große Gesamtansicht der Essener Gussstahlfabrik,<br />
die sich aus mehreren Segmenten zusammensetzt.<br />
Für die neue Friedrich-Alfred-Hütte in<br />
Rheinhausen werden zunächst drei Hochöfen,<br />
ein Hafen, ein Wasserwerk und<br />
Werksbahnanlagen geplant.
Für das von Alfred <strong>Krupp</strong> beauftragte<br />
Prunkstück werden einige hundert Arbeiter<br />
sogar am Sonntag als Statisten aufs<br />
Werksgelände beordert, „weil die Werktage<br />
zu viel Rauch, Dampf und Unruhe<br />
mit sich führen“, wie der Firmenpatron<br />
ebenso perfektionistisch wie weitsichtig zu<br />
bedenken gibt.<br />
Die Aufnahmen von <strong>Krupp</strong> gehen bald<br />
um die Welt wie die Waren, machen auf<br />
Weltausstellungen und Messen Werbung<br />
für die Produkte von der Ruhr. Es sind<br />
Bilder, die die Hitze des geschmolzenen<br />
Stahls, den Lärm der Dampfhämmer, die<br />
Qualität der Produkte, den Schweiß und<br />
die Anstrengung, aber auch den Stolz<br />
des arbeitenden „<strong>Krupp</strong>ianers“ für den<br />
Betrachter spürbar machen sollen.<br />
Denn zwischen den machtvoll inszenierten<br />
Stahlbrammen und Dampfturbinen,<br />
Geschützen und Schaufelradbaggern,<br />
Lokomotiven und Lastkraftwagen gerät<br />
der Mensch nicht aus dem Fokus von<br />
1896<br />
Die Werft<br />
<strong>Krupp</strong> übernimmt<br />
am 19. August die<br />
Germaniawerft<br />
in Kiel.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Firmenphilosophie und Fotografie. Die<br />
von Margarethe <strong>Krupp</strong> gestiftete Gartenstadt<br />
Margarethenhöhe wird zum Musterbeispiel<br />
des frühen sozialen Wohnens,<br />
ein bis heute gern gewähltes Fotomotiv.<br />
Und mancher inzwischen längst verrentete<br />
<strong>Krupp</strong>ianer hat sich in der Ausstellung mit<br />
vergnügtem Erstaunen als junger Lehrling<br />
neben Firmenpatriarchen wie Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach wiedergefunden.<br />
Die privaten Aufnahmen der Familie<br />
<strong>Krupp</strong> sind der zweite, spannende Teil dieser<br />
in 15 Räumen nach Themenschwerpunkten<br />
gehängten Jubiläumsschau. Mit<br />
8000 Aufnahmen haben die Familienbilder<br />
zwar nur einen kleinen Anteil am<br />
gesamten Unternehmensarchiv, aber sie<br />
geben überraschende und eindrucksvolle<br />
Einblicke in das Leben in der Villa Hügel,<br />
diesem illustren Wohn- und Repräsentationsort,<br />
wo der deutsche Kaiser Wilhelm<br />
II. und der thailändische König Bhumibol<br />
1896<br />
Der Kaiser<br />
Kaiser Wilhelm II.<br />
besucht am 27.<br />
Oktober <strong>Krupp</strong>.<br />
im Laufe der <strong>Jahre</strong> ebenso zu Gast sind<br />
wie Adolf Hitler oder Golo Mann.<br />
Nicht nur die Werksfotografen haben<br />
sich für die bewegte Geschichte der Firma<br />
<strong>Krupp</strong> interessiert. Die Ausstellung zeigt<br />
auch Aufnahmen von Fotostars wie Timm<br />
Rautert oder Erich Lessing, der das <strong>Krupp</strong>-<br />
Direktorium mit dem jungen Berthold<br />
Beitz 1955 in der filmreifen Kulisse des<br />
großen Hügel-Saals inszenierte.<br />
Nicht alles blieb der Nachwelt erhalten.<br />
Einige der seit 1905 im Unternehmens-Archiv<br />
gehüteten Bilder gingen bei<br />
den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg<br />
verloren. Manches harrt bis heute der Restaurierung,<br />
Digitalisierung, Aufarbeitung.<br />
Allein der letzte persönliche Firmen-Inhaber<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach<br />
hat mit seiner Leica mehr als 30.000<br />
Dias gemacht. Dem Mythos <strong>Krupp</strong> werden<br />
die Bilder so schnell nicht ausgehen.◄<br />
|21<br />
Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> von<br />
Bohlen und<br />
Halbach<br />
(links), Berthold<br />
Beitz<br />
(3. von links)<br />
sowie das<br />
<strong>Krupp</strong>-Direktorium<br />
in der<br />
Eingangshalle<br />
der Villa<br />
Hügel im<br />
Jahr 1955.<br />
Foto: Erich<br />
Lessing
22|<br />
1899<br />
Die Bücher<br />
Die <strong>Krupp</strong>sche Bücherhalle wird eröffnet,<br />
und der <strong>Krupp</strong>sche Bildungsverein<br />
entsteht.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
<strong>Krupp</strong> im Dritten Reich<br />
Von Prof. Werner Abelshauser<br />
Die Eheleute <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach – Bertha mehr noch als<br />
Gustav – begegneten der Hitler-Bewegung mit einer Mischung aus Verachtung,<br />
Skepsis und resignativer Fügung in das kleinere Übel. Folglich<br />
spendete das Ehepaar <strong>Krupp</strong> vor der „Machtergreifung“ weder aus der Firmenkasse<br />
noch aus ihrer Privatschatulle der NSDAP auch nur eine Mark. Scharen<br />
von Anklagevertretern haben im Vorfeld der Nürnberger Prozesse in 80 Tonnen<br />
<strong>Krupp</strong>-Akten vergeblich nach Hinweisen gesucht. <strong>Krupp</strong> lehnte es vor 1933 auch<br />
entschieden ab, Hitler persönlich kennenzulernen und ließ den Reichsverband<br />
der deutschen Industrie, dessen Präsident er war, beim Reichspräsidenten gegen<br />
eine Berufung Hitlers ins Kabinett intervenieren.<br />
Umso dramatischer vollzog sich dann nach 1933 der Anpassungsprozess an<br />
die Fakten, die das Regime schuf – obwohl <strong>Krupp</strong> in nahezu allen wirtschaftspolitischen<br />
Fragen nicht mit ihm übereinstimmte. Auf einem Treffen führender<br />
Industrieller mit Hitler versuchte er, den neuen Reichskanzler<br />
dazu zu bewegen, die Staatsausgaben auf den<br />
Stand vor 1900 (!) zurückzufahren. Eine groteske<br />
Fehleinschätzung der Regierungspolitik, die ja gerade<br />
dabei war, sich in Milliardenhöhe neu zu verschulden,<br />
um die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. <strong>Krupp</strong><br />
war auch nicht ohne Weiteres bereit, dem Reich erneut<br />
als „Rüstungsschmiede“ zu dienen. Gewiss wäre er für<br />
Marineaufträge an seine seit 1925 praktisch bankrotte<br />
Germaniawerft in Kiel dankbar gewesen. Diese kamen<br />
jedoch – wie alle anderen auch – erst 1935. Bis dahin<br />
fl ossen die Milliardenprogramme zur Arbeitsbeschaffung<br />
im Wesentlichen in zivile Kanäle, von denen die<br />
<strong>Krupp</strong>werke vor allem profi tierten. Der direkte Rüstungsanteil<br />
am Umsatz betrug nämlich 1935/36 nur 10<br />
Prozent. Weitere 10 Prozent indirekter Rüstungsgüter,<br />
wie z.B. Motoren, kamen hinzu. Bis zum Ausbruch des<br />
Krieges gelang es <strong>Krupp</strong>, den zivilen Umsatz noch zu steigern, um nicht am Ende<br />
der Aufrüstung erneut – wie schon nach 1871 und 1918 – in der Sackgasse zu<br />
landen. Selbst im Krieg, als die Entscheidungen des Konzerns weitgehend von der<br />
Wehrmacht und dem Speerschen Rüstungsapparat bestimmt wurden, versuchte<br />
die Konzernleitung immer, die Nachkriegszeit nicht aus dem Blick zu verlieren.<br />
Diese „konservative“ Grundhaltung trug dazu bei, dass 1944 die Bremer Großwerft<br />
Deschimag und das Breslauer Berthawerk vom Speerschen Apparat übernommen<br />
und ihre Leiter ins KZ eingeliefert wurden. Seit 1943 war Alfried <strong>Krupp</strong><br />
in Essen sowieso ein „König ohne Land“, weil die meisten Betriebe ausgelagert<br />
waren und sich seiner Regie immer mehr entzogen.<br />
Dies gilt auch für den Einsatz von Fremdarbeitern und KZ-Häftlingen. Um<br />
sein Auftragssoll zu erfüllen, brauchte <strong>Krupp</strong> vor allem Facharbeiter, keine<br />
Zwangsarbeiter. Kein Wunder, dass sich der Montankonzern 1944 mit Händen<br />
und Füßen gegen den Einsatz von <strong>200</strong>0 weiblichen (!) KZ-Häftlingen wehrte.<br />
Vergeblich. Verantworten musste ihn Alfried <strong>Krupp</strong> vor seinen Nürnberger Richtern.<br />
Nach außen hin war <strong>Krupp</strong> eine Ikone des NS-Regimes und zog den Hass<br />
seiner Gegner auf sich. Dagegen war das Innenverhältnis bestimmt von Opportunismus,<br />
Anpassung und am Ende Ohnmacht. ◄<br />
1902<br />
Das U-Boot<br />
Bau des ersten deutschen<br />
Versuchs-U-Bootes „Forelle“<br />
auf der <strong>Krupp</strong>schen<br />
Germaniawerft.<br />
Verwurzelt<br />
in der<br />
Region<br />
Wie Zeitungsleser <strong>Krupp</strong><br />
in Erinnerung haben<br />
Am Hochofen<br />
„Fast meine gesamte Familie war Zeit ihres Lebens<br />
mit <strong>Krupp</strong> verbandelt. Mein Großvater arbeitete als<br />
Kranführer, mein Schwiegervater bis zu seiner Pensionierung<br />
am Hochofen, mein eigener Vater als Industriekaufmann.<br />
Das neue LD-Werk in Rheinhausen wurde<br />
auch mit seiner rechnerischen Hilfe gebaut. Selbst als<br />
mein Vater schon sehr krank war (er ist 1979 im Alter<br />
von 50 <strong>Jahre</strong>n gestorben), kamen die Kollegen zu uns<br />
nach Hause und er wurde um Rat beim Bau des LD-<br />
Werks gefragt.“ Susanne Ludwig, Duisburg<br />
<strong>Krupp</strong> – ein<br />
Name, der unvergessen<br />
ist.<br />
Das Bild zeigt<br />
Arbeiter am<br />
Chargierwagen,<br />
1899.<br />
Idylle<br />
„Kinderaugen strahlen, wenn das Weihnachtspaket<br />
eintrifft. Ruhige, verträumte Sträßchen mit<br />
viel Idylle und einem kleinen Marktplatz. Unglaube,<br />
wenn der Vater erzählt, dass er <strong>Krupp</strong> beim<br />
Waldlauf sah. Pförtnerhäuschen vor einem gewaltigen<br />
Park mit Schranke und Mann in Uniform.<br />
Praktische Küche mit Einbaumöbeln und ich darf<br />
das Essen in die Durchreiche zum Wohnzimmer<br />
stellen. Das ist <strong>Krupp</strong> für mich.“ Petra Bury, Essen
Beispielhaft<br />
„<strong>Krupp</strong> gehört zum Ruhrgebiet, wie<br />
der Fluss, der dieser Region den Namen<br />
gab: „Die Ruhr“.<br />
Wir älteren Ruhrgebietler haben die<br />
<strong>Krupp</strong>-Geschichte nach 1945 mit all<br />
ihren positiven und negativen Ereignissen<br />
live miterlebt, und das prägt und<br />
verbindet.<br />
<strong>Krupp</strong> gab und gibt vielen Menschen<br />
nicht nur Arbeit, sondern auch der Name<br />
steht für beispielhafte Sozialleistungen,<br />
nach einem <strong>Krupp</strong>schen Leitspruch:<br />
„Der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl<br />
sein.“ Dem Unternehmen wünsche<br />
ich zum Jubiläum weiterhin alles Gute.“<br />
Lothar Blum, Duisburg<br />
Die Eisenbahnlinie<br />
„Mich verbindet mit dem Namen <strong>Krupp</strong> der<br />
Bau der 1. Eisenbahnlinie in Kamerun/Afrika,<br />
ehemalige deutsche Kolonie. Mein Schwiegervater<br />
hatte Eisenbahnbau studiert und baute mit<br />
anderen Ingenieuren die ersten Eisenbahnlinien<br />
in Kamerun auf. Im Bahnhof Duala haben wir die<br />
Eisenbahnschienen besichtigt, die die Markierung<br />
„KRUPP 1911“ trugen.“ Jutta Eitel, Essen<br />
1903<br />
Die Aktiengesellschaft<br />
Am 30. Juni wird die Firma Fried. <strong>Krupp</strong><br />
in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.<br />
Bertha <strong>Krupp</strong> ist Eigentümerin.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
In fremden Sprachen<br />
„1980 arbeitete ich als Fremdsprachenkorrespondentin für Spanisch<br />
und Englisch in Essen bei einer Firma, deren Hauptaktionäre die Brüder<br />
Berthold und Harald von Bohlen und Halbach waren, die jüngeren Brüder<br />
von Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach. Ich war erst kurz vorher<br />
nach einem mehrjährigen Aufenthalt aus Spanien zurückgekommen und<br />
beherrschte die Sprache. Im Juni erwartete die Firma <strong>Krupp</strong> den Besuch des<br />
damaligen Staatspräsidenten von Argentinien, Arturo Frondizi, mit einer<br />
Delegation. Da damals auch bei <strong>Krupp</strong> erst wenige Angestellte Spanisch<br />
sprachen, wurden bei uns „Leute“ ausgeliehen, damit alle Herren von<br />
<strong>Krupp</strong> sich mit den Gästen verständigen<br />
konnten, zu denen auch die Damen<br />
gehörten.<br />
Ich wurde Herrn Berthold Beitz zugeteilt,<br />
der für die Betreuung der Damen<br />
zuständig war, und hielt mich immer<br />
in seiner Nähe auf. Beim Mittagsmahl,<br />
das in der oberen Halle der Villa Hügel<br />
eingenommen wurde, saß ich hinter<br />
Frau Frondizi und dolmetschte ihre<br />
Gespräche mit Alfried <strong>Krupp</strong> zur einen<br />
und Berthold Beitz zur anderen Seite.<br />
Es war eine denkwürdige Aufgabe.“<br />
Elisabeth Wansing, Münster<br />
Der Maler<br />
„Mein Vater Friedrich<br />
Wilhelm Ernst Stranz war<br />
noch sehr jung, als er nach<br />
Essen zog und sich dort als<br />
Maler bei der Villa Hügel<br />
vorstellte. Eine junge Frau<br />
stellte ihn als Deckenmaler<br />
ein. Ich war noch ein Kind.<br />
Das Thema bei meinem Vater<br />
war immer nur die Villa<br />
Hügel. Das Deckenmalen<br />
dort war schwer, mehrere<br />
Monate hat mein Vater das gemacht, bevor er aufgeben musste. Ich<br />
bin heute 88 <strong>Jahre</strong> alt und sende Ihnen ein Bild von meinem Vater als<br />
Soldat mit zwei Schwestern von mir.“ Lore Rehwald, Sprockhövel<br />
Vom Kaiser gegrüßt<br />
„Meine Erinnerung aus Erzählungen an <strong>Krupp</strong> verbindet<br />
mich mit Folgendem: Ich bin 1932 geboren und in dem Jahr<br />
starb mein Großvater, ein <strong>Krupp</strong>ianer. Wenn die Familie früher<br />
zusammen war, war <strong>Krupp</strong> immer dabei. Folgendes wurde immer<br />
wieder erzählt: Kaiser Wilhelm besuchte <strong>Krupp</strong> und mein<br />
Großvater hatte Wache. Und wie es so kam, er wurde vom<br />
Kaiser begrüßt. Es war sein größtes Erlebnis. Da ich die erste<br />
Enkelin war, bekam ich als Zweitnamen den Namen Berta.“<br />
Johanna Berta Bernsdorf, Bottrop<br />
1905<br />
Die Geschichte<br />
Im Juni wird die „Geschichtliche Abteilung“<br />
als erstes Unternehmensarchiv<br />
Deutschlands gegründet.<br />
|23<br />
Made in Germany<br />
„Mit dem Namen <strong>Krupp</strong> verbinde ich in erster Linie<br />
die Herstellung und Verarbeitung von Stahl und<br />
die gute Qualität „Made in Germany“. Bewundert<br />
habe ich auch immer die soziale Einstellung gegenüber<br />
den Mitarbeitern und der Region. Das ist heute<br />
nur noch selten zu fi nden.“ Bernd Hofacker, Wenden<br />
Stolz<br />
„<strong>Krupp</strong> ist für mich das<br />
alles überragende Symbol<br />
für das einst so stolze<br />
Industriegebiet.“<br />
Michael Ruthe, Witten<br />
Selbstbinder<br />
„Mit <strong>Krupp</strong> verbinde ich den „Selbstbinder“<br />
(Erntemaschine) auf unserem elterlichen Hof. Es war<br />
eine robuste Maschine.“ Fritz Böckenhoff, Arnsberg
24| <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
1906<br />
Die Hochzeit<br />
Bertha <strong>Krupp</strong> heiratet<br />
den Diplomaten Gustav<br />
von Bohlen und Halbach.<br />
Auch der Kaiser<br />
war zu Gast<br />
Villa Hügel: Früher das herrschaftliche Wohnhaus,<br />
heute kulturelles Zentrum / Von Ingrid Janssen<br />
Beliebtes Postkartenmotiv um 1910, die Villa Hügel.<br />
Die Villa Hügel im Bau 1870.<br />
Ein Stab von 648 Bediensteten sorgte sich 1914 in der Villa Hügel<br />
um die Hofhaltung der <strong>Krupp</strong>s: Kammerdiener und Köche,<br />
Wäscherinnen und Friseure, Kinderfräulein, Stallknechte, Verwalter<br />
und und und. Zu dieser Zeit gehörte das Unternehmen<br />
zweifellos zu den reichsten in Europa. Einflussreiche Persönlichkeiten,<br />
Staatsmänner und gekrönte Häupter gingen in dem luxuriösen<br />
Wohnsitz im Essener Süden ein und aus. Kaiser Wilhelm II. war wiederholt<br />
Gast in der palastähnlichen Villa hoch über der Ruhr, wo sich 269 Zimmer<br />
auf 8100 Quadratmeter Wohnfläche verteilten. Längst war die Villa<br />
Hügel da zu einem wichtigen Schauplatz des gesellschaftlichen Lebens in<br />
Deutschland geworden. Als Firmenpatriarch Alfred <strong>Krupp</strong> 1869 erste Baupläne<br />
vorlegte, war vom späteren Glanz des Hauses noch wenig zu ahnen.<br />
Der Bauherr legte auf Kunst und Prunk wenig Wert. Trotz der gigantischen<br />
Ausmaße des Hauses war Zweckdienlichkeit stets seine Devise. Ihn interessierten<br />
vornehmlich technische Aspekte, weshalb neue Erfindungen von<br />
Anfang an Einzug hielten. Der Haushalt verfügte nicht nur über die erste<br />
moderne Warmluftheizung der Welt, sondern auch über elektrisches Licht,<br />
Speiseaufzüge, eine Telegrafen- und Telefonanlage sowie über ein eigenes<br />
Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerk.<br />
Als Alfred <strong>Krupp</strong> 1887 starb, veränderte die Villa Hügel unter dem<br />
Lebensstil der folgenden drei Generationen ihr Gesicht: Kostbare Teppiche<br />
und Polstermöbel dekorierten fortan die Salons, Holztäfelungen und<br />
Malereien zierten Decken und Wände. Zur Unterhaltung der Familie und<br />
ihrer illustren Gäste wurden Tennisplätze, Reitanlagen, Lese- und Spielzimmer<br />
eingerichtet. Selbst ein Gesellschaftshaus mit Kegelbahn fehlte nicht.<br />
Seinen endgültigen großbürgerlichen Schliff bekam das Haus unter Bertha<br />
<strong>Krupp</strong>, der Enkelin des Bauherren, die 1902 mit nur 16 <strong>Jahre</strong>n Alleinerbin<br />
des Weltunternehmens wurde. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Gustav<br />
<strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach erweiterte sie die ohnehin schon prächtige<br />
Ausstattung mit Leidenschaft und Kunstsinn. Im April 1945 wurde das<br />
Anwesen dann von der amerikanischen Besatzungsmacht beschlagnahmt.<br />
1952 erhielt es die Familie zurück.<br />
Der Hügelpark – Lustgarten und<br />
Nutzbetrieb<br />
Wie die Villa selbst, so wandelte sich auch das weitläufige Parkgelände<br />
unter den jeweiligen Hausherren. Alfred <strong>Krupp</strong> hatte bei der Planung des<br />
Hügelparks genaue Wünsche gehegt. Er wollte einen „Wald von Bäumen“,<br />
1906<br />
Die Margarethenhöhe<br />
Aus Anlass der Heirat ihrer Tochter stiftet<br />
Margarethe <strong>Krupp</strong> Land und fi nanzielle<br />
Mittel zum Bau der Siedlung Margarethenhöhe.
den er „noch bei Lebzeiten genießen“<br />
konnte. Zur raschen Aufforstung wurden<br />
ausgewachsene Bäume neu eingepflanzt.<br />
Umliegende Städte stellten zahlreiche<br />
etwa 50-jährige Bäume – inklusive einer<br />
kompletten Ulmenallee. Der Grund dafür,<br />
dass der Baumbestand erheblich älter ist<br />
als der Wohnsitz selbst. Die folgenden<br />
Generationen ließen den Park opulent<br />
ausbauen. Gewächs- und Schauhäuser<br />
entstanden, Skulpturen und seltene exotische<br />
Gewächse sorgten für überraschende<br />
Anblicke. Neben seinem Zweck als Lustgarten<br />
sollte der Park dem <strong>Krupp</strong>haushalt<br />
als Landwirtschaftsbetrieb auch nützlich<br />
sein. Es gab Tausende von Obstbäumen<br />
und Beerensträuchern, große Stallungen<br />
und eine Gärtnerei mit Pflanzenzucht. Die<br />
alltäglichen Gepflogenheiten von damals<br />
lassen sich heute nur noch erahnen, der<br />
ursprüngliche Zustand des Parks ist nicht<br />
mehr erhalten. In den 1950-er und 1960er<br />
<strong>Jahre</strong>n, als die Villa Hügel schon nicht<br />
mehr als Wohnsitz diente, wurde er zum<br />
englischen Garten umgestaltet.<br />
Von der Residenz der Schwerindustrie<br />
zum Haus der Kultur<br />
Ab dem Frühjahr 1953 stellte die<br />
Familie <strong>Krupp</strong> den Wohnsitz für kultu-<br />
1912<br />
Das Patent<br />
Die nichtrostenden säure- und hitzebeständigen<br />
Chrom-Nickel-Stähle aus den<br />
<strong>Krupp</strong>-Laboratorien werden patentiert<br />
(„Nirosta“).<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
relle Zwecke zur Verfügung. Gemäß dem<br />
Willen der Erben sollte die Villa zu einem<br />
„kulturellen Mittelpunkt und Ausstellungsort<br />
für die Stadt Essen, ihre Umgebung<br />
sowie für das ganze Ruhrgebiet“<br />
werden. Bis heute zogen insgesamt 51<br />
hochkarätige Präsentationen historischer<br />
Kunstschätze mehr als sechs Millionen<br />
Besucher an. Die Bandbreite der Exponate<br />
und Ausstellungsthemen reicht dabei von<br />
Kultgegenständen aus Indien, Nepal oder<br />
Tibet über Schätze des Barock bis hin zu<br />
flämischen Stillleben und Landschaften.<br />
Schon die erste Schau „Kunstwerke aus<br />
Kirchen, Museums- und Privatbesitz – Der<br />
Essener Münsterschatz“, die im Mai 1953<br />
eröffnete, sahen über 410.000 Kunstinteressierte.<br />
Ein Rekord, der zeigt, wie groß<br />
im Deutschland der Nachkriegszeit das<br />
Bedürfnis nach Kultur und die Neugier<br />
auf das Privathaus der Familie <strong>Krupp</strong><br />
war. Noch ein anderes gesellschaftliches<br />
Großgeschehen machte 1953 Schlagzeilen.<br />
Der französische Star-Couturier Christian<br />
Dior, der im Paris dieser Zeit als Schöpfer<br />
des „neuen Stils“ gefeiert wurde, zeigte<br />
eine Modenschau in den Festsälen „auf<br />
Hügel“. Unter schweren Lüstern wurde<br />
ein Laufsteg aufgebaut für das Defilee<br />
schmal taillierter Abendkleider, weit<br />
Zur Villa Hügel<br />
gehört ein<br />
herrschaftlicher<br />
Park.<br />
schwingender Röcke und Wagenradhüte.<br />
Die deutsche Zeitschrift „Die elegante<br />
Welt“ sprach im Zuge dieses Ereignisses<br />
von einer „Bombe“. Auch in Perioden, in<br />
denen keine Sonderausstellungen gezeigt<br />
werden, ist die Villa Hügel ein starker<br />
Anziehungspunkt. Das Hauptgebäude<br />
mit den Wohnräumen verblüfft angesichts<br />
seines erlesenen Luxus bis heute als<br />
herausragendes Beispiel der Wohnkultur<br />
des Historismus, während das Nebengebäude<br />
als Sitz der Historischen Ausstellung<br />
<strong>Krupp</strong> Einblick in die Familien- und<br />
Firmengeschichte gibt. Hier befindet sich<br />
auch das Historische Archiv <strong>Krupp</strong>, das<br />
älteste deutsche Wirtschaftsarchiv. Villa<br />
und Park stehen heute im Eigentum der<br />
gemeinnützigen Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen<br />
und Halbach-Stiftung.◄<br />
Villa Hügel, Haraldstraße, 45133<br />
Essen, Tel.: 0201/61 62 90, Eintritt<br />
3 Euro, Kinder unter 14 <strong>Jahre</strong>n frei,<br />
Öffnungszeiten: Hügelpark täglich –<br />
auch an Feiertagen – von 8 bis 20 Uhr,<br />
historische Wohnräume und Historische<br />
Ausstellung <strong>Krupp</strong> täglich außer montags<br />
von 10 bis 18 Uhr, www.villahuegel.de<br />
1912<br />
Das Fest<br />
|25<br />
Im August wird das 100-jährige<br />
Bestehen der Firma <strong>Krupp</strong> unter<br />
Anwesenheit von Kaiser<br />
Wilhelm II. gefeiert.
