Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications
Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications
Bioinformatik: Äpfel mit Birnen vergleichen - Science Communications
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genosphären 11<br />
ZEITSCHRIFT FÜR GENOMFORSCHUNG IN ÖSTERREICH<br />
<strong>Bioinformatik</strong><br />
Die hohe Kunst des Vergleichs
Inhalt 11/12<br />
Cover:<br />
Christoph Lepka (Design)<br />
Sergiy Timashov/123RF.COM (Illustration)<br />
Impressum<br />
genosphären – Zeitschrift des Österreichischen<br />
Genomforschungsprogramms Heft 11/12<br />
Medieninhaber, Herausgeber:<br />
Bundesministerium für Wissenschaft und<br />
Forschung; Minoritenplatz 5, 1010 Wien<br />
Programmmanagement GEN-AU: Österreichische<br />
Forschungsförderungsgesellschaft mbH;<br />
Sensengasse 1, 1090 Wien<br />
Redaktion: <strong>Science</strong> <strong>Communications</strong> Schütz &<br />
Partner GmbH; Neustiftgasse 32-34/2/8, 1070<br />
Wien; Tel: 01 585 60 69, office@science.co.at<br />
Chefredaktion: Julia Harlfinger, Erika Müller<br />
Texte: Gottfried Derka, Andreas Feiertag, Eva-<br />
Maria Gruber, Sascha Karberg, Ursel Nendzig<br />
Fotos: Peter Mayr, Dieter Nagl, Christine<br />
Wurnig<br />
Grafik: D+ (Andreas Pawlik), Christoph Lepka<br />
Lektorat: Elisabeth Egger<br />
Produktion: <strong>Science</strong> <strong>Communications</strong><br />
Reproduktion und Druck: Rema-Print<br />
Verlags- und Herstellungsort: Wien<br />
wissenschaftskommunikation@gen-au.at<br />
2 genosphären 11/12<br />
FORSCHEN<br />
04<br />
<strong>Bioinformatik</strong>:<br />
<strong>Äpfel</strong> <strong>mit</strong> <strong>Birnen</strong> <strong>vergleichen</strong><br />
Die Lebenswissenschaften produzieren Milliarden<br />
von Daten. Diese richtig zu interpretieren, ist die<br />
Berufung der <strong>Bioinformatik</strong>.<br />
FÖRDERN<br />
10<br />
Nachwuchsförderung:<br />
Wachstumsschübe in der Wissenschaft<br />
Talent allein reicht nicht. Weitere Ingredienzien für<br />
eine gelungene Karriere: Mentorenprogramme,<br />
Frühförderung und ein wenig Glück.<br />
VERMITTELN<br />
12<br />
Synthetische Biologie in der Kunst:<br />
Spiegel für die Forschung<br />
Was Filmschaffende und Bioartists zur<br />
synthetischen Biologie zu sagen haben, zeigte<br />
Bio:Fiction.
FORSCHEN FORSCHEN<br />
14<br />
Translationale Medizin:<br />
Hürdenlauf der Medikamente<br />
Innovationen aus dem Labor haben einen<br />
beschwerlichen Weg hinter sich, bis sie am Krankenbett<br />
zum Einsatz kommmen.<br />
MAKROSKOP<br />
19<br />
Bild der Wissenschaft:<br />
Blockade für den grünen Geist<br />
Im Frühjahr 2011 wurde die einstige EHEC-<br />
Nischenforschung durch eine Epidemie plötzlich<br />
allgemein relevant.<br />
3 genosphären 11/12<br />
16<br />
Epigenetik:<br />
Von Urenkeln, Wickeltechnik und lockerem<br />
Chromatin<br />
Wien hat sich zu einem Zentrum der Epigenetik-<br />
Forschung gemausert.<br />
VERMITTELN<br />
20<br />
SummerSchool:<br />
Auf Wiedersehen!<br />
Jahre nach ihrem SummerSchool-Praktikum<br />
treffen sich Jungforschende <strong>mit</strong> ihren<br />
Mentorinnen. Eine Erinnerungsreise.<br />
1 genosphären 10/11<br />
INHALT<br />
Bisher erschienene Ausgaben von<br />
„genosphären“ – das Magazin für<br />
Genomforschung in Österreich<br />
Download sämtlicher Hefte unter:<br />
www.gen-au.at/genosphaeren<br />
genosphären 10<br />
ZEITSCHRIFT FÜR GENOMFORSCHUNG IN ÖSTERREICH<br />
Zehn Jahre!<br />
Eine Dekade GEN-AU<br />
01 02<br />
03<br />
04 05<br />
06<br />
07 08<br />
09<br />
10<br />
genosphären 08<br />
ZEITSCHRIFT FÜR GENOMFORSCHUNG IN ÖSTERREICH<br />
1 genosphären 08/10<br />
Genetik & Kunst<br />
Das Labor als Atelier?<br />
genosphären 11<br />
ZEITSCHRIFT FÜR GENOMFORSCHUNG IN ÖSTERREICH<br />
11<br />
<strong>Bioinformatik</strong><br />
Die hohe Kunst des Vergleichs<br />
genosphären 09<br />
ZEITSCHRIFT FÜR GENOMFORSCHUNG IN ÖSTERREICH<br />
1 genosphären 09/10<br />
Pfl anzenforschung<br />
Stress im grünen Bereich
FORSCHEN<br />
<strong>Bioinformatik</strong>:<br />
<strong>Äpfel</strong> <strong>mit</strong> <strong>Birnen</strong> <strong>vergleichen</strong><br />
4 genosphären 11/12<br />
Die Techniken der Lebenswissenschaften sind <strong>mit</strong>tlerweile so raffiniert, dass sie Milliarden<br />
von Daten produzieren. Diese Flut kann durch herkömmliche Auswertungsmethoden nicht mehr<br />
gebändigt werden. Für Ordnung im Daten-Dickicht sorgt seit 2003 das GEN-AU <strong>Bioinformatik</strong>-<br />
Integrationsnetzwerk. Das Team um Zlatko Trajanoski (Meduni Innsbruck) und Gerhard Thallinger<br />
(TU Graz) schafft es sogar, <strong>Äpfel</strong> <strong>mit</strong> <strong>Birnen</strong> zu <strong>vergleichen</strong> – und konnte so einen 80 Jahre lang<br />
gültigen Darmkrebs-Diagnosestandard ins Wanken zu bringen.<br />
TExT: ANDREAS FEIERTAG<br />
FOTOS: CHRISTINE WURNIG<br />
Zlatko Trajanoski ist ein wenig stolz. Große<br />
Worte macht er zwar keine – dafür ist der Profes-<br />
sor einfach zu bescheiden. Aber ein strahlendes<br />
Lächeln kann er nicht unterdrücken. Worüber sich<br />
der Vorstand der <strong>Bioinformatik</strong>-Abteilung freut?<br />
Auf seinem Schreibtisch im Biozentrum der Medizinischen<br />
Universität Innsbruck liegt eine Ausgabe<br />
des Journal of Clinical Oncology. Sie erschien im<br />
Februar 2011 und sorgte in der Fachwelt für Aufsehen.<br />
Drei Seiten hat das Journal den Ergebnissen<br />
einer österreichisch-französischen Darmkrebs-<br />
Forschergruppe gewidmet, in der Trajanoski eine<br />
maßgebliche Rolle spielte.<br />
Doch da<strong>mit</strong> nicht genug. In einem Kommentar<br />
zu den brisanten Studienergebnissen forderte das<br />
weltweit renommierte Fachmagazin sogar dezidiert<br />
die sofortige praktische Anwendung der wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse ein – zum Wohle aller<br />
Darmkrebspatientinnen und -patienten, denen da<strong>mit</strong><br />
eine höhere Überlebenschance eröffnet werden<br />
kann. Der Artikel ist eine von vielen Leistungen des<br />
„<strong>Bioinformatik</strong>-Integrationsnetzwerks“, kurz BIN.<br />
Zlatko Trajanoski leitet dieses GEN-AU Netzwerk<br />
seit 2003 und wird es noch bis Ende März 2012<br />
fortführen.<br />
„Die Klassifizierung von Darmkrebs erfolgte<br />
bis zu dieser Publikation nach dem so genannten<br />
Dukes-Score“, erklärt Trajanoski: Nach Diagnose<br />
und Operation wurde das Gewebematerial der<br />
Erkrankten allein unter dem Mikroskop einer<br />
morphologischen Begutachtung unterzogen. Die<br />
Einteilung der Patientinnen und Patienten erfolgte<br />
in vier Klassen, je nach Metastasierung. Bei Stufe<br />
eins wurde man als geheilt entlassen, bei Stufe<br />
zwei gab es regelmäßige Nachkontrollen, bei drei<br />
gab es Chemotherapie, und bei vier schwand die<br />
Hoffnung.<br />
Filter für das Risiko<br />
„Das Problem dabei war“, erläutert Trajanoski,<br />
„dass auch Patienten <strong>mit</strong> der Klassifizierung eins<br />
und zwei bei einer Nachuntersuchung plötzlich<br />
derart viele Metastasen hatten, dass es oft zu<br />
spät für eine effiziente Therapie war. Man hätte<br />
sie also gleich nach der Operation einer Chemotherapie<br />
unterziehen müssen, was aber aufgrund<br />
der Einstufung unterblieben ist.“ Wie also jene<br />
Hochrisikopatientinnen und -patienten herausfiltern,<br />
bei denen im Mikroskop zunächst nichts zu<br />
sehen ist? „Die Pathologen hatten immer wieder<br />
eine Infiltration von verschiedenen Immunzellen in<br />
den Tumor festgestellt, diese aber nicht beachtet“,<br />
sagt Trajanoski. Sie vermuteten schlicht keinen<br />
Zusammenhang zwischen Immunreaktion und<br />
Krebswachstum.<br />
Anders das Team des 48-jährigen <strong>Bioinformatik</strong>ers<br />
– es ging der Frage nach: Welche Rolle spielt<br />
das Immunsystem bei der Metastasierung des kolorektalen<br />
Karzinoms? Die Antwort einer Recherche<br />
in großen Mengen von publizierten Daten lautete:<br />
CD45RO, ein Marker für Effector-Memory-T-Zellen,<br />
korreliert positiv <strong>mit</strong> dem Überleben und negativ <strong>mit</strong><br />
früher Metastasierung des kolorektalen Karzinoms.<br />
Dieser Fährte folgend fanden sich weitere Zusammenhänge,<br />
wie etwa ein auffälliges Verhalten des<br />
Markers CD8 im Zentrum bzw. der Peripherie von<br />
Darmtumoren. Aus diesen Informationen ließ sich<br />
ein neuer Score entwickeln, der nur aus zwei Regi-
onen (Tumorzentrum, Tumorperipherie) und zwei<br />
Immunmarkern (CD45RO, CD8) bestand und der<br />
dem seit 1932 als Goldstandard gehandelten Dukes-<br />
Score bei weitem überlegen war.<br />
In anschließenden Analysen wurde dann ein<br />
komplexes Korrelationsnetz gebildet, das Aussagen<br />
zur Therapierbarkeit des Karzinoms erlaubt.<br />
„Unsere Forschergruppe konnte Immunzellen als<br />
Krebsmarker identifizieren, die das Tumorwachstum<br />
beeinflussen. So haben wir heute ein wesentlich<br />
besseres Vorhersagemodell an der Hand, das<br />
den Patienten zugute kommt“, berichtet Trajanoski.<br />
Er hofft, dass sich der neue Diagnoseansatz in den<br />
nächsten Jahren durchsetzen wird. Tatsächlich<br />
stellen einige Kliniken in der EU ihr System zur<br />
Darmkrebsdiagnostik bereits um.<br />
Gut kombiniert: <strong>Äpfel</strong> und <strong>Birnen</strong><br />
Um aber überhaupt so weit zu kommen, mussten<br />
unzählige Daten nicht nur verarbeitet, sondern<br />
auch vereinheitlicht und <strong>mit</strong>einander vergleichbar<br />
gemacht und schließlich <strong>mit</strong> Computeralgorithmen<br />
analysiert werden: Das Informations-Dickicht<br />
5 genosphären 11/12<br />
bestand aus rund tausend Gewebeproben, dazugehörenden<br />
Pathologiebefunden, Studienergebnissen<br />
aus aller Welt sowie den Erfahrungen von Medizinerinnen<br />
und Medizinern. Und genau hier setzte das<br />
GEN-AU <strong>Bioinformatik</strong>-Integrationsnetzwerk an.<br />
Denn „neue Technologien generieren Unmengen an<br />
Daten. Deshalb muss man Werkzeuge entwickeln,<br />
die die Verarbeitung möglich machen“, erklärt Gerhard<br />
Thallinger, Professor am Institut für Genomik<br />
und <strong>Bioinformatik</strong> (TU Graz). Er ist Trajanoskis BIN-<br />
Partner der ersten Stunde – und so<strong>mit</strong> ebenfalls Pionier<br />
bei der Sinnsuche im biologischen Datenmeer.<br />
„Als wir im Jahr 2003 <strong>mit</strong> BIN begonnen haben“,<br />
erinnert sich Trajanoski, „befassten sich noch sehr<br />
