Belarus- - Internationales Bildungs

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17.01.2013 Aufrufe

Publikationen Provinzidylle contra Apokalypse: „Die Wolke“ (MS) Bereits der Beginn des Filmes ist ein bitterer Vorgeschmack auf die unheimlichen Ereignisse, die bevorstehen. Eine schwarz-weißes, verschwommenes Bild zeigt den Innenraum eines Kernkraftwerkes. Wir hören die gleichgültigen Stimmen der Techniker: „Der Druck steigt. Der Druck steigt weiter...“ Die deutsche Provinzstadt, in der die Handlung stattfindet, bildet einen surrealen Kontrast zu der unheimlichen Einstiegsszene: Sauber herausgeputzte Fachwerkhäuser, satter Wohlstand, die Kleinstadt ist in bürgerlicher Idylle versunken. Die 16-jährige Schülerin Hannah ist von dem verschlafenen Ort genervt, wie man es als Jugendlicher in der Provinz ist. Bis sie auf Elmar aufmerksam wird, den stillen Mitschüler von der letzten Bank. Der erste Kuss der beiden wird vom Heulen der Alarmsirenen unterbrochen. Im Atomkraftwerk hat es einen Unfall gegeben. LIebe uNd KATAsTrOPHe Regisseur Gregor Schnitzler hat auf der Basis von Gudrun Pausewangs Jugendbuch-Klassiker von 1987 eine Mischung aus Liebes- und Katastrophenfilm gedreht, der den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle stürzt. Denn immer wieder mischt sich unter die Liebesgeschichte von Elmar und Hannah die grausame Wirklichtkeit des Super-GAUs. Liebe und Katastrophe - das ist eine typische Hollywood-Mischung, die immer Gefahr läuft, in dramatischen Kitsch abzugleiten. Hannah-Darstellerin Paula Kalenberg meistert den Rollenspagat zwischen dem lebensfreudigen Teenager und dem jugendlichen Opfer jedoch bravourös. Ihre Ernstaftigkeit wirkt ebenso natürlich wie ihr verliebtes Lächeln, als sie Elmar nach dem GAU wiedertrifft - so bewahrt Kalenberg den Film davor, allzu durchschaubar zu werden. PANIK uNd sTILLe Das Drehbuch birgt eine solche Gefahr durchaus. In einigen Momenten wirkt der Gegensatz Provinzidylle - Apokalypse etwas künstlich. Was an der Sache selbst liegt: Man lässt sich als Zuschauer anfangs gerne auf den typischen Tennagerfilm ein, weil er sympathisch und abwechslungsreich erzählt wird - fällt dann aber um so tiefer in den Schock des atomaren GAUs. Dieser Moment entscheidet über die Qualität des Filmes - neben der starken Hauptdarstellerin rettet ihn auch die gute Kameraführung und der ausgewogene Rhythmus. Auf Massenpanikszenen folgen Momente der stillen Verzweiflung, in denen Hannah dem sauren Regen mit Todessehnsucht entgegengeht. Auch eine andere Szene vergisst man nicht so schnell: Ein Zeitungsjunge drückt einer durch die Chemotherapie kahl gewordenen jungen Frau die druckfrische Zeitung in die Hand: „Die verstrahlte Zone drei um den Reaktor soll wieder für die Bewohner geöffnet werden“. Parallelen zu osteuropäischen Ländern rein zufällig. Die Kinoversion wurde auf DVD um die üblichen Extras ergänzt. Interviews mit den Darstellern und der Buchautorin Gudrun Pausewang runden ein melancholisches Liebesdrama ab, das jungen Menschen das geben kann, was keine Informationen können: Sie machen den Schrecken der Katastrophe lebendig. „Die Wolke“, Concorde-Filmverleih, circa 14 Euro. „Kontaminiert“: Bildersturm aus Tschernobyl (Michael Ebert-Hanke, Kassel) Zwanzig Jahre nach dem verheerenden nuklearen Unfall in Tschernobyl sind zwar viele Fragen Impressum: Herausgeber: Peter Junge-Wentrup, Internationales Bildungs- und Begegnungswerk gGmbH Dortmund redaktion: Martin Schön, Frankfurt/Oder, Dr. Edith Spielhagen, IBB Minsk, Michael Rüben, IBB Dortmund, Kai-Uwe Dosch, Hamm druck: Montania Druck, Dortmund beantwortet, die wichtigste - nach der Sinnhaftigkeit und den Risiken der Atomenergie - jedoch nicht. Auch vier Design-Studenten der redaktionsadresse: IBB gGmbH, Belarus-Perspektiven, Thomasstr. 1, 44135 Dortmund, � 0231-952096-0, Fax: 0231-521233, E-Mail: info@ibb-d.de, Website: www.ibb-d.de Gekennzeichnete Artikel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion. Einzelpreis: 4,00 Euro, Jahresabonnement incl. Versand: 15,00 Euro. Muthesius Kunsthochschule Kiel haben sich dieser Frage gestellt, allerdings nähern sie sich der Problematik ausschließlich durch Kunst. Innerhalb eines einjährigen Projekts entstand „Kontaminiert“ - bestehend aus einem Bildband mit 24 großformatigen, computergenerierten Illustrationen, sowie einem umfangreichen Textband, der sowohl den Hergang des Unglücks detailliert schildert als auch die vielen Augenzeugenberichte wiedergibt, die die Grundlage der Bilder darstellen (IBB, ca. 30 Euro) 0 Belarus-Perspektiven Herbst 2006 Nr. 34

