Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications

Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications

25.09.2012 Aufrufe

FORSCHEN Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen 4 genosphären 11/12 Die Techniken der Lebenswissenschaften sind mittlerweile so raffiniert, dass sie Milliarden von Daten produzieren. Diese Flut kann durch herkömmliche Auswertungsmethoden nicht mehr gebändigt werden. Für Ordnung im Daten-Dickicht sorgt seit 2003 das GEN-AU Bioinformatik- Integrationsnetzwerk. Das Team um Zlatko Trajanoski (Meduni Innsbruck) und Gerhard Thallinger (TU Graz) schafft es sogar, Äpfel mit Birnen zu vergleichen – und konnte so einen 80 Jahre lang gültigen Darmkrebs-Diagnosestandard ins Wanken zu bringen. TExT: ANDREAS FEIERTAG FOTOS: CHRISTINE WURNIG Zlatko Trajanoski ist ein wenig stolz. Große Worte macht er zwar keine – dafür ist der Profes- sor einfach zu bescheiden. Aber ein strahlendes Lächeln kann er nicht unterdrücken. Worüber sich der Vorstand der Bioinformatik-Abteilung freut? Auf seinem Schreibtisch im Biozentrum der Medizinischen Universität Innsbruck liegt eine Ausgabe des Journal of Clinical Oncology. Sie erschien im Februar 2011 und sorgte in der Fachwelt für Aufsehen. Drei Seiten hat das Journal den Ergebnissen einer österreichisch-französischen Darmkrebs- Forschergruppe gewidmet, in der Trajanoski eine maßgebliche Rolle spielte. Doch damit nicht genug. In einem Kommentar zu den brisanten Studienergebnissen forderte das weltweit renommierte Fachmagazin sogar dezidiert die sofortige praktische Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse ein – zum Wohle aller Darmkrebspatientinnen und -patienten, denen damit eine höhere Überlebenschance eröffnet werden kann. Der Artikel ist eine von vielen Leistungen des „Bioinformatik-Integrationsnetzwerks“, kurz BIN. Zlatko Trajanoski leitet dieses GEN-AU Netzwerk seit 2003 und wird es noch bis Ende März 2012 fortführen. „Die Klassifizierung von Darmkrebs erfolgte bis zu dieser Publikation nach dem so genannten Dukes-Score“, erklärt Trajanoski: Nach Diagnose und Operation wurde das Gewebematerial der Erkrankten allein unter dem Mikroskop einer morphologischen Begutachtung unterzogen. Die Einteilung der Patientinnen und Patienten erfolgte in vier Klassen, je nach Metastasierung. Bei Stufe eins wurde man als geheilt entlassen, bei Stufe zwei gab es regelmäßige Nachkontrollen, bei drei gab es Chemotherapie, und bei vier schwand die Hoffnung. Filter für das Risiko „Das Problem dabei war“, erläutert Trajanoski, „dass auch Patienten mit der Klassifizierung eins und zwei bei einer Nachuntersuchung plötzlich derart viele Metastasen hatten, dass es oft zu spät für eine effiziente Therapie war. Man hätte sie also gleich nach der Operation einer Chemotherapie unterziehen müssen, was aber aufgrund der Einstufung unterblieben ist.“ Wie also jene Hochrisikopatientinnen und -patienten herausfiltern, bei denen im Mikroskop zunächst nichts zu sehen ist? „Die Pathologen hatten immer wieder eine Infiltration von verschiedenen Immunzellen in den Tumor festgestellt, diese aber nicht beachtet“, sagt Trajanoski. Sie vermuteten schlicht keinen Zusammenhang zwischen Immunreaktion und Krebswachstum. Anders das Team des 48-jährigen Bioinformatikers – es ging der Frage nach: Welche Rolle spielt das Immunsystem bei der Metastasierung des kolorektalen Karzinoms? Die Antwort einer Recherche in großen Mengen von publizierten Daten lautete: CD45RO, ein Marker für Effector-Memory-T-Zellen, korreliert positiv mit dem Überleben und negativ mit früher Metastasierung des kolorektalen Karzinoms. Dieser Fährte folgend fanden sich weitere Zusammenhänge, wie etwa ein auffälliges Verhalten des Markers CD8 im Zentrum bzw. der Peripherie von Darmtumoren. Aus diesen Informationen ließ sich ein neuer Score entwickeln, der nur aus zwei Regi-

