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musculus - Muskelkranke Steiermark

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Vom Leben in der sterilen Latex-WG<br />

Seit Oktober 2008 bin ich nicht<br />

mehr Abgeordneter im<br />

Parlament, aber als ÖVP-<br />

Behindertensprecher weiterhin<br />

tätig. Die Presse veröffentlichte<br />

am 7. Juli 2009 eine Rede, die<br />

ich im Parlament gehalten<br />

hätte:<br />

Sehr geehrter Herr Sozialminister! Sehr<br />

geehrter Herr Gesundheitsminister!<br />

Darf ich Sie fragen, ohne indiskret zu<br />

sein, wie es bei Ihnen zu Hause aussieht?<br />

Haben Sie im Bad Seifenspender<br />

und Hände-Desinfektionsspender<br />

montiert? Oder gibt es statt Handtücher<br />

Papiertücher? Essen Sie womöglich auf<br />

einem nicht keimfreien Holztisch?<br />

Diese Fragen mögen auf den ersten<br />

Blick absurd klingen, aber die staatlichen<br />

Auflagen für Wohngemeinschaften<br />

mit behinderten Menschen<br />

verwandeln die wohnliche Atmosphäre<br />

zunehmend in sterile Kleinkliniken.<br />

Unter dem Deckmantel „Qualitätssicherung“<br />

schrumpft die reale Lebensqualität<br />

von behinderten Menschen<br />

zunehmend. Holz weicht dem Plastik,<br />

alles muss abwischbar sein, Latex-<br />

Handschuhe für jeden Handgriff, es<br />

riecht nach Desinfektionsmittel.<br />

Vor allem aber vereiteln berufständische<br />

Interessen das Konzept „kleine<br />

familienähnliche Strukturen statt Großheime“.<br />

Während in Großheimen entsprechendes<br />

Pfl egefachpersonal rund<br />

um die Uhr zur Verfügung stehen kann,<br />

ist das bei kleinen Wohngemeinschaften<br />

bis zu 8 BewohnerInnen organisato-<br />

risch und fi nanziell nicht möglich.<br />

In Wien haben BehindertenfachbetreuerInnen<br />

eine sozialpädagogische, behindertenpädagogische,<br />

oder eine<br />

psychosoziale Ausbildung von mindestens<br />

630 Stunden. Zurecht steht derzeit<br />

die ganzheitliche Betreuung von behinderten<br />

Menschen im Vordergrund.<br />

Die BetreuerInnen, die täglich mit den<br />

gleichen behinderten Menschen zu tun<br />

haben, dürfen rein rechtlich trotz der<br />

hohen Qualifi kation nahezu keine Pfl egetätigkeiten<br />

durchführen, auch nicht<br />

für sich regelmäßig wiederholende<br />

Tätigkeiten, für die sie durch eine diplomierte<br />

Krankenschwester oder eine<br />

Ärztin gut eingeschult werden könnten.<br />

Dies führt in betreuten Wohngemeinschaften<br />

zu absurden Situationen und<br />

stellt letztendlich das Konzept vom<br />

Leben behinderter Menschen in familienähnlichen<br />

Wohnstrukturen völlig<br />

in Frage.<br />

Hier drei abwegige Beispiele<br />

aus der Praxis:<br />

Ein Älterer Mann lebt seit über 20 Jahren<br />

in einer betreuten Wohngemeinschaft.<br />

Er erkrankt an Diabetes, der<br />

Blutzucker muss regelmäßig kontrolliert<br />

und Insulin gespritzt werden. Im<br />

Team der Wohngemeinschaft arbeiten<br />

ausgebildete PädagogInnen, die, auch<br />

wenn sie entsprechende Diabetikerschulung<br />

machen würden, im Zuge<br />

ihrer Berufstätigkeit nicht befugt sind<br />

den Blutzucker zu messen und Insulin<br />

zu verabreichen.<br />

Bei Anzeichen einer Über - oder Unter-<br />

<strong>musculus</strong> – Dezember 2009 5

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