26|<br />
1914<br />
Das Geschütz<br />
Die „Dicke Berta“<br />
kommt im Ersten<br />
Weltkrieg zum Einsatz.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
<strong>Krupp</strong> und die<br />
Großen der Welt<br />
Das Unternehmen aus dem Ruhrgebiet sah die ganze Erde<br />
schon früh als Markt von morgen / Von Björn Lohmann<br />
Bertha <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach begrüßt Bundeskanzler Konrad Adenauer<br />
(rechts) in der Villa Hügel am 13. November 1953. Mit dabei Berthold<br />
von Bohlen und Halbach (Mitte).<br />
Ob Monarchen oder Politiker – die deutschen Staatsoberhäupter<br />
pflegen seit Jahrzehnten enge Kontakte zur Villa<br />
Hügel. Als international agierender Stahlproduzent war<br />
<strong>Krupp</strong> von wirtschaftlicher Bedeutung, zumal die Firma in<br />
frühen <strong>Jahre</strong>n auch einen wichtigen Teil der Rüstungsindustrie bildete.<br />
Während Kaiser Wilhelm II. ein wohlgesonnener Gast war, blieb Konrad<br />
Adenauer zunächst ein kritischer Besucher: Die durch Berthold Beitz<br />
intensivierten Kontakte nach Polen und in die Sowjetunion irritierten<br />
den Kanzler in Zeiten des Eisernen Vorhangs. Doch für Beitz galt und<br />
gilt: „Die ganze Erde ist der Markt von morgen.“ Entsprechend pflegte<br />
das Unternehmen <strong>Krupp</strong> schon immer ein mächtiges internationales<br />
Netzwerk.<br />
Doch nicht nur Mächtige waren in der Villa Hügel zu Besuch. Die<br />
Familie <strong>Krupp</strong> pflegte so zahlreiche und verschiedenartige Netzwerke<br />
wie kaum eine andere Unternehmerdynastie: Geschäftspartner, Forscher<br />
und Künstler aus dem In- und Ausland kamen nach Essen, darunter der<br />
Physiker Max Planck, der Architekt Ludwig Mies van der Rohe und der<br />
Pop-Art-Künstler Andy Warhol. Mal handelte es sich um gesellschaft-<br />
1919<br />
Die Lokomotive<br />
<strong>Krupp</strong> entwickelt seine ersten Lastkraftwagen.<br />
Zugleich wird am 6. Dezember<br />
die erste in Essen gebaute Lokomotive<br />
ausgeliefert.<br />
liche Verpflichtungen, mal waren die Beziehungen unternehmerischer,<br />
dann wieder familiärer Natur. Und manche Freundschaft stammte aus<br />
dem Sport, seit Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach 1936 bei der<br />
Olympiade im Segeln Bronze gewonnen hatte.<br />
Das erste überlieferte Erinnerungsfoto einer prominenten Zusammenkunft<br />
war übrigens ein Zufallsprodukt: Es zeigt Alfred <strong>Krupp</strong> und den<br />
preußischen König Wilhelm I., der am 9. Oktober 1861 die Gussstahlfabrik<br />
besichtigt. Gesichter sind kaum zu erkennen, so dass Historiker<br />
vermuten, <strong>Krupp</strong>s Fotograf Hugo van Werden habe auf eigene Faust<br />
versucht, eine Aufnahme zu machen – heimlich durch ein Loch in einer<br />
Gebäudewand.<br />
Kaiser Wilhelm II.<br />
Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen lebte vom 27. Januar<br />
1859 bis zum 4. Juni 1941. Der Sohn der Dynastie der Hohenzollern war<br />
von 1888 bis 1918 der letzte deutsche Kaiser und König von Preußen.<br />
Den <strong>Krupp</strong>s war er stets eng verbunden: Das älteste überlieferte Filmdokument<br />
aus dem Ruhrgebiet zeigt Wilhelm II. im Trauerzug bei der<br />
Beisetzung Friedrich Alfred <strong>Krupp</strong>s am 26. November 1902.<br />
Bundeskanzler Konrad Adenauer<br />
Konrad Hermann Joseph Adenauer lebte vom 5. Januar 1876 bis zum<br />
19. April 1967. Von 1949 bis 1963 war der studierte Jurist der erste Bundeskanzler<br />
der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Für <strong>Krupp</strong> war er kein einfacher Gesprächspartner in Sachen „Osthandel“:<br />
Einmal soll er Berthold Beitz gefragt haben, warum er keine<br />
rote Nelke im Kopfloch trage, damit jedermann wisse, woran er sei.<br />
Vizekönig Li Hong-Zhang<br />
Li Hong-Zhang lebte vom 15. Februar 1823 bis zum 7. November<br />
1901. Der chinesische General beendete mehrere große Rebellionen und<br />
war als „Vizekönig von Zhili“ einer der mächtigsten Chinesen in der Zeit<br />
der Qing-Dynastie.<br />
Bei einem Staatsbesuch in Deutschland traf Li 1896 Fürst Otto von<br />
Bismarck. Auf seiner Reise vertiefte er zudem die Kontakte zu <strong>Krupp</strong>.<br />
Das Unternehmen lieferte den Chinesen mächtige Kanonen und Eisenbahnmaterial.
König Fuad I.<br />
Fuad I. lebte vom 26. März 1868 bis<br />
zum 28. April 1936. Von 1922 bis 1936<br />
war er König von Ägypten.<br />
Vermutlich war es seine Ablehnung<br />
des britischen Einflusses, der ihn mit dem<br />
deutschen Stahlunternehmen <strong>Krupp</strong> zusammenbrachte.<br />
Chou En-Lai<br />
Chou En-Lai – oder auch Zhou Enlai –<br />
lebte vom 5. März 1898 bis zum 8. Januar<br />
1976. Er war ein wichtiger Führer der<br />
Kommunistischen Partei Chinas und von<br />
1949 bis zu seinem Tod Premierminister<br />
der Volksrepublik.<br />
1973 traf Chou En-Lai in Peking auf<br />
Berthold Beitz, der auf Wunsch der chinesischen<br />
Regierung die deutsche Wirtschaftsdelegation<br />
bei ihrem Besuch leitete.<br />
König Bhumibol Adulyadej<br />
Bhumibol Adulyadej der Große, auch<br />
Rama IX. genannt, wurde am 5. Dezember<br />
1927 in den USA geboren. Seit dem 9.<br />
Juni 1946 ist er König von Thailand und<br />
damit das derzeit am längsten amtierende<br />
Staatsoberhaupt der Welt.<br />
Der erfolgreiche Segelsportler ist seit<br />
1950 mit Königin Sirikit verheiratet, mit<br />
der zusammen er auch 1960 Gast in der<br />
Villa Hügel war.<br />
Naser ad-Din Schah von Persien<br />
Naser ad-Din Schah lebte vom 16. Juli<br />
1831 bis zum 1. Mai 1896. Von 1848 bis<br />
zu seiner Ermordung war er Schah von<br />
Persien. Naser ad-Din Schah war mit 25<br />
Frauen verheiratet. Einige begleiteten ihn,<br />
als er 1889 die Villa Hügel besuchte.<br />
Kaiser Haile Selassie I.<br />
Haile Selassie I. lebte vom 23. Juli 1892<br />
bis zum 27. August 1975. Er war von 1930<br />
bis 1936 und 1941 bis 1974 der letzte Kaiser<br />
von Äthiopien.<br />
1954 besuchte Selassie als erstes<br />
ausländisches Staatsoberhaupt die junge<br />
Bundesrepublik Deutschland. Dabei traf er<br />
auch auf Vertreter der <strong>Krupp</strong>-Dynastie.<br />
Nikita Chruschtschow<br />
Nikita Sergejewitsch Chruschtschow<br />
lebte vom 15. April 1894 bis zum 11.<br />
September 1971. Von 1953 bis 1964 war<br />
er Chef der KPdSU, von 1958 bis 1964<br />
Regierungschef.<br />
1926<br />
Der Werkstoff<br />
Unter dem Namen WIDIA bringt <strong>Krupp</strong><br />
ein gesintertes Hartmetall auf den Markt,<br />
das sich als Werkstoff für Werkzeuge hervorragend<br />
eignet.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Andy Warhol (rechts) besichtigt die Villa Hügel im Mai 1972.<br />
Im Juni 1962 besucht der Staatspräsident der Republik Mali,<br />
Modibo Keïta die Villa Hügel. Von links: Berthold Beitz, Modibo<br />
Keïta und Frau, Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach.<br />
Kaiser Haile Selassie von Äthiopien in der Villa Hügel, 1954.<br />
Von links: Bertha <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach, Kaiser<br />
Haile Selassie, Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach.<br />
1928<br />
Die Schmiedepresse<br />
<strong>Krupp</strong> baut in Essen-Borbeck<br />
die damals größte Schmiedepresse<br />
der Welt mit 15.000 t Presskraft.<br />
|27<br />
Die Gespräche im Kreml mit Berthold<br />
Beitz, die zunächst wirtschaftspolitischen<br />
Charakter hatten und in Deutschland<br />
misstrauisch beäugt wurden, waren letztlich<br />
Wegbereiter für die politische Annäherung<br />
von Ost und West.<br />
Modibo Keïta<br />
Modibo Keïta lebte vom 4. Juni 1915<br />
bis zum 16. Mai 1977. Ursprünglich<br />
Lehrer, regierte er von 1960 bis 1968 als<br />
Staatspräsident Mali. Am 19. November<br />
1968 wurde er durch einen Militärputsch<br />
gestürzt und verbrachte den Rest seines<br />
Lebens in Gefangenschaft.<br />
1962 war Keïta mit seiner Frau zu Besuch<br />
in der Villa Hügel.<br />
Max Planck<br />
Max Karl Ernst Ludwig Planck lebte<br />
vom 23. April 1858 bis zum 4. Oktober<br />
1947. Der deutsche Forscher gilt als<br />
Begründer der Quantenphysik und erhielt<br />
1918 den Physik-Nobelpreis.<br />
Gustav <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach<br />
war Vizepräsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft<br />
zur Förderung der Wissenschaften.<br />
Dort traf er auch mit Planck zusammen,<br />
dessen Namen die Gesellschaft seit<br />
1948 trägt.<br />
Andy Warhol<br />
Andrew Warhola jr. lebte vom 6. August<br />
1928 bis zum 22. Februar 1987. Der<br />
US-amerikanische Künstler, Grafiker und<br />
Filmemacher gilt als Mitbegründer der<br />
Pop-Art.<br />
Andy Warhol besuchte die Villa Hügel<br />
1972 aus Anlass der Ausstellung „Ukiyo-E<br />
– Kunst aus Japan“.<br />
Mies van der Rohe<br />
Ludwig Mies van der Rohe lebte vom<br />
27. März 1886 bis zum 17. August 1969.<br />
Der deutsche Architekt gilt als einer der<br />
bedeutendsten Vertreter der Moderne.<br />
1938 wanderte er in die USA aus.<br />
Für <strong>Krupp</strong> entwarf Mies van der Rohe<br />
Anfang der 1960er <strong>Jahre</strong> einen 140 Meter<br />
langen und 64 Meter breiten Stahlskelettbau<br />
mit zwei Innenhöfen als neue<br />
Hauptverwaltung. Sowohl <strong>Krupp</strong> als auch<br />
Beitz stimmten den Entwürfen zu, doch<br />
am Ende wurde das Projekt nicht umgesetzt.◄
28|<br />
1939<br />
Der Krieg<br />
<strong>Krupp</strong> ist Teil der<br />
Kriegswirtschaft<br />
des NS-Regimes.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Weltausstellungen als<br />
Tor zu neuen Märkten<br />
<strong>Krupp</strong> sah die Internationalisierung als<br />
erfolgreichen Weg in die Zukunft / Von Björn Lohmann<br />
Es war ein wahrer Kriegsleviathan,<br />
der 1893 weltweit für<br />
Aufmerksamkeit sorgte: Auf<br />
dem Weg zur Weltausstellung in<br />
Chicago transportierte <strong>Krupp</strong> auf einem<br />
eigens angefertigten Fahrzeug die bislang<br />
größte Kanone der Geschichte durch<br />
mehrere Bundesstaaten der USA, begleitet<br />
von großem medialen Interesse. Mehr als<br />
122 Tonnen wog der Koloss, der Geschosse<br />
von knapp einer Tonne neun Kilometer<br />
weit schießen konnte – und für jeden<br />
Schuss rund eine Vierteltonne Schießpulver<br />
benötigte. Es darf als unstrittig gelten,<br />
