Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen
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Anhang<br />
Zwei kommentierte Aufzeichnungen von Unterhaltungen mit <strong>Engels</strong>, die ursprünglich<br />
für den Band I/32 der MEGA vorgesehen waren κ<br />
I Wiedergabe von Unterhaltungen Hellmut von Gerlachs mit Friedrich <strong>Engels</strong><br />
von Ende Juni bis Anfang Juli 1894<br />
Aus „Erinnerungen eines Junkers“<br />
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||98| […] <strong>Engels</strong> sprach nicht ganz so enthusiastisch über Wachs, wie dieser über ihn geurteilt<br />
hatte. […] Ich war ganz bezaubert davon, wie vollendet sachlich mir <strong>Engels</strong>, unter dem ich mir<br />
einen engen Parteifanatiker vorgestellt hatte, seinen Standpunkt darlegte. Er erklärte:<br />
„Wenn man im Auslande lebt, verlernt man den deutschen Aberglauben an die Heiligkeit<br />
der Firmenbezeichnung. Sehen Sie, was sich hier in England sozialdemokratisch nennt, das ist<br />
eine kleine Sekte, aus der nie etwas werden wird. Die Leute hassen und meiden mich, weil ich<br />
zwar an die englische Arbeiterbewegung, aber nicht an die Zukunft der sogenannten Sozialdemokratischen<br />
Föderation glaube. England, das überhaupt noch keine sozialdemokratische Partei<br />
hat, wird wahrscheinlich das erste Land sein, das praktisch Sozialismus treiben wird. Die<br />
Leute hier sind eben nicht doktrinär, sondern realpolitisch. Sehen Sie, da hat, zum Beispiel,<br />
unser liberaler Schatzkanzler, Sir ||99| William Harcourt, erst gestern bei der Verteidigung einer<br />
radikalen Erbschaftssteuervorlage gesagt, die Besitzenden könnten froh sein, wenn sie<br />
überhaupt etwas vererben dürften, da es keinen natürlichen Rechtsanspruch irgendeines Menschen<br />
auf das von einem Andern erworbene Gut gäbe. Können Sie sich irgendeinen bürgerlichen<br />
Staatsmann des Kontinents denken, der einen so rein sozialistischen Gedanken zu äußern<br />
wagen würde? In vielen Dingen ist man eben in England weiter als irgendwo anders.“<br />
<strong>Engels</strong> hat auf mich einen unauslöschlichen Eindruck gemacht. Dieser wahrhaft internationale<br />
Mensch sprach mit innigster Warme von Deutschland, hatte allerdings eine gründliche<br />
Abneigung gegen das Preußentum, für das ihm das Dreiklassenwahlrecht typisch schien. Er,<br />
der tiefgründige Gelehrte, der am liebsten in seiner Bibliothek empfing, war in der Unterhaltung<br />
ganz der fröhliche Rheinländer. Das trat besonders zutage bei einem Bierabend, zu dem er<br />
mich eingeladen hatte. Es geschah nach irgendeinem Sieg der Sozialdemokratie bei einer deutschen<br />
Nachwahl. Jedesmal pflegte er bei einem so erfreulichen Anlaß seine engsten internationalen<br />
Freunde in London zu einer Tonne Bier zu entbieten. „Die Sache wird mir nachgrade<br />
etwas teuer. Die Sozialdemokratie siegt jetzt zu oft bei den Nachwahlen“, sagte er lächelnd, als<br />
ich eintrat. […]|<br />
Entstehung und Überlieferung<br />
Die Aufzeichnung fasst offenbar Unterhaltungen und Eindrücke von mehreren Besuchen zusammen,<br />
die Hellmut von Gerlach <strong>Engels</strong> während seines zweimonatigen Aufenthalts im Sommer 1894<br />
in London abstattete. Anlass seiner Reise war der Weltkongress des Vereins Christlicher Junger<br />
κ Siehe Vorbemerkung S. 3/4. Die in den Apparatteil zu II eingegangenen Forschungsergebnisse gehen wie bei allen<br />
ursprünglich für den Band vorgesehenen russischen Gesprächsaufzeichnungen hauptsächlich auf die Arbeit von<br />
Jürgen Nitsche zurück.<br />
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