die „Bildungslandschaft“ in Deutschland ist ge - Gemeinschaft ...
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GESELLSCHAFT NAH UND FERN<br />
tegrierten Entwicklung im ländlichen<br />
Raum. Sie sei nicht nur Ernährungswirtschaft<br />
sondern auch Kulturlandschaft.<br />
Die Fra<strong>ge</strong>stellung lautete früher:<br />
Arbeit zu den Menschen, oder<br />
Menschen zur Arbeit? Man habe sich<br />
für Ersteres entschieden. Es müssten<br />
gleichzeitig Arbeitsbed<strong>in</strong>gun<strong>ge</strong>n <strong>in</strong><br />
allen Landesteilen <strong>ge</strong>schaffen werden,<br />
schnelles Internet <strong>in</strong> dünn besiedelte<br />
Gebiete <strong>ge</strong>legt werden, denn<br />
sonst verlören <strong>die</strong> Menschen den Anschluss.<br />
Die ländlichen Entwicklun<strong>ge</strong>n<br />
seien heute anders als vor 20<br />
Jahren. So hätte man bei der Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
<strong>die</strong> Globalisierung gleich<br />
mit e<strong>in</strong>beziehen müssen, ebenso <strong>die</strong><br />
demographische Entwicklung der Bevölkerung:<br />
<strong>ge</strong>r<strong>in</strong><strong>ge</strong> K<strong>in</strong>derzahl – älter<br />
werdende Menschen. Die Zukunft<br />
der ländlichen Räume <strong>in</strong> Europa sei<br />
Thema der <strong>in</strong>ternationalen Politik<br />
und deshalb bräuchte der ländliche<br />
Raum starke Anwälte.<br />
In e<strong>in</strong>em weiteren Referat sprach<br />
Prof. Dr. Thomas Glauben (Halle) vom<br />
Leibniz-Institut für Agrarentwicklung<br />
<strong>in</strong> Mittel- und Osteuropa (IAMO) über<br />
den Strukturwandel <strong>in</strong> (Ost-) Europas<br />
ländlichen Regionen. Der ländliche<br />
Raum sei agrarmäßig <strong>ge</strong>prägt.<br />
Er sei Lebensraum von Mensch, Tier<br />
und Fauna, habe jedoch e<strong>in</strong>en Entwicklungsrückstand<br />
<strong>ge</strong><strong>ge</strong>nüber städtische<br />
Regionen. Strukturelle Veränderun<strong>ge</strong>n<br />
würden sich durch den<br />
demographischen Wandel er<strong>ge</strong>ben:<br />
<strong>ge</strong>r<strong>in</strong><strong>ge</strong> Bevölkerungsdichte, Abwanderung<br />
(dadurch rapides Anwachsen<br />
der Metropolen besonders <strong>in</strong> Rumänien<br />
und Bulgarien), <strong>ge</strong>r<strong>in</strong><strong>ge</strong> Geburtenrate<br />
und Verlust von Arbeitsplätzen.<br />
Die me<strong>ist</strong>en ländlichen Gebiete<br />
sowohl <strong>in</strong> West- als auch <strong>in</strong> Osteuropa<br />
seien familienmäßig <strong>ge</strong>prägt. Allerd<strong>in</strong>gs<br />
seien es <strong>in</strong> Osteuropa me<strong>ist</strong><br />
Kle<strong>in</strong>stbetriebe, <strong>die</strong> nur für den Ei<strong>ge</strong>nbedarf<br />
anbauten und dadurch <strong>in</strong>ternational<br />
nicht wettbewerbsfähig<br />
seien. So er<strong>ge</strong>be sich e<strong>in</strong>e Armutsrate<br />
<strong>in</strong> Osteuropa von bis 20% unter der<br />
all<strong>ge</strong>me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>kommensrate. Der<br />
demographische Wandel stehe den<br />
erforderlichen strukturellen Veränderun<strong>ge</strong>n<br />
ent<strong>ge</strong><strong>ge</strong>n. Es könne nur weiter<br />
<strong>ge</strong>hen, wenn – und das <strong>ist</strong> der Dreh-<br />
und An<strong>ge</strong>lpunkt – das Bildungsniveau<br />
verbessert würde.<br />