welches Ausstellungsstück den Besuchern<br />
des deutschen Pavillons besonders im<br />
Gedächtnis blieb.<br />
Weltausstellungen und die damit zu<br />
erzielende öffentliche Aufmerksamkeit als<br />
Türöffner für neue Märkte – dieses Konzept<br />
hat Alfred <strong>Krupp</strong> früher als andere<br />
Unternehmer erkannt. Viele Firmen vertrieben<br />
ihre Produkte vor allem regional<br />
und sahen keinen Grund, den Konkurrenzvergleich<br />
auf Gewerbeausstellungen<br />
zu riskieren und möglicherweise ihre<br />
regionale Monopolstellung zu gefährden.<br />
Die Essener Gussstahlfabrik hingegen<br />
erzeugte hoch spezialisierte, teure Produkte,<br />
die nach Abnehmern in ganz Deutschland<br />
und im Ausland verlangten. Lange<br />
<strong>Jahre</strong> ließen sich die nötigen Kontakte<br />
nur über Kundenbesuche und langwierige<br />
Briefwechsel etablieren. Die Weltausstellungen<br />
bildeten für <strong>Krupp</strong> eine effizientere<br />
Alternative, die eigenen Produkte zu<br />
bewerben. Zudem boten die dort gewonnenen<br />
Auszeichnungen eine Art amtliche<br />
Bestätigung der Qualität und Solidität des<br />
Unternehmens.<br />
Erstmals nahm <strong>Krupp</strong> 1844 an einer Gewerbeausstellung<br />
teil, der Berliner Zollvereinsausstellung.<br />
Prompt errang <strong>Krupp</strong> eine<br />
goldene Medaille, und obwohl die Firma<br />
Stahl in unterschiedlichen Formen präsentierte<br />
– darunter ein dreitöniges Geläut als<br />
Glockenalternative für arme Kirchengemeinden<br />
–, erregten vor allem die Walzen<br />
die Aufmerksamkeit der Preußen.<br />
International beeindruckte <strong>Krupp</strong> bei<br />
der Londoner Weltausstellung 1851. Um<br />
ihre Fertigkeit zu be-<br />
weisen, präsentierte die<br />
englische Firma Turton<br />
& Söhne dort einen<br />
2400 Pfund schweren<br />
Block aus Gussstahl<br />
– ein „monsterpiece“,<br />
wie die Firma es stolz<br />
nannte. Wenige Tage später – logistische<br />
Probleme hatten ein Eintreffen vor Beginn<br />
der Weltausstellung verhindert – stellte<br />
<strong>Krupp</strong> sein Stück Gussstahl vor: Es wog<br />
4325 Pfund. Erstmals hatte ein deutscher<br />
Fabrikant die Technologieführung der<br />
Engländer in der Stahlherstellung gebrochen.<br />
Bewundert wurde neben vielen<br />
anderen <strong>Krupp</strong>schen Ausstellungsstücken<br />
auch die bald obligatorische Kanone,<br />
und so schrieb <strong>Krupp</strong> nach Hause: „Alle<br />
anwesenden Fürsten mit Einschluss der<br />
Königin von England und Don Miguel von<br />
Portugal haben sich an unserer Krämerbude<br />
ergötzt.“<br />
1855 in Paris war der Gussstahlblock<br />
schon auf 5000 Pfund gewachsen – auf<br />
„Meine Ungeduld ist ein<br />
Crocodil – das lässt sich<br />
nicht bezähmen.“<br />
dem Weg vom Bahnhof zur Ausstellung brachte<br />
er gleich zwei Transporter zum Zusammenbruch<br />
– und die Kanone hatte sich zu einem<br />
12-Pfünder verdoppelt. Vor allem Eisenbahnteile<br />
ergänzten die Pariser Weltausstellung, weltweit<br />
beachtet speziell in Verbindung mit <strong>Krupp</strong>s<br />
10-<strong>Jahre</strong>s-Garantie gegen Achsenbruch – einer<br />
der damals häufigsten Unfallursachen. Die<br />
Eisenbahnteile wurden dann auch ein echter<br />
Verkaufsschlager.<br />
1862 nach London kam <strong>Krupp</strong> bereits als<br />
Berühmtheit, und weil den deutschen Ausstellern<br />
nur ein Drittel der Fläche der Franzosen<br />
zugeteilt worden war, fragte<br />
Alfred <strong>Krupp</strong>, 1863<br />
1940<br />
Die Zerstörung<br />
sogar die „Times“: „Wessen<br />
Fehler ist das? Offenbar<br />
stehen Talg, Spielwaren<br />
und Eingemachtes sehr<br />
hoch in der Achtung der<br />
Kommissarien Ihrer Majestät.“<br />
Trotzdem erzielte<br />
<strong>Krupp</strong> wieder viel Aufmerksamkeit, zumal der<br />
Gussstahlblock inzwischen 20 Tonnen wog und<br />
begleitet wurde von einem 50.000 Pfund schweren<br />
Festungsgeschütz.<br />
Wie sehr <strong>Krupp</strong> gelernt hatte, die Weltausstellungen<br />
öffentlichkeitswirksam zu nutzen, zeigte<br />
sich 1867, als sich auf dem Weg nach Paris erneut<br />
Transportprobleme abzeichneten, diesmal<br />
bei einer Riesenkanone von 100.000 Pfund.<br />
<strong>Krupp</strong> wies an, die Kanone unter allen Umständen<br />
ans Ziel zu bringen, und ergänzte: „Je mehr<br />
Schwierigkeiten und je mehr Umstände, je mehr<br />
Spectacle, bruit und relief für die Fabrik.“ Die<br />
Mühen der frühen Internationalisierung lohnten<br />
sich: 1880 erzielte <strong>Krupp</strong> über alle Produktbereiche<br />
von Walzen bis zu Eisenbahnschienen<br />
rund 70 Prozent der Umsätze im Ausland.◄<br />
Beginn der Luftangriffe auf die Gussstahlfabrik.<br />
Am Ende sind über 30 %<br />
der Essener Werke zerstört.
1943<br />
Die Firma<br />
Die Fried. <strong>Krupp</strong> AG wird per Erlass<br />
Hitlers in eine Einzelfi rma umgewandelt.<br />
Der Inhaber heißt nun Alfried <strong>Krupp</strong> von<br />
Bohlen und Halbach.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
1948<br />
Das Urteil<br />
Ein amerik. Militärgericht verurteilt Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> u. a. wegen der Zwangsarbeiterbeschäftigung<br />
zu zwölf <strong>Jahre</strong>n Haft und<br />
Vermögensbeschlagnahme.<br />
|29<br />
Großes Bild: Ein Ausstellungsstand der Firma<br />
<strong>Krupp</strong> in der Maschinenhalle auf der Weltausstellung<br />
in Philadelphia, 1876.<br />
Foto: Centennial Photographic Co.<br />
Kleines Bild: So präsentierte sich die Firma <strong>Krupp</strong><br />
auf der Weltausstellung 1862 in London.
30|<br />
Mensch im<br />
1951<br />
Die Freilassung<br />
Der amerikanische Hochkommissar<br />
John McCloy begnadigt Alfried<br />
<strong>Krupp</strong>. Er wird am 3. Februar<br />
aus der Haft entlassen.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Mittelpunkt<br />
Zentrale Bedeutung von<br />
sozialem Engagement / Von Thomas Rünker<br />
Ein neuer Kindergarten auf dem Werksgelände,<br />
gleich hinter der Konzernzentrale? Das hätte<br />
Alfred <strong>Krupp</strong> vermutlich gefallen, wenngleich<br />
ihn vermutlich die modernen, liberalen Erziehungsmethoden<br />
irritiert hätten. Aber schon unter Alfred<br />
<strong>Krupp</strong> gab es in der gerade boomenden Fabrik „Kleinkinderschulen“<br />
– ein vergleichsweise winziger Mosaikstein<br />
im Kosmos des kruppschen Wohlfahrtsbereichs, der sich<br />
unter Alfred fast ähnlich stark ausdehnte wie die industrielle<br />
Produktion der Firma.<br />
Werkswohnungen, Konsumanstalt, Schwimmbad,<br />
Krankenhaus und Leihbüchereien verbesserten den Lebensstandard<br />
der <strong>Krupp</strong>ianer. Zudem versprachen schon<br />
ab Mitte des 19. Jahrhunderts Kranken- und Pensionskassen<br />
den Beschäftigten eine soziale Absicherung. Wer<br />
bei <strong>Krupp</strong> beschäftigt war, hatte ein besseres Leben als<br />
diejenigen, die in die benachbarten Bergwerke einfuhren<br />
oder beim nächsten Bauern arbeiteten.<br />
Dabei waren es nicht einzelne Bausteine, die das<br />
kruppsche Sozialsystem so einzigartig machen – Betriebsrenten<br />
etwa gab es anderswo auch schon früher.<br />
Das Besondere war die Breite des Angebots. In seinen<br />
Glanzzeiten umsorgte <strong>Krupp</strong> seine Arbeiter praktisch von<br />
der Wiege bis zur Bahre.<br />
Als Gründe für dieses herausragende soziale Engagement,<br />
das praktisch alle <strong>Krupp</strong>-Generationen ausgezeichnet<br />
hat, nennen Experten mindestens vier Aspekte, die je<br />
nach Ära unterschiedlich stark ausgeprägt gewesen seien:<br />
Zunächst stand schlicht Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft<br />
im Mittelpunkt. Schon von Friedrich <strong>Krupp</strong> wird<br />
berichtet, wie er kurz nach der Firmengründung Getreide<br />
an seine Arbeiter verteilt hat, als Brot besonders teuer<br />
war. Zunehmend wurde es für <strong>Krupp</strong> aber auch wichtig,<br />
qualifizierte Mitarbeiter zu halten. Also nutzte er neben<br />
hohen Löhnen – die die Konkurrenz überbieten konnte<br />
– gute Sozialleistungen, um die Belegschaft an sich zu<br />
binden. Wer bei <strong>Krupp</strong> kündigte, verlor alle Ansprüche<br />
daran, auch an die Sozialkassen.<br />
Darüber hinaus verfolgten die <strong>Krupp</strong>s mit ihrem Wohl-<br />
fahrtssystem politische Ziele. Einerseits wollte <strong>Krupp</strong> im<br />
aufkommenden Klassenkampf die eigenen Arbeiter durch<br />
Bildung und Erziehung gewissermaßen zu Bürgern machen.<br />
Andererseits sollte etwa das günstige Versorgungsangebot<br />
oder die soziale Absicherung die Gesellschaft<br />
befrieden. So wollte <strong>Krupp</strong> einer Revolution vorbeugen.<br />
Spätestens ab der Wende zum 20. Jahrhundert öffnete<br />
sich das kruppsche Wohlfahrtswesen auch zunehmend<br />
nach außen. Das <strong>Krupp</strong>-Krankenhaus etwa, im Deutsch-<br />
Französischen-Krieg 1870/1871 zunächst als Lazarett<br />
gleich neben dem Werk errichtet, wurde wenig später<br />
zu einer Klinik erweitert, die auch Frauen und Kinder<br />
behandelte. Heute ist sie – am neuen Standort in Essen-<br />
Rüttenscheid und getragen von der Alfried <strong>Krupp</strong> von<br />
Bohlen und Halbach-Stiftung – eines der modernsten<br />
Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen. Oder die Siedlung<br />
Margarethenhöhe: Gestiftet aus dem Privatvermögen<br />
von Margarethe <strong>Krupp</strong> sollte ab 1906 im grünen Essener<br />
Süden eine Kleinstadt für Tausende Essener Bürger entstehen.<br />
Anders als in früheren <strong>Krupp</strong>-Siedlungen richtete<br />
sich das Wohnungsangebot an die breite Bevölkerung.<br />
Werksangehörige sollten jedoch angemessen berücksichtigt<br />
werden.<br />
Letztlich wurde bei <strong>Krupp</strong> über <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> Firmengeschichte<br />
die Idee transportiert, dass ein Unternehmen<br />
nicht nur an kurzfristiger Gewinnmaximierung orientiert,<br />
sondern auch dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Eine<br />
Idee, die sich nach dem Tod Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen<br />
und Halbachs in der nach ihm benannten Stiftung fortsetzt.◄<br />
1953<br />
Die Vollmacht<br />
Berthold Beitz wird<br />
Generalbevollmächtigter<br />
von Alfried <strong>Krupp</strong> von<br />
Bohlen und Halbach.
