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n o 0 5 / 1 2 -------------- j e t z t . d e<br />
uni & job<br />
Es steht in <strong>de</strong>n Sternen.<br />
ChanCen, Grenzen und zukunft in <strong>de</strong>r krise. ein europaheft.
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
es ist Krise in Europa. So gut wie je<strong>de</strong>n Tag steht etwas darüber in <strong>de</strong>r Zeitung, in<br />
<strong>de</strong>n Fernsehnachrichten protestieren Menschen gegen Sparmaßnahmen und <strong>de</strong>n<br />
Rettungsschirm, Politiker streiten sich über Banken, die man retten o<strong>de</strong>r zügeln<br />
müsse, sie <strong>de</strong>battieren über Staatsanleihen und Zeitpläne. Immer wie<strong>de</strong>r wird<br />
dann auch die Frage gestellt, wie es weitergeht mit Europa, mit dieser großen I<strong>de</strong>e,<br />
diesem Versprechen <strong>von</strong> Einheit, das doch so kompliziert in <strong>de</strong>r Umsetzung ist.<br />
In <strong>de</strong>n jetzt-Magazinen geht es oft um Menschen, die sich ganz ähnliche Fragen<br />
stellen: wie es weitergeht mit ihnen, mit ihrem Studium, ihrem Beruf, ihrem<br />
Leben. In diesem Heft haben wir bei<strong>de</strong>s verknüpft: die vermeintlich große Frage<br />
nach <strong>de</strong>r Zukunft Europas und die vielen vermeintlich kleinen Fragen nach<br />
Chancen und Grenzen, die sich je<strong>de</strong>r Einzelne stellt. Wir waren bei Praktikanten<br />
in Brüssel (Seite 6) und <strong>de</strong>r zukünftigen Manager-Elite <strong>de</strong>r EU (Seite 26). Wir<br />
haben die Liebe gesucht (Seite 20) und junge Chinesen ihren Blick auf Europa<br />
schil<strong>de</strong>rn lassen (Seite 14). Und wir haben uns gefragt, was es eigentlich be<strong>de</strong>utet,<br />
seine Heimat verlassen zu müssen, weil es dort kaum noch <strong>Job</strong>s gibt (Seite 4).<br />
Das Beruhigen<strong>de</strong>: Die meisten Menschen <strong>de</strong>nken wesentlich positiver über die<br />
Zukunft Europas, als die Nachrichten es vielleicht vermuten lassen.<br />
Deine jetzt-Redaktion wünscht dir viel Spaß beim Lesen!<br />
INHALT<br />
4 Abenteuer Das Ausland kann Verheißung sein. O<strong>de</strong>r Angst machen.<br />
6 Parallelwelt Zu Besuch in Brüssels Praktikantenblase.<br />
14 Unterschie<strong>de</strong> Was junge Chinesen über Europa <strong>de</strong>nken.<br />
16 Eintrittskarte <strong>Uni</strong>s verlangen teure Tests <strong>von</strong> Masterbewerbern.<br />
20 Zusammensein Stu<strong>de</strong>nten � n<strong>de</strong>n im Ausland die große Liebe.<br />
26 Retter In Brügge wer<strong>de</strong>n die Topmanager <strong>de</strong>r EU ausgebil<strong>de</strong>t.<br />
30 Wörterbuch Ein Crashkurs in Business-Kau<strong>de</strong>rwelsch.<br />
32 Transit Beraterjobs sind Zwischenstationen auf <strong>de</strong>r Karrierereise.<br />
36 Zu Hause Was in Kin<strong>de</strong>rzimmern nach <strong>de</strong>m Auszug bleibt.<br />
42 Kuchenfrage Muss man am Praktikumsen<strong>de</strong> Gebäck spendieren?<br />
44 Rätsel Stu<strong>de</strong>nten aus Europa zeichnen ihr Heimatland.<br />
45 Einkaufswagen Schöne Sachen mit Sternen.<br />
46 Kolumne Der jüngste <strong>de</strong>utsche EU-Abgeordnete über Hartnäckigkeit.<br />
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VON MICHALIS PANTELOURIS / TEXT<br />
Abenteuerland.<br />
Ins Ausland – das klingt nach neuen Erfahrungen, Spaß, Spannung,<br />
und es steht auf <strong>de</strong>r Wunschliste vieler Stu<strong>de</strong>nten. Gera<strong>de</strong> gibt es<br />
aber viele junge Europäer, für die das Weggehen vor allem eines<br />
be<strong>de</strong>utet: eine beängstigen<strong>de</strong> Flucht ins Ungewisse.<br />
Das Abenteuer begann schon mit <strong>de</strong>m Namen: Gloucestershire. Niemand<br />
kann das aussprechen, wenn er es nur gelesen hat: „Glossterschöhr“.<br />
So wie das Worcester aus <strong>de</strong>r Worcestersauce auch nur<br />
„Wuhsster“ gesprochen wird, heißt Gloucester „Glosster“. Ich bin als<br />
Schüler ein Jahr lang dort gewesen, im Südwesten <strong>von</strong> England, an<br />
<strong>de</strong>r Grenze zu Wales. Für mich war das ein riesiges Abenteuer. Prägend.<br />
Toll. Ich konnte mir seit<strong>de</strong>m immer vorstellen, in England zu<br />
leben. Ich liebe es. Aber natürlich ist das mit <strong>de</strong>m Auswan<strong>de</strong>rn irgendwie<br />
immer nur ein halb garer Traum, <strong>de</strong>r hochkommt, wenn mich<br />
irgen<strong>de</strong>twas nervt, das ich dann auf Deutschland schieben kann. Ich<br />
habe noch mal ein Jahr in Zürich gelebt, ansonsten war ich immer<br />
hier. Ich bin <strong>de</strong>utsch. Beson<strong>de</strong>rs angesichts <strong>de</strong>r Tatsache, dass ich<br />
nicht nur Deutscher, son<strong>de</strong>rn auch Grieche bin, muss man sagen: sehr<br />
<strong>de</strong>utsch. Wenn ich plötzlich auswan<strong>de</strong>rn müsste, dann hätte ich ein<br />
Problem.<br />
So wie meine Cousine Zoe. „Zoe“ heißt auf Griechisch „Leben“,<br />
und <strong>de</strong>r Name steht ihr. Sie ist Leben, halleluja, das war sie immer<br />
schon, und wir kennen uns seit ihrer Geburt. Sie ist zwei Jahre jünger<br />
als ich, und wir sind quasi zusammen aufgewachsen, weil all unsere<br />
Familien je<strong>de</strong>n Sommer in dasselbe griechische Dorf fahren. Ihre Familie<br />
aus Athen, meine aus Hamburg. Und ihre in Zukunft aus Chartres,<br />
rund 100 Kilometer <strong>von</strong> Paris, weil ihr Mann dort einen <strong>Job</strong> bekommen<br />
hat. Er ist schon seit einem halben Jahr dort. Zoe und ihre<br />
Tochter Stella ziehen jetzt hinterher. Zoe hat begonnen, Französisch zu<br />
lernen, Stella wird anfangen, wenn sie dort in <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rgarten kommt.<br />
Es wird alles fremd sein. Ein Abenteuer. Aber es wird ein an<strong>de</strong>res<br />
4 jetzt UNI&JOB N o 05/12<br />
Abenteuer als mein Jahr in England. Weil sie nicht wissen, ob sie in<br />
einem Jahr zurückkommen o<strong>de</strong>r in zehn. O<strong>de</strong>r nie. Und natürlich vor<br />
allem, weil sie es sich nicht ausgesucht haben. Sie sprechen die Sprache<br />
nicht. Sie waren vorher noch nie in Frankreich. Es geht nur darum,<br />
dass Zoes Mann Panagiotis dort einen guten <strong>Job</strong> bekommen hat.<br />
Er ist Ingenieur. In Griechenland musste <strong>de</strong>r Konzern, für <strong>de</strong>n er arbeitet,<br />
die meisten Mitarbeiter entlassen. Aber weil er so gut ist, haben<br />
sie weltweit in allen Filialen gefragt, ob jemand einen <strong>Job</strong> für ihn<br />
hat. Chartres hat sich gemel<strong>de</strong>t, und er ist sofort gegangen. Man muss<br />
ja Geld verdienen. Zoe hat ihren <strong>Job</strong> schon letztes Jahr verloren, und<br />
das lächerlich niedrige Arbeitslosengeld bekommt man in Griechenland<br />
nur zwölf Monate lang, danach gar nichts mehr. Die Rezession<br />
tötet alles Leben in Griechenland. Fünf Jahre nun schon. Zweieinhalb<br />
Jahre Sparprogramme. Es gibt kein Geld mehr und auch keine<br />
Hoffnung, weil die Wirtschaft gar nicht wachsen kann angesichts immer<br />
neuer, noch härterer Au� agen. In <strong>de</strong>n Straßen <strong>von</strong> Athen stehen<br />
längst die ganz normalen Leute aus <strong>de</strong>r ehemaligen Mittelschicht bei<br />
<strong>de</strong>n Suppenküchen an.<br />
Also nach Chartres. Eine neue Sprache. Natürlich wird es einsam<br />
sein, allein zu Hause, ohne jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ssen Sprache man spricht.<br />
Aber irgendwas muss man ja tun.<br />
Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa hat längst katastrophale Größenordnungen<br />
erreicht. In Spanien und Griechenland ist je<strong>de</strong>r Zweite<br />
unter 26 ohne bezahlte Arbeit, in vielen an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn etwa je<strong>de</strong>r<br />
Dritte – in Italien, Portugal, Litauen, Bulgarien und <strong>de</strong>r Slowakei zum<br />
Beispiel. Die Zahlen sind irrwitzig. Nur in Deutschland, Österreich
und <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n sind es weniger als 10 Prozent, in <strong>de</strong>n meisten<br />
eher 20. Wir leben hier zumin<strong>de</strong>st noch auf einer Insel <strong>de</strong>r Glückseligen.<br />
Alle an<strong>de</strong>ren sind entwe<strong>de</strong>r schon ziemlich verbittert – o<strong>de</strong>r sie<br />
tragen sich mit <strong>de</strong>m Gedanken zu gehen. Auszuwan<strong>de</strong>rn. Woan<strong>de</strong>rs<br />
zu arbeiten. „Dann gehe ich nach Australien“, ist in Griechenland ein<br />
stehen<strong>de</strong>r Begriff gewor<strong>de</strong>n. Eine Art Running Gag, obwohl er inzwischen<br />
nur noch wenig mit Gag und umso mehr mit Running zu tun<br />
hat: Wer nicht auswan<strong>de</strong>rn will, hat zumin<strong>de</strong>st das Gefühl, er müsste.<br />
Zigtausen<strong>de</strong> verlassen das Land, und in <strong>de</strong>r Regel sind es diejenigen,<br />
die das Land am dringendsten gebrauchen könnte – wenn irgendwann<br />
mal wie<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>twas ginge.<br />
Zu gehen ist ungeheuer schwer, wenn man muss. Aber die Griechen<br />
müssen. Die Spanier müssen. Die Portugiesen müssen. Beson<strong>de</strong>rs die<br />
Absolventen technischer Studiengänge zieht es aus Sü<strong>de</strong>uropa weg –<br />
gern auch nach Deutschland.<br />
Griechen sind keine großen Touristen. Urlaub machen Griechen in<br />
Griechenland. Es gibt viele Auslandsgriechen aus mehreren Wellen<br />
Auswan<strong>de</strong>rung und große griechische Gemein<strong>de</strong>n zum Beispiel in<br />
Australien, <strong>de</strong>n USA und Großbritannien. Griechenland war schließ-<br />
lich immer arm und oft in politische Verwerfungen verwickelt,<br />
seit <strong>de</strong>r Besetzung im Zweiten Weltkrieg auch<br />
noch durch einen blutigen Bürgerkrieg und eine Militärdiktatur<br />
in <strong>de</strong>n Siebzigerjahren. Geschichte ist etwas,<br />
das <strong>de</strong>n Griechen näher ist, als man es in Deutschland<br />
gewöhnt ist. Vielleicht liegt es daran, dass das Land so<br />
klein ist und regelmäßig eher Spielball als Akteur <strong>de</strong>r Ge-<br />
Michalis Pantelouris ist<br />
Journalist und Autor mit<br />
griechischen Wurzeln.<br />
Die Krise in Griechenland<br />
beschäftigt ihn <strong>de</strong>shalb<br />
schon länger. Im April ist<br />
sein Buch „Hän<strong>de</strong> weg <strong>von</strong><br />
Griechenland“ erschienen.<br />
Alles<br />
nEU<br />
schichte. Meine Generation, die Generation <strong>de</strong>r erst im neuen Griechenland<br />
nach 1974 Geborenen, ist die erste seit Menschenge<strong>de</strong>nken,<br />
in <strong>de</strong>r es bisher keine politische Gewalt gab, keine Vertreibungen und<br />
keinen Grund, ins Exil zu gehen. Georgios Papandreou, <strong>de</strong>r ehemalige<br />
Premierminister, unter <strong>de</strong>ssen Regierung die wahren De� zitzahlen<br />
endlich veröffentlicht wur<strong>de</strong>n, war nach seinem Großvater und<br />
seinem Vater schon <strong>de</strong>r dritte Staatschef aus <strong>de</strong>rselben Familie – aber<br />
<strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r nicht wegen seiner politischen Überzeugungen gefoltert<br />
wur<strong>de</strong>. So nah ist Geschichte in Griechenland. Und jetzt plötzlich ist<br />
sie wie<strong>de</strong>r da. Für viele junge Griechen fühlt sich die Notwendigkeit,<br />
im Ausland nach einer Arbeit zu suchen, an wie für ihre Väter und<br />
Großväter die Flucht vor Besetzung, Bürgerkrieg o<strong>de</strong>r Junta: Sie können<br />
nichts für das, was Politik verbricht. Sie lei<strong>de</strong>n nur darunter, samt<br />
ihren Familien, ihren Kin<strong>de</strong>rn, ihrer Zukunft. Und plötzlich wird <strong>de</strong>r<br />
größte Luxus unserer Zeit – dass wir reisen und innerhalb <strong>de</strong>r EU<br />
sogar frei überall leben können – zu einer echten Belastung: wenn<br />
man gehen muss.<br />
Ich musste lernen, <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s Ortes auszusprechen, in <strong>de</strong>m ich<br />
lebte. Das ist nichts. Ein Abenteuer, wie man eine Sommeraffäre ein<br />
Abenteuer nennt. Meine Cousine wird alles lernen müssen.<br />
Ganz neu. So ist Europa 2012. So ist das Leben:<br />
Zoe.<br />
jetzt UNI&JOB N o 05/12 5
Das einzige, was hier belgisch ist, ist Das bier: Der Place Du luxembourg im<br />
brüsseler eu-Viertel ist jeDen Donnerstag treffPunkt für Praktikanten.
Von Ruth Reichstein / text & tanja KeRnweiss / fotos<br />
In <strong>de</strong>r Blase.<br />
Keine Stadt ist stärker <strong>von</strong><br />
<strong>de</strong>r EU geprägt als Brüssel.<br />
Schon die vielen jungen<br />
Menschen, die im Zentrum<br />
Europas Praktikum<br />
machen und sich Chancen<br />
auf begehrte EU-<strong>Job</strong>s<br />
erhoffen, leben in einer<br />
Parallelwelt.<br />
jetzt uni&job n o 05/12 7
Opernsänger. Das war <strong>de</strong>r Traumberuf <strong>von</strong><br />
Tomas Kniuksta aus <strong>de</strong>r litauischen Kleinstadt<br />
Klaipeda. Deshalb fi ng er an, Musik zu<br />
studieren. Dann kam ihm 2005 ein Erasmus-<br />
Semester in Spanien dazwischen – und plötzlich<br />
wollte er viel lieber dieses europäische<br />
Projekt voranbringen, als auf <strong>de</strong>r Bühne Verdi<br />
singen. Der schlaksige 27-Jährige sitzt in <strong>de</strong>r<br />
Kantine <strong>de</strong>r Europäischen Kommission in<br />
Brüssel und isst Fleischbällchen mit Tomatensoße.<br />
„Ich bin ein totaler Fan <strong>von</strong> Erasmus<br />
und <strong>de</strong>r europäischen I<strong>de</strong>e gewor<strong>de</strong>n. Als ich<br />
zurück an meine <strong>Uni</strong> kam, wur<strong>de</strong> ich dort<br />
bald Koordinator <strong>de</strong>s Programms. Da habe<br />
ich die letzten Jahre gearbeitet, und <strong>de</strong>shalb<br />
war klar: In meinem Praktikum will ich genau<br />
hierher.“<br />
„Hierher“, das ist die Abteilung B1 in <strong>de</strong>r<br />
Generaldirektion „Bildung“ <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission in Brüssel. Tomas’ Abteilung<br />
koordiniert verschie<strong>de</strong>ne Bildungsprogramme<br />
<strong>de</strong>r Europäischen <strong>Uni</strong>on. Hier war er <strong>von</strong><br />
März bis En<strong>de</strong> Juli Praktikant. Nach einem<br />
Monat Sommerferien ist er jetzt wie<strong>de</strong>r zurückgekehrt.<br />
Er hat einen Vertrag bekom-<br />
8 jetzt uni&job n o 05/12<br />
gefangen in Der brüsseler blase: tomas kniuksta (oben) aus litauen hat<br />
nach seinem Praktikum ein jobangebot bei Der euroPäischen kommission<br />
(rechts) bekommen. im brüsseler eu-Viertel sieht man Vor allem Viel glas<br />
unD anzüge (unten).<br />
Erasmus mit<br />
Krawatte – man<br />
bleibt unter sich.
