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Aus Theorie und Praxis<br />
Wann ist eine Erzieherin religiös kompetent?<br />
Religiöse Kompetenz erleichtert Übergänge<br />
CLAUDIA GUGGEMOS<br />
Wann ist eine Erzieherin religiös kompetent? Was<br />
muss man wissen über Gott? Religion/en?<br />
Glaube? Was muss man glauben? Wie viel Kirch -<br />
lichkeit ist notwendig? Loyalität zum Arbeit geber<br />
Kirche – was bedeutet das in diesen Zeiten? Wie<br />
viel Zweifel und Distanz darf sein? Wie entwickelt<br />
man eine eigene Gottesbeziehung? Wie kann es<br />
gelingen, die eigene Gottesbeziehung ins Spiel zu<br />
bringen, ohne andere zu überfallen, zu überfordern?<br />
Das Stichwort „religiöse Kompetenz“ wirft zunächst<br />
scheinbar mehr Fragen auf als Antworten.<br />
Wenn „religiöse Kompetenz“ nur als Forderung<br />
„der“ Kirche gegenüber „den“ Erzieherinnen und<br />
Erziehern auftaucht, kann dieses Stichwort sogar<br />
Druck produzieren und Ängste auslösen.<br />
Was ist also gemeint? Ein Blick in die Praxis kann<br />
helfen, Antworten zu finden:<br />
Es ist das Sommerfest der Kindergartengruppe.<br />
Das vergangene Jahr wird in den Blick genommen<br />
und Abschiede stehen im Raum. 30 Erwachsene<br />
und noch mal so viele Kindergartenkinder und Ge -<br />
schwister haben sich auf einer Wiese versammelt,<br />
um miteinander zu feiern. Da ruft eine Er zieherin alle<br />
zusammen: Ein großer Kreis wird gemacht, ein<br />
einfacher Kreistanz eingeübt und dann ein Lied eingeführt.<br />
„Gut, dass wir einander haben, gut, dass<br />
wir einander sehn. Sorgen, Freude, Kräfte teilen<br />
und auf einem Wege gehn. Gut, dass wir nicht uns<br />
nur haben, dass der Kreis sich niemals schließt<br />
und dass Gott, von dem wir reden, hier in unsrer<br />
Mitte ist.“<br />
Als die Erzieherin diejenigen, die in der Gruppe bleiben,<br />
bittet, einen Innenkreis zu formen und den<br />
eingeübten Tanz in die entgegengesetzte Richtung<br />
zum Außenkreis zu tanzen, stehen mir Tränen in<br />
den Augen: Ein großer Lebensabschnitt ist für meine<br />
Tochter vollendet und etwas Neues beginnt.<br />
Das wird sichtbar und spürbar. Durch den einfachen<br />
Tanz und Text des Liedes wird deutlich:<br />
Selbst in diesen im Lauf der Welt scheinbar so unbedeutenden<br />
Brüchen ist Gott da. Gott will dem<br />
Richtungswechsel in unserem Leben Sinn geben,<br />
Gott will die Achse sein, um die sich unsere Kreise<br />
drehen.<br />
All das ist ausgesagt und es berührt Erwachsene,<br />
Kinder und die anderen Erzieherinnen im Team. Die<br />
Erzieherin hat die Übergangssituation wahrgenommen,<br />
erkannt und in ein kurzes Ritual übersetzt.<br />
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Diesem Ritual hat sie eine religiöse Bedeutungs -<br />
ebene mitgegeben, einfach indem sie ein Lied gewählt<br />
hat, das in diese Situation hinein von Gott<br />
spricht. Sie hat ein Lied gewählt, das auch die<br />
muslimischen Eltern mitsingen können, da es nicht<br />
explizit von Jesus, sondern allein von Gott spricht.<br />
Sie hat durch ihre religiöse Gestaltungskompetenz<br />
Kinder und Eltern begleitet.<br />
Miteinander auf Gott-Suche<br />
Religiöse Kompetenz ist also nicht nur in eindeutig<br />
religiös, christlich oder kirchlich vorgeprägten<br />
Situationen gefragt, nicht nur bei der Vorbereitung<br />
eines Kinder- oder Gemeindegottesdienstes, nicht<br />
nur bei der Frage nach dem Gebet vor dem Essen.<br />
Religiöse Kompetenz zeigt sich gerade in Übergangs<br />
situationen, die sich aus dem Zusam men -<br />
leben im Kindergarten ergeben. Religiöse Kompe -<br />
tenz ist gefragt, wenn es um die Entscheidungen<br />
im Kindergarten und wenn es um die vielen Ab -<br />
schiede geht: Religiöse Kompetenz ist gefragt im<br />
Kontext der großen Abschiede, die von Trennung,<br />