Deutsche Ordnung in Belarus Publikationen W. CurILLA: dIe deuTsCHe OrdNuNGsPOLIZeI uNd der HOLOCAusT IM bALTIKuM uNd IN WeIssrussLANd 1941-1944 (Jan Clauss/Tanja Fichtner, Bonn) Der Autor bietet mit seinem Monumentalwerk, welches bereits in der zweiten Auflage erschien, „harte Kost“: Er untersucht die bisher historiographisch kaum aufgearbeitete Verflechtung der deutschen Ordnungspolizei mit der Geheimen Staatspolizei, der Kriminalpolizei sowie Reservisten der Waffen-SS im deutsch besetzten Belarus. Vom Sommer 1941 an führten deutsche Schutzpolizisten systematisch Massenerschießungen der Einwohner des Minsker Ghettos durch, allein zwischen dem 14. und dem 19.7.1941 sollen 3386 Personen ermordet worden sein. Das ist nur eine von tausenden akribisch aufgeführten Opferzahlen, die das unvorstellbare Ausmaß der damals in Belarus verübten Verbrechen deutlich machen. Aufschlussreich sind auch die Meldungen der Einsatzgruppe: „Vor allem haben sich die Liquidierungen eingespielt, die jetzt täglich in größerem Maße erfolgen. [...] In Doppelter Dialog Minsk ist nunmehr die gesamte jüdische Intelligenzschicht (Lehrer, Professoren, Rechtsanwälte usw. mit Ausnahme der Mediziner) liquidiert worden“ (S. 464). Das 1000-seitige Kompendium des Juristen und langjährigen ehemaligen Hamburger Senators Wolfgang Curilla besteht aber nicht nur aus Zahlen, Gerichtsurteilen und Dienstvorgängen. Eingestreut in nüchterne Auflistungen wirken die wenigen Augenzeugenberichte um so schockierender. Als 1942 auch die ins Minsker Ghetto deportierten westeuropäischen Juden ermordet werden sollten, fürchtete man, Erschießungen würden zu lange dauern und setzte deshalb Gaswagen ein: „Das Wageninnere bot ein schreckliches Bild. Die Leichen waren über und über mit Blut, Erbrochenen und Exkrementen beschmutzt, auf dem Boden lagen Brillen, Gebisse und Haarbüschel“ (S. 486). Nicht nur Juden fielen dem Treiben der deutschen Ordnungspolizei in Belarus zum Opfer. Im September 1941 wurden über 200 Psychiatriepatienten der Heilanstalt Nowinki bei Minsk vergast, erschossen und in die Luft gesprengt. Den Befehl dazu gab Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, persönlich, nachdem er Nowinki im August 1941 besucht hatte. Das gründlich recherchierte, auf Gerichts- und Staatsanwaltlichen Entscheidungen 1949-1995 basierende Werk bietet neben diesen Schilderungen einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat (insgesamt knapp 100 Seiten), darunter ca. 40 Seiten Literaturverzeichnis, 45 Seiten Orts-, Personen- Einheiten- und Dienststellenregister sowie zwei Seiten topographisch exakte Karten der besetzten Gebiete. Curilla, Wolfgang: Die deutsche Ordnungspolizei und der Holocaust im Baltikum und in Weißrußland 1941-1944, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn, 2., durchgesehene Auflage 2006, ISBN-10: 3-506-71787-1, 1041 S., 68.- €, H. TIMMerMANN: dIe beZIeHuNGeN deuTsCHLANd-beLArus IM eurOPäIsCHeN KONTexT (MS) Wie gestaltet Deutschland seine außenpolitischen Beziehungen zu Belarus? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, weil die Bundesrepublik einerseits als Vertreter der EU in Belarus auftritt, sie aber andererseits aufgrund der guten zivilgesellschaftlichen Beziehungen eine Vorreiterrolle in Europa spielt. Deshalb ist Deutschland nicht zufällig „Vorkämpfer einer Politik, die die asymetrische doppelte Dialogstrategie gegenüber Belarus fortsetzt“, wie Heinz Timmermann es treffend in seiner Broschüre formuliert. Timmermann setzt sich als freier Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik seit geraumer Zeit mit der belarussischen Außenpolitik auseinander - sowohl im europäischen, als auch im russischen Kontext. Dadurch ist es ihm möglich, in seine sachkundige Analyse den wichtigen russischen Faktor einfließen zu lassen. Auf der einen Seite unterhält Deutschland Kontakte auf der zivilgeselschaftlichen und niederen Verwaltungsebene, andererseits übt es auf Regierungsebene un- zweideutige Kritik an der Verletzung von OSZE-Standards. Wie diese Strategie sich entwickelt hat, ist ebenso Thema der Broschüre wie die Perspektiven einer deutschen Demokratieförderung in Belarus. So ist sie sowohl für Belarus-Experten, als auch für Neulinge ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um die deutsch-belarussischen Beziehungen zu erfassen. Timmermann, Heinz: Die Beziehungen Deutschland-Belarus im europäischen Kontext. Mit einem Vorwort von Eberhard Heyken. Dortmund: IBB, 2006.. Belarus-Perspektiven Herbst 2006 Nr. 34 1