onen (Tumorzentrum, Tumorperipherie) und zwei Immunmarkern (CD45RO, CD8) bestand und der dem seit 1932 als Goldstandard gehandelten Dukes- Score bei weitem überlegen war. In anschließenden Analysen wurde dann ein komplexes Korrelationsnetz gebildet, das Aussagen zur Therapierbarkeit des Karzinoms erlaubt. „Unsere Forschergruppe konnte Immunzellen als Krebsmarker identifizieren, die das Tumorwachstum beeinflussen. So haben wir heute ein wesentlich besseres Vorhersagemodell an der Hand, das den Patienten zugute kommt“, berichtet Trajanoski. Er hofft, dass sich der neue Diagnoseansatz in den nächsten Jahren durchsetzen wird. Tatsächlich stellen einige Kliniken in der EU ihr System zur Darmkrebsdiagnostik bereits um. Gut kombiniert: Äpfel und Birnen Um aber überhaupt so weit zu kommen, mussten unzählige Daten nicht nur verarbeitet, sondern auch vereinheitlicht und miteinander vergleichbar gemacht und schließlich mit Computeralgorithmen analysiert werden: Das Informations-Dickicht 5 genosphären 11/12 bestand aus rund tausend Gewebeproben, dazugehörenden Pathologiebefunden, Studienergebnissen aus aller Welt sowie den Erfahrungen von Medizinerinnen und Medizinern. Und genau hier setzte das GEN-AU Bioinformatik-Integrationsnetzwerk an. Denn „neue Technologien generieren Unmengen an Daten. Deshalb muss man Werkzeuge entwickeln, die die Verarbeitung möglich machen“, erklärt Gerhard Thallinger, Professor am Institut für Genomik und Bioinformatik (TU Graz). Er ist Trajanoskis BIN- Partner der ersten Stunde – und somit ebenfalls Pionier bei der Sinnsuche im biologischen Datenmeer. „Als wir im Jahr 2003 mit BIN begonnen haben“, erinnert sich Trajanoski, „befassten sich noch sehr wenige Gruppen in Österreich mit der Verarbeitung komplexer biologischer Daten. In geringem Umfang passierte dies an Chemie-Instituten. Aber die kritische Masse war klein, und einen Informationsaustausch gab es nicht.“ Mit BIN änderte sich vieles: Das GEN-AU Projekt ermöglichte den Aufbau einer Infrastruktur, die Entwicklung von geeigneter Software und die Anschaffung von Hardware. „Das war nicht nur einmalig in FORSCHEN Heiterer Zahlenjongleur: Ein Umzug kann Zlatko Trajanoski nicht wirklich aus der Ruhe bringen. Der Bioinformatik-Professor hat lange Zeit in Graz und einige Jahre in den USA gearbeitet – bis er 2009 nach Innsbruck übersiedelte. Nach zwei Jahren der provisorischen Unterbringung ist nun das Biozentrum fertiggestellt, bald werden die Regale mit Fachliteratur gefüllt sein. „Als wir im Jahr 2003 mit BIN begonnen haben, befassten sich noch sehr wenige Gruppen in Österreich mit der Verarbeitung komplexer biologischer Daten.“

FORSCHEN<br />

<strong>Bioinformatik</strong>:<br />

<strong>Äpfel</strong> <strong>mit</strong> <strong>Birnen</strong> <strong>vergleichen</strong><br />

4 genosphären 11/12<br />

Die Techniken der Lebenswissenschaften sind <strong>mit</strong>tlerweile so raffiniert, dass sie Milliarden<br />

von Daten produzieren. Diese Flut kann durch herkömmliche Auswertungsmethoden nicht mehr<br />

gebändigt werden. Für Ordnung im Daten-Dickicht sorgt seit 2003 das GEN-AU <strong>Bioinformatik</strong>-<br />

Integrationsnetzwerk. Das Team um Zlatko Trajanoski (Meduni Innsbruck) und Gerhard Thallinger<br />