In e<strong>in</strong>em Arbeitskreis wurden<br />
<strong>die</strong> ländlichen Probleme <strong>in</strong> England,<br />
Frankreich und Russland an<strong>ge</strong>sprochen.<br />
Dr. Jill Hopk<strong>in</strong>son, Rural Officer<br />
of the Church of England, <strong>in</strong>formierte<br />
darüber, dass 20% der Gesamtbevölkerung<br />
Englands <strong>in</strong> ländliche<br />
Regionen lebe, doch e<strong>in</strong> Viertel<br />
<strong>die</strong>ser Menschen sei 60 Jahre und älter<br />
und e<strong>in</strong> Großteil davon lebe unterhalb<br />
der Armutsgrenze. Die Geme<strong>in</strong>den<br />
seien kle<strong>in</strong> und so würden „Multi-<br />
Parish Beneficies“ oder „Team M<strong>in</strong><strong>ist</strong>ries“<br />
(Verbands<strong>ge</strong>me<strong>in</strong>den) <strong>ge</strong>schaffen,<br />
wo sich sechs und neun Kirchen<br />
zusammenschlössen, <strong>die</strong> sich dann<br />
e<strong>in</strong>en oder mehrere Priester teilten.<br />
Zur Unterstützung würden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>i<strong>ge</strong>n<br />
Diözesen so<strong>ge</strong>nannte Laienpriester<br />
aus<strong>ge</strong>bildet.<br />
Bischofsvikar Hubert Schmitt,<br />
Erzdiözese Straßburg, sprach von e<strong>in</strong>er<br />
verdeckten Armut <strong>in</strong> den ländlichen<br />
Räumen Frankreichs. Die Leute<br />
zeigten nicht ihre Armut. Durch Unsicherheit<br />
<strong>in</strong> den ländlichen Regionen<br />
komme es zu e<strong>in</strong>em verstärkten<br />
Wegzug, der zur Fol<strong>ge</strong> habe, dass <strong>die</strong>se<br />
Menschen den Bezug zur Kirche<br />
verlören. In den ländlichen Räumen<br />
sei e<strong>in</strong>e große Mobilität erforderlich,<br />
denn <strong>die</strong> Menschen „lebten“ <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Orten (Wohnen, Schule,<br />
Arbeit, Vere<strong>in</strong>e). Für 15.000 Seelen<br />
<strong>ge</strong>be es e<strong>in</strong>en Priester. Es gäbe<br />
zwar Pfarrverbände, aber durch <strong>die</strong><br />
Landflucht verlöre man den Kontakt<br />
zu den Menschen. Initiativen für das<br />
Laienapostulat <strong>in</strong> Frankreich sollen<br />
Abhilfe schaffen.<br />
Der aus Baustetten <strong>in</strong> Baden-<br />
Württemberg stammende Pfarrer<br />
Dietmar Seiffert lebt <strong>in</strong> der Kle<strong>in</strong>stadt<br />
Kujbyschew <strong>in</strong> Westsibirien mit<br />
50.000 E<strong>in</strong>wohnern. In <strong>die</strong>ser Stadt<br />
leben Exilpolen, Russlanddeutsche,<br />
Balten, Weißrussen und Ukra<strong>in</strong>er.<br />
Seit der politischen Wende sei <strong>die</strong><br />
Anzahl der Geme<strong>in</strong>demitglieder <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er Pfarrei, St. Peter und Paul, von<br />
40 auf 250 an<strong>ge</strong>wachsen. Das <strong>ge</strong>samte<br />
Pfarr<strong>ge</strong>biet umfasse e<strong>in</strong>e Fläche<br />
von 87.017km² (das entspricht e<strong>in</strong>em<br />
Viertel der Fläche der Bundesrepublik)<br />
mit 20 pastoralen Punkten. Sie<br />
bestünden me<strong>ist</strong> aus kle<strong>in</strong>en Gruppen<br />
von bis zu 20 Personen, teils auch aus<br />
e<strong>in</strong>zelnen Familien. Die seelsor<strong>ge</strong>rische<br />
Betreuung oblie<strong>ge</strong> e<strong>in</strong>em Priester<br />
und zwei Ordensschwestern. Der<br />
nächste Pfarrer sei 350 km entfernt.<br />
