Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen
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In einem kurzen Brief vom 2. Mai 1894 aus Beaulieu (Südfrankreich) hatte Maksim Kovalevskij<br />
den Besuch seines <strong>alte</strong>n Freundes Boborykin bei <strong>Engels</strong> angekündigt. <strong>Der</strong> Schriftsteller reiste jedoch<br />
erst ein Jahr später – wahrscheinlich Ende Mai/Anfang Juni 1895 – von Paris aus nach London,<br />
um dort die Erinnerungen an seinen Londoner Aufenthalt von 1868 für seinen in Arbeit befindlichen<br />
Lebensbericht aufzufrischen (Боборыкинъ: Столицы міра. S. 163).<br />
Ein Anlaufpunkt für Boborykin in London war Nikolaj Rusanov, der sich damals als französischer<br />
Korrespondent der russischen Zeitschrift „Русское богатство“ (St. Petersburg), des Organs gemäßigter<br />
Narodniki, vorübergehend in der englischen Metropole aufhielt.<br />
In einem speziellen Kapitel seines Buches (S. 310–387) befasste sich Boborykin mit der „sozialen<br />
Frage“. Im Zusammenhang damit besuchte er im Frühsommer 1895 unter anderem das Londoner<br />
East End, nahm an einer Veranstaltung der Fabian Society teil und ließ sich von führenden englischen<br />
Politikern, Industriellen und Gelehrten durch London und Sheffield führen. (Боборыкинъ:<br />
Столицы міра. S. 354–375.)<br />
In dieses Informationsbedürfnis ordnete sich Boborykins Wunsch ein, <strong>Engels</strong> und Eleanor Marx<br />
kennenzulernen. Dafür hatte er sich in Nizza von Kovalevskij, der von 1872 bis 1877 in London<br />
gelebt hatte, über Marx und die Marxsche Dialektik aufklären lassen. Außerdem hatte ihm Kovalevskij<br />
Einblick in seinen Briefwechsel mit Marx und <strong>Engels</strong> gewährt. (Боборыкинъ: Столицы<br />
міра. S. 386).<br />
Am 3. Juni 1895 bat Boborykin schriftlich bei <strong>Engels</strong> um einen geeigneten Besuchstermin. Dabei<br />
bezog er sich auf Kovalevskijs Schreiben aus dem Vorjahr, von dem er noch eine Abschrift beilegte.<br />
Obgleich von seiner Krankheit bereits stark mitgenommen (<strong>Engels</strong> an Nikolaj Daniel’son, 4.<br />
Juni 1895) empfing <strong>Engels</strong> Boborykin zu einer wahrscheinlich halbstündigen (Zeile 12) Unterredung.<br />
Das Gespräch muss zwischen dem 4. und 9. Juni 1895 stattgefunden haben; denn am 9. Juni<br />
reiste <strong>Engels</strong> zur Erholung nach Eastbourne, und als er am 24. Juli zurückkehrte, hatte Boborykin<br />
London bereits verlassen (Боборыкинъ: Столицы міра. S. 385). Insofern dürfte die von Boborykin<br />
in seinen Memoiren vorgenommene Datierung der Begegnung – Juli 1895 (ebenda. S. 386) – unzutreffend<br />
sein.<br />
Die Gründe dafür, dass <strong>Engels</strong> trotz seiner schlechten Gesundheit Boborykin zu sich einlud, lagen<br />
möglicherweise in dessen Vita. Boborykin, der unter anderem auch mit Louis Blanc, Leo Frankel,<br />
John Stuart Mill, Herbert Spencer, Michail Bakunin und Aleksandr Gercen bekannt war, gehörte<br />
damals zu den populärsten russischen Schriftstellern. Seine vom Naturalismus beeinflussten<br />
Romane, Erzählungen, Theaterstücke und literarischen Abhandlungen umfassen etwa 100 Bände<br />
und stellen eine Chronik der russischen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar.<br />
(Siehe unter anderem Е. М. Сахарова, И. В. Семибратова: Энциклопедия русской жизни.<br />
Роман и повесть в России второй половины XVIII – начала XX века. Москва 1981. S. 246–<br />
249; ausführlich zum Werk Boborykins siehe Blanck: P. D. Boborykin. Studien zur Theorie und<br />
Praxis des naturalistischen Romans in Russland. Wiesbaden 1990) Als Korrespondent der liberalen<br />
St. Petersburger Tageszeitung „Голос“ hatte Boborykin den Brüsseler und den Berner Kongress der<br />
IAA von 1868 und 1869 beobachtet. Über den Verlauf des Brüsseler Kongresses hatte er ausführlich<br />
und nicht ohne Sympathie berichtet (Голос. Nr. 239, 241–244. 30. August, 1.–5. September<br />
1868). Boborykin war auch darüber hinaus für Marx – möglicherweise auch für <strong>Engels</strong> – kein Unbekannter.<br />
So hatte Marx auf dem Umschlag von Michail Dragomanovs Broschüre „Турки<br />
внутренніе и внѣшніе“ (Genève–Bale–Lyon 1876) eigenhändig den Titel von Boborykins Roman<br />
„Жертва вечерняя“ (1872) mit kyrillischen Buchstaben notiert. (IISG, R 327/24 K; siehe auch<br />
MEGA 2 IV/32. Nr. 327.)<br />
Im Verlauf des kurzen Gesprächs, das in französischer Sprache geführt wurde, tauschten <strong>Engels</strong><br />
und Boborykin zunächst Informationen über ihren gemeinsamen Freund Kovalevskij und die Situation<br />
in Russland aus. Dabei demonstrierte <strong>Engels</strong> laut Boborykin auch seine guten Kenntnisse der<br />
russischen Sprache. (Боборыкинъ: Столицы міра. S. 387.) Was Boborykin offensichtlich sehr<br />
verkürzt als die von <strong>Engels</strong> bestätigte Lehre von Marx festhielt (Zeile 3–6), weicht erheblich von<br />
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