1953<br />
Bild oben:<br />
Kolonialwaren-Abteilung der<br />
<strong>Krupp</strong>-Konsumanstalt, 1937.<br />
Bild links:<br />
„Chirurgische Klinik, Station<br />
10“ im <strong>Krupp</strong>-Krankenhaus,<br />
Essen, um 1910.<br />
Bild unten links:<br />
Die Siedlung Margarethenhöhe<br />
heute.<br />
Foto: Oliver Müller<br />
Die Ausstellung<br />
In der Villa Hügel, die seit 1945 nicht<br />
mehr als Wohnsitz der Familie genutzt<br />
wird, wird die erste Kunstausstellung<br />
gezeigt.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Besser leben<br />
Interview mit Rainer Metzendorf, Enkel des Architekten<br />
1953<br />
Der Vertrag<br />
Die indische Regierung und die Firma<br />
<strong>Krupp</strong> unterzeichnen einen Vertrag über<br />
den Bau eines Hüttenwerks im indischen<br />
Rourkela.<br />
|31<br />
Was ist das Besondere an der Margarethenhöhe?<br />
Die Margarethenhöhe war keine reine Werkssiedlung mehr, sondern eine Stiftung Margarethe<br />
<strong>Krupp</strong>s für alle Essener Bürger, die sich kein Eigenheim leisten konnten. Sie war ein Vorläufer des<br />
allgemeinen sozialen Wohnungsbaus. So entstand ganz bewusst eine gesellschaftliche Durchmischung.<br />
Erstmals gab es keine reine Arbeiter- oder Beamtensiedlung, sondern eine Verbindung vieler<br />
gesellschaftlicher Schichten.<br />
Und was ist architektonisch herausragend?<br />
Die Siedlung als Gesamtkunstwerk! Die Gartenstadt-Bewegung<br />
mit der Margarethenhöhe war eine bewusste Abkehr von den<br />
Mietskasernen der Industriestädte. Ziel war ein menschenwürdiges,<br />
zweckmäßiges und trotzdem bezahlbares Wohnen. Erstmals<br />
gab es in der Margarethenhöhe in jeder Wohnung ein Bad, WC,<br />
Zentralheizung und ein Lüftungssystem.<br />
Und das war bezahlbar?<br />
Aufgrund des Pilotcharakters der Margarethenhöhe war mein<br />
Großvater von allen Bauverordnungen befreit. So konnte er<br />
etwa die Geschosshöhe von den üblichen 2,80 bis 3 Metern auf<br />
2,50 Meter senken. Zudem war die Margarethenhöhe die erste Rainer Metzendorf.<br />
typisierte Siedlung. Am Anfang gab es nur vier Fenstergrößen und<br />
zwei Treppen – eine rechts und eine links herum. Deren Produktion in Serie half sparen. Insgesamt<br />
lagen die Kosten am Ende 22 Prozent unter denen des damals üblichen Geschosswohnungsbaus.<br />
Dennoch müssen es noch mehr Faktoren gewesen sein, dass auf der Margarethenhöhe etwas<br />
weltweit derart Beachtetes entstanden ist.<br />
Da war zunächst natürlich die günstige Lage, aber auch die soziale Weitsicht und Finanzkraft von<br />
Margarethe <strong>Krupp</strong> und die Tatsache, dass sie mit Metzendorf einen Partner gefunden hatte, der<br />
dieser Aufgabe gewachsen war. Letztlich muss man aber auch das unglaubliche Vertrauen der Stadt<br />
Essen bewundern, die damals eines der größten Bau-Projekte im Reich – die Planung einer Stadt für<br />
12.000 Einwohner von den Grundrissen bis zur Gardinenstange – alleinverantwortlich einem gerade<br />
33-jährigen Architekten übertrug.<br />
Wie war die Zusammenarbeit mit Margarethe <strong>Krupp</strong>?<br />
Hervorragend. Da hat offenbar die Chemie gestimmt. Sie hat sich nicht nur persönlich dafür eingesetzt,<br />
dass Metzendorf den Auftrag bekommt, sondern ist auch später regelmäßig bei ihm im Büro<br />
gewesen, um mit ihm nicht nur über Architektur zu sprechen. Aber auch Robert Schmohl, der Leiter<br />
des <strong>Krupp</strong>-Baubüros, war für meinen Großvater wichtig. Er hat ihm den gesellschaftlichen Zugang<br />
im Ruhrgebiet eröffnet.<br />
Welchen Wert hatte die Margarethenhöhe für Ihren Großvater?<br />
Sie war für ihn zweifellos der Durchbruch. Nicht nur in Essen, wo er danach unter anderem das<br />
Sparkassengebäude (heute Theaterpassage) und das im Krieg zerstörte Schauspielhaus geplant hat,<br />
sondern auch überregional. Er selbst hat die Margarethenhöhe jedenfalls immer als sein „Lebenswerk“<br />
bezeichnet – und sich deshalb auch auf dem nahe gelegenen Südwestfriedhof mit Blick auf<br />
„seine“ Siedlung beerdigen lassen.<br />
Als Enkel von Georg Metzendorf trat Rainer Metzendorf in die Fußstapfen seines Großvaters, den er<br />
indes nie persönlich kennen gelernt hat. Wie Georg arbeitete Rainer Metzendorf als Architekt und<br />
Stadtplaner und erforschte das Lebenswerk des Planers der Margarethenhöhe. Heute wohnt Rainer<br />
Metzendorf in Mainz.◄
32|<br />
1958<br />
Der Osthandel<br />
<strong>Krupp</strong> nimmt erstmals an der Posener<br />
Messe teil, Berthold Beitz reist auf Einladung<br />
des Ministerpräsidenten Mikojan in<br />
die Sowjetunion.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Von der Tauchkugel<br />
bis zur Zahnprothese<br />
<strong>Krupp</strong> als innovativer Technologie-Konzern mit einer<br />
Vielzahl von Ideen und Produkten / Von Thorsten Heck<br />
Oben: Gebissplatten<br />
aus<br />
Wipla-Edelstahl<br />
um 1930.<br />
Links: Schwer-<br />
Lastkraftwagen<br />
„Titan“, Werbeprospekt,<br />
um<br />
1950.<br />
Wer den Namen <strong>Krupp</strong> hört,<br />
denkt zunächst an Stahl und<br />
an den nahtlosen Radreifen.<br />
Doch hätten Sie es gewusst, dass <strong>Krupp</strong><br />
Zahnprothesen produziert hat? <strong>200</strong> <strong>Jahre</strong><br />
– eine lange Geschichte, mit bekannten<br />
aber auch vielen unbekannten Produkten<br />
und Geschehnissen. Diese Auswahl gibt<br />
einen kleinen Einblick in ungewöhnliche<br />
Daten und Fakten der <strong>200</strong>-jährigen<br />
<strong>Krupp</strong>-Geschichte.<br />
<strong>Krupp</strong> Motorroller<br />
Die Firma <strong>Krupp</strong> baute neben klassischen<br />
Stahlfabrikaten viele weitere<br />
Produkte. Darunter auch einen Motorroller.<br />
Es war der erste Motorroller deutscher<br />
Produktion. 1919 wurde er von <strong>Krupp</strong><br />
unter dem Namen „Motorläufer“ in Essen<br />
produziert. Dieser einsitzige Kleinroller<br />
von nur 1,30 Meter Gesamtlänge hatte<br />
Vorderradantrieb. Der <strong>Krupp</strong> Motorläufer<br />
war mit 185 ccm und 198 ccm Motoren<br />
ausgerüstet. Diese waren links neben dem<br />
Vorderrad angebracht und meist als Viertakter<br />
ausgelegt, die das Vorderrad direkt<br />
antrieben. 1923 endete nach vier <strong>Jahre</strong>n<br />
die Produktion. Die Straßen waren noch<br />
zu schlecht für das neue Gefährt.<br />
Baumbestand der Villa Hügel<br />
Als Alfred <strong>Krupp</strong> den Park um die Villa<br />
Hügel 1873 plante, sollten „etwa 50-jährige,<br />
große, ältere Bäume“ gepflanzt werden.<br />
Alleine 100 ausgewachsene Bäume aus<br />
Mülheim und Gelsenkirchen ließ er<br />
anpflanzen, um noch zu seinen Lebzeiten<br />
den Park im „Endzustand“ zu sehen.<br />
Abgestorbene Bäume wurden kurzerhand<br />
durch „neue alte“ ersetzt, was dazu führte,<br />
dass der Baumbestand im Park der Villa<br />
Hügel erheblich älter ist als die Gesamtanlage.<br />
Heute ist der Park rund 28 Hektar<br />
groß und enthält etwa 7000 Bäume, darunter<br />
Raritäten wie Mammutbäume oder<br />
Libanonzedern.<br />
<strong>Krupp</strong>-Lkw „Titan“<br />
Es war einer der imposantesten Lkws<br />
der Nachkriegszeit: der <strong>Krupp</strong> Titan. Der<br />
ab 1950 gebaute Lastwagen hatte einen<br />
von <strong>Krupp</strong> entwickelten Zweitakt-Dieselmotor<br />
mit 190 PS (ab 1951 mit 210 PS)<br />
unter der markanten Motorhaube. Er war<br />
damit der stärkste deutsche Lkw seiner<br />
Zeit. Die geplante Motorengröße war als<br />
Sechszylinder nach den Richtlinien der<br />
Alliierten Besatzungsmächte nicht erlaubt.<br />
<strong>Krupp</strong> verbaute daher statt dessen zwei<br />
einzeln lauffähige Dreizylindermotoren<br />
hintereinander, die mit einem Zahntrieb<br />
verbunden waren. Wegen des charakteristischen<br />
Geräuschs dieses Motors („<strong>Krupp</strong>krupp-krupp“)<br />
hieß es damals, dass der<br />
<strong>Krupp</strong> Titan der einzige Lkw sei, der<br />
seinen Namen sagen könne.<br />
Tauchkugel für Piccard<br />
Kilometertief tauchen und die Meere erforschen<br />
– das war der Traum der beiden<br />
Schweizer Auguste und Jacques Piccard.<br />
Wie aber dem großen Druck standhalten,<br />
der in solchen Tiefen herrscht?<br />
Eine Kugel leistet den besten Widerstand.<br />
1960 wurde diese in der <strong>Krupp</strong><br />
Schmiede und Gießerei in Essen herge-<br />
1960<br />
Die Tauchkugel<br />
J. Piccard und D. Walsh erreichen mit<br />
einer von <strong>Krupp</strong> hergestellten Tauchkugel<br />
als Erste den tiefsten Punkt des Meeres,<br />
ca. 11.000 m unter dem Meeresspiegel.