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vorweg-geher-gesucht.<strong>de</strong>
men und vertritt eine Kollegin in Elternzeit.<br />
„Wenn man einmal drin ist in <strong>de</strong>r Brüsseler<br />
Blase, dann kommt man da so schnell nicht<br />
mehr raus“, sagt Tomas und lächelt.<br />
Ganz schön groß ist diese Blase mittlerweile:<br />
Allein bei <strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
arbeiten bis auf die Sommermonate durchgehend<br />
rund 700 Praktikanten. In <strong>de</strong>r Verwaltung<br />
<strong>de</strong>s Europäischen Parlaments sind es<br />
noch einmal 400. Dazu kommen unzählige<br />
junge Menschen, die in <strong>de</strong>n Büros <strong>de</strong>r Abgeordneten<br />
o<strong>de</strong>r bei Lobbyverbän<strong>de</strong>n arbeiten.<br />
Offizielle Zahlen dazu gibt es nicht. Aber in<br />
manchem <strong>de</strong>r mehr als 700 Parlamentsbüros<br />
sitzen gleich mehrere Praktikanten neben <strong>de</strong>n<br />
Assistenten <strong>de</strong>r Abgeordneten. Die billigen<br />
Arbeitskräfte sind mittlerweile unersetzlich<br />
für das System Brüssel. Im Büro <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />
EU-Abgeordneten Thomas Mann arbeiten<br />
immer min<strong>de</strong>stens zwei o<strong>de</strong>r drei<br />
Praktikanten. „Manchmal sind es auch fünf“,<br />
sagt Mann. Manuel Rohnke ist einer <strong>von</strong> ihnen.<br />
Der 19-Jährige aus <strong>de</strong>m hessischen<br />
Schlüchtern ist Wie<strong>de</strong>rholungstäter, er ist<br />
schon zum dritten Mal als Praktikant in<br />
Brüssel. Dafür hat er sich extra drei Anzüge<br />
gekauft und eine Krawattenna<strong>de</strong>l mit seinen<br />
Initialen: MR.<br />
Heute trägt er <strong>de</strong>n grauen Anzug. Er sitzt in<br />
<strong>de</strong>r Bar „Beer Factory“ am Place du Luxembourg<br />
direkt vor <strong>de</strong>m Europäischen Parlament<br />
und trinkt sein Feierabendbier. Der<br />
Platz, auf <strong>de</strong>m normalerweise Taxis und Busse<br />
Abgeordnete und Parlamentsangestellte<br />
ein- und ausla<strong>de</strong>n, sieht aus wie das Gelän<strong>de</strong><br />
eines Sommerfestivals: Die Terrassen <strong>de</strong>r<br />
Bars sind überfüllt. Die Gäste stehen bis auf<br />
die Straße mit Bier- o<strong>de</strong>r Weingläsern in <strong>de</strong>r<br />
Hand. Man begrüßt sich mit Küsschen auf die<br />
Wange. Die Kellner fragen auf Englisch nach<br />
<strong>de</strong>n Wünschen <strong>de</strong>r Gäste, die Bars heißen<br />
„London“ und „Fat Boy“. Drinnen läuft englischer<br />
Fußball auf riesigen Bildschirmen. Es<br />
fühlt sich an wie irgendwo in London o<strong>de</strong>r<br />
Dublin. Das Einzige, was hier belgisch ist, ist<br />
das Bier. An <strong>de</strong>r Kopfseite <strong>de</strong>s Platzes steht<br />
<strong>de</strong>r riesige Glasbau <strong>de</strong>s Europäischen Parlaments.<br />
Bis in die Achtzigerjahre gab es hier<br />
eine kleine Brauerei und ein paar Künstlerateliers,<br />
aber für die EU-Bauten wur<strong>de</strong> alles abgerissen.<br />
Heute sind nur noch ein paar versprengte<br />
kleine Klinkerhäuschen zwischen<br />
<strong>de</strong>n Glaspalästen übrig. Darin wohnen EU-<br />
Beamte und Abgeordnete. Die Mieten sind<br />
doppelt so hoch wie üblich auf <strong>de</strong>m Brüsseler<br />
Wohnungsmarkt. Einheimische verirren sich<br />
nur selten hierher. „Selbst diejenigen Eurokraten,<br />
die hier wohnen, gehen in ihre Woh-<br />
10 jetzt uni&job n o 05/12<br />
manuel rohnke (ganz rechts) hat aus seinem<br />
wg-zimmer eine gute fernsicht (oben). Die<br />
staDt mag er trotzDem nicht, er finDet sie<br />
Dreckig unD laut.
Auf 700 Praktikumsplätze<br />
kommen<br />
10 000 Bewerber.<br />
Der exot unter Den Praktikanten – ernesto (oben) ist<br />
mexikaner unD will Das image Der eu-Praktikanten Verbessern.<br />
zu füssen Des atomiums (links) finDen touristen ganz euroPa<br />
auf engstem raum – ähnlich wie Die Praktikanten Donnerstags<br />
auf Dem Place Du luxembourg.<br />
mehrere sPrachen zu sPrechen ist<br />
eine Der Voraussetzungen für ein<br />
Praktikum in brüssel.<br />
nungen, als wären es Büros“, beschwert sich<br />
Paul Jamoulle, einer <strong>de</strong>r wenigen belgischen<br />
Bewohner <strong>de</strong>s Viertels. „Man weiß nie so<br />
recht, ob sie da sind. Sie leben zurückgezogen,<br />
beteiligen sich nicht am Leben im Viertel.<br />
Und weil es hier kaum noch Geschäfte<br />
gibt, än<strong>de</strong>rt sich das auch nicht.“<br />
Auf <strong>de</strong>r Rasenfläche in <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Platzes<br />
haben sich min<strong>de</strong>stens 150 Anzug- und<br />
Kostümträger nie<strong>de</strong>rgelassen. Auch sie trinken<br />
Bier – aus Flaschen – und haben sich<br />
Chips und Oliven mitgebracht. Aperitif mitten<br />
im EU-Viertel. „Es ist je<strong>de</strong>n Donnerstag<br />
so, wenn das Wetter schön ist. Hier treffen<br />
sich alle Praktikanten, aber auch ein paar<br />
Abgeordnete und an<strong>de</strong>re Leute, die in <strong>de</strong>n<br />
Institutionen arbeiten“, sagt Manuel und<br />
nippt an seinem Bier. Es ist eine riesige Kontaktbörse<br />
und ein sicherer Ort in <strong>de</strong>r unbekannten<br />
Stadt. Hier am Place du Luxembourg<br />
fühlt er sich wohl – unter seinesgleichen.<br />
Die Stadt Brüssel mag Manuel sonst nicht so<br />
recht. „Es ist dreckig, laut und unorganisiert.“<br />
Er wohnt mit neun an<strong>de</strong>ren Deutschen<br />
in einer WG am Nordbahnhof, mitten im Rotlichtviertel.<br />
Gleich will er noch seine Bürokollegen<br />
suchen. „Ich bleibe in <strong>de</strong>utschen<br />
Kreisen. Manchmal ist ein Österreicher dabei.<br />
Aber Belgier habe ich nicht kennengelernt.<br />
Ich weiß auch nicht, wo die sich verstecken.“<br />
Am Wochenen<strong>de</strong> ist er meistens mit<br />
an<strong>de</strong>ren Praktikanten unterwegs. „Wir sind<br />
alle neu in <strong>de</strong>r Stadt und kennen nieman<strong>de</strong>n.<br />
Wir haben das gleiche Schicksal – das<br />
schweißt zusammen.“<br />
So wie Manuel geht es <strong>de</strong>n meisten, die auf<br />
Zeit in die belgische Hauptstadt kommen: Sie<br />
bleiben unter sich. „Es ist wie Erasmus mit<br />
Krawatte“, sagt Tomas, <strong>de</strong>r mittlerweile auch<br />
zum Treffpunkt gekommen ist. Er steht auf<br />
<strong>de</strong>r Rasenfläche und unterhält sich mit zwei<br />
blon<strong>de</strong>n Britinnen.<br />
Neben Tomas auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n sitzt Ernesto<br />
Izquierdo und trinkt Rotwein aus einem Plastikbecher.<br />
Er ist ein Exot unter <strong>de</strong>n Praktikanten,<br />
sagt er <strong>von</strong> sich selbst. Das liegt an<br />
seiner Nationalität: Ernesto ist als Mexikaner<br />
einer <strong>de</strong>r ganz wenigen Praktikanten in <strong>de</strong>r<br />
EU-Kommission, die nicht aus einem EU-<br />
Mitgliedstaat kommen. Aber auch sonst passt<br />
er nicht so recht zu <strong>de</strong>n geschniegelten Kollegen<br />
mit seinem knallblauen Shirt und <strong>de</strong>n<br />
Jeans. Ernesto will das Image <strong>de</strong>r Kommissionspraktikanten<br />
verbessern, das Bild <strong>de</strong>r<br />
trinken<strong>de</strong>n Meute auf <strong>de</strong>m Place du Luxembourg<br />
soll sich nicht zu tief einprägen: „Die<br />
Leute <strong>de</strong>nken, wir machen die ganze Zeit<br />
Party. Dabei sind die meisten hoch qualifi-<br />
jetzt uni&job n o 05/12 11
Da ist Der euro noch ganz oben. Das Denkmal „euroPe“ Vor Dem eu-Parlament.<br />
12 jetzt uni&job n o 05/12<br />
zierte Leute, die oftmals mehrere Masterabschlüsse<br />
haben und bis zu sieben Sprachen<br />
sprechen.“ Im Frühjahr hat Ernesto <strong>de</strong>shalb<br />
das Projekt „668“ gegrün<strong>de</strong>t. So viele Praktikanten<br />
waren es im vergangenen halben Jahr<br />
in <strong>de</strong>r Europäischen Kommission. Er hat gemeinsam<br />
mit seinem Team Unternehmen,<br />
Verbän<strong>de</strong> und Institutionen angeschrieben<br />
und ihnen seine Statistik zur Verfügung gestellt:<br />
93 Prozent <strong>de</strong>r Praktikanten haben<br />
min<strong>de</strong>stens einen Masterabschluss, 94 Prozent<br />
können bereits Berufserfahrung nachweisen,<br />
und 98 Prozent sprechen drei Sprachen<br />
o<strong>de</strong>r mehr. Dazu gab es die Lebensläufe<br />
einiger Praktikanten. Knapp 50 <strong>Job</strong>s konnte<br />
er so vermitteln.<br />
Die Praktika in Brüssel sind begehrt. Für<br />
das zweite Halbjahr 2012 haben sich bei <strong>de</strong>r<br />
EU-Kommission über 10 000 junge Menschen<br />
für knapp 700 Plätze beworben. Die Praktika<br />
sind mit 1000 Euro im Monat recht gut bezahlt,<br />
und die meisten Bewerber erhoffen sich<br />
da<strong>von</strong> bessere Chancen, in <strong>de</strong>n EU-Institutionen<br />
einen <strong>Job</strong> zu fin<strong>de</strong>n. Aber das ist nicht<br />
so einfach. Tomas hatte Glück mit seiner<br />
Schwangerschaftsvertretung, aber En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />
Jahres läuft sein Vertrag aus. Ob er danach<br />
bleiben kann, ist mehr als fraglich. Feste Verträge<br />
bekommt nämlich nur, wer <strong>de</strong>n „Concours“<br />
besteht, eine Art Aufnahmeprüfung<br />
<strong>de</strong>r Institutionen. Den gibt es nur alle paar<br />
Jahre, und die Kandidaten müssen sich nicht<br />
nur in ihrem Arbeitsfeld bestens auskennen,<br />
son<strong>de</strong>rn auch ihre Sprach- und EU-Kenntnisse<br />
unter Beweis stellen.<br />
Eines haben wohl alle Praktikanten in<br />
Brüssel gemeinsam: Sie sind nach wie vor <strong>von</strong><br />
<strong>de</strong>r Europäischen <strong>Uni</strong>on überzeugt, Krise<br />
hin o<strong>de</strong>r her. Tomas hält nichts da<strong>von</strong>, dass<br />
auch in seinem Land viele die EU schlecht-<br />
re<strong>de</strong>n. Manche, erzählt er, vergleichen sie sogar<br />
mit <strong>de</strong>r früheren Sowjetunion. „Wir sehen<br />
doch <strong>de</strong>n Unterschied, seit wir <strong>de</strong>r EU beigetreten<br />
sind. Ohne die EU hätten wir nichts.<br />
Dank dieser Gel<strong>de</strong>r haben wir eine or<strong>de</strong>ntliche<br />
Infrastruktur, Schulen, Straßen.“<br />
Tomas macht sich auf <strong>de</strong>n Heimweg. Er<br />
wohnt im selben Haus wie schon während seines<br />
Praktikums, zusammen mit einer Italienerin<br />
und einem Dänen, bei<strong>de</strong>s Praktikanten.<br />
Das Haus liegt in Matongé, <strong>de</strong>m afrikanischen<br />
Viertel Brüssels. Hier sind die Straßen<br />
dominiert <strong>von</strong> afrikanischen Frisörsalons und<br />
Lebensmittelgeschäften, die Süßkartoffeln<br />
und gesalzene Fische aus <strong>de</strong>m Senegal verkaufen.<br />
Tomas ist einer <strong>de</strong>r wenigen Anzugträger<br />
hier. Mit seinen Mitbewohnern habe er<br />
nicht viel zu tun. Je<strong>de</strong>r arbeite viel und sei eigentlich<br />
nur zum Schlafen zu Hause – und<br />
zum Frühstücken. Das ist Tomas’ kleiner Luxus:<br />
In seiner Miete ist Frühstück inklusive.<br />
Zubereitet wird es <strong>von</strong> Marie-Luise, <strong>de</strong>r<br />
Hausherrin. Die ältere Dame mit grauem<br />
Haar vermietet die ehemaligen Zimmer ihrer<br />
Kin<strong>de</strong>r an Praktikanten: „Ich mag es, dass sie<br />
aus allen Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r EU kommen. Sie sind<br />
alle verschie<strong>de</strong>n. Aber alle stehen an einem<br />
wichtigen Punkt in ihrem Leben: zwischen<br />
Studium und Beruf. Dabei möchte ich sie ein<br />
Stück begleiten.“ Also verwöhnt sie sie ein<br />
bisschen. Zum Frühstück gibt es frisch gepressten<br />
Orangensaft, Brötchen und mehrere<br />
Marmela<strong>de</strong>sorten. Ihre Mieter sollen sie nicht<br />
Marie-Luise nennen, son<strong>de</strong>rn „Mamies“, was<br />
wie eine Mischung aus ihrem Namen und<br />
„Mami“ klingt. Sie gibt ihnen das, was sie in<br />
ihrem Praktikantenleben sonst vergeblich suchen:<br />
ein Stück Heimat in Brüssel.
Wie könnten Sie Ihre Ausbildung optimal über die Bühne bringen?<br />
Wenn Sie sich <strong>de</strong>n be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Fragen <strong>de</strong>r Menschheit widmen<br />
In<strong>de</strong>m Sie 100.000 Fans vor <strong>de</strong>r Enttäuschung ihres Lebens bewahren<br />
Durch die Erkenntnis, dass Applaus auch hinter <strong>de</strong>n Kulissen ankommt<br />
In einem Meeting zur Transportsicherheit mit BWLern, Juristen und Logistikern<br />
Mit je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r genannten Punkte<br />
Ob Großveranstaltungen, Klimawan<strong>de</strong>l o<strong>de</strong>r Raumfahrt: Als einer <strong>de</strong>r führen<strong>de</strong>n<br />
Rückversicherer durchleuchten wir Risiken aller Art und sichern sie ab. Wollen Sie<br />
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Von Xifan Yang / Protokolle & algirdas Bakas / Fotos<br />
„Wenn ich an Europa <strong>de</strong>nke,<br />
<strong>de</strong>nke ich an Schönheit.“<br />
Zhang Jieqian, 23, Übersetzerin<br />
Ich habe Anglistik an einer Fremdsprachenuni<br />
in Shanghai studiert. Viele meiner Kommilitonen<br />
sind ins Ausland gegangen, nach<br />
England, Spanien, Frankreich o<strong>de</strong>r Deutschland.<br />
Aber nur für ein o<strong>de</strong>r zwei Jahre, das<br />
unterschei<strong>de</strong>t uns <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Generation unserer<br />
Eltern. Früher haben Austauschstu<strong>de</strong>nten<br />
da<strong>von</strong> geträumt, für ihr ganzes Leben in <strong>de</strong>n<br />
Westen auszuwan<strong>de</strong>rn. Doch heute wollen die<br />
meisten wie<strong>de</strong>r nach China zurückkommen.<br />
Hier gibt es inzwischen viele Karrierechancen,<br />
und in Großstädten wie Shanghai kann<br />
man ein gutes Leben führen. Europa fin<strong>de</strong><br />
ich vor allem wegen seiner Kultur interessant:<br />
Ich <strong>de</strong>nke an gutes Handwerk, an italienische<br />
Mo<strong>de</strong> und Schweizer Uhren. Europäer pflegen<br />
die Liebe zum Detail und achten ihre Traditionen<br />
– da<strong>von</strong> können wir in China viel lernen.<br />
Jetzt, da <strong>de</strong>r Eurokurs so niedrig ist,<br />
überlege ich mir, bald mal hinzufahren.<br />
14 jetzt <strong>Uni</strong>&<strong>Job</strong> n o 05/12<br />
Xie houming, 26, segellehrer<br />
Als Kind hatte ich kein gutes Bild <strong>von</strong> Europa.<br />
In China lernt man im Geschichtsunterricht<br />
viel über <strong>de</strong>n Opiumkrieg. Von England und<br />
Frankreich wusste ich daher nur, dass sie im<br />
19. Jahrhun<strong>de</strong>rt in China eingefallen sind.<br />
Auch in chinesischen Fernseh- und Kinofilmen,<br />
die ich früher geschaut habe, ging es immer<br />
wie<strong>de</strong>r um die bösen Imperialmächte aus<br />
<strong>de</strong>m Westen. Heute habe ich viele Freun<strong>de</strong><br />
aus Europa. Die meisten kenne ich durch <strong>de</strong>n<br />
Segelclub, in <strong>de</strong>m ich arbeite. Europäer wirken<br />
auf mich sehr offen und wagemutig, wir<br />
Chinesen sind in vielen Dingen Angsthasen.<br />
Und die Europäer sind in Familienfragen weniger<br />
traditionell als wir. In Europa muss<br />
man we<strong>de</strong>r heiraten noch Kin<strong>de</strong>r bekommen.<br />
Das wür<strong>de</strong>n chinesische Eltern und Großeltern<br />
niemals akzeptieren.<br />
ge Peiqi, 24, Mo<strong>de</strong>l<br />
2007 bin ich für zwei Jahre nach Paris gezogen,<br />
damals habe ich mit <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ln gera<strong>de</strong><br />
angefangen. Wie an<strong>de</strong>rs das Leben in Frankreich<br />
doch war! Chinesen sind in erster Linie<br />
auf Arbeit und Karriere konzentriert. Bei<br />
uns <strong>de</strong>nken die meisten: In jungen Jahren soll<br />
man viel Geld verdienen. Aber das scheint<br />
vielen Europäern gar nicht wichtig zu sein.<br />
Wenn kein Geld mehr da ist, wird eben ein<br />
Kredit aufgenommen. Von <strong>de</strong>n Franzosen<br />
habe ich viel in Sachen Savoir-vivre gelernt.<br />
Ich habe es geliebt, im Café zu frühstücken,<br />
am Wochenen<strong>de</strong> mit Freun<strong>de</strong>n im Park zu<br />
picknicken und abends auf <strong>de</strong>m Balkon Rotwein<br />
zu trinken. An eines konnte ich mich<br />
allerdings nicht gewöhnen: an die ständigen<br />
Streiks. Dass die U-Bahn alle paar Tage wie<strong>de</strong>r<br />
nicht fuhr, schien das Normalste <strong>de</strong>r Welt<br />
zu sein. Das wür<strong>de</strong> in China nie passieren.
