Susan Djahangard - Jugendpresse BW
Susan Djahangard - Jugendpresse BW Susan Djahangard - Jugendpresse BW
LIFESTYLE Was du diesen Sommer unbedingt tun solltest Nachhaltig verunsichert Wenn alles öko wird … REPORTAGE Selbstversuch: eine Woche ohne Mülleimer Ausgabe 21 (August 2011) THEMA www.noirmag.de Besuch bei Berlinsnachhaltigstem Gebäude
- Seite 2 und 3: Anzeige Horn-Druck Erstklassiger Ku
- Seite 4 und 5: INHALT 2 �� EDITORIAL NOIR INTE
- Seite 6 und 7: TITELTHEMA 4 NOIR Nr. 21 (August 20
- Seite 8 und 9: TITELTHEMA 6 Vorbei das ungesunde F
- Seite 10 und 11: REPORTAGE 8 LIEBER EKLIG ALS UMWELT
- Seite 12 und 13: INTERVIEW 10 » NIEMAND LEBT ALLEIN
- Seite 14 und 15: LIFESTYLE 12 IM SOMMER SOLLTE MAN
- Seite 16 und 17: REPORTAGE 14 DAS INTELLIGENTE GEBÄ
- Seite 18 und 19: KULTUR 16 ÖKO-SCHICK Der Begriff k
- Seite 20 und 21: KULTUR 18 NOIR Nr. 21 (August 2011)
- Seite 22 und 23: QUERBEET 20 OPA LERNT E-MAIL Vor ei
- Seite 24: VERANSTALTER: KO O PE R AT IO N SPA
LIFESTYLE<br />
Was du diesen<br />
Sommer unbedingt<br />
tun solltest<br />
Nachhaltig<br />
verunsichert<br />
Wenn alles öko wird …<br />
REPORTAGE<br />
Selbstversuch:<br />
eine Woche ohne<br />
Mülleimer<br />
Ausgabe 21 (August 2011)<br />
THEMA<br />
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Art Director Tobias träumte schon<br />
lange von einem neuen NOIR-Design<br />
– lu� iger, frischer, edler. Wochenlang<br />
feilte er, entwarf Skizzen<br />
und diskutierte mit der Chefredaktion.<br />
Seinen wahr gewordenen Traum<br />
habt ihr vor Augen. Tobias freut sich<br />
über Lob, Kritik und Anregungen:<br />
tobias.fi s� er@noirmag.de<br />
DIE SUSU UND IHR ÖKOBROT<br />
Ich bin ein richtiges Bio-Kind. Meine Klassenkameraden bekamen Weißbrot<br />
mit Nutella, ich nur Vollkornbrot mit vegetarischem Brotaufstrich garniert. Bei<br />
Aldi war ich mit meiner Mutter noch nie, dafür ziemlich oft im Naturkostladen;<br />
ihren Bio-Tick konnte ich nie verstehen. Meine Freundinnen amüsierten sich<br />
über »die Susu und ihr Ökobrot«. Doch irgendwann waren sie mutig genug,<br />
von meinem Brot zu probieren. Von da an blieb mir maximal die Hälfte.<br />
Das hat bleibende Spuren hinterlassen. Mittlerweile leide nicht mehr ich unter<br />
meiner Mama, sondern meine Mitbewohnerin unter mir. Regelmäßig holt sie<br />
mich zurück in die Studentenrealität. »Du sollst unsere gemeinsame Haushaltskasse<br />
nicht für soviel Öko-Gemüse verscherbeln«, befiehlt sie mir. Meine<br />
unterschwellige Überzeugungsarbeit hat dennoch Erfolg: Ökoäpfel schmecken<br />
einfach besser. Wie öko nicht nur ich bin, sondern unsere ganze Welt heute ist,<br />
darüber lest ihr in dieser NOIR. Viel Spaß beim Schmökern!<br />
<strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong>, Chefredakteurin<br />
Alexander macht sein Hobby zum<br />
Beruf: Im September beginnt er eine<br />
Fotografen-Ausbildung in Stu� gart.<br />
Der NOIR bleibt Alexander natürlich<br />
treu und schenkt ihr sogar die<br />
Idee �ür eine neue Serie: »Journalistische<br />
Vorbilder«. Im ersten Teil<br />
geht es – wer hä� e es anders gedacht<br />
– um einen Fotografen.<br />
Alles beginnt mit einem Buch über<br />
Müll, über die Bedrohung des Planeten<br />
und die Gefahr �ür unsere Gesundheit.<br />
Nach der Lektüre ist Silke<br />
entsetzt – und �ühlt sich schuldig.<br />
Für sie gibt es nur einen Weg: Sie<br />
muss den Selbstversuch wagen. Eine<br />
Woche ohne Mülleimer. Kann das<br />
gut gehen? Ihr erfahrt es auf Seite 8.<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
EDITORIAL<br />
1
INHALT<br />
2<br />
�� EDITORIAL<br />
NOIR INTERN<br />
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NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
04 TITEL<br />
PORTRÄT. DER »BILDERFA-<br />
BRIKANT« THOMAS HÖPKER<br />
TITEL. DER ÖKO – PHILOSO-<br />
PHIE, STIL, EINSTELLUNG<br />
TITEL. PRO & CONTRA UM-<br />
WELTBEWUSSTSEIN<br />
REPORTAGE. LIEBER EKLIG ALS<br />
UMWELTSCHÄDLICH<br />
INTERVIEW. ROSI GOLLMANN<br />
ÜBER ENTWICKLUNGSHILFE<br />
TITEL. JUNGE WELTVERBESSE-<br />
RER IM PORTRÄT<br />
INHALTSÜBERSICHT<br />
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07 DISKUSSION<br />
LIFESTYLE. TO-DO-LISTE: IM<br />
SOMMER SOLLTE MAN …<br />
WISSEN. HOCHBEGABTE: DAS<br />
RECHT AUF BILDUNG<br />
WISSEN. DIE KURTAXE ALS<br />
SAHNEHÄUBCHEN<br />
REPORTAGE. DAS INTELLIGEN-<br />
TE HAUS MITTEN IN BERLIN<br />
TITEL. ÖKO-SCHICK: FAIRE<br />
KLEIDUNG IST IM TREND<br />
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12 LIFESTYLE<br />
19 QUERBEET<br />
TITEL. VEGI VODOO KING:<br />
FALAFEL »FRANZ JOSEF«<br />
KULTUR. VOM TEILEN: LIEBER<br />
WENIGER ALS VIEL<br />
QUERBEET. HOCHZEITSFIEBER<br />
IMPRESSUM<br />
QUERBEET. MODERNE WELT:<br />
OPA LERNT E-MAIL<br />
QUERBEET. PAARWEISE KA-<br />
PUTT – DER SOCKENZYKLUS
DER BILDERFABRIKANT<br />
Mit seinen Fotografien prägte er das Bildgedächtnis des vergangenen halben Jahrhunderts:<br />
Thomas Höpker gehört zu den bedeutendsten deutschen Fotojournalisten. Heute<br />
noch ist der 75-Jährige Vorbild für junge Fotografen.<br />
Text: Alexander Schmitz | Layout: Tobias Fischer<br />
Blauer Himmel über New York. Am Ufer<br />
des Hudson sitzen �ünf junge Erwachsene<br />
und unterhalten sich, umgeben von sattem<br />
Grün. Im Hintergrund steigt eine dunkelgraue<br />
Rauchwolke auf; es ist der 11. September 2001.<br />
Thomas Höpkers Foto zeigt den Kontrast zwischen<br />
dem Terroranschlag auf das World Trade<br />
Center und der Idylle des amerikanischen Alltags.<br />
Seine Bildsprache ist ein�ühlsam und zurückhaltend,<br />
nicht bloßstellend. Seine Bilder sind weder<br />
überdeutlich noch sensationsgierig oder schockierend;<br />
sie stehen in der Tradition der »human<br />
interest photography«, sind oftmals gesellschaftskritisch<br />
und spiegeln ein humanistisch geprägtes<br />
Weltbild wider.<br />
Geprägt wurden die Fotografi en des gebürtigen<br />
Münchners auch durch seine Überlegung: »Ein<br />
Bild kann nur dann ehrlich sein, wenn der Fotograf<br />
sich von seinem Motiv angesprochen �ühlt,<br />
wenn er sich quasi selbst in seinem Motiv erkennt.<br />
So gesehen ist jedes gute Foto ein Selbstporträt.«<br />
Grünheide, Ost-Berlin, 1974. Turniertänzer vor<br />
einem We� bewerb. Drei junge Männer im schwarzen<br />
Anzug posieren mit ihren Tanzpartnerinnen<br />
in knalligen Kleidern. Als einer der ersten westdeutschen<br />
Fotografen dur� e � omas Höpker das<br />
Alltagsleben in Ostdeutschland dokumentieren.<br />
Zusammen mit seiner Frau, einer Journalistin, berichtete<br />
er zwei Jahre �ür das Magazin Stern aus<br />
der DDR. Seine Bilder zeigen ein Land, das nicht<br />
den gängigen Klischees entspricht. Sie zeigen den<br />
Alltag, der sich mehr im Verborgenen, im Familiären<br />
und Privaten abspielt. Als Fotojournalist<br />
arbeitete � omas Höpker nicht nur �ür den Stern,<br />
sondern auch �ür die Zeitschri� en Kristall, twen<br />
und Geo. Als Art Director war er bei der amerikanischen<br />
Ausgabe von Geo und dem Stern. Von 2003<br />
bis 2007 war er Präsident der renommierten Fotoagentur<br />
Magnum Photos. Auf die Authentizität und<br />
den dokumentarischen Charakter der Fotografi e<br />
legt er Wert. Er versteht sich nicht als Künstler,<br />
sondern als Au� ragsfotograf: »I am not an artist. I<br />
am an image maker.«<br />
Einen Überbli� über sein Werk bietet das Bu� »� omas<br />
Hoepker – Photographien 1955-2005«, ers� ienen<br />
im S� irmer / Mosel Verlag.<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
PORTRÄT<br />
3
TITELTHEMA<br />
4<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)
Zerzaustes Haar, weite Leinenklamotten,<br />