wenige Gruppen in Österreich <strong>mit</strong> der Verarbeitung<br />
komplexer biologischer Daten. In geringem Umfang<br />
passierte dies an Chemie-Instituten. Aber die kritische<br />
Masse war klein, und einen Informationsaustausch<br />
gab es nicht.“<br />
Mit BIN änderte sich vieles: Das GEN-AU Projekt<br />
ermöglichte den Aufbau einer Infrastruktur, die Entwicklung<br />
von geeigneter Software und die Anschaffung<br />
von Hardware. „Das war nicht nur einmalig in<br />
FORSCHEN<br />
Heiterer Zahlenjongleur: Ein Umzug kann Zlatko<br />
Trajanoski nicht wirklich aus der Ruhe bringen.<br />
Der <strong>Bioinformatik</strong>-Professor hat lange Zeit in<br />
Graz und einige Jahre in den USA gearbeitet –<br />
bis er 2009 nach Innsbruck übersiedelte. Nach<br />
zwei Jahren der provisorischen Unterbringung<br />
ist nun das Biozentrum fertiggestellt, bald werden<br />
die Regale <strong>mit</strong> Fachliteratur gefüllt sein.<br />
„Als wir im Jahr 2003<br />
<strong>mit</strong> BIN begonnen haben,<br />
befassten sich noch<br />
sehr wenige Gruppen<br />
in Österreich <strong>mit</strong> der<br />
Verarbeitung komplexer<br />
biologischer Daten.“
FORSCHEN<br />
Licht, Luft, Kreativität: Seit Ende 2011 kann sich<br />
die Sektion für <strong>Bioinformatik</strong> im neu errichteten<br />
Biozentrum (Meduni Innsbruck) entfalten.<br />
Absolut bekömmlich: Das Humangenomprojekt<br />
weckte den Appetit auf <strong>Bioinformatik</strong>.<br />
6 genosphären 11/12<br />
Österreich, sondern im gesamten deutschsprachigen<br />
Forschungsraum“, betont der Techniker. BIN ist<br />
es auch geschuldet, dass sich Forschungsgruppen<br />
vernetzten, die aus so andersartigen „Regionen“ wie<br />
Protein-, RNA- und DNA-Analyse kamen.<br />
„Eine besondere Herausforderung in der <strong>Bioinformatik</strong><br />
ist die Integration und die Analyse von<br />
Was ist <strong>Bioinformatik</strong>?<br />
Pfeiler der Biowissenschaften<br />
Die <strong>Bioinformatik</strong> ist eine interdisziplinäre<br />
Wissenschaft, die Probleme aus den Lebenswissenschaften<br />
<strong>mit</strong> theoretischen computergestützten<br />
Methoden löst. Sie hat zu grundlegenden<br />
Erkenntnissen der modernen Biologie und Medizin<br />
geführt. Bekanntheit in der Öffentlichkeit erreichte<br />
die <strong>Bioinformatik</strong> in erster Linie in den Jahren<br />
2000 und 2001 <strong>mit</strong> ihrem wesentlichen Beitrag zur<br />
Sequenzierung des menschlichen Genoms.<br />
<strong>Bioinformatik</strong> ist breit gefächert: Wesentliche<br />
Gebiete sind die Verwaltung und Integration<br />
biologischer Daten, die Sequenzanalyse, die Strukturbioinformatik<br />
und die Analyse von Daten aus<br />
Hochdurchsatzmethoden. Da die <strong>Bioinformatik</strong><br />
unentbehrlich ist, um Daten im großen Maßstab zu<br />
analysieren, bildet sie einen wesentlichen Pfeiler<br />
der Systembiologie.<br />
Daten unterschiedlicher Herkunft“, erklärt Gerhard<br />
Thallinger. So werden etwa Labordaten wie die Zusammensetzung<br />
von Patientenproben <strong>mit</strong> klinischen<br />
Daten über den Krankheitsverlauf zusammengebracht.<br />
„Molekularbiologische Untersuchungsmethoden<br />
von Proteinen, RNA-Molekülen oder<br />
Stoffwechselprodukten liefern immer nur Teilas-<br />
In der <strong>Bioinformatik</strong> gilt es, neben großen<br />
Datenmengen auch Informationen aus unterschiedlichen<br />
Quellen zu verarbeiten. Gerade in der<br />
Integration besteht die große Herausforderung,<br />
da es sich um verschiedenste Datensätze handelt.<br />
Man muss sozusagen <strong>Äpfel</strong> und <strong>Birnen</strong> vergleichbar<br />
machen und unter einen Hut bringen.<br />
Zu den „<strong>Äpfel</strong>n“ und „<strong>Birnen</strong>“ zählen u. a.<br />
Labordaten, Patientendaten, die nicht quantifizierbar<br />
sind, sogar handschriftliche Aufzeichnungen<br />
oder Zeichnungen von beobachteten Phänomenen.<br />
Sind diese erst einmal integriert und ausgewertet,<br />
können die Daten – über ein Netzwerk – anderen<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
In den Biowissenschaften geht die Tendenz<br />
immer mehr in Richtung kombinierter Methoden<br />
aus Informatik und Labor. Mit ihrer Hilfe entwirft<br />
man mathematische Modelle, um medizinische<br />
Phänomene zu simulieren und diese dann im<br />
Labor zu bestätigen oder zu verbessern.<br />
Foto: istockphoto © t_kimura
Foto: Dieter Nagl<br />
pekte des Geschehens und können nicht alle Fragen<br />
beantworten“, verdeutlicht der Techniker, „die große<br />
Kunst ist, all diese Daten so zu kombinieren und so<br />
intelligent zu analysieren, dass sich eine Erkenntnis<br />
herauskristallisiert.“ <strong>Bioinformatik</strong> ist also der Vergleich<br />
von <strong>Äpfel</strong>n und <strong>Birnen</strong> auf höchstem Niveau<br />
(siehe Infokasten Was ist <strong>Bioinformatik</strong>?).<br />
Die Kraft der sprechenden Bilder<br />
Zur Interpretation müssen die Daten auch<br />
bildlich dargestellt werden, diese Visualisierungs-<br />
Kunst ist ebenfalls ein Teil von BIN. Dabei wird das<br />
gesamte Wissen über eine medizinische Frage in<br />
ein Bild gepackt. So sind zum Beispiel Muster, die<br />
auf die Bedeutung bestimmter Biomarker hinweisen,<br />
zu erkennen – bei der Darstellung in reinen<br />
Zahlenkolonnen wäre dies viel schwieriger.<br />
Das Nonplusultra im Datenmanagement – und<br />
auch hier beschreiten die <strong>Bioinformatik</strong>-Forschenden<br />
um Zlatko Trajanoski und Gerhard Thallinger<br />
neue Wege – ist die Nachbildung dynamischer<br />
Effekte. Sie wollen aus Daten mathematische<br />
Modelle entwickeln, <strong>mit</strong> denen man medizinische<br />
Phänomene simulieren kann. Eine Fragestellung<br />
ist zum Beispiel: Was passiert, wenn sich die Anzahl<br />
Tumor-infiltrierender T-Zellen erhöht? Wächst<br />
der Tumor oder schrumpft er? „Solche Modelle<br />
sind in der Pharmakologie bereits üblich, um die<br />
Wirkung von Medikamenten zu simulieren. In den<br />
molekularen Biowissenschaften sind Datenmenge<br />
und -qualität <strong>mit</strong>tlerweile so weit beherrschbar,<br />
dass derartige Modelle auch möglich werden“,<br />
meint Trajanoski.<br />
Er teilt <strong>mit</strong> seinem Kollegen Thallinger die<br />
Einschätzung, dass die <strong>Bioinformatik</strong> ein enormes<br />
Entwicklungspotenzial im medizinischen Bereich<br />
hat. „Die Sequenzierung des menschlichen Ge-<br />
7 genosphären 11/12<br />
noms kostet immer weniger. Bald werden auch die<br />
Genome der wichtigsten Krebsarten sequenziert<br />
sein. Diese Daten werden es möglich machen, Patienten<br />
besser zu klassifizieren, ihre Krankheiten zu<br />
diagnostizieren – und personalisiert zu behandeln.<br />
Die Schlüsselrolle dabei spielt die bioinformatische<br />
Verarbeitung“, prophezeit Trajanoski: „Zu Beginn<br />
von BIN war gerade einmal ein Genom sequenziert<br />
– das humane Genom. Davon ausgehend wurden<br />
immer mehr Genome als Ganzes und vor allem<br />
auch Teilsequenzen analysiert. Heute kennt man<br />
rund 5000 monogenetische Erkrankungen.“<br />
Dennoch fehlt bei vielen dieser Krankheiten die<br />
Möglichkeit zur Diagnose und Behandlung. Für sie<br />
alle gilt die Vision: Maßgeschneiderte Therapien,<br />
angepasst an das individuelle Patientengenom.<br />
„Anspruchsvoll“, gibt Trajanoski zu, „aber dorthin<br />
führt der Weg. Und Wegbegleiter dorthin ist die<br />
<strong>Bioinformatik</strong>.“<br />
Fulminantes Finale<br />
Mit dem Auslaufen des Genomforschungsprogramms<br />
wird auch das BIN-Projekt im Frühjahr<br />
2012 abgeschlossen. Dafür aber <strong>mit</strong> einem<br />
fulminanten Finale. Am 28. und 29. März 2012<br />
findet eine <strong>mit</strong> der Chemie-Nobelpreisträgerin Ada<br />
Yonath prominent besetzte Abschlussveranstaltung<br />
der GEN-AU Projekte BIN, APP (Austrian Proteomics<br />
Platform) und ncRNA (non-coding RNAs) in<br />
Innsbruck statt, bei der Resümee gezogen wird.<br />
Danach ist das in allen drei GEN-AU Phasen <strong>mit</strong><br />
über sechs Millionen Euro geförderte <strong>Bioinformatik</strong>-Projekt<br />
beendet.<br />
Sind die Projektväter voller Wehmut? „Nein, es<br />
war eine sehr schöne Zeit. Wir haben viel gelernt,<br />
viel gemacht, viel erreicht, und es hat sich durch<br />
unser Projekt vieles in Österreich entwickelt“, zieht<br />
FORSCHEN<br />
Kurzinformation zum Projekt:<br />
Netzwerkprojekt<br />
BIN – <strong>Bioinformatik</strong>-Integrationsnetzwerk<br />
III<br />
Projektleitung: Univ.-Prof. DI Dr.<br />
Zlatko Trajanoski; Sektion für <strong>Bioinformatik</strong>,<br />
Meduni Innsbruck<br />
Laufzeit: Jänner 2009 bis März 2012<br />
Budget: 1,84 Mio. Euro<br />
BIN-Projektpartner aus allen drei<br />
Phasen (2003 bis 2012):<br />
• CeMM – Forschungszentrum für<br />
Molekulare Medizin GmbH, ÖAW<br />
• Center for Integrative Bioinformatics,<br />
Max F. Perutz Laboratories<br />
• Department of Structural and<br />
Computational Biology, Uni Wien<br />
• IMP – Research Institute of Molecular<br />
Pathology<br />
• Institut für Genomik und <strong>Bioinformatik</strong>,<br />
TU Graz<br />
• Institut für Theoretische Chemie,<br />
Uni Wien<br />
• Sektion für <strong>Bioinformatik</strong>, Meduni<br />
Innsbruck<br />
• UMIT – Private Universität für<br />
Gesundheitswissenschaften, Medizinische<br />
Informatik und Technik<br />
Die drei Phasen von BIN:<br />
In der ersten Phase von BIN wurde<br />
ein virtuelles Labor für die Integration<br />
bioinformatischer Lösungen<br />
etabliert. Drei thematische Schwerpunkte<br />
wurden eingerichtet: Aufbau<br />
und Wartung bioinformatischer<br />
Serviceleistungen, Sequenzannotation<br />
und Strukturgenomik. Schon in<br />
Förderphase I gab es einen Fokus<br />
auf die Ausbildung von bioinformatischem<br />
Nachwuchs.<br />
In der zweiten Phase wurde das<br />
Netzwerk thematisch erweitert:<br />
Proteominformatik und evolutionäre<br />
Sequenzanalyse kamen dazu. Die<br />
ersten Experimente wurden forciert.<br />
In der letzten, jetzt auslaufenden<br />
Phase von BIN wird starkes Augenmerk<br />
auf die Wartung und Erweiterung<br />
des virtuellen Computerlabors und<br />
die Stärkung der Interaktion <strong>mit</strong> den<br />
experimentellen Partnern gelegt.<br />
Gerhard Thallinger ist einer der geistigen Väter<br />
des GEN-AU <strong>Bioinformatik</strong>projekts und begleitete<br />
BIN souverän durch alle drei Phasen.
