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Belarus- - Internationales Bildungs

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Immer mehr „Stalin-Linien“<br />

(Andrej Alexandrowitsch, Minsk) bei Polozk hat das belarussische Verteidigungsministerium das zweite<br />

Museum zur sowjetischen Verteidigungslinie im Zweiten Weltkrieg eröffnet. In Witebsk folgt in Kürze<br />

ein militärisch eingefärbtes „Zentrum für die patriotische erziehung der Jugend“. doch schon die von<br />

Alexander Lukaschenko persönlich im letzten Jahr eröffnete „Stalin-Linie“ wurde von Geschichtswissenschaftlern<br />

als historisch nicht fundiert kritisiert.<br />

Nach Worten der Polozker Museumsleitung<br />

war die Polozker<br />

Verteidigungslinie eine der ersten<br />

Befestigungen vor dem Beginn des<br />

„Großen Vaterländischen Krieges“<br />

und konnte ihre Funktion<br />

erfüllen. Die Polozker Verteidiger<br />

waren die einzigen auf dem<br />

Territorium der <strong>Belarus</strong>sischen<br />

Sowjetrepublik, die 1941 gegen<br />

die Wehrmacht weiterkämpften,<br />

obwohl sie sich bereits auf feindlichem<br />

Territorium befanden. Nach<br />

verschiedenen Quellen hielten die<br />

Verteidiger zwei bis vier Wochen<br />

durch. Die neue Gedenkanlage<br />

wurde „Feld der Ehre unserer<br />

Truppen“ genannt. Soldaten der<br />

Polozker Garnison sowie Mitglieder<br />

des militärpatriotischen Clubs<br />

„Suche“ rekonstruierten die Verteidigungsanlage.<br />

„rAuM des ruHMes“<br />

Das „Feld der Ehre unserer Truppen“<br />

wird wohl kaum der „Stalin-Linie“<br />

bei Minsk Konkurrenz<br />

machen, zu der Alexander Lukaschenko<br />

regelmäßig ausländische<br />

Gäste einlädt. Umgekehrt trägt<br />

die „Stalin-Linie“ als Exempel für<br />

die Erziehung der Jugend zu militärisch-patriotischer<br />

Gesinnung<br />

bereits erste Früchte. Der Ausstellungspark<br />

sowjetischen Militärgerätes<br />

der „Stalin-Linie“ macht<br />

Schule. Beispielsweise in Witebsk,<br />

wo gerade das erste belarussische<br />

„Zentrum für die patriotische<br />

Erziehung der Jugend“ entsteht.<br />

Im Rahmen des Zentrums wird es<br />

auch ein „Raum des Militärischen<br />

Ruhmes“ geben sowie eine Ausstellung<br />

von Militärtechnik unter<br />

freiem Himmel. In dem Raum<br />

werden Informationstafeln angebracht,<br />

auf denen die Etappen und<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2006 Nr. 34<br />

die Entwicklung der Partisanenbewegung<br />

in <strong>Belarus</strong> zur Zeit des<br />

„Großen Vaterländischen Krieges“<br />

ebenso dargestellt werden wie<br />

die Befreiung von Witebsk und<br />

einzelne Episoden aus dem Afghanistan-Krieg.<br />

Natürlich dürfen<br />

auch die Leistungen der modernen<br />

belarussischen Militärindustrie in<br />

diesem „Ruhmesraum“ nicht fehlen.<br />

Außerdem werden in Witebsk<br />

persönliche Dinge, Waffen und<br />

sonstige Gegenstände ausgestellt,<br />

die bei Ausgrabungen an Schauplätzen<br />

des Krieges gefunden wurden.<br />

Das patriotische „Erziehungszentrum“<br />

wird umgerechnet etwa<br />

50.000 Euro kosten. Vier Fünftel<br />

der Summe wird das Verteidigungsministerium<br />

aufbringen,<br />

den Rest die Stadtverwaltung.<br />

„reANIMATION des<br />

sTALINIsMus“<br />

Gleichzeitig wird auch der populäre<br />

Gedenkkomplex „Stalin-Linie“<br />

erneuert. Vor kurzem wurde dort<br />

eine Büste des ehemaligen sowjetischen<br />

Staatsführers Josef Stalin<br />

aufgestellt. Der bekannte Historiker<br />

Igor Kusnezow, der sich auf die<br />

Stalin‘schen Repressionen spezialisiert<br />

hat, nannte dies in einem Interview<br />

mit der Nachrichtenagentur<br />

„BelaPAN“ eine „Reanimation<br />

des Stalinismus“. Die Büste hatte<br />

eine Odysee hinter sich, die die<br />

politischen Paradigmenwechsel<br />

in <strong>Belarus</strong> nachzeichnet: Bis Mitte<br />

der 1950er Jahre stand die Büste<br />

des „Führers der Völker“ auf dem<br />

zentralen Platz des Dorfes Iwanez<br />

im Minsker Gebiet. Im Jahr 1961,<br />

nach der berühmten Rede von<br />

Nikita Chruschtschow gegen den<br />

Personenkult von Stalin, wurde<br />

die Büste entfernt. Sie stand nun<br />

Kultur & Wissenschaft<br />

in einer staatlichen Baufirma - bis<br />

der venezuelische Präsident Hugo<br />

Chavez im Juli nach <strong>Belarus</strong> kam.<br />

Aus diesem Anlass wanderte die<br />

Büste zur „Stalin-Linie“. Allerdings<br />

kam sie mit einer leichten<br />

Beschädigung an ihrem Bestimmungsort<br />

an: Ein Unbekannter<br />

hatte ihr die Ohren abgeschlagen.<br />

Die Bewohner des Dorfes Iwanez<br />

sind der Überzeugung, dass der<br />

Übeltäter ein ehemaliges Opfer der<br />

Stalin‘schen Repressionen war, der<br />

nach Stalins Tod aus dem GULAG<br />

zurückkehrte.<br />

KeINe „sTALIN-LINIe“<br />

„Tatsächlich hatte Stalin keinerlei<br />

Bezug zu den Verteidigungsanlagen,<br />

die heute fälschlicherweise<br />

„Stalin-Linie“ genannt werden“,<br />

unterstreicht der Historiker Igor<br />

Kusnezow. „Zudem war Stalin<br />

niemals persönlich in diesem<br />

Gebiet und besuchte zur Zeit des<br />

Großen Vaterländischen Krieges<br />

kein einziges Mal die Front.“<br />

Deshalb, findet Kusnezow, würde<br />

ein Denkmal für die gefallenen<br />

Soldaten oder einen konkreten<br />

sowjetischen Feldherren an dieser<br />

Stelle wesentlich mehr Sinn<br />

machen, als ein Denkmal für Josef<br />

Stalin. Allerdings scheint bei den<br />

Gedenkkomplexen in Polozk,<br />

Witebsk und Minsk weniger die<br />

historische Exaktheit im Vordergrund<br />

zu stehen als die politische<br />

Botschaft. <strong>Belarus</strong> sieht sich als<br />

Erbe des großen sowjetischen<br />

Sieges und soll auch in Zukunft<br />

„das Pulver trocken halten“, wie<br />

es Präsident Lukaschenko vor<br />

zwei Jahren bei den Feiern zum<br />

„Siegestag“ formulierte.

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