1961<br />
Das Ausland<br />
Auguste und<br />
Jacques<br />
Piccard<br />
(links) mit<br />
der von<br />
<strong>Krupp</strong> hergestellten<br />
Tauchkugel<br />
für Tiefseeforschung<br />
auf der Messe<br />
Hannover,<br />
1960.<br />
stellt. Die Wandstärke der Tauchkugel betrug<br />
zwölf Zentimeter. Um die Öffnungen<br />
herum war sie sogar 18 Zentimeter stark.<br />
Sie bestand aus im Vakuum vergossenem<br />
Chrom-Nickel-Molybdän-Stahl und war<br />
so stabil, dass sie erst bei einer Wassertiefe<br />
von 22 Kilometer zerquetscht worden<br />
wäre. Mit einer Tauchtiefe von elf Kilometern<br />
konnte man so die damals tiefste<br />
bekannte Stelle im Meer problemlos erreichen.<br />
Ein bis heute unerreichter Rekord.<br />
Zahnprothese aus Metall<br />
Aus dem korrosionsbeständigen und geschmacksneutralen<br />
V2A-Stahl der <strong>Krupp</strong>-<br />
Werke hat das Unternehmen künstliche<br />
Gebisse hergestellt. Erster Kunde war ein<br />
Berufsmusiker, der nach der Behandlung<br />
wieder Klarinette spielen konnte. Auch<br />
der greise August Thyssen ließ sich von<br />
<strong>Krupp</strong> ein Stahlgebiss liefern – und war<br />
hoch zufrieden. Seit 1925 wurde ein nicht<br />
rostender, säurebeständiger Edelstahl<br />
unter dem Namen Wipla (wie Platin)<br />
verwendet.<br />
Filmabteilung<br />
Bereits 1923 produzierte <strong>Krupp</strong> zusammen<br />
mit der Firma Ernemann einen<br />
„Kinoprojektor“. Die Anfänge des Unternehmensfilms<br />
liegen sogar noch vor dem<br />
Ersten Weltkrieg. 1913 gründete die Fried.<br />
<strong>Krupp</strong> AG eine „Kinematographische Abteilung“.<br />
Sie drehte große Industriefilme<br />
über das Werk und seine Produkte, aber<br />
auch Streifen über den Ruhrbergbau oder<br />
die Unfallverhütung. Selbst touristische<br />
Landschaftsfilme entstanden. <strong>Krupp</strong>-Filme<br />
Das brasilianische Werk <strong>Krupp</strong> Metalúrgica<br />
Campo Limpo wird eingeweiht. Es<br />
stellt vor allem Kurbelwellen und Achsen<br />
für den Automobilbau her.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
wie „Pioniere deutscher Technik“ erlebten<br />
ihre Uraufführung sogar in Großkinos wie<br />
der Essener „Lichtburg“.<br />
Ritterspiel zum 100. Geburtstag<br />
Es hätte so schön sein können, doch<br />
es fand niemals statt. Bertha und Gustav<br />
<strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach hatten<br />
anlässlich des 100. Firmengeburtstages<br />
ein aufwändiges Ritterspiel mit 314 Mitwirkenden<br />
– auch Sohn Alfried – schon<br />
eingeprobt. Mit großem Aufwand wurden<br />
Teile des Hügelgeländes zu einem Festspielort<br />
umgebaut. Alles war bereit für den<br />
Besuch des Kaisers Wilhelm II. Er besuchte<br />
die Villa Hügel auch. Doch am zweiten<br />
Tag der Feier reiste der Kaiser wegen eines<br />
schweren Grubenunglücks nach Bochum<br />
ab und das geplante Ritterspiel entfiel.◄<br />
1963<br />
Der Empfang<br />
Der sowjetische Staats- und Parteichef<br />
Nikita Chruschtschow empfängt Berthold<br />
Beitz in Moskau.<br />
|33<br />
Filmaufnahmen in den Essener Maschinenfabriken<br />
der Firma <strong>Krupp</strong>, 1960.
34|<br />
Auf den<br />
Spuren<br />
von <strong>Krupp</strong><br />
1967<br />
Die Umwandlung<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> gibt bekannt, die Firma in<br />
eine Kapitalgesellschaft umzuwandeln.<br />
Die Anteile sollen von einer gemeinnützigen<br />
Stiftung gehalten werden.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Im Ruhrgebiet gibt es eine ganz<br />
besondere Rundfahrt / Von Thomas Mendle<br />
Imposante Ausblicke ergeben sich vom Alsumer Berg in Duisburg, dort erinnert<br />
auch ein Gedenkkreuz an die ehemalige Siedlung (o.l., o.r.). Architektonisches<br />
Meisterwerk: das neue Hauptquartier der Thyssen<strong>Krupp</strong> AG.<br />
1968<br />
Die Stiftung<br />
Die Alfried <strong>Krupp</strong><br />
von Bohlen und<br />
Halbach-Stiftung<br />
nimmt ihre Arbeit auf.<br />
Ganz klar – ich bin der Exot<br />
unter den Teilnehmern. Das<br />
Greenhorn. Ein Exil-Schwabe,<br />
der den „Kohlenpott“ bis<br />
dato nur von Bildern und aus den Medien<br />
kennt. Schimanski und seine verwegenen<br />
Einsätze im Revier lassen grüßen! Nun<br />
will ich das Ruhrgebiet aus der Nähe<br />
sehen – und mit ihm eine der schillerndsten<br />
Firmen und Familien in der deutschen<br />
Industriegeschichte. <strong>Krupp</strong> – ein Name<br />
wie Donnerhall.<br />
Also nehme ich teil an der Tour de<br />
<strong>Krupp</strong>, einer von Tour de Ruhr veranstalteten<br />
Busfahrt in die Vergangenheit und<br />
die Gegenwart der Firma und der Menschen,<br />
die sie geprägt haben und von ihr<br />
geprägt wurden.<br />
„Pott-Anfänger? Dann sind Sie bei mir<br />
richtig“, schmunzelt Reiseleiter Christoph<br />
Wilmer. Der Historiker stammt aus Essen,<br />
gehört zu den Experten zum Thema<br />
<strong>Krupp</strong> und kennt das Revier wie seine<br />
Westentasche.<br />
Mit dem typischen Charme der Industriestandorte<br />
im 19. Jahrhundert empfängt
uns die Einfahrt in die „<strong>Krupp</strong>sche Gussstahlfabrik“<br />
in Essen. Rasch öffnet sich der<br />
Raum, und der Blick auf das repräsentative<br />
neue „Quartier“ des heutigen Weltkonzerns<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong> tut sich auf, dessen<br />
Mittelpunkt der modern gestaltete Kubus<br />
„Q1“ bildet.<br />
Sichtlich beeindruckt von dem neuen<br />
Ensemble der Quartiergebäude ist Günter<br />
Marwinsky. Der heute 83-Jährige gehört<br />
zu den altgedienten „<strong>Krupp</strong>ianern“. Von<br />
1956 bis 1990 war er bei der Firma beschäftigt<br />
und hat Industrieanlagen in die<br />
Sowjetunion, China und Korea verkauft.<br />
Von den hohen Brücken, die im Innern<br />
geradezu in der Höhe zu schweben scheinen,<br />
bieten sich faszinierende Aussichten<br />
durch die Glasfront bis zur Kokerei Prosper<br />
in Bottrop und zur Arena auf Schalke.<br />
Auf der Autobahn geht es nach Duisburg,<br />
auf den Alsumer Berg. Kurioserweise<br />
eine alte Müllhalde, die heute einer der<br />
beliebtesten Aussichtsberge des Ruhrgebiets<br />
ist. Von dort bietet sich ein imposanter<br />
Blick auf die riesenhaften Anlagen von<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong> und die Kokerei Schwel-<br />
1971<br />
Das Radioteleskop<br />
Das seinerzeit größte bewegliche<br />
Radioteleskop der Welt wird in<br />
Effelsberg in der Eifel in Betrieb<br />
genommen.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Der Historiker Christoph Wilmer (rechts) veranschaulicht bei einer Führung die<br />
Architektur des neuen Hauptquartiers. Fotos: Thomas Mendle, Denise Ohms<br />
gern. Ich staune nicht schlecht, als eine<br />
riesige weiße Wolke aus dem Ablöschturm<br />
unterhalb steigt. 90 Kubikmeter Wasser<br />
kühlen den frischen, fast 1000 Grad<br />
heißen Koks, der gerade in die Anlage<br />
gefahren wurde. Eine unwirkliche, doch<br />
faszinierende Szene.<br />
Völlig verwandelt hat sich der <strong>Krupp</strong>sche<br />
Standort in Duisburg-Rheinhausen,<br />
wo 1897 zum ersten Mal Stahl produziert<br />
wurde. Heute hingegen ist das Areal einer<br />
der größten Logistikstandorte Europas.<br />
Ich war noch Jugendlicher, als die Arbeitskämpfe<br />
die Medien beherrschten. Rheinhausen<br />
war DER Inbegriff der deutschen<br />
Stahlindustrie. Als der Standort 1987<br />
geschlossen werden sollte, gipfelten die<br />
Auseinandersetzungen gar in der Sperrung<br />
von Brücken und der Besetzung der Villa<br />
Hügel. 1993 schließlich erloschen die<br />
Hochöfen endgültig. Es ist jedoch eine gewisse<br />
Industrieromantik, die der Standort<br />
noch heute verströmt, auch wenn die eigentlichen<br />
Anlagen längst abgerissen sind.<br />
Heute zeugen die Direktorenvillen und<br />
das benachbarte Casino von der Stahlwirt-<br />
1972<br />
Das Dach<br />
<strong>Krupp</strong> Industrie- und<br />
Stahlbau errichtet das<br />
Dach des Olympiastadions<br />
in München.<br />
schaft auf dem Gelände.<br />
Tag zwei der Tour steht ganz im Zeichen<br />
der Familie <strong>Krupp</strong>. Die Fahrt geht<br />
unter anderem zur Villa Hügel und führt<br />
auf den Friedhof in Bredeney. Die letzte<br />
Ruhestätte der <strong>Krupp</strong>-Familienmitglieder<br />
wird von dem großen Sarkophag Alfred<br />
<strong>Krupp</strong>s dominiert. Die Grabstätten haben<br />
sich allerdings nicht immer hier befunden,<br />
wie Wilmer erläutert. Mehrmals mussten<br />
sie der Stadtplanung weichen.<br />
Am Ende der Tour steht eine tiefe<br />
Einsicht in das Phänomen Ruhrgebiet und<br />
in eine Familiengeschichte, die das Revier<br />
entscheidend geprägt hat. Ein Einblick<br />
in eine der faszinierendsten Regionen<br />
Europas. Und der endgültige Wandel eines<br />
persönlichen Klischees zum Positiven.◄<br />
|35<br />
„Es ist nicht nur Wesen der<br />
Wissenschaft, Erkenntnisse<br />
zu veröffentlichen und anderen<br />
nutzbar zu machen.<br />
Es ist ihre naturgegebene<br />
moralische Pflicht, andere,<br />
die Nächsten, die Nachbarn<br />
an dem fortschreitenden<br />
Wissen aktiv teilhaben<br />
zu lassen. Das gilt nicht<br />
zuletzt auf wirtschaftlichem<br />
und technischem Gebiet.“<br />
Alfried <strong>Krupp</strong>, 1962
36|<br />
1973<br />
Die Begegnung<br />
An der Spitze einer deutschen Wirtschaftsdelegation<br />
trifft Berthold Beitz<br />
den chinesischen Ministerpräsidenten<br />
Chou Enlai.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Die Legende Beitz<br />
Interview mit dem Buchautor Joachim Käppner / Von Peter Hahne<br />
Vorbild, Legende, moralische<br />
Instanz – es gibt kaum einen<br />
Wirtschaftsführer in Deutschland,<br />
der eine solche Anerkennung<br />
genießt wie Berthold Beitz. Lange<br />
wollte der Essener Patriarch mit niemandem<br />
über sein Leben sprechen, alles Drängen<br />
war vergebens – bis es dem Journalisten<br />
Joachim Käppner schließlich gelang,<br />
Beitz umzustimmen. Herausgekommen ist<br />
eine Biografie über einen großen Mann,<br />
für die Käppner mit dem Wirtschaftsbuchpreis<br />
