Amrum barrierefrei – eine Dienstreise - Barrierefrei - Das Magazin
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BARRIEREFREIER TOURISMUS<br />
<strong>Amrum</strong> <strong>barrierefrei</strong> <strong>–</strong> <strong>eine</strong> <strong>Dienstreise</strong><br />
Von Sabine Dittmann, Unterwegs ohne Grenzen e. V.<br />
Bekannte wünschen mir <strong>eine</strong>n schönen Urlaub. Ist aber kein Urlaub, sondern <strong>eine</strong><br />
<strong>Dienstreise</strong>: Mit Kollegin Frauke soll ich überprüfen, welche Unterkünfte, aber auch<br />
Gaststätten, Geschäfte, öff entliche WCs und Freizeitangebote für Rollstuhlfahrer<br />
zugänglich sind. <strong>Das</strong> ist zu Hause in Kiel auch mein Job, da arbeite ich am Kieler<br />
Stadtführer für RollstuhlfahrerInnen.<br />
Beim Buchen der Fähre wird es schon speziell für<br />
Rollifahrerinnen wie Frauke und mich. Man muss<br />
die Länge des Autos in Millimeter angeben. Und<br />
mich beschleicht das ungute Gefühl: Wenn die auf<br />
der Fähre die Autos dicht an dicht stapeln, ist dann<br />
genug Platz, um mit dem Rolli noch auszusteigen?<br />
Ich rufe bei der Reederei an und erfahre, dass man<br />
speziellen Platzbedarf vorm Verladen auf der Mole<br />
angeben soll. Und das klappt auch. Mein Auto kommt<br />
als letztes auf die Fähre, und ich habe massig Platz.<br />
Mit unserer Ferienwohnung haben wir das große<br />
Los gezogen. In <strong>eine</strong>m total gemütlichen, frisch<br />
umgebauten Friesenhaus gelegen. Reichlich Platz,<br />
vor allem im Badezimmer, das nicht nur <strong>eine</strong><br />
berollbare Dusche, Platz auf beiden Seiten des WCs<br />
und Haltegriff e hat, sondern auch in schickem<br />
Design gehalten ist. Da sieht man mal: <strong>Barrierefrei</strong><br />
heißt nicht, dass es nach Krankenhaus aussieht! Später<br />
stellen wir fest: Von dieser Kategorie gibt es nur<br />
noch <strong>eine</strong> weitere Ferienwohnung! Alle anderen sind<br />
deutlich enger.<br />
Damit jeder Rollifahrer selber beurteilen kann, ob<br />
<strong>eine</strong> Unterkunft , ein Restaurant, Geschäft oder WC<br />
geeignet ist, machen wir uns <strong>eine</strong> Menge Arbeit: Jede<br />
Türbreite wird gemessen, Kassendurchgänge und<br />
Tresenhöhen in Geschäft en, wie viel Platz ist auf dem<br />
WC usw. Wir gehen nach standardisierten Fragebögen<br />
vor, Basis ist die DIN 18024 bzw. 18025 zum <strong>barrierefrei</strong>en<br />
Bauen. Nicht zu vergessen, wir messen<br />
auch Steigungen von Rampen. Die Wasserwaage im<br />
Rucksack ist unser Markenzeichen, und unser Ruf<br />
eilt uns über die ganze Insel voraus. Kaum sind wir<br />
vorne in Wittdün von der Fähre gefahren, weiß man<br />
hinten in Norddorf, dass wir kommen. <strong>Amrum</strong> ist<br />
<strong>eine</strong> Insel, jeder kennt jeden.<br />
<strong>Barrierefrei</strong> <strong>–</strong> das <strong>Magazin</strong><br />
Interessant ist die Reaktion von Vermietern, Gastwirten<br />
und Geschäft sinhabern: Vermieter <strong>eine</strong>r Ferienwohnung<br />
in Norddorf sind völlig verblüfft , dass da<br />
zwei Rollstuhlfahrerinnen kommen. Was hatten die<br />
erwartet, <strong>eine</strong> Tourismus-Fachfrau mit Stöckelschuhen<br />
und schickem Kostüm? Natürlich kann auch so<br />