Zheng Yang, 26, FotograF<br />
Wenn ich an Europa <strong>de</strong>nke, <strong>de</strong>nke ich an<br />
Schönheit: an die Kunst <strong>de</strong>r Antike und <strong>de</strong>r<br />
Renaissance, an Gemäl<strong>de</strong> <strong>von</strong> Gauguin, van<br />
Gogh und Klimt. Als ich das Fotografieren<br />
lernte, habe ich alte Bildbän<strong>de</strong> studiert und<br />
versucht, mir in Sachen Bildaufbau so viel<br />
wie möglich <strong>von</strong> <strong>de</strong>n alten Meistern abzuschauen.<br />
Ich war noch nie dort, aber ich habe<br />
viele Dinge, die ich mit Europa verbin<strong>de</strong>: eine<br />
alte Kaffeemühle aus Italien, die ich täglich<br />
benutze, einen Schallplattenspieler aus <strong>de</strong>n<br />
Dreißigern, auf <strong>de</strong>m ich abends John Lennon<br />
höre. Ich könnte mir vorstellen, dass ich dafür<br />
selbst in Europa als altmodisch gelten wür<strong>de</strong>.<br />
Meine chinesischen Freun<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n meine<br />
Liebe zu diesen alten Dingen je<strong>de</strong>nfalls ziemlich<br />
ulkig.<br />
In China essen sie Hun<strong>de</strong> lautet ein Filmtitel.<br />
Unsere Vorstellungen <strong>von</strong> <strong>de</strong>m riesigen Land in Asien sind <strong>von</strong><br />
vielen Klischees geprägt. Aber was <strong>de</strong>nken eigentlich junge<br />
Chinesen über unseren Kontinent? Was be<strong>de</strong>utet Europa für sie?<br />
Yang guang, 23, inForMatikstU<strong>de</strong>nt<br />
In Europa, erzählen alle, die schon dort waren,<br />
sei abends ab acht auf <strong>de</strong>n Straßen nichts<br />
mehr los, nur noch Bars haben offen. Dafür<br />
sind die Städte sauber, und die Natur auf <strong>de</strong>m<br />
Land ist schön. Insgesamt scheint es mir, als<br />
sei Europa zurzeit sehr mit sich selbst beschäftigt.<br />
Aber auch wenn dort gera<strong>de</strong> Krise<br />
ist und in China alle Medien darüber berichten:<br />
So schlimm kann das doch alles gar nicht<br />
sein. Wenn in China eine Firma mit hun<strong>de</strong>rt<br />
Angestellten bankrottgeht, verlieren alle ihre<br />
Arbeitsplätze und wissen am nächsten Tag<br />
nicht mehr, wo<strong>von</strong> sie leben sollen. Insolvenz<br />
in Europa be<strong>de</strong>utet meist, dass die <strong>Job</strong>s teilweise<br />
erhalten bleiben, die Leute bekommen<br />
eine Abfindung o<strong>de</strong>r Arbeitslosengeld. Einen<br />
Existenzdruck wie in China kennt man dort<br />
nicht. Dass es Sozialsysteme gibt wie in Skandinavien<br />
o<strong>de</strong>r Deutschland, können wir fast<br />
nicht glauben.<br />
Zhou Xu’er, 20, CaFébesitzerin<br />
Ich habe eine nostalgische Vorstellung <strong>von</strong><br />
Europa. Ich liebe Schwarz-Weiß-Filme, die<br />
Beatles und Vintage-Mo<strong>de</strong>. Da<strong>von</strong> habe ich<br />
mich inspirieren lassen, als ich mit zwei<br />
Freun<strong>de</strong>n gemeinsam unser Café eröffnet<br />
habe. Wir Chinesen wissen das Alte nicht zu<br />
schätzen, Historisches wird abgerissen, weggeschmissen<br />
und vergessen. Immer muss alles<br />
neu sein und schnell gehen. Zu viel Hektik,<br />
kaum Platz für Romantik, so ist <strong>de</strong>r Alltag in<br />
China. Europa stelle ich mir als das Gegenteil<br />
vor – dort ist das Leben ruhig, Häuser und<br />
Dinge haben ihre eigene Geschichte. Die<br />
Menschen sind freigeistig und wissen zu genießen.<br />
So wie in Die fabelhafte Welt <strong>de</strong>r<br />
Amélie. Wenn ich später mal die Gelegenheit<br />
haben sollte, nach Europa zu reisen, wer<strong>de</strong> ich<br />
dort als Erstes in Secondhandlä<strong>de</strong>n und auf<br />
Flohmärkte gehen.<br />
jetzt <strong>Uni</strong>&<strong>Job</strong> n o 05/12 15
16 jetzt UNI&JOB N o 05/12
<strong>von</strong> Eva-Maria HoMMEl / TexT<br />
Teurer Eintritt.<br />
Die Bologna-Reform sollte Bachelorabschlüsse<br />
europaweit vergleichbar machen.<br />
Das Gegenteil ist <strong>de</strong>r Fall: Bei <strong>de</strong>r Auswahl ihrer<br />
Masterstu<strong>de</strong>nten verlangen viele <strong>Uni</strong>s weitere<br />
Tests. Und die sind ziemlich teuer.<br />
Früher war alles ganz einfach: Abiturzeugnis<br />
abgeben, Formulare ausfüllen, unterschreiben<br />
– und fertig war meine Bewerbung<br />
an <strong>de</strong>r <strong>Uni</strong> Köln. Kosten: etwa 3,50 Euro für<br />
die Zeugnisbeglaubigung. Zeitaufwand: eine<br />
halbe Stun<strong>de</strong>.<br />
Heute sitze ich am Schreibtisch, um mich<br />
herum stapelweise Unterlagen <strong>von</strong> <strong>Uni</strong>s, Bücher,<br />
Formulare. In meinem Browser sind etwa<br />
20 Fenster geöffnet: Master-Bewerbungsportale<br />
<strong>von</strong> fünf Hochschulen, Mitfahrgelegenheit,<br />
Zugverbindungen nach Köln und Prag. Eigentlich<br />
habe ich mein VWL-Diplom schon<br />
in <strong>de</strong>r Tasche. Aber ich will wissen, wie eine<br />
Masterbewerbung in Zeiten <strong>von</strong> Bologna abläuft.<br />
Denn <strong>de</strong>r Kampf um einen Studienplatz<br />
ist aufwendiger gewor<strong>de</strong>n – entgegen<br />
<strong>de</strong>n Versprechungen <strong>de</strong>r Bologna-Reform,<br />
die Abschlüsse vergleichbarer und das europäische<br />
<strong>Uni</strong>system durchlässiger machen<br />
sollte. Nehmen wir also mal an, ich habe einen<br />
Bachelor in Wirtschaftswissenschaften mit<br />
Note 1,4 und suche einen Masterplatz in BWL<br />
an einer <strong>de</strong>utschsprachigen <strong>Uni</strong>.<br />
Ein Drittel <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>nten wechselt für <strong>de</strong>n<br />
Master die Hochschule, das zeigt eine Untersuchung<br />
<strong>de</strong>s HIS Hochschul-Informations-<br />
Systems aus <strong>de</strong>m Jahr 2009. Und viele Masterstu<strong>de</strong>nten<br />
kommen aus aller Welt nach<br />
Deutschland. Beson<strong>de</strong>rs groß ist <strong>de</strong>r Andrang<br />
in <strong>de</strong>n Wirtschaftswissenschaften: Auf<br />
einen Platz kommen bis zu 22 Bewerber, hat<br />
<strong>de</strong>r Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche<br />
Fakultätentag errechnet. Für die <strong>Uni</strong>s wird<br />
es immer schwieriger, die unterschiedlichen<br />
Abschlüsse zu vergleichen und zu bewerten.<br />
Deshalb behelfen sich viele mit internationalen,<br />
standardisierten Tests. Und daher ist mein<br />
Schreibtisch voller Papier. Auf <strong>de</strong>n <strong>Uni</strong>seiten<br />
tauchen immer wie<strong>de</strong>r Abkürzungen auf:<br />
GMAT steht für Graduate Management Admission<br />
Test, eine BWL-Prüfung, <strong>de</strong>r TOEFL<br />
(Test of English as a Foreign Language) ist ein<br />
gängiges Englischzertifikat. Die Tests kosten<br />
je um die 200 Euro – <strong>de</strong>r Kampf um einen<br />
Studienplatz ist auch teurer gewor<strong>de</strong>n.<br />
Mein Favorit ist <strong>de</strong>r Master in Management<br />
an <strong>de</strong>r <strong>Uni</strong>versität Mannheim. Die liegt in<br />
mehreren Rankings weit vorn. Wer dort studieren<br />
will, braucht einen GMAT. Den englischsprachigen<br />
BWL-Test vermarkten diverse<br />
Wirtschaftsunis gemeinsam, die meisten sitzen<br />
in <strong>de</strong>n USA. Am Computer soll ich einen<br />
Aufsatz schreiben, Fragen beantworten, Matheaufgaben<br />
rechnen.<br />
Ich klicke mich durch <strong>de</strong>n Test. Fragen<br />
kommen auf. Warum dieser Aufwand? Warum<br />
muss ich mich hier quälen? Ist mein Bachelor<br />
<strong>de</strong>nn überhaupt nichts wert? Ich frage<br />
die Sprecherin <strong>de</strong>r Mannheimer Wirtschaftsfakultät,<br />
Liane Weitert, warum die <strong>Uni</strong> <strong>de</strong>n<br />
teuren Test verlangt. Sie sagt: „Unterschiedliche<br />
Bildungseinrichtungen bil<strong>de</strong>n in unterschiedlicher<br />
Qualität aus. Externe Tests bieten<br />
einen Anhaltspunkt.“<br />
Ich habe keine Wahl, ich muss mich auf <strong>de</strong>n<br />
GMAT vorbereiten. Zum Üben könnte ich<br />
Bücher und Fragensammlungen bestellen,<br />
das Komplettpaket für 210 Euro. Immerhin<br />
gibt es ein kostenloses Lernprogramm. Als<br />
Ergänzung reichen mir drei Bücher für insgesamt<br />
35 Euro.<br />
Auf <strong>de</strong>r GMAT-Seite gebe ich meinen<br />
Wohnort ein, Dres<strong>de</strong>n. Es stellt sich heraus:<br />
Das nächstgelegene Testcenter ist in Prag. Ich<br />
könnte auch zum Testcenter <strong>de</strong>r US-Armee<br />
fahren, in eine Kaserne in <strong>de</strong>r Oberpfalz.<br />
Dann doch lieber Prag. Ich mel<strong>de</strong> mich also<br />
an und zahle die Testgebühr <strong>von</strong> 240 Euro.<br />
Die Zugfahrt kostet weitere 50 Euro. Immer-<br />
jetzt UNI&JOB N o 05/12 17
18 jetzt UNI&JOB N o 05/12<br />
hin läuft <strong>de</strong>r Test ganz gut. Ich gönne mir<br />
einen Len<strong>de</strong>nbraten mit Preiselbeeren und<br />
böhmischen Knö<strong>de</strong>ln – dafür hat sich die<br />
Reise gelohnt. Ob mir <strong>de</strong>r GMAT zu <strong>de</strong>m ersehnten<br />
Platz in Mannheim verhilft, weiß ich<br />
noch nicht. Irgendwie ein blö<strong>de</strong>s Gefühl.<br />
Als Nächstes versuche ich es bei <strong>de</strong>r <strong>Uni</strong><br />
Köln. Das internationale Programm CEMS<br />
ist bei BWLern beliebt: Man verbringt ein<br />
Semester und Praktika im Ausland, gestaltet<br />
eigene Projekte. Um reinzukommen, muss<br />
man sich zunächst für <strong>de</strong>n normalen Master<br />
of Business Administration bewerben. Die<br />
Unterlagen habe ich schnell beisammen. Für<br />
<strong>de</strong>n CEMS muss ich allerdings noch ein Motivationsschreiben<br />
und einen Lebenslauf auf<br />
Englisch verfassen und zwei Testergebnisse<br />
vorlegen: <strong>de</strong>n GMAT, <strong>de</strong>n ich ja zum Glück<br />
schon habe, und ein Englischzertifi kat.<br />
Ich bereite mich also auf <strong>de</strong>n TOEFL-Test<br />
vor. Dafür kaufe ich ein Buch für 30 Euro,<br />
das <strong>de</strong>r private Testanbieter empfi ehlt. Für<br />
die Prüfung fahre ich nach Leipzig: 36 Euro.<br />
Doch mit <strong>de</strong>m bestan<strong>de</strong>nen Test in <strong>de</strong>r Tasche<br />
ist es nicht getan, die <strong>Uni</strong> lädt mich noch<br />
zum Auswahlgespräch ein. Darüber sollte ich<br />
mich eigentlich freuen. Aber die Zugfahrt<br />
dauert sieben Stun<strong>de</strong>n. Ich übernachte in einer<br />
Jugendherberge und fahre mit <strong>de</strong>r Mitfahrgelegenheit<br />
zurück, nicht gera<strong>de</strong> luxuriös.<br />
Trotz<strong>de</strong>m kostet die CEMS-Bewerbung insgesamt<br />
mehr als 400 Euro.<br />
Ich frage die Kölner Fakultät, warum sie so<br />
viel <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Kandidaten verlangt. „Die Anzahl<br />
<strong>de</strong>r Bewerbungen liegt bis zu 8-fach höher<br />
als die Kapazität“, erklärt mir Sprecherin<br />
Kerstin Griesemann. Übrigens hätte ich statt<br />
<strong>de</strong>s GMAT auch <strong>de</strong>n Test TM-WISO direkt<br />
an <strong>de</strong>r <strong>Uni</strong> ablegen können. Der kostet „nur“<br />
97 Euro. Allerdings erkennen ihn nur drei<br />
Hochschulen an. Mit <strong>de</strong>m internationalen<br />
Test dagegen kann ich es noch an <strong>de</strong>r <strong>Uni</strong>versität<br />
Zürich versuchen. Ich überlege lange, ob<br />
ich mir die Bewerbungsgebühr <strong>von</strong> 83 Euro<br />
jetzt auch noch leisten soll.<br />
Zum Schluss schicke ich meine Unterlagen<br />
noch an die Humboldt-<strong>Uni</strong> in Berlin. Die<br />
Stadt reizt mich, und <strong>von</strong> Dres<strong>de</strong>n ist es auch<br />
nicht weit. Die Fakultät verlangt, dass ich im<br />
Bachelor min<strong>de</strong>stens 24 Leistungspunkte in<br />
Mathe, Statistik, Ökonometrie und Mikroökonomik<br />
gesammelt habe. Alexan<strong>de</strong>r Karmann,<br />
stellvertreten<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
WISO-Fakultätentags, hält dieses Verfahren<br />
für sinnvoller als externe Tests: „So können<br />
die Hochschulen sicherstellen, dass die Stu<strong>de</strong>nten<br />
eine passen<strong>de</strong> Ausbildung haben. Für<br />
viele Fakultäten ist es kein angenehmer Gedanke,<br />
dass man ein Monopol mit einem externen<br />
Testanbieter aufbaut.“ Trotz<strong>de</strong>m verlangen<br />
viele bei<strong>de</strong>s: Tests und bestimmte<br />
Leistungspunkte.<br />
Hat man uns nicht versprochen, dank Bologna<br />
wer<strong>de</strong> es einfacher, sich an Hochschulen<br />
in ganz Europa zu bewerben? Haben wir<br />
nicht für dieses Versprechen das ganze Umstellungschaos<br />
ertragen? Das Gegenteil ist<br />
wohl <strong>de</strong>r Fall: Selbst eine Bewerbung nur im<br />
<strong>de</strong>utschsprachigen Raum wird zur Vollzeitbeschäftigung.<br />
Für fünf Bewerbungen habe ich insgesamt<br />
fast 840 Euro gezahlt und mehr als 130 Stun<strong>de</strong>n<br />
gebraucht. Die Kosten verringern auch<br />
die soziale Durchlässigkeit unseres Bildungssystems.<br />
Sie machen es Stu<strong>de</strong>nten aus einkommensschwachen<br />
Familien noch schwerer,<br />
ihren Wunschplatz zu bekommen. Apropos<br />
Wunschplatz. Nach meiner 800-Euro-Investition<br />
ist längst noch nicht klar, ob ich überhaupt<br />
einen Platz bekomme.
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Internationale<br />
Beziehungen.<br />
alessandro, 29, aus Bologna, Mediziner,<br />
und viola, 31, aus Berlin, kulturwissenschaftlerin,<br />
haben sich 2008 in Bologna kennengelernt.<br />
seit dreieinhalb Jahren sind die<br />
bei<strong>de</strong>n verlobt.<br />
Viola: Vor <strong>de</strong>m Erasmus-Semester habe ich<br />
mit einer Freundin gewettet, dass ich in Bologna<br />
keine Beziehung anfangen wer<strong>de</strong>. Der Wetteinsatz:<br />
eine Pizza. Dann kam Alessandro.<br />
Alessandro: Im <strong>Uni</strong>-Chor ist mir Viola sofort<br />
aufgefallen, sie ist oft zu spät zur Probe<br />
gekommen. Nach <strong>de</strong>m Weihnachtskonzert<br />
habe ich sie angesprochen, und ein paar Wochen<br />
später haben wir uns das erste Mal allein<br />
getroffen.<br />
Viola: Dann sind wir zusammengekommen<br />
– drei Wochen vor En<strong>de</strong> meiner Erasmus-<br />
Zeit. Danach hatte ich ein Praktikum in München<br />
geplant. Alessandro ist mitgekommen.<br />
20 jetzt unI&JoB n o 05/12<br />
<strong>von</strong> fiona weber-steinhaus / Protokolle & Joanna swistowski / IllustratIon<br />
Erasmus-Stu<strong>de</strong>nten feiern ständig, und je<strong>de</strong>r schläft mit je<strong>de</strong>m.<br />
Mag sein. Aber manche fin<strong>de</strong>n während ihres Auslandssemesters<br />
viel mehr: die Liebe ihres Lebens. Mit je<strong>de</strong>r dieser<br />
Beziehungen wächst Europa ein Stückchen mehr zusammen.<br />
Alessandro: Eigentlich hatte ich bei einem<br />
nuklearmedizinischen Projekt in Turku, Finnland,<br />
forschen wollen. Ich habe dann meinen<br />
Professor überzeugt, dass ich das auch in<br />
München machen kann.<br />
Viola: Dass Ale mich wirklich nach München<br />
begleitet hat, hat mir gezeigt: Er meint<br />
es ernst. Ein Jahr später sind wir zu unserem<br />
Jahrestag nach Stockholm gefahren. Ale hat<br />
im Hostel Pasta mit Lachs gekocht – das hatten<br />
wir auch bei unserem ersten Date gegessen.<br />
Wir hatten abgemacht, dass wir uns<br />
nichts schenken. Ale überreichte mir eine<br />
kleine Box. Ich war überfor<strong>de</strong>rt, dachte: Vielleicht<br />
sind da nur Ohrringe drinnen, o<strong>de</strong>r er<br />
will mich ärgern. Doch es war ein Ring – und<br />
Ale schwieg. Ich wusste nicht, wie ich reagieren<br />
sollte. Ich sagte irgendwann: Oh, das ist<br />
aber ein schöner Freundschaftsring.<br />
Alessandro: Ihr Deutschen seid doch verrückt.<br />
Wofür braucht man einen Freundschaftsring?<br />
Viola: Ich habe dann Ja gesagt. Ein unbeholfener<br />
Heiratsantrag – dafür aber umso schöner.<br />
Ale und ich, wir haben jetzt bei<strong>de</strong> unser<br />
Studium been<strong>de</strong>t. Die Heirat eilt nicht, <strong>de</strong>r<br />
nächste Schritt ist jetzt zusammenzuziehen,<br />
in eine Stadt. Ich bewerbe mich gera<strong>de</strong>, und je<br />
nach<strong>de</strong>m, wo ich etwas kriege, bewirbt sich<br />
Ale dort dann auch.<br />
Alessandro: Ich habe durch Viola und auch<br />
durch das Zusammentreffen mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />
Erasmus-Leuten gelernt, entspannter zu sein<br />
und an<strong>de</strong>re Meinungen zu akzeptieren.<br />
Viola: Übrigens, die Pizza hat meine Freundin<br />
dann doch bekommen. Ale hat sie zubereitet<br />
– er ist ja dafür verantwortlich, dass ich<br />
die Wette verloren habe.
