TITELTHEMA 4 NOIR Nr. 21 (August 2011)
Zerzaustes Haar, weite Leinenklamotten, Birkenstock-Latschen – so sah er aus, der Stereotyp eines »Ökos« in den 70er und 80er Jahren. Birkenstocks trägt jener umweltbewusste Typus heute noch, nur sind diese nicht mehr tarnbraun, sondern auf�ällig chic – in glänzender Lack-Optik. Steckt im 21. Jahrhundert noch Überzeugung hinter einem öko-bewussten Leben oder nur heiße Luft? Es hat sich einiges getan, seit die erste grüne Welle Deutschland erreichte. Waren Ökos vor vielen Jahren noch verschrien und wurden müde belächelt, so können sich Bio-Supermärkte heute vor Ansturm kaum noch re� en. Erste Umweltschutzbewegungen gab es bereits in der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aus romantischer Überzeugung: Man wollte die Heimat erhalten. Die Heimat, das waren verträumte Dörfchen inmi� en unberührter Natur – ein Ideal. Heimatvereine wurden gegründet, um die Natur vor den Folgen der Industrialisierung zu schützen, genauer: vor einer Verstädterung. In den 70er Jahren entstand eine zweite Öko-Bewegung. Inspiriert von den Studentenbewegungen der 60er Jahre gab es in Deutschland eine Welle von sogenannten »neuen sozialen Bewegungen« – darunter auch die Umweltschutzbewegung. Was wollte sie? Vor allem die Atomenergie abschaff en. Umweltschutz ist demnach ein Ergebnis des technischen Fortschri� s und der Industrialisierung. Und tatsächlich, die Anti-Atomkra� -Gegner entwickelten sich zur größten Gruppierung der neuen Protestbewegungen. � eoretisch gibt es aber auch eine andere Begründung: den Postmate- DER ÖKO Eine Philosophie, ein Stil, eine Einstellung; wo er hin wollte und wo er jetzt ist. Text: Lisa Kreuzmann | Layout: Tobias Fischer rialismus, ein Begriff aus der Soziologie. Postmaterialisten sind Menschen, denen es nicht genügt, nur materielle Dinge zu besitzen. Sie wollen mehr. Sie wollen wissen, was hinter den Dingen steckt. Sie wollen kein Geld, keine teure Uhr, keinen schicken Sportwagen; Postmaterialisten streben nach Glück, Freiheit, Liebe und eben auch nach Umweltschutz. So ist dieser � eorie nach zwar die Industrialisierung in den westlichen Ländern Ursache �ür die Öko-Bewegung, aber nicht deren Folgen �ür die Natur – sondern vielmehr deren Auswirkungen auf die menschliche Psyche. Ronald Inglehart, ein amerikanischer Politologe, ist der Überzeugung: Menschen streben immer nach dem, was sie nicht besitzen. Im Alltag mögen das Dinge wie ein a� raktives Äußeres, ein volles Konto oder ein schicker Wohnort sein. Sind Grundbedürfnisse wie Hunger, Hygiene und Unterkun� gestillt, möchten wir mehr. Nach Inglehart gehört auch der Umweltschutz zu diesem »Mehr«. So haben sich durch den neu gewonnenen Wohlstand die Werte verschoben; der Schutz unserer Umwelt hat an Bedeutung gewonnen, jetzt, da unsere Grundbedürfnisse gestillt sind. Mit der Partei Bündnis 90 / Die Grünen fand Umweltschutz schließlich auch politische Repräsentation. Bei McDonald‘s würden Parteimitglieder der Grünen sicherlich nie dinieren und wenn, sollten sie sich zumindest nicht dabei erwischen lassen. Für den umweltbewussten Menschen des 21. Jahrhunderts jedoch kein Problem. Schließlich gibt es bei der Fast-Food-Ke� e inzwischen nicht nur Salat; das goldene »M« möchte sich in Zukun� in einem anderen Licht präsentieren. ▶ NOIR Nr. 21 (August 2011) TITELTHEMA 5