Publikationen<br />

Provinzidylle contra Apokalypse: „Die Wolke“<br />

(MS) Bereits der Beginn des Filmes<br />

ist ein bitterer Vorgeschmack auf<br />

die unheimlichen Ereignisse, die<br />

bevorstehen. Eine schwarz-weißes,<br />

verschwommenes Bild zeigt den<br />

Innenraum eines Kernkraftwerkes.<br />

Wir hören die gleichgültigen Stimmen<br />

der Techniker: „Der Druck<br />

steigt. Der Druck steigt weiter...“<br />

Die deutsche Provinzstadt, in der<br />

die Handlung stattfindet, bildet einen<br />

surrealen Kontrast zu der unheimlichen<br />

Einstiegsszene: Sauber<br />

herausgeputzte Fachwerkhäuser,<br />

satter Wohlstand, die Kleinstadt ist<br />

in bürgerlicher Idylle versunken.<br />

Die 16-jährige Schülerin Hannah<br />

ist von dem verschlafenen Ort genervt,<br />

wie man es als Jugendlicher<br />

in der Provinz ist. Bis sie auf Elmar<br />

aufmerksam wird, den stillen Mitschüler<br />

von der letzten Bank. Der<br />

erste Kuss der beiden wird vom<br />

Heulen der Alarmsirenen unterbrochen.<br />

Im Atomkraftwerk hat<br />

es einen Unfall gegeben.<br />

LIebe uNd KATAsTrOPHe<br />

Regisseur Gregor Schnitzler hat<br />

auf der Basis von Gudrun Pausewangs<br />

Jugendbuch-Klassiker von<br />

1987 eine Mischung aus Liebes-<br />

und Katastrophenfilm gedreht, der<br />

den Zuschauer in ein Wechselbad<br />

der Gefühle stürzt. Denn immer<br />

wieder mischt sich unter die<br />

Liebesgeschichte von Elmar und<br />

Hannah die grausame Wirklichtkeit<br />

des Super-GAUs. Liebe und<br />

Katastrophe - das ist eine typische<br />

Hollywood-Mischung, die immer<br />

Gefahr läuft, in dramatischen<br />

Kitsch abzugleiten. Hannah-Darstellerin<br />

Paula Kalenberg meistert<br />

den Rollenspagat zwischen dem<br />

lebensfreudigen Teenager und<br />

dem jugendlichen Opfer jedoch<br />

bravourös. Ihre Ernstaftigkeit<br />

wirkt ebenso natürlich wie ihr verliebtes<br />

Lächeln, als sie Elmar nach<br />

dem GAU wiedertrifft - so bewahrt<br />

Kalenberg den Film davor, allzu<br />

durchschaubar zu werden.<br />

PANIK uNd sTILLe<br />

Das Drehbuch birgt eine solche<br />

Gefahr durchaus. In einigen<br />

Momenten wirkt der Gegensatz<br />

Provinzidylle - Apokalypse etwas<br />

künstlich. Was an der Sache selbst<br />

liegt: Man lässt sich als Zuschauer<br />

anfangs gerne auf den typischen<br />

Tennagerfilm ein, weil er sympathisch<br />

und abwechslungsreich<br />

erzählt wird - fällt dann aber um so<br />

tiefer in den Schock des atomaren<br />

GAUs. Dieser Moment entscheidet<br />

über die Qualität des Filmes - neben<br />

der starken Hauptdarstellerin<br />

rettet ihn auch die gute Kameraführung<br />

und der ausgewogene<br />

Rhythmus. Auf Massenpanikszenen<br />

folgen Momente der stillen<br />

