die „Bildungslandschaft“ in Deutschland ist ge - Gemeinschaft ...
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GESELLSCHAFT NAH UND FERN<br />
kümmert und der politischen Ebene,<br />
wo zwecks politischer Beteiligung<br />
e<strong>in</strong>e erstaunliche Kompromissbereitschaft<br />
an den Tag <strong>ge</strong>legt wird.<br />
Die konfessionelle Ebene<br />
Die konfessionelle Ebene versteht<br />
sich besser, wenn man nicht von e<strong>in</strong>er<br />
Mehrheit im Land aus<strong>ge</strong>ht, <strong>die</strong><br />
e<strong>in</strong>e Führungsrolle e<strong>in</strong>nimmt. Stattdessen<br />
<strong>ist</strong> der Libanon als Land voller<br />
M<strong>in</strong>derheiten zu verstehen, <strong>die</strong> zum<br />
Großteil ir<strong>ge</strong>ndwann <strong>in</strong> <strong>die</strong> Ge<strong>ge</strong>nd<br />
<strong>ge</strong>kommen s<strong>in</strong>d, um Zuflucht zu suchen.<br />
Das Streben nach Schutz spielt<br />
für das Selbstverständnis e<strong>in</strong>e wichti<strong>ge</strong><br />
Rolle. Daher s<strong>in</strong>d familiäre B<strong>in</strong>dun<strong>ge</strong>n<br />
eng und auf <strong>die</strong> Erhaltung der<br />
ei<strong>ge</strong>nen Traditionen le<strong>ge</strong>n <strong>die</strong> Konfessionen<br />
viel Wert. Zwar gibt es viele<br />
Ehen zwischen den Konfessionen e<strong>in</strong>er<br />
Religion und auch Gottes<strong>die</strong>nste<br />
und Gebete f<strong>in</strong>den <strong>ge</strong>me<strong>in</strong>sam statt,<br />
aber <strong>die</strong> Siedlungsstruktur gibt wiederum<br />
das Bild e<strong>in</strong>er Trennung. Religiös<br />
<strong>ge</strong>mischte Dörfer oder Stadtviertel<br />
s<strong>in</strong>d ohneh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Seltenheit, aber<br />
auch konfessionelle Durchmischung<br />
<strong>ist</strong> mir kaum be<strong>ge</strong>gnet. Zum Beispiel<br />
s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> 12.000 E<strong>in</strong>wohner des großen<br />
Dorfes Qobayat im Nordlibanon<br />
allesamt chr<strong>ist</strong>liche Maroniten. Das<br />
etwas kle<strong>in</strong>ere Maghdouche bei Saida<br />
im Südlibanon hat fast nur malkitisch-griechisch-katholischeE<strong>in</strong>wohner.<br />
Die gleiche Trennung f<strong>in</strong>det sich<br />
bei den Muslimen.<br />
Bereits <strong>die</strong> Vermischung der Konfessionen<br />
<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Glaubens<strong>ge</strong>me<strong>in</strong>schaft<br />
<strong>ist</strong> begrenzt, umso weni<strong>ge</strong>r<br />
Austausch gibt es daher zwischen<br />
den beiden Religionen Chr<strong>ist</strong>entum<br />
und Islam. Insbesondere f<strong>in</strong>det man<br />
ke<strong>in</strong>en wie auch immer <strong>ge</strong>arteten Dialog<br />
der Religionen. Me<strong>in</strong>er Auffassung<br />
nach bleiben <strong>die</strong>se Grundsätze<br />
trotz der au<strong>ge</strong>nsche<strong>in</strong>lichen Auflösung<br />
vieler Ge<strong>ge</strong>nsätze <strong>in</strong> der Hauptstadt<br />
Beirut für das Land gültig.<br />
Ausnahmen gibt es trotzdem. Der<br />
Islam baut auf dem jüdisch-chr<strong>ist</strong>lichen<br />
Erbe auf, auch Jesus wird als<br />
Prophet anerkannt, nur nicht als Sohn<br />
Gottes. Daher wirkt es auf Muslime<br />
nicht befremdlich, dass von dem Hü<strong>ge</strong>l<br />
von Maghdouche e<strong>in</strong>e meterhohe<br />
Marienstatue auf <strong>die</strong> sunnitische Stadt<br />
Saida herunterblickt. Neugierig wandern<br />