2011 ausgezeichnet wurde. Mit<br />
Käppner sprach Peter Hahne.<br />
Herr Käppner, was hat Sie besonders<br />
an der Person Berthold Beitz fasziniert?<br />
Vor allem seine Zeit im Dritten Reich.<br />
Beitz hat als junger Mann Hunderten<br />
jüdischen Zwangsarbeitern in Ostgalizien<br />
das Leben gerettet. Das hat mich sehr<br />
beeindruckt. Zweitens hat mich fasziniert,<br />
dass es im Ruhrgebiet einen Patriarchen<br />
gibt, der für viele Leute ein Vorbild ist.<br />
Berthold Beitz hat hier einen unheimlich<br />
guten Ruf – es gibt nur wenige, die eine<br />
schlechte Meinung von ihm haben.<br />
Hermann Josef Abs, Karl Schiller, Franz Josef<br />
Strauß und Berthold Beitz, 1967 (von links).<br />
Wie erklären Sie sich seinen Heldenmut<br />
in Boryslaw, für den er in Yad<br />
Vashem später als „Gerechter unter den<br />
Völkern“ geehrt wurde?<br />
Es braucht einen sehr starken Willen<br />
und die Unabhängigkeit vom Urteil anderer,<br />
wenn man sich so über alle Konven-<br />
tionen, Zwänge und das soziale Umfeld<br />
hinwegsetzt, um Menschenleben zu retten.<br />
Berthold Beitz verfügt über die innere<br />
Freiheit, das zu tun, was er für moralisch<br />
richtig hält. Ich glaube, das ist eine Sache<br />
der charakterlichen Anlagen und der<br />
Erziehung. Das Beitzsche Elternhaus war<br />
das Gegenteil dessen, was man in dem<br />
Film „Das weiße Band“ sehen konnte,<br />
wo die Charaktere der Kinder frühzeitig<br />
gebrochen und brutalisiert wurden. Das<br />
Kind Berthold Beitz hat von seinen Eltern<br />
ein positives Menschenbild mit auf den<br />
Weg bekommen. Die Kinder fühlten sich<br />
getragen und respektiert, es gab keine Prügelorgien.<br />
Das unterscheidet sich stark von<br />
vielen anderen Elternhäusern jener Zeit.<br />
Welches sind aus Ihrer Sicht seine<br />
größten Lebensleistungen?<br />
Boryslaw ragt so heraus, das kann man<br />
nicht vergleichen. Sehr bedeutsam ist aber<br />
auch seine Vorreiterrolle in der Ostpolitik<br />
während des Kalten Krieges. Beitz war<br />
ein Pionier der Entspannungspolitik und<br />
Schrittmacher bei der Aussöhnung mit Polen.<br />
Die Entschädigung von Zwangsarbeitern<br />
ist aus meiner Sicht seine dritte große<br />
Lebensleistung. Beitz hat Ende der 50-er<br />
<strong>Jahre</strong> schon die Abwehrfront der deutschen<br />
Industrie durchbrochen und Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> überzeugt. <strong>Krupp</strong> – ausgerechnet<br />
<strong>Krupp</strong>! – war der erste deutsche Konzern,<br />
der nach dem Krieg Entschädigungen an<br />
jüdische Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagern<br />
zahlte. Das war 1959 ein<br />
großer Schritt, der meines Erachtens bis<br />
heute nicht richtig gewürdigt wurde.<br />
Beitz größte Leistung als<br />
Unternehmer?<br />
Ihm ist es zu verdanken, dass es <strong>Krupp</strong><br />
– in Form des fusionierten Konzerns Thyssen<strong>Krupp</strong><br />
– heute überhaupt noch gibt. Er<br />
hat mit der Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und<br />
Halbach-Stiftung Strukturen geschaffen,<br />
die eine feindliche Übernahme Thyssen-<br />
Nikita Chruschtschow (links) empfängt Berthold Beitz in<br />
Moskau, 23. Mai 1963.<br />
<strong>Krupp</strong>s ausschließen. Das schafft Stabilität<br />
und Sicherheit für das Unternehmen und<br />
seine Beschäftigten.<br />
Hat er auch Fehler gemacht?<br />
Natürlich. Man sollte sich vor Verklärungen<br />
hüten. Berthold Beitz blickt auf ein<br />
sehr langes Leben zurück und hat selbstverständlich<br />
auch falsche Entscheidungen<br />
getroffen. Die schwerste Niederlage seines<br />
Lebens war meines Erachtens aber nicht<br />
die <strong>Krupp</strong>-Krise 1967, sondern 20 <strong>Jahre</strong><br />
später Rheinhausen. Da wurde mit dem<br />
1976<br />
Die Beteiligung<br />
Der Staat Iran beteiligt sich mit 25,01 %<br />
am Stammkapital der Fried. <strong>Krupp</strong> GmbH.<br />
<strong>200</strong>3 wird diese Beteiligung auf unter 5 %<br />
zurückgeführt.
Stahlwerk die Seele von <strong>Krupp</strong> geschlossen,<br />
und das hat auch Beitz mitzuverantworten.<br />
Rückblickend muss man sagen, dass<br />
es wohl leider nötig war. Aber es bleibt<br />
die Frage, ob die Schließung nicht vorher<br />
hätte verhindert werden können. Beitz hat<br />
unter Rheinhausen sehr gelitten. Er fragt<br />
sich manchmal, ob sein Vertrauter Alfried<br />
<strong>Krupp</strong>, der 1967 verstorbene letzte Alleininhaber,<br />
ähnlich entschieden hätte wie er.<br />
Bei Rheinhausen sagt Beitz: „Nein. Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> hätte anders entschieden.“<br />
Taugt der Unternehmer Beitz in der<br />
heutigen Zeit noch als Vorbild?<br />
Gerade heute. In Zeiten des Raubtierkapitalismus<br />
und der Bankenkrise stellt sich<br />
sein Wirken in der Rückschau noch positiver<br />
dar. Beitz hat die Macht der Banken<br />
immer abgelehnt – und sich stets für die Arbeitnehmer,<br />
den sozialen Ausgleich und die<br />
Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft<br />
eingesetzt. Das heißt nicht, dass er<br />
nicht ein Unternehmer wäre, der seine Interessen<br />
notfalls knallhart durchsetzen will.<br />
Aber dennoch, diese Ideale sind aktueller<br />
denn je. Es gibt heute, auch bedingt durch<br />
den Krieg, einen Mangel an Vorbildern in<br />
der alten Generation. Bei den wenigen, die<br />
noch da sind – Helmut Schmidt, Richard<br />
von Weizsäcker, Berthold Beitz – schaut<br />
man deshalb umso begieriger, was man von<br />
ihnen lernen kann.◄<br />
JOACHIM KÄPPNER: Berthold Beitz.<br />
Die Biographie. Mit einem Vorwort von<br />
Helmut Schmidt. Berlin Verlag, Berlin 2010<br />
1987<br />
Der Protest<br />
Altbundespräsident Theodor Heuss<br />
(links) und Berthold Beitz (Mitte) im<br />
Gespräch mit dem Architekten Ludwig<br />
Mies van der Rohe (rechts) in der Villa<br />
Hügel am 22. August 1961.<br />
Die Stilllegung des Hüttenwerks in Rheinhausen<br />
wird beschlossen. Die Beschäftigten<br />
demonstrieren mit zahlreichen<br />
Aktionen.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach (rechts) mit Berthold Beitz, 1. April 1967.<br />
1992<br />
Die Mehrheit<br />
<strong>Krupp</strong> erwirbt 1991 die Mehrheit an der<br />
Hoesch AG in Dortmund. Per Verschmelzung<br />
wird 1992 die Fried. <strong>Krupp</strong> AG<br />
Hoesch-<strong>Krupp</strong> gegründet.<br />
|37
38|<br />
Eine so lange<br />
Geschichte ist<br />
beeindruckend<br />
Im Interview: Dr. Heinrich Hiesinger<br />
Vorsitzender des Vorstandes von<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong> / Von Lothar Petzold<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong>. Das ist Verantwortung<br />
und Herausforderung zugleich. Was lehrt<br />
eine so lange und reiche Tradition?<br />
Eine so lange und erfolgreiche Geschichte<br />
ist beeindruckend. Es gibt nicht viele Unternehmen,<br />
die eine solche Historie vorweisen<br />
können. Diese Tradition ist überall im Konzern<br />
zu spüren. Es fällt auf, wie stark die Identifikation<br />
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
mit unserer Firma ist und welche Motivation<br />
daraus erwächst. Tradition bedeutet in unserem<br />
Unternehmen aber auch Aufbruch und<br />
Bereitschaft, sich künftigen Erfordernissen<br />
zu stellen, sich zu erneuern und strategisch<br />
weiter zu entwickeln. In den vergangenen<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong>n ist es uns immer wieder gelungen,<br />
Tradition und Innovation zu verbinden. Lange<br />
Geschichte ist ohne ständige Erneuerung nicht<br />
möglich.<br />
Dazu gehört auch ein verantwortungsvoller<br />
Umgang mit den Mitarbeitern?<br />
Auf jeden Fall. Die Sozialpolitik unseres<br />
Unternehmens war immer vorbildlich. Alfred<br />
und Friedrich Alfred <strong>Krupp</strong> waren nicht nur<br />
unternehmerische Visionäre, sondern haben<br />
auch im sozialen Bereich beispielsweise mit<br />
Krankenkasse, Krankenhaus und Wohnungsbau<br />
Maßstäbe gesetzt. Das Wohl ihrer Beschäftigten<br />
war ihnen immer ein wichtiges Anliegen.<br />
Daraus ergibt sich für jeden Vorstand<br />
und jede Führungskraft von Thyssen<strong>Krupp</strong><br />
eine ganz besondere Verantwortung gegenüber<br />
dem Unternehmen und seinen Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern. Wir führen die Tradition<br />
der Unternehmerfamilie <strong>Krupp</strong> fort, indem<br />
wir langfristig und nachhaltig planen, verant-<br />
1999<br />
Die Fusion<br />
Die Thyssen AG und<br />
die Fried. <strong>Krupp</strong> AG<br />
Hoesch-<strong>Krupp</strong> fusionieren<br />
zur Thyssen<strong>Krupp</strong> AG.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
Dr. Heinrich Hiesinger<br />
ist Vorstands-<br />
Vorsitzender von<br />
Thyssen<strong>Krupp</strong>.<br />
wortungsvoll handeln und unserer sozialen<br />
Verantwortung gerecht werden.<br />
<strong>Krupp</strong> war immer für sein soziales<br />
Engagement bekannt. Eigene, moderne<br />
Wohnsiedlungen, der <strong>Krupp</strong>sche Konsum<br />
und zahlreiche weitere Einrichtungen waren<br />
Errungenschaften in der Vergangenheit. Wie<br />
stellt sich das Verhältnis zwischen Belegschaft<br />
und Unternehmen heute dar?<br />
Das Unternehmen <strong>Krupp</strong> hat sich in<br />
schwierigen Phasen immer wieder neu erfunden<br />
– dank seiner hervorragenden Mitarbeiter.<br />
<strong>Krupp</strong>s Wettbewerbsfähigkeit war dabei immer<br />
Voraussetzung und Ergebnis eines vertrauensvollen<br />
Verhältnisses zwischen Belegschaft<br />
und Unternehmen. Auch wenn Produktzyklen<br />
immer kürzer werden und der Wettbewerb<br />
zunimmt, bleibt das eine der Grundfesten<br />
unserer Unternehmenskultur. Vor allem die<br />
Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Deutschland<br />
sehen wir bei Thyssen<strong>Krupp</strong> als eines<br />
der Geheimnisse unserer langen erfolgreichen<br />
Unternehmensgeschichte.<br />
Mit Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit<br />
hat <strong>Krupp</strong> Umbrüche und schwierige<br />