FORSCHEN<br />
Gegen den Braindrain: Dank BIN konnten junge<br />
Talente in Österreich gehalten werden.<br />
Nachwuchs <strong>mit</strong> Köpfchen: Das vielfach strapazierte<br />
Schlagwort „Interdisziplinarität“ wird in<br />
der <strong>Bioinformatik</strong> tatsächlich <strong>mit</strong> Leben gefüllt –<br />
auch dank talentierter Postdocs, die sich sowohl<br />
auf Biologie als auch auf Technik einlassen.<br />
8 genosphären 11/12<br />
Subprojekt Education and Training:<br />
„Bloß keine eigene Studienrichtung!“<br />
Zum Start von BIN im Jahr 2003 prallten zwei<br />
Wissenschaftskulturen aufeinander. In Österreich<br />
herrschte ein Mangel an hochqualifizierten Postdocs<br />
<strong>mit</strong> Erfahrung in Softwareentwicklung und Biologie-<br />
Expertise. So sei es anfangs eher eine unidirektionale<br />
Zusammenarbeit gewesen, erinnert sich BIN-Projektleiter<br />
Zlatko Trajanoski: „Meist sind Biologen <strong>mit</strong><br />
ihren Datensätzen zu den Informatikern gegangen<br />
und haben sie gebeten, die Daten aufzubereiten und<br />
für eine schöne Präsentation herzurichten.“<br />
Heute gibt es in Österreich sechs Professuren<br />
für <strong>Bioinformatik</strong> und 15 Habilitationen – und der<br />
geschilderte Prozess läuft immer bidirektional ab.<br />
Denn <strong>mit</strong>tlerweile arbeiten in der <strong>Bioinformatik</strong><br />
Technikerinnen und Techniker, die eine Zusatzqualifikation<br />
im Bereich Biologie haben, sowie<br />
Biologinnen und Biologen <strong>mit</strong> Informatik-Knowhow<br />
zusammen. Bereits zu Beginn von Forschungsprojekten,<br />
also beim Erstellen des Studiendesigns,<br />
sind beide Fachrichtungen involviert.<br />
Wie es von der Einbahnstraße zum Teamwork<br />
kam? Unter anderem durch das BIN-Subprojekt<br />
„Education and Training“. Hier wurde ein Doktorandenkolleg<br />
initiiert, das ausgewählte Kapitel der <strong>Bioinformatik</strong><br />
und Computational Biology umfasst. <strong>Bioinformatik</strong><br />
als Undergraduate-Studienrichtung findet<br />
Zlatko Trajanoski hingegen nicht sinnvoll: „Bloß<br />
nicht! Das können wir aus unserer Erfahrung heraus<br />
nicht empfehlen.“ Sehr wohl befürworten kann die<br />
BIN-Studiengruppe, <strong>Bioinformatik</strong> als aufbauendes<br />
Doktoratsstudium anzubieten sowie <strong>Bioinformatik</strong><br />
früh in die Studienrichtungen Molekularbiologie und<br />
Informatik einzuflechten.<br />
Im Rahmen von BIN konnten bisher rund 20<br />
Personen ausgebildet werden, einige forschen und<br />
lehren <strong>mit</strong>tlerweile in Cambridge und Paris. Großen<br />
Zuspruch fanden auch die Praktika für Jugendliche<br />
im Rahmen der GEN-AU SummerSchool. „Hier<br />
konnten wir etliche junge Menschen für die <strong>Bioinformatik</strong><br />
begeistern, einige sind sogar Dissertanten<br />
bei uns geworden“, freut sich Zlatko Trajanoski. Und<br />
schließlich habe man in speziellen Trainings Informatikerinnen<br />
und Informatiker sowie Biologinnen<br />
und Biologen zusammengebracht, da<strong>mit</strong> diese sich<br />
austauschen und voneinander lernen konnten.<br />
Foto: istockphoto © Dean Turner
Zlatko Trajanoski Bilanz. Rückschläge habe es<br />
eigentlich keine gegeben, Höhepunkte waren die<br />
vielen Outputs, wie jenes Paper im Journal of Clinical<br />
Oncology. Auch in <strong>Science</strong>, Nature und Nature<br />
Genetics hat sich BIN verewigt.<br />
„Ohne die Förderung von BIN<br />
wären diese Leute sicher<br />
ins Ausland abgewandert<br />
und für die österreichische<br />
Wissenschaft verloren<br />
gewesen.“<br />
Gerhard Thallinger bestätigt: „Misserfolge haben<br />
wir zum Glück nicht erleben müssen. Es hat sich alles<br />
so entwickelt wie beabsichtigt.“ Besonders zufrieden<br />
ist der Grazer Forscher <strong>mit</strong> dem Nachwuchs (siehe<br />
Infokasten Subprojekt Education and Training), den<br />
BIN hervorgebracht hat: „Etliche Dissertantinnen und<br />
Dissertanten von uns leiten <strong>mit</strong>tlerweile eigene Forschungsgruppen.<br />
Ohne die Förderung von BIN wären<br />
diese Leute sicher ins Ausland abgewandert und für<br />
die österreichische Wissenschaft verloren gewesen.“<br />
9 genosphären 11/12<br />
Netzwerke für die Zukunft<br />
Was die Zukunft der <strong>Bioinformatik</strong> in Österreich<br />
und des geschaffenen Netzwerks anbelangt,<br />
sind sich die beiden Wissenschafter nicht ganz einig.<br />
Gerhard Thallinger glaubt, dass sich durch die<br />
jahrelange Förderung und die guten Resultate eine<br />
solide Basis gebildet habe, auf der neue Projekte<br />
aufbauen können – obwohl er unumwunden zugibt,<br />
dass es „schon schön wäre, wenn es weiter ginge“.<br />
Zlatko Trajanoski ist sich nicht ganz so sicher:<br />
Fast monatlich gebe es neue Großprojekte, und auch<br />
der technische Fortschritt mache nicht Halt. Ohne<br />
eine ausreichende Finanzierung für <strong>Bioinformatik</strong>-<br />
Forschung <strong>mit</strong> kritischer Masse könne es daher zu<br />
einem Stillstand auf diesem Gebiet in Österreich kommen.<br />
„Ich hätte es gerne gesehen, wenn wir in einer<br />
weiteren – vierten – Phase die Früchte hätten ernten<br />
können, die wir <strong>mit</strong> BIN I, II und III gesät haben.“<br />
Berechtigte Hoffnung hegen jedoch beide,<br />
dass sich immer wieder Gruppen finden<br />
werden, die über die <strong>Bioinformatik</strong> Netzwerke<br />
bilden. Denn ohne die Expertise im Vergleichen<br />
von <strong>Äpfel</strong>n und <strong>Birnen</strong>, so Zlatko Trajanoski und<br />
Gerhard Thallinger einhellig, ist kaum noch ein<br />
Fortschritt in der Molekularbiologie zu erzielen.<br />
FORSCHEN<br />
Bioinformatics:<br />
e<br />
To compare apples and oranges<br />
Zlatko Trajanoski (Meduni<br />
Innsbruck) and Gerhard<br />
Thallinger (TU Graz) are<br />
Austrian pionieers in<br />
bioinformatics. With the help<br />
of GEN-AU, they established<br />
a flourishing network of<br />
scientists who master the art of<br />
integrating data from various<br />
sources.<br />
Spiegel-Alpen und Outdoormöbel: Die<br />
Architektur des Biozentrums in Innsbruck<br />
gibt den Lebenswissenschaften Raum.
Nachwuchsförderung:<br />
Wachstumsschübe in der Wissenschaft<br />
Rezept für wissenschaftlichen Nachwuchs: Man<br />
nehme Inspiration aus Elternhaus und Schule,<br />
reichlich Stipendien sowie einige Portionen Familienfreundlichkeit<br />
und Mentorenprogramme.<br />
Abgeschmeckt <strong>mit</strong> einer Prise Glück!<br />
Anna-Maria Frischauf<br />
ist Professorin für Genetik und Entwicklungsbiologie<br />
an der Universität Salzburg. Hier leitet sie den<br />
Fachbereich Molekulare Biologie. Wichtige Stationen:<br />
Imperial Cancer Research Fund in London<br />
(Gruppenleiterin), European Molecular Laboratory<br />
in Heidelberg (Gruppenleiterin), Harvard University<br />
(Postdoc) und MPI Göttingen (Doktorat). Frischauf<br />
ist seit 2002 an GEN-AU Projekten beteiligt,<br />
aktuell als Projektleiterin von „MoGLI – Systemweite<br />
Analyse und Modellierung des Hedgehog/<br />
GLI-Signalwegs und regulatorischer Netzwerke<br />
bei Krebs“. Außerdem leitet sie ein Subprojekt bei<br />
„Ultra-sensitive Proteomics & Genomics III“.<br />
Young science:<br />
Burst of growth<br />
Four established GEN-AU<br />
researchers take a look back at<br />
their career paths. What made<br />
them successful in research?<br />
Parents and teachers often<br />
played an important role – as<br />
well as mentors, scholarships<br />
and a creative working<br />
atmosphere. Plus, the right<br />
portion of luck!<br />
10 genosphären 11/12<br />
Vier GEN-AU Forscherinnen und Forscher berichten, wie sie die Liebe zur Wissenschaft entdeckten und den<br />
Weg in die Forschung fanden. Sie erzählen von ihren Mentorinnen und Mentoren, wichtigen Förderungen<br />
und der sich entwickelnden heimischen Postdoc-Kultur. Und sie haben Tipps für den Nachwuchs parat.<br />
PROTOKOLLE: EVA-MARIA GRUBER<br />
Inspirierende Forschungsphilosophie<br />
Ich komme aus einer wissenschaftsorientierten<br />
Familie, meine Eltern waren Ärzte. Das hat mich<br />
geprägt. Maßgeblich für die Entscheidung, Chemie<br />
zu studieren, war auch meine Lehrerin in der<br />
Mittelschule, sie hat mir das Fach schmackhaft gemacht.<br />
Persönlich wichtig für meine Laufbahn war,<br />
dass sich Privates und Berufliches gut ergänzten:<br />
Ich habe meinen Ex-Mann während des Studiums<br />
kennengelernt, wir sind unseren wissenschaftlichen<br />
Weg gemeinsam gegangen. So konnten wir<br />
eine Familie aufbauen und abwechselnd die Kinder<br />
versorgen, ohne die Arbeit zu unterbrechen.<br />
Für das Doktorat gingen wir an das Max-<br />
Planck-Institut für Experimentelle Medizin nach<br />
Göttingen. Eine wegweisende Entscheidung! Dort<br />
e Nachwuchs-Förderung durch GEN-AU<br />
Es ist im Leben junger Forschender essentiell,<br />
mobil zu sein: Um Dissertierenden und Postdocs<br />
aus GEN-AU Projekten die Mitarbeit an führenden<br />
ausländischen Forschungseinrichtungen<br />
und -programmen zu ermöglichen, können im<br />
Rahmen des GEN-AU Mobilitätsprogramms<br />
Stipendien (drei bis zwölf Monate) beantragt werden.<br />
Die Stipendiatinnen und Stipendiaten sind an<br />
ihre GEN-AU Projekte bis zum Ende der Laufzeit<br />
gebunden. So profitiert auch das Genomforschungsprogramm<br />
vom gewonnen Knowhow der<br />
jungen Forschenden.<br />
kam ich <strong>mit</strong> internationalen Forschenden, vorrangig<br />
Leuten aus den USA, in Kontakt. Diese hatten eine<br />
andere Arbeits- und Forschungsphilosophie – sehr<br />
inspirierend. Das hat uns dazu animiert, einen Postdoc<br />
in den USA einzulegen. Auch meinen Studierenden<br />
sage ich, dass sie ins Ausland gehen sollen, um<br />
die Welt und andere Sitten kennenzulernen.<br />
Heute ist der Weg in die Wissenschaft stressiger.<br />
Man muss vorausschauend planen. Gleich<br />
geblieben ist, dass es Frauen <strong>mit</strong> Kindern und<br />
Familie schwieriger haben. Mobilität ist ebenso<br />
entscheidend wie vor 20 oder 30 Jahren. Doktoranden-Kollegs<br />
sind eine wichtige Förderschiene,<br />
auch die Schaffung von mehr Postdoc-Stellen. Eine<br />
besonders gute Idee sind Rückkehrstipendien.<br />
Im Rahmen der GEN-AU Frauenförderschiene<br />
werden junge Forscherinnen in Fragen der Kinderbetreuung,<br />
Aus- und Weiterbildung sowie bei<br />
Forschungsaufenthalten finanziell unterstützt.<br />
Für die Forscherinnen und Forscher der Zukunft<br />
bietet die SummerSchool genau das Richtige: Vier<br />
Wochen lang können jeden Sommer rund hundert<br />
Oberstufenschülerinnen und -schüler ein Praktikum<br />
bei einem GEN-AU Projekt absolvieren.<br />
Mehr zu den Förderprogrammen unter:<br />
www.gen-au.at und www.summerschool.at<br />
Foto: istockphoto © Rubberball
Lernen, wie man ein Labor leitet<br />
Ich halte die Postdoc-Zeit für eine wegweisende<br />
Periode im Laufe einer wissenschaftlichen<br />
Karriere. Ich war beispielsweise neun Jahre lang<br />
Postdoc. Nach den ersten beiden Postdocs – in der<br />
zweiten Runde – hatte ich ein EMBO-Stipendium<br />
und da<strong>mit</strong> ein eigenes Projekt. In der dritten Postdoc-Runde<br />
war ich am New York State Department<br />
of Health bei Marlene Belfort. Sie hat mir sehr viel<br />
beigebracht – wie man ein Labor leitet, Projekte<br />
einreicht und Papers schreibt.<br />
In der Postdoc-Zeit kann man selbstständig<br />
werden und wissenschaftliche Kreativität entwickeln.<br />
Man sollte an einem eigenen Projekt arbeiten,<br />
auf dem die Karriere aufbauen kann.<br />
In den USA werden die Postdocs strategisch<br />
gefördert. Die Postdocs in Österreich bekommen<br />
Wagt den Schritt ins Ausland!<br />
Den wissenschaftlichen Durchbruch hatte ich<br />
in Chicago als Postdoc. Da wusste ich: Ich kann <strong>mit</strong><br />
internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />
<strong>mit</strong>halten.<br />
Natürlich war auch eine große Portion Glück<br />
dabei. Eine wichtige Wegbereiterin und Förderin<br />
war Andrea Barta. Aber auch andere Vorgesetzte<br />
in Chicago und Berlin waren Vorbilder, etwa in<br />
Hinblick auf die Organisation und Leitung einer<br />
Forschungsgruppe.<br />
Als Postdoc habe ich ein Stipendium erhalten,<br />
<strong>mit</strong> dem ich mir selbst eine Forschungsarbeit<br />
finanzieren und im Ausland <strong>mit</strong> offenen Armen<br />
empfangen wurde. Nach drei Jahren in den USA<br />
konnte ich mein erstes Projekt beim FWF einrei-<br />
Durch meine Familie hatte ich von klein auf <strong>mit</strong><br />
Wissenschaft zu tun. Ich erhielt also viele Impulse,<br />
um auch in die Wissenschaft zu gehen. Während<br />
meines Studiums und in der Postdoc-Zeit hatte ich<br />
stets hoch motivierte und enthusiastische Menschen<br />
um mich, das war beflügelnd.<br />
In Wien habe ich <strong>mit</strong> Andrea Barta und ihrem<br />
Team ein tolles Umfeld gefunden. Ich schätze<br />
es sehr, in ihrer Forschungsgruppe zu sein. Hier<br />
herrscht eine offene, kommunikative Atmosphäre.<br />
Ich kann meiner Begeisterung für wissenschaftliche<br />
Fragestellungen und dem „Entdecken und<br />
Erforschen“ voll und ganz nachgehen, mich <strong>mit</strong><br />
meinen Ideen entfalten.<br />
11 genosphären 11/12<br />
noch zu wenig Unterstützung auf dem Weg in die<br />
Selbstständigkeit, es fehlen die Vorbilder. Bei Frauen<br />
kommt noch die Familiengründung als Hürde<br />
dazu.<br />
Das soll anders werden. Mit Hilfe des Wissenschaftsministeriums<br />
und der Stadt Wien haben wir<br />
ein einzigartiges Postdoc-Programm eingerichtet:<br />
Das „Vienna International Post-Doctoral Training in<br />
Molecular Life <strong>Science</strong>s“ (VIPS) bietet jungen Forschenden<br />
aus aller Welt für drei bis fünf Jahre eine<br />