Birkenstock-Latschen – so sah er aus, der<br />
Stereotyp eines »Ökos« in den 70er und<br />
80er Jahren. Birkenstocks trägt jener umweltbewusste<br />
Typus heute noch, nur sind diese nicht<br />
mehr tarnbraun, sondern auf�ällig chic – in glänzender<br />
Lack-Optik. Steckt im 21. Jahrhundert noch<br />
Überzeugung hinter einem öko-bewussten Leben<br />
oder nur heiße Luft?<br />
Es hat sich einiges getan, seit die erste grüne<br />
Welle Deutschland erreichte. Waren Ökos vor vielen<br />
Jahren noch verschrien und wurden müde belächelt,<br />
so können sich Bio-Supermärkte heute vor<br />
Ansturm kaum noch re� en. Erste Umweltschutzbewegungen<br />
gab es bereits in der Wende vom 19.<br />
zum 20. Jahrhundert aus romantischer Überzeugung:<br />
Man wollte die Heimat erhalten. Die Heimat,<br />
das waren verträumte Dörfchen inmi� en<br />
unberührter Natur – ein Ideal. Heimatvereine<br />
wurden gegründet, um die Natur vor den Folgen<br />
der Industrialisierung zu schützen, genauer: vor<br />
einer Verstädterung. In den 70er Jahren entstand<br />
eine zweite Öko-Bewegung. Inspiriert von den<br />
Studentenbewegungen der 60er Jahre gab es in<br />
Deutschland eine Welle von sogenannten »neuen<br />
sozialen Bewegungen« – darunter auch die Umweltschutzbewegung.<br />
Was wollte sie? Vor allem<br />
die Atomenergie abschaff en.<br />
Umweltschutz ist demnach ein Ergebnis des<br />
technischen Fortschri� s und der Industrialisierung.<br />
Und tatsächlich, die Anti-Atomkra� -Gegner<br />
entwickelten sich zur größten Gruppierung der<br />
neuen Protestbewegungen. � eoretisch gibt es<br />
aber auch eine andere Begründung: den Postmate-<br />
DER ÖKO<br />
Eine Philosophie, ein Stil, eine Einstellung;<br />
wo er hin wollte und wo er jetzt ist.<br />
Text: Lisa Kreuzmann | Layout: Tobias Fischer<br />
rialismus, ein Begriff aus der Soziologie. Postmaterialisten<br />
sind Menschen, denen es nicht genügt,<br />
nur materielle Dinge zu besitzen. Sie wollen mehr.<br />
Sie wollen wissen, was hinter den Dingen steckt.<br />
Sie wollen kein Geld, keine teure Uhr, keinen schicken<br />
Sportwagen; Postmaterialisten streben nach<br />
Glück, Freiheit, Liebe und eben auch nach Umweltschutz.<br />
So ist dieser � eorie nach zwar die Industrialisierung<br />
in den westlichen Ländern Ursache<br />
�ür die Öko-Bewegung, aber nicht deren Folgen<br />
�ür die Natur – sondern vielmehr deren Auswirkungen<br />
auf die menschliche Psyche.<br />
Ronald Inglehart, ein amerikanischer Politologe,<br />
ist der Überzeugung: Menschen streben immer<br />
nach dem, was sie nicht besitzen. Im Alltag<br />
mögen das Dinge wie ein a� raktives Äußeres,<br />
ein volles Konto oder ein schicker Wohnort sein.<br />
Sind Grundbedürfnisse wie Hunger, Hygiene und<br />
Unterkun� gestillt, möchten wir mehr. Nach Inglehart<br />
gehört auch der Umweltschutz zu diesem<br />
»Mehr«. So haben sich durch den neu gewonnenen<br />
Wohlstand die Werte verschoben; der Schutz unserer<br />
Umwelt hat an Bedeutung gewonnen, jetzt,<br />
da unsere Grundbedürfnisse gestillt sind. Mit der<br />
Partei Bündnis 90 / Die Grünen fand Umweltschutz<br />
schließlich auch politische Repräsentation.<br />
Bei McDonald‘s würden Parteimitglieder der<br />
Grünen sicherlich nie dinieren und wenn, sollten<br />
sie sich zumindest nicht dabei erwischen lassen.<br />
Für den umweltbewussten Menschen des 21. Jahrhunderts<br />
jedoch kein Problem. Schließlich gibt es<br />
bei der Fast-Food-Ke� e inzwischen nicht nur Salat;<br />
das goldene »M« möchte sich in Zukun� in einem<br />
anderen Licht präsentieren.<br />
▶<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
TITELTHEMA<br />
5
TITELTHEMA<br />
6<br />
Vorbei das ungesunde Fast-Food-Image – selbst die fettigsten Burger werden Bio<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
Ein grüner Hintergrund muss her, damit Bio-<br />
Burger �ür »Ökos« a� raktiv werden. Wenn selbst<br />
die Fast-Food-Ke� e McDonald‘s versucht, auf das<br />
neue grüne Boot aufzuspringen, wird klar, dass<br />
Umweltbewusstsein im 21. Jahrhundert eine neue<br />
Dimension erreicht hat. Grün zieht, Bio boomt. Der<br />
moderne Öko muss sich im Gegensatz zu seinem<br />
Pendant aus den 70ern nicht mehr da�ür rechtfertigen,<br />
Brot selbst zu backen und ausschließlich in<br />
Bio-Supermärkten oder auf Bauernhöfen einzukaufen.<br />
Im Gegenteil: Da�ür fi ndet er sogar Anerkennung.<br />
Ein modernes Produkt, das in keiner Szene-<br />
Kneipe fehlt: Bionade. Sie ist seit 1997 auf dem<br />
Markt und seit einiger Zeit auch im Angebot von<br />
McDonald‘s. Der Name ist Programm: eine Bio-Limonade.<br />
Doch nicht überall, wo »Bio« draufsteht,<br />
ist auch Bio drin. Die Zeitschri� Öko-Test bewertete<br />
das Szenegetränk nur mit einer drei. Dennoch,<br />
Bionade und Co scheinen Teil eines neuen Lebensstils<br />
geworden zu sein. Mode-Label locken damit,<br />
ihre Kleidung aus ökologischen Materialien anzufertigen,<br />
Restaurants hängen voller Stolz Bio-Zertifi<br />
kate auf, die garantieren, dass hauptsächlich<br />
Produkte aus »kontrolliert-biologischem Anbau«<br />
verwendet werden. Öko-Designer versprechen,<br />
dass Lampe, Schreibtisch und Gartenmöbel ökologisch<br />
vertretbar sind. Bio-Dessous, Bio-Kosmetik<br />
bis hin zur Öko-Kfz-Versicherung, bio soweit das<br />
Auge reicht.<br />
Das Konzept geht auf: Laut dem Öko-Barometer<br />
gaben 2010 49 Prozent der Befragten an, Bio-<br />
Produkte zu kaufen. Die Neu-Ökos haben mehrere<br />
Namen: Neo-Ökos, Lohas, Ökos 2.0, Öko-Yuppies,<br />
Bioheme oder Scuppies werden sie tituliert. Da<br />
verliert Öko schnell den Überblick – umweltbewusst<br />
und Bio-Einkäufer, doch welcher der Gruppen<br />
gehört Öko nun an? Die Abkürzung Lohas<br />
steht �ür das Englische »Lifestyles of Health and<br />
Sustainability«, ein Lebensstil, der Wert auf Gesundheit<br />
und Nachhaltigkeit legt. Ein Lebensstil<br />
also – doch steckt auch eine Überzeugung dahinter?<br />
Hat der besser verdienende »Loha«, der bio<br />
kau� , Porsche �ährt und iPod hört, denn auch politische<br />
Ziele? Ein Porsche fahrender Träger eines<br />
Atomkra� -Nein Danke-Stickers? Wohl eher nicht<br />
– die Lohas wollen nicht mehr die Welt re� en,<br />
sondern ihr Gewissen, heißt es.<br />
Woher kommt also der neue Öko-Wahn? Laut<br />
Öko-Barometer wollen Loha, Scuppie und Co mit<br />
dem Kauf von Öko-Produkten unter anderem<br />
eine »artgerechte Tierhaltung« sowie eine »geringe<br />
Schadstoff belastung« unterstützen. Nun ist<br />
es doch so, dass das neue Öko-Bewusstsein nicht<br />
mehr das von armen Leuten ist. Ein Öko-Trend<br />
als Folge des Wohlstandes? Wie Ronald Inglehart<br />
formulierte: Würden Ökos noch um den Sonntagsbraten<br />
bangen müssen, wäre eine artgerechte<br />
Tierhaltung sicherlich zweitrangig. Demnach<br />
rührt unser neues Umweltbewusstsein daher, dass<br />
wir uns mit banalen Dingen wie der Aufnahme<br />
von genügend Nährstoff e nicht mehr beschä� igen<br />
müssen.<br />
Wenn Öko tatsächlich zu einem Lebensstil<br />
geworden ist, bleibt nicht aus, dass der ein oder<br />
andere Bio-Fan vielmehr den Stil als die Bio-Produkte<br />
genießt. Die Nachfrage nach Bio-Produkten<br />
ist inzwischen so groß, dass heimische Bauern den<br />
Bedarf nicht mehr decken können. Bleibt die Frage<br />
nach der Nachhaltigkeit. Nicht nach der von Öko-<br />
Design und Co, sondern nach der Nachhaltigkeit<br />
des neuen Öko-Trends. Wie lange wird er andauern?<br />
Flaut die Trendwelle wieder ab, muss sich unsere<br />
Umwelt eben auf den Alt-Öko in Leinen und<br />
Birkenstocks verlassen; diesen Überzeugungstäter<br />
gibt es nach wie vor.