jemand <strong>eine</strong>n Fragebogen ausfüllen. Aber gerade in<br />
diesem Fall sieht man, dass es doch für den Aha-Effekt<br />
wirkungsvoll ist, wenn echte Rollifahrer diese<br />
Arbeit machen. Z. B. sehen Vermieter dann gleich,<br />
wenn ihre Badezimmertür zu schmal ist. Und dass<br />
<strong>eine</strong> Zufahrt zum Haus über 50 m Kies schlicht nicht<br />
machbar ist. Oder, bei <strong>eine</strong>m Restaurant in Steenodde,<br />
<strong>eine</strong> Rampe mit 20 % viel zu steil, da komme<br />
ich nur mit Hilfe des Postboten hoch.<br />
Spannend auch das Erlebnis mit <strong>eine</strong>r Gastwirtin in<br />
Nebel. <strong>Das</strong> schnuckelige, kl<strong>eine</strong> Friesenhaus hat <strong>eine</strong><br />
zweifl ügelige Eingangstür. Ein Flügel allein ist selbst<br />
für m<strong>eine</strong>n schmalen Rolli zu eng, aber ich erwarte,<br />
dass die Wirtin mir den zweiten Flügel auch noch<br />
öff net und ich ohne Probleme ins Restaurant komme.<br />
Geht aber nicht: Der zweite Flügel ist fest verschraubt<br />
und damit spontan nicht zu öff nen. Werkzeug ist<br />
nicht zur Hand. Begründung: <strong>Das</strong> sei Absicht, um<br />
die Mütter mit den Kinderwagen draußen zu halten.<br />
Mal abgesehen davon, dass ich auch das schon zweifelhaft<br />
fi nde, Rollifahrer kommen so auch nicht rein.<br />
Die Wirtin versichert mir aber, ganz sicher nicht<br />
behindertenfeindlich zu sein. Sie verspricht, am<br />
nächsten Tag <strong>eine</strong>n Schraubendreher mitzubringen,<br />
und wir vertagen das Ausmessen.<br />
Am nächsten Tag stehen wir zu zweit vor der Tür.<br />
Trotz Termin geht es aber wieder nicht, sie hat das<br />
Werkzeug vergessen. Nun hilft nur noch Klartext:<br />
Will sie eigentlich doch lieber k<strong>eine</strong> behinderten<br />
Gäste? Sie beteuert aber, das sei ganz sicher nicht<br />
der Fall, und wir geben ihr noch <strong>eine</strong> letzte Chance.
Und siehe da, am nächsten Tag ist das Werkzeug<br />
zur Hand, und wir können rein. Allerdings ist das<br />
WC nicht zugänglich. Aber das ist auf <strong>Amrum</strong> in<br />
fast allen Gaststätten der Fall.<br />
Vermieter von Ferienwohnungen und Hotels sind im<br />
Allgem<strong>eine</strong>n der Meinung, Rollstuhlfahrer seien<br />
stets und ständig mit Begleitperson unterwegs, die<br />
überall hilft , wo es all<strong>eine</strong> nicht geht. Abgesehen<br />
davon, dass das nicht der Fall ist, bei zu engen Türen<br />
kann die Begleitperson auch nicht helfen. Völlig verblüff<br />
end ist auch immer unsere Reise-Konstellation:<br />
Zwei gemeinsam reisende Rollifahrerinnen kommen<br />
in der Fantasie von Vermietern nicht vor!<br />
Auf <strong>eine</strong> Insel fährt der Tourist wegen Meer, Strand<br />
und Baden. Wie sieht es da für den Rollifahrer aus?<br />
Sand ist ein natürlicher Feind des Rollstuhlfahrers,<br />
man bleibt stecken, und nichts geht mehr. Aber da<br />
haben sich die <strong>Amrum</strong>er Touristik-Profi s was ausgedacht,<br />
und die Strandübergänge in Nebel und Norddorf<br />
sind wirklich gelungen: Unmittelbar vor dem<br />
Strand gibt es große Parkplätze. Ein asphaltierter<br />
Weg mit mäßiger Steigung führt durch die Dünen.<br />
Bis fast ans Wasser geht ein Holzbohlen-Weg. Den<br />
Strandkorb gibt es auf Wunsch direkt an den Bohlenweg.<br />
Und ins Wasser kann man mit <strong>eine</strong>m speziellen<br />
Strandrollstuhl, kostenlos auszuleihen bei der<br />
<strong>Amrum</strong> Touristik. Toiletten gibt es auch.<br />
BARRIEREFREIER TOURISMUS<br />
In Norddorf gibt es zusätzlich <strong>eine</strong> <strong>barrierefrei</strong><br />
zugängliche Aussichtsplattform. Auch wenn diese in<br />
<strong>eine</strong>r Karikatur in den <strong>Amrum</strong> News liebevoll als<br />
Ufo-Landeplatz oder in der Bevölkerung weniger liebevoll<br />
als Horizont-Verschmutzung bezeichnet wird:<br />
Man hat <strong>eine</strong>n tollen Ausblick. Und, bitteschön, wo<br />
gibt es schon <strong>eine</strong>n <strong>barrierefrei</strong>en Ufo-Landeplatz?<br />
Der Zugang zum Wittdüner Strand ist nicht so gelungen.<br />
Von der Strandpromenade führt <strong>eine</strong> Holzbohlen-Rampe<br />
mit vorschrift smäßigen 6 % Steigung<br />
nach oben auf die Dünen zum Fußweg „Obere Wandelbahn“.<br />
Für den Fußgänger geht es auf der anderen<br />
Seite über <strong>eine</strong> Treppe runter. Rollifahrer haben die<br />
Wahl zwischen <strong>eine</strong>r Steigung von 13 % oder <strong>eine</strong>m<br />
Umweg von 1,2 km.<br />
Dafür hat Wittdün aber <strong>eine</strong> große Auswahl an Rolli-<br />
WCs. Man kann nicht alles haben. Nebel und Norddorf<br />
haben nämlich (bis auf die Strandzugänge, weit<br />
weg von der Ortsmitte) k<strong>eine</strong> rollstuhlgerechten<br />
WCs. In Norddorf wurde sogar das einzige vorhandene<br />
Rolli-WC abgebaut, man brauchte den Raum<br />
zum Lagern von Putz-Utensilien. Aber es wird, fest<br />
versprochen, ein neues gebaut. In Nebel übrigens<br />
auch, wenn das „Haus des Gastes“ umgebaut wird.<br />
Nach <strong>Amrum</strong> kann man sein eigenes Auto mitnehmen.<br />
<strong>Das</strong> ist auch ganz praktisch, wenn man nicht<br />
alle Ausfl üge sportlich mit dem Handbike unter-<br />
<strong>Barrierefrei</strong> <strong>–</strong> das <strong>Magazin</strong><br />
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BARRIEREFREIER TOURISMUS<br />
nehmen will. Oder mit dem Bus: Es gibt Niederfl<br />
urbusse mit Klapprampe, die vom Busfahrer<br />
bedient wird. Natürlich muss man auch irgendwo<br />
parken, und das ist gar nicht so einfach. Wirkliche<br />
Behindertenparkplätze gibt es nämlich nicht. Also<br />
solche, die breit genug sind, ohne lästige Bordsteinkanten<br />
drum herum usw.<br />
In Wittdün gibt es ein paar Rolli-Parkplätze, die auf<br />
der Inselstraße gekennzeichnet sind. <strong>Das</strong> ist die<br />
Hauptverkehrsstraße, wo alle Touristen von der<br />
Fähre kommen. Außerdem die Einkaufsstraße, da<br />
tobt sogar jetzt im November noch das Leben. Ich<br />
habe es ein einziges Mal gewagt, mein Auto dort<br />
abzustellen. In der Zeit, bis der Rolli ausgeladen ist<br />
und ich mich umgesetzt habe, also mehrere Minuten,<br />
muss die Autotür ganz geöff net bleiben. Selbst<br />
in der Nebensaison bringt das den Verkehr zum<br />
Stillstand. Wie das im Sommer aussieht, mag ich<br />
mir gar nicht vorstellen.<br />
Unterwegs ohne Grenzen e. V.<br />
Dieser Verein wurde 1999 gegründet. <strong>Das</strong><br />
Hauptziel ist, die Inklusion von Menschen mit<br />
Behinderung in die Gesellschaft mehr voran<br />
zu treiben. Die Mitglieder kämpfen für <strong>Barrierefrei</strong>heit<br />
und Selbstbestimmtes Leben in<br />
Schleswig-Holstein. Zurzeit gibt es ca. 20 Mitglieder<br />
und <strong>eine</strong> Angestellte. Die Angestellte<br />
ist für den Stadtführer für Rollstuhlfahrer/innen<br />
in Kiel zuständig. Der Stadtführer ist<br />
im Internet unter „www.Kiel.de“ unter dem<br />
Stichwort „Kiel Sozial“ zu fi nden. Der Stadtführer<br />
wird von der Stadt Kiel bei Unterwegs<br />
ohne Grenzen bestellt. Die Aktualisierung<br />
wird fortlaufend durch Unterwegs ohne Grenzen<br />
durchgeführt. Ab November 2010 werden<br />
zwei Regionalführer für die Inseln <strong>Amrum</strong> und<br />
Föhr erstellt. Für diese Aufgabe ist die Angestellte<br />
zuständig. Der Verein bietet auch Seminare<br />
und Vorträge an. Zum Bespiel geht es<br />
um Inklusion und <strong>Barrierefrei</strong>heit. Der Verein<br />
berät auch im privaten Bereich Menschen<br />
mit Behinderungen. Der Verein bietet jeden<br />
2. Freitag im Monat von 17 bis 20 Uhr <strong>eine</strong>n<br />
Stammtisch an. Es können Menschen mit Behinderung<br />
und ohne Behinderung teilnehmen.<br />
Dazu gibt es auch ein Frauenfrühstück,<br />
<strong>Barrierefrei</strong> <strong>–</strong> das <strong>Magazin</strong><br />
Was kann man sonst unternehmen? <strong>Das</strong> <strong>Amrum</strong><br />
Badeland kann man besuchen, es gibt sogar <strong>eine</strong>n<br />
Rollstuhl, mit dem man bis ins Schwimmbecken fahren<br />
kann. Nur die Sauna-Türen sind mit 65 cm reichlich<br />
zu eng. Ins Th alassozentrum kommt man auch<br />
hinein. Für die goldene Badewanne in der Wellness-<br />
Abteilung gibt es aber leider k<strong>eine</strong> Einstiegshilfe.<br />
Und die Krankengymnastik-Abteilung liegt unpraktischer<br />
weise im 1. Stock. <strong>Das</strong> Naturzentrum in<br />
Norddorf ist zugänglich (wenn man die steile Rampe<br />
schafft ). Niedliche Baby-Schollen und Krebse in den<br />
Aquarien und auch alle anderen Schaukästen sind<br />
auf Rolli-Höhe.<br />
Also, <strong>Amrum</strong> lohnt auch für Rollstuhlfahrer. Man<br />
muss aber wissen, was geht. Und dafür gibt es ja bald<br />
die Informationen auf www.amrum.de → <strong>Amrum</strong><br />
<strong>barrierefrei</strong>.<br />
Und übrigens, die nächste <strong>Dienstreise</strong> führt nach<br />
Föhr.<br />
wo Frauen mit Behinderung sich austauschen<br />
können. <strong>Das</strong> Frauenfrühstück fi ndet jeden<br />
zweiten Samstag im Monat von 10:30 bis<br />
13:00 Uhr statt. Weitere Projekte werden noch<br />
geplant.<br />
In Zukunft brauchen wir noch dringend <strong>eine</strong>n<br />
2. Vorsitzenden, der den 1. Vorsitzenden unterstützt.<br />
Es wäre toll, wenn der Verein noch<br />
mehr neue Mitglieder dazu gewinnen könnte.<br />
Der Verein macht k<strong>eine</strong> Unterschiede zwischen<br />
den Menschen.<br />
ALLE SIND HERZLICH WILLKOMMEN !!!<br />
Hier die Anschrift:<br />
Unterwegs ohne Grenzen e. V.<br />
(beim DPWV, Hintereingang)<br />
Beselerallee 57<br />
24105 Kiel<br />
Tel.: 0431<strong>–</strong>66 70 327 (Anrufbeantworter läuft)<br />
E-Mail: uog_kiel@yahoo.de<br />
Beitrag von Isabell Veronese,<br />
Unterwegs ohne Grenzen e. V.