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Nutzung nicht-additiver Geneffekte bei der genomischen Selektion ...

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<strong>Nutzung</strong> <strong>nicht</strong>-<strong>additiver</strong> <strong>Geneffekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>genomischen</strong> <strong>Selektion</strong><br />

Jörn Bennewitz und Robin Wellmann<br />

Institut für Tierhaltung und Tierzüchtung, Universität Hohenheim<br />

Einleitung<br />

In <strong>der</strong> Tierzüchtung wird <strong>der</strong> Phänotyp (P) beeinflusst vom Genotyp (G)<br />

<strong>der</strong> Individuen und von <strong>der</strong> Umwelt (U), P = G + U. Der Genotyp kann<br />

weiter aufgeteilt werden in einen additiven Geneffekt (A), eine<br />

Dominanzabweichung (D) und in eine Interaktionskomponente, die durch<br />

Interaktionen zwischen Genen entsteht (Epistasie, E), G = A + D + E. Die<br />

Variation <strong>der</strong> Phänotypen setzt sich entsprechend zusammen, Var(P) =<br />

Var(G) + Var(U) und Var(G) = Var(A) + Var(D) + Var(E). Die additivgenetische<br />

Varianz, Var(A), ist die wichtigste und auch die größte <strong>der</strong><br />

drei genetischen Varianzkomponenten (Hill et al. 2009). Die statistische<br />

Modellierung <strong>der</strong> <strong>nicht</strong>-additiven <strong>Geneffekte</strong> ist ungleich schwieriger als<br />

die <strong>der</strong> additiven <strong>Geneffekte</strong>. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e für die Epistasie.<br />

Aus diesem Grund werden <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Zuchtwertschätzung in <strong>der</strong> Regel nur<br />

die additiven <strong>Geneffekte</strong> modelliert und die Dominanz und Epistasie<br />

fließen in den Restfehler <strong>der</strong> Modelle mit ein. Dies gilt bisher auch für die<br />

Modelle <strong>der</strong> <strong>genomischen</strong> Zuchtwertschätzung.<br />

Dieser Beitrag soll die Perspektiven <strong>der</strong> Berücksichtigung <strong>der</strong> Dominanz<br />

<strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>genomischen</strong> <strong>Selektion</strong> aufzeigen und die Modelle zur Schätzung<br />

<strong>der</strong> <strong>genomischen</strong> Zuchtwerte und Dominanzabweichungen in gebotener<br />

Kürze skizzieren. Komplexere <strong>nicht</strong>-additive <strong>Geneffekte</strong> (z.B. Epistasie<br />

und/o<strong>der</strong> Genotyp-Umwelt-Interaktionen) werden <strong>nicht</strong> behandelt. Der<br />

Beitrag ist in enger Anlehnung an einen Artikel aufgebaut, den die<br />

Autoren in <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>ausgabe <strong>der</strong> Züchtungskunde zur <strong>genomischen</strong><br />

<strong>Selektion</strong> veröffentlicht haben (Züchtunksunde 83, S. 361-370, 2011).<br />

Dominanzabweichungen und genomische <strong>Selektion</strong><br />

Die genomische <strong>Selektion</strong> ermöglichte es den Rin<strong>der</strong>züchtern innerhalb<br />

kurzer Zeit für viele Merkmale Zuchtwerte mit beachtlicher Sicherheit zu<br />

berechnen, die eine frühe <strong>Selektion</strong> <strong>der</strong> Zuchttiere ermöglichen. Für<br />

Merkmale mit geringer Erblichkeit und relativ großer Dominanzvarianz<br />

sind die Sicherheiten allerdings noch deutlich geringer. In bisherigen<br />

Anwendungen wurden ausschließlich additive <strong>Geneffekte</strong> berücksichtigt.<br />

Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass häufig als Beobachtungen<br />

konventionell geschätzte Zuchtwerte o<strong>der</strong> Derivate davon genutzt


werden. Zunehmend werden nun auch weibliche Tiere für eine<br />

reduzierte Anzahl an SNP typisiert. Fehlende Genotypen können dann<br />

durch Imuptierungstechniken abgeleitet werden. Dies ermöglicht in<br />

steigendem Maße die Einbeziehung von Kühen in die Lernstichprobe.<br />

Diese Kühe sind dann genotypisiert und auch eigenleistungsgeprüft. Die<br />

Eigenleistungen können als Beobachtungen zur Schätzung <strong>der</strong><br />