NACHHALTIGKEIT – EIN SCHLAGABTAUSCH<br />
NOIR-Autoren zum Thema Nachhaltigkeit: Clara Dupper fordert nicht nur<br />
umweltfreundliches Denken, sondern entsprechendes Handeln.<br />
Der Mensch sei nicht zum Verzicht geboren, hält Jan Zaiser dagegen.<br />
PRO: WIR MÜSSEN ÖFTER<br />
MAL DEN STECKER ZIEHEN.<br />
Die Bereitschaft<br />
zum Engagement<br />
�ür die Umwelt steigt,<br />
das zeigt eine Umfrage<br />
des Bundesumweltministeriums<br />
vom März<br />
2010. Der Anteil derer,<br />
die sich �ür die Umwelt<br />
engagieren, habe sich<br />
von vier (2008) auf neun<br />
Prozent (2010) mehr als<br />
verdoppelt. Das � ema<br />
Umweltschutz landet als eine der<br />
wichtigsten politischen Aufgaben<br />
auf Platz drei.<br />
Die Bereitscha� hierzu kann ich<br />
nur bei wenigen Bürgern feststellen.<br />
Die Grünen zu wählen und über<br />
Energie-Effi zienz und Nachhaltigkeit<br />
Bescheid zu wissen, reicht nicht aus.<br />
Das Handeln ist ausschlaggebend.<br />
Mit kleinen Handgriff en im Alltag<br />
kann jeder einen Beitrag leisten: im<br />
Wohnzimmer die Heizkörper nicht<br />
zustellen oder Elektrogeräte nicht<br />
im Stand-by-Modus laufen lassen.<br />
Die Dusche beim Einseifen abstellen,<br />
die Stopptaste der Toile� enspülung<br />
benutzen und beim Kochen einen<br />
Deckel auf die Töpfe setzen. An sich<br />
banal, doch viel zu wenige setzen<br />
diese Punkte wirklich um. Zeigt Umweltbewusstsein<br />
– zieht ö� er mal<br />
den Stecker!<br />
Text: Clara Dupper & Jan Zaiser | Layout: Sebastian Nikoloff<br />
CONTRA: WIR SIND NICHT<br />
ZUM VERZICHT FÄHIG!<br />
Es gibt Dinge, �ür<br />
die lohnt es sich<br />
zu kämpfen: eine Welt<br />
ohne Krieg, keine<br />
Machtmonopole in der<br />
Wirtschaft oder Bildung<br />
�ür alle. Da bleibt<br />
keine Zeit �ür Utopien!<br />
Wir werden nie in einer<br />
Welt ohne Armut<br />
leben und das Böse<br />
vernichten. Da�ür ist<br />
der Mensch nicht gemacht. Ebenso<br />
wenig wie �ür echte Nachhaltigkeit.<br />
Machen wir uns nichts vor: Wer<br />
würde auf das Licht beim Abendessen<br />
verzichten, weil Windräder nicht<br />
durchgängig Strom produzieren?<br />
Wer würde auf sein leckeres, preiswertes<br />
Salamibrot verzichten, weil<br />
ohne Massentierhaltung der Preis �ür<br />
das Fleisch zu hoch wird? Wer würde<br />
auf das stundenlange Shoppen bei<br />
H&M verzichten, weil plötzlich auch<br />
Kleidung bio sein muss? Wer will 549<br />
Euro ansta� 19,99 Euro �ür seinen<br />
Flug nach Griechenland zahlen, weil<br />
teurer Biosprit vorgeschrieben wird?<br />
Wer würde auf all das verzichten,<br />
was sein Leben ausmacht? Nachhaltig<br />
lebt der, der nicht nur einen Teil<br />
seines Kuchens abgibt, sondern den<br />
ganzen Kuchen. Und das geht gegen<br />
die Natur des Menschen.<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
TITELTHEMA<br />
7
REPORTAGE<br />
8<br />
LIEBER EKLIG ALS UMWELTSCHÄDLICH<br />
Kaufen und Wegwerfen trägt nicht gerade dazu bei, die Welt zu retten. NOIR-Autorin<br />
Silke Brüggemann hat eine Woche lang versucht, absolut nachhaltig zu leben.<br />
Text: Silke Brüggemann | Layout: Tobias Fischer | Illustration: Sebastian Nikoloff<br />
NOIR NOIRNNr.<br />
21 (August 2011)<br />
Ein gemütlicher Abend auf der Couch mit<br />
dem Buch »The Story of Stuff«. Autorin<br />
Annie Leonard schreibt über Recycling<br />
und eine Reise nach Bangladesch. Denn dort gibt<br />
es keine Mülltonnen. Was nicht mehr gebraucht<br />
wird, wird weiterverwendet oder verschenkt.<br />
Nach der Lektüre bin ich schockiert und �ühle<br />
mich schuldig. Ich bin froh, wenn Schmierzettel,<br />
Verpackungen und abgenutzte Filzsti� e auf<br />
Nimmerwiedersehen in der Tonne verschwinden.<br />
Kann ich etwas von dem System in Bangladesch<br />
lernen? Ich entscheide mich, eine Woche ohne<br />
Mülleimer zu leben.<br />
Mein erster Morgen beginnt mit einem Fehltri� .<br />
Sechs Uhr ist eindeutig zu früh, um nachhaltig<br />
zu sein. Mein Kosmetiktuch fl iegt ein paar Mal<br />
übers Gesicht und dann ab in den Mülleimer neben<br />
dem Waschbecken. Mein Arm kann einfach<br />
nicht anders. Das war das letzte Mal in dieser Woche<br />
– versprochen!<br />
Nachmi� ags fl aniere ich über den Stu� garter<br />
Schlossplatz. Die Sonne scheint, ich laufe durchs<br />
grüne Gras, geselle mich zu den anderen Sonnenanbetern<br />
und schlürfe meinen La� e Macchiato to<br />
go. Kaum ist der Kaff ee weg, habe ich ein Problem:<br />
Wohin mit dem leeren Becher und dem Strohhalm?<br />
Ich stelle ihn erstmal vorsichtig in meine Tasche<br />
und hoff e, dass die Bibliotheksbücher keinen Kaffeefl<br />
eck abbekommen. Zum Pappbecher kommt<br />
an diesem Tag noch einiges dazu: Papiertüten,<br />
Yoghurtbecher, gebrauchte Spielsachen. Zeit, den<br />
Müll gleich zu verarbeiten, habe ich nicht. Das Re-<br />
sultat: Abends quellen mir Plastikfolien aus der<br />
Hosentasche. Ich hole mir eine Kiste, schleudere<br />
alles hinein und setze einen Müllverarbeitungstermin<br />
in den Kalender.<br />
Auf dem Balkon fi nde ich den alten Spielzeugbaukasten<br />
meines Bruders. Früher hä� e ich das in<br />
hohem Bogen in die Mülltonne geworfen. Heute<br />
putze ich die Sachen liebevoll, bis alles glänzt. Aus<br />
feuerwehrautorot ist bei meinem Eifer blassrosa<br />
geworden. Trotzdem suche ich ein Kind, dem ich<br />
das schenken könnte. Mein neues nachhaltiges Ich<br />
merkt sich: »Kauf nichts, was du nicht später irgendwie<br />
loswirst.«<br />
Später durchsuche ich meine Müllkiste und frage<br />
mich, was ich mit dem Strohhalm denn jetzt<br />
machen soll. In Zukun� werde ich wohl als zickige<br />
Ökodiva mit eigenem mitgebrachten Strohalm die<br />
Bedienung im Cafe zur Weißglut treiben. Bleibt<br />
vom La� e to go noch der Becher.<br />
Was ich damit machen soll, weiß ich nicht. Das<br />
nächste Mal trinke ich meinen Kaff ee nur dort, wo<br />
es echte Porzellantassen gibt, beschließe ich. Plötzlich<br />
verstehe ich, warum es Leute gibt, die ohne<br />
� ermokaff eebecher nicht leben können. In meiner<br />
Kiste glitzert mir ein Haufen Schokoladenpaa-pierchen, Hundefu� er- und Chipstüten entgegen.<br />
Mir �ällt ein, dass ich als Kind Bastelanleitungen<br />
�ür Folienperlen ha� e. Früher fand ich das doof,<br />
heute ist die Idee meine Re� ung. Bleibt nur noch<br />
die Frage, wer so eine Perlenke� e tragen würde.<br />
Was mache ich aber mit den durchsichtigen Folien?<br />
Ich packe sie in meine Kiste mit gebrauch-
tem, aber wieder verwendbarem<br />
Versandmaterial. Die ha� e ich zwar<br />
früher schon, richtig benutzt wird<br />
sie aber erst jetzt. Meine gebrauchten<br />
Kosmetiktücher kann ich, in Folie<br />
eingewickelt, als Polster benutzen,<br />
wenn ich dass nächste mal ein Paket<br />
verschicke. Ich selbst �ände es eklig,<br />