Postdoc-Stelle an den Max F. Perutz Laboratories.<br />
Das Ziel ist, die Leute auf die Karriere vorzubereiten<br />
und ihre Chancen auf Erfolg und Etablierung<br />
zu steigern. VIPS ermöglicht jungen Forschenden,<br />
Familienleben und wissenschaftliche Karriere zu<br />
kombinieren.<br />
chen. Das war wesentlich für meine Rückkehr nach<br />
Österreich. In Innsbruck gründete ich dann meine<br />
erste eigene Gruppe.<br />
Ich sage meinen Studierenden immer: Wagt<br />
den Schritt ins Ausland, zumindest für zwei<br />
Jahre! Das ist eine wichtige Erfahrung und erhöht<br />
die Kompetenzen. Da<strong>mit</strong> steigt die Chance auf<br />
Forschungsgelder. Wer nie aus der heimischen<br />
Forschungslandschaft rausgekommen ist, hat es<br />
viel schwerer, sich zu etablieren.<br />
Im Bereich der Förderung passiert heute mehr<br />
als zu meiner Zeit. Es gibt starke, zielgerichtete<br />
Programme und Schienen. Ich persönlich konnte<br />
u. a. durch die GEN-AU Förderung viel aufbauen.<br />
Enthusiastische Menschen, beflügelnde Atmosphäre<br />
Ich glaube, für angehende Wissenschafterinnen<br />
und Wissenschafter ist wichtig herauszufinden,<br />
welche Ziele man verfolgt. Ist man der Karrieretyp<br />
oder ist man der Künstlertyp? Will man möglichst<br />
rasch eine leitende Position erreichen oder will<br />
man sich der Erweiterung des Wissens durch Forschung,<br />
dem Erkenntnisgewinn verschreiben?<br />
Um eigene Gedanken und Forschungsideen<br />
entwickeln zu können, braucht man Zeit, Muße und<br />
Geld. Das ist gerade am Anfang schwer zu bekommen.<br />
Daher sind Förderprogramme für Postdocs<br />
wunderbar beim Weg in die Wissenschaft.<br />
FÖRDERN<br />
Renée Schroeder<br />
ist Professorin für RNA-Biochemie und Leiterin<br />
des Departments für Biochemie an den<br />
Max F. Perutz Laboratories, einem Joint Venture<br />
der Medizinischen Universität Wien und der<br />
Universität Wien. Sie leitet die Forschungsgruppe<br />
„RNA Aptamers und RNA Chaperones“.<br />
Bei GEN-AU war bzw. ist Schroeder an zwei<br />
Projekten beteiligt: „Nicht-Protein-kodierende<br />
RNAs: von der Identifizierung zur funktionalen<br />
Charakterisierung“ sowie „Non-coding RNAs als<br />
Regulatoren der Genexpression und ihre Rolle<br />
bei Krankheiten“.<br />
Norbert Polacek<br />
Associate Professor und Gruppenleiter in der<br />
Sektion Genomik und RNomik am Biozentrum<br />
der Medizinischen Universität Innsbruck. Im<br />
Jänner 2012 übersiedelte er ans Department für<br />
Chemie und Biochemie der Universität Bern. Im<br />
Rahmen von GEN-AU leitete er ein Subprojekt<br />
bei „Non-coding RNAs als Regulatoren der<br />
Genexpression und ihre Rolle bei Krankheiten“,<br />
ebenso bei „Nicht-Protein-kodierende RNAs:<br />
von der Identifizierung zur funktionalen Charakterisierung“.<br />
Mariya Kalyna<br />
forscht seit 1996 am Institut für Biochemie<br />
der Universität Wien in der Gruppe von Andrea<br />
Barta. Die wichtigsten Stationen: PhD und<br />
Wissenschafterin an der Nationalen Akademie<br />
der Wissenschaften der Ukraine, Fellowship<br />
im Rahmen des österreichischen Studien-<br />
Austausch-Programms. Sie wirkte beim GEN-AU<br />
Projekt „Non-coding RNAs als Regulatoren der<br />
Genexpression und ihre Rolle bei Krankheiten“<br />
<strong>mit</strong>.
VERMITTELN<br />
Synthetische Biologie in der Kunst:<br />
Spiegel für die Forschung<br />
Imagewandel fürs urbane Federvieh: Tuur Van<br />
Balen will Tauben zu fliegenden Seifenspendern<br />
machen.<br />
Synthetic Biology and Art<br />
The mirror of science<br />
Funded by GEN-AU, a<br />
spectacular science and film<br />
festival called Bio:Fiction was<br />
organised in Vienna. More than<br />
800 visitors were attracted:<br />
researchers, artists and the<br />
general public. Apart from short<br />
movies and discussions about<br />
the potential future applications<br />
of synthetic biology, the visitors<br />
were invited to the exhibition<br />
synth-ethic, showing some of the<br />
most forefront oeuvres of bioart.<br />
12 genosphären 11/12<br />
e<br />
Im Labor steht die Synthetische Biologie noch am Anfang. Doch die Idee vom Konstruieren neuer<br />
Lebensformen und -prozesse regt schon jetzt die kritische Fantasie von Kunstschaffenden an.<br />
TExT: SASCHA KARBERG<br />
Eine Französin lässt sich Pferdeblut spritzen,<br />
aus lebenden Zellen werden guatemaltekische<br />
Sorgenpuppen nachgebaut, und Tauben <strong>mit</strong> Seifen-<br />
Ausscheidung sind die neuen Saubermänner der<br />
Stadt – die Kunst hat die Synthetische Biologie entdeckt.<br />
Immer mehr Kunstschaffende sind von einer<br />
neuen, nicht mehr nur analysierenden, sondern<br />
das Leben konstruierenden Biologie fasziniert. Sie<br />
greifen die Visionen und die Techniken der Forschung<br />
als Inspiration für ihre Arbeit auf.<br />
„Die Biokunst-Szene ist nicht groß, aber sie<br />
wächst“, sagt Markus Schmidt, der das GEN-AU<br />
Projekt CISYNBIO leitet. Letzten Sommer veranstaltete<br />
der Biologe und Sicherheitsforscher<br />
sowohl die Biokunst-Ausstellung synth-ethic als<br />
auch das parallel verlaufende Wissenschafts- und<br />
Filmfestival Bio:Fiction im Naturhistorischen Museum<br />
Wien: Letzteres wurde von GEN-AU gefördert<br />
(siehe Infokasten Das war Bio:Fiction). Da<strong>mit</strong> befindet<br />
sich Projektleiter Schmidt in bester Gesellschaft.<br />
So trägt auch die Berlin-Brandenburgische<br />
Akademie der Wissenschaften (BBAW) internationalen<br />
Entwicklung Rechnung, sie richtete u. a. im<br />
Dezember 2011 die Tagung „Synthetische Biologie.<br />
Leben – Kunst“ aus.<br />
„Seit einigen Jahren lässt sich beobachten,<br />
dass Künstler in wissenschaftliche Kontexte ‚einbrechen’<br />
und diese hinterfragen“, sagt Ingeborg<br />
Reichle, Expertin für „Kunst aus dem Labor“. Bei<br />
der Synthetischen Biologie gehe es um das Machen<br />
von Leben durch den Menschen. Und natürlich<br />
fasziniere solch eine „Ermächtigungsfantasie“ Personen<br />
aus Wissenschaft und Kunst gleichermaßen.<br />
Pferde, Puppen und spontanes Leben<br />
Bio-Künstlerinnen und -Künstler greifen in<br />
ihren Arbeiten durchaus aktuelle Forschungstrends<br />
auf. So spielt das Injizieren von Pferdeblutplasma<br />
in einen menschlichen Körper auf das Vermischen<br />
der Artgrenzen im Zuge des biotechnischen<br />
Fortschritts an: Mäuse <strong>mit</strong> nahezu menschlichem<br />
Immunsystem für Medikamententests existieren<br />
bereits.<br />
Sie habe sich „wie der leibhaftige Zentaur<br />
gefühlt“, wird die Künstlerin Marion Laval-Jeantet<br />
von der Künstlergruppe Art Orienté Objet zitiert,<br />
die sich auf die Performance „May the Horse Live<br />
in me“ jahrelang unter ärztlicher Begleitung vorbereitet<br />
hatte. Sie erhielt im Herbst 2011 die Goldene<br />
Nica des Prix Ars Electronica in der Kategorie<br />
Hybrid Art – und schon davor waren das Video der<br />
performativen Vergeschwisterung ebenso wie das<br />
Blut der Künstlerin bei synth-ethic zu sehen.<br />
Ebenfalls in Wien ausgestellt: Die „halb lebendigen“<br />
guatemaltekischen Sorgenpuppen von Oron<br />
Catts und Ionat Zurr. Die Püppchen des forschenden<br />
Künstlerkollektivs SymbioticA, beheimatet an<br />
der University of Western Australia, weisen auf die<br />
Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur<br />
hin – und auf die Faszination, die vom Überschrei-<br />
Foto: Tuur Van Balen
Fotos: Miha Fras; Arman Rastegar; Markus Schmidt; Sonja Bäumel (Filmstill)<br />
ten dieser Grenze ausgeht. Als Referenz auf die<br />
Versuche von Craig Venter („Herr der Gene“), lebende<br />
Zellen zu synthetisieren, war die Arbeit des<br />
Künstlers Adam Brown, des Physiologen Robert<br />
Root-Bernstein und der Physikerin Maxine Davis<br />
von der Michigan State University zu verstehen. Sie<br />
wollen herauszufinden, ob neues Leben sich auch<br />
heute noch spontan entwickeln kann. Sie bauten<br />
eine Variante des berühmten Experiments von<br />
Stanley Miller nach – zur spontanen Entstehung<br />
von Aminosäuren in der urzeitlichen Atmosphäre.<br />
Auch Tuur Van Balen zeigte seine Arbeit bei<br />
synth-ethic in Wien, die Modelle des belgischen<br />
Künstlers sind Tauben. Er versucht in seinem<br />
ebenfalls <strong>mit</strong> einem Prix Ars Electronica ausgezeichneten<br />
Projekt „Pigeon d’Or“ den so genannten<br />
Flugratten ein neues Image zu verpassen, indem<br />
man ihnen spezielle Bakterien verabreicht. Diese<br />
Bakterien sind „maßgeschneidert“ durch die in der<br />
Synthetischen Biologie gängigen Biobricks. Werden<br />
die Bakterien im Taubendarm tätig, wandeln sich<br />
die Exkremente auf wundersame Weise: Die „goldenen<br />
Tauben“ klecksen fortan Seife statt Kot – sie<br />
sind nur in der Theorie existent. Vorerst. Doch, wie<br />
Markus Schmidt sagt, die sonderbaren Tauben sind<br />
durchaus „Labwork in progress“.<br />
Übertreibung und Wirklichkeit<br />
Derartige Konzepte provozieren <strong>mit</strong>unter –<br />
auch Forscherinnen und Forscher, die ihre Disziplin<br />
in ein falsches Licht gerückt sehen. Markus<br />
Schmidt kennt die Meinung von Personen, die der<br />
Biokunst durchaus kritisch gegenüber stehen.<br />
Ihrer Skepsis liegt wohl die Angst zugrunde,<br />
dass durch „falsche“ Bilder eine Ablehnung der<br />
Forschungsrichtung entstehen könnte, vermutet<br />
Schmidt. Er will <strong>mit</strong> verschiedenen Initiativen das<br />
Thema Synthetische Biologie einer breiten Öffentlichkeit<br />
näher bringen.<br />
Der Experte für Sicherheitsforschung und<br />
Technologiefolgenabschätzung glaubt allerdings<br />
nicht, dass sich künstlerische Darstellungen – wie<br />
die bei Bio:Fiction und synth-ethic gezeigten Filme<br />
und Exponate – „sklavisch an die tatsächliche Heransgehensweise<br />
der Synthetischen Biologie halten<br />
müssen. Eine gewisse künstlerische Freiheit in der<br />
Darstellung ist erlaubt.“ So mag es unrealistisch<br />
Das war Bio:Fiction<br />
Im Mai 2011 fand Bio:Fiction (Synthetic Biology<br />
<strong>Science</strong>, Art and Film Festival) am Naturhistorischen<br />
Museum in Wien statt. Im Laufe der beiden<br />
Festivaltage kamen über 800 Besucherinnen und<br />
Besucher. Das Angebot reichte von Vorführungen der<br />
52 Festival-Kurzfilme, wissenschaftlichen Vorträgen,<br />
Diskussionsrunden bis zur Eröffnung von synth-ethic.<br />
Die Ausstellung war bis Ende Juni 2011 geöffnet.<br />
Das Konzept von Bio:Fiction ist so erfolgreich, dass<br />
das Festival in kleinerem Umfang in anderen Städten<br />
wiederholt wurde. In den drei Monaten um das<br />
13 genosphären 11/12<br />
erscheinen, wenn beispielsweise im Film Cinderella<br />
3.0 eine neue Technik dafür sorgt, unzulängliche<br />
Körper fürs Candlelight-Dinner bis zur Unwiderstehlichkeit<br />
zu optimieren. Doch ist es wirklich<br />
komplett überzogen?<br />
„So weit weg ist das konzeptionell gar nicht von<br />
dem oft geäußerten Wunsch, den menschlichen<br />
Körper oder das menschliche Genom zu verbessern“,<br />
meint Schmidt – und verweist auf die Vision des<br />
Genom- und SynBio-Forschers George Church von<br />
der Harvard University, das Erbgut so zu verändern,<br />
dass der Mensch resistent gegen Viren wird. „Der<br />
Film Cinderella 3.0 drückt, verpackt in eine leicht verständliche<br />
Geschichte, den gleichen Wunsch aus –<br />
nämlich ein schönerer, gesünderer, intelligenterer<br />
und begehrenswerterer Mensch zu sein.“<br />
Neue Ideenräume<br />
Bei der Auseinandersetzung <strong>mit</strong> Biokunst<br />
landet man schnell auch im Diskurs über Sinn<br />
und Unsinn, über Gefahren und Möglichkeiten der<br />
Anwendungen von Synthetischer Biologie, weiß<br />
Markus Schmidt. Sich Pferdeblut spritzen zu lassen,<br />
sei „sicher extrem“. Aber extrem zu sein, sei<br />
durchaus eine der Aufgaben von Kunst, um in neue<br />
Ideenräume vorzudringen: „Die Synthetische Biologie<br />
wird uns wahrscheinlich in extreme Bereiche<br />
führen, und insofern kann solche Kunst eine gute<br />
Vorbereitung darauf sein.“<br />
Auch Hans-Jörg Rheinberger, Direktor des<br />
Berliner Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte<br />
und Mitinitiator der Veranstaltungsreihe<br />
„Artefakte. Wissen ist Kunst – Kunst ist Wissen“<br />
an der BBAW, ist überzeugt, dass die Wissenschaft<br />
von der Biokunst lernen kann. „Synbio-Forscher<br />
bekommen gerade in der Verfremdung ihrer Arbeit<br />
einen reflexiven Spiegel vorgehalten“, sagt Rheinberger<br />
und verspricht sich durch die Biokunst „eine<br />
Schärfung des Blicks auf aktuelle Probleme in den<br />
Biowissenschaften“.<br />
Und vermutlich sind sich Kunst und Forschung,<br />
deren Sphären zu Zeiten Leonardo da Vincis oder<br />
auch Johann Wolfgang von Goethes noch überlappten,<br />
am Ende wohl gar nicht so fremd. „Forscher wissen<br />
sehr wohl, dass ihre Arbeit etwas <strong>mit</strong> Kreativität<br />
zu tun hat“, sagt Rheinberger, „sie unterscheiden sich<br />
aber in der Wahl ihrer Mittel von Künstlern.“<br />
Festival hatte die entsprechende Website über 15.000<br />
Besucherinnen und Besucher, einige Festivalfilme<br />
wurden mehr als 300 Mal angeklickt. Bio:Fiction ist<br />
ein Teil des GEN-AU Projekts CISYNBIO (Cinema<br />
and Synthetic Biology), geleitet von Markus Schmidt<br />
(Organisation for International Dialogue and Conflict<br />
Management, Wien).<br />
www.bio-fiction.com<br />
www.cisynbio.com<br />
www.biofaction.com/synth-ethic<br />
VERMITTELN<br />
„May the Horse Live in me“ erhielt eine Goldene<br />
Nica (Prix Ars Electronica).<br />
Zwei Monate zeigte das Naturhistorische<br />
Museum die Bioart-Schau synth-ethic.<br />
Höhepunkt von Bio:Fiction: Die Auszeichnung<br />
der besten Kurzfilme.<br />
Auch Sonja Bäumels Film „(in)visible“ wurde<br />
prämiert – es geht um offene lebende Systeme auf<br />
der Haut.