Krankheit, Schmerz und Tod geprägt sind, aber<br />
auch von Freude, Neuanfang und Geburt. Reli -<br />
giöse Kompetenz ist hilfreich angesichts der vielen<br />
großen Fragen, die Kinder oft auch scheinbar ohne<br />
äußeren Anlass in ganz alltäglichen Situationen<br />
stellen: Warum lebe ich? Was passiert, wenn wir<br />
sterben? Gibt es Gott? Ist das gerecht? Religiöse<br />
Kompetenz ist notwendig in der Begleitung des<br />
Dialogs von Kindern und Eltern unterschiedlicher<br />
religiöser Herkunft.<br />
Was also ist religiöse Kompetenz? Religiöse Kom -<br />
pe tenz als Wahrnehmungs-, Deutungs- und Ge -<br />
staltungskompetenz wird ergänzt durch Urteilsund<br />
Entscheidungskompetenz, der Fähigkeit, einen<br />
eigenen religiösen und ethischen Standpunkt<br />
ein zunehmen und durch eine ausgeprägte Ver -<br />
ständigungs kompetenz, die es möglich macht,<br />
diesen Standpunkt in angemessener, von Toleranz<br />
geprägter Weise zu kommunizieren. Sie ist mehr<br />
als nur Wissen über Religion, mehr als nur Metho -<br />
denkompetenz, als soziale und persönliche Kom -<br />
petenz. Gleichzeitig bedeutet religiöse Kompetenz<br />
nicht, dass Erzieherinnen und Erzieher alles über<br />
Religion wissen müssen und alle Antworten haben.<br />
Religiöse Kompetenz bedeutet, die Frage nach<br />
Gott zu stellen, aufmerksam für Gespräche und<br />
Situationen zu sein, in denen die Frage nach Gott<br />
bedeutsam sein kann. Religiöse Kompetenz bedeutet,<br />
Menschen und Situationen vor dem Hinter -<br />
grund der eigenen Gott-Suche wahrzunehmen<br />
und mit ihnen in ein Gespräch einzutreten, gemeinsam<br />
nach Worten zu suchen.<br />
Wie wird man religiös kompetent? Religiöse Kom -<br />
petenz fällt nicht vom Himmel, sie ist aber auch<br />
nicht theoretisch anlern- oder -lesbar. Um religiöse<br />
Kompetenz auszubilden braucht es Zeit: Trägern<br />
und Leitungen katholischer Kindergärten muss es<br />
deshalb wichtig sein, dass Erzieher/innen Zeit haben<br />
und sich Zeit nehmen, die eigene Si tuation, die<br />
eigene Gott-Suche, die eigene Gottes beziehung in<br />
den Blick zu nehmen. Hilfreich kann dabei die Be -<br />
gleitung durch das Pastoralteam sein, wenn es einlädt,<br />
in den Austausch zu gehen und gemeinsam<br />
Erfahrungen zu machen.<br />
Es ist die Aufgabe aller, im Team der Erzieherinnen<br />
und Erzieher eine Atmosphäre zu schaffen, in der<br />
über die eigene Sinnsuche offen gesprochen werden<br />
kann, über Fragen, Nöte und Distanzen. Eine<br />
solche Atmosphäre, in der eigene Zweifel zur<br />
Sprache kommen können, macht es auch möglich,<br />
gemeinsam spirituelle Erfahrungen zu sammeln,<br />
im Singen, Beten, Tanzen, im Streiten, im<br />
Hören von biblischen Geschichten, im liturgischen<br />
Feiern. Dann kann im Sinne eines religiösen<br />
Kompetenz be griffs in wertschätzender Weise auf<br />
die Fähigkeit von Erzieher/innen geschaut werden,<br />
Kinder und Eltern in ihrer religiösen Entwicklung zu<br />
begleiten und ermutigend zur eigenen Standort -<br />
bestimmung in Nähe und Distanz zu Religion,<br />
Glaube und Kirche einzuladen.<br />
Literatur zum Weiterlesen:<br />
Guggemos, Claudia: Sternstunden – mystagogische<br />
Momente im Schulalltag, in: Helmut Demmelhuber/Achim<br />
Wicker (Hg.): Lebendig, leicht und leise. Spirituelle Impulse<br />
und Bausteine für die Schule, Ostfildern 2006, S. 13-19.<br />
KIboR: Religiöse Kompetenz – ein Definitionsangebot, in:<br />
Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen (rabs<br />
1/2010), S. 7-10.<br />
Themenheft kompetenzorientierter RU (rabs 3/2010).<br />
Claudia Guggemos ist Pastoralreferentin, Deka -<br />
nats familienbeauftragte Dekanat Rottenburg und<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für<br />
Religionspädagogik der Universität Tübingen.