die „Bildungslandschaft“ in Deutschland ist ge - Gemeinschaft ...

ausforderung an die Staatsorganisation.
Zweitens setzen sich die einzelnen
Konfessionen mehr für ihre
eigene Gruppe ein als für den Staat
als Ganzes.
Die Konfessionen
Die konfessionelle Vielfalt findet
sich vor allem bei den Christen.
Sie lässt sich zum Teil kirchengeschichtlich
erklären. 451 entstanden
erste Spaltungen durch das Konzil
von Chalcedon, in dem über die Natur
Jesu Christi gestritten wurde. Seit
dem morgenländischen Schisma 1054
teilt sich das Christentum in die westlichen
Katholiken unter Führung des
Papstes und die Ostkirchen, bestehend
aus den orthodoxen und den
altorientalischen Kirchen. Im Laufe
der Zeit schlossen sich Gruppierungen
innerhalb der Ostkirchen wiederum
dem Papst an, behielten aber
ihren jeweiligen Ritus. So entstand
zum Beispiel die malkitisch-griechisch-katholische
Kirche. Die Bezeichnung
„melkitisch“ stammt vom
Arabischen „malik“ (der König) und
beschreibt ihre Orientierung am byzantinischen
Imperator beim Konzil
von Chalcedon. „Griechisch“ weist
auf den byzantinischen Ritus hin und
„katholisch“ zeigt, dass die Konfession
nunmehr den Papst als Oberhaupt
anerkennt. Im Ergebnis dieser Spaltungen
und Zusammenschlüsse wuchs
die Zahl der Konfessionen geradezu
inflationär.
Einige Konfessionen sahen sich
aber Verfolgungen ausgesetzt, nicht
etwa durch den sich rasant ausbreitenden
Islam, sondern vielmehr durch
die eigenen Glaubensgenossen während
der Kreuzzüge. Später litten viele
unter der osmanischen Herrschaft.
Zuflucht fanden sie im Libanon. Seine
unzugänglichen Gebirge bieten
seit Jahrhunderten den Minderheiten
Schutz und das Mittelmeer notfalls
einen Fluchtweg. Nicht nur christliche
Minderheiten wie die aus Anatolien
flüchtenden Armenier Ende des
Ersten Weltkrieges, sondern auch andersgläubige
Gruppen wie die Drusen
strömten vor Jahrhunderten in
das Land.
Insgesamt 18 Konfessionen sind
bei einer Bevölkerungszahl von 3,5
bis 4 Millionen offiziell anerkannt
und leben kreuz und quer über das
AUFTRAG 285 • APRIL 2012
Land verteilt. Generell finden sich
sunnitische Muslime in den drei großen
Küstenstädten Beirut, Tripolis
und Saida, Schiiten im Südlibanon,
Drusen im zentral gelegenen Chouf,
Christen bewohnen vor allem die Gegend
nördlich von Beirut.
Wie stellt man sicher, dass alle
Gruppierungen an dem Staat beteiligt
werden?
Die Staatsorganisation
Die ursprünglich auf französisch
geschriebene Verfassung sieht in Artikel
101 vor, dass ab dem 1. September
1926 der frühere „Etat du Grand
Liban“ nunmehr den Namen „République
Libanaise“ trägt. In der Präambel
wird die Souveränität, Freiheit
und Unabhängigkeit des Staates
betont und die arabische Identität
festgelegt. Außerdem wird bestimmt,
dass es sich um eine demokratische,
parlamentarische Republik handelt.
Diese kennzeichne sich unter anderem
durch die Beachtung der Grundrechte,
insbesondere der Meinungs-
und Gewissensfreiheit.
Die Verfassung hat ein gespaltenes
Verhältnis zu den Konfessionen.
Einerseits soll der Konfessionalismus
laut Absatz h) der Präambel abgeschafft
werden, und zwar schrittweise
(„suivant un plan par étapes“).
Andererseits wird der Konfessionalismus
in der Staatsorganisation
geradezu zementiert. Art. 24 sieht
vor, dass die parlamentarischen Sitze
gleich („à égalité“) unter Christen
und Muslimen aufgeteilt werden.
Unter „gleich“ ist zu verstehen, dass
nicht etwa eine Volkszählung ein bestimmtes
Sitzverhältnis vorgibt, sondern
die Hälfte der Sitze den Christen,
die andere Hälfte den Muslimen
zusteht. Zwar steht diese Aufteilung
unter dem Vorbehalt eines Wahlgesetzes
ohne konfessionelle Ausrichtung
(„En attendant l‘élaboration [...] d‘une
loi électorale sans contrainte confessionelle“),
aber es kam nie zur Errichtung
eines solchen Wahlgesetzes.
Die Rolle der Konfessionen wird
weiterhin gestärkt durch die Autonomie
im Personenstandsrecht gemäß
Art. 9. Daher gibt es keine Zivilehe im
Libanon, Ehen werden nach den Bräuchen
der einzelnen Konfession abgeschlossen.
Außerdem gestattet Art. 10
den Gemeinden, im Rahmen der staat-
GESELLSCHAFT NAH UND FERN
lichen Vorgaben ihre eigenen Schulen
zu betreiben. Dies hat die praktische
Auswirkung, dass staatliche Schulen
keinen guten Ruf genießen. Stattdessen
sind vor allem christliche Privatschulen
begehrt. Problematisch erscheint
auch, dass der Staat gemäß
Art. 9 die Beachtung der „religiösen
Interessen“ („intérêts religieux“) garantiert,
ohne diese Interessen näher
einzugrenzen.
Das Ende des Bürgerkrieges
(1975-1990) wurde nach verbreiteter
Auffassung durch ein 1989 in der saudi-arabischen
Stadt Ta‘if unterzeichnetes
Abkommen herbeigeführt. Erst
in Folge dieses Abkommens erklärt
die Präambel die Abschaffung des
Konfessionalismus zum nationalen
Ziel. Vorher betrachtete die Präambel
ihn lediglich als Übergangsregelung.
Art. 93 trifft nunmehr auch genaue
Bestimmungen zur Umsetzung dieses
Ziels durch ein „nationales Komitee“.
Manche sehen in der Festlegung dieses
Ziels einen Fortschritt. Andere
sagen, dass der Konfessionalismus
vielmehr erst durch das schriftliche
Festhalten in der Verfassung seine
Geltung als, wenn auch abzuschaffender,
Grundsatz der Verfassung bekommen
hat.
Entscheidend ist nach meiner
Auffassung, dass die Libanesen selbst
sich – mit wenigen Ausnahmen – nicht
für dieses Ziel einsetzen, sondern
nach wie vor ein starkes Gruppendenken
vorherrscht.
Das Gruppendenken
Heiß diskutiert ist im Libanon die
Frage, welche Religion die Mehrheit
darstellt. Zur Zeit der Unabhängigkeit
waren es wohl noch die Christen, aber
seit 1936 hat man sich nicht mehr an
eine Volkszählung gewagt. Inzwischen
steht vermutlich eine 30- bis 40-prozentige
christliche einer mehrheitlich
muslimischen Bevölkerung gegenüber.
Es liegt nahe, Konflikte wie
den Bürgerkrieg als religiöse Auseinandersetzung
zu verstehen. Allerdings
gibt es nicht einen christlichen und
einen muslimischen Block im Land.
Die Politik des Landes wird vielmehr
von den Einzelinteressen der Konfessionen
bestimmt. Zu unterscheiden ist
zwischen der konfessionellen Ebene,
auf der sich die einzelne religiöse
Gruppe um den eigenen Fortbestand
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