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Susan Djahangard - Jugendpresse BW

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LIFESTYLE<br />

Was du diesen<br />

Sommer unbedingt<br />

tun solltest<br />

Nachhaltig<br />

verunsichert<br />

Wenn alles öko wird …<br />

REPORTAGE<br />

Selbstversuch:<br />

eine Woche ohne<br />

Mülleimer<br />

Ausgabe 21 (August 2011)<br />

THEMA<br />

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Art Director Tobias träumte schon<br />

lange von einem neuen NOIR-Design<br />

– lu� iger, frischer, edler. Wochenlang<br />

feilte er, entwarf Skizzen<br />

und diskutierte mit der Chefredaktion.<br />

Seinen wahr gewordenen Traum<br />

habt ihr vor Augen. Tobias freut sich<br />

über Lob, Kritik und Anregungen:<br />

tobias.fi s� er@noirmag.de<br />

DIE SUSU UND IHR ÖKOBROT<br />

Ich bin ein richtiges Bio-Kind. Meine Klassenkameraden bekamen Weißbrot<br />

mit Nutella, ich nur Vollkornbrot mit vegetarischem Brotaufstrich garniert. Bei<br />

Aldi war ich mit meiner Mutter noch nie, dafür ziemlich oft im Naturkostladen;<br />

ihren Bio-Tick konnte ich nie verstehen. Meine Freundinnen amüsierten sich<br />

über »die Susu und ihr Ökobrot«. Doch irgendwann waren sie mutig genug,<br />

von meinem Brot zu probieren. Von da an blieb mir maximal die Hälfte.<br />

Das hat bleibende Spuren hinterlassen. Mittlerweile leide nicht mehr ich unter<br />

meiner Mama, sondern meine Mitbewohnerin unter mir. Regelmäßig holt sie<br />

mich zurück in die Studentenrealität. »Du sollst unsere gemeinsame Haushaltskasse<br />

nicht für soviel Öko-Gemüse verscherbeln«, befiehlt sie mir. Meine<br />

unterschwellige Überzeugungsarbeit hat dennoch Erfolg: Ökoäpfel schmecken<br />

einfach besser. Wie öko nicht nur ich bin, sondern unsere ganze Welt heute ist,<br />

darüber lest ihr in dieser NOIR. Viel Spaß beim Schmökern!<br />

<strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong>, Chefredakteurin<br />

Alexander macht sein Hobby zum<br />

Beruf: Im September beginnt er eine<br />

Fotografen-Ausbildung in Stu� gart.<br />

Der NOIR bleibt Alexander natürlich<br />

treu und schenkt ihr sogar die<br />

Idee �ür eine neue Serie: »Journalistische<br />

Vorbilder«. Im ersten Teil<br />

geht es – wer hä� e es anders gedacht<br />

– um einen Fotografen.<br />

Alles beginnt mit einem Buch über<br />

Müll, über die Bedrohung des Planeten<br />

und die Gefahr �ür unsere Gesundheit.<br />

Nach der Lektüre ist Silke<br />

entsetzt – und �ühlt sich schuldig.<br />

Für sie gibt es nur einen Weg: Sie<br />

muss den Selbstversuch wagen. Eine<br />

Woche ohne Mülleimer. Kann das<br />

gut gehen? Ihr erfahrt es auf Seite 8.<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

EDITORIAL<br />

1


INHALT<br />

2<br />

�� EDITORIAL<br />

NOIR INTERN<br />

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NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

04 TITEL<br />

PORTRÄT. DER »BILDERFA-<br />

BRIKANT« THOMAS HÖPKER<br />

TITEL. DER ÖKO – PHILOSO-<br />

PHIE, STIL, EINSTELLUNG<br />

TITEL. PRO & CONTRA UM-<br />

WELTBEWUSSTSEIN<br />

REPORTAGE. LIEBER EKLIG ALS<br />

UMWELTSCHÄDLICH<br />

INTERVIEW. ROSI GOLLMANN<br />

ÜBER ENTWICKLUNGSHILFE<br />

TITEL. JUNGE WELTVERBESSE-<br />

RER IM PORTRÄT<br />

INHALTSÜBERSICHT<br />

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07 DISKUSSION<br />

LIFESTYLE. TO-DO-LISTE: IM<br />

SOMMER SOLLTE MAN …<br />

WISSEN. HOCHBEGABTE: DAS<br />

RECHT AUF BILDUNG<br />

WISSEN. DIE KURTAXE ALS<br />

SAHNEHÄUBCHEN<br />

REPORTAGE. DAS INTELLIGEN-<br />

TE HAUS MITTEN IN BERLIN<br />

TITEL. ÖKO-SCHICK: FAIRE<br />

KLEIDUNG IST IM TREND<br />

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12 LIFESTYLE<br />

19 QUERBEET<br />

TITEL. VEGI VODOO KING:<br />

FALAFEL »FRANZ JOSEF«<br />

KULTUR. VOM TEILEN: LIEBER<br />

WENIGER ALS VIEL<br />

QUERBEET. HOCHZEITSFIEBER<br />

IMPRESSUM<br />

QUERBEET. MODERNE WELT:<br />

OPA LERNT E-MAIL<br />

QUERBEET. PAARWEISE KA-<br />

PUTT – DER SOCKENZYKLUS


DER BILDERFABRIKANT<br />

Mit seinen Fotografien prägte er das Bildgedächtnis des vergangenen halben Jahrhunderts:<br />

Thomas Höpker gehört zu den bedeutendsten deutschen Fotojournalisten. Heute<br />

noch ist der 75-Jährige Vorbild für junge Fotografen.<br />

Text: Alexander Schmitz | Layout: Tobias Fischer<br />

Blauer Himmel über New York. Am Ufer<br />

des Hudson sitzen �ünf junge Erwachsene<br />

und unterhalten sich, umgeben von sattem<br />

Grün. Im Hintergrund steigt eine dunkelgraue<br />

Rauchwolke auf; es ist der 11. September 2001.<br />

Thomas Höpkers Foto zeigt den Kontrast zwischen<br />

dem Terroranschlag auf das World Trade<br />

Center und der Idylle des amerikanischen Alltags.<br />

Seine Bildsprache ist ein�ühlsam und zurückhaltend,<br />

nicht bloßstellend. Seine Bilder sind weder<br />

überdeutlich noch sensationsgierig oder schockierend;<br />

sie stehen in der Tradition der »human<br />

interest photography«, sind oftmals gesellschaftskritisch<br />

und spiegeln ein humanistisch geprägtes<br />

Weltbild wider.<br />

Geprägt wurden die Fotografi en des gebürtigen<br />

Münchners auch durch seine Überlegung: »Ein<br />

Bild kann nur dann ehrlich sein, wenn der Fotograf<br />

sich von seinem Motiv angesprochen �ühlt,<br />

wenn er sich quasi selbst in seinem Motiv erkennt.<br />

So gesehen ist jedes gute Foto ein Selbstporträt.«<br />

Grünheide, Ost-Berlin, 1974. Turniertänzer vor<br />

einem We� bewerb. Drei junge Männer im schwarzen<br />

Anzug posieren mit ihren Tanzpartnerinnen<br />

in knalligen Kleidern. Als einer der ersten westdeutschen<br />

Fotografen dur� e � omas Höpker das<br />

Alltagsleben in Ostdeutschland dokumentieren.<br />

Zusammen mit seiner Frau, einer Journalistin, berichtete<br />

er zwei Jahre �ür das Magazin Stern aus<br />

der DDR. Seine Bilder zeigen ein Land, das nicht<br />

den gängigen Klischees entspricht. Sie zeigen den<br />

Alltag, der sich mehr im Verborgenen, im Familiären<br />

und Privaten abspielt. Als Fotojournalist<br />

arbeitete � omas Höpker nicht nur �ür den Stern,<br />

sondern auch �ür die Zeitschri� en Kristall, twen<br />

und Geo. Als Art Director war er bei der amerikanischen<br />

Ausgabe von Geo und dem Stern. Von 2003<br />

bis 2007 war er Präsident der renommierten Fotoagentur<br />

Magnum Photos. Auf die Authentizität und<br />

den dokumentarischen Charakter der Fotografi e<br />

legt er Wert. Er versteht sich nicht als Künstler,<br />

sondern als Au� ragsfotograf: »I am not an artist. I<br />

am an image maker.«<br />

Einen Überbli� über sein Werk bietet das Bu� »� omas<br />

Hoepker – Photographien 1955-2005«, ers� ienen<br />

im S� irmer / Mosel Verlag.<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

PORTRÄT<br />

3


TITELTHEMA<br />

4<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)