(TU Graz) schafft es sogar, <strong>Äpfel</strong> <strong>mit</strong> <strong>Birnen</strong> zu <strong>vergleichen</strong> – und konnte so einen 80 Jahre lang<br />

gültigen Darmkrebs-Diagnosestandard ins Wanken zu bringen.<br />

TExT: ANDREAS FEIERTAG<br />

FOTOS: CHRISTINE WURNIG<br />

Zlatko Trajanoski ist ein wenig stolz. Große<br />

Worte macht er zwar keine – dafür ist der Profes-<br />

sor einfach zu bescheiden. Aber ein strahlendes<br />

Lächeln kann er nicht unterdrücken. Worüber sich<br />

der Vorstand der <strong>Bioinformatik</strong>-Abteilung freut?<br />

Auf seinem Schreibtisch im Biozentrum der Medizinischen<br />

Universität Innsbruck liegt eine Ausgabe<br />

des Journal of Clinical Oncology. Sie erschien im<br />

Februar 2011 und sorgte in der Fachwelt für Aufsehen.<br />

Drei Seiten hat das Journal den Ergebnissen<br />

einer österreichisch-französischen Darmkrebs-<br />

Forschergruppe gewidmet, in der Trajanoski eine<br />

maßgebliche Rolle spielte.<br />

Doch da<strong>mit</strong> nicht genug. In einem Kommentar<br />

zu den brisanten Studienergebnissen forderte das<br />

weltweit renommierte Fachmagazin sogar dezidiert<br />

die sofortige praktische Anwendung der wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse ein – zum Wohle aller<br />

Darmkrebspatientinnen und -patienten, denen da<strong>mit</strong><br />

eine höhere Überlebenschance eröffnet werden<br />

kann. Der Artikel ist eine von vielen Leistungen des<br />

„<strong>Bioinformatik</strong>-Integrationsnetzwerks“, kurz BIN.<br />

Zlatko Trajanoski leitet dieses GEN-AU Netzwerk<br />

seit 2003 und wird es noch bis Ende März 2012<br />

fortführen.<br />

„Die Klassifizierung von Darmkrebs erfolgte<br />

bis zu dieser Publikation nach dem so genannten<br />

Dukes-Score“, erklärt Trajanoski: Nach Diagnose<br />

und Operation wurde das Gewebematerial der<br />

Erkrankten allein unter dem Mikroskop einer<br />

morphologischen Begutachtung unterzogen. Die<br />

Einteilung der Patientinnen und Patienten erfolgte<br />

in vier Klassen, je nach Metastasierung. Bei Stufe<br />

eins wurde man als geheilt entlassen, bei Stufe<br />

zwei gab es regelmäßige Nachkontrollen, bei drei<br />

gab es Chemotherapie, und bei vier schwand die<br />

Hoffnung.<br />

Filter für das Risiko<br />

„Das Problem dabei war“, erläutert Trajanoski,<br />

„dass auch Patienten <strong>mit</strong> der Klassifizierung eins<br />

und zwei bei einer Nachuntersuchung plötzlich<br />

derart viele Metastasen hatten, dass es oft zu<br />

spät für eine effiziente Therapie war. Man hätte<br />

sie also gleich nach der Operation einer Chemotherapie<br />

unterziehen müssen, was aber aufgrund<br />

der Einstufung unterblieben ist.“ Wie also jene<br />

Hochrisikopatientinnen und -patienten herausfiltern,<br />

bei denen im Mikroskop zunächst nichts zu<br />

sehen ist? „Die Pathologen hatten immer wieder<br />

eine Infiltration von verschiedenen Immunzellen in<br />

den Tumor festgestellt, diese aber nicht beachtet“,<br />

sagt Trajanoski. Sie vermuteten schlicht keinen<br />

Zusammenhang zwischen Immunreaktion und<br />

Krebswachstum.<br />

Anders das Team des 48-jährigen <strong>Bioinformatik</strong>ers<br />

– es ging der Frage nach: Welche Rolle spielt<br />

das Immunsystem bei der Metastasierung des kolorektalen<br />

Karzinoms? Die Antwort einer Recherche<br />

in großen Mengen von publizierten Daten lautete:<br />

CD45RO, ein Marker für Effector-Memory-T-Zellen,<br />

korreliert positiv <strong>mit</strong> dem Überleben und negativ <strong>mit</strong><br />

früher Metastasierung des kolorektalen Karzinoms.<br />

Dieser Fährte folgend fanden sich weitere Zusammenhänge,<br />

wie etwa ein auffälliges Verhalten des<br />

Markers CD8 im Zentrum bzw. der Peripherie von<br />

Darmtumoren. Aus diesen Informationen ließ sich<br />

ein neuer Score entwickeln, der nur aus zwei Regi-

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