Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications
Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications
Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
in Form eines insgesamt 1,8 Meter langen Rie-<br />
senmoleküls – besser bekannt unter dem Namen<br />
DNA – perfekt gewickelt ist. Nur durch die raffinierte<br />
Wickeltechnik passt das Erbgut überhaupt in den<br />
Zellkern. Doch die besonders enge Verpackung hat<br />
auch einen Nachteil: Die Gene sind derart dicht<br />
aneinander gepfercht, dass nichts und niemand ihre<br />
Information lesen kann.<br />
Wie Zellen dennoch an ihren eigenen Wissens-<br />
Schatz heran kommen, untersuchte der deutsche<br />
Epigenetik-Pionier Thomas Jenuwein – damals<br />
noch am IMP – in zehn Jahren intensiver Laborarbeit.<br />
Im Sommer 2000 war es dann so weit.<br />
Jenuwein hatte ein weiteres Talent des Chromatins<br />
entdeckt: Durch das Hinzufügen von Methylgruppen<br />
lockert es den aufgewickelten DNA-Strang an<br />
exakt der richtigen Stelle ein wenig, sodass einzelne<br />
Gene zugänglich und lesbar werden. „Diese Entdeckung<br />
war bahnbrechend“, erinnert sich Meinrad<br />
Busslinger an die Leistung seines Kollegen.<br />
Zentrum für lockeres Chromatin<br />
Die Aufklärung dieses Mechanismus brachte<br />
Jenuwein eine ganze Reihe von prominent platzierten<br />
Publikationen ein – und sie war so etwas wie der<br />
Startschuss für die groß angelegte Epigenetik-Forschung<br />
in Wien. Jenuwein initiierte im Rahmen von<br />
GEN-AU I in den Jahren 2003 bis 2005 ein Verbundprojekt<br />
<strong>mit</strong> fünf Gruppen, im Anschluss daran führte<br />
er in Phase II die Arbeit <strong>mit</strong> sechs Gruppen weiter.<br />
Und als er dann auch noch überlappend ein 12,5<br />
Millionen schweres europäisches Exzellenznetzwerk<br />
zum Thema Epigenetik koordinierte, hatte er Wien<br />
zu einem Zentrum der einschlägigen Forschungswelt<br />
gemacht.<br />
In den ersten beiden Phasen investierte<br />
GEN-AU fast sieben Millionen Euro in die Epigenetik-Forschung.<br />
Durch die Förderung gelang es,<br />
neueste Analyse-Gerätschaften anzuschaffen und<br />
Menschen heranzubilden, die da<strong>mit</strong> auch umgehen<br />
konnten. „Davon hat unser gesamtes Umfeld<br />
enorm profitiert“, berichtet Meinrad Busslinger.<br />
Tatsächlich konnten die Forscherinnen und<br />
Forscher weitere Mechanismen der Chromatin-<br />
Auflockerung entdecken. Doch noch immer ist<br />
nicht ganz klar, was die halbwegs entschlüsselten<br />
Entspannungs-Mechanismen des Chromatins<br />
überhaupt in Gang setzt.<br />
Logische Überraschungen<br />
Das zu klären, hat sich Meinrad Busslinger zur<br />
Aufgabe gemacht. Nachdem Jenuwein an das Max-<br />
Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik<br />
in Freiburg gewechselt war, übernahm er Mitte<br />
2009 die Koordination des bewährten GEN-AU<br />
Verbundprojekts und wacht momentan über sechs<br />
Subprojekte (siehe Infokasten Bindungsforschung:<br />
Mouse-Mystery und magischer Algorithmus).<br />
Der 59-Jährige ist für die Projektleiter-<br />
Funktion sowohl ein überraschender als auch ein<br />
logischer Kandidat: Ein überraschender, weil er<br />
in der Fachwelt für die Erforschung von Immun-<br />