Markereffekte genutzt werden und somit ist prinzipiell die<br />

Berücksichtigung von Dominanzeffekten <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>genomischen</strong><br />

Zuchtwertschätzung möglich. Dies kann zum einen die Genauigkeit <strong>der</strong><br />

<strong>genomischen</strong> Zuchtwerte erhöhen, kann zum an<strong>der</strong>en aber auch für die<br />

Anpaarungsplanung genutzt werden.<br />

Anpaarungsplanung<br />

Das Ziel einer Anpaarungsplanung ist es, eine eventuelle<br />

Inzuchtdepression zu verringern und eine mögliche Überdominanz zu<br />

nutzen, indem die Anpaarungspartner so gewählt werden, dass die<br />

erwarteten Leistungen <strong>der</strong> Nachkommen maximiert werden. Die Leistung<br />

eines Tieres kann bekanntlich deutlich vom mittleren Zuchtwert <strong>der</strong><br />

Eltern abweichen. Ursachen hierfür können neben mendelscher<br />

Segregation und Umwelteffekten auch Dominanzeffekte, epistatische<br />

Effekte, o<strong>der</strong> Imprinting sein, wo<strong>bei</strong> den Dominanzeffekten wohl die<br />

größte Bedeutung zukommt. Vernachlässigt man epistatische Effekte<br />

und Imprinting, dann ist <strong>der</strong> Genotypwert eines Tieres die Summe <strong>der</strong><br />

Genotypwerte aller QTL. Dessen Erwartungswert weicht aufgrund <strong>der</strong><br />

Dominanzeffekte vom mittleren Zuchtwert <strong>der</strong> Eltern ab. Der optimale<br />

Anpaarungspartner einer Kuh ist <strong>der</strong> Bulle, <strong>der</strong> den erwarteten<br />

Genotypwert <strong>der</strong> Nachkommen maximiert. Dieser erwartete Genotypwert<br />

des Nachkommen hängt ab von den Genotypwahrscheinlichkeiten <strong>der</strong><br />

QTL und von <strong>der</strong>en genotypischen Werten. Betrachtet man ein QTL j mit<br />

Allelen 0 und 1, dann haben die möglichen Genotypen 00, 01 und 11<br />

00 01 11<br />

Genotypwahrscheinlichkeiten p j , p j , p j und Genotypwerte − a j , d j , a j ,<br />

wo<strong>bei</strong> j a <strong>der</strong> additive Effekt und d j <strong>der</strong> Dominanzeffekt des QTL ist.<br />

00<br />

01 11<br />

Damit ist <strong>der</strong> erwartete Genotypwert µ p j ( −a<br />

j ) + p j d j + p j a j . Die<br />

Genotypwahrscheinlichkeiten ergeben sich entsprechend <strong>der</strong><br />

mendelschen Gesetze aus den Genotypen <strong>der</strong> Eltern. Da die QTL und<br />

<strong>der</strong>en Effekte aber größtenteils unbekannt sind, werden statt <strong>der</strong> QTL-<br />

Effekte die geschätzten Effekte j j d aˆ , ˆ <strong>der</strong> Marker gewichtet und<br />

aufsummiert, siehe Tabelle (1). Die Differenz zwischen Genotypwert und<br />

Zuchtwert eines Tieres wird als die Dominanzabweichung bezeichnet.<br />

Eine von 0 verschiedene Dominanzabweichung ist also <strong>der</strong> Grund,<br />