nachmittags schwarzverschleierte<br />
Frauen zu „Unserer Lieben Frau<br />
von Mantara“ und beten zu ihr wie<br />
<strong>die</strong> Chr<strong>ist</strong>en.<br />
Ins<strong>ge</strong>samt f<strong>in</strong>det auf konfessioneller<br />
Ebene wenig Austausch statt, <strong>die</strong><br />
e<strong>in</strong>zelnen Gruppen arbeiten auf ihren<br />
ei<strong>ge</strong>nen Erhalt h<strong>in</strong>.<br />
Die politische Ebene<br />
Geradezu <strong>ge</strong>sprengt werden <strong>die</strong><br />
konfessionellen Grenzen aber auf politischer<br />
Ebene. E<strong>in</strong> Zitat des Schriftstellers<br />
Raschid Al-Daif aus dem Bür<strong>ge</strong>rkrieg<br />
macht deutlich, mit welcher<br />
Leichtigkeit kreuz und quer politische<br />
Allianzen <strong>ge</strong>schlossen werden und<br />
wieder zerbrechen:<br />
„… Der Krieg war dann aber ke<strong>in</strong><br />
Kampf von Arm <strong>ge</strong><strong>ge</strong>n Reich, sondern<br />
von Arm und Reich <strong>ge</strong><strong>ge</strong>n Reich und<br />
Arm. Paläst<strong>in</strong>enser bekämpften sich<br />
untere<strong>in</strong>ander, Syrer kämpften mit<br />
Paläst<strong>in</strong>ensern <strong>ge</strong><strong>ge</strong>n Chr<strong>ist</strong>en, dann<br />
mit Chr<strong>ist</strong>en <strong>ge</strong><strong>ge</strong>n Paläst<strong>in</strong>enser.<br />
Schließlich <strong>die</strong> Chr<strong>ist</strong>en untere<strong>in</strong>ander<br />
und <strong>ge</strong><strong>ge</strong>n <strong>die</strong> Drusen, alle mite<strong>in</strong>ander<br />
und <strong>ge</strong><strong>ge</strong>ne<strong>in</strong>ander – wer sollte<br />
das verstehen? […] Am Ende haben<br />
wir über <strong>die</strong> <strong>ge</strong>lacht, <strong>die</strong> versucht haben,<br />
<strong>die</strong> Zustände zu analysieren.“<br />
Auf politischer Ebene kennzeichnet<br />
das Handeln der Gruppen e<strong>in</strong><br />
starker Pragmatismus, den e<strong>in</strong> aktuelles<br />
Beispiel veranschaulichen mag.<br />
In Fol<strong>ge</strong> der Ermordung des sunnitischen<br />
M<strong>in</strong><strong>ist</strong>erpräsidenten Rafiq Al-<br />
Hariri im Jahre 2005 entschied sich<br />
der Libanon, e<strong>in</strong> vom UN-Sicherheitsrat<br />
e<strong>in</strong><strong>ge</strong>setztes Tribunal zur Aufklärung<br />
des Mordes zu unterstützen. Von<br />
Beg<strong>in</strong>n an stand <strong>die</strong> schiitische Hisbullah<br />
unter Verdacht der Tatbeteiligung.<br />
In der Koalitionsregierung mit<br />
dem Sohn Saad Al-Hariri sprach sie<br />
sich daher vehement <strong>ge</strong><strong>ge</strong>n e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzierung<br />
des Tribunals aus. Unfähig<br />
zu Kompromissen, zerbrach <strong>die</strong><br />
Regierung im Januar 2011 an dem<br />
Rückzug von 11 M<strong>in</strong><strong>ist</strong>ern verschiedener<br />
Parteien. Auch an der neuen<br />
Regierung unter Najib Al-Miqati <strong>ist</strong><br />
<strong>die</strong> Hisbullah beteiligt, doch hier hat<br />
sie Ende letzten Jahres nach<strong>ge</strong><strong>ge</strong>ben<br />
und der F<strong>in</strong>anzierung zu<strong>ge</strong>stimmt. Sie<br />
bleibe bei der Kritik an dem Tribunal,<br />
fühle sich aber dem nationalen<br />
Interesse verpflichtet. E<strong>in</strong> plötzlicher<br />
Ges<strong>in</strong>nungswandel <strong>ist</strong> nicht anzunehmen,<br />
h<strong>in</strong><strong>ge</strong><strong>ge</strong>n spricht viel für Miqatis<br />