FORSCHEN<br />
Translationale Medizin:<br />
Hürdenlauf der Medikamente<br />
Translational medicine:<br />
Drugs against barriers<br />
The knowledge about human<br />
diseases is increasing.<br />
Nevertheless, fewer drugs reach<br />
the market. Experts hope that<br />
‘translational medicine’ can<br />
enhance this process. Peter<br />
Biegelbauer examines how<br />
knowledge from the new field<br />
of ‘translational medicine’ is<br />
actually applied in Austria,<br />
Germany and Finland.<br />
Kurzinformation zum Projekt:<br />
Transnationales Projekt<br />
Tri-Gen. Translationale Forschung<br />
in genomischer Medizin: Institutionelle<br />
und gesellschaftliche<br />
Aspekte 1<br />
Projektleitung: Mag. Dr. Peter<br />
Biegelbauer; Institut für Höhere<br />
Studien, Wien<br />
Laufzeit: Jänner 2010 bis September<br />
2012<br />
Budget: 72.510 Euro<br />
Der zweite Part von Tri-Gen,<br />
dotiert <strong>mit</strong> 20.937 Euro, wird von<br />
Univ.-Prof. Dr. Uwe Siebert (UMIT)<br />
geleitet.<br />
Tri-Gen ist Teil der internationalen<br />
und interdisziplinären<br />
Projektschie ne ELSA-GEN. Diese<br />
Initiative fördert die Erforschung<br />
von ethischen, rechtlichen und<br />
sozialen Fragen in der Genomforschung.<br />
Neben GEN-AU stehen die<br />
Academy of Finland sowie der Projektträger<br />
im Deutschen Zentrum<br />
für Luft- und Raumfahrt (PT-DLR)<br />
als Förderer hinter ELSA-GEN.<br />
ELSA-GEN<br />
www.elsagen.at<br />
14 genosphären 11/12<br />
e<br />
Das Wissen über Krankheiten wächst. Gleichzeitig schrumpfen die Zulassungszahlen für neuartige<br />
Medikamente. Um dies zu ändern, sollen biomedizinische Erkenntnisse besser in neue Therapien<br />
„übersetzt“ werden – und zwar durch „Translationale Medizin“. Was wirklich hinter diesem<br />
Schlagwort steckt, erforscht der Politikwissenschafter Peter Biegelbauer vom Institut für Höhere<br />
Studien (IHS). Er leitet das IHS-Team im GEN-AU Projekt „Tri-Gen. Translationale Forschung in<br />
der genomischen Medizin“.<br />
INTERVIEW: SASCHA KARBERG<br />
FOTO: PETER MAYR<br />
genosphären: Herr Biegelbauer, ist Transla-<br />
tionale Medizin gar nur ein Schlagwort für etwas<br />
Selbstverständliches, nämlich das Umsetzen von<br />
biomedizinischen Erkenntnissen in Arzneien und<br />
Therapien?<br />
Peter Biegelbauer: Diese Frage haben<br />
wir bei Tri-Gen im Zuge unserer Interviews auch<br />
gestellt. Und einige Interviewpartner – Forscher,<br />
Vertreter von Pharmafirmen und Patienten – waren<br />
tatsächlich der Meinung, dass „Translationale<br />
Medizin“ ein alter Hut sei. Ihrer Ansicht nach beschreibt<br />
der Begriff die altbekannte Transferarbeit,<br />
bei der Forschung in Arzneien umgesetzt wird. Der<br />
größere Teil der Interviewpartner hat aber gesagt,<br />
dass Translationale Medizin durchaus etwas Neues<br />
ist. Mit Translationaler Medizin verspricht die Genomforschung,<br />
bei der Suche nach neuen Wirkstoffen<br />
und Therapien viel gezielter vorzugehen.<br />
Worin waren sich Ihre Interviewpartner einig?<br />
Alle haben die Entwicklung eines Medikaments<br />
in Form eines „Pipeline-Modells“ gezeichnet.<br />
Das war für uns als Sozialwissenschaftler eher<br />
schmerzlich. Denn das Pipeline-Modell hat in der<br />
Wissenschaftsforschung einen sehr schlechten<br />
Ruf. Es erfasst die Komplexität des Vorgangs nicht.<br />
Sie meinen, Medikamenten-Entwicklung ist<br />
eben kein „Rohr“, wo am Anfang Grundlagenforschung<br />
oben reinkommt und am Ende die Arznei<br />
unten rausfällt …<br />
Forschungsergebnisse werden nicht nahtlos<br />
an Biotechfirmen weitergereicht, die dann<br />
an Pharmaunternehmen übergeben, und diese<br />
wiederum arbeiten der Klinik zu. Es ist in Wirklichkeit<br />
viel komplizierter. Es gibt Feedback-Loops<br />
und Quervernetzungen von Forschung, Wirtschaft,<br />
Behörden und Politik.<br />
Tri-Gen ist noch in vollem Gange – was ist<br />
bisher passiert?<br />
Wir haben uns einen Überblick verschafft,<br />
welche Projekte in Deutschland, Österreich und<br />
Finnland unter Translationaler Medizin firmieren<br />
– es folgten Interviews <strong>mit</strong> beteiligten Personen<br />
und erste Auswertungen dieser Gespräche.<br />
Eine Reihe von Vertiefungsstudien ist noch nicht<br />
abgeschlossen. Hier untersuchen wir zum Beispiel<br />
das Utility-Gene-Card-Projekt für die Diagnose<br />
von seltenen Erbkrankheiten an der Medizinischen<br />
Hochschule Hannover. Außerdem analysieren wir<br />
in drei Erfolgsprojekten, wie die Akteure in den verschiedenen<br />
Stadien der Medikamentenentwicklung<br />
zusammenwirken. Welche Finanzierungswege und<br />
staatlichen Förderinstrumente werden genutzt?<br />
Entsteht überhaupt ein Prozess Translationaler<br />
Medizin? Zusätzlich haben wir Patienten befragt,<br />
um herauszufinden, ob sie in diesem Prozess nur<br />
die passiven Untersuchungsobjekte sind.<br />
Ist Patientinnen und Patienten die Translationale<br />
Medizin überhaupt ein Begriff?<br />
Nein, die meisten zuckten <strong>mit</strong> den Achseln.<br />
Erstaunlich war, dass auch Vertreter von Patientenorganisationen,<br />
die sich ja u. a. um die Förderung<br />
neuer Therapien kümmern, wenig da<strong>mit</strong> anfangen<br />
konnten.<br />
Wo sind die größten Schwierigkeiten im Prozess<br />
der Translationalen Medizin?<br />
Es gibt eine Reihe von Hürden. Die Übersetzung<br />
scheitert vor allem an den Übergabestellen,<br />
also zwischen öffentlichen Instituten und privaten<br />
Firmen sowie zwischen Biotech- und Pharmafirmen.<br />
Eine weitere Hürde steht zwischen Pharmafirmen<br />
und Ärzten in der Klinik.<br />
Wie ist dieser „Hürdenlauf“ zu erklären?<br />
Die einzelnen Akteure folgen unterschiedlichen<br />
Anreizsystemen, Normen und Karrierewegen. Bei<br />
Forschern ist etwa die Anzahl der Publikationen<br />
entscheidend, bei Pharmamanagern sind es Umsatzzahlen.<br />
Diese Schnittstellenproblematik setzt<br />
sich auf der politischen Lenkungsebene fort. Die
unterschiedlichen Ministerien, die Translationale<br />
Medizin fördern, sind für Forschung, Gesundheit<br />
oder Wirtschaft zuständig. Sie haben jeweils eine<br />
eigene Klientel und eigene Zielsetzungen. So<br />
kommt es in der Förderpolitik zu unterschiedlichen<br />
Schwerpunktsetzungen. Wie unsere Projektpartner<br />
vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung<br />
in Karlsruhe bestätigen, gilt das<br />
auch für Deutschland.<br />
Wie werden Entscheidungen für oder gegen<br />
Forschungsprojekte gefällt?<br />
Die Tri-Gen Projektkollegen von der UMIT<br />
haben sich <strong>mit</strong> evidenzbasierten Entscheidungen<br />
in der Translationalen Medizin beschäftigt, dem so<br />
genannten Health Technology Assessment. Bislang<br />
wird eine solche systematische Prüfung von<br />
Medikamentenentwicklungsprojekten in Deutschland<br />
und Österreich eher ex post eingesetzt – als<br />
Bestätigung dafür, dass es sinnvoll war, bestimmte<br />
Projekte voranzutreiben. Ein frühes Health<br />
Technology Assessment – zur Entscheidungsunterstützung,<br />
welchen Wirkstoff man weiterentwickeln,<br />
patentieren oder in einer teuren klinischen Studie<br />
testen soll – gibt es praktisch nicht, sagen die<br />
UMIT-Kollegen.<br />
Warum eigentlich nicht?<br />
Weil es Misstrauen gibt, dass die jeweiligen<br />
Akteure dann ihre Entscheidungsgewalt verlieren<br />
könnten. Als Politikwissenschaftler kenne ich<br />
das aus der Diskussion um Gesetzesfolgenabschätzung.<br />
Da<strong>mit</strong> lässt sich abschätzen, wie ein<br />
Gesetz formuliert sein sollte, um die gewünschten<br />
15 genosphären 11/12<br />
Auswirkungen zu haben. Doch Politiker befürchten,<br />
dass ihnen eine solche Analyse vorschreibt, wie<br />
das Gesetz auszusehen hat. Dabei soll ja nur eine<br />
Entscheidungshilfe gegeben werden.<br />
Die Zahl neuer Medikamente sinkt. Wird in Forschung<br />
und Entwicklung schlampig gearbeitet?<br />
Das wäre mir zu einfach!<br />
Oder müssen wir hinnehmen, dass Aufwand<br />
und Ertrag in der Forschung nicht proportional<br />
zueinander stehen?<br />
Grundlagenforschung ist nicht steuerbar und<br />
darf es auch nicht sein. Viele große Entdeckungen<br />
waren nur möglich, weil Forscher einfach ihrer<br />
Neugier gefolgt sind. Ich glaube nicht, dass nur<br />
zielgerichtete Forschung die Wettbewerbsfähigkeit<br />
steigert und Innovationen ermöglicht. Aber natürlich<br />
ist die Frage legitim, ob bislang genug Aufwand<br />
betrieben wurde, um die Ergebnisse im Sinne der<br />
Gesellschaft auch umzusetzen. Dieser Frage gehen<br />
wir auch bei Tri-Gen nach.<br />
Wie kann die Forschung von Ihrem Projekt<br />
profitieren?<br />
Es ist der Anspruch der Translationalen Medizin,<br />
die Umsetzung zu verbessern und die Schnittstellen<br />
besser zu organisieren. Unser Forschungsprojekt<br />
schaut sich an, ob dieses Versprechen<br />
wirklich eingelöst wird. Und aus den Fallbeispielen,<br />
die wir untersuchen, wollen wir Indikationen für<br />
erfolgreiche Translationale Medizin ableiten, um<br />
Empfehlungen für die Förderpolitik abgeben zu<br />
können.<br />
FORSCHEN<br />
Schritt für Schritt: Bevor sich ein Geistesblitz<br />
aus der Grundlagenforschung als marktreifes<br />
Medikament materialisiert, sind viele Stufen<br />
zu nehmen. Politikwissenschafter Peter<br />
Biegelbauer (Institut für Höhere Studien)<br />
untersucht den Übersetzungs-Hürdenlauf und<br />
seine Akteure: Forschung und Industrie, Politik<br />
und Behörden.<br />