Die Arbeitslosenquote <strong>in</strong> der Stadt sei<br />
sehr hoch. Viele Männer würden auf<br />
den Gas- und Ölfeldern im entfernen<br />
Norden arbeiten. In <strong>die</strong>sen ländlichen<br />
Bereichen sei <strong>die</strong> Arbeit auf Selbstversorgung<br />
aus<strong>ge</strong>richtet und biete<br />
somit ke<strong>in</strong>e Perspektive. Die Dörfer<br />
bluteten aufgrund der Landflucht aus.<br />
In der polnischen Diözese Elk lie<strong>ge</strong>n<br />
2/3 des Gebietes im ländlichen<br />
Raum. Bischof Jerzy Mazur beklagt,<br />
dass jun<strong>ge</strong> Menschen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Städte<br />
oder gar <strong>in</strong>s Ausland abwanderten,<br />
d.h. Überalterung und Vere<strong>in</strong>samung<br />
nähmen überhand. 30% der<br />
Menschen seien arbeitslos, leben <strong>in</strong><br />
Armut, Alkoholismus, Obdachlosigkeit<br />
und s<strong>in</strong>d orientierungslos. Hier<br />
könne nur <strong>die</strong> Kirche Antwort <strong>ge</strong>ben.<br />
Die Kirche sei von Gott <strong>ge</strong>sandt und<br />
müsste zu den Menschen <strong>ge</strong>hen, um<br />
ihnen zu helfen. Die Kirche dürfe<br />
nicht ruhig se<strong>in</strong>, wenn jun<strong>ge</strong> Menschen<br />
sich von ihr abwandten. Die<br />
Kirche spiele e<strong>in</strong>e wichti<strong>ge</strong> soziale<br />
Rolle. Die soziale Arbeit solle aber<br />
nicht ohne Evan<strong>ge</strong>lisierung erfol<strong>ge</strong>n.<br />
Für Bischof Mazur bedeutet <strong>die</strong>s, caritative<br />
Aktivitäten zu entwickeln, da<br />
offizielle Stellen dazu nicht <strong>in</strong> der<br />
La<strong>ge</strong> seien, wie z.B. Familienberatung,<br />
Bau von Waisenhäusern, Unterstützung<br />
der Caritas <strong>in</strong> jeglicher<br />
H<strong>in</strong>sicht. So unterhalte <strong>die</strong> Caritas<br />
Apotheken für M<strong>in</strong>derbemittelte, <strong>die</strong><br />
ohne Gew<strong>in</strong>n arbeiteten, um Arzneien<br />
preiswert oder umsonst abzu<strong>ge</strong>ben.<br />
Er zitiert Papst Benedikt XVI:<br />
„Probleme werden nicht <strong>ge</strong>löst, wenn<br />
Gott nicht <strong>in</strong> den Mittelpunkt <strong>ge</strong>rückt<br />
wird“. Bischof Mazur bekagte ebenfalls<br />
<strong>die</strong> Migration, wenn Eltern auf<br />
EURO-Reise g<strong>in</strong><strong>ge</strong>n und <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der<br />
als EURO-Waisen bei Oma und Opa<br />
zurück blieben. Wenn schon jun<strong>ge</strong><br />
Menschen der Arbeit we<strong>ge</strong>n fortzö<strong>ge</strong>n,<br />
sollten sie aber ihre Identität als<br />
Chr<strong>ist</strong>en erhalten.<br />
In se<strong>in</strong>em Schlusswort fragte Pater<br />
Dartmann von Renovabis: „Wo<br />
bleiben Chr<strong>ist</strong>en <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem <strong>ge</strong>sellschaftlichen<br />
Umbruch? Chr<strong>ist</strong>en <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong>sem Umbruch s<strong>in</strong>d Objekt <strong>die</strong>ses<br />
Umbruchs. Die ländlichen Regionen<br />
haben nicht nur Schwächen. Wir sollten<br />
auch auf <strong>die</strong> Stärken schauen. Die<br />
Evan<strong>ge</strong>lisierung <strong>ist</strong> Aufgabe nicht nur<br />
für Priester sondern auch der Laien<br />
auf dem Lande und der Stadt. Kirche<br />
muss immer Anwalt der Schwachen<br />
se<strong>in</strong>“. ❏<br />
18 AUFTRAG 285 • APRIL 2012