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Anna Maria Höretseder- Illinger - Marktgemeinde Sarleinsbach

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Politische Lage<br />

Die politische Lage war der Wirtschaft<br />

auch nicht gerade dienlich.<br />

Uneinige Parteien, Aufl ösung des<br />

Nationalrates, Ständestaat, Streiks,<br />

Bürgerkrieg und Ermordung des<br />

Bundeskanzlers Dr. Dollfuss durch<br />

NS-Putschisten.<br />

Auswirkungen der Wirtschaftskrise<br />

auf die<br />

Bevölkerung<br />

Täglich kamen 10 bis 15 Bettler in<br />

Gehöfte und Mühlen. Meine Mutter<br />

zählte manchmal auch 20. Auch der<br />

Pfarrer von Kollerschlag schrieb von<br />

gleicher Zahl in seine Chronik. Sie<br />

bekamen durchwegs 10 Groschen,<br />

der Preis für 2 Salzgebäcke beim<br />

Bäcker, manche wollten 1 Stück<br />

Brot. Ich erinnere mich, als vom<br />

Markt ein Familienvater von 6 Kindern<br />

verzweifelt zu meiner Mutter<br />

kam, weil er für sie nichts zu essen<br />

hatte. Wir Kinder mussten einen<br />

fetten Junghahn fangen, dazu gab sie<br />

ihm noch einen Brotlaib. Kinderbeihilfe<br />

gab es nicht.<br />

Mütter kamen in<br />

Gewissensnotstand<br />

Wenn abends Zigeunerinnen mit<br />

Kindern am Arm um Nachtquartier<br />

anhielten, kamen nach Einbruch<br />

der Dunkelheit ihre Großfamilien<br />

nach und belegten das Wirtschaftsgebäude.<br />

Es bestand aber größtes<br />

Unbehagen, weil sie Hunger hatten<br />

und die Gefahr eines Brandes war<br />

durch Lagerfeuer oder Zigarettenstummeln<br />

nicht auszuschließen.<br />

Das damals vom Unterrichtsministerium eingeführte<br />

Abzeichen für die österreichische<br />

Schuljugend<br />

Die Barmherzigen Brüder sind die Ersten, die in den Dreißiger Jahren mit der Winterhilfsaktion<br />

beginnen<br />

Ein Linzer HTL-Bautechniker<br />

erzählte mir, die Stadtbaumeister<br />

hatten nur 4-5 Monate Arbeit. Kurz<br />

bezog er die Arbeitslose, danach<br />

erfolgte die Aussteuerung (kein Einkommen).<br />

Seine Frau erwartete ein<br />

Kind. Weil sie manchmal gar nichts<br />

zu Essen hatten und sich ängstigten,<br />

das Kind könnte im Mutterleib<br />

Schaden nehmen, fuhr er mit<br />

dem Rad zum Urfahr-Stadtrand.<br />

Obwohl ihn der Diebstahl innerlich<br />

sehr belastete, schnitt er sich zwei<br />

Krauthäupl ab, damit seine Frau<br />

einige Tage Suppen kochen konnte.<br />

Vor den Barmherzigen Brüdern und<br />

Schwestern in Linz warteten täglich<br />

große Menschenschlangen auf eine<br />

Armensuppe.<br />

Kinder schätzten sehr, wenn ihnen<br />

meine Mutter ein Stück Brot gab.<br />

Mit einem schüchternen „Gäts Gott<br />

und Pfi at Gott“ verließen sie zufrieden<br />

das Haus.<br />

Die Bauunternehmer am Land hatten<br />

nur Arbeit, wenn ein Haus abbrannte.<br />

Die Wartezimmer der Ärzte waren<br />

leer, weil es wenige Versicherte gab.<br />

Die Bauernsöhne bekamen wäh-<br />

rend der starken Ernte-Arbeiten im<br />

Sommer vom Vater 50 Groschen,<br />

damit sie sich an Sonntagen nach<br />

der Messe eine Halbe Bier und dazu<br />

zwei Zigaretten kaufen konnten.<br />

Obwohl die Landwirte damals sehr<br />

karg und sparsam leben mussten,<br />

waren die heute übliche Worte „es<br />

rentiere oder rechne sich nicht“<br />

unbekannt, vielmehr dürfte der<br />

Spruch, den ich vor vielen Jahren<br />

gelesen hatte, zutreffen:<br />

„Ob du ein Bettler,<br />

du bist reich,<br />

Ob krank dein Herz,<br />

dein Mut beklommen.<br />

Gesunden wirt du alsogleich,<br />

hörst du das schöne Wort:<br />

Willkommen!<br />

Die Bettler damals waren keine<br />

Landstreicher oder Vagabunden,<br />

sondern schuldlose Menschen aller<br />

Berufs- und Bildungsgruppen, die<br />

und deren Familien hungerten.<br />

Franz Reitinger<br />

„Wer vor der Vergangenheit die Augen<br />

schließt, wird blind für die Gegenwart.“<br />

Richard von Weizsäcker<br />

Nr. 31, November 2010 19

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