Belarus- - Internationales Bildungs
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Diplomatische Skandale ohne Folgen<br />
<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2006 Nr. 34<br />
Außenpolitik<br />
(Alexander dautin, Minsk) ende August kam ein litauischer Geheimdienstler in brest unter zweifelhaften<br />
umständen zu Tode. die beziehungen zwischen dem baltischen eu-staat und belarus litten darunter<br />
jedoch nicht. Im Gegenteil: Litauen sprach sich im rat der europäischen union gemeinsam mit Polen und<br />
Lettland gegen Wirtschaftssanktionen gegen belarus aus und erntete dafür beifall aus Minsk.<br />
In der Nacht vom 22. auf den 23.<br />
August stürzte Vitautas Patiunas<br />
aus dem neunten Stock des Hotels<br />
„Intourist“ in Brest. Patiunas war<br />
nicht nur Mitarbeiter der lettischen<br />
Botschaft in <strong>Belarus</strong>, sondern arbeitete<br />
auch für den litauischen<br />
Geheimdienst. Dementsprechend<br />
schnell kamen Gerüchte über<br />
einen gewaltsamen Tod des Diplomaten<br />
auf. Die belarussische<br />
Polizei erklärte, Patiunas sei beim<br />
Sturz schwer alkoholisiert gewesen.<br />
In der litauischen Presse hieß<br />
es dagegen, er habe grundsätzlich<br />
keinen Alkohol getrunken. Bereits<br />
einige Wochen zuvor hatte<br />
es einen Skandal um einen Mitarbeiter<br />
der lettischen Botschaft<br />
gegeben. <strong>Belarus</strong> hatte ihm die<br />
Produktion von pornografischen<br />
Filmen vorgeworfen hatte und ihn<br />
ausgewiesen. Dieses Mal schienen<br />
beide Seiten jedoch kein Interesse<br />
an einer Eskalation zu haben: Die<br />
belarussische Staatsanwaltschaft<br />
geht von einem Unfall aus, plant<br />
aber dennoch, den Fall noch einmal<br />
eingehend zu prüfen.<br />
bessere beZIeHuNGeN<br />
Litauen indessen setzte sich im Rat<br />
der Europäischen Union für Handelspräferenzen<br />
für <strong>Belarus</strong> ein.<br />
Die Wirtschaftssanktionen gegen<br />
<strong>Belarus</strong> waren auf die Tagesordnung<br />
gesetzt worden, weil <strong>Belarus</strong><br />
die Regeln zur Gewerkschaftsfreiheit<br />
innerhalb der Internationalen<br />
Arbeitsorganisation verletzt hatte.<br />
Der litauische Premier Kirkilas erklärte,<br />
sein Land werde sich auch<br />
in Zukunft gegen Wirtschaftssanktionen<br />
aussprechen.<br />
KeINe sANKTIONeN<br />
„Wir sind für ernsthafte politische<br />
Maßnahmen gegen <strong>Belarus</strong>, wer-<br />
den Wirtschaftssanktionen jedoch<br />
nicht zustimmen. Sie würden das<br />
Leben des belarussischen Volkes<br />
erschweren“, verkündete Kirkilas.<br />
„Wenn es als unbedingt nötig<br />
erscheint, die Sanktionen gegen<br />
Minsk zu verschärfen, könnte man<br />
auch einfach die EU-Einreiseverbote<br />
für belarussische Beamte auf<br />
ein- bis zweitausend Personen<br />
ausweiten“, meinte der litauische<br />
Premier. Die EU solle nach Meinung<br />
Kirkilas‘ auch von einer Verteuerung<br />
ihrer Visa für <strong>Belarus</strong>sen<br />
absehen. Neben Wirtschaftssanktionen<br />
führe auch dieses Mittel nur<br />
„zu einer Isolation des Landes,<br />
was für das Regime von großem<br />
Vorteil ist. Unser Vorschlag stattdessen:<br />
Die EU sollte die Europäische<br />
Nachbarschaftspolitik wieder<br />
auf <strong>Belarus</strong> anwenden und Mittel<br />
ergreifen, die die illegitime Lukaschenko-Diktatur<br />
direkt treffen,<br />
nicht das belarussische Volk“.<br />
Tatsächlich hat Litauen handfeste<br />
wirtschaftliche Interessen daran,<br />
dass die Handelspräferenzen zwischen<br />
der EU und <strong>Belarus</strong> nicht<br />
aufgehoben werden. Experten<br />
rechneten im Fall einer Aufhebung<br />
mit Millionenverlusten für litauische<br />
Geschäftsleute, die in <strong>Belarus</strong><br />
tätig sind.<br />
ANGesTrebTe sTAbILITäT<br />
Der litauische Außenminister Pjatras<br />
Vaitekunas erklärte zu den<br />
Beziehungen zwischen beiden<br />
Ländern: „Wir wünschen, dass<br />
sich <strong>Belarus</strong> wie ein ungefährliches,<br />
stabiles und demokratisches<br />
Land entwickelt.“ Vaitekunas<br />
bekräftigte, dass die Beziehungen<br />
seines Landes zu <strong>Belarus</strong> nach<br />
dem Beitritt zur EU an Bedeutung<br />
gewonnen hätten. Litauen<br />
kooperiere mit <strong>Belarus</strong> in den<br />
Bereichen der Grenzsicherheit, der<br />
Ausschöpfung des wirtschaftlichen<br />
und touristischen Potenzials,<br />
des Umweltschutzes sowie des<br />
Kampfes mit illegaler Migration,<br />
organisierter Kriminalität und<br />
Menschenhandel. „Es ist uns klar,<br />
wie wichtig zwischenmenschliche<br />
Kontakte in den Beziehungen zwischen<br />
Litauen und <strong>Belarus</strong> sowie<br />
der EU und <strong>Belarus</strong> sind“, erklärte<br />
der litauische Außenminister auch<br />
in Anspielung auf die Forderung<br />
innerhalb der EU, die Visapreise<br />
für <strong>Belarus</strong>sen auf den EU-Standard<br />
von 60 Euro anzuheben.<br />
dANKbAre reAKTION<br />
Indes bedankte sich der belarussische<br />
Präsident Alexander Lukaschenko<br />
offiziell bei Litauen und<br />
Lettland für deren Unterstützung<br />
im Rat der Europäischen Union.<br />
„Ich bin nicht nur den Geschäftsleuten,<br />
sondern auch einigen<br />
Amtsleitern unserer Nachbarn<br />
zu Dank verpflichtet.“ Sie alle<br />
verstünden, dass eine Aufhebung<br />
der Handelspräferenzen zu großen<br />
Verlusten auch auf eigener<br />
Seite führen würden. Lukaschenko<br />
reagierte zudem darauf, dass in<br />
Brüssel das Thema Aufhebung der<br />
Handelspräferenzen noch nicht<br />
vom Tisch ist. „Wenn Sanktionen<br />
kommen, ist unsere Antwort klar:<br />
Das werden wir überleben. Wir<br />
haben schon schlimmeres überlebt“,<br />
erklärte der belarussische<br />
Präsident. Expertenschätzungen<br />
zu Folge könnten die Verluste für<br />
<strong>Belarus</strong> dabei bis zu 250 Millionen<br />
Euro im Jahr betragen. Ob es Sanktionen<br />
geben wird oder nicht - das<br />
hängt vor allem davon ab, ob die<br />
diplomatischen Skandale zwischen<br />
Polen und den baltischen Ländern<br />
auch weiterhin keine negativen<br />
Folgen für die Wirtschaftsbeziehungen<br />
haben werden.