Zerzaustes Haar, weite Leinenklamotten,<br />

Birkenstock-Latschen – so sah er aus, der<br />

Stereotyp eines »Ökos« in den 70er und<br />

80er Jahren. Birkenstocks trägt jener umweltbewusste<br />

Typus heute noch, nur sind diese nicht<br />

mehr tarnbraun, sondern auf�ällig chic – in glänzender<br />

Lack-Optik. Steckt im 21. Jahrhundert noch<br />

Überzeugung hinter einem öko-bewussten Leben<br />

oder nur heiße Luft?<br />

Es hat sich einiges getan, seit die erste grüne<br />

Welle Deutschland erreichte. Waren Ökos vor vielen<br />

Jahren noch verschrien und wurden müde belächelt,<br />

so können sich Bio-Supermärkte heute vor<br />

Ansturm kaum noch re� en. Erste Umweltschutzbewegungen<br />

gab es bereits in der Wende vom 19.<br />

zum 20. Jahrhundert aus romantischer Überzeugung:<br />

Man wollte die Heimat erhalten. Die Heimat,<br />

das waren verträumte Dörfchen inmi� en<br />

unberührter Natur – ein Ideal. Heimatvereine<br />

wurden gegründet, um die Natur vor den Folgen<br />

der Industrialisierung zu schützen, genauer: vor<br />

einer Verstädterung. In den 70er Jahren entstand<br />

eine zweite Öko-Bewegung. Inspiriert von den<br />

Studentenbewegungen der 60er Jahre gab es in<br />

Deutschland eine Welle von sogenannten »neuen<br />

sozialen Bewegungen« – darunter auch die Umweltschutzbewegung.<br />

Was wollte sie? Vor allem<br />

die Atomenergie abschaff en.<br />

Umweltschutz ist demnach ein Ergebnis des<br />

technischen Fortschri� s und der Industrialisierung.<br />

Und tatsächlich, die Anti-Atomkra� -Gegner<br />

entwickelten sich zur größten Gruppierung der<br />

neuen Protestbewegungen. � eoretisch gibt es<br />

aber auch eine andere Begründung: den Postmate-<br />

DER ÖKO<br />

Eine Philosophie, ein Stil, eine Einstellung;<br />

wo er hin wollte und wo er jetzt ist.<br />

Text: Lisa Kreuzmann | Layout: Tobias Fischer<br />

rialismus, ein Begriff aus der Soziologie. Postmaterialisten<br />

sind Menschen, denen es nicht genügt,<br />

nur materielle Dinge zu besitzen. Sie wollen mehr.<br />

Sie wollen wissen, was hinter den Dingen steckt.<br />

Sie wollen kein Geld, keine teure Uhr, keinen schicken<br />

Sportwagen; Postmaterialisten streben nach<br />

Glück, Freiheit, Liebe und eben auch nach Umweltschutz.<br />

So ist dieser � eorie nach zwar die Industrialisierung<br />

in den westlichen Ländern Ursache<br />

�ür die Öko-Bewegung, aber nicht deren Folgen<br />

�ür die Natur – sondern vielmehr deren Auswirkungen<br />

auf die menschliche Psyche.<br />

Ronald Inglehart, ein amerikanischer Politologe,<br />

ist der Überzeugung: Menschen streben immer<br />

nach dem, was sie nicht besitzen. Im Alltag<br />

mögen das Dinge wie ein a� raktives Äußeres,<br />

ein volles Konto oder ein schicker Wohnort sein.<br />

Sind Grundbedürfnisse wie Hunger, Hygiene und<br />

Unterkun� gestillt, möchten wir mehr. Nach Inglehart<br />

gehört auch der Umweltschutz zu diesem<br />

»Mehr«. So haben sich durch den neu gewonnenen<br />

Wohlstand die Werte verschoben; der Schutz unserer<br />

Umwelt hat an Bedeutung gewonnen, jetzt,<br />

da unsere Grundbedürfnisse gestillt sind. Mit der<br />

Partei Bündnis 90 / Die Grünen fand Umweltschutz<br />

schließlich auch politische Repräsentation.<br />

Bei McDonald‘s würden Parteimitglieder der<br />

Grünen sicherlich nie dinieren und wenn, sollten<br />

sie sich zumindest nicht dabei erwischen lassen.<br />

Für den umweltbewussten Menschen des 21. Jahrhunderts<br />

jedoch kein Problem. Schließlich gibt es<br />

bei der Fast-Food-Ke� e inzwischen nicht nur Salat;<br />

das goldene »M« möchte sich in Zukun� in einem<br />

anderen Licht präsentieren.<br />

▶<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

TITELTHEMA<br />

5


TITELTHEMA<br />

6<br />

Vorbei das ungesunde Fast-Food-Image – selbst die fettigsten Burger werden Bio<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

Ein grüner Hintergrund muss her, damit Bio-<br />

Burger �ür »Ökos« a� raktiv werden. Wenn selbst<br />

die Fast-Food-Ke� e McDonald‘s versucht, auf das<br />

neue grüne Boot aufzuspringen, wird klar, dass<br />

Umweltbewusstsein im 21. Jahrhundert eine neue<br />

Dimension erreicht hat. Grün zieht, Bio boomt. Der<br />

moderne Öko muss sich im Gegensatz zu seinem<br />

Pendant aus den 70ern nicht mehr da�ür rechtfertigen,<br />

Brot selbst zu backen und ausschließlich in<br />

Bio-Supermärkten oder auf Bauernhöfen einzukaufen.<br />

Im Gegenteil: Da�ür fi ndet er sogar Anerkennung.<br />

Ein modernes Produkt, das in keiner Szene-<br />

Kneipe fehlt: Bionade. Sie ist seit 1997 auf dem<br />

Markt und seit einiger Zeit auch im Angebot von<br />

McDonald‘s. Der Name ist Programm: eine Bio-Limonade.<br />

Doch nicht überall, wo »Bio« draufsteht,<br />

ist auch Bio drin. Die Zeitschri� Öko-Test bewertete<br />

das Szenegetränk nur mit einer drei. Dennoch,<br />

Bionade und Co scheinen Teil eines neuen Lebensstils<br />

geworden zu sein. Mode-Label locken damit,<br />

ihre Kleidung aus ökologischen Materialien anzufertigen,<br />

Restaurants hängen voller Stolz Bio-Zertifi<br />

kate auf, die garantieren, dass hauptsächlich<br />

Produkte aus »kontrolliert-biologischem Anbau«<br />

verwendet werden. Öko-Designer versprechen,<br />

dass Lampe, Schreibtisch und Gartenmöbel ökologisch<br />

vertretbar sind. Bio-Dessous, Bio-Kosmetik<br />

bis hin zur Öko-Kfz-Versicherung, bio soweit das<br />

Auge reicht.<br />

Das Konzept geht auf: Laut dem Öko-Barometer<br />

gaben 2010 49 Prozent der Befragten an, Bio-<br />

Produkte zu kaufen. Die Neu-Ökos haben mehrere<br />

Namen: Neo-Ökos, Lohas, Ökos 2.0, Öko-Yuppies,<br />

Bioheme oder Scuppies werden sie tituliert. Da<br />

verliert Öko schnell den Überblick – umweltbewusst<br />

und Bio-Einkäufer, doch welcher der Gruppen<br />

gehört Öko nun an? Die Abkürzung Lohas<br />

steht �ür das Englische »Lifestyles of Health and<br />

Sustainability«, ein Lebensstil, der Wert auf Gesundheit<br />

und Nachhaltigkeit legt. Ein Lebensstil<br />

also – doch steckt auch eine Überzeugung dahinter?<br />

Hat der besser verdienende »Loha«, der bio<br />

kau� , Porsche �ährt und iPod hört, denn auch politische<br />

Ziele? Ein Porsche fahrender Träger eines<br />

Atomkra� -Nein Danke-Stickers? Wohl eher nicht<br />

– die Lohas wollen nicht mehr die Welt re� en,<br />

sondern ihr Gewissen, heißt es.<br />

Woher kommt also der neue Öko-Wahn? Laut<br />

Öko-Barometer wollen Loha, Scuppie und Co mit<br />

dem Kauf von Öko-Produkten unter anderem<br />

eine »artgerechte Tierhaltung« sowie eine »geringe<br />

Schadstoff belastung« unterstützen. Nun ist<br />

es doch so, dass das neue Öko-Bewusstsein nicht<br />

mehr das von armen Leuten ist. Ein Öko-Trend<br />

als Folge des Wohlstandes? Wie Ronald Inglehart<br />

formulierte: Würden Ökos noch um den Sonntagsbraten<br />

bangen müssen, wäre eine artgerechte<br />

Tierhaltung sicherlich zweitrangig. Demnach<br />

rührt unser neues Umweltbewusstsein daher, dass<br />

wir uns mit banalen Dingen wie der Aufnahme<br />

von genügend Nährstoff e nicht mehr beschä� igen<br />

müssen.<br />

Wenn Öko tatsächlich zu einem Lebensstil<br />

geworden ist, bleibt nicht aus, dass der ein oder<br />

andere Bio-Fan vielmehr den Stil als die Bio-Produkte<br />

genießt. Die Nachfrage nach Bio-Produkten<br />

ist inzwischen so groß, dass heimische Bauern den<br />

Bedarf nicht mehr decken können. Bleibt die Frage<br />

nach der Nachhaltigkeit. Nicht nach der von Öko-<br />

Design und Co, sondern nach der Nachhaltigkeit<br />

des neuen Öko-Trends. Wie lange wird er andauern?<br />

Flaut die Trendwelle wieder ab, muss sich unsere<br />

Umwelt eben auf den Alt-Öko in Leinen und<br />

Birkenstocks verlassen; diesen Überzeugungstäter<br />

gibt es nach wie vor.