Links der Tri-Gen-Projektpartner:<br />
IHS, Institut für Höhere Studien<br />
www.ihs.at<br />
UMIT, Private Universität für<br />
Gesundheitswissenschaften, Medizinische<br />
Informatik und Technik<br />
www.u<strong>mit</strong>.at<br />
Department of Social Research,<br />
Universität Helsinki<br />
www.helsinki.fi/socialresearch<br />
Fraunhofer-Institut für System-<br />
und Innovationsforschung<br />
www.isi.fraunhofer.de<br />
Institut für Humangenetik, Medizinische<br />
Hochschule Hannover<br />
www.mh-hannover.de/humangenetik.html<br />
Ein Porträt von Peter Biegelbauer lesen Sie<br />
unter www.gen-au.at
VERMITTELN<br />
Epigenetik:<br />
Von Urenkeln, Wickeltechnik<br />
und lockerem Chromatin<br />
Kurzinformation zum Projekt:<br />
Verbundprojekt<br />
Epigenetische Kontrolle der<br />
Zellidentität<br />
Projektleitung: Univ.-Prof. Dr.<br />
Meinrad Busslinger; IMP Wien<br />
Laufzeit: Juli 2009 bis Juni 2012<br />
Budget: 1,9 Mio. Euro<br />
Die beiden GEN-AU Vorläuferprojekte<br />
„Die Ordnung genetischer<br />
Information“ (Phase I) sowie<br />
„Epigenetische Kontrolle des Säugergenoms“<br />
(Phase II) waren <strong>mit</strong><br />
insgesamt 6,96 Mio. Euro dotiert.<br />
16 genosphären 11/12<br />
Im Juni endet ein traditionsreiches Großprojekt der österreichischen Genomforschung. Anlass<br />
genug für den GEN-AU Projektleiter Meinrad Busslinger, sich an den Beginn des Unternehmens zu<br />
erinnern und die Gegenwart zu reflektieren. Außerdem wagt er einen Ausblick in die Zukunft.<br />
TExT: GOTTFRIED DERKA<br />
FOTOS: DIETER NAGL<br />
Jetzt ist nur noch bis Juni Zeit. Dann müssen die<br />
Schlussberichte vorliegen. Doch die Einschätzung<br />
von Meinrad Busslinger fällt schon jetzt denkbar<br />
positiv aus: „Ohne die Unterstützung von GEN-AU<br />
hätten wir den Zug verpasst“, meint der Senior<br />
Scientist vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP)<br />
in Wien. „Doch so stehen wir heute in diesem Bereich<br />
im internationalen Vergleich sehr gut da.“<br />
Es geht um den jungen und aufstrebenden<br />
Forschungszweig der Epigenetik. Hier untersuchen<br />
Wissenschafterinnen und Wissenschafter, wie Zellen<br />
ihr Erbgut richtig interpretieren (siehe Infokasten<br />
Epigenetik – Schwierige Definition, boomendes Feld).<br />
Der Immunologe Meinrad<br />
Busslinger (IMP) wurde „fast<br />
zwangsläufig“ zum Epigenetiker.<br />
Der GEN-AU Projektleiter<br />
programmiert hoch spezialisierte<br />
Zellen zu naiven Wesen – und<br />
lässt sie sodann ganz andere<br />
Fähigkeiten erlernen.<br />
In dem von Busslinger geleiteten Verbundprojekt<br />
„Epigenetische Kontrolle der Zellidentität“<br />
arbeiten sechs Gruppen aus vier Institutionen<br />
zusammen. Die thematische Spange ist die Frage:<br />
Wie und wo in der Zelle wird geregelt, welcher Teil<br />
des Genoms wann aktiv sein soll? Und: Wie kann<br />
eine Zelle ihre Entscheidungen auch noch ihren<br />
Tochter-, Enkel- und Urenkelzellen vererben?<br />
Wickeltechnik und Verpackungskunst<br />
Im Mittelpunkt des Interesses steht das Chromatin.<br />
Diese Substanz ist die Verpackungskünstlerin<br />
im Zellkern: Sie sorgt dafür, dass die Erbinformation
in Form eines insgesamt 1,8 Meter langen Rie-<br />
senmoleküls – besser bekannt unter dem Namen<br />
DNA – perfekt gewickelt ist. Nur durch die raffinierte<br />
Wickeltechnik passt das Erbgut überhaupt in den<br />
Zellkern. Doch die besonders enge Verpackung hat<br />
auch einen Nachteil: Die Gene sind derart dicht<br />
aneinander gepfercht, dass nichts und niemand ihre<br />
Information lesen kann.<br />
Wie Zellen dennoch an ihren eigenen Wissens-<br />
Schatz heran kommen, untersuchte der deutsche<br />
Epigenetik-Pionier Thomas Jenuwein – damals<br />
noch am IMP – in zehn Jahren intensiver Laborarbeit.<br />
Im Sommer 2000 war es dann so weit.<br />
Jenuwein hatte ein weiteres Talent des Chromatins<br />
entdeckt: Durch das Hinzufügen von Methylgruppen<br />
lockert es den aufgewickelten DNA-Strang an<br />
exakt der richtigen Stelle ein wenig, sodass einzelne<br />
Gene zugänglich und lesbar werden. „Diese Entdeckung<br />
war bahnbrechend“, erinnert sich Meinrad<br />
Busslinger an die Leistung seines Kollegen.<br />
Zentrum für lockeres Chromatin<br />
Die Aufklärung dieses Mechanismus brachte<br />
Jenuwein eine ganze Reihe von prominent platzierten<br />
Publikationen ein – und sie war so etwas wie der<br />
Startschuss für die groß angelegte Epigenetik-Forschung<br />
in Wien. Jenuwein initiierte im Rahmen von<br />
GEN-AU I in den Jahren 2003 bis 2005 ein Verbundprojekt<br />
<strong>mit</strong> fünf Gruppen, im Anschluss daran führte<br />
er in Phase II die Arbeit <strong>mit</strong> sechs Gruppen weiter.<br />
Und als er dann auch noch überlappend ein 12,5<br />
Millionen schweres europäisches Exzellenznetzwerk<br />
zum Thema Epigenetik koordinierte, hatte er Wien<br />
zu einem Zentrum der einschlägigen Forschungswelt<br />
gemacht.<br />
In den ersten beiden Phasen investierte<br />
GEN-AU fast sieben Millionen Euro in die Epigenetik-Forschung.<br />
Durch die Förderung gelang es,<br />
neueste Analyse-Gerätschaften anzuschaffen und<br />
Menschen heranzubilden, die da<strong>mit</strong> auch umgehen<br />
konnten. „Davon hat unser gesamtes Umfeld<br />
enorm profitiert“, berichtet Meinrad Busslinger.<br />
Tatsächlich konnten die Forscherinnen und<br />
Forscher weitere Mechanismen der Chromatin-<br />
Auflockerung entdecken. Doch noch immer ist<br />
nicht ganz klar, was die halbwegs entschlüsselten<br />
Entspannungs-Mechanismen des Chromatins<br />
überhaupt in Gang setzt.<br />
Logische Überraschungen<br />
Das zu klären, hat sich Meinrad Busslinger zur<br />
Aufgabe gemacht. Nachdem Jenuwein an das Max-<br />
Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik<br />
in Freiburg gewechselt war, übernahm er Mitte<br />
2009 die Koordination des bewährten GEN-AU<br />
Verbundprojekts und wacht momentan über sechs<br />
Subprojekte (siehe Infokasten Bindungsforschung:<br />
Mouse-Mystery und magischer Algorithmus).<br />
Der 59-Jährige ist für die Projektleiter-<br />
Funktion sowohl ein überraschender als auch ein<br />
logischer Kandidat: Ein überraschender, weil er<br />
in der Fachwelt für die Erforschung von Immun-<br />
17 genosphären 11/12<br />
Bindungsforschung:<br />
Mouse-Mystery und magischer Algorithmus<br />
Subprojektleiterin Leonie Ringrose<br />
vom Institut für Molekulare Biotechnologie<br />
(IMBA, Österreichische Akademie der<br />
Wissenschaften) hat sich die regulatorischen<br />
Faktoren <strong>mit</strong> den klingenden Namen<br />
„Polycomb“ und „Trithorax“ vorgenommen.<br />
„Als ich Ende der 90er Jahre begonnen<br />
habe, mich da<strong>mit</strong> zu beschäftigten, gab es<br />
pro Jahr gerade einmal zwei oder drei Publikationen<br />
zu diesem Thema“, erinnert sich<br />
die gebürtige Britin in perfektem Deutsch.<br />
Trithorax sorgt für die Ablesbarkeit von<br />
Genen, Polycomb blockiert genau diese<br />
Lesbarkeit. Und das offenbar über mehrere<br />
Generationen hinweg.<br />
Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter<br />
um Ringrose haben herausgefunden,<br />
an welchen Stellen die beiden Proteine<br />
Trithorax aund Polycomb an das Chromatin<br />
binden. Doch die Suche war extrem mühsam.<br />
Und so entwickelte Leonie Ringrose<br />
gemeinsam <strong>mit</strong> <strong>Bioinformatik</strong>erinnen<br />
und <strong>Bioinformatik</strong>ern einen „magischen<br />
Algorithmus“. Mit Hilfe dieses Werkzeugs<br />
konnten die Forschenden jetzt ganz elegant<br />
„Andock-Stationen“ für Trithorax und<br />
Polycomb vorhersagen und schließlich auch<br />
verifizieren.<br />
Doch da<strong>mit</strong> ist die Sache noch längst<br />
nicht erledigt. Es gibt nämlich noch ein<br />
Rätsel, und dem hat Leonie Ringrose dann<br />
doch einen englischen Namen gegeben:<br />
„Mouse-Mystery“: Die Proteine Polycomb<br />
FORSCHEN<br />
Einfach zauberhaft: Mit Hokuspokus hat die Arbeit von Leonie Ringrose (IMBA) nichts zu tun – auch wenn sie<br />
an einem magischen Algorithmus für Maus-Gene arbeitet. Zum Brainstorming wird, ganz Lowtech, an der Tafel<br />
gezeichnet.<br />
und Trithorax sind bei Maus und Fliege<br />
sehr ähnlich und erfüllen entsprechende<br />
Funktionen. Auch die Gene, die durch diese<br />
Proteine reguliert werden, sind bei beiden<br />
Tierarten sehr ähnlich. Aber die DNA-Sequenzen,<br />
an die diese Proteine binden, sind<br />
bei Maus und Fliege komplett unterschiedlich.<br />
Das bedeutet, dass der „magische<br />
Algorithmus“, der auf Basis von Fliegen-<br />
Sequenzen entwickelt wurde, im Mausgenom<br />
seinen Zauber verliert. „Wir wissen<br />
viel weniger über die Designprinzipien<br />
dieser DNA-Elemente in der Maus als in<br />
der Fliege“, so Ringrose. „Wir versuchen<br />
gerade den Algorithmus umzutrainieren,<br />
da<strong>mit</strong> er auch für Maus-Sequenzen sinnvolle<br />
Ergebnisse liefert.“<br />
Dass sich Ringrose trotz dieser Rätselhaftigkeit<br />
<strong>mit</strong> den beiden Proteinen (im<br />
Rahmen des GEN-AU Subprojekts „Dynamic<br />
transitions in Polycomb and Trithorax<br />
regulation upon differentiation“) auseinander<br />
setzt, hat einen guten Grund: In vielen<br />
Krebszell-Linien ist Polycomb überaktiv<br />
und bringt offenbar Zellen dazu, ihre<br />
Identität zu vergessen. Von einem besseren<br />
Verständnis des Wechselspiels der beiden<br />
Substanzen erhofft man sich neue Ansätze<br />
für die Krebsbehandlung.