Verzweiflung, in denen Hannah<br />

dem sauren Regen mit Todessehnsucht<br />

entgegengeht. Auch eine<br />

andere Szene vergisst man nicht so<br />

schnell: Ein Zeitungsjunge drückt<br />

einer durch die Chemotherapie<br />

kahl gewordenen jungen Frau die<br />

druckfrische Zeitung in die Hand:<br />

„Die verstrahlte Zone drei um den<br />

Reaktor soll wieder für die Bewohner<br />

geöffnet werden“. Parallelen<br />

zu osteuropäischen Ländern rein<br />

zufällig.<br />

Die Kinoversion wurde auf DVD<br />

um die üblichen Extras ergänzt.<br />

Interviews mit den Darstellern<br />

und der Buchautorin Gudrun<br />

Pausewang runden ein melancholisches<br />

Liebesdrama ab, das jungen<br />

Menschen das geben kann, was<br />

keine Informationen können: Sie<br />

machen den Schrecken der Katastrophe<br />

lebendig.<br />

„Die Wolke“, Concorde-Filmverleih, circa<br />

14 Euro.<br />

„Kontaminiert“: Bildersturm aus Tschernobyl<br />

(Michael Ebert-Hanke, Kassel)<br />

Zwanzig Jahre nach dem verheerenden<br />

nuklearen Unfall in<br />

Tschernobyl sind zwar viele Fragen<br />

Impressum:<br />

Herausgeber:<br />

Peter Junge-Wentrup, <strong>Internationales</strong><br />

<strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk gGmbH<br />

Dortmund<br />

redaktion:<br />

Martin Schön, Frankfurt/Oder,<br />

Dr. Edith Spielhagen, IBB Minsk,<br />

Michael Rüben, IBB Dortmund,<br />

Kai-Uwe Dosch, Hamm<br />

druck:<br />

Montania Druck, Dortmund<br />

beantwortet, die wichtigste - nach<br />

der Sinnhaftigkeit und den Risiken<br />

der Atomenergie - jedoch nicht.<br />

Auch vier Design-Studenten der<br />

redaktionsadresse:<br />

IBB gGmbH, <strong>Belarus</strong>-Perspektiven,<br />

Thomasstr. 1, 44135 Dortmund,<br />

� 0231-952096-0, Fax: 0231-521233,<br />

E-Mail: info@ibb-d.de,<br />

Website: www.ibb-d.de<br />

Gekennzeichnete Artikel entsprechen<br />

nicht unbedingt der Meinung der Redaktion.<br />

Einzelpreis: 4,00 Euro, Jahresabonnement<br />

incl. Versand: 15,00 Euro.<br />

Muthesius Kunsthochschule Kiel<br />

haben sich dieser Frage gestellt,<br />

allerdings nähern sie sich der<br />

Problematik ausschließlich durch<br />

Kunst. Innerhalb eines einjährigen<br />

Projekts entstand „Kontaminiert“<br />

- bestehend aus einem Bildband<br />

mit 24 großformatigen, computergenerierten<br />

Illustrationen, sowie<br />

einem umfangreichen Textband,<br />

der sowohl den Hergang des Unglücks<br />

detailliert schildert als auch<br />

die vielen Augenzeugenberichte<br />

wiedergibt, die die Grundlage der<br />

Bilder darstellen (IBB, ca. 30 Euro)<br />

0 <strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2006 Nr. 34

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