Zeiten erfolgreich überstanden. Inwiefern<br />
knüpfen Sie heute daran an?<br />
Gerade in schwierigen Zeiten sind klare,<br />
langfristige Perspektiven und unternehme-<br />
2010<br />
Die Kunst<br />
Eröffnung des von der Alfried<br />
<strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach-<br />
Stiftung fi nanzierten Neubaus<br />
des Museum Folkwang in Essen.<br />
rischer Mut notwendig. Derzeit ist das wirtschaftliche<br />
Umfeld von einer großen Unsicherheit<br />
geprägt. Die beste Vorbereitung auf einen<br />
möglichen Abschwung ist immer die Beseitigung<br />
eigener Schwachstellen. Umso wichtiger<br />
ist die Umsetzung unserer im Mai beschlossenen<br />
strategischen Weiterentwicklung. Dadurch<br />
werden wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />
von Thyssen<strong>Krupp</strong> nachhaltig verbessern.<br />
Hier sind wir auf einem guten Weg und<br />
machen deutliche Fortschritte.<br />
Wie wichtig ist Innovation? Das Unternehmen<br />
hat immer mit innovativen Produkten<br />
weltweit gepunktet.<br />
Das tun wir auch heute. Ständige Innovation<br />
ist Voraussetzung für Erfolg. Von den nahtlos<br />
geschmiedeten Eisenbahnradreifen bis zu<br />
Großwälzlagern und Ringen in Windenergieanlagen<br />
und Gezeitenkraftwerken führt eine<br />
gerade Linie technologischer Entwicklung.<br />
Dieser Anspruch ist auch in unserem Leitbild<br />
verankert: Wir entwickeln die Zukunft für Sie.<br />
Die Wurzeln des Unternehmens liegen im<br />
Stahl. Sehen Sie darin eine Verpflichtung für<br />
die Zukunft?<br />
Alle drei Unternehmen, in denen Thyssen-<br />
<strong>Krupp</strong> seinen Ursprung hat, sind mit dem<br />
Stahl groß geworden: <strong>Krupp</strong>, Thyssen und<br />
Hoesch. Der Qualitätsflachstahl bildet eine
2010<br />
Das Quartier<br />
tragende Säule unseres diversifizierten<br />
Industriekonzerns. Denken Sie<br />
nur an unsere Großinvestitionen in<br />
Brasilien und in den USA. Das sind<br />
Investitionen für Jahrzehnte. Aber wir<br />
können natürlich viel mehr als Stahl,<br />
und das werden wir verstärkt zeigen.<br />
Schon heute macht der Technologiebereich<br />
unseren Konzern robuster.<br />
Neben dem Stahl: Wie wollen Sie<br />
den Konzern technologisch für die<br />
Zukunft ausrichten?<br />
Heute leben sieben Milliarden<br />
Menschen auf der Erde. Im Jahr 2050<br />
werden es geschätzte neun Milliarden<br />
sein. In 40 <strong>Jahre</strong>n werden zwei Drittel<br />
der Menschheit in stetig wachsenden<br />
urbanen Ballungsräumen leben. Es<br />
wird mehr konsumiert und damit<br />
auch mehr produziert. Dieser steigende<br />
Bedarf nach „mehr“ eröffnet<br />
enorme Wachstumschancen für Thyssen<strong>Krupp</strong>.<br />
Doch die Welt hat nicht<br />
nur Bedarf nach „mehr“, sondern vor<br />
allem nach „besser“. Und gerade hier<br />
liegen die Stärken von Thyssen<strong>Krupp</strong>:<br />
Unsere Engineering-Kompetenz ermöglicht es unseren<br />
Kunden, sich im weltweiten Wettbewerb zu differenzieren<br />
und innovative Produkte wirtschaftlich und<br />
ressourcenschonend herzustellen. Sie tragen dazu bei,<br />
die Nachfrage nach „mehr“ zu befriedigen, und zwar<br />
in einer Art und weise, die „besser“ ist – besser für den<br />
Kunden, besser für die Umwelt, besser für uns alle.<br />
Einige Beispiele?<br />
Wir bieten innovative Hightech-Werkstoffe und<br />
Komponenten für die Automobilindustrie. Sie machen<br />
Autos leichter und mindern dadurch CO2-Emissionen.<br />
Fassadenelemente von Thyssen<strong>Krupp</strong> helfen beim<br />
Energiesparen. Oder unsere Aufzüge, die heute deutlich<br />
weniger Energie verbrauchen, unsere hocheffizienten<br />
Zement- und Düngemittelanlagen, die Wälzlager und<br />
Ringe für Windenergieanlagen. Ein Beispiel für unsere<br />
führende Engineering-Kompetenz sind auch die<br />
Produktionsanlagen für Lithium-Ionen-Zellen. Diese<br />
Aufzählung ließe sich fortführen.<br />
Die Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach-Stiftung<br />
ist mit 25,3 Prozent der größte Anteilseigner des<br />
Konzerns. Wie wichtig ist das für Thyssen<strong>Krupp</strong>?<br />
Es ist ein gutes Gefühl und gibt Sicherheit, einen<br />
starken und verlässlichen Aktionär zu haben, der<br />
langfristig denkt und handelt. Damit ist die Basis für<br />
eine nachhaltige Unternehmensführung geschaffen. Die<br />
Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und Halbach-Stiftung ist<br />
für die Firma ein echter Glücksfall. Das ist meine feste<br />
Überzeugung.◄<br />
Das Thyssen<strong>Krupp</strong> Quartier wird am 17. Juni in<br />
Essen eröffnet. Der Konzern verlegt seinen<br />
Hauptsitz von Düsseldorf nach Essen.<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong><br />
|39<br />
Besonderes Unternehmen<br />
Von Bärbel Brockmann und Hans-Willy Bein<br />
Der Name <strong>Krupp</strong> steht für einen Weltkonzern und gleichzeitig für eine<br />
Familiendynastie. Beides war stets eng miteinander verbunden und ist<br />
es – in gewisser Weise – noch heute.<br />
Basis für den Weltruhm war die kurz nach der Firmengründung im <strong>Jahre</strong><br />
1811 begonnene Herstellung von Gussstahl. Er war der Ausgangspunkt für<br />
breit gefächerte Geschäftsaktivitäten, auf die sich der heutige Thyssen<strong>Krupp</strong>-<br />
Konzern zum Teil noch immer stützt.<br />
Vom Stahl über den Anlagen- und Schiffbau, die Produktion von Aufzügen<br />
bis zu Industrie-Dienstleistungen reicht die Palette des Konzerns mit seinen<br />
über 177.000 Mitarbeitern und einem weltweiten Umsatz von über 43 Milliarden<br />
Euro (im Geschäftsjahr <strong>200</strong>9/2010).<br />
1903 war <strong>Krupp</strong> erstmals in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden.<br />
Bis auf ganze vier Aktien blieben aber alle Anteile im Familienbesitz. Über<br />
die Zwischenstation der Fried. <strong>Krupp</strong> GmbH wird das Unternehmen nach der<br />
Übernahme des Konkurrenten Hoesch im März 1992 dann wieder Aktiengesellschaft<br />
und kommt im Januar 1993 schließlich an die Börse.<br />
Längst ist Thyssen<strong>Krupp</strong> angesehenes Mitglied im Deutschen Aktienindex<br />
Dax, einer erlauchten Gesellschaft von 30 führenden Börsenunternehmen.<br />
Ein klassisches Kapitalmarktunternehmen also. Gleichzeitig gilt der Konzern<br />
Börsianern immer noch als eine Art Familienunternehmen – wobei die Rolle<br />
der „Familie“ der Alfried <strong>Krupp</strong> von Bohlen und<br />
Halbach-Stiftung zukommt.<br />
Die Stiftung hält 25,3 Prozent am Unternehmen<br />
und ist mit Abstand der größte Einzelaktionär. Sie<br />
bestimmt im Aufsichtsrat den Weg mit, den das<br />
Unternehmen strategisch geht. Drei Vertreter der<br />
Stiftung passen im Kontrollgremium auf, dass die<br />
Führung des Konzerns den Pfad nicht verlässt, den<br />
der „letzte <strong>Krupp</strong>“, Alfried, seinem Vertrauten und<br />
langjährigen Generalbevollmächtigten Berthold<br />
Beitz 1967 vorzeichnete: die Einheit des Unternehmens<br />
zu wahren.<br />
Als Vorstandsvorsitzender der <strong>Krupp</strong>-Stiftung<br />
hat der inzwischen 98-jährige Beitz die Fäden in<br />
der Hand. Denn mit über einem Viertel der Anteile<br />
verfügt er über eine so genannte Sperrminorität.<br />
Damit kann er Grundsatzentscheidungen, die in der<br />
Hauptversammlung mit einer Drei-Viertel-Mehrheit<br />
beschlossen werden müssen, verhindern. Eine<br />
feindliche Übernahme ist damit quasi ausgeschlos-<br />
Montage des Firmenzeichens<br />
auf der<br />
<strong>Krupp</strong>schen Messehalle,<br />
Hannover, 1961.<br />
sen. Diese Sperrminorität, verbunden mit dem erklärten Ziel, selbstständig zu<br />
bleiben, erklärt auch, warum Thyssen<strong>Krupp</strong> während der Konsolidierungsphase<br />
der weltweiten Stahlindustrie, die vor ein paar <strong>Jahre</strong>n in der Gründung<br />
von ArcelorMittal als neuem Marktführer gipfelte, nicht von internationalen<br />
Wettbewerbern angegriffen wurde. Erst recht hält sie das Interesse der so<br />
genannten Heuschrecken im Zaum, die als Private-Equity-Gesellschaften oder<br />
Hedge-Fonds Unternehmen häufig nur zu dem Zweck übernehmen, sie zu<br />
zerschlagen und in Teilen weiterzuverkaufen.<br />
Auch in punkto Kontinuität erinnert Thyssen<strong>Krupp</strong> eher an ein klassisches<br />
Familienunternehmen als an einen nur von den Launen des Kapitalmarktes<br />
bestimmten Konzern.◄
Tradition verbindet<br />
125 <strong>Jahre</strong> lang stand wenige Meter von hier das Original des <strong>Krupp</strong>schen Stammhauses. 1818/1819<br />
als Betriebsleiterhäuschen für die zweite Schmelzhütte von Friedrich <strong>Krupp</strong> im Niemandsland vor<br />
den Toren Essens gebaut, wurde es schon nach wenigen <strong>Jahre</strong>n zum Wohnsitz der <strong>Krupp</strong>s. Ihr gesamtes<br />
Vermögen, inklusive des imposanten Wohnhauses am Essener Flachsmarkt, war in die Firma<br />
geflossen, die erst Jahrzehnte später begann, Gewinne zu machen. Nach und nach wuchsen Werkstätten,<br />
Schornsteine und Maschinenhallen um das kleine Fachwerkhaus herum. 1873 zogen die<br />
<strong>Krupp</strong>s in die herrschaftliche Villa Hügel, doch das Stammhaus blieb – heimeliger Exot in der großindustriellen<br />
Umgebung – der emotionale Ankerpunkt von Familie und Konzern. Trotz des Umzugs<br />
zum „Hügel“ wurden 1887 Alfred und 1902 auch Friedrich Alfred <strong>Krupp</strong> nach ihrem Tod nicht von<br />
der Villa, sondern vom Stammhaus aus zur letzten Ruhestätte gefahren.<br />
1944 wurde das Stammhaus durch Bombenangriffe zerstört, doch die Wertschätzung blieb<br />
erhalten: 1961 ließ <strong>Krupp</strong> zum 150-jährigen Firmen-Jubiläum diesen originalgetreuen Nachbau errichten.<br />
Und seit Mitte 2010 der Thyssen<strong>Krupp</strong>-Konzern wieder zu seinen Essener Wurzeln zurückgekehrt<br />
ist, hat das kleine Stammhaus mit dem Glas- und Stahl-Kubus der Zentrale auch wieder<br />
einen adäquaten Nachbarn. (tr)<br />
<strong>200</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Krupp</strong>: Vergangenheit & Zukunft