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Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications

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FORSCHEN<br />

Zuerst berichteten einschlägige Publikationen<br />

über die Epigenetik. Dann eroberte das Thema<br />

auch den Sachbuchmarkt.<br />

Epigenetics:<br />

e<br />

Of great-grandchildren and wrap<br />

techniques<br />

With the help of GEN-AU,<br />

Vienna evolved into a center<br />

for epigenetics. This booming<br />

field of science is essential for<br />

understanding disease, evolution<br />

as well as basic mechanisms of<br />

immunology.<br />

18 genosphären 11/12<br />

zellen bekannt ist. Ein logischer Kandidat, weil<br />

er schon in den beiden vorangehenden GEN-AU<br />

Epigenetik-Projekten <strong>mit</strong>gewirkt hat. Und, noch<br />

viel wichtiger: Weil er im Zuge seiner immunologischen<br />

Forschungen auf Fragen gestoßen ist, die er<br />

nur <strong>mit</strong> einem besseren Verständnis der Epigenetik<br />

beantworten wird können.<br />

Konkret zerbricht sich der gebürtige Schweizer,<br />

der seit 1988 am IMP arbeitet, den Kopf darüber,<br />

wie Stammzellen das Schicksal ihrer Tochterzellen<br />

bestimmen. Stammzellen sind – wie Kinder<br />

zu Beginn ihrer Schulkarriere – noch extrem<br />

vielseitig. Sie sind in der Lage, fast jedes beliebige<br />

Gewebe des menschlichen Organismus entstehen<br />

zu lassen. Erst ihre Tochterzellen schlagen eine<br />

bestimmte Richtung ein, beginnen sich zu spezialisieren.<br />

So wie Jugendliche, die einen bestimmten<br />

Ausbildungspfad einschlagen, entwickeln sie spezielle<br />

Fähigkeiten und verlieren andere.<br />

Wegweiser am Entwicklungspfad<br />

Doch anders als bei Kindern, die <strong>mit</strong>unter –<br />

auch gegen den Willen ihrer Eltern – irgendwann<br />

umsatteln, bleiben Tochter- und Enkelzellen<br />

getreulich auf dem vorgezeichneten Entwicklungspfad.<br />

Manche entwickeln sich über mehrere Vorläuferstadien<br />

z.B. zu Augenzellen, andere entfalten<br />

sich in Richtung Abwehrzellen des Immunsystems.<br />

Busslinger war rasch klar, dass die Information<br />

über den eingeschlagenen Weg nur <strong>mit</strong> epigenetischen<br />

Veränderungen von einer Zelle auf die<br />

nächste übertragen werden kann. Und so wurde<br />

Epigenetik:<br />

Schwierige Definition, boomendes Feld<br />

Will man zwei Forschende aus der Genetik<br />

dazu bringen, sich zu streiten, muss man sie nur<br />

nach einer allgemeinen Definition von „Epigenetik“<br />

fragen. Denn die Übersetzung des Wortes,<br />

das schon Aristoteles verwendet hat, ist ziemlich<br />

allgemein: „Epi“ bedeutet zusätzlich. Demnach<br />

wäre die Epigenetik all das, was außer dem<br />

Genom noch wichtig für die Funktionen einer<br />

Zelle ist. Und das ist allerhand. Schließlich ist<br />

das Genom ja in allen Zellen eines Organismus<br />

gleich – egal, ob in der Leber, ob in einer embryonalen<br />

Stammzelle oder in der Wurzel eines alten<br />

grauen Haares.<br />

Der Unterschied liegt in der Regulierung der<br />

Erbinformation. Epigenetische Mechanismen legen<br />

fest, wann welche Gene aktiv sind. Sie sorgen<br />

etwa dafür, dass die Töchter einer Stammzelle<br />

wissen, in welche Richtung sie sich spezialisieren<br />

sollen. Darüber hinaus gibt es erste Hinweise<br />

darauf, dass epigenetische Information über<br />

Generationen hinweg übertragen werden kann.<br />

Das Forschungsfeld boomt, auch dank immer<br />

effizienterer Analyse-Geräte zur Genom-Kartie-<br />

er fast zwangsläufig zum Epigenetiker. Sein bisher<br />

wichtigster Beitrag zu diesem Feld: Er fand heraus,<br />

dass Transkriptionsfaktoren eine wesentliche Rolle<br />

bei den Lebensweg-Entscheidungen von Zellen<br />

spielen müssen.<br />

Vom Historiker zum Kindergartenkind<br />

Indem er nur einen einzigen dieser Faktoren,<br />

genannt PAx5, deaktivierte, konnte er ausdifferenzierte<br />

B-Zellen des Immunsystems in Stammzellen<br />

zurückverwandeln und sie dann zu T-Zellen heranreifen<br />

lassen. Es war, als hätte er einen hoch spezialisierten<br />

Historiker aus der Bibliothek geholt, ihn<br />

zu einem Kindergartenkind gemacht – um es dann<br />

zu einem Maschinenbau-Experten auszubilden.<br />

Ein besonders sichtbares Resultat derartiger<br />

„Verwandlungs-Experimente“ – schon lange vor<br />

GEN-AU Projektende – ist ein Advanced Grant, den<br />

Meinrad Busslinger Anfang Dezember 2011 vom<br />

European Research Council (ERC) zugesprochen<br />

bekommen hat. Dadurch wird er in den kommenden<br />

fünf Jahren 2,5 Millionen Euro für seine Forschungen<br />

ausgeben können. „Ohne die Vorarbeiten,<br />

die wir in den GEN-AU Projekten geleistet haben,<br />

hätten wir niemals einen solchen Erfolg landen<br />

können“, so Busslinger. Die Geschichte der Epigenetik<br />

in Wien wird also weiter gehen.<br />

rung. Schon ist der erste einschlägige Nobelpreis<br />

vergeben worden – für Erkenntnisse, die u. a. von<br />

der Arbeit der in Wien forschenden Epigenetiker<br />

Marjori und Antonius Matzke (GMI) inspiriert<br />

worden waren.<br />

Mit einem besseren Verständnis von epigenetischen<br />

Mechanismen könnten Wissenschafterinnen<br />

und Wissenschafter direkt in das Schicksal<br />

von Zellen eingreifen. Eine Vision ist es, aus ausdifferenzierten<br />

Zellen Stammzellen zu machen<br />

und aus diesen Gewebe für medizinische Anwendungen<br />

zu züchten, etwa Dopamin-produzierende<br />

Neuronen für die Behandlung von Parkinson.<br />

Die Forschenden erhoffen sich aber auch<br />

Aufschlüsse über die Evolution von Organismen.<br />

Die Epigenetik könnte bislang rätselhafte Phänomene<br />

der Vererbung erklären – etwa, warum<br />

bestimmte Folgen von Hunger oder Stress auch<br />

noch in der nächsten oder übernächsten Generation<br />

feststellbar sind. Die These lautet: Nicht die<br />

Gene, sondern das Epigenom wird verändert. Und<br />

diese Veränderungen werden weiter gegeben.<br />

Abbildung der Buchcover <strong>mit</strong> freundlicher Genehmigung von DuMont Buchverlag sowie Cold Spring Harbor Laboratory Press

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