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Belarus- - Internationales Bildungs

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Kultur & Wissenschaft<br />

Neue Regeln für die Muttersprache<br />

(Alexander dautin, Minsk) Alexander Lukaschenko hat sich entschlossen, die belarussische sprache zu<br />

reformieren. An der situation wird das kaum etwas ändern: Immer weniger schüler werden auf belarussisch<br />

unterrichtet und die meisten Menschen sprechen den russisch-belarussischen dialekt „Trasjanka“.<br />

<strong>Bildungs</strong>minister Alexander Radkov<br />

begründete die Notwendigkeit<br />

einer Sprachreform im September<br />

damit, dass die letzte Reform<br />

bereits fast 50 Jahre her sei. Die<br />

Sprache habe sich jedoch „gleich<br />

einem lebendigen Organismus“ in<br />

dieser Zeit weiterentwickelt. „Wir<br />

wollen, dass die Geschäfts- und<br />

Staatsveröffentlichungen sowie die<br />

Lehrbücher gemeinsame Regeln<br />

haben. An diese Normen müssen<br />

sich alle halten, einschließlich der<br />

Schüler und der Massenmedien“,<br />

erklärte der Minister. Das Reformprojekt<br />

haben nach seinen Worten<br />

bereits Vertreter der Zivilgesellschaft,<br />

Lehrer, Professoren und<br />

Mitarbeiter der „Lehrerzeitung“<br />

ausgearbeitet. „Es spiegelt den<br />

modernen Entwicklungsstand<br />

unserer Muttersprache wieder“,<br />

versicherte Radkov.<br />

sCHLeCHTe erfAHruNG<br />

Vertreter der Intelligenz machen<br />

sich indes Sorgen um eventuelle<br />

negative Folgen der Reform für<br />

ihre Muttersprache. Alle bisherigen<br />

Reformen hatten eine Russifizierung<br />

des <strong>Belarus</strong>sischen zum<br />

Ziel. Im Jahr 1933 ließ Josef Stalin<br />

parallel zur Reform die national<br />

gesinnten Gründungsväter der<br />

belarussischen Sowjetrepublik<br />

unterdrücken. Bis zu diesem<br />

Zeitpunkt wurde die Grammatik<br />

von Branislaw Taraschkewitsch<br />

verwendet, die die phonetischen<br />

Besonderheiten des <strong>Belarus</strong>sischen<br />

vor allem durch zusätzliche Weichheitszeichen<br />

berücksichtigt. Trotz<br />

Verbots überlebte sein Regelwerk,<br />

die „Taraschkewiza“, in Kreisen<br />

nationalbewusster Intellektueller.<br />

Die neue Schreibweise (nach dem<br />

Volkskommissariat für Bildung<br />

„Narkomowka“ genannt) glich<br />

das <strong>Belarus</strong>sische auch durch zahlreiche<br />

lexikologische Veränderun-<br />

gen an das Russische an. Mit der<br />

Unabhängigkeit wurde auch die<br />

„Taraschkewiza“ wieder erlaubt,<br />

Vertreter beider Schreibweisen<br />

traten in einen Dialog - der mit<br />

dem Machtantritt von Präsident<br />

Lukaschenko und der Verhärtung<br />

der politisch-kulturellen Fronten<br />

wieder abbrach.<br />

sPrACHeNGeWIrr<br />

Im Ergebnis sieht die Sprachensituation<br />

in <strong>Belarus</strong> heute folgendermaßen<br />

aus: Die staatstreue<br />

Intelligenz benutzt in der Regel<br />

die „Narkomowka“, die Mehrheit<br />

der Bevölkerung indes, die nach<br />

Umfragen <strong>Belarus</strong>sisch für ihre<br />

Muttersprache hält, spricht „Trasjanka“<br />

- ein dörfliches Mischmasch<br />

aus Russisch und <strong>Belarus</strong>sisch, mit<br />

dem auch Präsident Lukaschenko<br />

gerne kokettiert, um seine Volksnähe<br />

zu beweisen. Beamte, Geschäftsleute<br />

und Mittelklasse sprechen<br />

in erster Linie die „große und<br />

mächtige“ Sprache des russischen<br />

Nachbarn. Die alternative Jugend<br />

und ein großer Teil der Opposition<br />

benutzt die „Taraschkewiza“ weiterhin.<br />

Besonders sie sind es, die<br />

fürchten, im Zuge der Reform könne<br />

die „Taraschkewiza“ offiziell<br />

verboten werden, die für moderne<br />

Literatur und die oppositionelle<br />

Wochenzeitung „Nascha Niwa“<br />

verwendet wird.<br />

KeINe GefAHr?<br />

Allerdings verkündete der Direktor<br />

des Institutes für Sprachwissenschaft<br />

der <strong>Belarus</strong>sischen<br />

Akademie der Wissenschaften,<br />

Alexander Lukaschetz, im Interview<br />

mit „Nascha Niwa“ beschwichtigend,<br />

die neuen Orthographie-<br />

und Interpunktionsregeln<br />

wären lediglich als leichte<br />

Verbesserung der Reform von<br />

1957 gedacht. Dennoch schob der<br />

oberste staatliche Sprachhüter eine<br />

Provokation an die national gesinnte<br />

Opposition hinterher: Wenn<br />

es an ihm, Lukaschetz, läge, würde<br />

er selbstverständlich die „Taraschkewiza“<br />

verbieten, um Ordnung<br />

in die belarussische Sprachenlandschaft<br />

zu bringen. Dass die<br />

belarussische Sprache, wie jede<br />

andere auch, von Zeit zu Zeit reformiert<br />

werden muss, findet auch<br />

der Leiter der NGO „Gesellschaft<br />

für <strong>Belarus</strong>sische Sprache“, Oleg<br />

Trusow. Allerdings, bemängelt<br />

Trusow, würde in demokratischen<br />

Ländern eine solche Reform in der<br />

Öffentlichkeit über einen längeren<br />

Zeitraum diskutiert.<br />

LANGsAMer rüCKZuG<br />

Ob die neue Reform und die Art,<br />

wie sie diskutiert wird, allerdings<br />

wesentlich die Sprachensituation<br />

im Lande beeinflussen, ist fraglich.<br />

Für Millionen von <strong>Belarus</strong>sen<br />

ist <strong>Belarus</strong>sisch schon zur<br />

Fremdsprache geworden - und es<br />

werden immer mehr. Die Zahl der<br />

„belarussischsprachigen“ Schulen<br />

fällt stetig. Diese Tendenz begann<br />

mit dem Referendum von 1995,<br />

als sich eine Mehrheit der <strong>Belarus</strong>sen<br />

für eine Gleichstellung der<br />

belarussischen und der russischen<br />

Sprache aussprach - mit der Folge,<br />

dass die Zahl der Erstklässler, die<br />

<strong>Belarus</strong>sisch lernen, von damals 70<br />

auf heute 20 Prozent gesunken ist.<br />

In der südbelarussischen Gebietshauptstadt<br />

Molodetschno lernen<br />

die Schüler sogar ausschließlich<br />

in der Unterrichtssprache Russisch<br />

(abgesehen vom Fach <strong>Belarus</strong>sische<br />

Literatur). Diesen Schülern,<br />

wie auch vielen Studenten, dürfte<br />

deshalb die Sprachenreform relativ<br />

gleichgültig sein - sie bauchen<br />

<strong>Belarus</strong>sisch weder im Alltag noch<br />

in der Ausbildung.<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2006 Nr. 34

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