NACHHALTIGKEIT – EIN SCHLAGABTAUSCH<br />

NOIR-Autoren zum Thema Nachhaltigkeit: Clara Dupper fordert nicht nur<br />

umweltfreundliches Denken, sondern entsprechendes Handeln.<br />

Der Mensch sei nicht zum Verzicht geboren, hält Jan Zaiser dagegen.<br />

PRO: WIR MÜSSEN ÖFTER<br />

MAL DEN STECKER ZIEHEN.<br />

Die Bereitschaft<br />

zum Engagement<br />

�ür die Umwelt steigt,<br />

das zeigt eine Umfrage<br />

des Bundesumweltministeriums<br />

vom März<br />

2010. Der Anteil derer,<br />

die sich �ür die Umwelt<br />

engagieren, habe sich<br />

von vier (2008) auf neun<br />

Prozent (2010) mehr als<br />

verdoppelt. Das � ema<br />

Umweltschutz landet als eine der<br />

wichtigsten politischen Aufgaben<br />

auf Platz drei.<br />

Die Bereitscha� hierzu kann ich<br />

nur bei wenigen Bürgern feststellen.<br />

Die Grünen zu wählen und über<br />

Energie-Effi zienz und Nachhaltigkeit<br />

Bescheid zu wissen, reicht nicht aus.<br />

Das Handeln ist ausschlaggebend.<br />

Mit kleinen Handgriff en im Alltag<br />

kann jeder einen Beitrag leisten: im<br />

Wohnzimmer die Heizkörper nicht<br />

zustellen oder Elektrogeräte nicht<br />

im Stand-by-Modus laufen lassen.<br />

Die Dusche beim Einseifen abstellen,<br />

die Stopptaste der Toile� enspülung<br />

benutzen und beim Kochen einen<br />

Deckel auf die Töpfe setzen. An sich<br />

banal, doch viel zu wenige setzen<br />

diese Punkte wirklich um. Zeigt Umweltbewusstsein<br />

– zieht ö� er mal<br />

den Stecker!<br />

Text: Clara Dupper & Jan Zaiser | Layout: Sebastian Nikoloff<br />

CONTRA: WIR SIND NICHT<br />

ZUM VERZICHT FÄHIG!<br />

Es gibt Dinge, �ür<br />

die lohnt es sich<br />

zu kämpfen: eine Welt<br />

ohne Krieg, keine<br />

Machtmonopole in der<br />

Wirtschaft oder Bildung<br />

�ür alle. Da bleibt<br />

keine Zeit �ür Utopien!<br />

Wir werden nie in einer<br />

Welt ohne Armut<br />

leben und das Böse<br />

vernichten. Da�ür ist<br />

der Mensch nicht gemacht. Ebenso<br />

wenig wie �ür echte Nachhaltigkeit.<br />

Machen wir uns nichts vor: Wer<br />

würde auf das Licht beim Abendessen<br />

verzichten, weil Windräder nicht<br />

durchgängig Strom produzieren?<br />

Wer würde auf sein leckeres, preiswertes<br />

Salamibrot verzichten, weil<br />

ohne Massentierhaltung der Preis �ür<br />

das Fleisch zu hoch wird? Wer würde<br />

auf das stundenlange Shoppen bei<br />

H&M verzichten, weil plötzlich auch<br />

Kleidung bio sein muss? Wer will 549<br />

Euro ansta� 19,99 Euro �ür seinen<br />

Flug nach Griechenland zahlen, weil<br />

teurer Biosprit vorgeschrieben wird?<br />

Wer würde auf all das verzichten,<br />

was sein Leben ausmacht? Nachhaltig<br />

lebt der, der nicht nur einen Teil<br />

seines Kuchens abgibt, sondern den<br />

ganzen Kuchen. Und das geht gegen<br />

die Natur des Menschen.<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

TITELTHEMA<br />

7


REPORTAGE<br />

8<br />

LIEBER EKLIG ALS UMWELTSCHÄDLICH<br />

Kaufen und Wegwerfen trägt nicht gerade dazu bei, die Welt zu retten. NOIR-Autorin<br />

Silke Brüggemann hat eine Woche lang versucht, absolut nachhaltig zu leben.<br />

Text: Silke Brüggemann | Layout: Tobias Fischer | Illustration: Sebastian Nikoloff<br />

NOIR NOIRNNr.<br />

21 (August 2011)<br />

Ein gemütlicher Abend auf der Couch mit<br />

dem Buch »The Story of Stuff«. Autorin<br />

Annie Leonard schreibt über Recycling<br />

und eine Reise nach Bangladesch. Denn dort gibt<br />

es keine Mülltonnen. Was nicht mehr gebraucht<br />

wird, wird weiterverwendet oder verschenkt.<br />

Nach der Lektüre bin ich schockiert und �ühle<br />

mich schuldig. Ich bin froh, wenn Schmierzettel,<br />

Verpackungen und abgenutzte Filzsti� e auf<br />

Nimmerwiedersehen in der Tonne verschwinden.<br />

Kann ich etwas von dem System in Bangladesch<br />

lernen? Ich entscheide mich, eine Woche ohne<br />

Mülleimer zu leben.<br />

Mein erster Morgen beginnt mit einem Fehltri� .<br />

Sechs Uhr ist eindeutig zu früh, um nachhaltig<br />

zu sein. Mein Kosmetiktuch fl iegt ein paar Mal<br />

übers Gesicht und dann ab in den Mülleimer neben<br />

dem Waschbecken. Mein Arm kann einfach<br />

nicht anders. Das war das letzte Mal in dieser Woche<br />

– versprochen!<br />

Nachmi� ags fl aniere ich über den Stu� garter<br />

Schlossplatz. Die Sonne scheint, ich laufe durchs<br />

grüne Gras, geselle mich zu den anderen Sonnenanbetern<br />

und schlürfe meinen La� e Macchiato to<br />

go. Kaum ist der Kaff ee weg, habe ich ein Problem:<br />

Wohin mit dem leeren Becher und dem Strohhalm?<br />

Ich stelle ihn erstmal vorsichtig in meine Tasche<br />

und hoff e, dass die Bibliotheksbücher keinen Kaffeefl<br />

eck abbekommen. Zum Pappbecher kommt<br />

an diesem Tag noch einiges dazu: Papiertüten,<br />

Yoghurtbecher, gebrauchte Spielsachen. Zeit, den<br />

Müll gleich zu verarbeiten, habe ich nicht. Das Re-<br />

sultat: Abends quellen mir Plastikfolien aus der<br />

Hosentasche. Ich hole mir eine Kiste, schleudere<br />

alles hinein und setze einen Müllverarbeitungstermin<br />

in den Kalender.<br />

Auf dem Balkon fi nde ich den alten Spielzeugbaukasten<br />

meines Bruders. Früher hä� e ich das in<br />

hohem Bogen in die Mülltonne geworfen. Heute<br />

putze ich die Sachen liebevoll, bis alles glänzt. Aus<br />

feuerwehrautorot ist bei meinem Eifer blassrosa<br />

geworden. Trotzdem suche ich ein Kind, dem ich<br />

das schenken könnte. Mein neues nachhaltiges Ich<br />

merkt sich: »Kauf nichts, was du nicht später irgendwie<br />

loswirst.«<br />

Später durchsuche ich meine Müllkiste und frage<br />

mich, was ich mit dem Strohhalm denn jetzt<br />

machen soll. In Zukun� werde ich wohl als zickige<br />

Ökodiva mit eigenem mitgebrachten Strohalm die<br />

Bedienung im Cafe zur Weißglut treiben. Bleibt<br />

vom La� e to go noch der Becher.<br />

Was ich damit machen soll, weiß ich nicht. Das<br />

nächste Mal trinke ich meinen Kaff ee nur dort, wo<br />

es echte Porzellantassen gibt, beschließe ich. Plötzlich<br />

verstehe ich, warum es Leute gibt, die ohne<br />

� ermokaff eebecher nicht leben können. In meiner<br />

Kiste glitzert mir ein Haufen Schokoladenpaa-pierchen, Hundefu� er- und Chipstüten entgegen.<br />

