Mitteilungen Nr. 50 - Hans Henny Jahnn
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Dass der grosse zeitgenössische Komponist jedoch den Prinzipien der Harmonik auch<br />
späterhin verbunden blieb, ersehen wir nicht nur aus seiner theoretischen Arbeit<br />
«Unterweisung im Tonsatz», in der er klare Stellung gegen die abstrakt-temperierte<br />
Atonalität der Wiener Schule Schönbergs bezog; seine Verbundenheit mit KAYSERschen<br />
Impulsen fand ihren würdigen künstlerischen Ausdruck in seiner KEPLER-Oper<br />
«Die Harmonie der Welt» sowie in den ihr entnommenen drei symphonischen Sätzen,<br />
die der Komponist mit den Überschriften «Musica instrumentalis», «Musica humana»<br />
und «Musica mundana» versah. Begriffe, die einst BOETHIUS – mit pythagoreischsphärenharmonikalem<br />
Denken innig verbunden – geprägt hatte.<br />
Dieser kurze Hinweis soll den Leser vor irrtümlichen Vorstellungen bewahren, zu<br />
denen er durch den Titel des Buches leicht geführt werden könnte. Verbindet sich<br />
doch gewöhnlich mit dem Begriff «Harmonik» die Lehre vom Zusammenklang der<br />
Töne in der Musik. Für KAYSER stellt diese Akkordlehre jedoch nur einen unter zahlreichen<br />
Spezialfällen harmonikaler Phänomene dar.<br />
Unser Wort «Harmonik» findet seine Wurzel im griechischen Verbum αρµοττω = fügen,<br />
ordnen, und meint damit die «Wohlgefügtheit» des Universums aus gegenseitig widerstreitenden<br />
Kräften, so wie etwa HERAKLIT sagt: «Das widereinander Strebende zusammengehend;<br />
aus dem auseinander Gehenden die schönste Fügung»: αρµονια =<br />
Harmonia. (Zitiert nach HERMANN PFROGNER: «Musik – Geschichte ihrer Deutung».)<br />
Die Universalität seines Harmonie-Begriffes dokumentiert KAYSER allein schon dadurch,<br />
dass er die ganze Lehre seiner Harmonik als einen Weg zur «Akróasis», zur<br />
«Anhörung der Welt» auffasst; d.h. als Weg zu einem Ergründen von Weltzusammenhängen,<br />
die sich – um mit J. KEPLER zu sprechen – einem denkenden Hören erschliessen,<br />
«durch den Verstand, nicht durch das Ohr fassbar». Diese Weltzusammenhänge<br />
stellen sich ihm in harmonikalen Strukturen dar, die er in seinem Werk zu einer grandiosen<br />
Ganzheit zusammenfügt, und ihn eine ganz bestimmte Beziehung zu Welt,<br />
Erde und Mensch gewinnen lassen: eben eine Akróasis, eine «Welt-Anhörung», zum<br />
Unterschied unserer sonst gewonnenen «Welt-Anschauung, Aisthesis».<br />
Musik als Weltenbauprinzip<br />
Mit diesen neu erarbeiteten Erkenntnissen aber schlägt KAYSER einen gewaltigen<br />
Bogen zurück auf urältestes Weisheitsgut der Menschheit: zur Musik als «Weltenbauprinzip»<br />
und «Weltgesetzlichkeit». In den mannigfaltigsten Abwandlungen tritt uns<br />
immer wieder der «Lichtklang» sowohl in den Schöpfungsmythen der Naturvölker, als<br />
auch in den Kosmogonien der afro-asiatischen Hochkulturen, als die Ursubstanz alles<br />
Geschaffenen entgegen.<br />
In Indien ist es der Schöpfergott der Veden Praj – apati, der «reine Geist» des Brahman,<br />
der seinem Wesen nach «reiner Klang», reiner Hymnus ist. «Sein Körper bestand aus<br />
drei mystischen Silben, aus deren singender Aufopferung der Himmel, das Meer und<br />
die Erde hervorgingen» (MARIUS SCHNEIDER: «Singende Steine»). Und der Anfangstext<br />
des «Samavidhana-Brahmana» erzählt uns, wie Praj – apati die ganze Welt erschuf und<br />
ihr das «S – aman» als Lebensspeise gab. Es ist eine tönende, siebengliedrige «Speise»:<br />
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