wenn mir jemand seine gebrauchten<br />
Badab�älle schickt. Aber diese Woche<br />
bin ich lieber eklig als umweltschädlich.<br />
Drei Kilogramm Prospekte sammle<br />
ich in dieser Woche. Ein Stapel so<br />
hoch wie eine Fußbank und so unhandlich<br />
wie ein Aal im Einkaufszentrum.<br />
Prospekte blä� ern ist mein<br />
Samstagsritual, so gemütlich wie ein<br />
Schaufensterbummel von der Couch<br />
aus. Aber ich weiß nicht, was ich mit<br />
den Resten machen soll.<br />
Hä� e ich Kinder, würde ich die abgebildeten<br />
Produkte ausschneiden,<br />
auf den Karton meiner Keksschachteln<br />
kleben und ihnen die als Produkte<br />
eines Kaufsmannsladen zum<br />
Spielen geben. Ob ich den Kindern in<br />
der Nachbarscha� damit eine Freude<br />
machen kann, bezweifl e ich und<br />
traue mich nicht, »diesen Müll« – ich<br />
höre die Stimmen schon – zu verschenken.<br />
Deshalb mache ich aus<br />
dem Papier Füllungen �ür meine Dekokissen.<br />
Ich sehe, wie der Schredder<br />
die Blä� er verschluckt und feine<br />
Schnipsel ausspuckt, die sich im Auffangeimer<br />
ineinander verheddern.<br />
Doch die Prospekte werden immer<br />
dicker, der Schredder quält sich<br />
durch das Papier. Irgendwann kommt<br />
er nicht mehr durch und bleibt hängen.<br />
Nun scheint der Schredder<br />
selbst ein Fall �ür die Mülltonne zu<br />
sein, aber ich lasse nicht locker. Ich<br />
suche jemanden, der ihn reparieren<br />
könnte. Aber alle Hobbybastler, die<br />
ich kenne, sind im Urlaub. Welch<br />
tragisches Ende �ür eine umweltbewusste<br />
Woche.<br />
Nach dem Experiment fi nde ich<br />
es entlastend, die Mülltonne wieder<br />
benutzen zu dürfen. Mein nachhaltiges<br />
Ich meldet sich trotzdem immer<br />
wieder und fl üstert, wenn ich den<br />
Mülltonnendeckel hebe: »Nein, tu<br />
das nicht. Kannst du deinem Müll<br />
nicht ein neues Zuhause geben?«<br />
Obwohl die Woche vorbei ist, überlege<br />
ich mir, wer was gebrauchen<br />
könnte. Ein Weiterverschenksystem<br />
�ür Müll, das wäre doch etwas �ür<br />
die Zukun� , denke ich. Und stehe<br />
jetzt schon beim Hausschuhkauf<br />
vor einem Problem, weil ich selbst<br />
durch mein Experiment nachhaltig<br />
geschädigt wurde: Das billige Paar,<br />
das bestimmt in zwei Monaten wieder<br />
kapu� ist oder die teuren Ökolatschen?<br />
Vielleicht laufe ich einfach<br />
barfuß – das ist günstig, gesund und<br />
umweltfreundlich.<br />
Annie Leonard ist Umweltexpertin<br />
und arbeitet unter anderem �ür<br />
Greenpeace. Ihr Projekt »� e Story of<br />
Stuff « begann mit einer Reihe von Internetfi<br />
lmen. Später sammelte sie ihre<br />
Ergebnisse in einem Bu� , in dem sie<br />
aufzeigt, wie die Konsumgesells� a�<br />
die Umwelt ge�ährdet. Sie s� ildert die<br />
Stationen des Lebens eines Gegenstandes:<br />
von der Planung, Herstellung und<br />
dem Vertrieb über die Benutzung bis<br />
zum Recycling. Dazu gibt es viele Fakten,<br />
Zahlen, Beispiele und Zitate von<br />
Experten. Trotzdem bleibt es au� �ür<br />
Laien gut verständli� . Ein Bu� , das<br />
au� Shoppingfreaks zum Na� denken<br />
anregt.<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
REPORTAGE<br />
9
INTERVIEW<br />
10<br />
» NIEMAND LEBT ALLEINE! «<br />
Rosi Gollmann hat das Helfersyndrom und steckt damit andere<br />
Leute an. Mit NOIR spricht sie über ihr Engangement, falsche<br />
Entwicklungshilfe und egoistische Esel.<br />
Text: Sophie Rebmann | Layout & Illustration: Carolina Schmetzer<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
Mit 18 Jahren verkündet<br />
Rosi Gollmann ihren<br />
Eltern, dass sie keinen<br />
Mann will. Sie möchte sich ganz<br />
sozialen Aufgaben widmen. Heute<br />
ist Gollmann 84 Jahre alt und �ährt<br />
�ür die Hilfsorganisation Andheri-<br />
Hilfe regelmäßig durch Deutschland.<br />
Immer wieder kommen ehemalige<br />
Schüler zu der Lehrerin, um von ihrem<br />
eigenen Engagement zu erzählen.<br />
»Ich habe es geschafft, sie sozial<br />
zu infizieren«, meint Rosi Gollmann.<br />
Frau Gollmann, wie infi ziert man junge Mens�<br />
en sozial?<br />
Junge Leute haben ein Bedürfnis nach Gerechtigkeit<br />
und schauen über den eigenen Tellerrand.<br />
Ich erzähle, was ich sehe und woran ich arbeite.<br />
Zwischen Hören, Wahrnehmen und Umsetzen ist<br />
aber ein Unterschied. Man muss die Hürde nehmen,<br />
selbst aktiv zu werden.<br />
Warum helfen Sie?<br />
Niemand lebt �ür sich alleine. Menschen, die<br />
um sich selbst kreisen, sind nicht die glücklichsten.<br />
Auch �ür mich war es nicht immer einfach.<br />
Heute habe ich es nicht gescha� , die Vorträge �ür<br />
nächste Woche vorzubereiten, das werde ich heute<br />
Nacht tun. Aber ein Seniorenheim wäre nichts<br />
�ür mich. Und was man gibt, bekommt man auch<br />
zurück.<br />
Zuwendung ist ja keine Einbahnstraße. Vor<br />
vielen Jahren bekam ich einen Anruf aus Indien.<br />
Fast eine komple� e Familie war an einer schweren<br />
Krankheit gestorben. Nur ein 14-jähriges Mädchen<br />
lebte noch, sie brauchte aber ein Medikament.<br />
Dann bin ich eben erst zur Apotheke gegangen,<br />
dann zum Flughafen, habe das schicken lassen<br />
und die Geschichte schon fast vergessen. Nach<br />
Jahren kam eine Mail. Die Frau lebte nun in Amerika<br />
und bedankte sich bei mir.<br />
Glauben Sie, dass jeder das Bedürfnis hat, zu helfen?<br />
Dann müsste ja jeder helfen wollen. Nein, das<br />
ist eine persönliche Entscheidung. Das Allerwichtigste<br />
ist zu merken: Ich bin kein Esel, ich lebe nicht<br />
�ür mich alleine, sondern ich habe in der Welt meinen<br />
Platz einzunehmen. Man wird nur glücklich,<br />
wenn man miteinander und �üreinander lebt.<br />
Au� in Deuts� land haben wir jede Menge Probleme<br />
– warum sind Sie gerade in Indien tätig?<br />
Man kann nun wirklich nicht sagen, dass ich<br />
mich in Deutschland nicht engagiere. Ich kümmere<br />
mich hier um die Nachbarscha� shilfe und<br />
mache Altenbesuche. Aber man kann nicht auf<br />
allen Hochzeiten tanzen, man muss sich auf etwas<br />
konzentrieren.<br />
Was muss bea� tet werden, um gute Entwi� -<br />
lungshilfe zu leisten?<br />
Man muss vor allem Respekt haben vor den<br />
Menschen. Die Spenden nicht aus Barmherzigkeit<br />
von oben herab regnen lassen, sondern den Menschen<br />
die Hand reichen. Man muss sie solange an<br />
der Hand halten, wie sie es brauchen. Aber sobald<br />
sie selbst laufen können, die Hand loslassen.<br />
Gibt es Projekte, die sie s� on loslassen konnten<br />
und die nun alleine laufen?<br />
Aber natürlich. Wir haben über 3 000 Projekte<br />
abgeschlossen. Wir würden nie ein Projekt beginnen,<br />
in dem die Menschen von unserer Hilfe abhängig<br />
sind. Wir versuchen sie immer zur Selbstständigkeit<br />
zu �ühren.