Mir �ällt ein, dass ich als Kind Bastelanleitungen<br />

�ür Folienperlen ha� e. Früher fand ich das doof,<br />

heute ist die Idee meine Re� ung. Bleibt nur noch<br />

die Frage, wer so eine Perlenke� e tragen würde.<br />

Was mache ich aber mit den durchsichtigen Folien?<br />

Ich packe sie in meine Kiste mit gebrauch-


tem, aber wieder verwendbarem<br />

Versandmaterial. Die ha� e ich zwar<br />

früher schon, richtig benutzt wird<br />

sie aber erst jetzt. Meine gebrauchten<br />

Kosmetiktücher kann ich, in Folie<br />

eingewickelt, als Polster benutzen,<br />

wenn ich dass nächste mal ein Paket<br />

verschicke. Ich selbst �ände es eklig,<br />

wenn mir jemand seine gebrauchten<br />

Badab�älle schickt. Aber diese Woche<br />

bin ich lieber eklig als umweltschädlich.<br />

Drei Kilogramm Prospekte sammle<br />

ich in dieser Woche. Ein Stapel so<br />

hoch wie eine Fußbank und so unhandlich<br />

wie ein Aal im Einkaufszentrum.<br />

Prospekte blä� ern ist mein<br />

Samstagsritual, so gemütlich wie ein<br />

Schaufensterbummel von der Couch<br />

aus. Aber ich weiß nicht, was ich mit<br />

den Resten machen soll.<br />

Hä� e ich Kinder, würde ich die abgebildeten<br />

Produkte ausschneiden,<br />

auf den Karton meiner Keksschachteln<br />

kleben und ihnen die als Produkte<br />

eines Kaufsmannsladen zum<br />

Spielen geben. Ob ich den Kindern in<br />

der Nachbarscha� damit eine Freude<br />

machen kann, bezweifl e ich und<br />

traue mich nicht, »diesen Müll« – ich<br />

höre die Stimmen schon – zu verschenken.<br />

Deshalb mache ich aus<br />

dem Papier Füllungen �ür meine Dekokissen.<br />

Ich sehe, wie der Schredder<br />

die Blä� er verschluckt und feine<br />

Schnipsel ausspuckt, die sich im Auffangeimer<br />

ineinander verheddern.<br />

Doch die Prospekte werden immer<br />

dicker, der Schredder quält sich<br />

durch das Papier. Irgendwann kommt<br />

er nicht mehr durch und bleibt hängen.<br />

Nun scheint der Schredder<br />

selbst ein Fall �ür die Mülltonne zu<br />

sein, aber ich lasse nicht locker. Ich<br />

suche jemanden, der ihn reparieren<br />

könnte. Aber alle Hobbybastler, die<br />

ich kenne, sind im Urlaub. Welch<br />

tragisches Ende �ür eine umweltbewusste<br />

Woche.<br />

Nach dem Experiment fi nde ich<br />

es entlastend, die Mülltonne wieder<br />

benutzen zu dürfen. Mein nachhaltiges<br />

Ich meldet sich trotzdem immer<br />

wieder und fl üstert, wenn ich den<br />

Mülltonnendeckel hebe: »Nein, tu<br />

das nicht. Kannst du deinem Müll<br />

nicht ein neues Zuhause geben?«<br />

Obwohl die Woche vorbei ist, überlege<br />

ich mir, wer was gebrauchen<br />

könnte. Ein Weiterverschenksystem<br />

�ür Müll, das wäre doch etwas �ür<br />

die Zukun� , denke ich. Und stehe<br />

jetzt schon beim Hausschuhkauf<br />

vor einem Problem, weil ich selbst<br />

durch mein Experiment nachhaltig<br />

geschädigt wurde: Das billige Paar,<br />

das bestimmt in zwei Monaten wieder<br />

kapu� ist oder die teuren Ökolatschen?<br />

Vielleicht laufe ich einfach<br />

barfuß – das ist günstig, gesund und<br />

umweltfreundlich.<br />

Annie Leonard ist Umweltexpertin<br />

und arbeitet unter anderem �ür<br />

Greenpeace. Ihr Projekt »� e Story of<br />

Stuff « begann mit einer Reihe von Internetfi<br />

lmen. Später sammelte sie ihre<br />

Ergebnisse in einem Bu� , in dem sie<br />

aufzeigt, wie die Konsumgesells� a�<br />

die Umwelt ge�ährdet. Sie s� ildert die<br />

Stationen des Lebens eines Gegenstandes:<br />

von der Planung, Herstellung und<br />

dem Vertrieb über die Benutzung bis<br />

zum Recycling. Dazu gibt es viele Fakten,<br />

Zahlen, Beispiele und Zitate von<br />

Experten. Trotzdem bleibt es au� �ür<br />

Laien gut verständli� . Ein Bu� , das<br />

au� Shoppingfreaks zum Na� denken<br />

anregt.<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

REPORTAGE<br />

9


INTERVIEW<br />

10<br />

» NIEMAND LEBT ALLEINE! «<br />

Rosi Gollmann hat das Helfersyndrom und steckt damit andere<br />

Leute an. Mit NOIR spricht sie über ihr Engangement, falsche<br />

Entwicklungshilfe und egoistische Esel.<br />

Text: Sophie Rebmann | Layout & Illustration: Carolina Schmetzer<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

Mit 18 Jahren verkündet<br />

Rosi Gollmann ihren<br />

Eltern, dass sie keinen<br />

Mann will. Sie möchte sich ganz<br />

sozialen Aufgaben widmen. Heute<br />

ist Gollmann 84 Jahre alt und �ährt<br />

�ür die Hilfsorganisation Andheri-<br />

Hilfe regelmäßig durch Deutschland.<br />

Immer wieder kommen ehemalige<br />

Schüler zu der Lehrerin, um von ihrem<br />

eigenen Engagement zu erzählen.<br />

»Ich habe es geschafft, sie sozial<br />

zu infizieren«, meint Rosi Gollmann.<br />

Frau Gollmann, wie infi ziert man junge Mens�<br />

en sozial?<br />

Junge Leute haben ein Bedürfnis nach Gerechtigkeit<br />

und schauen über den eigenen Tellerrand.<br />

Ich erzähle, was ich sehe und woran ich arbeite.<br />

Zwischen Hören, Wahrnehmen und Umsetzen ist<br />

aber ein Unterschied. Man muss die Hürde nehmen,<br />

selbst aktiv zu werden.<br />

Warum helfen Sie?<br />

Niemand lebt �ür sich alleine. Menschen, die<br />

um sich selbst kreisen, sind nicht die glücklichsten.<br />

Auch �ür mich war es nicht immer einfach.<br />

Heute habe ich es nicht gescha� , die Vorträge �ür<br />

nächste Woche vorzubereiten, das werde ich heute<br />

Nacht tun. Aber ein Seniorenheim wäre nichts<br />

�ür mich. Und was man gibt, bekommt man auch<br />

zurück.<br />

Zuwendung ist ja keine Einbahnstraße. Vor<br />

vielen Jahren bekam ich einen Anruf aus Indien.<br />

Fast eine komple� e Familie war an einer schweren<br />

Krankheit gestorben. Nur ein 14-jähriges Mädchen<br />

lebte noch, sie brauchte aber ein Medikament.<br />

Dann bin ich eben erst zur Apotheke gegangen,<br />

dann zum Flughafen, habe das schicken lassen<br />

und die Geschichte schon fast vergessen. Nach<br />

Jahren kam eine Mail. Die Frau lebte nun in Amerika<br />

und bedankte sich bei mir.<br />

Glauben Sie, dass jeder das Bedürfnis hat, zu helfen?<br />

Dann müsste ja jeder helfen wollen. Nein, das<br />

ist eine persönliche Entscheidung. Das Allerwichtigste<br />

ist zu merken: Ich bin kein Esel, ich lebe nicht<br />

�ür mich alleine, sondern ich habe in der Welt meinen<br />

Platz einzunehmen. Man wird nur glücklich,<br />

wenn man miteinander und �üreinander lebt.<br />

Au� in Deuts� land haben wir jede Menge Probleme<br />

– warum sind Sie gerade in Indien tätig?<br />

Man kann nun wirklich nicht sagen, dass ich<br />

mich in Deutschland nicht engagiere. Ich kümmere<br />

mich hier um die Nachbarscha� shilfe und<br />

mache Altenbesuche. Aber man kann nicht auf<br />

allen Hochzeiten tanzen, man muss sich auf etwas<br />

konzentrieren.<br />

Was muss bea� tet werden, um gute Entwi� -<br />

lungshilfe zu leisten?<br />

Man muss vor allem Respekt haben vor den<br />

Menschen. Die Spenden nicht aus Barmherzigkeit<br />

von oben herab regnen lassen, sondern den Menschen<br />

die Hand reichen. Man muss sie solange an<br />

der Hand halten, wie sie es brauchen. Aber sobald<br />

sie selbst laufen können, die Hand loslassen.<br />

Gibt es Projekte, die sie s� on loslassen konnten<br />

und die nun alleine laufen?<br />

Aber natürlich. Wir haben über 3 000 Projekte<br />

abgeschlossen. Wir würden nie ein Projekt beginnen,<br />

in dem die Menschen von unserer Hilfe abhängig<br />

sind. Wir versuchen sie immer zur Selbstständigkeit<br />

zu �ühren.


KLEINE WELTVERBESSERER<br />

Was haben ein Pfandbecher, ein Schuh und ein Aufkleber gemeinsam?<br />

Sie alle sind Ursprung eines Projektes von jungen Menschen, die die Welt<br />

ein bisschen besser machen wollen. Warum haben sie damit Erfolg?<br />

Text: Meike Krauß | Layout: Carolina Schmetze.<br />

VIVA CON AGUA<br />

Mit wehenden Fahnen und großen<br />

blauen Mülltonnen sind sie mi� en<br />

drin bei Festivals und Konzerten:<br />

die Unterstützer von Viva con Agua<br />

(»Lebe mit Wasser«). Sie fordern die<br />

Besucher auf, ihre Pfandbecher in<br />

die Tonnen zu werfen, um somit<br />

Geld zu sammeln.<br />

Während eines Trainingslagers auf<br />

Kuba fi elen dem Fußball-Spieler Benjamin<br />

Adrion die Missstände dort<br />

auf. 2005 gründete er Viva con Agua.<br />

Der Verein versteht sich als off enes<br />

Netzwerk, bei dem alle mitmachen<br />

können. In Kiel, Kassel, Köln, Berlin<br />

und Osnabrück haben sich bereits<br />

Menschen zusammengeschlossen,<br />

um gemeinsam Veranstaltungen zu<br />

organisieren und damit Spenden zu<br />

sammeln. Sie organisieren Benefi z-<br />

Konzerte und informieren auf Konzerten<br />

und Festivals. Zentrales Ziel<br />

von Viva con Agua ist der Brunnenbau<br />

in Entwicklungsländern. Dabei<br />

kooperiert das Projekt mit der Welthungerhilfe,<br />

die vor Ort Trinkwasser-Projekte<br />

umsetzt.<br />

Inzwischen kann man sogar Vivacon-Agua-Wasser<br />

kaufen, um seinen<br />

Durst zu löschen – und den von vielen<br />

anderen Menschen gleich mit.<br />

TURN THE TIDE<br />

Die Studenten Tobias Ba� enberg und<br />

Marcel Kamps gründeten das Projekt<br />

Turn the tide. »Wir wollten uns nachhaltig<br />

verhalten. Beim Bla� wenden<br />

�ür einen doppelseitigen Druck hatten<br />

wir immer Ärger durch Fehldrucke«,<br />

sagt Ba� enberg. So entstand<br />

Einsatz für ein »Leben mit Wasser«: Die Helfer der Organisation zeigen Flagge.<br />