weshalb eine Anpaarungsplanung erfolgversprechend ist.<br />

+∑<br />

j


Tabelle 1: Berechnung des erwarteten Genotypwertes eines<br />

Nachkommen.<br />

Genotyp Genotypwahrsch. Beitrag zum<br />

Marker Eltern Nachkomme erwarteten Genotypwert<br />

Vater<br />

Mutter<br />

00 01 11<br />

1 01 00 0.5 0.5 0 0.5⋅ ( −aˆ<br />

1)<br />

+ 0.5⋅<br />

d1<br />

+ 0⋅<br />

aˆ<br />

1<br />

2 00 11 0 1 0 0⋅ ( −aˆ<br />

2)<br />

+ 1⋅<br />

d2<br />

+ 0⋅<br />

aˆ<br />

2<br />

3 01 01 0.25 0.5 0.25 0.25⋅ ( −aˆ<br />

ˆ<br />

3)<br />

+ 0.5⋅<br />

d3<br />

+ 0.25⋅<br />

a3<br />

: : : : : : :<br />

M 00 00 1 0 0 1⋅ ( −aˆ<br />

M ) + 0⋅<br />

dM<br />

+ 0⋅<br />

aˆ<br />

M<br />

erwarteter Genotypwert<br />

µ +∑<br />

j<br />

00<br />

j<br />

j<br />

ˆ<br />

ˆ<br />

p ( −aˆ<br />

) + p dˆ<br />

+ p aˆ<br />

Der geschätzte genomische Zuchtwert eines Tieres ist bis auf eine<br />

additive Konstante gegeben durch<br />

EBV = ∑αˆ<br />

j ( v j + m j ),<br />

ˆ<br />

j<br />

wo<strong>bei</strong> ˆ α j = aˆ<br />

j + ( q j − p j ) d j <strong>der</strong> Substitutionseffekt ist, v j ∈{0,1}<br />

das<br />

paternale, und m j ∈{0,1}<br />

das maternale Allel des Tieres an Marker j ist.<br />

Hier<strong>bei</strong> ist j p die Frequenz des 1-Alleles und q j = 1−<br />

p j ist die Frequenz<br />

des 0-Alleles. Die geschätzte genomische Dominanzabweichung des<br />

Tieres ist<br />

∑<br />

EDV = − 2dˆ<br />

j ( v j − p j )( m j − p j ).<br />

j<br />

Siehe auch Falconer und Mackay (1996). Eine Anpaarungsplanung ist<br />

nur dann erfolgversprechend, wenn sowohl Zuchtwert als auch<br />

Dominanzabweichung mit ausreichen<strong>der</strong> Genauigkeit geschätzt werden<br />

können.<br />

Schätzung genomischer Zuchtwerte und Dominanzabweichungen<br />

Ein Modell zur gemeinsamen Schätzung von additiven Effekten und<br />

Dominanzeffekten berücksichtigt im Idealfall die Abhängigkeit von<br />

ˆ<br />

ˆ<br />

01<br />

j<br />

j<br />

11<br />

j<br />

j


additiven Effekten, Dominanzeffekten und Allelfrequenzen so, wie sie <strong>bei</strong><br />

dem jeweils betrachteten Merkmal zu erwarten ist. Einfache Modelle<br />

nehmen Unabhängigkeit an, doch aus <strong>der</strong> Literatur ist gut bekannt, dass<br />

dies in <strong>der</strong> Realität <strong>nicht</strong> zutrifft (Charlesworth und Willis 2009).<br />

Die additiven <strong>Geneffekte</strong>, Dominanzabweichungen und Genfrequenzen<br />

sind in einer komplexen Weise abhängig. Der Dominanzgrad eines QTL,<br />

also das Verhältnis vom Dominanzeffekt zum absoluten additiven Effekt,<br />

liegt <strong>bei</strong> <strong>der</strong> großen Mehrheit <strong>der</strong> QTL zwischen -1 und 1, d. h.<br />

überdominante QTL sind selten (Bennewitz und Meuwissen 2010).<br />

Schädliche Allele sind in <strong>der</strong> Regel nahezu rezessiv. Zudem haben sie<br />

eine geringe Frequenz, da gegen diese Allele selektiert wird.<br />

Entsprechend sind vorteilhafte Allele in <strong>der</strong> Regel dominant und haben<br />

eine hohe Frequenz. Viele Merkmale sind von Inzuchtdepression<br />

betroffen. Bei solchen Merkmalen sind die Dominanzeffekte <strong>der</strong> QTL im<br />

Mittel positiv. Die Frequenz eines QTL ist in <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong>art, dass die<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Allelfrequenz je Generation aufgrund von <strong>Selektion</strong> gering<br />

ist, d.h. <strong>der</strong> Beitrag des QTL zur additiven Varianz ist gering. Dies<br />

induziert eine Abhängigkeit zwischen Dominanzeffekten, Allelfrequenzen<br />

und den Vorzeichen <strong>additiver</strong> Effekte. Das Vorzeichen eines additiven<br />