Peggy, 28, aus Paris, hat Philosophie studiert,<br />
und riccardo, 38, aus Bologna, ist<br />
Mathematiker. sie haben sich 2005 in Berlin<br />
kennengelernt, im März ist ihre tochter Paula<br />
auf die Welt gekommen.<br />
Peggy: In Berlin gab es mal wie<strong>de</strong>r eine Erasmus-Party:<br />
Ich war mü<strong>de</strong> und wollte nicht mit,<br />
eine Freundin überre<strong>de</strong>te mich. Dort traf ich<br />
Riccardo, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> in Mathematik promovierte.<br />
Ich hatte ihn einmal vorher in <strong>de</strong>r Berliner<br />
Philharmonie gesehen und fand ihn ein<br />
wenig langweilig. Eine Fehleinschätzung. Auf<br />
<strong>de</strong>r Party verstan<strong>de</strong>n wir uns sofort. Wir konnten<br />
nicht aufhören zu re<strong>de</strong>n, haben uns geküsst<br />
und die Nacht zusammen verbracht. Am nächs-<br />
PhiliPP, 23, aus stuttgart studiert Wirtschaftswissenschaften,<br />
und Judit, 25, aus<br />
Budapest studiert Internationale Beziehungen.<br />
sie haben sich 2010 in Budapest kennengelernt,<br />
seit einem Jahr wohnen sie dort<br />
gemeinsam.<br />
Philipp: Meine Entscheidung für Budapest<br />
traf ich aus <strong>de</strong>m Bauch, über die Stadt wusste<br />
ich wenig. Im Februar 2010 ging es los – und<br />
gleich in <strong>de</strong>r ersten Woche lernte ich Judit kennen.<br />
Sie war die Mentorin meiner nie<strong>de</strong>rländischen<br />
Nachbarin. Unser Anfang passt wirklich<br />
ins Erasmus-Klischee: Wir haben uns abends<br />
bei Partys getroffen, haben im Club getanzt,<br />
dann geknutscht. Von Anfang an war klar, dass<br />
ich Mitte Juni wie<strong>de</strong>r zurück nach Stuttgart fliege.<br />
Während <strong>de</strong>r ersten Monate haben wir nie<br />
ten Tag gab es keine komische Situation, wir<br />
gingen brunchen – kurze Zeit später waren wir<br />
ein Paar. Eine <strong>de</strong>utsche Freundin <strong>von</strong> mir sagte<br />
im Spaß: „Eine Französin und ein Italiener auf<br />
Erasmus – klare Sache, da geht’s nur um Sex.“<br />
Aber es war gleich mehr: Vier Monate später<br />
sind wir zusammengezogen, nach <strong>de</strong>m Erasmus<br />
habe ich ein DAAD-Stipendium bekommen<br />
und meinen Master in Berlin angefangen. Dann<br />
hat Riccardo einen <strong>Job</strong> in Paris bekommen,<br />
und wir führten ein halbes Jahr eine Fernbeziehung<br />
zwischen Berlin und Paris. Das fand ich<br />
aber nicht schlimm: Ich hatte in <strong>de</strong>r Zeit so viel<br />
in <strong>de</strong>r <strong>Uni</strong> zu tun und Riccardo in seinem <strong>Job</strong>.<br />
Während <strong>de</strong>r Zeit habe ich Italienisch gelernt.<br />
über unsere Zukunft gere<strong>de</strong>t, wir haben unsere<br />
Zeit genossen. Einen Monat vor meiner Abreise<br />
stritten wir uns heftig. Ich sagte, dass ich in<br />
Fernbeziehungen keine Perspektive sehe. Im<br />
dualen Studium ist man einfach nicht so flexibel<br />
wie ein normaler Stu<strong>de</strong>nt. Ich hatte keine Semesterferien,<br />
immer Anwesenheitspflicht und<br />
30 Tage Urlaub im Jahr. Nach langem Hin und<br />
Her haben wir gesagt: Wir probieren es – und es<br />
hat viel besser geklappt, als ich erwartet hatte.<br />
Etwas mehr als ein Jahr hatten wir eine Fernbeziehung,<br />
mit Skype, Flügen und Telefonieren.<br />
Nach <strong>de</strong>m Bachelor habe ich mich dann für <strong>de</strong>n<br />
Master <strong>de</strong>r Wirtschaftswissenschaft in Budapest<br />
beworben. Jetzt lerne ich Ungarisch, doch<br />
meist unterhalten Judit und ich uns auf Englisch<br />
– eine Herausfor<strong>de</strong>rung, weil es ja we<strong>de</strong>r<br />
Je<strong>de</strong>n Tag haben wir eine halbe Stun<strong>de</strong> auf Italienisch<br />
telefoniert, Riccardo hat mich verbessert.<br />
Jetzt merke ich gar nicht mehr, wann ich<br />
Italienisch, Französisch o<strong>de</strong>r Deutsch spreche.<br />
Streiten und Schreien geht aber besser auf Italienisch.<br />
Inzwischen bezeichne ich mich als<br />
Europäerin. Das hätte ich vor <strong>de</strong>r Beziehung<br />
mit Riccardo und <strong>de</strong>r Zeit in Berlin nicht so<br />
gesagt. Wir wollen wie<strong>de</strong>r zurück nach Berlin:<br />
Es ist schwer für Riccardo, in einer großen hektischen<br />
Stadt wie Paris neue Freun<strong>de</strong> zu fin<strong>de</strong>n;<br />
unsere Freun<strong>de</strong> sind meist meine Freun<strong>de</strong> <strong>von</strong><br />
früher. Wenn wir nach Deutschland ziehen,<br />
müssen wir <strong>de</strong>n Berlinern nur noch beibringen,<br />
dass Paula französisch ausgesprochen wird.<br />
meine noch ihre Muttersprache ist und man<br />
manchmal nicht so präzise sein kann. Meine<br />
Beziehung mit Judit hat meinen Blick auf Europa<br />
nicht unbedingt verän<strong>de</strong>rt, ich merke aber,<br />
welche Vorteile wir als Europäer haben: Wir<br />
brauchen kein Visum, können zusammen in<br />
Deutschland leben o<strong>de</strong>r in Budapest arbeiten.<br />
Wenn Judit Russin wäre, ginge das alles nicht<br />
so leicht. Was ich fürs Leben gelernt habe? Ich<br />
bin gelassener gewor<strong>de</strong>n: Die Ungarn feiern<br />
zum Beispiel <strong>de</strong>n Geburtstag häufig vor <strong>de</strong>m<br />
eigentlichen Datum. Ich habe am 30. November<br />
Geburtstag, letztes Jahr hat Judit einfach ein<br />
paar Tage vorher eine Feier organisiert. Für sie<br />
war es unverständlich, dass das Unglück bringen<br />
soll. Inzwischen feiere ich bei <strong>de</strong>n verfrühten<br />
Partys einfach mit.<br />
jetzt unI&JoB n o 05/12 21
sofia, 24, aus Helsinki arbeitet im onlinemarketing,<br />
stefan, 25, aus München studiert<br />
Betriebswirtschaftslehre. sie sind seit<br />
zweieinhalb Jahren zusammen und wohnen<br />
in München.<br />
Sofia: Hätte mir vor meinem Austauschsemester<br />
jemand gesagt, dass ich mit einem Deutschen<br />
zusammenkomme und dann nach München<br />
ziehe – ich hätte lachend <strong>de</strong>n Kopf<br />
geschüttelt. Deutschland war nie auf <strong>de</strong>r Liste<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, die ich besuchen wollte. Aber En<strong>de</strong><br />
August bin ich aus Helsinki zu Stefan nach<br />
München gezogen. Inzwischen schmecken mir<br />
sogar die Weißwürste. Stefan und ich haben uns<br />
2010 in Lund in Schwe<strong>de</strong>n kennengelernt. Wir<br />
felix, 26, arbeitet in einer Pr-agentur in<br />
stuttgart, Marina, 25, studiert kunstgeschichte<br />
in Barcelona. sie haben sich 2010<br />
in amsterdam kennengelernt.<br />
Felix: Als ich 2010 anfing, Kommunikationswissenschaft<br />
in Amsterdam zu studieren, habe<br />
ich bewusst im Wohnheim für Nie<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>r<br />
gewohnt, um Nie<strong>de</strong>rländisch zu lernen. Aber<br />
Amsterdam ist so international, dass man<br />
zwangsläufig mit Menschen aus aller Welt zusammenkommt.<br />
Marina habe ich über Bekannte<br />
getroffen. Sie war Teil einer riesigen Erasmus-Clique.<br />
Wir haben immer zusammen<br />
gekocht und gefeiert, bestimmt zwei- o<strong>de</strong>r dreimal<br />
die Woche. Sie ist mir sofort aufgefallen –<br />
und ich ihr wohl auch: Marina kannte mich be-<br />
22 jetzt unI&JoB n o 05/12<br />
haben bei<strong>de</strong> BWL studiert. Erasmus-Stu<strong>de</strong>nten<br />
sind alle auf <strong>de</strong>r Suche nach neuen Freun<strong>de</strong>n,<br />
da lernt man sich viel schneller kennen:<br />
Stefan und ich haben uns das erste Mal auf einer<br />
Stadttour durch Stockholm getroffen. Wir<br />
haben uns immer wie<strong>de</strong>r bei Partys gesehen,<br />
bei Facebook geschrieben, dann Nummern<br />
ausgetauscht und sind zusammen Formulare<br />
ausfüllen gegangen. Es war ziemlich schnell<br />
klar, dass wir uns sehr mögen. Beziehungen, in<br />
<strong>de</strong>nen bei<strong>de</strong> sofort wissen, dass es in einem halben<br />
Jahr wie<strong>de</strong>r vorbei ist, sind nichts für mich.<br />
Ich habe Stefan schon früh gefragt, ob unsere<br />
Beziehung für ihn nur ein Erasmus-Flirt ist. Er<br />
verneinte. Und so kam ich zu meiner allerersten<br />
reits <strong>von</strong> Facebook-Fotos ihrer spanischen<br />
Freundin, die ein Semester zuvor in Amsterdam<br />
studiert hatte. Irgendwann, abends in einer<br />
Kneipe, haben wir uns geküsst. So verliebt<br />
war ich noch nie. Ich habe das Gefühl, Marina<br />
und ich haben uns gefun<strong>de</strong>n. Auch wenn es unglaublich<br />
kitschig klingt: Selbst über <strong>de</strong>n Namen<br />
unseres zukünftigen Kin<strong>de</strong>s waren wir uns<br />
einig. Matilda soll’s sein. Für Marina und mich<br />
ist die Fernbeziehung eine Zwischenlösung –<br />
und <strong>de</strong>shalb auch nicht so schlimm. Wir sehen<br />
uns alle paar Wochen, für ein paar Monate haben<br />
wir gemeinsam in Stuttgart gelebt, vorher<br />
war ich für einen Monat in Barcelona. Langfristig<br />
wollen wir zusammenwohnen; Marina<br />
kommt wahrscheinlich nach Deutschland, hier<br />
Fernbeziehung. An<strong>de</strong>rthalb Jahre haben wir<br />
sehr viel Geld in Flüge gesteckt. Meinen Freund<br />
nur alle drei Monate sehen – das geht nicht.<br />
Letztes Jahr habe ich einen Sprachkurs in München<br />
gemacht und mich in die Stadt verliebt.<br />
Hier sind die Leute so viel offener als in Helsinki.<br />
Stefan hat mir wirklich eine neue Welt erschlossen,<br />
ohne ihn hätte ich viele Aspekte <strong>de</strong>s<br />
Lebens nicht kennengelernt. Mit ihm zusammen<br />
bin ich das erste Mal wan<strong>de</strong>rn gegangen<br />
und habe das Skifahren ausprobiert – Sportarten,<br />
die ich niemals allein ausprobiert hätte.<br />
Für <strong>de</strong>n nächsten <strong>de</strong>utschen Winter muss ich<br />
allerdings meine Schwünge noch etwas üben.<br />
fin<strong>de</strong>t man leichter einen <strong>Job</strong> als in Spanien.<br />
Dass wir überall arbeiten und leben können, ist<br />
ja Fluch und Segen unserer Generation. Ich war<br />
schon vor <strong>de</strong>m Erasmus begeisterter Europäer,<br />
gera<strong>de</strong> die europäischen Großstädte gefallen<br />
mir: Menschen <strong>von</strong> überall her kommen<br />
zusammen, Beziehungen bil<strong>de</strong>n sich über Län<strong>de</strong>rgrenzen<br />
hinweg, es gibt dieses europäische<br />
Lebensgefühl. Wirkliche kulturelle Unterschie<strong>de</strong><br />
fallen mir bei uns nicht auf. Obwohl,<br />
inzwischen schmiere ich manchmal Öl aufs<br />
Brot statt Butter – das hätte ich vor Marina nie<br />
gemacht.
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SIE FOLGEN AKTUELLEN TRENDS NICHT, SIE<br />
WOLLEN NEUE SETZEN. DANN SIND SIE DIE<br />
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Das Fashion Management Programm ist ein individuell abgestimmtes Karriere-Programm für Hochschulabsolventen<br />
(m/w). Als international wachsen<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lsunternehmen vereinen wir Mo<strong>de</strong>, Lifestyle, Design,<br />
Architektur – und noch viel mehr: Perspektiven für Nachwuchsführungskräfte (m/w). Ihre Zielrichtung:<br />
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Wholesale, Produktmanagement bzw. Design. Programmdauer: 8 Monate.<br />
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Peek & Cloppenburg KG, Führungskräfteentwicklung, Judith Engel, Berliner Allee 2, 40212 Düsseldorf<br />
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Durchs Schlüsselloch bei …<br />
Beim Bewerben, ganz wichtig, wollen wir <strong>de</strong>n Personalchef beeindrucken.<br />
Davor müssen uns das Unternehmen und <strong>de</strong>r <strong>Job</strong> beeindrucken.<br />
In unserer Serie „Durchs Schlüsselloch bei …“ erzählen Abteilungsleiter,<br />
Geschäftsführer und Personalchefs, wie es ist, in ihrem<br />
Unternehmen zu arbeiten, und was sie <strong>von</strong> uns erwarten.
Hier erzählt Christian Kabusch <strong>von</strong> seinem<br />
morgendlichen Gang zum Kaffeeautomaten<br />
und <strong>de</strong>m Unterschied zwischen Karriere und<br />
einem Rezept für Schokokuchen. Kabusch<br />
ist verantwortlich für das Recruiting in zwei<br />
<strong>de</strong>r vier Sektoren <strong>von</strong> Siemens.<br />
Herr Kabusch, was machen Sie als Erstes, wenn Sie morgens<br />
ins Büro kommen?<br />
Mein Weg beginnt bei meiner Kaffeetasse, führt zum Kaffeeautomaten<br />
und dann zurück zu meinem Team. Da frage ich die<br />
Stimmung ab, kümmere mich um Probleme, tausche mich mit<br />
<strong>de</strong>n Mitarbeitern aus – <strong>de</strong>r erste <strong>von</strong> vielen Kontakten pro Tag.<br />
Was steckt darüber hinaus hinter Ihrer Bezeichnung als<br />
Head of Recruiting-Center?<br />
Mein Team und ich sind Teil <strong>de</strong>s Fachcenters Talent Acquisition.<br />
Dort wer<strong>de</strong>n alle bun<strong>de</strong>sweiten Recruiting-Aktivitäten<br />
<strong>von</strong> Siemens gesteuert und gebün<strong>de</strong>lt. Innerhalb dieses Fachcenters<br />
leite ich die Aktivitäten für die Sektoren Industry und<br />
Infrastructure & Cities. Unser <strong>Job</strong> ist das bewerberorientierte<br />
Managen aller Stellenbesetzungen, aber auch die professionelle<br />
Darstellung <strong>von</strong> Siemens als Arbeitgeber auf Events.<br />
Anhand all dieser Begriffe wird <strong>de</strong>utlich, dass Siemens in<br />
diversen Branchen und international tätig ist. Für welche<br />
Bewerber ist das Unternehmen dadurch interessant?<br />
Ich drehe das mal um: Siemens ist für nieman<strong>de</strong>n uninteressant,<br />
weil das Unternehmen einfach so vielfältig ist. Wir haben<br />
natürlich klassische <strong>Job</strong>s in <strong>de</strong>n Bereichen Elektrotechnik,<br />
IT o<strong>de</strong>r im Maschinenbau, auf <strong>de</strong>nen ja <strong>de</strong>r Schwerpunkt in<br />
einem Technologiekonzern liegt. Aber auch für Juristen, Betriebswirte<br />
bis hin zu Medizinern ist Siemens interessant.<br />
Was erwartet einen Berufseinsteiger bei Siemens?<br />
Siemens besticht mit einer unheimlichen Vielfalt <strong>von</strong> technikbegeisterten<br />
Mitarbeitern, bei <strong>de</strong>nen die Augen funkeln und<br />
die in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Branchen Pioniere sind. Wir haben<br />
hier eine Atmosphäre <strong>de</strong>s Miteinan<strong>de</strong>rs und <strong>de</strong>r Offenheit. An<strong>de</strong>rerseits<br />
merkt man natürlich auch, dass Siemens ein Großkonzern<br />
ist und dass bei einzelnen Projekten gleich mehrere<br />
Entscheidungsträger involviert sind. Ich emp� n<strong>de</strong> das als absolut<br />
positiv, weil so Entscheidungen sehr fundiert getroffen<br />
wer<strong>de</strong>n – was manchmal aber auch etwas länger dauern kann.<br />
ANZEIGE<br />
Was leistet Siemens, um die Mitarbeiter langfristig zu<br />
bin<strong>de</strong>n?<br />
Ganz viele verschie<strong>de</strong>ne Dinge: vielfältige internationale und<br />
interdisziplinäre Entwicklungsmöglichkeiten, Weiterbildungsmaßnahmen<br />
und För<strong>de</strong>rprogramme. Nehmen Sie meinen eigenen<br />
Lebenslauf: Ich selbst bin erst vor einem knappen Jahr aus<br />
<strong>de</strong>m Sektor Industry aus <strong>de</strong>r Technik zu Corporate Human<br />
Resources gewechselt, also kein klassischer Personaler. Neben<br />
meiner jetzigen Tätigkeit studiere ich berufsbegleitend<br />
Betriebswirtschaft, wobei mich das Unternehmen unterstützt.<br />
Darüber hinaus gibt es soziale Einrichtungen wie etwa Siemens-<br />
Kin<strong>de</strong>rgärten. Es gibt diverse Gesundheitsmaßnahmen – <strong>von</strong><br />
Fitnessstudios über Seminare bis hin zu Fachvorträgen –, aber<br />
auch Sportgruppen an <strong>de</strong>n einzelnen Standorten, bei <strong>de</strong>nen<br />
sich Siemens-Mitarbeiter zusammenschließen können. Nicht<br />
zu vergessen � exible Arbeitszeiten, Telearbeitsplätze, Home<br />
Of� ce – also eine große Bandbreite.<br />
Aber einen Kickertisch haben Sie bestimmt nicht im<br />
Büro stehen.<br />
Na klar! An einzelnen Standorten können Sie Kicker spielen.<br />
Bei uns in Erlangen gibt es in <strong>de</strong>r Kommunikationsecke auch<br />
eine Wii als Bestandteil unserer mo<strong>de</strong>rnen Arbeitsumgebung.<br />
Auch in Sachen Karriere läuft es bei Ihnen ja rund. Verraten<br />
Sie uns Ihr Erfolgsrezept?<br />
Es gibt für die Karriere kein Rezept wie für einen Schokokuchen,<br />
das ist das Gute an ihr. Sonst wär’s ja zu einfach. Tatsächlich<br />
kommt es immer auf die Aufgabe an, die man hat. Man<br />
braucht eine Herausfor<strong>de</strong>rung, bei <strong>de</strong>r man Leistung erbringen<br />
kann. Mein Tipp dazu wäre: Über <strong>de</strong>n Tellerrand hinausschauen,<br />
sich in unterschiedliche Themen einbringen und das Ganze<br />
proaktiv angehen, um einfach auch sichtbar zu wer<strong>de</strong>n.
MArine Montejo Aus FrAnkreich.<br />
MArion Zosi Aus FrAnkreich.<br />
26 jetzt uni&joB n o 05/12<br />
teodorA rogoZeA Aus ruMänien.<br />
Michèle kierMeier Aus <strong>de</strong>utschlAnd.<br />
iuliA coZAcenco Aus MoldAwien.<br />
eMAnuele MAnigrAssi Aus itAlien.
Die ersten Senioren schlurfen über das<br />
Pflaster, noch fällt die Sonne flach und nur<br />
auf die höchsten Häuser und Türmchen. Der<br />
Straßenzug liegt im Schatten, die Bänke am<br />
Ufer <strong>de</strong>s Kanals sind kalt. Gegenüber ein<br />
goldglänzen<strong>de</strong>s Türschild auf rein-weißer<br />
Fassa<strong>de</strong>, hohe Fenster, ein Balkon über <strong>de</strong>m<br />
Eingang, zwei Säulen rahmen die Glastüren<br />
ein: Dijver 11 – <strong>de</strong>r Eingang zur Ka<strong>de</strong>rschmie<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Europäischen <strong>Uni</strong>on.<br />
Europas beste Stu<strong>de</strong>nten und Dozenten<br />
kommen hierher. Das College of Europe in<br />
Brügge, eine Stun<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Zug <strong>von</strong> Brüssel<br />
entfernt, bil<strong>de</strong>t Europas Manager <strong>von</strong> morgen<br />
aus, Topbeamte, die in ein paar Jahren die EU<br />
führen und gestalten wollen.<br />
Die Glastüren schieben sich auf, im Foyer<br />
<strong>de</strong>s Europacolleges lassen sich sieben Stu<strong>de</strong>nten<br />
in Le<strong>de</strong>rsessel fallen. Vor ein paar Wochen<br />
haben sie hier mit <strong>de</strong>m Studium begonnen,<br />
es gibt viel zu besprechen. Sie tauschen<br />
sich über das Essen in <strong>de</strong>r Mensa und die Einführungswoche<br />
aus – und darüber, wie es sich<br />
anfühlt, in einer <strong>de</strong>r schwersten Krisen an<br />
Europas Zukunft zu <strong>de</strong>nken. Die Frage ist,<br />
welche Perspektiven die künftigen Politiker,<br />
Manager und Diplomaten für die EU sehen<br />
– und für sich selbst. Und wie es ist, für ein<br />
Projekt zu arbeiten, das immer mehr Leute<br />
infrage stellen – und <strong>de</strong>ssen Zukunft so ungewiss<br />
ist wie nie zuvor.<br />
Es ist ein Sonntagmorgen im September,<br />
kurz nach neun. Emanuele Manigrassi, 25,<br />
Benjamin Dürr / text & eUDeS De SanTana / Fotos<br />
Die Retter.<br />
Die Krise versetzt Europa in Angst, die Zukunft<br />
<strong>de</strong>r Staatengemeinschaft ist ungewiss. Wo geht es hin<br />
mit Europa? Am drängendsten ist diese Frage für<br />
die Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s College of Europe.<br />
An dieser kleinen Elite-<strong>Uni</strong>versität in Brügge<br />
wer<strong>de</strong>n die zukünftigen Topbeamten, Diplomaten<br />
und Politiker <strong>de</strong>r EU ausgebil<strong>de</strong>t.<br />
aus Genua hat bis um vier Uhr früh gefeiert.<br />
Man <strong>de</strong>nkt nicht immer an die Krise. Und<br />
natürlich bleibt trotz <strong>de</strong>r vielen Kurse Zeit<br />
für Partys.<br />
Emanuele belegt Verhandlungsführung und<br />
Verfassungsrecht auf Französisch, Umweltpolitik<br />
und EU-Erweiterung auf Englisch,<br />
dazu Seminare über Interessenvertretung in<br />
Brüssel und Wirtschaftsbeziehungen mit <strong>de</strong>r<br />
Welt. Er macht <strong>de</strong>n Master in Politik und<br />
Verwaltung. Er ist erst seit Kurzem am College<br />
in Belgien – wie die meisten hat er im<br />
September angefangen.<br />
In zehn Monaten wer<strong>de</strong>n die Stu<strong>de</strong>nten einen<br />
Abschluss in Europäischem Recht, Wirtschaft,<br />
in Politik und Verwaltung o<strong>de</strong>r Diplomatie<br />
machen. Das Studium ist zweisprachig,<br />
auf Englisch und Französisch, die Kurse fin<strong>de</strong>n<br />
regelmäßig samstags statt, manchmal auch<br />
sonntags. Weil das College of Europe kaum<br />
eigene Professoren beschäftigt, kommen die<br />
160 Dozenten für die Vorlesungen aus ganz<br />
Europa eingeflogen. „Flying Faculty“, nannten<br />
das die Väter <strong>de</strong>s Europacolleges.<br />
Es wur<strong>de</strong> 1949 <strong>von</strong> einem spanischen<br />
Staatsmann gegrün<strong>de</strong>t, gleich nach<strong>de</strong>m die<br />
ersten I<strong>de</strong>en <strong>von</strong> einem vereinigten Europa<br />
entstan<strong>de</strong>n waren. Finanziert wird die Schule<br />
in großen Teilen <strong>von</strong> <strong>de</strong>r EU, mehreren Mitgliedslän<strong>de</strong>rn<br />
und <strong>de</strong>r Stadt Brügge. Der Gedanke<br />
war, eine Schule zu schaffen, an <strong>de</strong>r<br />
Professoren und Stu<strong>de</strong>nten aus ganz Europa<br />
zusammen arbeiten, lernen und leben.<br />
Emanuele Manigrassi wohnt in einer <strong>von</strong><br />
sieben Resi<strong>de</strong>nzen; die <strong>Uni</strong> serviert dort<br />
Frühstück, Mittag- und Aben<strong>de</strong>ssen, stellt<br />
Handtücher und Bettwäsche und beschäftigt<br />
Mitarbeiter für <strong>de</strong>n Haushalt.<br />
Manchmal kreuzen sich ihre Wege nach ein<br />
paar Jahren wie<strong>de</strong>r, in Brüssel, in Straßburg,<br />
vielleicht in Washington. Eine <strong>Job</strong>garantie<br />
gibt es zwar nicht, aber wer das College of<br />
Europe verlässt, hat sehr gute Chancen, bei<br />
<strong>de</strong>r Europäischen Kommission, <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Zentralbank o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Gerichtshof unterzukommen.<br />
Helle Thorning-Schmidt, die<br />
Premierministerin Dänemarks, hat hier studiert,<br />
ebenso <strong>de</strong>r Vizepremier Großbritanniens,<br />
Nick Clegg, <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Europäischen<br />
Gerichtshofs, <strong>de</strong>r polnische und <strong>de</strong>r<br />
luxemburgische Außenminister, ein Vizepräsi<strong>de</strong>nt<br />
<strong>de</strong>r Weltbank. Auf neun Seiten listet<br />
das Europacollege die Namen berühmter<br />
Absolventen auf.<br />
In Deutschland kennen diese <strong>Uni</strong> nur wenige,<br />
sagt Michèle Kiermeier aus Süd<strong>de</strong>utschland.<br />
In an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn hingegen habe das<br />
College einen Ruf wie Oxford und Cambridge.<br />
Emanueles Freun<strong>de</strong> reagierten mit<br />
drei Fragen, als sie hörten, dass er dort studieren<br />
wer<strong>de</strong>: was es koste, ob er jetzt zur<br />
Elite gehöre, warum er Bürokrat wer<strong>de</strong>. Er<br />
antwortete: 22 000 Euro Studiengebühr. Und<br />
versuchte dann, das Klischee <strong>de</strong>s steifen Beamten<br />
zurechtzurücken, die Vorstellung <strong>von</strong><br />
Brüssel als Hauptstadt <strong>von</strong> Bürokratie, Kra-<br />
jetzt uni&joB n o 05/12 27
watten, Absätzen und Akten auszubügeln, in<br />
<strong>de</strong>r über <strong>de</strong>r maximalen Länge <strong>von</strong> Schnullerketten,<br />
<strong>de</strong>r Beschaffenheit <strong>von</strong> Traktorsitzen<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>stgröße <strong>von</strong> Äpfeln gebrütet<br />
wird.<br />
Gegen solche Vorurteile<br />
kämpfen hier<br />
alle. Teodora Rogozea<br />
aus Rumänien<br />
sagt: „Es ist ziemlich<br />
schwierig, <strong>de</strong>n Leuten<br />
zu erklären, was die EU je<strong>de</strong>n Tag macht. Die<br />
EU ist nicht beson<strong>de</strong>rs gut im Marketing.“<br />
Im Nebenraum <strong>de</strong>s Foyers rattert die Kühlung<br />
<strong>de</strong>s Getränkeautomaten. Dahinter, um<br />
zwei Ecken herum, beginnt <strong>de</strong>r Flur mit <strong>de</strong>n<br />
Pressspantüren zu <strong>de</strong>n Klassenzimmern, Neonlicht<br />
spiegelt sich in <strong>de</strong>n auf Hochglanz polierten<br />
Platten <strong>de</strong>s Fußbo<strong>de</strong>ns. Hingen nicht<br />
die Porträts großer Europapolitiker an <strong>de</strong>r<br />
Wand, könnte <strong>de</strong>r Flur auch zu einem Krankenhaus<br />
o<strong>de</strong>r einem Landratsamt gehören.<br />
Das College of Europe in Brügge ist kein<br />
Prunkbau, die Stu<strong>de</strong>nten hier streiten ab, zur<br />
Elite gehören. Natürlich sei die Aufnahmeprüfung<br />
anspruchsvoll, sagt Iulia Cozacenco<br />
aus Moldawien. „Aber je<strong>de</strong>r hat die gleichen<br />
Chancen.“ Damit je<strong>de</strong>s Land gerecht vertreten<br />
ist, gibt es eine Quotenregelung. Deutschland<br />
etwa schickt nur etwa dreißig Stu<strong>de</strong>nten.<br />
Ausgewählt wer<strong>de</strong>n sie <strong>von</strong> nationalen Komitees,<br />
meist vom Außenministerium, fast alle<br />
Stu<strong>de</strong>nten bekommen ein Stipendium. Voraussetzung<br />
sind aber oft Auslandserfahrung<br />
und Mehrsprachigkeit. Nicht je<strong>de</strong>r könne sich<br />
das leisten, räumt Iulia ein.<br />
Viele Mitarbeiter, die auf <strong>de</strong>n Bürofluren<br />
<strong>de</strong>r EU unterwegs sind, kommen <strong>von</strong> Eliteschulen.<br />
Das lasse sich nicht vermei<strong>de</strong>n, sagen<br />
die Stu<strong>de</strong>nten. Der Wettbewerb treibt die<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen nach oben. Damit wird gewöhnlichen<br />
Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Zugang erschwert,<br />
die EU <strong>von</strong> einer kleinen Gruppe geführt.<br />
„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu<br />
sehr in unserer eigenen Welt leben“, sagt <strong>de</strong>shalb<br />
Emanuele.<br />
Wenn ihre Großeltern sagen, sie hätten für<br />
dreißig Mark eingekauft, dann wür<strong>de</strong> Michèle<br />
Kiermeier am liebsten rufen: „Nicht Mark!<br />
Euro!“ Nur zwei Generationen liegen zwischen<br />
ihr und ihren Großeltern, doch in dieser<br />
Zeit hat sich die Welt geöffnet. Distanzen<br />
schrumpfen, Grenzen verwischen. Michèle<br />
und die meisten an<strong>de</strong>ren Stu<strong>de</strong>nten am College<br />
of Europe kennen nur <strong>de</strong>n Euro, sie rechnen<br />
nicht im Kopf in die alte Währung um. Sie<br />
kennen keine Staus an Grenzübergängen. Und<br />
keinen Krieg auf <strong>de</strong>m Kontinent.<br />
28 jetzt uni&joB n o 05/12<br />
„Die Einheit wird<br />
die Aufgabe unserer<br />
Generation.“<br />
Dieser Gedanke <strong>de</strong>r unbegrenzten Möglichkeiten<br />
treibt sie an. Viele sind hier, weil sie<br />
an die europäische I<strong>de</strong>e glauben. Inzwischen<br />
gibt es auch Palästinenser und Chinesen, die<br />
sich dafür interessie-<br />
ren – <strong>de</strong>r Traum<br />
strahlt über die Grenzen<br />
<strong>de</strong>r EU-Mitgliedstaaten<br />
hinaus.<br />
Was aber, wenn<br />
diese I<strong>de</strong>e zerbricht?<br />
Die Stu<strong>de</strong>nten am College of Europe sagen,<br />
es brauche zwei Dinge: mehr Zusammenarbeit<br />
und mehr Zeit. Marion Zosi aus Frankreich<br />
macht ihren Master in Wirtschaft und<br />
erklärt: „Zuerst brauchen wir eine Bankenunion,<br />
danach eine gemeinsame Wirtschaftspolitik,<br />
irgendwann eine politische <strong>Uni</strong>on.“<br />
Für die Stu<strong>de</strong>nten am Europacollege hat die<br />
EU nur als starke Gemeinschaft eine Zukunft.<br />
Das aber braucht Zeit, und aus diesem<br />
Konflikt entsteht die Krise. Irgendwann aber<br />
wer<strong>de</strong> es so weit sein, glaubt auch Marine<br />
Montejo aus Frankreich. „Dass wir das in unserer<br />
Karriere noch erleben, ist unwahrscheinlich“,<br />
sagt sie. „Aber wir arbeiten dran,<br />
die Einheit wird die Aufgabe unserer Generation.“<br />
Bis es so weit ist, müsse man überlegt<br />
einen Schritt nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren machen.<br />
„Wir können zurzeit nicht das Beste tun, son<strong>de</strong>rn<br />
nur das am wenigsten Schmerzvolle“,<br />
meint Marion. Das müsse man <strong>de</strong>n Bürgern<br />
erklären. Wenn sie verstehen, was passiert,<br />
wer<strong>de</strong> das Vertrauen wie<strong>de</strong>r wachsen. Wenn<br />
die Stu<strong>de</strong>nten in einigen Jahren das Sagen haben,<br />
wer<strong>de</strong>n sie hier gebraucht, als Erklärer.<br />
Richtig konkret klingt all das nicht. Angst,<br />
<strong>de</strong>r Traum könnte zerplatzen und die Europäische<br />
<strong>Uni</strong>on auseinan<strong>de</strong>rbrechen, hat aber<br />
keiner <strong>de</strong>r Elitestu<strong>de</strong>nten in Brügge. Da<br />
herrscht Einstimmigkeit. Marion Zosi meint,<br />
Europa sei ein so großes Projekt – wie ein<br />
Tanker, behäbig, aber unsinkbar. Sie sagt<br />
bloß: „Too big to fail.“<br />
die treppe nAch oBen: wer AM college oF europe in Brügge studiert, BeFin<strong>de</strong>t sich AuF <strong>de</strong>M weg<br />
in richtung spitZenpositionen <strong>de</strong>r europäischen union. wo Allerdings die eu steht, wenn die<br />
stu<strong>de</strong>nten dort AnkoMMen, kAnn heute keiner so genAu sAgen.
VON ALF FROMMER / TEXT<br />
In <strong>de</strong>r Businessklasse.<br />
Wenn <strong>Uni</strong>-Absolventen aus an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn nach Deutschland<br />
kommen, ist die größte Hür<strong>de</strong> für sie unsere Sprache. Die<br />
Büro� oskeln lernen sie auch in Deutsch-Crashkursen nicht. Wenn<br />
wir ehrlich sind, verstehen selbst wir dieses Kau<strong>de</strong>rwelsch und seine<br />
verborgenen Be<strong>de</strong>utungen manchmal nicht. Eine Vokabel-Nachhilfe.<br />
B BENCHMARK Damit ist eine unternehme-<br />
unternehme-<br />
unternehme- PERFORMANCE-ORIENTIERT Wird oft im CUSTOMIZINGC C<br />
P PERFORMANCE-ORIENTIERT<br />
CUSTOMIZING Be<strong>de</strong>utet im I<strong>de</strong>alfall: Ein<br />
Brische rische Messlatte gemeint, gemeint, die überwiegend Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Gehalt benutzt. Be- Angebot wird genau auf die Bedürfnisse <strong>de</strong>s<br />
B<strong>von</strong> <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Konkurrenz gesetzt wur<strong>de</strong>. wur<strong>de</strong>. Tipp: Am <strong>de</strong>utet, dass man doppelt so viel arbeiten muss Kun<strong>de</strong>n angepasst. Heißt im Regelfall: Wir<br />
Bbesten besten unbemerkt unbemerkt drunter durchlaufen. für die Hälfte <strong>de</strong>s Lohns.<br />
nehmen unsere Standardlösung und verkau-<br />
BDann Dann reißt reißt man die Latte nicht nicht und sorgt sorgt<br />
fen die für teuer Geld.<br />
nicht für unnötiges Aufsehen.<br />
ERGEBNISORIENTIERT E<br />
EStun<strong>de</strong>nlange<br />
E<br />
EStun<strong>de</strong>nlange<br />
Stun<strong>de</strong>nlange<br />
S<br />
Meetings, in <strong>de</strong>nen dieses Wort fällt, sind<br />
SICH COMMITTEN Sich zu etwas bekennen:<br />
P<br />
PPROAKTIV Noch aktiver als aktiv ist „proak- vor allem eins nicht: ergebnisorientiert. An- An-<br />
meistens zur Verantwortung für <strong>de</strong>n Erfolg<br />
tiv“. Dann macht macht man sogar sogar etwas ungefragt ungefragt <strong>de</strong>rerseits: Dass man in endlosen Bespre- Bespre-<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Misserfolg eines Projekts. Daher<br />
P in Eigeninitiative: zum Beispiel seine Mei- Mei- chungen nicht zu einem Ergebnis kommt, ist<br />
tunlichst vermei<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r die Formulierung<br />
nung offen sagen (Nein!!) o<strong>de</strong>r Überstun<strong>de</strong>n genau <strong>de</strong>ren Sinn. Und darum: ergebnisori-<br />
ergebnisori- „sich noch committen“ nutzen, die lässt alle<br />
machen (Ja!!).<br />
entiert (sic!).<br />
Türen offen.<br />
AM AM<br />
A<br />
E<br />
I<br />
ENDE DES TAGES Häu� g verwen<strong>de</strong>te ERGEBNISOFFEN<br />
Das Gegenteil <strong>von</strong> > er- ICH GEBE DIR EIN UPDATE<br />
Halt! Bitte<br />
Formulierung <strong>von</strong> <strong>von</strong> Chefs, die damit innovative innovative gebnisorientiert, obwohl ergebnisoffene Ge- Ge- nicht drauf freuen, dass <strong>de</strong>r Kollege dir lä- lä-<br />
Vorschläge in <strong>de</strong>n Papierkorb schmeißen. spräche immer im gewünschten Ergebnis en- chelnd eine neue Version <strong>von</strong><br />
Angry Birds<br />
Credo: Ihr Ihr habt Illusionen, wir die Wahrheit. <strong>de</strong>n (zum Beispiel: keine Gehaltserhöhung). schenkt. Der Satz be<strong>de</strong>utet nur: Ich sage dir,<br />
In Wahrheit aber auch eine ziemlich sinnlose Daher ist „ergebnisoffen“ das wahre „ergeb- was es Neues gibt – meistens nichts.<br />
Denglisch-Interpretation <strong>von</strong> „at the end of nisorientiert“.<br />
the day“. Zum Glück ist am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Tages<br />
W<br />
INS BOOT HOLEN Wenn man bei einem<br />
auch: Feierabend.<br />
WIN-WIN-SITUATION Beschreibt ein Projekt,<br />
Projekt nicht weiterkommt, holt man I<br />
einfach<br />
<strong>von</strong> <strong>de</strong>m bei<strong>de</strong> Seiten pro� pro� pro� tieren. Kommt<br />
noch jeman<strong>de</strong>n dazu. Dann kann man diesen<br />
DA BIN ICH FEIN MIT Ausdruck<br />
D<br />
höchster verbal ständig vor, in Wirklichkeit so gut wie<br />
Kollegen später für das Scheitern verantwort-<br />
verantwort-<br />
Zufrie<strong>de</strong>nheit. Wird sogar <strong>von</strong> <strong>de</strong>n gröbsten nie. Sagt jemand „Win-win“, könnte er auch lich machen.<br />
Z<br />
Klötzen verwen<strong>de</strong>t, die ungefähr so fein sind „Grimms Märchen“ sagen.<br />
wie eine Dampframme und mit blö<strong>de</strong>n wört-<br />
S<br />
ZEITNAH Soll „bald“ be<strong>de</strong>uten, macht aber<br />
lichen Übersetzungen <strong>von</strong> „I’m � ne with it“ SYNERGIEEFFEKT<br />
Der kleine Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r in Wirklichkeit einen riesigen Zeitkorridor<br />
kein Problem haben.<br />
> Win-win-Situation. Wird ständig drüber<br />
auf zwischen „jetzt sofort“ und „irgendwann<br />
A<br />
gere<strong>de</strong>t, tritt fast niemals ein. Sagt jemand in ferner Zukunft, wenn Menschen auf <strong>de</strong>m<br />
AUF DER TONSPUR Erste Regel: In <strong>de</strong>r „Synergieeffekt“, könnte er auch „Ich glaube Mars sie<strong>de</strong>ln“.<br />
Powerpoint-Präsentation steht alles. Fast al- al-<br />
an Einhörner“ sagen.<br />
les. Denn, zweite Regel: Was nicht in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Po- Po-<br />
B<br />
ASAP „As soon as possible“ – so schnell wie<br />
werpoint-Präsentation steht, erzählt <strong>de</strong>r Chef BEST PRACTICE Neu<strong>de</strong>utsch für: Das ha- ha-<br />
möglich. Also, wenn möglich, nach <strong>de</strong>m Face-<br />
„auf <strong>de</strong>r Tonspur“. Zum Beispiel: „In <strong>de</strong>r ben wir immer schon so gemacht, also ma- ma-<br />
book-Chat, <strong>de</strong>r Mittagspause o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
A<br />
o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
Pause gibt es Schnittchen.“<br />
chen wir es auch weiterhin so.<br />
viel wichtigeren Dingen. > Zeitnah.<br />
30 jetzt UNI&JOB N o 05/12
D DA IST NOCH LUFT NACH OBEN Ausdruck<br />
<strong>de</strong>r Unzufrie<strong>de</strong>nheit. Immer in Bezug<br />
auf die Leistung an<strong>de</strong>rer verwen<strong>de</strong>n, niemals<br />
auf die eigene. Obwohl da oft auch noch je<strong>de</strong><br />
Menge Luft nach oben ist.<br />
W<br />
WIR SIND SAFE Es gibt Kollegen, die so ver- ver- ver-<br />
schlossen sind wie ein Tresor. Die sind hier<br />
jedoch nicht nicht gemeint. Die Phrase meint: meint:<br />
HURRA! Wir haben unseren Arsch Arsch gerettet<br />
und die an<strong>de</strong>ren sind schuld. > Ins Boot holen. holen.W<br />
holen.<br />
BACK BACK ON TRACK Etwas ist bei einem Pro-<br />
Bjekt jekt furchtbar schiefgegangen und lässt sich<br />
Bauch auch nicht nicht mehr mehr gera<strong>de</strong>biegen. Derjenige, <strong>de</strong>r<br />
„back on track“ sagt, darf sich bald > neue<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen suchen.<br />
NEUE HERAUSFORDERUNGEN SUCHEN<br />
Ab einer gewissen Position wird man of� ziell<br />
nicht mehr mehr entlassen. entlassen.<br />
N<br />
Nein, solche Erfolgs- Erfolgs- Erfolgs-<br />
menschen suchen sich neue neue Herausfor<strong>de</strong>run-<br />
Herausfor<strong>de</strong>run-<br />
Herausfor<strong>de</strong>run-<br />
gen – und wenn es nur <strong>de</strong>r Antrag auf ArArbeitslosengeld ist.<br />
I<br />
ICH WAR WAR NICHT IM VERTEILER Gera<strong>de</strong> in<br />
Großunternehmen kommt eigentlich je<strong>de</strong>r<br />
auf <strong>de</strong>n Verteiler einer E-Mail, <strong>de</strong>r bei drei<br />
keinen Account hat. Nicht im Verteiler zu<br />
sein heißt, dass man total abgemel<strong>de</strong>t ist.<br />
> Back on track und > Neue Herausfor<strong>de</strong>run-<br />
U<br />
gen suchen.<br />
UMSTRUKTURIERUNG Alarmstufe Rot!<br />
Heißt im Klartext: Massenentlassungen ste- ste- ste-<br />
hen vor <strong>de</strong>r Tür, ganze Abteilungen wer<strong>de</strong>n<br />
aufgelöst. > Optimierungen.<br />
OPTIMIERUNGEN Unternehmen wollen<br />
Osich sich immer verbessern, damit sie auf <strong>de</strong>m<br />
OMarkt Markt bestehen. Lei<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>uten Optimie- Optimie-<br />
Orungen rungen meistens Verschlechterungen – weni- weni- weni-<br />
Oger ger Gehalt und mehr Arbeit.<br />
Wer <strong>von</strong> bei<strong>de</strong>n wird<br />
international Karriere machen?<br />
Bei<strong>de</strong>.<br />
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M.A. International Management<br />
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M.Sc. Finance<br />
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München und Hamburg<br />
ISM_Image-Anzeige_94x121,5_RZ.indd ZumBearbeiten_QR_co<strong>de</strong>.indd 1 1 21.09.12 04.10.12 14:44 17:03
VON PETER WAGNER / TEXT<br />
In <strong>de</strong>r<br />
Zwischenzeit.<br />
Unternehmensberater sind viel unterwegs und verdienen gut.<br />
Was diesen Beruf aber wirklich ausmacht, ist die Tatsache,<br />
dass er nur eine Transitstation auf <strong>de</strong>r großen Karrierereise ist –<br />
und man noch mal darüber nach<strong>de</strong>nken kann,<br />
wohin das Leben gehen soll.<br />
Am En<strong>de</strong> seiner beru� beru� ichen Laufbahn war Herbert Henzler Europachef<br />
<strong>de</strong>r Unternehmensberatung McKinsey. Am Anfang seiner beruflichen<br />
Laufbahn war er <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>r Welt.<br />
„Als ich mit 27 Jahren bei McKinsey einstieg“, erzählte Henzler im<br />
Frühjahr <strong>de</strong>r Wochenzeitung Die Zeit, „war mein erster Kun<strong>de</strong> ein<br />
großes Pharmaunternehmen. Mein Kollege und ich arbeiteten direkt<br />
mit <strong>de</strong>m Vorstand zusammen. Wir fühlten uns bärenstark. Hätte man<br />
uns gesagt, wir sollen helfen, ein Krebsmittel zu er� er� n<strong>de</strong>n – wir hätten<br />
geantwortet: Das schaffen wir. Das war natürlich Unfug.“<br />
Mit <strong>de</strong>m letzten Satz kassiert Henzler, 71,<br />
noch schnell die Hybris, die er in jungen Jahren<br />
spürte. Die großen Unternehmensberatungen<br />
sind auch heute noch gut darin, ihren<br />
Angestellten ein Gefühl <strong>de</strong>r Stärke zu vermitteln.<br />
Sie füllen die Trolleys ihrer jungen<br />
Mitarbeiter mit Selbstbewusstsein und schicken<br />
sie in frem<strong>de</strong> Unternehmen. Dort suchen die Berater die Welt<br />
nach neuen Märkten ab und entwickeln, tatsächlich, komplette Ge-<br />
schäftsstrategien. Dort sollen sie nachsehen, ob das vorhan<strong>de</strong>ne Personal<br />
sinnvoll eingesetzt wird o<strong>de</strong>r nicht wenigstens zu zahlreich ist.<br />
Das Personal selbst rollt mit <strong>de</strong>n Augen, wenn Unternehmensberater<br />
an die Bürotür klopfen. Immer wie<strong>de</strong>r för<strong>de</strong>rn die Berater in ihren<br />
Projekten Erkenntnisse zutage, die im jeweiligen Haus durchaus<br />
schon vorhan<strong>de</strong>n sind, die man in <strong>de</strong>r Chefetage aber lieber aus <strong>de</strong>m<br />
beredten Mund <strong>de</strong>r bezahlten Gäste hört. Viele Chefs sind gierig nach<br />
<strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r Berater. Der Bun<strong>de</strong>sverband <strong>de</strong>r Deutschen Unternehmensberater<br />
hat notiert, dass <strong>de</strong>r Branchenumsatz im Jahr 2012<br />
wohl um die 22 Milliar<strong>de</strong>n Euro betragen könnte. Vor zehn Jahren waren<br />
es nur gut 12 Milliar<strong>de</strong>n Euro. Und die Arbeit wird nicht weniger.<br />
32 jetzt UNI&JOB N o 05/12<br />
Drei <strong>von</strong> vier<br />
Beratern kündigen<br />
nach fünf Jahren.<br />
Gera<strong>de</strong> ist wie<strong>de</strong>r <strong>von</strong> einem „Boom“ die Re<strong>de</strong>. Die Nachfrage<br />
nach neuen Beratern ist so groß, dass wie<strong>de</strong>r einmal die superkapitalistische<br />
Formulierung vom „war for talents“ zur Anwendung kommt.<br />
Die Unternehmensberatungen führen angeblich einen „Krieg“ um die<br />
besten Absolventen <strong>de</strong>r Natur-, Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften.<br />
So kommt es, dass sich min<strong>de</strong>stens unter <strong>de</strong>n Absolventen <strong>de</strong>r<br />
BWL-nahen Studiengänge Neid regt, wenn Kommilitonen bei einer<br />
<strong>de</strong>r großen Beratungen unterkommen. Manchmal betragen die Einstiegsgehälter<br />
4000 Euro im Monat o<strong>de</strong>r sogar mehr. Dafür müssen<br />
die Neulinge sehr viel arbeiten, wer<strong>de</strong>n aber –<br />
das hat sich seit Herbert Henzlers Berufseinstieg<br />
nicht verän<strong>de</strong>rt – mit direkten Kontakten<br />
zu <strong>de</strong>n Chefs jener Unternehmen belohnt, die<br />
sie in ihren Projekten betreuen. Je<strong>de</strong>r Berater<br />
lernt in kurzer Zeit eine ganze Reihe <strong>von</strong> Unternehmen<br />
kennen. Er lernt, auch wenn das<br />
keiner so ausdrücklich zugeben darf, potenzielle Arbeitgeber kennen.<br />
Einer ungefähren Rechnung zufolge kündigen drei <strong>von</strong> vier Beratern<br />
nach spätestens fünf Jahren. Herbert Henzler sagt, dass bei<br />
McKinsey die meisten Mitarbeiter schon nach drei o<strong>de</strong>r vier Jahren<br />
wie<strong>de</strong>r verschwin<strong>de</strong>n – weil ihnen <strong>de</strong>r Austritt nahegelegt wird o<strong>de</strong>r<br />
weil eben ein Angebot auf <strong>de</strong>n Tisch � attert. Unternehmensberatungen<br />
sind Transitorte. Von dort hat man eine wun<strong>de</strong>rbar klare Sicht in<br />
die <strong>Job</strong>welt. Dort kann man noch ein letztes Mal darüber nach<strong>de</strong>nken,<br />
wohin das Leben eigentlich gehen soll. Manchmal lässt allein die<br />
Gestaltung <strong>de</strong>r Büros <strong>de</strong>n Schluss zu, dass Berater sich im Niemandsland<br />
bewegen. Die Boston Consulting Group etwa hat die Arbeitsräume<br />
an ihrem Münchner Sitz in 13 Dörfer aufgeteilt. Je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r freitags<br />
für seinen Of� ce-Tag ins Haus zurückkehrt, geht in sein Dorf und
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34 jetzt UNI&JOB N o 05/12<br />
Ein Beraterplatz ist<br />
– ganz bewusst –<br />
ein Platz auf Zeit.<br />
setzt sich dort an einen freien Platz seiner Wahl. Er tippt einen Co<strong>de</strong><br />
in eines <strong>de</strong>r Telefone, und schon ist das Telefon sein Telefon. Der Platz<br />
ist, ganz bewusst, ein Platz auf Zeit. Diese Organisation hat in erster<br />
Linie wahrscheinlich praktische Grün<strong>de</strong> – man hält nun mal keine<br />
Büros mit Namensschil<strong>de</strong>rn vor, wenn an vier <strong>von</strong> fünf Tagen gar niemand<br />
drinhockt. Aber sie übermittelt, wenn<br />
auch sehr leise, doch auch eine Nachricht:<br />
„Du bist noch nicht angekommen. Du bist im<br />
Transit.“<br />
Die Reisetätigkeit <strong>von</strong> Beratern ist immens,<br />
manche verbringen mehr als 200 Tage und<br />
Nächte im Jahr außerhalb Deutschlands. Diese<br />
Reisen sind für manche wie eine Bestätigung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Tatsache, Tatsache, dass sie<br />
etwas erreicht haben. Wer ohne Unterlass <strong>von</strong> seinem Arbeitgeber<br />
durch durch die Welt geschickt geschickt wird, wird, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r muss, so geht noch immer die Erzählung,<br />
gut sein. Das Leben Leben im im Transit ist ein ein herber, durchaus reizvollervoller<br />
Kontrast zum Leben zwischen Mensa o<strong>de</strong>r Wohngemeinschaft.<br />
Und <strong>de</strong>r Flughafen ist sowieso eine wun<strong>de</strong>rbare Heimat für für jene, die<br />
noch nicht entschie<strong>de</strong>n haben, haben, wohin sie wollen. Dort steht die Welt<br />
ganz namentlich auf <strong>de</strong>r Ab� Ab� Ab� ugtafel, und wer Fantasie genug hat,<br />
sieht hinter je<strong>de</strong>r Ortsangabe eine an<strong>de</strong>re Zukunft.<br />
Vielleicht bezieht mancher Jungberater sein Selbstbewusstsein gar<br />
nicht aus <strong>de</strong>m schieren Umworbensein und aus <strong>de</strong>m Blick auf sein<br />
Konto. Vielleicht freut er sich, zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>n ruhigeren Momenten,<br />
an einem Berufsleben, in <strong>de</strong>m noch nichts festgelegt ist. ist. Denn<br />
erst am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Transits, wenn er sich für für eine Biogra� Biogra� e entschie<strong>de</strong>n<br />
hat, da beginnt das echte Leben.
Wer persönlich wächst,<br />
wächst auch beruflich.<br />
McKinsey sucht inspirieren<strong>de</strong> Führungspersönlichkeiten – Menschen, die nicht nur ihre Arbeit, son<strong>de</strong>rn auch persönliche<br />
Ziele mit Lei<strong>de</strong>nschaft verfolgen. Das for<strong>de</strong>rn wir nicht nur, wir för<strong>de</strong>rn es auch: Unsere Berater entschei<strong>de</strong>n je<strong>de</strong>s Jahr<br />
aufs Neue, wie viel sie arbeiten. Jährlich stehen ihnen bis zu drei Monate zur Verfügung, um neben <strong>de</strong>r Klientenarbeit<br />
eigene Ziele zu verwirklichen. Sei es, ein soziales Projekt zu realisieren, die Welt zu umsegeln, ein Buch zu schreiben o<strong>de</strong>r<br />
ausge<strong>de</strong>hnt Zeit mit <strong>de</strong>r Familie zu verbringen – wir geben ihnen <strong>de</strong>n Freiraum.<br />
Erfahren Sie mehr unter karriere.mckinsey.<strong>de</strong>/personaltime<br />
Building Global Lea<strong>de</strong>rs
Von Merce<strong>de</strong>s LAuenstein / Protokolle & Juri GottschALL / Fotos<br />
Alles bleibt an<strong>de</strong>rs.<br />
Wenn man zum Studieren das<br />
Elternhaus verlässt, verliert<br />
das Kin<strong>de</strong>rzimmer plötzlich seinen<br />
Bewohner. Eigentlich könnten die<br />
Eltern dort jetzt rigoros umräumen,<br />
doch oft bleibt vieles, wie es war.<br />
Wir haben fünf Stu<strong>de</strong>nten in ihrem<br />
früheren Reich besucht.<br />
Als ich ausgezogen bin, wollte ich in meinem WG-Zimmer nicht alles<br />
neu machen, da hätte ich mich irgendwie entwurzelt gefühlt. Ich habe<br />
Stück für Stück immer ein paar Sachen mitgenommen. Die meisten<br />
Möbel hier sind allerdings Einbaumöbel, daher sind sie geblieben.<br />
Ansonsten habe ich hier nur noch so eine kleine Ecke, in <strong>de</strong>r Wegschmeißverbot<br />
herrscht, da stehen mein Saxofon, meine Bil<strong>de</strong>r aus<br />
<strong>de</strong>m Kunst-LK, Töpferarbeiten und ein Karton mit Fotos. Ich liebe es,<br />
mir diese Dinge in gewissen Zeitabstän<strong>de</strong>n noch einmal anzusehen.<br />
Schon merkwürdig, wie sich die Vorstellung <strong>von</strong> <strong>de</strong>m, was man ge-<br />
36 jetzt uni&JoB n o 05/12<br />
macht hat, über die Jahre verän<strong>de</strong>rt. Wenn ich ungefähr alle drei Monate<br />
mal zu Hause bin, ist mein Kin<strong>de</strong>rzimmer zwar immer noch mein<br />
Zimmer, es wird durchgeputzt, ich kriege mein Bettchen gemacht, es<br />
steht eine kleine Blume neben <strong>de</strong>m Bett und eine Flasche Wasser,<br />
aber sonst wird eigentlich keine Rücksicht darauf genommen, dass<br />
alles so bleibt, wie es ist. Ich freue mich, wenn sich hier etwas verän<strong>de</strong>rt,<br />
wenn meine Mutter meinen Klei<strong>de</strong>rschrank vollhängt o<strong>de</strong>r sich<br />
hier eine Sofaecke einrichtet. Ich fin<strong>de</strong> es viel trauriger, wenn Eltern<br />
das Kin<strong>de</strong>rzimmer so heilig behan<strong>de</strong>ln, als wäre das Kind gestorben.<br />
AnnikA, 24, ist 20
08 ausgezogen.<br />
Außer<strong>de</strong>m glaube ich, dass man manchmal auch einfach zum Wegschmeißen<br />
getrieben wer<strong>de</strong>n muss. Zu <strong>de</strong>m Didgeridoo, das hier<br />
steht, habe ich keine tiefe Beziehung. Ich habe es <strong>von</strong> meiner Gastmutter<br />
in Australien geschenkt bekommen, aber wenn ich es spiele,<br />
kommt nur ein längerer, trauriger Pups raus. Wenn ich hier bin, fühle<br />
ich mich immer sehr beschützt und behütet, ich schlafe auch viel tiefer<br />
und besser, weil es nur ein paar Vögelchen gibt morgens, keine Tram<br />
und kein Kin<strong>de</strong>rgeschrei wie in Berlin. Außer<strong>de</strong>m liebe ich meinen<br />
alten Bettalkoven mit <strong>de</strong>m Bullauge. Als ich zum ersten Mal in einer<br />
richtigen Wohnung wohnte und mein Bett da einfach so offen reinstellen<br />
musste, war das ganz schön gewöhnungsbedürftig. Immer so<br />
mitten im Zimmer aufzuwachen, keinen Schutz, kein Giebeldach<br />
über <strong>de</strong>m Kopf. Dieses Bett ist mir schon heilig – wenn das nicht mehr<br />
da wäre, wäre ich traurig. Aber wenn meine Mutter hier auf einmal<br />
ihren Schreibtisch reinstellen wür<strong>de</strong>, wür<strong>de</strong> ich trotz<strong>de</strong>m versuchen,<br />
mich damit abzufin<strong>de</strong>n. Ich will mir hier überhaupt keine Rechte mehr<br />
einräumen. Das ist das Haus meiner Eltern, ich bin ausgezogen, die<br />
können und sollen daraus machen, was sie wollen.<br />
jetzt uni&JoB n o 05/12 37
Nach meinem Auszug habe ich das möblierte WG-Zimmer meines<br />
Bru<strong>de</strong>rs übernommen, <strong>de</strong>shalb ist hier alles so geblieben, wie es damals<br />
war. Meine Eltern haben genug Platz und fin<strong>de</strong>n es schön, uns<br />
unsere alten Zimmer zu bewahren. Außer<strong>de</strong>m sind wir auch alle ein<br />
bisschen zu faul, hier alles neu zu machen. Einmal hatten wir mein<br />
Zimmer sogar für ein paar Monate an jeman<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Nachbarschaft<br />
als Arbeitszimmer vermietet, <strong>de</strong>n hat mein Kin<strong>de</strong>r- und Jugendkram<br />
hier wohl nicht weiter gestört. Das meiste hier ist eigentlich<br />
Schrott, pure Staubfänger: alte Indie-Anstecker, leere Batterien, alte<br />
Kabel, Schulbücher, kaputte DVDs und alte CDs. Meine Jahrbücher<br />
und Hausaufgabenhefte aus <strong>de</strong>r Schule sind auch noch hier, eine kleine<br />
Kiste mit Dingen <strong>von</strong> meiner Südamerika-Reise, außer<strong>de</strong>m eine Flasche<br />
Berliner Bier, das ich <strong>von</strong> einer Klassenfahrt mitgenommen habe<br />
38 jetzt uni&JoB n o 05/12<br />
JAkob, 25, ist 2007 ausgezogen.<br />
und das seit 2005 abgelaufen ist. Es gibt noch einen Schuhkarton mit<br />
Liebesbriefen und das Blin<strong>de</strong>ntelefon meiner Großeltern. Vieles<br />
kann und sollte bestimmt weg, aber irgendwie hänge ich an allen Dingen<br />
ein bisschen, weil es lustige Erinnerungen sind. Wichtig ist <strong>de</strong>r<br />
Totenkopf. Der ist echt, noch aus <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg. Oben in <strong>de</strong>r<br />
Schä<strong>de</strong>l<strong>de</strong>cke sieht man <strong>de</strong>n Einstich eines Bajonetts. Er stand immer<br />
in <strong>de</strong>r Arztpraxis meines Opas, dann wan<strong>de</strong>rte er in <strong>de</strong>n Keller, und<br />
irgendwann habe ich ihn mir ins Zimmer geholt. Ich bin ungefähr ein-<br />
mal die Woche hier draußen auf <strong>de</strong>m Land, wir wohnen am See, und<br />
ich genieße die Luft und die Aussicht. Wenn ich hier bin, bin ich auch<br />
immer wie<strong>de</strong>r ein bisschen in Kin<strong>de</strong>rstimmung zwischen <strong>de</strong>n ganzen<br />
alten Sachen und habe Angst, dass gleich meine Mutter hereinkommt<br />
und mich wie früher beim Kiffen erwischt.
Mein Zimmer war früher orangefarben, sonst hat sich seit meinem<br />
Auszug nicht viel verän<strong>de</strong>rt. Manchmal schlafen Freun<strong>de</strong> meines<br />
Bru<strong>de</strong>rs hier, aber je<strong>de</strong>s Mal, wenn ich komme, sieht es aus, als wäre<br />
ich die Letzte gewesen, die hier drin war. Als ich zum Studieren nach<br />
Maastricht zog, habe ich mich dort ganz neu eingerichtet. Die Möbel<br />
hier sind noch meine Kin<strong>de</strong>rmöbel. Mein Bett war früher mal ein<br />
Hochbett, das haben wir einfach abgesägt, als ich Hochbetten nicht<br />
mehr cool fand. Ich weiß gar nicht, wann ich die ganzen Dinge hier<br />
zum letzten Mal wirklich berührt habe. Vieles weiß ich trotz<strong>de</strong>m noch<br />
ganz genau, zum Beispiel, dass in <strong>de</strong>r linken Schubla<strong>de</strong> meiner Kommo<strong>de</strong><br />
alle meine Erich-Kästner- und Drei-Fragezeichen-Kassetten<br />
liegen. Die alten Kuscheltiere lagen schon in meiner Krippe, <strong>de</strong>n Sand<br />
und die Muscheln auf <strong>de</strong>r Fensterbank habe ich vom Segeln und <strong>von</strong><br />
rebeccA, 26, ist 2007 ausgezogen.<br />
Reisen in <strong>de</strong>r Kindheit, und an <strong>de</strong>n Afri-Cola-Flaschen auf <strong>de</strong>r Fensterbank<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Jack-Johnson-Postern an <strong>de</strong>r Wand erkennt man die<br />
Phase, in <strong>de</strong>r mein Zimmer cooler wer<strong>de</strong>n sollte. Wichtig sind mir<br />
beson<strong>de</strong>rs die alten Fotos – <strong>von</strong> meinem Bru<strong>de</strong>r, <strong>von</strong> meiner ersten<br />
Jugendliebe, <strong>von</strong> Leuten, die ich aus <strong>de</strong>r Kindheit kenne und die immer<br />
noch große Rollen in meinem Leben spielen. Das sind Heiligtümer.<br />
Ich bin ungefähr zwei-, dreimal im Jahr zu Hause. Ich genieße<br />
die Vertrautheit, aber ich komme mir immer auch ein bisschen zu<br />
groß darin vor, irgendwie herausgewachsen. Meine Mutter hat mich<br />
kürzlich vorsichtig gefragt, ob sie vielleicht allmählich ein nettes Zimmer<br />
für sich daraus machen könnte. Klar, habe ich gesagt, solange<br />
nichts weggeschmissen wird und ihr alles in Kisten packt, ist das kein<br />
Problem. An <strong>de</strong>m Zimmer an sich hänge ich nicht.<br />
jetzt uni&JoB n o 05/12 39
Meine Eltern haben bei<strong>de</strong> geräumige Arbeitszimmer und ein großes<br />
Wohn- und Esszimmer, die haben keinen Bedarf, hier etwas zu än<strong>de</strong>rn.<br />
Außer<strong>de</strong>m ist es ihnen, glaube ich, wichtig, mir hier noch einen<br />
Wohlfühlort zu bieten. Der Punkt, an <strong>de</strong>m sie es wirklich mal räumen,<br />
kommt wahrscheinlich erst, wenn ich mich irgendwo richtig langfristig<br />
nie<strong>de</strong>rlasse, mit Familie und so. Gera<strong>de</strong> mache ich hier in <strong>de</strong>r Nähe<br />
ein Praktikum, <strong>de</strong>shalb wohne ich wie<strong>de</strong>r ein paar Wochen zu Hause.<br />
Insgesamt bin ich höchstens zwei Wochen im Jahr hier. Ich habe bei<br />
meinem Auszug nur einen Ikea-Sessel mitgenommen, sonst nichts.<br />
Ich fand es toll, in meinem WG-Zimmer in Bremen neu zu beginnen<br />
und mich ein Stück weit neu zu erfin<strong>de</strong>n. Es ist schon etwas skurril,<br />
DAS LEITTHEMA 2012 GREEN ECONOMY –<br />
ZUKUNFT MIT VERANTWORTUNG<br />
Anne, 24, ist 2008 ausgezogen.<br />
Unsere Zukunft<br />
Ihre Karriere<br />
28./29. November 2012, Messe Köln<br />
dass hier noch alles so ist, wie es früher war. Aber ich fän<strong>de</strong> es doch<br />
auch komisch, wenn es nicht mehr so wäre. Wenn das plötzlich die<br />
Rumpelkammer meiner Eltern wäre, könnte ich damit erst einmal<br />
nicht so gut umgehen. Ich bin so ein Aufbewahrkind, ich habe unglaublich<br />
viele komische alte Sachen irgendwo liegen, Erinnerungen<br />
<strong>von</strong> Schüleraustauschen, Fotos, Zeichnungen <strong>von</strong> Freundinnen und<br />
Briefchen, ich sitze manchmal wirklich ganze Nachmittage vor meinen<br />
Schränken und ent<strong>de</strong>cke das alles wie<strong>de</strong>r neu. Das Wichtigste in<br />
diesem Zimmer sind meine Fotoalben und eine Urkun<strong>de</strong> <strong>von</strong> meinem<br />
Opa, auf <strong>de</strong>r steht, dass er 20 Mark für je<strong>de</strong>s gezüchtete Fohlen bekommen<br />
hat.<br />
MIT<br />
DEUTSCHLANDS<br />
GRÖSSTER<br />
JOBMESSE
Ich habe nach <strong>de</strong>m Abi relativ lang zu Hause gewohnt. Ich bin kein<br />
Stadttyp, ich mag die Ruhe im Vorort. Irgendwann war es doch Zeit,<br />
selbstständig zu wer<strong>de</strong>n und in eine WG umzusie<strong>de</strong>ln. Aus meinem<br />
alten Zimmer habe ich meine Gitarren mitgenommen, <strong>de</strong>n Computer,<br />
zwei Bil<strong>de</strong>r, die meine kleine Schwester mir gemalt hat, und mein<br />
Bett. Das hatte ich gera<strong>de</strong> erst zum Geburtstag bekommen. Ursprünglich<br />
habe ich im Zimmer nebenan gewohnt, meine Schwester<br />
hat kürzlich einfach mein Zeug in ihr Zimmer geräumt und ihres in<br />
meines. Die Fototapete im Hintergrund ist noch <strong>von</strong> ihr, ein kitschiger<br />
Kontrast zu meinem alten Zimmer. Ich bin ungefähr ein- o<strong>de</strong>r zweimal<br />
die Woche hier. Obwohl ich mich in meiner WG langsam echt<br />
Uns reizt das Beson<strong>de</strong>re.<br />
An Aufgaben und Mitarbeitern.<br />
Einfach gut können viele. Exzellent nur die wenigsten.<br />
Bei Deloitte erwarten Sie nicht nur anspruchsvolle Kun<strong>de</strong>n und<br />
Projekte, son<strong>de</strong>rn auch Kollegen, die Sie fachlich for<strong>de</strong>rn und<br />
menschlich begeistern wer<strong>de</strong>n. Wir streben nach exzellenten<br />
Leistungen für unsere Kun<strong>de</strong>n und arbeiten nach höchsten<br />
Qualitätsstandards. Wenn dies auch auf Sie zutrifft, freuen wir<br />
uns, Sie kennen zu lernen. Ganz egal, ob Sie heute noch mitten<br />
im Studium stehen, sich kurz vor <strong>de</strong>m Abschluss befin<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />
FLo, 24, ist vor neun Monaten ausgezogen.<br />
schon über Berufserfahrung verfügen – in unseren<br />
Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Consulting<br />
und Corporate Finance stehen Ihnen alle Möglichkeiten<br />
offen, Ihren beson<strong>de</strong>ren Weg einzuschlagen.<br />
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Deloitte bezieht sich auf Deloitte Touche Tohmatsu Limited, eine „private company limited by guarantee“ (Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach britischem<br />
Recht), und/o<strong>de</strong>r ihr Netzwerk <strong>von</strong> Mitglieds unternehmen. Je<strong>de</strong>s dieser Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig. Eine <strong>de</strong>taillierte<br />
Beschreibung <strong>de</strong>r rechtlichen Struktur <strong>von</strong> Deloitte Touche Tohmatsu Limited und ihrer Mitgliedsunter neh men fin<strong>de</strong>n Sie auf www.<strong>de</strong>loitte.com/<strong>de</strong>/UeberUns.<br />
© 2012 Deloitte & Touche GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
heimisch fühle und auch „zu Hause“ dazu sage, fühle ich mich hier<br />
immer noch am wohlsten. Der Stress und die Anspannung aus <strong>de</strong>r<br />
<strong>Uni</strong> verflüchtigen sich, wenn ich hier im Wald joggen gehen kann.<br />
Meiner Familie ist es wichtig, dass ich hier ein eigenes Zimmer behalte<br />
und mich immer willkommen fühle. Mir ist es egal, wenn Freun<strong>de</strong><br />
meiner Schwester in meinem Bett schlafen o<strong>de</strong>r sie mein Zimmer als<br />
Abstellkammer nutzt – sie hängt zum Beispiel ihre Dirndl hier herein<br />
o<strong>de</strong>r schiebt alte Kartons rüber. An all <strong>de</strong>n Dingen, die hier herumstehen,<br />
hängen Erinnerungen. Die Mo<strong>de</strong>llautos im Regal habe ich als<br />
Kind gesammelt. Meine Taufkerze steht hier. Außer<strong>de</strong>m habe ich<br />
noch einen Tennisball, <strong>de</strong>n ich mal in Wimbledon gefangen habe.
Sehen wir <strong>de</strong>n Tatsachen ins Auge: Hinter dir liegen anstrengen<strong>de</strong>,<br />
nervenzehren<strong>de</strong> Wochen, vielleicht sogar Monate. Du hast in dieser<br />
Zeit immer vollen Einsatz gezeigt. Bist selbstverständlich abends<br />
auch mal länger geblieben, wenn es nötig war. Du hast dich <strong>von</strong> Anfang<br />
an bemüht, nieman<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>inen Fragen zum Intranet zu nerven,<br />
und kurze Privattelefonate natürlich immer über <strong>de</strong>in Handy abgewickelt.<br />
Aus <strong>de</strong>m Flurfunk hast du dich diplomatisch rausgehalten<br />
und ansonsten einen anspruchsvollen Sozialslalom um sämtliche<br />
Fettnäpfchen absolviert, auch um jene, <strong>von</strong> <strong>de</strong>nen du nicht wissen<br />
konntest, wo sie stehen. Du hast verstan<strong>de</strong>n, dass Kollegen sich <strong>de</strong>inen<br />
Namen auch nach <strong>de</strong>r dritten<br />
Wie<strong>de</strong>rholung einfach noch nicht<br />
merken konnten. Du warst dir trotz<strong>de</strong>m<br />
nicht zu fein, die beson<strong>de</strong>rs<br />
dämlichen Aufgaben <strong>von</strong> diesen<br />
Kollegen zu übernehmen, auf die<br />
sie nachvollziehbarerweise keine<br />
Lust hatten, bist dir auch nie zu<br />
scha<strong>de</strong> gewesen, kopieren zu gehen<br />
o<strong>de</strong>r Kaffee zu kochen. Eh klar.<br />
Und vor allem hast du dich natürlich<br />
niemals in irgen<strong>de</strong>iner Weise<br />
über irgen<strong>de</strong>twas beschwert.<br />
Du hast all das auf dich genommen,<br />
weil du bei diesem Arbeitgeber<br />
ein paar jener wertvollen Arbeitserfahrungen<br />
sammeln und mit<br />
<strong>de</strong>iner Nase endlich einmal an dieser<br />
wohlriechen<strong>de</strong>n Praxisluft schnuppern durftest, <strong>von</strong> <strong>de</strong>r die Kommilitonen<br />
im Semester über dir so geschwärmt haben. Womöglich konntest<br />
du die Geruchsprobe sogar an einer beson<strong>de</strong>rs respektablen Stelle<br />
nehmen, bei <strong>de</strong>n Vereinten Nationen, im Hauptstadtstudio o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st<br />
bei einem Mittelständler, im Fundament unseres Wohlstan<strong>de</strong>s<br />
also. Nun gut, für dich im Speziellen gestaltete sich die � � nanzielle<br />
Seite dieser Angelegenheit eher suboptimal, je nach Branche hast du<br />
für ’n Appel und ’n Ei o<strong>de</strong>r noch weniger rangeklotzt. Aber es ging<br />
hier ja auch nicht ums Geldverdienen, son<strong>de</strong>rn um die Sache. Denn du<br />
warst Praktikant beziehungsweise bist es noch – bis einschließlich<br />
morgen. Du gehörst also <strong>de</strong>r <strong>de</strong>votesten aller Lebensformen an, die<br />
uns bekannt sind. Völlig zu Recht fragst du dich daher, was für einen<br />
Kuchen du zu <strong>de</strong>inem Ausstand mitbringen sollst und wie du beim<br />
Backen auf die Glutenunverträglichkeit <strong>de</strong>r Buchhaltungskollegin<br />
Rücksicht nehmen kannst. Wenn du in <strong>de</strong>inem Leben bereits Grundkenntnisse<br />
im Soft Skill Kuchenbacken erworben hast, weißt du aller-<br />
42 jetzt UNI&JOB N o 05/12<br />
VON JULIANE FRISSE / TEXT & FILIPEK / ILLUSTRATION<br />
Die Kuchenfrage.<br />
Am letzten Praktikumstag willst du einen beson<strong>de</strong>rs guten<br />
Eindruck hinterlassen. Also einen Kuchen backen?<br />
Lass es bleiben, rät unsere Autorin. Das Praktikantendasein<br />
ist sowieso schon <strong>de</strong>vot genug.<br />
dings: Mit einem Apfel und einem Ei allein kommst du in <strong>de</strong>r Backstube<br />
nicht weit.<br />
Es gibt jetzt mehrere Möglichkeiten: Du wur<strong>de</strong>st vom lieben Gott<br />
mit einer großen Freu<strong>de</strong> am Backen und zwei Knethaken als Hän<strong>de</strong>n<br />
beschenkt. Dann bitte – schreite zur Tat. Falls du allerdings keinen<br />
Spaß daran hast, es nicht kannst o<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>s, dann bring morgen doch<br />
lieber eine Packung Kekse mit.<br />
Kuchen wird völlig überbewertet – nicht geschmacklich, son<strong>de</strong>rn<br />
als Praktikantengeste. Du glaubst, du <strong>de</strong>monstrierst mit einem selbst<br />
gebackenen Kuchen <strong>de</strong>ine Sozialkompetenz? Wer <strong>von</strong> dir erwartet,<br />
dass du dich, nach<strong>de</strong>m du dich als<br />
billige Arbeitskraft aufgerieben<br />
hast, auch noch stun<strong>de</strong>nlang in die<br />
Küche stellst, <strong>de</strong>r sollte einmal an<br />
seiner Sozialkompetenz feilen. Du<br />
hoffst, du kannst mit einem leckeren<br />
Kuchen zum Abschluss noch<br />
mal einen positiven Eindruck hinterlassen?<br />
Falls <strong>de</strong>in Ziel in diesem<br />
Praktikum darin bestand, <strong>de</strong>n Mitarbeitern<br />
als begabter Zuckerbäcker<br />
in Erinnerung zu bleiben, sicherlich<br />
eine gute I<strong>de</strong>e. Ansonsten<br />
aber gilt: Wenn dich <strong>de</strong>in Chef und<br />
die Kollegen für einen Vollpfosten<br />
halten, wird sie auch <strong>de</strong>in fantastischer<br />
Schoko-Kirsch-Kuchen nach<br />
Omas geheimem Familienrezept<br />
nicht vom Gegenteil überzeugen können. Niemand wird dir <strong>de</strong>iner<br />
Backkünste und -mühen wegen einen <strong>Job</strong> geben.<br />
In<strong>de</strong>m du nichts Selbstgebackenes mitbringst, kannst du dafür ein<br />
ziemlich wichtiges Signal aussen<strong>de</strong>n. Nämlich dass du weißt, was du<br />
wert bist: wesentlich mehr, als du bisher für <strong>de</strong>ine Anstrengungen bekommen<br />
hast. Auch wenn das tollste, weil fairste und lehrreichste<br />
Praktikum überhaupt hinter dir liegt, ist es vollkommen ausreichend<br />
und außer<strong>de</strong>m zu empfehlen, wenn du dich lediglich bei <strong>de</strong>inen Kollegen<br />
persönlich für die gute Zeit mit ihnen bedankst (und mit <strong>de</strong>n<br />
Keksen <strong>de</strong>monstrierst, dass du die Abschiedskonventionen nicht vollständig<br />
ignorierst). Wenn du <strong>de</strong>n Vorabend nicht kuchengestresst in<br />
<strong>de</strong>r Backstube verbringst, kann <strong>de</strong>in letzter Tag so <strong>de</strong>r erste wer<strong>de</strong>n,<br />
an <strong>de</strong>m du die Devotheit <strong>de</strong>s Praktikantendaseins hinter dir lässt.<br />
Was du nach <strong>de</strong>m letzten Praktikumstag dagegen unbedingt tun<br />
solltest: ein großes Stück Kuchen essen. Egal ob selbst gebacken o<strong>de</strong>r<br />
gekauft. Das hast du dir jetzt nämlich verdient.
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1<br />
VON TIM BRÜNING / FOTOS<br />
Wir haben fünf Stu<strong>de</strong>nten gebeten, die Umrisse ihres Heimatlan<strong>de</strong>s<br />
zu zeichnen. Errätst du, wer woher kommt?<br />
Kleine Hilfestellung: Die gezeichneten Län<strong>de</strong>r sind Deutschland, Polen,<br />
Griechenland und Estland. Die Lösung <strong>de</strong>s Rätsels fi n<strong>de</strong>st du online unter<br />
jetzt.<strong>de</strong>/heimatland.<br />
RÄTSEL<br />
AGNESSA ANDREAS SARAH SOENKE STEPHAN<br />
44 jetzt UNI&JOB N o 05/12<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5
VON MAX SCHARNIGG / TEXT<br />
EINKAUFSWAGEN<br />
Schöne Dinge für Europafans und alle,<br />
die Sterne auch einfach so super � n<strong>de</strong>n.<br />
Sorry, Europafl agge, aber bei Sternen und Kontinent, da <strong>de</strong>nkt<br />
man immer noch an die USA. Und bei Sternen und Schuhen<br />
gibt es <strong>von</strong> jeher nur die All Stars <strong>von</strong> Converse. Diese Firma<br />
kann aber noch etwas an<strong>de</strong>res, als das Mo<strong>de</strong>ll Chuck Taylor<br />
immer gleich zu produzieren, so zum Beispiel diese neuen<br />
Wintersneakers aus <strong>de</strong>r Jack-Purcell-Kollektion. Jack und<br />
Chuck, klingt ja ähnlich, vielleicht wird’s ein neuer All Star?<br />
Die Stars aus Toronto gehören zum Besten, was die kanadische<br />
Popszene zu bieten hat. Für ihr neues Album haben sie<br />
sich lange Zeit gelassen, jetzt ist es da und hat wie<strong>de</strong>r genau<br />
die richtige Mischung aus Schmelzindie und Avantgar<strong>de</strong>-Pop.<br />
Fünf Sterne dafür!<br />
Für die braucht man dann natürlich auch die passen<strong>de</strong> Auflage:<br />
Auf einem Sternenkissen liegt es sich nicht bloss wie<br />
im Andromedanebel, zum Einschlafen kann man damit statt<br />
Schäfchen auch Sternchen zählen o<strong>de</strong>r sich gleich eigene<br />
Sternbil<strong>de</strong>r aus<strong>de</strong>nken (circa 60 Euro, Lexington).<br />
Nicht nur für Astro-Geeks eine gute I<strong>de</strong>e: historische Sternenkarten<br />
und Lehrtafeln als Wandschmuck. Botschaft für Besucher:<br />
Kopernikus was a friend of mine! Bei Etsy fi n<strong>de</strong>t man<br />
je<strong>de</strong> Menge dieser alten Himmelsposter (ab etwa 15 Euro).<br />
Sterne als Muster sind ja eigentlich seit ein paar Jahren schon<br />
wie<strong>de</strong>r out, seit also ungefähr je<strong>de</strong>s zweite Berlinmädchen sich<br />
einen auf <strong>de</strong>n Knöchel tätowieren ließ. Wer jetzt immer noch<br />
welche trägt, muss dabei richtig rumknallen: mit Stars-Hosenträgern<br />
<strong>von</strong> Vivienne Westwood, zum Beispiel (circa 125 Euro,<br />
gesehen bei Selfridges).<br />
Es gibt europäische Sterne, die nichts mit Brüssel o<strong>de</strong>r Autos zu<br />
tun haben. Beson<strong>de</strong>rs hilfreich zum Beispiel für eine mediterrane<br />
Viertelstun<strong>de</strong> ist <strong>von</strong> jeher die Aranciata-Limo aus Italien,<br />
nur echt mit rotem Stern, dicker Bauchfl asche und Strohhalm.<br />
SCHULE & JOB<br />
UNI & JOB<br />
Das Heft für<br />
die wichtigsten<br />
Entscheidungen<br />
<strong>de</strong>s Lebens<br />
LEBEN & JOB<br />
Erscheinungstermine<br />
2013:<br />
Schule&<strong>Job</strong>:<br />
4. März, 23. September<br />
<strong>Uni</strong>&<strong>Job</strong>:<br />
15. April, 21. Oktober<br />
Leben&<strong>Job</strong>:<br />
13. Mai, 11. November<br />
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Frau Melanie Pala<br />
Telefon (089) 21 83-83 75<br />
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Dranbleiben!<br />
VON JAN PHILIPP ALBRECHT / TEXT & FELIX KRÜGER / FOTO<br />
Wenn ich wie<strong>de</strong>rkomme, dann nur als Abgeordneter –<br />
das waren meine Worte, als mich während meines Praktikums<br />
im Europäischen Parlament meine Vorgesetzte<br />
fragte, ob ich nach <strong>de</strong>m Studium zurückkommen wolle.<br />
Ich konnte es schwer mit ansehen, dass <strong>de</strong>r schnell ausgebil<strong>de</strong>te<br />
und Anzug tragen<strong>de</strong> Bürokratennachwuchs die<br />
vermeintliche Elite <strong>de</strong>r Politik sein sollte. Aber ich dachte,<br />
dass ich mit meinem mittelmäßigen Abi, einem Jurastudium<br />
in Bremen und ein paar Zeitungspraktika nicht<br />
gegen ihre Hochglanzlebensläufe anstinken könnte. Mein<br />
Ausruf war eher ein trotziger Scherz. Heute weiß ich, dass<br />
darin viel Wahrheit steckte.<br />
Drei Jahre später wählten mich die Grünen auf einen<br />
aussichtsreichen Platz zur Europawahl. Ich nahm mir fest<br />
vor, <strong>de</strong>n Menschen in Europa wie<strong>de</strong>r Gehör zu verschaffen<br />
und für ihre Bürgerrechte und für <strong>de</strong>mokratische<br />
und rechtsstaatliche Regeln unseres Zusammenlebens<br />
zu kämpfen. Ich hatte mir viel vorgenommen. Als ich das<br />
erste Mal ehrfürchtig auf einem <strong>de</strong>r klobigen Le<strong>de</strong>rsessel<br />
im Plenarsaal <strong>de</strong>s Europäischen Parlaments in Straßburg<br />
Platz nehmen durfte, fühlte ich mich wie im Konfö<strong>de</strong>rationsrat<br />
bei „Star Wars“. Ich hielt viele Re<strong>de</strong>n, schrieb<br />
haufenweise Anträge, informierte die Presse, leistete<br />
Überzeugungsarbeit – was ein Politiker eben macht. Bis<br />
mir langsam klar wur<strong>de</strong>, dass die Entscheidungen immer<br />
noch an mir vorbeigingen. Sie � elen in <strong>de</strong>n großen Fraktionen,<br />
bei ihren Vorsitzen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Kommissaren und<br />
Regierungen, offenbar ohne dass es jemand wie ich beein�<br />
ussen konnte.<br />
Über Jahre hatte ich mit einigen Gleichgesinnten mit<br />
guten Argumenten gegen das internationale Han<strong>de</strong>lsabkommen<br />
Acta gestritten. Unsere Warnungen hatten nieman<strong>de</strong>n<br />
interessiert. Wir hatten Resolutionen und Pressemitteilungen<br />
geschrieben, Gutachten beantragt, doch<br />
wir wur<strong>de</strong>n nie gehört. Es war wie verhext. Kurz vor <strong>de</strong>n<br />
entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Abstimmungen im Juli wur<strong>de</strong> unsere<br />
Kritik plötzlich wahrgenommen. In Polen<br />
gingen Zehntausen<strong>de</strong> Menschen gegen<br />
Acta auf die Straße und kämpften für die<br />
Freiheit im Internet. Es folgten europaweite<br />
Proteste. Auf einmal kamen die ent-<br />
schei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Personen,<br />
die uns bislang wie lustige<br />
Hobbits im Auenland betrachtet<br />
und ignoriert hatten,<br />
in Bedrängnis, mussten sich vor<br />
<strong>de</strong>r aufgebrachten Menge rechtfertigen.<br />
Da wur<strong>de</strong> mir klar, wie wenig<br />
Parlamentarier ohne Öffentlichkeit<br />
bewirken können und wie wichtig es<br />
<strong>de</strong>nnoch ist, immer wie<strong>de</strong>r aufs Neue die<br />
gleichen Fragen und For<strong>de</strong>rungen zu stellen,<br />
bis sich die Verantwortlichen nicht<br />
mehr entziehen können. Das ist mühsam.<br />
Manchmal kann es Jahre dauern. Und<br />
manchmal frustriert es. Wenige Monate<br />
vor unserem Erfolg gegen Acta saß ich in<br />
Straßburg in <strong>de</strong>r Internet-Arbeitsgemeinschaft<br />
<strong>de</strong>r grünen Europafraktion<br />
und wollte alles hinschmeißen, weil<br />
uns <strong>de</strong>r verantwortliche EU-Han<strong>de</strong>lskommissar<br />
mit seinen ewig wie<strong>de</strong>rholten<br />
Plattitü<strong>de</strong>n als unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />
Min<strong>de</strong>rheit darstellte. Doch dann<br />
entstand quasi über Nacht große Aufmerksamkeit<br />
für unser Thema. Viele Menschen<br />
schauten hin, brachten sich ein, bewegten etwas. Die Demokratie<br />
lebte.<br />
Ich habe diese positive Erfahrung wohl auch <strong>de</strong>shalb<br />
machen können, weil ich mich nicht abschrecken ließ <strong>von</strong><br />
<strong>de</strong>n eingespielten Vorgängen <strong>de</strong>r großen Politik. Denn<br />
mit <strong>de</strong>n Jahren war mir klar gewor<strong>de</strong>n, was zunächst<br />
platt klingt: Auch dort sitzen nur Menschen. Menschen,<br />
die <strong>de</strong>r mühsamen Aufklärung politisch komplexer Vorgänge<br />
oft mü<strong>de</strong> gewor<strong>de</strong>n sind und sich mit <strong>de</strong>n vermeintlich<br />
unumstößlichen Rahmenbedingungen arrangiert<br />
haben. Das aufzubrechen ist mühsame Kleinstarbeit.<br />
Jan Philipp Albrecht sitzt als<br />
jüngster <strong>de</strong>utscher Abgeordneter<br />
für die Grünen im EU-Parlament.<br />
Sein Kampf gegen das Han<strong>de</strong>lsabkommen<br />
Acta schien lange<br />
vergeblich. Er ist froh, trotz<strong>de</strong>m<br />
nicht aufgegeben zu haben.<br />
Bei Acta ist es gelungen – das Europäische<br />
Parlament hat das Abkommen<br />
abgelehnt. Die Hartnäckigkeit<br />
hat sich gelohnt!<br />
IMPRESSUM jetzt UNI&JOB Eine Verlagsbeilage <strong>de</strong>r Süd<strong>de</strong>utschen Zeitung im Oktober 2012 Verlag Süd<strong>de</strong>utsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8,<br />
81677 München, Tel. 0 89 / 21 83 - 0 Chefredakteur Kurt Kister Verantwortlich im Sinne <strong>de</strong>s Presserechts Dirk <strong>von</strong> Gehlen Redaktion Christian Helten<br />
Art Director Joanna Swistowski Schlussredaktion Isol<strong>de</strong> Durchholz Anzeigen (verantwortlich) Jürgen Maukner<br />
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Bei Nichterscheinen durch höhere Gewalt o<strong>de</strong>r Streik kein Entschädigungsanspruch. Eine Verwertung <strong>de</strong>r urheberrechtlich geschützten Zeitschrift und<br />
aller in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen, insbeson<strong>de</strong>re durch Vervielfältigung o<strong>de</strong>r Verbreitung, ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung <strong>de</strong>s Verlages<br />
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elektronischer Form vertriebenen Zeitschrift in Datensystemen ohne Zustimmung <strong>de</strong>s Verlages unzulässig.<br />
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