FORSCHEN<br />
Zuerst berichteten einschlägige Publikationen<br />
über die Epigenetik. Dann eroberte das Thema<br />
auch den Sachbuchmarkt.<br />
Epigenetics:<br />
e<br />
Of great-grandchildren and wrap<br />
techniques<br />
With the help of GEN-AU,<br />
Vienna evolved into a center<br />
for epigenetics. This booming<br />
field of science is essential for<br />
understanding disease, evolution<br />
as well as basic mechanisms of<br />
immunology.<br />
18 genosphären 11/12<br />
zellen bekannt ist. Ein logischer Kandidat, weil<br />
er schon in den beiden vorangehenden GEN-AU<br />
Epigenetik-Projekten <strong>mit</strong>gewirkt hat. Und, noch<br />
viel wichtiger: Weil er im Zuge seiner immunologischen<br />
Forschungen auf Fragen gestoßen ist, die er<br />
nur <strong>mit</strong> einem besseren Verständnis der Epigenetik<br />
beantworten wird können.<br />
Konkret zerbricht sich der gebürtige Schweizer,<br />
der seit 1988 am IMP arbeitet, den Kopf darüber,<br />
wie Stammzellen das Schicksal ihrer Tochterzellen<br />
bestimmen. Stammzellen sind – wie Kinder<br />
zu Beginn ihrer Schulkarriere – noch extrem<br />
vielseitig. Sie sind in der Lage, fast jedes beliebige<br />
Gewebe des menschlichen Organismus entstehen<br />
zu lassen. Erst ihre Tochterzellen schlagen eine<br />
bestimmte Richtung ein, beginnen sich zu spezialisieren.<br />
So wie Jugendliche, die einen bestimmten<br />
Ausbildungspfad einschlagen, entwickeln sie spezielle<br />
Fähigkeiten und verlieren andere.<br />
Wegweiser am Entwicklungspfad<br />
Doch anders als bei Kindern, die <strong>mit</strong>unter –<br />
auch gegen den Willen ihrer Eltern – irgendwann<br />
umsatteln, bleiben Tochter- und Enkelzellen<br />
getreulich auf dem vorgezeichneten Entwicklungspfad.<br />
Manche entwickeln sich über mehrere Vorläuferstadien<br />
z.B. zu Augenzellen, andere entfalten<br />
sich in Richtung Abwehrzellen des Immunsystems.<br />
Busslinger war rasch klar, dass die Information<br />
über den eingeschlagenen Weg nur <strong>mit</strong> epigenetischen<br />
Veränderungen von einer Zelle auf die<br />
nächste übertragen werden kann. Und so wurde<br />
Epigenetik:<br />
Schwierige Definition, boomendes Feld<br />
Will man zwei Forschende aus der Genetik<br />
dazu bringen, sich zu streiten, muss man sie nur<br />
nach einer allgemeinen Definition von „Epigenetik“<br />
fragen. Denn die Übersetzung des Wortes,<br />
das schon Aristoteles verwendet hat, ist ziemlich<br />
allgemein: „Epi“ bedeutet zusätzlich. Demnach<br />
wäre die Epigenetik all das, was außer dem<br />
Genom noch wichtig für die Funktionen einer<br />
Zelle ist. Und das ist allerhand. Schließlich ist<br />
das Genom ja in allen Zellen eines Organismus<br />
gleich – egal, ob in der Leber, ob in einer embryonalen<br />
Stammzelle oder in der Wurzel eines alten<br />
grauen Haares.<br />
Der Unterschied liegt in der Regulierung der<br />
Erbinformation. Epigenetische Mechanismen legen<br />
fest, wann welche Gene aktiv sind. Sie sorgen<br />
etwa dafür, dass die Töchter einer Stammzelle<br />
wissen, in welche Richtung sie sich spezialisieren<br />
sollen. Darüber hinaus gibt es erste Hinweise<br />
darauf, dass epigenetische Information über<br />
Generationen hinweg übertragen werden kann.<br />
Das Forschungsfeld boomt, auch dank immer<br />
effizienterer Analyse-Geräte zur Genom-Kartie-<br />
er fast zwangsläufig zum Epigenetiker. Sein bisher<br />
wichtigster Beitrag zu diesem Feld: Er fand heraus,<br />
dass Transkriptionsfaktoren eine wesentliche Rolle<br />
bei den Lebensweg-Entscheidungen von Zellen<br />
spielen müssen.<br />
Vom Historiker zum Kindergartenkind<br />
Indem er nur einen einzigen dieser Faktoren,<br />
genannt PAx5, deaktivierte, konnte er ausdifferenzierte<br />
B-Zellen des Immunsystems in Stammzellen<br />
zurückverwandeln und sie dann zu T-Zellen heranreifen<br />
lassen. Es war, als hätte er einen hoch spezialisierten<br />
Historiker aus der Bibliothek geholt, ihn<br />
zu einem Kindergartenkind gemacht – um es dann<br />
zu einem Maschinenbau-Experten auszubilden.<br />
Ein besonders sichtbares Resultat derartiger<br />
„Verwandlungs-Experimente“ – schon lange vor<br />
GEN-AU Projektende – ist ein Advanced Grant, den<br />
Meinrad Busslinger Anfang Dezember 2011 vom<br />
European Research Council (ERC) zugesprochen<br />
bekommen hat. Dadurch wird er in den kommenden<br />
fünf Jahren 2,5 Millionen Euro für seine Forschungen<br />
ausgeben können. „Ohne die Vorarbeiten,<br />
die wir in den GEN-AU Projekten geleistet haben,<br />
hätten wir niemals einen solchen Erfolg landen<br />
können“, so Busslinger. Die Geschichte der Epigenetik<br />
in Wien wird also weiter gehen.<br />
rung. Schon ist der erste einschlägige Nobelpreis<br />
vergeben worden – für Erkenntnisse, die u. a. von<br />
der Arbeit der in Wien forschenden Epigenetiker<br />
Marjori und Antonius Matzke (GMI) inspiriert<br />
worden waren.<br />
Mit einem besseren Verständnis von epigenetischen<br />
Mechanismen könnten Wissenschafterinnen<br />
und Wissenschafter direkt in das Schicksal<br />
von Zellen eingreifen. Eine Vision ist es, aus ausdifferenzierten<br />
Zellen Stammzellen zu machen<br />
und aus diesen Gewebe für medizinische Anwendungen<br />
zu züchten, etwa Dopamin-produzierende<br />
Neuronen für die Behandlung von Parkinson.<br />
Die Forschenden erhoffen sich aber auch<br />
Aufschlüsse über die Evolution von Organismen.<br />
Die Epigenetik könnte bislang rätselhafte Phänomene<br />
der Vererbung erklären – etwa, warum<br />
bestimmte Folgen von Hunger oder Stress auch<br />
noch in der nächsten oder übernächsten Generation<br />
feststellbar sind. Die These lautet: Nicht die<br />
Gene, sondern das Epigenom wird verändert. Und<br />
diese Veränderungen werden weiter gegeben.<br />
Abbildung der Buchcover <strong>mit</strong> freundlicher Genehmigung von DuMont Buchverlag sowie Cold Spring Harbor Laboratory Press
Blockade für den grünen Geist<br />
Transnationales Projekt: Identification of hot spots of divergence and rapidly changing genes within Shiga toxin-producing Escherichia coli<br />
BILD: SILVIA EHRLENBACH UND MARTIN HERMANN<br />
TExT: JULIA HARLFINGER<br />
Noch vor einem Jahr wusste kaum jemand etwas <strong>mit</strong> dem Begriff „enterohämorrhagische Escherichia coli“ anzufangen. Heute ist EHEC – so die Kurz-<br />
bezeichnung für diese Bakteriengruppe – geläufig. Denn ein EHEC-Stamm löste, ausgehend von Norddeutschland, im Mai 2011 eine Epidemie aus. Es<br />
gab kein standardisiertes Mittel gegen die ungewöhnlich aggressiven Bakterien. Ihr Gift (Shigatoxin) transportieren sie über die Blutbahn bis zu den<br />
Zielorganen: Niere und Gehirn. Doch <strong>mit</strong> der giftigen Bedrohung von außen nicht genug. Auch das Komplementsystem, ein Teil des Immunsystems,<br />
wird bei einer EHEC-Infektion überaktiviert und reagiert autoaggressiv – <strong>mit</strong> der Zerstörung körpereigener Zellen.<br />
Für Dorothea Orth sind EHEC-Bakterien schon seit rund neun Jahren ein zentrales Thema. Die Ärztin erforscht an der Meduni Innsbruck die Macht dieser<br />
Keime – und wie es ihnen gelingt, das menschliche Immunsystem zu provozieren. Gemeinsam <strong>mit</strong> ihrer Doktorandin Silvia Ehrlenbach beobachtet Orth im<br />
Live-Mikroskop, als Vorbereitung für Folgeversuche, wie sich das grün gefärbte Shigatoxin Stunde um Stunde in Nieren-Blutgefäßzellen ausbreitet. Ob letztere<br />
gesund sind, erkennt die GEN-AU Projektleiterin daran, dass die Mitochondrien (noch) kräftig rot leuchten. Gewinnt das Toxin die Oberhand, breitete es sich<br />
bis in die Fortsätze der Zelle aus. Schließlich glimmen die Mitochondrien nur mehr schwach, die Zelle wird zum grünen Geist.<br />
„Mit der EHEC-Krise war unsere ‚Nischenforschung’ plötzlich auch für Kliniken und Öffentlichkeit höchst relevant“, erinnert sich Dorothea Orth. Ster-<br />
benskranken, bei denen Blutwäsche und Plasmaaustausch keine Besserung gebracht hatten, wurde ein Antikörper namens Eculizumab verabreicht.<br />
Zwar war die Substanz nicht für die Behandlung von EHEC-Infizierten zugelassen. Doch durch Grundlagenforschung wie Dorothea Orth sie betreibt,<br />
war bekannt, dass dieser Antikörper das auf fatale Weise außer Kontrolle geratene, überreagierende Komplementsystem zu drosseln vermag. Diese<br />
Blockade hat vermutlich einigen Menschen das Leben gerettet.<br />
Dieses transnationale Projekt ist Teil der EU-Initiative ERA-Net PathoGenoMics. Das Budget für den GEN-AU Forschungspart von Dorothea Orth (Sektion<br />
für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, Meduni Innsbruck) beträgt 211.690 Euro.<br />
19 genosphären 11/12<br />
MAKROSKOP
VERMITTELN<br />
SummerSchool:<br />
Auf Wiedersehen!<br />
GEN-AU SummerSchool<br />
Seit 2003 schnuppern Schüler und<br />
Schülerinnen (ab 17) im Rahmen<br />
der GEN-AU SummerSchool erste<br />
Laborluft. In den Sommermonaten<br />
können die Wissenshungrigen u. a. an<br />
biowissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen<br />
Institutionen in ganz<br />
Österreich <strong>mit</strong>arbeiten und einen Eindruck<br />
vom Forschungsalltag gewinnen.<br />
Über 90 Teilnehmende an 46 Wissenschaftseinrichtungen<br />
verzeichnete die<br />
SummerSchool 2011. Ihre Eindrücke<br />
verarbeiten die Praktikantinnen und<br />
Praktikanten in einem Weblog.<br />
Mehr Info:<br />
www.summerschool.at<br />
www.gen-au.at<br />
Univ.-Prof. Dr. Ortrun Mittelsten Scheid (*1957,<br />
Düsseldorf) studierte in Hamburg Biologie, wo sie<br />
auch dissertierte. Nach Karrierestationen in Zürich<br />
und Basel forscht sie als Senior Group Leader seit<br />
2004 in Wien am Gregor-Mendel-Institut für Molekulare<br />
Pflanzenbiologie (Österreichische Akademie<br />
der Wissenschaften). Sie ist habilitiert in Biologie<br />
(Basel) und Genetik (Wien).<br />
www.gmi.oeaw.ac.at<br />
Ihre ehemalige Praktikantin Hannah Hochgerner,<br />
MSc (*1988, Linz) wurde bereits während der<br />
Schulzeit an der Linz International School <strong>mit</strong> der<br />
Begeisterung für die Naturwissenschaften infiziert.<br />
„Schuld“ daran war ein Biologielehrer, der selbst aus<br />
der Forschung kam. Nach ihrem SummerSchool-<br />
Praktikum im Jahr 2006, bei dem sie für ihre Forschungsdokumentation<br />
unter die besten Drei kam,<br />
studierte sie Molekularbiologie (Uni Wien). Derzeit<br />
arbeitet sie an ihrem Doktorat in Stockholm.<br />
www.summerschool.at/hannahsophie.hochgerner<br />
www.ki.se<br />
20 genosphären 11/12<br />
Ihr Praktikum im Rahmen der GEN-AU SummerSchool brachte vieles ins Rollen. Nun, Jahre<br />
später, studieren und forschen Hannah Hochgerner und Dominik Vu bereits höchst erfolgreich im<br />
Ausland. Für genosphären haben sich die Biologin und der Mathematiker <strong>mit</strong> ihren ehemaligen<br />
SummerSchool-Betreuerinnen getroffen: Ortrun Mittelsten Scheid und Bettina Heise. Die beiden<br />
Wissenschafterinnen haben das Potenzial ihrer Schützlinge bereits früh erkannt.<br />
TExT: URSEL NENDZIG<br />
FOTOS: STEFAN KNITTEL<br />
„Wir haben viel gelacht“<br />
Ihren Koffer hat sie dabei, denn Hannah<br />
Hochgerner kommt direkt aus Stockholm. Dort, am<br />
Karolinska-Institut, absolvierte sie ihr Master-Studium<br />
in Biomedizin, und seit September arbeitet<br />
sie an der renommierten schwedischen Medizinuniversität<br />
auf den Doktortitel hin. Dass es einmal<br />
so weit sein würde, war einer Person schon lange<br />
klar: Ortrun Mittelsten Scheid. Die Forscherin war<br />
Hannah Hochgerners SummerSchool-Betreuerin<br />
und ließ sie am Gregor-Mendel-Institut für Molekulare<br />
Pflanzenbiologie (GMI) den Sprung ins kalte<br />
Labor-Wasser unternehmen. Von Anfang an wusste<br />
Mittelsten Scheid: „Hier steht eine zukünftige<br />
Forscherin vor mir“.<br />
„Ich war überrascht, wie gut Hannah auf das<br />
Arbeiten im Labor vorbereitet war“, erinnert sich<br />
die Genetikexpertin an die Begegnung im Sommer<br />
2006. Immerhin kam Hochgerner direkt aus<br />
der Schule, hatte noch nie ein Labor von innen<br />
gesehen, sie war – noch – ungeübt im abstrakten<br />
naturwissenschaftlichen Denken. Und doch, so<br />
Mittelsten Scheid: „Hannah hat sich sehr schnell<br />
eingearbeitet und war voller Enthusiasmus dabei.“<br />
Der Alltag im Traumberuf<br />
Warum Hannah Hochgerner ihren Sommer<br />
im Labor verbrachte, anstatt „richtig“ Urlaub zu<br />
machen? „Ich stand damals vor der Wahl des Studienfachs“,<br />
sagt sie. „Eigentlich war Biologie klar.<br />
Aber wie das im echten Leben aussieht, wusste ich<br />
nicht.“ Das Praktikum im Labor habe ihren Wunsch<br />
endgültig bestätigt. „Es war spannend, schon vor<br />
dem Studium Experimente in Eppendorf-Röhrchen<br />
und <strong>mit</strong> Reagenzien im Mikroliter-Bereich durchzuführen.“<br />
Abgesehen davon war es für die Maturantin<br />
interessant, die Atmosphäre im Labor und<br />
die Internationalität der Forschung <strong>mit</strong>zuerleben,<br />
beim gemeinsamen Mittagessen <strong>mit</strong> Doktorandinnen<br />
und Doktoranden zu plauschen. Kurz: mehr zu<br />
erfahren über den Traumberuf.<br />
Für die Mentorinnen und Mentoren der<br />
Summer School bedeutet dieses intensive Einblick-<br />
gewähren ein gutes Stück Arbeit. Nichtsdestotrotz<br />
unterstützen Ortrun Mittelsten Scheid und ihre<br />
Arbeitsgruppe seit Jahren junge Leute in verschiedenen<br />
Ausbildungsstadien beim „Schnuppern“.<br />
Denn „es ist für meine Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter eine gute Erfahrung, Wissen weiterzugeben.“<br />
Die Augen leuchten zu sehen, wenn ein<br />
Experiment geklappt hat. Die Kommunikation so<br />
zu gestalten, dass sie auch für Laien verständlich<br />
ist. „Das führt mich als Betreuerin oft an die Basis<br />
meiner Arbeit und zur eigenen Faszination zurück,<br />
die im Alltag manchmal verloren geht“, sagt die<br />
Genetik-Professorin. Und noch etwas haben die<br />
Nachwuchstalente laut Mittelsten Scheid den<br />
wissenschaftlichen Instituten zu bieten: Sie sind<br />
quasi künftige Werbeträgerinnen und Werbeträger<br />
im In- und Ausland. „Hannah macht eine große<br />
wissenschaftliche Karriere, davon gehe ich aus.<br />
In ihrem Lebenslauf wird unser Institut immer<br />
erwähnt sein.“<br />
Höhen und Tiefen im Blog<br />
Die gemeinsamen vier Wochen sind beiden<br />
jedenfalls in guter Erinnerung geblieben. „Wir<br />
haben viel gelacht“, sagt Mittelsten Scheid. „Und<br />
ich war verblüfft über den Blog, den Hannah jeden<br />
Abend geschrieben hat. So konnte ich <strong>mit</strong>verfolgen,<br />
welche Höhen und Tiefen es im Labor gab.“ Eines<br />
der Tiefs, das damals in den Blog einging: „Ich<br />
habe ein Elektrophorese-Gel geladen, ohne die<br />
Kammer <strong>mit</strong> Puffer aufzufüllen“, so Hochgerner.<br />
Das Experiment konnte also gar nicht funktionieren.<br />
Aber sie bemerkte den Fehler und korrigierte<br />
ihn. „Intelligenz bedeutet, jeden Fehler nur einmal<br />
zu machen“, sagt Mittelsten Scheid.<br />
Mittlerweile ist die Vorbereitung einer Elektrophorese<br />
für Hannah Hochgerner eine Routinetätigkeit,<br />
die sie im Schlaf beherrscht. Ihre Betreuerin<br />
sieht sie jedes Jahr ein Mal bei ihren Besuchen am<br />
Campus des Vienna Biocenter, immer ein freudiges<br />
Wiedersehen. Das Praktikum hat zwei Frauen<br />
zusammengeführt, die die Begeisterung für die<br />
Forschung verbindet. „Und dass wir heute hier<br />
zusammen sitzen, ist die Bestätigung dafür“, sind<br />
sich die Kolleginnen einig.
