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die „Bildungslandschaft“ in Deutschland ist ge - Gemeinschaft ...

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RELIGION UND GESELLSCHAFT<br />

tes“ (9,74) sowie <strong>die</strong> „Strafe der Hölle“<br />

(4,115) drohen, def<strong>in</strong>iert aber ke<strong>in</strong><br />

irdisches Strafmaß und benennt ke<strong>in</strong><br />

Verfahren zur e<strong>in</strong>wandfreien Feststellung<br />

der Apostasie. E<strong>in</strong>i<strong>ge</strong> Verse<br />

sche<strong>in</strong>en sogar <strong>die</strong> freie Religionswahl<br />

nahezule<strong>ge</strong>n (z. B. 3,20), während andere,<br />

wie etwa Sure 4,88-89, Muslime<br />

ermahnen, <strong>die</strong> zu „greifen und zu töten“,<br />

<strong>die</strong> sich abwenden. E<strong>in</strong> vieldeuti<strong>ge</strong>r<br />

Textbefund also, der von e<strong>in</strong>i<strong>ge</strong>n<br />

weni<strong>ge</strong>n muslimischen Theolo<strong>ge</strong>n so<br />

aus<strong>ge</strong>legt wird, dass der Koran volle<br />

Religionsfreiheit befürworte, während<br />

andere argumentieren, der Koran votiere<br />

für <strong>die</strong> Todesstrafe bei Abfall.<br />

Die bis zum 9./10. Jahrhundert<br />

zusammen<strong>ge</strong>tra<strong>ge</strong>ne islamische Überlieferung<br />

verurteilt den Abfall schärfer<br />

und fordert nun auch e<strong>in</strong>deuti<strong>ge</strong>r<br />

<strong>die</strong> Todesstrafe. Dieser Forderung<br />

schließen sich bis zum 10. Jahrhundert<br />

<strong>die</strong> Gründer und Schüler der vier<br />

sunnitischen Rechtsschulen sowie<br />

der wichtigsten schiitischen an, so<br />

dass <strong>die</strong> Mehrzahl der e<strong>in</strong>flussreichen<br />

Theolo<strong>ge</strong>n der Frühzeit des Islam <strong>die</strong><br />

Todesstrafe bei Konversion fordert<br />

und <strong>die</strong>s <strong>in</strong> den Strafrechtstexten der<br />

Schariakompen<strong>die</strong>n niederlegt.<br />

Ob <strong>die</strong> Todesstrafe, besonders <strong>in</strong><br />

der Frühzeit des Islam, <strong>in</strong> jedem Fall<br />

vollzo<strong>ge</strong>n wurde, ob der Ab<strong>ge</strong>fallene<br />

Gele<strong>ge</strong>nheit zur Reue erhielt und wer<br />

überhaupt berechtigt war, den Abfall<br />

zu beurteilen und den Beschuldigten<br />

anzukla<strong>ge</strong>n und h<strong>in</strong>zurichten, <strong>ist</strong> aus<br />

der Geschichte nicht lückenlos zu rekonstruieren.<br />

Bis zum 19. Jahrhundert<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>i<strong>ge</strong> konkrete Fälle von H<strong>in</strong>richtun<strong>ge</strong>n<br />

bekannt, aber auch Fälle<br />

von Begnadigun<strong>ge</strong>n.<br />

Im 20. Jahrhundert erhält <strong>die</strong> Thematik<br />

e<strong>in</strong>e ganz neue Bedeutung. Im<br />

Zusammenhang mit dem Aufkommen<br />

des Islamismus und der Forderung politisch-islamischer<br />

Kräfte, <strong>die</strong> Scharia<br />

<strong>in</strong> vollem Umfang zur Anwendung zu<br />

br<strong>in</strong><strong>ge</strong>n, erheben sich vermehrt Rufe<br />

nach der H<strong>in</strong>richtung von Apostaten.<br />

Progressive Koranausle<strong>ge</strong>r, Frauenrechtler<strong>in</strong>nen,<br />

Journal<strong>ist</strong>en und Autoren,<br />

Säkular<strong>ist</strong>en und An<strong>ge</strong>höri<strong>ge</strong><br />

von M<strong>in</strong>derheiten werden vermehrt<br />

we<strong>ge</strong>n Apostasie an<strong>ge</strong>zeigt. So kam<br />

es <strong>in</strong> den letzten zehn Jahren des 20.<br />

Jahrhunderts <strong>in</strong> Ägypten zu m<strong>in</strong>destens<br />

50 Ankla<strong>ge</strong>n we<strong>ge</strong>n Apostasie<br />

vor Gericht (darunter der berühmte<br />

Fall Nasr Hamid Abu Zaid). E<strong>in</strong>i<strong>ge</strong><br />

Theolo<strong>ge</strong>n forderten <strong>die</strong> E<strong>in</strong>führung<br />

der Todesstrafe im ägyptischen Recht.<br />

Heute vertreten muslimische<br />

Theolo<strong>ge</strong>n vor allem drei Positionen<br />

zur Fra<strong>ge</strong> der Apostasie: E<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit<br />

fordert wie der e<strong>in</strong>flussreiche pak<strong>ist</strong>anische<br />

Journal<strong>ist</strong> und politische<br />

Aktiv<strong>ist</strong> Abu l-A’la Maududi (<strong>ge</strong>st.<br />

1979) kompromisslos <strong>die</strong> Todesstrafe<br />

für jeden, der den Islam verlässt.<br />

E<strong>in</strong>e weitere M<strong>in</strong>derheit fordert wie<br />

der von den Malediven stammende<br />

Theolo<strong>ge</strong> Abdullah Saeed (<strong>ge</strong>b. 1960)<br />

unbed<strong>in</strong>gte Glaubensfreiheit, wozu<br />

auch <strong>die</strong> Freiheit <strong>ge</strong>hört, sich vom<br />

Islam ab- und e<strong>in</strong>er neuen Religion<br />

zuzuwenden.<br />

Die Mehrheit der Theolo<strong>ge</strong>n dürfte<br />

heute <strong>die</strong> Auffassung des <strong>in</strong>ternational<br />

e<strong>in</strong>flussreichen ägyptischen Gelehrten<br />

Yusuf al-Qaradawi (<strong>ge</strong>b. 1926)<br />

befürworten: Danach darf e<strong>in</strong> Muslim<br />

zwar <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Innersten Zweifel he<strong>ge</strong>n,<br />

aber nicht darüber sprechen, zu<br />

e<strong>in</strong>er anderen Religion konvertieren<br />

oder versuchen, andere vom Islam<br />

abzuwerben. Auch <strong>die</strong> Scharia, den<br />

Islam, den Koran oder Muhammad<br />

darf er <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Aspekt kritisieren.<br />

Tut er <strong>die</strong>s, wird das <strong>in</strong> der Re<strong>ge</strong>l als<br />

Aufruhrstiftung, Verrat und Entzweiung<br />

der muslimischen Geme<strong>in</strong>schaft<br />

betrachtet, <strong>die</strong> unterbunden und bestraft<br />

werden muss; al-Qaradawi hält<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Fall <strong>die</strong> Todesstrafe für verpflichtend.<br />

Er deklariert das Ge<strong>ge</strong>nteil<br />

von Religionsfreiheit als „Religionsfreiheit“.<br />

Kommt <strong>die</strong> Religionsfreiheit<br />

durch <strong>die</strong> Arabellion?<br />

Die rechtliche und <strong>ge</strong>sellschaftliche<br />

Situation <strong>ist</strong> von Land zu<br />

Land sehr verschieden: Der Nordsudan<br />

etwa bedroht den Abtrünni<strong>ge</strong>n per<br />

Gesetz mit der Todesstrafe. In Ägypten<br />

ex<strong>ist</strong>iert zwar per Gesetz Glaubensfreiheit,<br />

aber an<strong>ge</strong>sehene Gelehrte<br />

der al-Azhar haben verschiedentlich<br />

zur H<strong>in</strong>richtung von Ab<strong>ge</strong>fallenen<br />

auf<strong>ge</strong>rufen. In der Türkei<br />

schließt das Gesetz auch <strong>die</strong> Freiheit<br />

e<strong>in</strong>, sich öffentlich zu se<strong>in</strong>em Glauben<br />

zu bekennen, auch wenn <strong>die</strong>ser<br />

durch Konversion an<strong>ge</strong>nommen wurde.<br />

Gesellschaftliche Nachteile und<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierung aber s<strong>in</strong>d überall<br />