KLEINE WELTVERBESSERER<br />
Was haben ein Pfandbecher, ein Schuh und ein Aufkleber gemeinsam?<br />
Sie alle sind Ursprung eines Projektes von jungen Menschen, die die Welt<br />
ein bisschen besser machen wollen. Warum haben sie damit Erfolg?<br />
Text: Meike Krauß | Layout: Carolina Schmetze.<br />
VIVA CON AGUA<br />
Mit wehenden Fahnen und großen<br />
blauen Mülltonnen sind sie mi� en<br />
drin bei Festivals und Konzerten:<br />
die Unterstützer von Viva con Agua<br />
(»Lebe mit Wasser«). Sie fordern die<br />
Besucher auf, ihre Pfandbecher in<br />
die Tonnen zu werfen, um somit<br />
Geld zu sammeln.<br />
Während eines Trainingslagers auf<br />
Kuba fi elen dem Fußball-Spieler Benjamin<br />
Adrion die Missstände dort<br />
auf. 2005 gründete er Viva con Agua.<br />
Der Verein versteht sich als off enes<br />
Netzwerk, bei dem alle mitmachen<br />
können. In Kiel, Kassel, Köln, Berlin<br />
und Osnabrück haben sich bereits<br />
Menschen zusammengeschlossen,<br />
um gemeinsam Veranstaltungen zu<br />
organisieren und damit Spenden zu<br />
sammeln. Sie organisieren Benefi z-<br />
Konzerte und informieren auf Konzerten<br />
und Festivals. Zentrales Ziel<br />
von Viva con Agua ist der Brunnenbau<br />
in Entwicklungsländern. Dabei<br />
kooperiert das Projekt mit der Welthungerhilfe,<br />
die vor Ort Trinkwasser-Projekte<br />
umsetzt.<br />
Inzwischen kann man sogar Vivacon-Agua-Wasser<br />
kaufen, um seinen<br />
Durst zu löschen – und den von vielen<br />
anderen Menschen gleich mit.<br />
TURN THE TIDE<br />
Die Studenten Tobias Ba� enberg und<br />
Marcel Kamps gründeten das Projekt<br />
Turn the tide. »Wir wollten uns nachhaltig<br />
verhalten. Beim Bla� wenden<br />
�ür einen doppelseitigen Druck hatten<br />
wir immer Ärger durch Fehldrucke«,<br />
sagt Ba� enberg. So entstand<br />
Einsatz für ein »Leben mit Wasser«: Die Helfer der Organisation zeigen Flagge.<br />
die Idee, Papier zu sparen und so die<br />
Ressourcen langfristig zu schonen.<br />
Mit einer Testseite kann man herausfi<br />
nden, wie man das Bla� speziell<br />
�ür seinen Drucker wenden muss,<br />
um doppelseitig zu drucken. Zusätzlich<br />
bieten sie Au� leber an, die man<br />
am Drucker platzieren kann, damit<br />
das Bla� wenden nicht zum einmaligen<br />
Ereignis wird.<br />
TOMS SHOES<br />
Der Unternehmer Blake Mycoskie<br />
ist Schuhhersteller und gleichzeitig<br />
Initiator von One Day without Shoes.<br />
Mit dieser Aktion will er in der westlichen<br />
Welt ein Bewusstsein da�ür<br />
schaff en, wie es ist, keine Schuhe zu<br />
haben – so wie viele Menschen in<br />
Entwicklungsländern. Die Menschen<br />
müssen o� weite Strecken laufen und<br />
ziehen sich durch Steine Schrammen<br />
und Wunden zu, die zu Infektionskrankheiten<br />
�ühren können. Während<br />
seines Urlaubs in Argentinien<br />
traf Blake Mycoskie einen Sozialarbeiter,<br />
der ihm das Problem erklärte.<br />
Mycoskie entschied sich da�ür, ein<br />
Unternehmen zu gründen sta� einer<br />
Hilfsorganisation. So ist er nicht von<br />
Spenden anderer abhängig und kann<br />
durch den eigenen Profi t helfen. Der<br />
Vertrieb von simplen Stoff schuhen,<br />
die von Künstlern kostenlos aufgewertet<br />
werden, läu� nach dem Oneby-One-Prinzip:<br />
Kau� ein Kunde ein<br />
Paar Stoff schuhe, so bekommt ein<br />
bedür� iges Kind ebenfalls welche.<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
TITELTHEMA<br />
11
LIFESTYLE<br />
12<br />
IM SOMMER SOLLTE MAN …<br />
Die Sonne brennt, die Luft flimmert, der Sommer treibt die verrücktesten Ideen in die Köpfe.<br />
NOIR hat in Stuttgart nachgefragt, was man zu dieser Jahreszeit unbedingt tun sollte.<br />
Text: Clara Dupper | Fotos: Clara Dupper | Layout: Carolina Schmetzer<br />
Moritz (18): Man sollte unbedingt einen<br />
Handstand auf einem Bierfass machen. Noch<br />
ein Muss: sich in einem Campingstuhl vom<br />
Balkon abseilen.<br />
Estelle (18): Ich habe es mir zur Aufgabe<br />
gemacht, mit einer Kuh zum Southside oder<br />
zum Summer Jam zu trampen. Was bei mir<br />
für einen gelungenen Sommer auch nicht<br />
fehlen darf: Schule Schwänzen.<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
Paul (19): Longboard fahren<br />
und sich einen Sonnenbrand<br />
holen.<br />
Salomé (21): Schmelzkäse<br />
mit Chips essen.<br />
Ashley (19): Ich möchte im Sommer gerne<br />
die hässlichen Wände in Stuttgart ansprayen<br />
und schöner machen. Als Vorbild habe ich<br />
eine Frau, die Laternenlampen in der Stadt<br />
mit Selbstgestricktem verziert.<br />
Olli (21): Kühles Bier trinken.<br />
Melanie (15): Im Sommer sollte man nackt<br />
durch die Sprenkleranlage der Nachbarn<br />
rennen.
WER IST HOCHBEGABT ?<br />
Text: Karla Markert | Layout: Carolina Schmetzer<br />
Das Recht auf »eine seiner Begabung entsprechende<br />
Erziehung und Ausbildung« hat jeder Mensch,<br />
so sagt es Artikel 11 der Landesverfassung Baden-<br />
Wür� embergs. Aber wie misst und klassifi ziert<br />
man Begabung, gar Hochbegabung? Eine einfache<br />
Defi nition von Intelligenz lautet: Intelligenz ist,<br />
was ein Intelligenztest misst. Auff assungsgabe,<br />
KURTAXE ALS SAHNEHÄUBCHEN<br />
Wer in den Urlaub fährt, der kennt die Kurtaxe. Doch warum müssen wir sie<br />
in vielen Touristenorten zahlen und was bringt sie uns überhaupt.<br />
Text: Fabian Vögtle | Layout: Carolina Schmetzer<br />
Im schönen Schwarzwald lassen Urlauber ihre<br />
Seele baumeln. Der »Black Forest« ist nicht nur<br />
wegen seiner Kirschtorte und der Kuckucksuhren<br />
bekannt. Der Campingplatz in Kirchzarten<br />
bei Freiburg gleicht in der Hochsaison schon<br />
mal einem holländischen Dorf. Damit die Gäste<br />
im Erholungsort alles nutzen können, erhebt die<br />
Gemeinde, wie viele andere auch, eine Kurtaxe.<br />
Diese zahlen die Urlauber meist schon mit ihrer<br />
Ferienwohnung, dem Hotelzimmer oder ihrem<br />
Campingstellplatz an ihren Gastgeber. Der gibt<br />
die Kurtaxe dann an die Gemeinde weiter. Im<br />
Gegenzug erhalten die Touristen die sogenannte<br />
Schwarzwald-Gästekarte. Sie gilt während des<br />
Aufenthaltes als Freifahrschein �ür Busse und<br />
Bahnen in der Region. Wer will, bekommt freien<br />
oder ermäßigten Eintritt in Museen und Erlebnisparks.<br />
Woanders gibt‘s kostenlose Veranstaltungen<br />
mit Musik und Tanz sowie Themenabende.<br />
Für oftmals einen Euro pro Tag und Person kann<br />
logisches Denken, räumliches Vorstellungsvermögen,<br />
Gedächtnis�ähigkeit und der Umgang mit<br />
Zahlen, Worten und Bildern sind entscheidend.<br />
Das alles wird überprü� und verglichen mit den<br />
Ergebnissen gleichaltriger Menschen, um so auf<br />
die kognitiven Fähigkeiten schließen zu können.<br />
Also auf die Fähigkeit, mit Informationen umzugehen.<br />
Etwa zwei Dri� el der Menschen haben<br />
einen Intelligenzquotienten (IQ) zwischen 85 und<br />
115. Als hochbegabt gilt, wer einen IQ von 130 oder<br />
mehr hat. Dies tri� auf zwei bis drei Prozent der<br />
Bevölkerung zu. Allerdings liefert der IQ keine<br />
Aussage darüber, was die betreff ende Person aus<br />
ihrem Potenzial macht: Intelligenz an sich ist laut<br />
dem berühmten Psychologen William Stern nur<br />
ein »Rüstzeug«.<br />
sich die Kurtaxe damit am Ende sogar richtig �ür<br />
den Urlauber lohnen. Der Touristenort kann mit<br />
den Einnahmen der Gebühr sein touristisches Angebot<br />
verbessern und ausbauen, was sich wiederum<br />
�ür die Gäste auszahlt.<br />
Wer zuhause Übernachtungsgäste aufnimmt,<br />
müsste im Prinzip genauso eine Kurtaxe an die<br />
Gemeinde zahlen, in der er wohnt. Doch wer<br />
macht das schon, wenn gerade der Freund aus Spanien<br />
zu Gast ist oder die Oma aus Berlin? Wohl<br />
kaum einer hat bisher auch nur im Traum daran<br />
gedacht, seinen privaten Gästen eine Kurtaxe abzuknöpfen.<br />
Das wäre wirklich mal ein feines Sahnehäubchen.<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
WISSEN<br />
13
REPORTAGE<br />
14<br />
DAS INTELLIGENTE GEBÄUDE<br />
Wenn <strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong> an nachhaltiges Bauen denkt, hat sie sich bisher ein massives<br />