die Idee, Papier zu sparen und so die<br />

Ressourcen langfristig zu schonen.<br />

Mit einer Testseite kann man herausfi<br />

nden, wie man das Bla� speziell<br />

�ür seinen Drucker wenden muss,<br />

um doppelseitig zu drucken. Zusätzlich<br />

bieten sie Au� leber an, die man<br />

am Drucker platzieren kann, damit<br />

das Bla� wenden nicht zum einmaligen<br />

Ereignis wird.<br />

TOMS SHOES<br />

Der Unternehmer Blake Mycoskie<br />

ist Schuhhersteller und gleichzeitig<br />

Initiator von One Day without Shoes.<br />

Mit dieser Aktion will er in der westlichen<br />

Welt ein Bewusstsein da�ür<br />

schaff en, wie es ist, keine Schuhe zu<br />

haben – so wie viele Menschen in<br />

Entwicklungsländern. Die Menschen<br />

müssen o� weite Strecken laufen und<br />

ziehen sich durch Steine Schrammen<br />

und Wunden zu, die zu Infektionskrankheiten<br />

�ühren können. Während<br />

seines Urlaubs in Argentinien<br />

traf Blake Mycoskie einen Sozialarbeiter,<br />

der ihm das Problem erklärte.<br />

Mycoskie entschied sich da�ür, ein<br />

Unternehmen zu gründen sta� einer<br />

Hilfsorganisation. So ist er nicht von<br />

Spenden anderer abhängig und kann<br />

durch den eigenen Profi t helfen. Der<br />

Vertrieb von simplen Stoff schuhen,<br />

die von Künstlern kostenlos aufgewertet<br />

werden, läu� nach dem Oneby-One-Prinzip:<br />

Kau� ein Kunde ein<br />

Paar Stoff schuhe, so bekommt ein<br />

bedür� iges Kind ebenfalls welche.<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

TITELTHEMA<br />

11


LIFESTYLE<br />

12<br />

IM SOMMER SOLLTE MAN …<br />

Die Sonne brennt, die Luft flimmert, der Sommer treibt die verrücktesten Ideen in die Köpfe.<br />

NOIR hat in Stuttgart nachgefragt, was man zu dieser Jahreszeit unbedingt tun sollte.<br />

Text: Clara Dupper | Fotos: Clara Dupper | Layout: Carolina Schmetzer<br />

Moritz (18): Man sollte unbedingt einen<br />

Handstand auf einem Bierfass machen. Noch<br />

ein Muss: sich in einem Campingstuhl vom<br />

Balkon abseilen.<br />

Estelle (18): Ich habe es mir zur Aufgabe<br />

gemacht, mit einer Kuh zum Southside oder<br />

zum Summer Jam zu trampen. Was bei mir<br />

für einen gelungenen Sommer auch nicht<br />

fehlen darf: Schule Schwänzen.<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

Paul (19): Longboard fahren<br />

und sich einen Sonnenbrand<br />

holen.<br />

Salomé (21): Schmelzkäse<br />

mit Chips essen.<br />

Ashley (19): Ich möchte im Sommer gerne<br />

die hässlichen Wände in Stuttgart ansprayen<br />

und schöner machen. Als Vorbild habe ich<br />

eine Frau, die Laternenlampen in der Stadt<br />

mit Selbstgestricktem verziert.<br />

Olli (21): Kühles Bier trinken.<br />

Melanie (15): Im Sommer sollte man nackt<br />

durch die Sprenkleranlage der Nachbarn<br />

rennen.


WER IST HOCHBEGABT ?<br />

Text: Karla Markert | Layout: Carolina Schmetzer<br />

Das Recht auf »eine seiner Begabung entsprechende<br />

Erziehung und Ausbildung« hat jeder Mensch,<br />

so sagt es Artikel 11 der Landesverfassung Baden-<br />

Wür� embergs. Aber wie misst und klassifi ziert<br />

man Begabung, gar Hochbegabung? Eine einfache<br />

Defi nition von Intelligenz lautet: Intelligenz ist,<br />

was ein Intelligenztest misst. Auff assungsgabe,<br />

KURTAXE ALS SAHNEHÄUBCHEN<br />

Wer in den Urlaub fährt, der kennt die Kurtaxe. Doch warum müssen wir sie<br />

in vielen Touristenorten zahlen und was bringt sie uns überhaupt.<br />

Text: Fabian Vögtle | Layout: Carolina Schmetzer<br />

Im schönen Schwarzwald lassen Urlauber ihre<br />

Seele baumeln. Der »Black Forest« ist nicht nur<br />

wegen seiner Kirschtorte und der Kuckucksuhren<br />

bekannt. Der Campingplatz in Kirchzarten<br />

bei Freiburg gleicht in der Hochsaison schon<br />

mal einem holländischen Dorf. Damit die Gäste<br />

im Erholungsort alles nutzen können, erhebt die<br />

Gemeinde, wie viele andere auch, eine Kurtaxe.<br />

Diese zahlen die Urlauber meist schon mit ihrer<br />

Ferienwohnung, dem Hotelzimmer oder ihrem<br />

Campingstellplatz an ihren Gastgeber. Der gibt<br />

die Kurtaxe dann an die Gemeinde weiter. Im<br />

Gegenzug erhalten die Touristen die sogenannte<br />

Schwarzwald-Gästekarte. Sie gilt während des<br />

Aufenthaltes als Freifahrschein �ür Busse und<br />

Bahnen in der Region. Wer will, bekommt freien<br />

oder ermäßigten Eintritt in Museen und Erlebnisparks.<br />

Woanders gibt‘s kostenlose Veranstaltungen<br />

mit Musik und Tanz sowie Themenabende.<br />

Für oftmals einen Euro pro Tag und Person kann<br />

logisches Denken, räumliches Vorstellungsvermögen,<br />

Gedächtnis�ähigkeit und der Umgang mit<br />

Zahlen, Worten und Bildern sind entscheidend.<br />

Das alles wird überprü� und verglichen mit den<br />

Ergebnissen gleichaltriger Menschen, um so auf<br />

die kognitiven Fähigkeiten schließen zu können.<br />

Also auf die Fähigkeit, mit Informationen umzugehen.<br />

Etwa zwei Dri� el der Menschen haben<br />

einen Intelligenzquotienten (IQ) zwischen 85 und<br />

115. Als hochbegabt gilt, wer einen IQ von 130 oder<br />

mehr hat. Dies tri� auf zwei bis drei Prozent der<br />

Bevölkerung zu. Allerdings liefert der IQ keine<br />

Aussage darüber, was die betreff ende Person aus<br />

ihrem Potenzial macht: Intelligenz an sich ist laut<br />

dem berühmten Psychologen William Stern nur<br />

ein »Rüstzeug«.<br />

sich die Kurtaxe damit am Ende sogar richtig �ür<br />

den Urlauber lohnen. Der Touristenort kann mit<br />

den Einnahmen der Gebühr sein touristisches Angebot<br />

verbessern und ausbauen, was sich wiederum<br />

�ür die Gäste auszahlt.<br />

Wer zuhause Übernachtungsgäste aufnimmt,<br />

müsste im Prinzip genauso eine Kurtaxe an die<br />

Gemeinde zahlen, in der er wohnt. Doch wer<br />

macht das schon, wenn gerade der Freund aus Spanien<br />

zu Gast ist oder die Oma aus Berlin? Wohl<br />

kaum einer hat bisher auch nur im Traum daran<br />

gedacht, seinen privaten Gästen eine Kurtaxe abzuknöpfen.<br />

Das wäre wirklich mal ein feines Sahnehäubchen.<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

WISSEN<br />

13


REPORTAGE<br />

14<br />

DAS INTELLIGENTE GEBÄUDE<br />

Wenn <strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong> an nachhaltiges Bauen denkt, hat sie sich bisher ein massives<br />

Holzhaus in idyllischer Landschaft vorgestellt. Doch mitten in Berlin steht ein weißer Betonklotz,<br />

der mit Computerwärme, einem kühlenden Grill und einer Gebäudelunge eines<br />

der nachhaltigsten Gebäude der Stadt ist.<br />

Text: <strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong> | Layout: Paul Volkwein<br />

Schumannstraße 8 in Berlin,<br />

um die Ecke liegt die Bundeszentrale<br />

der FDP, zwei Straßen<br />

weiter der Bahnhof Friedrichstraße.<br />

Hier steht das Gebäude der grünennahen<br />

Heinrich-Böll-Stiftung. Das<br />

Stiftungshaus soll, so lese ich in einer<br />

Broschüre, die Werte der Stiftung<br />

widerspiegeln. Das sind besonders<br />

Ökologie und Nachhaltigkeit.<br />

Ein Ökohaus in Berlin Mitte? Wenn<br />

ich an nachhaltiges Bauen denke,<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