zu erwarten.<br />

Obwohl es sie viel kostet, kritisieren<br />

manche Muslime <strong>die</strong> traditio-<br />

nelle Auslegung des Islam, pran<strong>ge</strong>rn<br />

mutig den Man<strong>ge</strong>l an Menschen- oder<br />

speziell Frauenrechten an (was ihnen<br />

gleichermaßen den Vorwurf des Abfalls<br />

e<strong>in</strong>br<strong>in</strong><strong>ge</strong>n kann) oder wenden<br />

sich dem chr<strong>ist</strong>lichen Glauben zu.<br />

Manche werden unter Druck <strong>ge</strong>setzt,<br />

müssen außer Landes fliehen, andere<br />

werden <strong>in</strong>haftiert, <strong>ge</strong>foltert, we<strong>ge</strong>n<br />

zu Unrecht erhobener Ankla<strong>ge</strong>n wie<br />

Dro<strong>ge</strong>nhandel oder Spiona<strong>ge</strong> verurteilt<br />

oder sogar um<strong>ge</strong>bracht. Manche<br />

Konvertiten kehren später we<strong>ge</strong>n des<br />

großen <strong>ge</strong>sellschaftlichen Drucks, der<br />

ihnen vor Ort kaum e<strong>in</strong>e legale Ex<strong>ist</strong>enz<br />

als Andersgläubi<strong>ge</strong> ermöglicht,<br />

wieder zum Islam zurück. Um<strong>ge</strong>kehrt<br />

konvertieren sowohl <strong>in</strong> islamisch <strong>ge</strong>prägten<br />

Gesellschaften als auch <strong>in</strong><br />

westlichen Ländern nom<strong>in</strong>elle oder<br />

auch praktizierende Chr<strong>ist</strong>en zum Islam,<br />

teilweise im Zu<strong>ge</strong> e<strong>in</strong>er Eheschließung,<br />

aber nicht nur deshalb.<br />

E<strong>in</strong>i<strong>ge</strong> <strong>die</strong>ser Konvertiten <strong>ge</strong>rieten<br />

unter den E<strong>in</strong>fluss radikaler Predi<strong>ge</strong>r<br />

und haben als Jihad-Kämpfer <strong>in</strong><br />

Afghan<strong>ist</strong>an oder Pak<strong>ist</strong>an von sich<br />

reden <strong>ge</strong>macht.<br />

Fehlende Religionsfreiheit <strong>ge</strong>ht<br />

immer e<strong>in</strong>her mit fehlenden politischen<br />

wie persönlichen Freiheitsrechten.<br />

Religionsfreiheit <strong>ist</strong> noch längst<br />

nicht <strong>in</strong> allen Teilen der Welt e<strong>in</strong>e<br />

Selbstverständlichkeit. An<strong>ge</strong>sichts e<strong>in</strong>er<br />

<strong>ge</strong>wählten islam<strong>ist</strong>ischen Mehrheit<br />

im Parlament wie <strong>in</strong> Ägypten nach<br />

der Arabellion, <strong>die</strong> an der E<strong>in</strong>heit von<br />

Religion und Staat festhalten wird,<br />

sche<strong>in</strong>t sie sich auch dort auf absehbare<br />

Zeit nicht anzubahnen.<br />

(Pressemitteilung des Institutes<br />

für Islamfra<strong>ge</strong>n der Deutschen<br />

Evan<strong>ge</strong>lischen Allianz e.V.)<br />

Redaktionsschluss für<br />

AUFTRAG 286<br />

Freitag, 1. Juni 2012<br />

28 AUFTRAG 285 • APRIL 2012<br />

2

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