Holzhaus in idyllischer Landschaft vorgestellt. Doch mitten in Berlin steht ein weißer Betonklotz,<br />
der mit Computerwärme, einem kühlenden Grill und einer Gebäudelunge eines<br />
der nachhaltigsten Gebäude der Stadt ist.<br />
Text: <strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong> | Layout: Paul Volkwein<br />
Schumannstraße 8 in Berlin,<br />
um die Ecke liegt die Bundeszentrale<br />
der FDP, zwei Straßen<br />
weiter der Bahnhof Friedrichstraße.<br />
Hier steht das Gebäude der grünennahen<br />
Heinrich-Böll-Stiftung. Das<br />
Stiftungshaus soll, so lese ich in einer<br />
Broschüre, die Werte der Stiftung<br />
widerspiegeln. Das sind besonders<br />
Ökologie und Nachhaltigkeit.<br />
Ein Ökohaus in Berlin Mitte? Wenn<br />
ich an nachhaltiges Bauen denke,<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
sehe ich eher ein massives Holzhaus<br />
in idyllischer Landschaft vor mir,<br />
mit einem Ofen und unbehandelten<br />
Dielen. Aber hier, in der Schumannstraße,<br />
steht ein moderner, weißer<br />
Betonklotz mit großen Fensterfronten.<br />
Im zweiten Stock ragt eine grün<br />
verglaste Etage über die Seitenwände<br />
heraus, als hätte man den Klotz<br />
wie ein Sandwich aufgeschnitten<br />
und eine Salatscheibe dazwischen<br />
geschoben. »Das Gebäude setzt Maß-<br />
stäbe �ür umweltgerechtes Bauen«,<br />
steht in dem Flyer. Von außen deuten<br />
lediglich die viele Fahrräder vor dem<br />
Eingang auf Umweltbewusstsein hin.<br />
Ähnlich wie mir geht es anscheinend<br />
vielen anderen Besuchern.<br />
»Wir werden o� gefragt, wo denn<br />
jetzt die Holzschnitzel-Anlage ist. So<br />
ein Betonklotz kann doch kein Öko-<br />
Haus sein«, meint Bert Bloß schmunzelnd.<br />
Der Leiter des Technischen<br />
Dienstes der Heinrich-Böll-Sti� ung
will mir das Haus von innen zeigen<br />
und die komplizierte Technik näherbringen.<br />
Als erstes �ührt er mich in<br />
den Keller. In einem Raum stehen<br />
zwei Geräte, die aussehen wie große<br />
Grills. Ein grüner Kasten aus Metall,<br />
der auf der einen Seite off en ist.<br />
Dort befi ndet sich der Grillrost. Hinter<br />
dem Grillrost, unten im grünen<br />
Kasten, sind zwei Ventilatoren angebracht,<br />
darüber kleine Wasserdüsen.<br />
Die Ventilatoren pusten<br />
Luft durch den Grill<br />
»Wenn es im Haus zu warm wird,<br />
spritzen die Düsen Wasser auf den<br />
Rost«, erklärt Bert Bloß. Die Ventilatoren<br />
pusten Lu� unter den Grill.<br />
Mit den Wasserspritzern von den<br />
Düsen kühlt sich die Lu� ab. »Das<br />
funktioniert, wie wenn man mit einem<br />
nassen T-Shirt Fahrrad �ährt«,<br />
erklärt Bloß.<br />
Ein Kühlsystem ist in der Heinrich-Böll-Sti�<br />
ung besonders wichtig.<br />
Das Haus sei sehr gut gedämmt, damit<br />
die Heizungen nicht die Straße<br />
mitheizen, erklärt mir Bloß. Das heiße<br />
allerdings, dass auch im Sommer<br />
kaum warme Lu� nach draußen entweichen<br />
kann. Die Raumtemperatur<br />
in der Sti� ung soll 25 Grad aber<br />
nicht übersteigen. »Heute ist nicht<br />
mehr das größte Problem, wie man<br />
ein Gebäude heizen kann, sondern<br />
wie man es kühlt«, sagt Bloß.<br />
Das grüne Gerät im Keller sieht<br />
aus wie ein Grill und heißt adiabatischer<br />
Rückkühler. Durch diesen<br />
Der Heizungskeller befindet<br />
sich im zweiten Stock<br />
Rückkühler verlaufen Wasserleitungen,<br />
die mit Leitungen im ganzen<br />
Gebäude verbunden sind. Durch die<br />
kalte Lu� im Kasten kühlt sich auch<br />
das Wasser in den Rohren im Rückkühler<br />
ab. Das kalte Wasser ver-<br />
teilt sich dann in den Leitungen im<br />
ganzen Haus und kühlt so die Lu� .<br />
Im Winter muss das Gebäude trotz<br />
guter Isolation beheizt werden. Der<br />
Heizungskeller der Böll-Sti� ung befi<br />
ndet sich im zweiten Stock. Hoch<br />
gehen wir durch ein knallgrün angestrichenes<br />
Treppenhaus, aber auch<br />
einen Aufzug gibt es im Haus.<br />
In einem Raum stehen die Computerserver<br />
der Sti� ung. »Was anderswo<br />
lästige Wärme ist, nutzen<br />
wir hier als Heizung«, sagt Bloß. Die<br />
Server befi nden sich in sogenannten<br />
Cool-Racks, einer besonderen Art<br />
von Kühlschrank: vier Türme hinter<br />
Glas, aus denen ein bunter Kabelsalat<br />
ragt. Durch die Cool-Racks verlaufen<br />
Wasserleitungen, genauso wie durch<br />
die Rückkühler im Keller. Hier wird<br />
das Wasser durch die Abwärme der<br />
Die Server dienen<br />
als Heizung<br />
Server gewärmt. Legt man die Hand<br />
auf, spürt man, wie warm die Server<br />
sind. Das System ist so eff ektiv, dass<br />
die Sti� ung nur wenig über Fernwärme,<br />
also mit Wärme von außen,<br />
beheizt werden muss. Als ich mir das<br />
Gebäude anschaue, hat es draußen<br />
noch 12 Grad. Bei dieser Temperatur<br />
reicht die Serverwärme aus, die<br />
Fernwärmeanzeige steht auf null.<br />
»Mit möglichst wenig Technik,<br />
da�ür aber umso innovativer, ein<br />
nachhaltiges Gebäude zu schaff en,<br />
war das Ziel beim Bau des Sti� ungshauses«,<br />
betont Bloß. Ganz bewusst<br />
habe die Sti� ung neue Techniken<br />
eingesetzt, um als Vorbild �ür andere<br />
zu dienen – Vorbild �ür ein nachhaltiges<br />
Haus mi� en in einer Großstadt.<br />
Das Energiekonzept kommt von<br />
einem Schweizer Ingenieurunternehmen.<br />
Entworfen wurde das Gebäude<br />
vom Architekturbüro »eckert<br />
eckert«, ebenfalls aus der Schweiz.<br />
Vor der Fensterfront im Büro von<br />
Bert Bloß steht ein grauer Holzkasten,<br />
der aussieht wie eine praktische<br />
Bank. Die Bank ist ein sogenann-<br />
tes Brüstungsgerät, Heizung und<br />
Klimaanlage in einem. Hier laufen<br />
Wasserleitungen durch, die mit<br />
dem Rückkühler im Keller und den<br />
Cool-Racks im Serverraum verbunden<br />
sind. Ein Hochleistungswärmetauscher<br />
gibt die Wärme oder<br />
Kälte aus dem Wasser an die Lu�<br />
im Brüstungsgerät ab, das die Lu�<br />
dann durch einen schmalen Spalt ins<br />
Büro pustet. Streckt man die Hand<br />
über den Spalt, �ühlt man, wie die<br />
Lu� entweicht. Automatisch hält das<br />
Brüstungsgerät die Raumtemperatur<br />
unter 25 Grad.<br />
Ferngesteuert wie die Heizung<br />
sind in den Büros der Böll-Sti� ung<br />
auch die Lampen und Jalousien an<br />
den Fenstern. »Der Mensch ist nunmal<br />
die größte Fehlerquelle«, meint<br />
Bloß. Schon wer das Licht aus Versehen<br />
anlässt, verschwendet Energie.<br />
Wird es dunkel in der Böll-Stiftung,<br />
gehen die Lampen automatisch<br />
an. Allerdings nicht gleich auf volle<br />
Power, sondern gedimmt, je nachdem,<br />
wie viel Licht benötigt wird.<br />
Auch die Jalousien gehen automatisch<br />
auf und zu. »Wir haben versucht,<br />
hier die Balance zu halten und<br />
zu überlegen, was man den Mitarbeitern<br />
noch zumuten kann und was<br />
nicht«, sagt Bloß.<br />
Er ergänzt: »Lü� en dürfen wir<br />
schon noch selbst.« Gelü� et wird<br />
Lüften dürfen wir<br />
schon noch selbst<br />
aber über eine Art Innenhof im Gebäude,<br />
das sogenannte Atrium. Im<br />
Winter wird hier die Abwärme aus<br />
der verbrauchten Lu� gewonnen und<br />
zum Aufwärmen der frischen Lu�<br />
verwendet.<br />
Finanziert wurde das Gebäude der<br />
Heinrich-Böll-Sti� ung aus öff entlichen<br />
Mi� eln. Für die Sti� ung ist es<br />
eine Verpfl ichtung, mit verschiedenen<br />
Veranstaltungen den Bürgern<br />
»einen möglichst großen Gegenwert<br />
zurückzugeben.«<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
REPORTAGE<br />
15
KULTUR<br />
16<br />
ÖKO-SCHICK<br />
Der Begriff klingt schlüssig, doch was verbirgt sich wirklich<br />
hinter der Bezeichnung »globale und faire Mode«?<br />
Text: Florian Carl | Layout: Simon Staib<br />
Die Welt hat sich in den letzten<br />
Jahren so schnell verändert<br />
wie nie zuvor. Heute<br />
noch zu Hause können wir bereits<br />
morgen früh unter Palmen auf Fuerteventura<br />
liegen, uns die eingeflogene<br />
Mango aus Brasilien schmecken<br />
lassen oder eine in China produzierte<br />
Jeans kaufen. Wen wundert es,<br />
dass bei diesem Wachstum anderes<br />
auf der Strecke bleibt? Schließlich<br />
leben wir auf einem Planeten mit<br />
begrenzten Ressourcen. Zahlreiche<br />
Menschen stellen unseren Lebenswandel<br />
heute in Frage und versuchen,<br />
jeder auf seine Art, dem entgegenzuwirken.<br />
Besonders im Modesektor hat sich<br />
in den letzten Jahren einiges getan.<br />
Sogar große Konzerne wie H&M<br />
und Levi‘s sind auf den Zug des Bio-<br />
Booms aufgesprungen. Allerdings<br />
gibt es auch bei fairer Mode Unterschiede:<br />
Klamo� en können fair im<br />
GUTMENSCHENTUM<br />
Text: Maria Graef | Layout: Simon Staib<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
Umgang mit der Natur hergestellt<br />
werden. Einige Marken achten zusätzlich<br />
auf faire Arbeitsbedingungen<br />
�ür die Menschen, die die<br />
Kleidung produzieren. Wie fair die<br />
Klamo� en hergestellt wurden, lässt<br />
sich an verschiedenen Gütesiegeln<br />
feststellen. Der Global Organic Textile<br />
Standard (GOTS) ist das weltweit<br />
gültige Siegel �ür umweltverträglich<br />
hergestellte Kleidung. Es erfasst die<br />
ganze Herstellungske� e; vom biologischen<br />
Anbau über umweltfreundliche<br />
Verarbeitungsmethoden bis hin<br />
zum fairen Handel. Das Fairtrade-<br />
Label �ür Baumwolle zertifi ziert in<br />
erster Linie den fairen Handel. In<br />
den Fairtrade-Kriterien sind besonders<br />
umweltschädliche Anbaumethoden<br />
aber ausgeschlossen.<br />
Bio und Fairtrade sind schön und<br />
gut �ür das Gewissen, aber wir sollten<br />
uns in unserer Kleidung wohl-<br />
�ühlen, und gut aussehen sollte sie<br />
Orange leuchtende Wände, alternative Musik und<br />
eine ökologisch korrekte Speisekarte: Das sind die<br />
Markenzeichen des Vegi Voodoo Kings in Stu� gart.<br />
Ausschließlich vegetarisch und vegan ist hier<br />
das Essensangebot. Es reicht von abenteuerlichen<br />
Kreationen wie der Falafel »Franz Josef« (mit sü-<br />
auch. Hier lässt der Markt mi� -<br />
lerweile keine Wünsche mehr offen.<br />
Ob handbedruckt im Berliner<br />
Kleinbetrieb oder in einer Münchner<br />
Wohnung, ob aus studentischem<br />
Leichtsinn oder lang geplanter Label-<br />
Gründung: Die Macher der heutigen<br />
Global Responsible Fashion Szene<br />
lassen sich nicht einfach abstempeln,<br />
weder modisch noch menschlich. Eines<br />
verbindet sie alle: Eines Tages<br />
ist ihnen klar geworden, dass es so<br />
nicht weiter gehen kann. Sie wollen<br />
etwas verändern in dieser Welt.<br />
Tipp: Global Responsible Fashion wird<br />
unter anderem von Greenality, Armed<br />
Angels und Kuyi� i produziert.<br />
Eine aus�ührli� e Liste gibt es unter:<br />
h� p://bit.ly/ltzVW1<br />
ßem Sen�) oder »Obama« (mit Majo, Ketchup und<br />
Röstzwiebeln) bis hin zu selbst gemachten Pommes.<br />
Das Ambiente ist trendig im Retrostil gehalten.<br />
Allein wegen dieser Atmosphäre kommen<br />
viele Kunden immer wieder gern in den kleinen<br />
Imbiss neben der Königstraße.<br />
Die Schlange reicht o� bis auf den Gehweg – der<br />
Imbiss kann off enbar von dem Trend zum Vegetarismus<br />
profi tieren. Von seinen Kunden erwarten<br />
die Inhaber allerdings genauso viel Gutmenschentum<br />
wie von sich selbst: In der Online-Community<br />
Qype berichtete eine Kundin, dass sie in dem<br />
Imbiss nicht bedient worden sei. Der Grund: Sie<br />
trug einen Pro-Stu� gart-21-Bu� on.
DER BARMHERZIGE MILLIONÄR<br />
Von der Luxusvilla in die Alpenhütte: Ein erfolgreicher Geschäftsmann<br />
berichtet in seiner Autobiographie von seinem Sinneswandel.<br />
Eine Kritik von Sanja Döttling.<br />
Text: Sanja Döttling | Layout: Sebastian Nikoloff<br />
Karl Rabeder aus dem österreichischen Leonding<br />
hat es geschafft: Aus dem Marktstand<br />
der Familie entwickelt er ein erfolgreiches<br />
Unternehmen �ür Wohnaccessoires<br />
und verdient damit Millionen. Aber irgendwas, so<br />
sein Ge�ühl, ist nicht richtig. Rabeder beschließt,<br />
sein Geld zu teilen. Er verwendet seine Energie<br />
und seinen Einfallsreichtum seitdem darauf, unter<br />
anderem das Projekt MyMicroCredit aufzuziehen,<br />
das kleine Kredite an Menschen in Entwicklungs-<br />
und Schwellenländern vermittelt. Interessierte<br />
können ab 25 Euro Kredite vergeben und Projekte<br />
unterstützen. Seine Villa verlost Rabeder, sein<br />
Geld steckt in seinen Projekten. Zurzeit wohnt er<br />
in einer kleinen Hütte in Tirol, reist viel und gibt<br />
Seminare.<br />
In seinem autobiografi schen Buch »Wer nichts<br />
hat, kann alles geben« erzählt er seine Lebensgeschichte<br />
und die Entwicklung, die zu seinem<br />
»Wer ni� ts hat, kann alles geben«<br />
Karl Rabeder, 19,99 €, Ludwig Verlag<br />
Sinneswandel �ührte. Dabei versucht er, anderen<br />
Menschen den Anstoß zu geben, über ihr Leben in<br />
der kapitalistischen Gesellscha� nachzudenken.<br />
Als Leser entwickelt man schnell ein ambivalentes<br />
Verhältnis zu dem Buch: Der autobiografi -<br />
sche Aspekt wirkt gekünstelt, geradezu unecht.<br />
Es interessiert nicht, wieso er sich von seiner Frau<br />
trennte und welche anderen Frauen er danach<br />
kennenlernte. Oder warum Segelfl iegen seine große<br />
Leidenscha� ist. Der Leser kann sich nicht dem<br />
Ge�ühl entziehen, dass hier ein Ri� er von seinen<br />
Heldentaten schwärmt. Nicht von seinem Reichtum<br />
– auf den gibt er nichts – sondern von der<br />
Geschichte seiner Einsicht.<br />
Doch ist die persönliche Beziehung zur Hauptfi -<br />
gur Karl nicht der Hauptpunkt der Lektüre. Wenn<br />
das Buch als ein Beispiel da�ür angesehen wird,<br />
wie ein Mensch sein komple� es Leben auf den<br />
Kopf stellt, fi nden sich einige interessante Denkanstöße.<br />
Trotz allem: Seine � ese vom »gezielten<br />
Abbau des Bru� oinlandsprodukts« , in der er darlegt,<br />
dass es allen besser ginge, wenn sie weniger<br />
kau� en und auch weniger arbeiteten, da sie das<br />
Geld ja nicht mehr zum Einkaufen brauchten,<br />
wirkt weltfremd.<br />
Es ist wie eine Fabel von Rabeder, der auszog,<br />
um �ür andere zu lernen. Doch leider lernt der<br />
Mensch nur, was er selbst falsch macht. Und Rabeder<br />
lernt auch nicht �ür den Durchschni� sbürger:<br />
Wer nicht in die Bredouille kommt, extrem viel<br />
Geld zu haben und damit unglücklich zu sein, �ür<br />
den hat das Buch keinen Mehrwert. Was Rabeder<br />
seinen Lesern sagen möchte: Bist du reich, dann<br />
teile! Bist du es nicht, dann kaufe wenigstens mein<br />
Buch.<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
KULTUR<br />
17
KULTUR<br />
18<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)
DIE PROBLEME DER ANDEREN<br />
Muss man mit Mitte 20 einen Ehering tragen und sich auf die Zubereitung<br />
von Babybrei spezialisieren? NOIR-Autorin Miriam Kumpf findet das zu früh.<br />
Text: Miriam Kumpf | Layout: Tobias Fischer<br />
IMPRESSUM<br />
Mails, die das Stichwort »Hochzeit« enthalten,<br />
steigen in letzter Zeit explosionsartig<br />
an. Und wer nicht heiratet,<br />
bekommt Kinder. Mittlerweile ver�üge ich über<br />
eine ansehnliche Zahl von Ultraschallbildern, die<br />
mir mit Betreffs wie »Hallo, Tante Miri« zugeschickt<br />
wurden. Ich muss Beiträge �ür Hochzeitsbücher<br />
schreiben, mir peinliche Spiele überlegen,<br />
einen Junggesellinnenabschied organisieren, mich<br />
mit 15 Leuten auf ein gemeinsames Hochzeitsgeschenk<br />
einigen, die Frage klären, ob bei 15 Leuten<br />
jeder seine eigene Karte schreibt oder man eine<br />
Sammelkarte beilegt und mir über die Frage den<br />
Kopf zerbrechen, ob Lebensabschnittsge�ährten<br />
von Freundinnen den gleichen Beitrag zum Gemeinschaftsgeschenk<br />
leisten müssen, obwohl sie<br />
das Brautpaar kaum kennen. Eng verbunden mit<br />
der Kinder- und Ehe-Thematik sind Fragen wie:<br />
Eigenheim bauen oder Wohnung mieten? Aufs<br />
NOIR ist das junge Magazin<br />
der <strong>Jugendpresse</strong> Baden-<br />
Württemberg e.V.<br />
Ausgabe 21 – August 2011<br />
Herausgeber<br />
<strong>Jugendpresse</strong> Baden-Württemberg e.V.<br />
Fuchseckstraße 7<br />
70188 Stuttgart<br />
Tel.: 0711 912570-50 www.jpbw.de<br />
Fax: 0711 912570-51 buero@jpbw.de<br />