21 genosphären 11/12<br />
VERMITTELN
VERMITTELN<br />
22 genosphären 11/12
„Wie geht das?“<br />
Auch Dominik Vu ist viel <strong>mit</strong> Koffer unterwegs,<br />
so wie heute. Sein Lebens<strong>mit</strong>telpunkt liegt zur Zeit<br />
in den USA, sein Beruf hat ihn zu einem echten<br />
Globetrotter gemacht. „Es gibt dieses Vorurteil<br />
über Mathematiker, dass sie zufrieden sind <strong>mit</strong> einem<br />
Bleistift, einem Block und ihrem Schreibtisch<br />
im stillen Kämmerchen.“ Dieses Vorurteil trifft –<br />
falls es jemals gestimmt haben sollte – heute<br />
jedenfalls nicht mehr zu. „Die Mathematik ist eine<br />
Disziplin, die von der Zusammenarbeit lebt“, sagt<br />
Dominik Vu, Doktorand an der Universität Memphis.<br />
Zusammenarbeit, wie er sie schon ganz am<br />
Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn, beim<br />
SummerSchool-Praktikum – das war 2004 – an der<br />
Johannes-Kepler-Universität Linz erlebt hat.<br />
Mit seiner damaligen Betreuerin, der Physikerin<br />
Bettina Heise, die am Institut für wissensbasierte<br />
mathematische Systeme forscht, ist er heute<br />
im Zug von Oberösterreich nach Wien gereist.<br />
Nach dem Praktikum haben sich die beiden kaum<br />
gesehen, denn seit 2006 studiert Dominik Vu im<br />
Ausland. Doch über gelegentliche E-Mails konnten<br />
sie Kontakt halten. „Wir haben die Fahrt gleich<br />
genutzt und uns auf den neuesten Stand gebracht“,<br />
sagt Heise. „Dominik hat mir erzählt, wie sein<br />
Leben in Amerika ist.“ Und das ist: anders. „Nicht<br />
die Forschung an sich“, sagt Dominik Vu. „Aber die<br />
Rahmenbedingungen sind einfach anders als in<br />
Europa.“<br />
Wie für seine Kolleginnen und Kollegen üblich,<br />
gehört auch für Vu eine extrem hohe Mobilität zu<br />
den Begleiterscheinungen seines Berufs. „Mein<br />
Doktorvater lehrt in Cambridge und Memphis, und<br />
ich reise ihm viel hinterher“, so Vu. „An Fernweh<br />
habe ich nie lange zu leiden.“<br />
Weltweit daheim<br />
So sehr Vu jetzt in der Mathematik zuhause<br />
ist – kurz vor dem Studienbeginn liebäugelte er<br />
auch <strong>mit</strong> anderen Fachrichtungen. „Damals war<br />
ich noch gar nicht so sicher, ob die Mathematik<br />
überhaupt das Richtige für mich ist.“, sagt er.<br />
„Physik oder Medizin standen auch im Raum.“ So<br />
bewarb er sich ursprünglich eigentlich für einen<br />
SummerSchool-Praktikumsplatz in einem dieser<br />
beiden Gebiete. Es kam aber anders: „Aufgrund<br />
meines Bewerbungsschreibens und meines<br />
Lebenslaufes kam ich zu einem Praktikum in<br />
der Mathematik.“ Im ersten Moment eine kleine<br />
Enttäuschung. Doch dann entpuppten sich die fünf<br />
Wochen an der Linzer Uni als wegweisend.<br />
Das findet auch seine ehemalige Mentorin<br />
Bettina Heise von der Universität Linz. „Dass<br />
Dominik die Mathematik liegt, hat man einfach<br />
gemerkt“, sagt sie. Auch dass er in die Welt der<br />
Wissenschaft passen würde, war ihr schnell klar.<br />
„Ich erinnere mich an seinen Praktikumsbericht.<br />
Andere haben eher im Stil eines Erlebnisaufsatzes<br />
geschrieben“, so Heise. „Bei Dominik las sich das<br />
ganze wie eine wissenschaftliche Abhandlung,<br />
23 genosphären 11/12<br />
inklusive Quellenangaben und korrekter Zitate.“ An<br />
diesen schon früh ausgeprägten Perfektionismus<br />
denkt auch der einstige Praktikant noch immer <strong>mit</strong><br />
einem Schmunzeln: „Für mich gab es einfach keine<br />
andere Möglichkeit, als den Bericht auf diese Art<br />
zu schreiben.“<br />
Erfrischend: Fragen über Fragen<br />
Dabei war Vu relativ „unvorbelastet“ an sein<br />
Praktikum herangegangen: „Über den Mathematiker<br />
und seinen realen Berufsalltag hatte ich noch<br />
kein genaues Bild.“ Das sollte sich im Laufe der<br />
SummerSchool ändern – bei Teambesprechungen,<br />
Programmier-Experimenten und dem gemeinsamen<br />
Erarbeiten von Lösungswegen. Der von Vu<br />
in den fünf Sommerwochen wohl am häufigsten<br />
geäußerte Satz war: „Wie geht das?“<br />
Bettina Heise kam der Wissensdurst gerade<br />
recht. „Ich hatte große Freude daran, wie begeistert<br />
Dominik war und mich <strong>mit</strong> seinen Fragen<br />
herausgefordert hat“, sagt sie. „Ich habe dabei<br />
bemerkt, wie gerne ich meine Arbeit mache. Klar<br />
tausche ich mich auch ständig <strong>mit</strong> Kollegen aus,<br />
aber diese völlig neue Sicht ist einfach etwas<br />
anderes.“ Seit den Praktikumstagen verfolgt die<br />
Physikerin die Laufbahn ihres ehemaligen Schützlings.<br />
Auch in Zukunft wird sie ihn wohl nicht aus<br />
den Augen verlieren. Denn sie erinnert sich immer<br />
wieder gerne an ihren ersten Praktikanten zurück,<br />
der ihr vor Augen führte, wie viel Freude ihr die<br />
Forschung bereitet.<br />
Seit 2001 ist Dr. Bettina Heise (*1964, Zwickau) wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Institut für wissensbasierte mathematische<br />
Systeme an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Ihre wissenschaftliche<br />
Karriere startete <strong>mit</strong> dem Studium der Physik an der<br />
TU Chemnitz. Nach dem Postgrad-Studium an der Universität<br />
Jena folgte das Doktorat in Linz. Ihr Forschungsschwerpunkt:<br />
Datenverarbeitung und -analyse.<br />
www.flll.jku.at<br />
Das SummerSchool-Praktikum absolvierte Dominik Vu, MASt<br />
(*1985, Steyr) im Jahr 2004. Seine Abschlussarbeit wurde als die<br />
beste des Jahrgangs ausgezeichnet. Vu begann sein Studium an<br />
der an der TU Wien (Technische Mathematik) und der Uni Wien<br />
(Molekulare Biologie). Danach ging er nach Paris und schließlich<br />
nach Cambridge. Er schloss <strong>mit</strong> einem „Master of Advanced Study<br />
in Mathematics“ ab. Seit 2009 ist er Mathematik-Doktorand an der<br />
University of Memphis (Tennessee, USA), wo er auch unterrichtet.<br />
Er spezialisiert sich auf Graphen- und Netzwerktheorie.<br />
www.msci.memphis.edu<br />
SummerSchool:<br />
Until we meet again<br />
VERMITTELN<br />
GEN-AU researchers Ortrun<br />
Mittelsten Scheid and Bettina<br />
Heise encouraged two high<br />
school students to take their<br />
first steps in the scientific<br />
world. Years after the summer<br />
internships, these four met<br />
again. Meanwhile the mentees<br />
Hannah Hochgerner and Dominik<br />
Vu have graduated and pursue<br />
their scientific careers with<br />
great success.<br />
Verhandlungstisch<br />
Ausschnapsen ist Österreichisch<br />
für „sich etwas ausmachen“. „Ausschnapsn“<br />
heißt auch die von Martin<br />
Walde entworfene Möbelskulptur.<br />
Dafür hat der bildende Künstler (*1957,<br />
Innsbruck) eine Schublade auf Sessellehnen<br />
balanciert. Gemeinsam <strong>mit</strong><br />
dem deutschen Kabarettisten Gerhard<br />
Polt war das Objekt aus gebrauchten<br />
Holzmöbeln bereits im Film „Der<br />
Gedanke“ zu sehen – Design wird zum<br />
Hauptdarsteller. Martin Walde entwarf<br />
„Ausschnapsn“ für das Label „ak7<br />
Contemporary Design by Contemporary<br />
Artists“, er lebt und arbeitet in New<br />
York und Wien.<br />
Die Fotos der Forschenden gemeinsam<br />
<strong>mit</strong> der Skulptur wurden ermöglicht<br />
durch die Unterstützung von Michael<br />
Turkiewicz (stilwerk design gallery, Wien)<br />
und Martin Walde. Herzlichen Dank.<br />
www.designandart.at<br />
www.martinwalde.at<br />
e
11<br />
<strong>Bioinformatik</strong>:<br />
Die hohe Kunst des Vergleichs<br />
Heute sind viele ehemals verborgene Vorgänge<br />
im menschlichen Körper sicht- und messbar.<br />
Die Lebenswissenschaften bescheren uns eine<br />
wahre Flut an Daten. Deren Interpretation ist<br />
allerdings eine Kunst für sich. <strong>Bioinformatik</strong>erinnen<br />
und <strong>Bioinformatik</strong>er beherrschen diese<br />
Fertigkeit, sie schaffen Ordnung im scheinbaren<br />
Zahlenchaos. Ihnen gelingt es sogar, <strong>Äpfel</strong> <strong>mit</strong><br />
<strong>Birnen</strong> zu <strong>vergleichen</strong>, also den Zusammenhang<br />
von Daten aus völlig unterschiedlichen Quellen<br />
zu entschlüsseln.<br />
Auch der <strong>Bioinformatik</strong>-Professor Zlatko<br />
Trajanoski hat einen ganz speziellen Ordnungssinn<br />
für die „<strong>Äpfel</strong>“ und „<strong>Birnen</strong>“ aus der Welt<br />
der Moleküle. Seit der ersten GEN-AU Phase<br />
leitet er das <strong>Bioinformatik</strong>-Integrationsnetzwerk<br />
BIN, das u. a. für die Vernetzung von Expertinnen<br />
und Experten sowie für Nachwuchs-Ausbildung<br />
sorgte. Der im Jahr 2003 noch etwas exotisch<br />
anmutende Forschungszweig der <strong>Bioinformatik</strong><br />
hat in Österreich eine beachtliche Entwicklung<br />
durchlaufen – und ist hierzulande wie international<br />
zu einem Pfeiler der Molekularbiologie<br />
geworden.<br />
Ein Programm des Programmmanagement: Wissenschaftskommunikation: