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Geschlechterbeziehungen und Frauenbild in Martin Gusindes ...

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Ethnograph sei erfüllt vom Rousseau’schen Geist. Der unverfälschte<br />

Naturzustand als Garant für Freiheit, Ungezwungenheit, Frieden <strong>und</strong><br />

Wohlergehen. Dieser vollkommene Naturzustand deckt sich auffallend mit<br />

der katholischen Werteordnung. So schreibt Gus<strong>in</strong>de, dass die Indianer „[. .<br />

.] e<strong>in</strong>en deutlich erkennbaren Abscheu vor e<strong>in</strong>er Verwandtenehe an den Tag<br />

[legten].“ 59 Auch polygame Verb<strong>in</strong>dungen se<strong>in</strong>en weder traditionell noch<br />

erwünscht: „Selbst bei der heutigen gänzlichen Lockerung <strong>und</strong> sogar<br />

Auflösung des früheren Brauchtums ist die Gesamtheit der <strong>in</strong>dianischen Ehe<br />

monogam.“ 60 E<strong>in</strong>zelfälle möge es geben, aber diese seien <strong>in</strong> der <strong>in</strong>dianischen<br />

Gesellschaft auch nicht gern gesehen. Und noch e<strong>in</strong> anderes (christliches?)<br />

Ideal lässt sich entdecken: „So wie noch <strong>in</strong> der Neuzeit war es ehedem <strong>und</strong><br />

seit alter Zeit der Brauch der Indianer, dass die beiden Eheleute auf<br />

Lebenszeit sich b<strong>in</strong>den <strong>und</strong> beie<strong>in</strong>ander bleiben.“ 61 Doch <strong>in</strong> den ersten zwei<br />

Jahrzehnten des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts hat die Wirklichkeit diesen Vorstellungen<br />

nicht mehr entsprechen können. Mart<strong>in</strong> Gus<strong>in</strong>de hat sich weniger mit der<br />

Frage beschäftigt, ob es diese ideale Gesellschaft <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

überhaupt gegeben habe, er hat vielmehr Ursachen für die Zerrüttung der<br />

feuerländischen Gesellschaft se<strong>in</strong>er Zeit gesucht. Zuallererst waren die<br />

Weißen zur Verantwortung zu ziehen. Dass Gus<strong>in</strong>de die Lebensweise der<br />

Zugewanderten kritisierte ist auf jeden Fall richtig. Denn tatsächlich haben<br />

viele weiße Männer (Europäische Frauen waren oft nicht dazu bereit, <strong>in</strong> diese<br />

unwirtliche Gegend zu ziehen) Indianer<strong>in</strong>nen sexuell <strong>und</strong> als Arbeiter<strong>in</strong>nen<br />

missbraucht. Alle<strong>in</strong> die Tatsache, dass die Siedler e<strong>in</strong>en Ausrottungsfeldzug<br />

gegen die Ure<strong>in</strong>wohner führten zeigt, dass ihre angeblich christliche Moral<br />

vollständig verkommen war. Die Weißen brachten westliche Güter, Alkohol<br />

<strong>und</strong> Seuchen <strong>in</strong>s Land. All das zersetzte allmählich die <strong>in</strong>dianische<br />

Bevölkerung.<br />

Diese Arbeit will auf ke<strong>in</strong>en Fall die gerechtfertigten Anschuldigungen<br />

Gus<strong>in</strong>des <strong>in</strong> Zweifel ziehen. Die Siedler handelten zu e<strong>in</strong>em Großteil<br />

unmoralisch <strong>und</strong> wert-los.<br />

Trotzdem sche<strong>in</strong>t die Mutmaßung berechtigt, ob denn wirklich vor dem<br />

Ersche<strong>in</strong>en der Weißen e<strong>in</strong> Paradies, bevölkert von edlen Wilden nach<br />

Rousseau’schem Verständnis, vorzuf<strong>in</strong>den war. Die Weißen handelten<br />

dermaßen schlecht, dass das Leben der E<strong>in</strong>heimischen im Kontrast dazu<br />

womöglich harmonisch <strong>und</strong> unproblematisch war. Ob der Blick des<br />

Ethnographen Gus<strong>in</strong>de zurück <strong>in</strong> die Vergangenheit wirklich ungetrübt war,<br />

59 Ebd. S. 341.<br />

60 Ebd. S. 341.<br />

61 Ebd. S. 342.<br />

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