Dezember 2012 - Januar 2013
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Der Dekalog 1 – Text und Textgestalt<br />
Nach dem erklärenden Rundgang durch die<br />
Liturgie der Eucharistiefeier in den letzten Ausgaben<br />
des Pfarrbriefes, widmen sich die nächsten<br />
Nummern jenen Texten, die uns als „Zehn<br />
Gebote“ bekannt sind.<br />
Dekalog („Zehn Worte“) heißt in der lateinischen<br />
Kirche seit Irenäus von Lyon (Adv.<br />
Haer. 4,15, um 180 n.Chr.) eine Reihe von<br />
Verboten und Geboten, die in zwei verschiedenen<br />
Fassungen (Ex 20 und Dtn 5) überliefert<br />
worden ist. Zwei Stellen<br />
im Buch Deuteronomium<br />
bezeichnen diese Reihe als<br />
„die zehn Worte“. Die überwiegend<br />
vorchristliche griechische<br />
Übersetzung des<br />
hebräischen Textes (Septuaginta)<br />
übersetzt die Wendung<br />
in Dtn 10,4 wörtlich<br />
mit hoi déka lógoi. Von Dtn<br />
10,4 ist diese Bezeichnung<br />
in die Sinaiperikope, die<br />
Erzählung von der Wanderung<br />
des Volkes Israel durch<br />
die Wüste, gelangt: Ex 34,28<br />
identifiziert „die Worte des<br />
Bundes“ mit den auf Tafeln<br />
geschriebenen Worten und<br />
diese mit den zehn Worten;<br />
denn andere Worte auf Tafeln<br />
kennt die Tradition nicht.<br />
Die älteste handschriftliche<br />
Bezeugung des Dekalogtextes<br />
findet sich auf dem<br />
Papyrus Nash aus dem 2./1.<br />
Jahrhundert v.Chr., der – leicht beschädigt<br />
– einen Mischtext beider Fassungen von Ex 20<br />
und Dtn 5 mit zahlreichen orthographischen<br />
Varianten sowie das Schema Jisrael (Dtn 6,4-5)<br />
enthält (s. Abb.). Diese Kombination weist auf<br />
liturgisch-katechetischen Gebrauch des Dekalogs<br />
im Judentum nach dem babylonischen<br />
Exil hin.<br />
Der Dekalog erscheint in Ex 20 als erstes Gotteswort<br />
am Sinai und als einziges, welches das<br />
Volk unmittelbar aus Gottes Mund vernimmt.<br />
Schon dadurch ist er aus allen anderen Willensoffenbarungen<br />
Gottes herausgehoben. Er<br />
begegnet überdies fast wortgleich noch einmal<br />
in Dtn 5, der Abschiedsrede des Mose. Hier erinnert<br />
Mose in einem großen Rückblick auf die<br />
Ereignisse am Horeb daran, dass Gott mit dem<br />
Volk „von Angesicht zu Angesicht“ (Dtn 5,4)<br />
geredet habe. Die Verschriftlichung auf zwei<br />
steinerne Tafeln durch Gott selbst (Dtn 5,22)<br />
bekräftigen hier den Rang des Textes und seine<br />
Abgeschlossenheit. Schließlich regelt<br />
das Überschriftensystem im Buch<br />
Deuteronomium den Geltungsbereich<br />
der zehn Worte so, dass allein<br />
sie überall und unbeschränkt Geltung<br />
beanspruchen.<br />
Die im Dekalog gebrauchten Formen<br />
stammen nicht aus dem Rechtsleben.<br />
Er enthält weder Rechtssätze noch<br />
Tat-Folge-Bestimmungen. Mit dem<br />
Dekalog in der Hand kann kein Richter<br />
Recht sprechen. Er gehört deshalb<br />
nicht zum Recht, sondern zum<br />
Ethos. Er begründet das,<br />
was allem Recht vorausliegt<br />
und ohne dessen<br />
prinzipielle Anerkennung<br />
es kein Recht gibt.<br />
Insofern hat er auch regulative<br />
Funktionen für das Recht.<br />
Thematisch verwandte Reihenbildungen<br />
finden sich auch anderwärts<br />
im Alten Orient, so als<br />
„negatives Sündenbekenntnis“<br />
im ägyptischen Totenbuch oder<br />
als negativ zu beantwortende<br />
Fragenkataloge in mesopotamischen Dämonenbeschwörungen<br />
Sie gehen allerdings weit über<br />
die Zehnzahl hinaus, sind formal ganz anders<br />
stilisiert und erfüllen Funktionen in magischen<br />
Zusammenhängen und können zum Verständnis<br />
des Dekalogs nichts beitragen.<br />
Die Reihe und die Zehnzahl ihrer Glieder dürften<br />
indes älter als die Bezeichnung und das Tafelmotiv<br />
sein. Zehnzahl und Tafelmotiv suggerieren<br />
eine Ordnung.