sehe ich eher ein massives Holzhaus<br />

in idyllischer Landschaft vor mir,<br />

mit einem Ofen und unbehandelten<br />

Dielen. Aber hier, in der Schumannstraße,<br />

steht ein moderner, weißer<br />

Betonklotz mit großen Fensterfronten.<br />

Im zweiten Stock ragt eine grün<br />

verglaste Etage über die Seitenwände<br />

heraus, als hätte man den Klotz<br />

wie ein Sandwich aufgeschnitten<br />

und eine Salatscheibe dazwischen<br />

geschoben. »Das Gebäude setzt Maß-<br />

stäbe �ür umweltgerechtes Bauen«,<br />

steht in dem Flyer. Von außen deuten<br />

lediglich die viele Fahrräder vor dem<br />

Eingang auf Umweltbewusstsein hin.<br />

Ähnlich wie mir geht es anscheinend<br />

vielen anderen Besuchern.<br />

»Wir werden o� gefragt, wo denn<br />

jetzt die Holzschnitzel-Anlage ist. So<br />

ein Betonklotz kann doch kein Öko-<br />

Haus sein«, meint Bert Bloß schmunzelnd.<br />

Der Leiter des Technischen<br />

Dienstes der Heinrich-Böll-Sti� ung


will mir das Haus von innen zeigen<br />

und die komplizierte Technik näherbringen.<br />

Als erstes �ührt er mich in<br />

den Keller. In einem Raum stehen<br />

zwei Geräte, die aussehen wie große<br />

Grills. Ein grüner Kasten aus Metall,<br />

der auf der einen Seite off en ist.<br />

Dort befi ndet sich der Grillrost. Hinter<br />

dem Grillrost, unten im grünen<br />

Kasten, sind zwei Ventilatoren angebracht,<br />

darüber kleine Wasserdüsen.<br />

Die Ventilatoren pusten<br />

Luft durch den Grill<br />

»Wenn es im Haus zu warm wird,<br />

spritzen die Düsen Wasser auf den<br />

Rost«, erklärt Bert Bloß. Die Ventilatoren<br />

pusten Lu� unter den Grill.<br />

Mit den Wasserspritzern von den<br />

Düsen kühlt sich die Lu� ab. »Das<br />

funktioniert, wie wenn man mit einem<br />

nassen T-Shirt Fahrrad �ährt«,<br />

erklärt Bloß.<br />

Ein Kühlsystem ist in der Heinrich-Böll-Sti�<br />

ung besonders wichtig.<br />

Das Haus sei sehr gut gedämmt, damit<br />

die Heizungen nicht die Straße<br />

mitheizen, erklärt mir Bloß. Das heiße<br />

allerdings, dass auch im Sommer<br />

kaum warme Lu� nach draußen entweichen<br />

kann. Die Raumtemperatur<br />

in der Sti� ung soll 25 Grad aber<br />

nicht übersteigen. »Heute ist nicht<br />

mehr das größte Problem, wie man<br />

ein Gebäude heizen kann, sondern<br />

wie man es kühlt«, sagt Bloß.<br />

Das grüne Gerät im Keller sieht<br />

aus wie ein Grill und heißt adiabatischer<br />

Rückkühler. Durch diesen<br />

Der Heizungskeller befindet<br />

sich im zweiten Stock<br />

Rückkühler verlaufen Wasserleitungen,<br />

die mit Leitungen im ganzen<br />

Gebäude verbunden sind. Durch die<br />

kalte Lu� im Kasten kühlt sich auch<br />

das Wasser in den Rohren im Rückkühler<br />

ab. Das kalte Wasser ver-<br />

teilt sich dann in den Leitungen im<br />

ganzen Haus und kühlt so die Lu� .<br />

Im Winter muss das Gebäude trotz<br />

guter Isolation beheizt werden. Der<br />

Heizungskeller der Böll-Sti� ung befi<br />

ndet sich im zweiten Stock. Hoch<br />

gehen wir durch ein knallgrün angestrichenes<br />

Treppenhaus, aber auch<br />

einen Aufzug gibt es im Haus.<br />

In einem Raum stehen die Computerserver<br />

der Sti� ung. »Was anderswo<br />

lästige Wärme ist, nutzen<br />

wir hier als Heizung«, sagt Bloß. Die<br />

Server befi nden sich in sogenannten<br />

Cool-Racks, einer besonderen Art<br />

von Kühlschrank: vier Türme hinter<br />

Glas, aus denen ein bunter Kabelsalat<br />

ragt. Durch die Cool-Racks verlaufen<br />

Wasserleitungen, genauso wie durch<br />

die Rückkühler im Keller. Hier wird<br />

das Wasser durch die Abwärme der<br />

Die Server dienen<br />

als Heizung<br />

Server gewärmt. Legt man die Hand<br />

auf, spürt man, wie warm die Server<br />

sind. Das System ist so eff ektiv, dass<br />

die Sti� ung nur wenig über Fernwärme,<br />

also mit Wärme von außen,<br />

beheizt werden muss. Als ich mir das<br />

Gebäude anschaue, hat es draußen<br />

noch 12 Grad. Bei dieser Temperatur<br />

reicht die Serverwärme aus, die<br />

Fernwärmeanzeige steht auf null.<br />

»Mit möglichst wenig Technik,<br />

da�ür aber umso innovativer, ein<br />

nachhaltiges Gebäude zu schaff en,<br />

war das Ziel beim Bau des Sti� ungshauses«,<br />

betont Bloß. Ganz bewusst<br />

habe die Sti� ung neue Techniken<br />

eingesetzt, um als Vorbild �ür andere<br />

zu dienen – Vorbild �ür ein nachhaltiges<br />

Haus mi� en in einer Großstadt.<br />

Das Energiekonzept kommt von<br />

einem Schweizer Ingenieurunternehmen.<br />

Entworfen wurde das Gebäude<br />

vom Architekturbüro »eckert<br />

eckert«, ebenfalls aus der Schweiz.<br />

Vor der Fensterfront im Büro von<br />

Bert Bloß steht ein grauer Holzkasten,<br />

der aussieht wie eine praktische<br />

Bank. Die Bank ist ein sogenann-<br />

tes Brüstungsgerät, Heizung und<br />

Klimaanlage in einem. Hier laufen<br />

Wasserleitungen durch, die mit<br />

dem Rückkühler im Keller und den<br />

Cool-Racks im Serverraum verbunden<br />

sind. Ein Hochleistungswärmetauscher<br />

gibt die Wärme oder<br />

Kälte aus dem Wasser an die Lu�<br />

im Brüstungsgerät ab, das die Lu�<br />

dann durch einen schmalen Spalt ins<br />

Büro pustet. Streckt man die Hand<br />

über den Spalt, �ühlt man, wie die<br />

Lu� entweicht. Automatisch hält das<br />

Brüstungsgerät die Raumtemperatur<br />

unter 25 Grad.<br />

Ferngesteuert wie die Heizung<br />

sind in den Büros der Böll-Sti� ung<br />

auch die Lampen und Jalousien an<br />

den Fenstern. »Der Mensch ist nunmal<br />

die größte Fehlerquelle«, meint<br />

Bloß. Schon wer das Licht aus Versehen<br />

anlässt, verschwendet Energie.<br />

Wird es dunkel in der Böll-Stiftung,<br />

gehen die Lampen automatisch<br />

an. Allerdings nicht gleich auf volle<br />

Power, sondern gedimmt, je nachdem,<br />

wie viel Licht benötigt wird.<br />

Auch die Jalousien gehen automatisch<br />

auf und zu. »Wir haben versucht,<br />

hier die Balance zu halten und<br />

zu überlegen, was man den Mitarbeitern<br />

noch zumuten kann und was<br />

nicht«, sagt Bloß.<br />

Er ergänzt: »Lü� en dürfen wir<br />

schon noch selbst.« Gelü� et wird<br />

Lüften dürfen wir<br />

schon noch selbst<br />

aber über eine Art Innenhof im Gebäude,<br />

das sogenannte Atrium. Im<br />

Winter wird hier die Abwärme aus<br />

der verbrauchten Lu� gewonnen und<br />

zum Aufwärmen der frischen Lu�<br />

verwendet.<br />

Finanziert wurde das Gebäude der<br />

Heinrich-Böll-Sti� ung aus öff entlichen<br />

Mi� eln. Für die Sti� ung ist es<br />

eine Verpfl ichtung, mit verschiedenen<br />

Veranstaltungen den Bürgern<br />

»einen möglichst großen Gegenwert<br />

zurückzugeben.«<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

REPORTAGE<br />

15


KULTUR<br />

16<br />

ÖKO-SCHICK<br />

Der Begriff klingt schlüssig, doch was verbirgt sich wirklich<br />

hinter der Bezeichnung »globale und faire Mode«?<br />

Text: Florian Carl | Layout: Simon Staib<br />

Die Welt hat sich in den letzten<br />

Jahren so schnell verändert<br />

wie nie zuvor. Heute<br />

noch zu Hause können wir bereits<br />

morgen früh unter Palmen auf Fuerteventura<br />

liegen, uns die eingeflogene<br />

Mango aus Brasilien schmecken<br />

lassen oder eine in China produzierte<br />

Jeans kaufen. Wen wundert es,<br />

dass bei diesem Wachstum anderes<br />

auf der Strecke bleibt? Schließlich<br />

leben wir auf einem Planeten mit<br />

begrenzten Ressourcen. Zahlreiche<br />

Menschen stellen unseren Lebenswandel<br />

heute in Frage und versuchen,<br />

jeder auf seine Art, dem entgegenzuwirken.<br />

Besonders im Modesektor hat sich<br />

in den letzten Jahren einiges getan.<br />

Sogar große Konzerne wie H&M<br />

und Levi‘s sind auf den Zug des Bio-<br />

Booms aufgesprungen. Allerdings<br />

gibt es auch bei fairer Mode Unterschiede:<br />

Klamo� en können fair im<br />

GUTMENSCHENTUM<br />

Text: Maria Graef | Layout: Simon Staib<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

Umgang mit der Natur hergestellt<br />

werden. Einige Marken achten zusätzlich<br />

auf faire Arbeitsbedingungen<br />

�ür die Menschen, die die<br />

Kleidung produzieren. Wie fair die<br />

Klamo� en hergestellt wurden, lässt<br />

sich an verschiedenen Gütesiegeln<br />

feststellen. Der Global Organic Textile<br />

Standard (GOTS) ist das weltweit<br />

gültige Siegel �ür umweltverträglich<br />

hergestellte Kleidung. Es erfasst die<br />

ganze Herstellungske� e; vom biologischen<br />

Anbau über umweltfreundliche<br />

Verarbeitungsmethoden bis hin<br />

zum fairen Handel. Das Fairtrade-<br />

Label �ür Baumwolle zertifi ziert in<br />

erster Linie den fairen Handel. In<br />

den Fairtrade-Kriterien sind besonders<br />

umweltschädliche Anbaumethoden<br />

aber ausgeschlossen.<br />

Bio und Fairtrade sind schön und<br />

gut �ür das Gewissen, aber wir sollten<br />

uns in unserer Kleidung wohl-<br />

�ühlen, und gut aussehen sollte sie<br />

Orange leuchtende Wände, alternative Musik und<br />

eine ökologisch korrekte Speisekarte: Das sind die<br />

Markenzeichen des Vegi Voodoo Kings in Stu� gart.<br />

Ausschließlich vegetarisch und vegan ist hier<br />

das Essensangebot. Es reicht von abenteuerlichen<br />

Kreationen wie der Falafel »Franz Josef« (mit sü-<br />

auch. Hier lässt der Markt mi� -<br />

lerweile keine Wünsche mehr offen.<br />

Ob handbedruckt im Berliner<br />

Kleinbetrieb oder in einer Münchner<br />

Wohnung, ob aus studentischem<br />

Leichtsinn oder lang geplanter Label-<br />

Gründung: Die Macher der heutigen<br />

Global Responsible Fashion Szene<br />

lassen sich nicht einfach abstempeln,<br />

weder modisch noch menschlich. Eines<br />

verbindet sie alle: Eines Tages<br />

ist ihnen klar geworden, dass es so<br />

nicht weiter gehen kann. Sie wollen<br />

etwas verändern in dieser Welt.<br />

Tipp: Global Responsible Fashion wird<br />

unter anderem von Greenality, Armed<br />

Angels und Kuyi� i produziert.<br />

Eine aus�ührli� e Liste gibt es unter:<br />

h� p://bit.ly/ltzVW1<br />

ßem Sen�) oder »Obama« (mit Majo, Ketchup und<br />

Röstzwiebeln) bis hin zu selbst gemachten Pommes.<br />

Das Ambiente ist trendig im Retrostil gehalten.<br />

Allein wegen dieser Atmosphäre kommen<br />

viele Kunden immer wieder gern in den kleinen<br />

Imbiss neben der Königstraße.<br />

Die Schlange reicht o� bis auf den Gehweg – der<br />

Imbiss kann off enbar von dem Trend zum Vegetarismus<br />

profi tieren. Von seinen Kunden erwarten<br />

die Inhaber allerdings genauso viel Gutmenschentum<br />

wie von sich selbst: In der Online-Community<br />

Qype berichtete eine Kundin, dass sie in dem<br />

Imbiss nicht bedient worden sei. Der Grund: Sie<br />

trug einen Pro-Stu� gart-21-Bu� on.


DER BARMHERZIGE MILLIONÄR<br />

Von der Luxusvilla in die Alpenhütte: Ein erfolgreicher Geschäftsmann<br />

berichtet in seiner Autobiographie von seinem Sinneswandel.<br />

Eine Kritik von Sanja Döttling.<br />

Text: Sanja Döttling | Layout: Sebastian Nikoloff<br />

Karl Rabeder aus dem österreichischen Leonding<br />

hat es geschafft: Aus dem Marktstand<br />

der Familie entwickelt er ein erfolgreiches<br />

Unternehmen �ür Wohnaccessoires<br />

und verdient damit Millionen. Aber irgendwas, so<br />

sein Ge�ühl, ist nicht richtig. Rabeder beschließt,<br />

sein Geld zu teilen. Er verwendet seine Energie<br />

und seinen Einfallsreichtum seitdem darauf, unter<br />

anderem das Projekt MyMicroCredit aufzuziehen,<br />

das kleine Kredite an Menschen in Entwicklungs-<br />

und Schwellenländern vermittelt. Interessierte<br />

können ab 25 Euro Kredite vergeben und Projekte<br />

unterstützen. Seine Villa verlost Rabeder, sein<br />

Geld steckt in seinen Projekten. Zurzeit wohnt er<br />

in einer kleinen Hütte in Tirol, reist viel und gibt<br />

Seminare.<br />

In seinem autobiografi schen Buch »Wer nichts<br />

hat, kann alles geben« erzählt er seine Lebensgeschichte<br />

und die Entwicklung, die zu seinem<br />

»Wer ni� ts hat, kann alles geben«<br />

Karl Rabeder, 19,99 €, Ludwig Verlag<br />

Sinneswandel �ührte. Dabei versucht er, anderen<br />

Menschen den Anstoß zu geben, über ihr Leben in<br />

der kapitalistischen Gesellscha� nachzudenken.<br />

Als Leser entwickelt man schnell ein ambivalentes<br />

Verhältnis zu dem Buch: Der autobiografi -<br />

sche Aspekt wirkt gekünstelt, geradezu unecht.<br />

Es interessiert nicht, wieso er sich von seiner Frau<br />

trennte und welche anderen Frauen er danach<br />

kennenlernte. Oder warum Segelfl iegen seine große<br />

Leidenscha� ist. Der Leser kann sich nicht dem<br />

Ge�ühl entziehen, dass hier ein Ri� er von seinen<br />

Heldentaten schwärmt. Nicht von seinem Reichtum<br />

– auf den gibt er nichts – sondern von der<br />

Geschichte seiner Einsicht.<br />

Doch ist die persönliche Beziehung zur Hauptfi -<br />

gur Karl nicht der Hauptpunkt der Lektüre. Wenn<br />

das Buch als ein Beispiel da�ür angesehen wird,<br />

wie ein Mensch sein komple� es Leben auf den<br />

Kopf stellt, fi nden sich einige interessante Denkanstöße.<br />

Trotz allem: Seine � ese vom »gezielten<br />

Abbau des Bru� oinlandsprodukts« , in der er darlegt,<br />

dass es allen besser ginge, wenn sie weniger<br />

kau� en und auch weniger arbeiteten, da sie das<br />

Geld ja nicht mehr zum Einkaufen brauchten,<br />

wirkt weltfremd.<br />

Es ist wie eine Fabel von Rabeder, der auszog,<br />

um �ür andere zu lernen. Doch leider lernt der<br />

Mensch nur, was er selbst falsch macht. Und Rabeder<br />

lernt auch nicht �ür den Durchschni� sbürger:<br />

Wer nicht in die Bredouille kommt, extrem viel<br />

Geld zu haben und damit unglücklich zu sein, �ür<br />

den hat das Buch keinen Mehrwert. Was Rabeder<br />

seinen Lesern sagen möchte: Bist du reich, dann<br />

teile! Bist du es nicht, dann kaufe wenigstens mein<br />

Buch.<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

KULTUR<br />

17


KULTUR<br />

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NOIR Nr. 21 (August 2011)


DIE PROBLEME DER ANDEREN<br />

Muss man mit Mitte 20 einen Ehering tragen und sich auf die Zubereitung<br />

von Babybrei spezialisieren? NOIR-Autorin Miriam Kumpf findet das zu früh.<br />

Text: Miriam Kumpf | Layout: Tobias Fischer<br />

IMPRESSUM<br />

Mails, die das Stichwort »Hochzeit« enthalten,<br />

steigen in letzter Zeit explosionsartig<br />

an. Und wer nicht heiratet,<br />

bekommt Kinder. Mittlerweile ver�üge ich über<br />

eine ansehnliche Zahl von Ultraschallbildern, die<br />

mir mit Betreffs wie »Hallo, Tante Miri« zugeschickt<br />

wurden. Ich muss Beiträge �ür Hochzeitsbücher<br />

schreiben, mir peinliche Spiele überlegen,<br />

einen Junggesellinnenabschied organisieren, mich<br />

mit 15 Leuten auf ein gemeinsames Hochzeitsgeschenk<br />

einigen, die Frage klären, ob bei 15 Leuten<br />

jeder seine eigene Karte schreibt oder man eine<br />

Sammelkarte beilegt und mir über die Frage den<br />

Kopf zerbrechen, ob Lebensabschnittsge�ährten<br />

von Freundinnen den gleichen Beitrag zum Gemeinschaftsgeschenk<br />

leisten müssen, obwohl sie<br />

das Brautpaar kaum kennen. Eng verbunden mit<br />

der Kinder- und Ehe-Thematik sind Fragen wie:<br />

Eigenheim bauen oder Wohnung mieten? Aufs<br />

NOIR ist das junge Magazin<br />

der <strong>Jugendpresse</strong> Baden-<br />

Württemberg e.V.<br />

Ausgabe 21 – August 2011<br />

Herausgeber<br />

<strong>Jugendpresse</strong> Baden-Württemberg e.V.<br />

Fuchseckstraße 7<br />

70188 Stuttgart<br />

Tel.: 0711 912570-50 www.jpbw.de<br />

Fax: 0711 912570-51 buero@jpbw.de<br />

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(V.i.S.d.P., Anschrift wie Herausgeber)<br />

Anika Pfisterer anika.pfisterer@noirmag.de<br />

<strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong> susan.djahangard@noirmag.de<br />

Miriam Kumpf miriam.kumpf@noirmag.de<br />

Chef vom Dienst<br />

Alexander Schmitz alexander.schmitz@noirmag.de<br />

Lektorat<br />

Dominik Einsele dominik.einsele@noirmag.de<br />

Redaktion<br />

Silke Brüggemann (sb), Florian Carl (fc), <strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong><br />

(sd), Clara Dupper (cd), Sanja Döttling (sdl),<br />

Fabienne Kinzelmann (fk), Meike Krauß (mkr),<br />

Lisa Kreuzmann (lkr), Miriam Kumpf (mk),<br />

Karla Markert (km), Anika Pfisterer (apf), Sophie<br />

Rebmann (srm), Alexander Schmitz (als), Fabian<br />

Vögtle (fv), Jan David Zaiser (jz)<br />

redaktion@noirmag.de<br />

Layout & Art Director<br />

Tobias Fischer tobias.fischer@noirmag.de<br />

Layout-Team<br />

Tobias Fischer, Pascal Götz, Luca Leicht, Sebas -<br />

tian Nikoloff, Carolina Schmetzer, Simon Staib,<br />

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Anzeigen, Finanzen, Koordination<br />

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Druck<br />

Horn Druck & Verlag GmbH & Co. KG, Bruchsal<br />

www.horn-druck.de<br />

Land ziehen oder in der Stadt bleiben? Master oder<br />

zweites Kind?<br />

Diese Fragen prasseln auf mich ein, während<br />

ich in meiner WG sitze. Hier würde ein Kind beim<br />

Wickeln im Badezimmer ohne gescheite Heizung<br />

erfrieren und ein Mann beim Anblick meiner Mitbewohnerin<br />

die Flucht ergreifen. Dennoch bin ich<br />

froh darüber, noch die Ich-Form zu kennen und<br />

nicht ständig von »wir« zu sprechen. Bevor ich<br />

mich auf die Zubereitung von Babybrei spezialisiere,<br />

will ich richtig kochen können. Und bevor<br />

ich mit einem Lebensabschni� sge�ährten darüber<br />

diskutiere, ob er weniger zum Hochzeitsgemeinscha�<br />

sgeschenk beisteuert, weil er das Brautpaar<br />

nicht so gut kennt, gehe ich lieber alleine<br />

auf Hochzeiten. Ja, vielleicht verdoppelt sich das<br />

Glück, wenn man es teilt. Aber defi nitiv verdoppeln<br />

sich auch Probleme. Die Frage, ob Einzel-<br />

oder Sammelkarte ist noch nicht beantwortet.<br />

Titelbilder<br />

Titel: seraph / photocase.com; Links: Clara Dupper;<br />

Mitte: banger1977 / flickr.com [CC-Lizenz]; Rechts:<br />

<strong>Susan</strong> <strong>Djahangard</strong><br />

Bildnachweise<br />

S. 1 (oben): misterQM / photocase.com; S. 1 (unten,<br />

v.l.n.r.): Privat; Peter Scheerer; Privat; S. 2 (v.l.n.r.):<br />

shadowtricks / photocase.com; jarts / photocase.<br />

com; aussi97 / photocase.com; Hanna Ieva / www.<br />

jugendfotos.de; S. 3: Thomas Hoepker, courtesy<br />

Schirmer / Mosel; S. 4: shadowtricks / photocase.com;<br />

S. 5: kadluba / flickr.com (CC-Lizenz); S. 7: Privat (2x);<br />

S. 8/9: srlsguys / flickr.com (CC-Lizenz); S. 10: Rosi-<br />

Gollmann-Andheri-Stiftung; S. 11: Viva con Agua de<br />

Sankt Pauli, 2011 S. 13: mgroenne / photocase.com;<br />

S. 14: Jan Bitter; S. 17: Verlag Ludwig, Kiel; S. 20: urlauber_xt<br />

/ jugendfotos.de<br />

NOIR kostet als Einzelheft 2,00 Euro, im Abonnement<br />

1,70 Euro pro Ausgabe (8,50 Euro im Jahr, Vorauszahlung,<br />

Abo jederzeit kündbar).<br />

Bestellung unter der Telefonnummer 0711 912570-50<br />

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Für Mitglieder der <strong>Jugendpresse</strong> <strong>BW</strong> ist das Abonnement<br />

im Mitgliedsbeitrag enthalten.<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

QUERBEET<br />

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QUERBEET<br />

20<br />

OPA LERNT E-MAIL<br />

Vor einem halben Jahr hat NOIR-Autorin Fabienne Kinzelmann die Umzugskartons zu<br />

ihrem Opa nach Stuttgart geschleppt. Nun wird sie nicht nur liebevoll umsorgt, sondern<br />

muss sich auch an die vielen Eigenarten ihrer Großeltern gewöhnen.<br />

Text: Fabienne Kinzelmann | Layout: Luca Leicht<br />

» Sag mal, hast du auch so eine<br />

Adresse im Internet?«, fragt<br />

mich Opa. Innerlich grinse ich<br />

schon. Ganz neumodisch will er sich<br />

Thermoaufnahmen seines Hauses<br />

auf meinen Mail-Account zuschicken<br />

lassen. Man kann nicht sagen, Opa<br />

wäre kein technik-affiner Mensch.<br />

Aber das Internet ist �ür ihn ein<br />

Buch mit sieben Siegeln. Die Vorteile<br />

eines Laptops hat er dagegen längst<br />

erkannt. Man kann darauf DVDs<br />

mit Filmmaterial von 1927 anschauen.<br />

Auch Google Street View ist ihm<br />

dank aufmerksamer Zeitungslektüre<br />

ein Begriff. »Kannst du da mal unser<br />

Haus ran holen?«, fragt er. Das aber<br />

ist komplett unkenntlich. Opa grinst<br />

NOIR Nr. 21 (August 2011)<br />

vergnügt. Hat er natürlich gleich<br />

machen lassen, über so ein Formular<br />

in der Zeitung. Ich notiere ihm meine<br />

Mailadresse. »Oh Gott, das kann<br />

ich ja gar nicht lesen!« Logisch, das<br />

@ hat er noch nicht gekannt. Also<br />

üben wir die Aussprache, wie man<br />

in der �ünften Klasse Englischvokabeln<br />

lernt: langsam, deutlich und im<br />

Chor. Opa ge�ällt es nicht, der Dumme<br />

zu sein – schließlich hat er mir<br />

über 60 Jahre Lebenserfahrung voraus.<br />

Einen Tag später wagt er sich<br />

an das Telefonat mit dem Thermofotografen,<br />

dem er meine Mail-Adresse<br />

übermittelt. Geduldig erkläre ich<br />

ihm danach, dass er mich nicht täglich<br />

fragen muss, ob die Bilder denn<br />

SOCKENZYKLUS<br />

Text: Anika Pfisterer<br />

Layout: Luca Leicht<br />

Es gibt gute und schlechte Zeiten �ür Sockenträger.<br />

Gute Zeiten sind die, in denen<br />

man vor Überfluss in seiner Sockenschublade<br />

baden könnte. Schlechte Zeiten sind die, in<br />

denen man nicht in seiner Schublade baden könnte,<br />

auch nicht wenn man von Sinnen wäre, weil da<br />

nichts ist außer löchrigen Fetzen. Man macht sich<br />

also Gedanken über die Extreme dieser Welt: Gibt<br />

es einen Sockengott und wenn ja, wer ist dann der<br />

Teufel? Der Massenkonsum! Achter-Packs in Sonderaktion<br />

zu Zehner-Packs hochgezüchtet, auf die<br />

es 25 Prozent Rabatt gibt, wenn man drei davon<br />

schon angekommen sind. E-Mail<br />

kommt nicht wie die Post zu festen<br />

Zeiten und hat eine viel geringere<br />

Lieferdauer. Außerdem könne ich<br />

quasi sofort sehen, wenn sein »Bilderpaket«<br />

in mein Postfach purzelt:<br />

Smartphone sei Dank. Drei Tage später<br />

holt mich Opa ans Telefon; der<br />

Fotograf ist dran. Die Bilder konnten<br />

nicht gesendet werden. Opa schaut<br />

wieder ganz verzweifelt auf die Notiz<br />

mit meiner Mail-Adresse. Er habe<br />

doch alles richtig vorgelesen: Meinen<br />

Vornamen, den Nachnamen, das<br />

@ und das gmx.de. Den Punkt zwischen<br />

Vor- und Nachnamen hat er<br />

allerdings vergessen. Er dachte, der<br />

sei bestimmt nicht so wichtig.<br />

kauft. Ein aberwitziger Kauf und wir sehen vor<br />

lauter Socken den Wald nicht mehr, behandeln unsere<br />

wohl wichtigste Ressource, als würde sie auf<br />

Bäumen nachwachsen. Wir laufen, laufen, laufen<br />

die Socken in Grund und Boden und ahnen nichts<br />

vom Loch, das von hinten anmarschiert. Eine fatale<br />

Phase, gleich der Marmelade, die noch lockt,<br />

wenn sie schon leise schimmelt. Da wir uns durch<br />

den zu�älligen Sockengriff einer Normalverteilung<br />

des Paargebrauchs nähern, also allen Socken<br />

eine gleich starke Reibung verpassen, tritt der geheime<br />

Kurz-vor-Loch-Status im Chor auf … und<br />

bähm, Strumpf-Katastrophe! Der Sockenchor singt<br />

das Lied vom Loch. Wir sollten unseren Hochmut<br />

ablegen oder ein Alarmsystem entwickeln, das der<br />

Unterversockung zuvorkommt. Zweiteres bitte!<br />

Aber wo bleibt die Sockenforschung? Kein Mucks,<br />

kein Nix. Was soll’s, gehen wir eben barfuß und<br />

überlassen das Socken-Problem anderen. Soll der<br />

Adel sich damit rumschlagen.


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