Chefredaktion<br />
Andreas Spengler andreas.spengler@noirmag.de<br />
(V.i.S.d.P., Anschrift wie Herausgeber)<br />
Anika Pfisterer anika.pfisterer@noirmag.de<br />
<strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong> susan.djahangard@noirmag.de<br />
Miriam Kumpf miriam.kumpf@noirmag.de<br />
Chef vom Dienst<br />
Alexander Schmitz alexander.schmitz@noirmag.de<br />
Lektorat<br />
Dominik Einsele dominik.einsele@noirmag.de<br />
Redaktion<br />
Silke Brüggemann (sb), Florian Carl (fc), <strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong><br />
(sd), Clara Dupper (cd), Sanja Döttling (sdl),<br />
Fabienne Kinzelmann (fk), Meike Krauß (mkr),<br />
Lisa Kreuzmann (lkr), Miriam Kumpf (mk),<br />
Karla Markert (km), Anika Pfisterer (apf), Sophie<br />
Rebmann (srm), Alexander Schmitz (als), Fabian<br />
Vögtle (fv), Jan David Zaiser (jz)<br />
redaktion@noirmag.de<br />
Layout & Art Director<br />
Tobias Fischer tobias.fischer@noirmag.de<br />
Layout-Team<br />
Tobias Fischer, Pascal Götz, Luca Leicht, Sebas -<br />
tian Nikoloff, Carolina Schmetzer, Simon Staib,<br />
Paul Volkwein layout@noirmag.de<br />
Anzeigen, Finanzen, Koordination<br />
Sebastian Nikoloff sebastian.nikoloff@noirmag.de<br />
Druck<br />
Horn Druck & Verlag GmbH & Co. KG, Bruchsal<br />
www.horn-druck.de<br />
Land ziehen oder in der Stadt bleiben? Master oder<br />
zweites Kind?<br />
Diese Fragen prasseln auf mich ein, während<br />
ich in meiner WG sitze. Hier würde ein Kind beim<br />
Wickeln im Badezimmer ohne gescheite Heizung<br />
erfrieren und ein Mann beim Anblick meiner Mitbewohnerin<br />
die Flucht ergreifen. Dennoch bin ich<br />
froh darüber, noch die Ich-Form zu kennen und<br />
nicht ständig von »wir« zu sprechen. Bevor ich<br />
mich auf die Zubereitung von Babybrei spezialisiere,<br />
will ich richtig kochen können. Und bevor<br />
ich mit einem Lebensabschni� sge�ährten darüber<br />
diskutiere, ob er weniger zum Hochzeitsgemeinscha�<br />
sgeschenk beisteuert, weil er das Brautpaar<br />
nicht so gut kennt, gehe ich lieber alleine<br />
auf Hochzeiten. Ja, vielleicht verdoppelt sich das<br />
Glück, wenn man es teilt. Aber defi nitiv verdoppeln<br />
sich auch Probleme. Die Frage, ob Einzel-<br />
oder Sammelkarte ist noch nicht beantwortet.<br />
Titelbilder<br />
Titel: seraph / photocase.com; Links: Clara Dupper;<br />
Mitte: banger1977 / flickr.com [CC-Lizenz]; Rechts:<br />
<strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong><br />
Bildnachweise<br />
S. 1 (oben): misterQM / photocase.com; S. 1 (unten,<br />
v.l.n.r.): Privat; Peter Scheerer; Privat; S. 2 (v.l.n.r.):<br />
shadowtricks / photocase.com; jarts / photocase.<br />
com; aussi97 / photocase.com; Hanna Ieva / www.<br />
jugendfotos.de; S. 3: Thomas Hoepker, courtesy<br />
Schirmer / Mosel; S. 4: shadowtricks / photocase.com;<br />
S. 5: kadluba / flickr.com (CC-Lizenz); S. 7: Privat (2x);<br />
S. 8/9: srlsguys / flickr.com (CC-Lizenz); S. 10: Rosi-<br />
Gollmann-Andheri-Stiftung; S. 11: Viva con Agua de<br />
Sankt Pauli, 2011 S. 13: mgroenne / photocase.com;<br />
S. 14: Jan Bitter; S. 17: Verlag Ludwig, Kiel; S. 20: urlauber_xt<br />
/ jugendfotos.de<br />
NOIR kostet als Einzelheft 2,00 Euro, im Abonnement<br />
1,70 Euro pro Ausgabe (8,50 Euro im Jahr, Vorauszahlung,<br />
Abo jederzeit kündbar).<br />
Bestellung unter der Telefonnummer 0711 912570-50<br />
oder per Mail an abo@noirmag.de.<br />
Für Mitglieder der <strong>Jugendpresse</strong> <strong>BW</strong> ist das Abonnement<br />
im Mitgliedsbeitrag enthalten.<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
QUERBEET<br />
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QUERBEET<br />
20<br />
OPA LERNT E-MAIL<br />
Vor einem halben Jahr hat NOIR-Autorin Fabienne Kinzelmann die Umzugskartons zu<br />
ihrem Opa nach Stuttgart geschleppt. Nun wird sie nicht nur liebevoll umsorgt, sondern<br />
muss sich auch an die vielen Eigenarten ihrer Großeltern gewöhnen.<br />
Text: Fabienne Kinzelmann | Layout: Luca Leicht<br />
» Sag mal, hast du auch so eine<br />
Adresse im Internet?«, fragt<br />
mich Opa. Innerlich grinse ich<br />
schon. Ganz neumodisch will er sich<br />
Thermoaufnahmen seines Hauses<br />
auf meinen Mail-Account zuschicken<br />
lassen. Man kann nicht sagen, Opa<br />
wäre kein technik-affiner Mensch.<br />
Aber das Internet ist �ür ihn ein<br />
Buch mit sieben Siegeln. Die Vorteile<br />
eines Laptops hat er dagegen längst<br />
erkannt. Man kann darauf DVDs<br />
mit Filmmaterial von 1927 anschauen.<br />
Auch Google Street View ist ihm<br />
dank aufmerksamer Zeitungslektüre<br />
ein Begriff. »Kannst du da mal unser<br />
Haus ran holen?«, fragt er. Das aber<br />
ist komplett unkenntlich. Opa grinst<br />
NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />
vergnügt. Hat er natürlich gleich<br />
machen lassen, über so ein Formular<br />
in der Zeitung. Ich notiere ihm meine<br />
Mailadresse. »Oh Gott, das kann<br />
ich ja gar nicht lesen!« Logisch, das<br />
@ hat er noch nicht gekannt. Also<br />
üben wir die Aussprache, wie man<br />
in der �ünften Klasse Englischvokabeln<br />
lernt: langsam, deutlich und im<br />
Chor. Opa ge�ällt es nicht, der Dumme<br />
zu sein – schließlich hat er mir<br />
über 60 Jahre Lebenserfahrung voraus.<br />
Einen Tag später wagt er sich<br />
an das Telefonat mit dem Thermofotografen,<br />
dem er meine Mail-Adresse<br />
übermittelt. Geduldig erkläre ich<br />
ihm danach, dass er mich nicht täglich<br />
fragen muss, ob die Bilder denn<br />
SOCKENZYKLUS<br />
Text: Anika Pfisterer<br />
Layout: Luca Leicht<br />
Es gibt gute und schlechte Zeiten �ür Sockenträger.<br />
Gute Zeiten sind die, in denen<br />
man vor Überfluss in seiner Sockenschublade<br />
baden könnte. Schlechte Zeiten sind die, in<br />
denen man nicht in seiner Schublade baden könnte,<br />
auch nicht wenn man von Sinnen wäre, weil da<br />
nichts ist außer löchrigen Fetzen. Man macht sich<br />
also Gedanken über die Extreme dieser Welt: Gibt<br />
es einen Sockengott und wenn ja, wer ist dann der<br />
Teufel? Der Massenkonsum! Achter-Packs in Sonderaktion<br />
zu Zehner-Packs hochgezüchtet, auf die<br />
es 25 Prozent Rabatt gibt, wenn man drei davon<br />
schon angekommen sind. E-Mail<br />
kommt nicht wie die Post zu festen<br />
Zeiten und hat eine viel geringere<br />
Lieferdauer. Außerdem könne ich<br />
quasi sofort sehen, wenn sein »Bilderpaket«<br />
in mein Postfach purzelt:<br />
Smartphone sei Dank. Drei Tage später<br />
holt mich Opa ans Telefon; der<br />
Fotograf ist dran. Die Bilder konnten<br />
nicht gesendet werden. Opa schaut<br />
wieder ganz verzweifelt auf die Notiz<br />
mit meiner Mail-Adresse. Er habe<br />
doch alles richtig vorgelesen: Meinen<br />
Vornamen, den Nachnamen, das<br />
@ und das gmx.de. Den Punkt zwischen<br />
Vor- und Nachnamen hat er<br />
allerdings vergessen. Er dachte, der<br />
sei bestimmt nicht so wichtig.<br />
kauft. Ein aberwitziger Kauf und wir sehen vor<br />
lauter Socken den Wald nicht mehr, behandeln unsere<br />
wohl wichtigste Ressource, als würde sie auf<br />
Bäumen nachwachsen. Wir laufen, laufen, laufen<br />
die Socken in Grund und Boden und ahnen nichts<br />
vom Loch, das von hinten anmarschiert. Eine fatale<br />
Phase, gleich der Marmelade, die noch lockt,<br />
wenn sie schon leise schimmelt. Da wir uns durch<br />
den zu�älligen Sockengriff einer Normalverteilung<br />
des Paargebrauchs nähern, also allen Socken<br />
eine gleich starke Reibung verpassen, tritt der geheime<br />
Kurz-vor-Loch-Status im Chor auf … und<br />
bähm, Strumpf-Katastrophe! Der Sockenchor singt<br />
das Lied vom Loch. Wir sollten unseren Hochmut<br />
ablegen oder ein Alarmsystem entwickeln, das der<br />
Unterversockung zuvorkommt. Zweiteres bitte!<br />
Aber wo bleibt die Sockenforschung? Kein Mucks,<br />
kein Nix. Was soll’s, gehen wir eben barfuß und<br />
überlassen das Socken-Problem anderen. Soll der<br />
Adel sich damit rumschlagen.
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VERANSTALTER: KO<br />
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