17 genosphären 11/12<br />
Bindungsforschung:<br />
Mouse-Mystery und magischer Algorithmus<br />
Subprojektleiterin Leonie Ringrose<br />
vom Institut für Molekulare Biotechnologie<br />
(IMBA, Österreichische Akademie der<br />
Wissenschaften) hat sich die regulatorischen<br />
Faktoren <strong>mit</strong> den klingenden Namen<br />
„Polycomb“ und „Trithorax“ vorgenommen.<br />
„Als ich Ende der 90er Jahre begonnen<br />
habe, mich da<strong>mit</strong> zu beschäftigten, gab es<br />
pro Jahr gerade einmal zwei oder drei Publikationen<br />
zu diesem Thema“, erinnert sich<br />
die gebürtige Britin in perfektem Deutsch.<br />
Trithorax sorgt für die Ablesbarkeit von<br />
Genen, Polycomb blockiert genau diese<br />
Lesbarkeit. Und das offenbar über mehrere<br />
Generationen hinweg.<br />
Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter<br />
um Ringrose haben herausgefunden,<br />
an welchen Stellen die beiden Proteine<br />
Trithorax aund Polycomb an das Chromatin<br />
binden. Doch die Suche war extrem mühsam.<br />
Und so entwickelte Leonie Ringrose<br />
gemeinsam <strong>mit</strong> <strong>Bioinformatik</strong>erinnen<br />
und <strong>Bioinformatik</strong>ern einen „magischen<br />
Algorithmus“. Mit Hilfe dieses Werkzeugs<br />
konnten die Forschenden jetzt ganz elegant<br />
„Andock-Stationen“ für Trithorax und<br />
Polycomb vorhersagen und schließlich auch<br />
verifizieren.<br />
Doch da<strong>mit</strong> ist die Sache noch längst<br />
nicht erledigt. Es gibt nämlich noch ein<br />
Rätsel, und dem hat Leonie Ringrose dann<br />
doch einen englischen Namen gegeben:<br />
„Mouse-Mystery“: Die Proteine Polycomb<br />
FORSCHEN<br />
Einfach zauberhaft: Mit Hokuspokus hat die Arbeit von Leonie Ringrose (IMBA) nichts zu tun – auch wenn sie<br />
an einem magischen Algorithmus für Maus-Gene arbeitet. Zum Brainstorming wird, ganz Lowtech, an der Tafel<br />
gezeichnet.<br />
und Trithorax sind bei Maus und Fliege<br />
sehr ähnlich und erfüllen entsprechende<br />
Funktionen. Auch die Gene, die durch diese<br />
Proteine reguliert werden, sind bei beiden<br />
Tierarten sehr ähnlich. Aber die DNA-Sequenzen,<br />
an die diese Proteine binden, sind<br />
bei Maus und Fliege komplett unterschiedlich.<br />
Das bedeutet, dass der „magische<br />
Algorithmus“, der auf Basis von Fliegen-<br />
Sequenzen entwickelt wurde, im Mausgenom<br />
seinen Zauber verliert. „Wir wissen<br />
viel weniger über die Designprinzipien<br />
dieser DNA-Elemente in der Maus als in<br />
der Fliege“, so Ringrose. „Wir versuchen<br />
gerade den Algorithmus umzutrainieren,<br />
da<strong>mit</strong> er auch für Maus-Sequenzen sinnvolle<br />
Ergebnisse liefert.“<br />
Dass sich Ringrose trotz dieser Rätselhaftigkeit<br />
<strong>mit</strong> den beiden Proteinen (im<br />
Rahmen des GEN-AU Subprojekts „Dynamic<br />
transitions in Polycomb and Trithorax<br />
regulation upon differentiation“) auseinander<br />
setzt, hat einen guten Grund: In vielen<br />
Krebszell-Linien ist Polycomb überaktiv<br />
und bringt offenbar Zellen dazu, ihre<br />
Identität zu vergessen. Von einem besseren<br />
Verständnis des Wechselspiels der beiden<br />
Substanzen erhofft man sich neue Ansätze<br />
für die Krebsbehandlung.