Fähigkeit, <strong>die</strong> völlig <strong>ge</strong><strong>ge</strong>nsätzlichen<br />
Interessen an e<strong>in</strong>en Tisch zu holen.<br />
S<strong>in</strong>d Kompromisse nicht ohneh<strong>in</strong><br />
unabd<strong>in</strong>gbar für e<strong>in</strong>en funktionierenden<br />
Staat? Das <strong>ist</strong> sicherlich der Fall,<br />
aber im Libanon s<strong>in</strong>d sie me<strong>in</strong>er Auffassung<br />
nach wichti<strong>ge</strong>r als anderswo<br />
und zwar aufgrund der Schwäche<br />
des Staates. Werden bei e<strong>in</strong>er politischen<br />
Entscheidung <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
bestimmte Interessen nicht berücksichtigt,<br />
wird der Beschluss dennoch<br />
über <strong>die</strong> Exekutive mit ihrem Beamtenapparat<br />
um<strong>ge</strong>setzt. Im Libanon <strong>ist</strong><br />
<strong>die</strong> Exekutive schwach, Korruption<br />
<strong>ist</strong> so alltäglich, dass sie kaum noch<br />
auffällt. Es <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> Leichtes, sich Regierungsbeschlüssen<br />
zu widersetzen.<br />
Die schiitische Hisbullah <strong>ist</strong> sogar<br />
dafür bekannt, im Südlibanon den<br />
Staat vollständig zu ersetzen. Die Umsetzung<br />
des staatlichen Willens und<br />
der Zusammenhalt des Landes s<strong>in</strong>d<br />
daher nur <strong>ge</strong>währle<strong>ist</strong>et, wenn tunlichst<br />
auch unliebsame Gruppen an<br />
Entscheidun<strong>ge</strong>n beteiligt werden.<br />
Festzuhalten <strong>ist</strong>, dass bei den<br />
Konfessionen e<strong>in</strong> aus<strong>ge</strong>prägtes Gruppendenken<br />
vorherrscht und engstirnig<br />
ei<strong>ge</strong>ne Interessen verfolgt werden.<br />
Auf politischer Ebene s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong><strong>ge</strong><strong>ge</strong>n<br />
erstaunliche Kompromisse möglich<br />
und für den Zusammenhalt des Landes<br />
auch unersetzlich.<br />
Teil 2 – Herausforderun<strong>ge</strong>n<br />
für <strong>die</strong> Sicherheit<br />
Das Grundproblem – Die schwache<br />
Armee<br />
Im Fol<strong>ge</strong>nden wird <strong>ge</strong>zeigt, dass der<br />
Libanon e<strong>in</strong>er Vielzahl von Gefährdun<strong>ge</strong>n<br />
der Sicherheit aus<strong>ge</strong>setzt <strong>ist</strong>.<br />
Problematisch <strong>ist</strong>, dass der Staat<br />
selbst <strong>die</strong> Sicherheit kaum <strong>ge</strong>währle<strong>ist</strong>en<br />
kann. Auch <strong>die</strong>s lässt sich auf<br />
<strong>die</strong> konfessionelle Vielfalt zurückführen.<br />
Erfordert zum Beispiel e<strong>in</strong> Konflikt<br />
zwischen e<strong>in</strong>er muslimischen und<br />
e<strong>in</strong>er chr<strong>ist</strong>lichen Gruppe e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>griff<br />
der Armee, dann müsste e<strong>in</strong> muslimischer<br />
General e<strong>in</strong>em chr<strong>ist</strong>lichen<br />
Soldaten befehlen, <strong>ge</strong><strong>ge</strong>n se<strong>in</strong>e ei<strong>ge</strong>nen<br />
Glaubens<strong>ge</strong>nossen vorzu<strong>ge</strong>hen.<br />
Es lässt sich e<strong>in</strong>wenden, dass es <strong>ge</strong>rade<br />
Aufgabe des Staates <strong>ist</strong>, Konflikte<br />
neutral zu lösen. Im Libanon gibt es<br />
aber ke<strong>in</strong> Vertrauen <strong>in</strong> den Staat und<br />
noch weni<strong>ge</strong>r <strong>in</strong> <strong>die</strong> Neutralität des<br />
e<strong>in</strong>zelnen Beamten. Die Armee muss<br />
14 AUFTRAG 285 • APRIL 2012