Effektes ist wahrscheinlich negativ wenn ein Allel selten ist und positiv,<br />

falls es häufig ist, denn ansonsten würde das QTL <strong>bei</strong> positivem<br />

Dominanzeffekt einen größeren Beitrag zur additiven Varianz haben.<br />

Dieser Zusammenhang ist ausführlich in Wellmann und Bennewitz<br />

(2011) begründet.<br />

Die Standard-G-BLUP-Modelle sind <strong>nicht</strong> in <strong>der</strong> Lage, diese komplexen<br />

Abhängigkeiten zu modellieren. Bei Bayes-Modellen ist es jedoch<br />

möglich, diese Abhängigkeiten adäquat zu berücksichtigen. Wellmann<br />

und Bennewitz (2012) haben hierfür BayesD-Modelle entwickelt und<br />

anhand einer Simulationsstudie gezeigt, dass diese eine genaue<br />

Schätzung von Dominanzabweichungen und von genotypischen Werten<br />

ermöglichen.<br />

Fazit<br />

Die Berücksichtigung von Dominanzabweichungen ist <strong>bei</strong> einer<br />

Lernstichprobe mit genotypisierten und leistungsgeprüften Kühen<br />

prinzipiell möglich und ermöglicht eine gezielte Anpaarungsplanung. Zur<br />

Schätzung <strong>der</strong> <strong>genomischen</strong> Werte sollten BayesD-Modelle genutzt<br />

werden. Voraussetzungen für den Erfolg einer solchen Stratgie sind eine<br />

große Lernstsichprobe und eine hohe Markerdichte. Beides ist <strong>der</strong>zeit<br />

noch <strong>nicht</strong> gegeben. Es ist jedoch zu erwarten, dass in naher Zukunft<br />

viele Kühe zumindest mit einem Low-Desity-SNP-Chip genotypisiert


sind. Zudem werden zunehmend Bullen mit einem High-Density-SNP-<br />

Chips genotypisiert und auch sequenziert. Durch Imputierungen können<br />

dann die fehlenden SNPs und evtl. sogar die Sequenzinformation <strong>der</strong><br />

Kühe aufgedeckt werden (Meuwissen und Goddard 2010a, 2010b).<br />

Sollten diese technischen Errungenschaften Einzug in die Praxis<br />

gefunden haben, ist die Berücksichtigung <strong>der</strong> Dominanz <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>genomischen</strong> <strong>Selektion</strong> möglich. Die Ausgestaltung und Auswirkungen<br />

<strong>der</strong> Anpaarungsplanungen müssen dann evaluiert werden.<br />

Literatur<br />

Bennewitz, J., and T. H. E. Meuwissen (2010). The distribution of QTL<br />

additive and dominance effects in porcine F2 crosses. Journal of<br />

Animal Breeding and Genetics 127: 171-179<br />

Charlesworth, D., and J. H. Willis (2009). The genetics of inbreeding<br />

depression. Nature Reviews Genetics 10: 783-796<br />

Falconer, D. S., and T. F. C. Mackay (1996). Introduction to quantitative<br />

genetics. London, UK: Longman<br />

Hill, W. G., M. E. Goddard, P. M. Visscher (2008). Data and Theory Point<br />

880 to Mainly Additive Genetic Variance for Complex Traits. PLoS<br />

Genet 4 (2): 881.<br />

Meuwissen, T. H. E., and M. E. Goddard (2010a). Accurate prediction of<br />

genetic values for complex traits by whole genome resequencing.<br />

Genetics 185: 623-631<br />

Meuwissen, T. H. E., and M. E. Goddard (2010b). The Use of Family<br />

Relationships and Linkage Disequilibrium to Impute Phase and<br />

Missing Genotypes in Up to Whole-Genome Sequence Density<br />

Genotypic Data. Genetics 185: 1441-1449<br />

Wellmann, R. Bennewitz, J. (2011). The contribution of dominance to the<br />

un<strong>der</strong>standing of quantitative genetic variation. Genetics Research<br />

93: 139-154.<br />

Wellmann, R. Bennewitz, J. (2012). Genomic evaluation with hierarchical<br />

Bayes including dominance effects. Genetics Research. In press.

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